624 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

letztern Rechte zu Gunsten der Ehefrau bestehenden Sicherheitsmitteln
rechnen. Dein entspricht es aber, dass ein Gläubiger keine bessere
Stellung beanspruchen kann, als er sie hätte, wenn das ehrliche
Güterrecht das des Domizilkantons wäre und dass er insbesondere einer
nach Domizilrecht getroffenen Sicherungsvorkehr nicht das für das
interne eheliche Güterrecht massgebend gebliebene Recht des ersten
ehelichen Domizils entgegenhalten kann (s. auch Bericht des Bundesrates
zum Gesetzesentwurf betr. zivilr. V. d. N. u. A., BBl 1891 III S. 565 f.).

3. Nach diesen Ausführungen waren die Eheleute Clerc, deren (internes)
eheliches Güterrecht dasjenige des Kantons Neuenburg ist, vom Standpunkt
des am. 19 leg. cit. aus befugt, einen Weibergutsherausgabeakt nach
bernischem Recht vorzunehmen und ist dieser Aff, wenn schon er für die
internen Güterrechtsverhältnisse der Ehegatten keine rechtliche Bedeutung
haben Emm, nach am. 19 Abs. 2 doch der Rekurrentin als Gläubigerin des
Ehemanns gegenüber wirksam.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesenl,
Uebergriff in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N° 96. 625

Dritter Abschnitt. Troisiéme section.

Kantonsverfassungen.

Constitutions cantonales.

Kompetenzüberschreitung'en kantonaler Behörden. Abus de compétence des
autorités cantonales.

1 . Uebergriff in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. Empietement dans
Ie domaine du pouvoir législatif.

96. genus vom 16. Juli 1907 in Sachen Tät-pp gegen &antousrat Bug.

Legitémaàifflsi Sei- smaesreeizzzicltm Rektors betr. Verèetzweg
verfas-su-ngsmcîssige-r Rechte. Was Kiaganhebung see'si. is:: dov-EUR,
wo Bundesrecht eine Vorschrift an (lie Klaganhebung (m.lcm'llpft
(2. B. Asi;EUR. 342 SMEG): flach Bundesrecht In beurteilen. Eine
authentische !nîerpretation einer kantoewslen Behörde hierüber ist
unzulässig. Wesen der authssméisclffln Interpretation: Sie ist Akt
der Gesetzgebung. Eingriss in das Gebiet der gesetzgube-nefen Gewalz;
wenn die Interpre-ssiaièan Nicht mef dem Gesetzgebungswege zustande kommt.

A. Nach der ZPO für den Kanten Zug hat in jeder bürgerlichen Streitsache
ein Vermittlungsversuch vor dem Friedensrichter stattzufinden (g
2.9). Kommt ein Ausgleich nicht zustande, so hat der Frieden-seichter
dem Kläger auf Verlangen den die Rechtsfrage enthaltenden Weisungsschein
auszustellen (§ 34). § 38 bestimmt:

626 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantons'verfassungen

Wird eine Vor dem Friedensrichter anhängig gemachte Streitigkeit
nicht ixmert drei Monaten von Enthebung der ersten Vorladung an durch
Vergleich oder Weisungsschein erledigt oder wird eine Klage nicht
innert sechs Monaten nach Ausstellnng "des Weisungsscheines beim
zuständigen Gerichtspräsidenten anhängig gemacht, so wird dies als
völlige Entsagung aus den Rechtsstreit angesehen, und hat im erstern
Falle der Friedensrichter die Anordnung eines neuen Vorstandes oder die
Ausstellung der Weisung, im letztern Falle der Gerichtspräsident die
Anhandnahme der Klage von Amtes wegen zu verweigern, ss es wäre denn,
dass sich der Kläger Über eine Fristverlängerung ab Seite des Beklagten
auszuweisen vermöchte- Um den Rechtsstreit vor Kantonsgericht anhängig zu
machen, ist der Weisung-Zschein dem Gerichtspräsidenten einzureichen, der
die Einschreibung des Rechtsstreites bewilligt (§ 43). Gleichzeitig mit
der Einschreibung hat der Kläger eine als Klagschrift sich darstellende
Eingabe einzureichen (@ 44). § 45 bestimmt: Der Gerichtsschreiber
wird dem Beklagten von dem Eingehen der Eingabe sofort amtliche
Mitteilung machen. Diese Mitteilung bewirkt die Rechtshängigkeit des
Streites Dadurch wird das Recht des Besitzers eingestellt-, an dem
Streitgegenstande wesentliche Veränderungen vorzunehmen, der Gerichtsstand
der Widerflüge begründet und die Gerichtsbarkeit des zuständigen Gerichts
insoweit befestigt, dass dieselbe auch bei nachheriger Veränderung das
Gerichtsstandes der Parteien fortdauert.

Das zugerische Einführungsgesetz zum SchKG enthält in § 21 folgende
Bestimmung: Für die im beschleunigt-en Verfahren zu behandelnden Fälle
des Bundesgesetzes Über Schuldbetreibung und Konkurs (Art. 107, 109,
111 Abs. 3, 148, 157, 242, 251, 265, 279, 284) gelten die für das
ordentliche Prozessversahren aufgestellten Bestimmungen, jedoch mit
folgender Ausnahme: Wir-is eine vor dem Friedensrichter anhängig gemachte
Streitigkeit nicht innert zehn Tagen von Enthebung der ersten Vorladung an
durch Vergleich oder Weisungsschein erledigt, oder wird eine Klage nicht
innert zehn Tagen nach Ansstellung des Weisungsscheines beim zuständigen
Gerichtspräsideuten anbängig gemacht, so wird dies als völlige Entsagung
auf den Rechts-[. Uebergrifî' in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N°
96. 627

streit angesehen, und hat im erstern Fall der Friedensrichter die
Anordnung eines neuen Vorstandes oder die Ausstellung der Weisung,
im letztern Falle der Gerichtspräsident die Anhandnahme der Klage von
Amtes wegen zu verweigern.

B. In einem Rechtsstreite betreffend Vindikation im Sinne von Art. 242
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 242 - 1 Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
1    Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
2    Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch verwirkt.
3    Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen.

SchKG, in welchem eine Frau Hotz Klägerin und der Rekurrent aus Grund
einer Abtretung nach Art. 260 ibidem Beklagter isf, vertraten das
Kantonsgericht und das Qbergericht Zug den Standpunkt, unter Anhebung
der Klage im Sinne des Art. 242 Abs. 2 sei derjenige Akt zu verstehen,
der die Rechtsbängigkeit bewirke, also die Zusteltung der Klage an den
Beklagten nach § 45 BYD, und da nun im letztern Moment die zehntägige
Klagefrist bereits abgelauer war, wurde die Klage wegen Verspätung
abgewiesen Die Klägerin focht das Urteil des Obergerichts mit der
kanionalen Kassationsbeschwerde und mit der Berufung ans Bundesgericht
an. Vor dem Kassationsgericht Zug sowohl, wie auch vor der I. Abteilung
des Bundesgerichts ist die Angelegenheit zurzeit noch penden1.

C. Der Vertreter der Klägerin in jenem Prozesse stellte beim Kautonsrat
Zug folgendes Begehren:

I. Der h. Kantonsrat möge erkennen, dass § 21 der Einsührungsbestimmungen
zum Schuldbetreibungs und Konkursgesetze zu Recht bestehe.

II. Dass derselbe dahin interpretiert werde:

a) dass die Klage in Streitigkeiten im beschleunigten Verfahren in dem
Momente angehoben ist, da die Klage beim Friedensrichteramte rechtshängig
gemacht wird,

h") dass die Klage beim Friedensrichteramte dadurch rechtshängig
gemacht wird, dass die erste Vorladung enthoben, eventuell dass der
Friedensrichtervorstand abgehalten wird.

Der Rekurrent wandte sich mit einer Eingabe an den Kantons: rat, worin
er bat, dem Begehren um Interpretation des § 21 des EG zum SchKG keine
Folge zu geben. Am 28. Februar 1907 beschloss der Kantonsrat Zug: Es sei §
21 der Einsührungsbestimmungen zum Bundesgesetz über Schutdbetreibung und
Konkurs vom 5. Oktober 1891 so zu interpretieren, dass nach zugerischem
Zidilprozessrecht unter Anheben der Klage im

628 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsvertassungen.

Sinne des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs die
Anhängigmachung der Streitsache vor Friedensrichteramt durch Enthebung
der ersten Friedensrichtervorladung zu verfiehen ist. Dieser Beschluss
ist im Kantonsblatt vom 9. März publiziert.

D. Vermittelsi (rechtzeitigem) staatsrechtlichem Rekurs hat Kopp beim
Bundesgericht die Anträge gestellt:

1. Es sei die unterm 28. Februar 1907 ergangene Interpretation des
Kantonsrates Zug betr. § 21 der Einführungsbestimmungen zum Bandes-gesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs vorn 5. Oktober 1891 aufzuheben;

eventuell:

2. Es sei der Kantonsrat Zug einzuladen und pflichtig zu erklären, für
genannte Interpretation gemäss § 44 der zugerischen Kantonsverfafsung
bezw. H 20 des Reglementes für den zugerischen Kantonsrat vom 31. Mai 1900
zu progredieren, d. h. eine zweite Lesung vorzunehmen und den definitiven
Beschluss gegebenen Falles dem Referendum zu unterbreiten im Sinne des §
34 der zugerischen Verfassung·

Zur Begründung wird unter Hinweis aus verschiedene bundesgerichtliche
Entscheide über das Wesen der authentischen Interpretation ausgeführt:
Nach zugerischem Verfassungsrecht habe der Kantonsrat mangels einer
ausdrücklichen Ermächtigung nicht das Recht, die Gesetze authentisch
zu interpretieren; vielmehr könne das nur in der Form eines Gesetzes
geschehen, d. h. der betreffende Erlass müsse eine doppelte Lesung im
Kantonsrat passieren und dem fakultativen Referendum unter-breitet
werden. Der angesochtene Beschluss stelle sich daher als Übergrisf
in das Gebiet der gesetzgeberischen Gewalt dar. Die genannte Befugnis
habe vorliegend dein Kantonsrat um so weniger zugestanden, als es sich
beim angefochtenen Beschluss in erster Linie um eine Interpretation von
eidgenösfischem Recht, nämlich des Schuldbetreibungs und Konkursgesetzes,
handle. Schliesslich wird darzutun versucht, dass die Auslegung, die
der Kantonsrat dem § 21 des Einsührungsgesetzes in Verbindung mit dein
SchKG gegeben habe, auch materiell unrichtig sei.

E. Namens des Kantonsrates hat der Regierungsrat von ZugI. Uebergriff
in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N° 96. 629

auf Abweisung des Rekurses angetragen. In der Vernehmlassung wird die
Befugnis des Rametti-States, die kantonalen Gesetze von sich aus in
authentischer Weise zu interpretieren, daraus hergeZeitet, dass der
Kantonsrat nach § 41 litt. c der KV die Oberaufsicht über die Erhaltung
und Vollziehung der Verfassung und der Gesetze hat, ferner daraus, dass
die gesetzgeberische Gewalt mit dem einzigen Vorbehalt des fakultativen
Referendums beim Kantonsrat sei und dass somit der Kantonsrat im vollen
Sinne des Wortes Gesetzgeber sei. Ferner wird unter Anführung zahlreicher
Präzedenzfälle darauf hingewiesen, dass die zugerische KV in ständiger
Weise dahin aus-gelegt worden sei, dass dem Kantonsrat das Recht der
authentischen Interpretation zustehe-

Das Bundesgericht zieht in (Erwägung:

1. Die Beschwerdelegitimation des Returrenten und die Kompetenz des
Bundesgerichts sind vorhanden. Es handelt sich um die Anfechtung eines
Erlasses, der allgemein verbindliche Kraft beansprucht und durch den daher
jedermann im Kanton Zug in seiner Nechtsstelluug betroffen ist (Art. 178
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 242 - 1 Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
1    Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
2    Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch verwirkt.
3    Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen.

Biff. 2 OG). Der Rekurrent war zudem Partei in dem Prozess, der Anlass
zur authentischen Interpretation des § 21 des Einführuugsgesetzes zum
SchKG durch den Grossen Rat gegeben hat. Und sodann ist geltend gemacht,
dass der Erlass in Überschreitung kautonaler Zuständigkeit (Art. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 3 Kantone - Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.
BV),
sowie unter Missachtung der verfassungsmässigen Kompetenzausscheidung
kantonaler Organe und speziell unter Verletzung der konstitutionellen
Rechte des Volkes auf Mitwirkung bei der Gesetzgebung zustande gekommen
sei (Art. 175 Biff. 3 OGz s. z. B. AS 30 I S. 67 Erw. 4, S. 329 Erw.1,
S. 718 Erw. 1; 31 I S. 485 Erw. 1).

2. Es ist eine Frage des eidgenössischen Rechtes, was unter
Klaganhebung im Sinne der Art. 242
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 242 - 1 Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
1    Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
2    Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch verwirkt.
3    Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen.
, 107
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 107 - 1 Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1    Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1  eine bewegliche Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners;
2  eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Schuldners wahrscheinlicher ist als die des Dritten;
3  ein Grundstück, sofern er sich nicht aus dem Grundbuch ergibt.
2    Das Betreibungsamt setzt ihnen dazu eine Frist von zehn Tagen.
3    Auf Verlangen des Schuldners oder des Gläubigers wird der Dritte aufgefordert, innerhalb der Bestreitungsfrist seine Beweismittel beim Betreibungsamt zur Einsicht vorzulegen. Artikel 73 Absatz 2 gilt sinngemäss.
4    Wird der Anspruch des Dritten nicht bestritten, so gilt er in der betreffenden Betreibung als anerkannt.
5    Wird der Anspruch bestritten, so setzt das Betreibungsamt dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er gegen den Bestreitenden auf Feststellung seines Anspruchs klagen kann. Reicht er keine Klage ein, so fällt der Anspruch in der betreffenden Betreibung ausser Betracht.
ze. des SchKG zu verstehen ist
und weicher Vorgang des kantonalen Prozessverfahrens unter den Begriff
fällt. Allerdings überlässt das Bundesgesetz die Form der Klagerhebung
und die Ordnung des Prozessverfahreus überhaupt dem kantonalen Recht
(s. spez. Art. 25 Biff. 1), und ist es Sache des letztern, einen
prozessualen Akt vorzusehen, dessen Vornahme innert der bundesgesetzlichen
Frist möglich ist und der gemäss seiner prozessualen Bedeutung nach
kantonalem Recht ge-

630 A. ölaatsrechtliche
Entscheidungen. .... Abschnitt. Kantonsverfassungen.

eignet ist, als Klaganhebung zu gelten. Welches Minimum prozessualer
Wirkung aber mit dem betreffenden Vorgang verknüpft sein muss, damit er
als Klaganhebung betrachtet werden kann und ob ein bestimmter Akt und
welcher Akt diese Voraussetzungen erfüllt, beurteilt sich im Zweifel
nach dem Sinn und Zweck der bundesgesetzlichen Vorschriften und somit
nach eidgenössischem Recht. Es ist daher Sache der zur Anwendung
des Bandes-gesetzes berufenen Organe, im einzelnen Streitfalle zu
entscheiden, ob ein gewisser prozessualer Vorgang sich als Klaganhebung
im Sinne der Art. 242, 107 ze. ]. c. darstellt. Soweit das Bundesgesetz
das beschleunigte Verfahren vorschreibt, wird auch der Bundesrat
bei Genehmigung eines tantonalen Einsiihrungsgesetzes (Art. 333,
Art. 25 Ziff. 1) zu prüfen befugt fein, ob ein den bundesrechtlichen
Anforderungen der Klagerhebung entsprechender prozessualer Akt vorgesehen
ist. Dagegen kann es einer kantonalen Behörde nicht zukommen, in
allgemein verbindlicher Weise festzustellen, welche von verschiedenen
in Frage kommenden prozessualen Handlungen die Klaganhebung im Sinne des
Bundesgesetzes sei. Dies hat aber der Grosse Rat des Kantons Zug getan,
indem er ausgesprochen hat, dass unter Anheben der Klage im Sinne des
SchKG die Anhängigmachung der Streitsache vor Friedens-richteramt
durch Enthebung der ersten Friedensrichtervorladung zu verstehen
sei. Hierdurch hat der. Grosse Rat in Wahrheit nicht sowohldas kantonale
Prozessrecht, sondern das Bundesgesetz authentisch interpretiert und
damit die Schranken kantonaler Zuständigkeit im Verhältnis zum Bunde
(Art. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 3 Kantone - Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.
BV) überschritten. Schon aus diesem Grunde kann dem angefochtenen
Beschluss keine andere Bedeutung beigemessen werden als diejenige einer
unverbindlichen Meinungsäusserung

3. Aber auch wenn man es mit der authentischen Interpretation einer
kantonalen Gesetzesbestimtnung zu tun hätte, würde dem Grossen Rate
nach zugerischer Staatsverfassung die Zuständigkeit hier mangeln. Die
authentische Interpretation ist die mit Gesetzeskraft ausgestattete
Festlegung des Sinnes eines Gesetzes. Sie gilt nicht vermöge ihrer inneren
Wahrheit, sondern unabhängig hievon zufolge ihrer formell verbindlichen
Kraft. Sie schafft einen neuen Rechtssatz, der formell an die Stelle
des alten tritt. Sie magi. Uebergrifl' in das Gebietder gesetzgebenden
Gewalt. N° 96. 631

freilich materiell ost weniger Bedeutung haben, als der Erlass oder die
Abänderung eines Gesetzes-, weil sie nur den Sinn einer zweifelhaften
Gesetzesvorschrift bestimmen will. Da dies aber mit absoluter äusserer
Autorität geschieht, ist sie ihrem wirklichen Wesen nach nicht Auslegung,
sondern Rechtssetzung Die anthen: tische Interpretation kann daher nur
von demjenigen Organ ausgehen, das Gesetze zu schaffen vermag, und nur
in den Formen geschehen, welche für den Erlass von Gesetzen vorgesehen
sind, es sei denn, dass durch die Verfassung ausdrücklich etwas anderes
bestimmt ist. Nun enthält die Verfassung von Zug keine Norm, nach der dem
Grossen Rat die Befugnis, Gesetze anders als im Wege der Gesetzgebung
authentisch zu interpretieren, vorbehalten wäre. Für die Gesetzgebung
besteht aber in Zug abgesehen von der Vorschrift der zweimaligen Beratung
der Vorlagen, KV § 44 die Einrichtung des fakultativen Referendums (KV
§ 34). Eine authentische Interpretation kann daher nicht durch blossen
Grossratsbeschluss, sondern nur in der Weise zustande kommen, dass der
aus zweimaliger Beratung des Grossen Rates hervorgegangene Erlass dem
sakultativen Referendum unterstellt und dass seine Volksabstitnmung
entweder nicht verlangt wird, oder in zustimmendem Sinn ausfällt Dass
aus dem dem Grossen Rate zugewiesenen Rechte der Oberaussicht über
die Erhaltung und Vollziehung der Verfassung und der Gesetze (KV §
41 litt. c) nicht die Befugnis zur authentischen Interpretation der
Gesetze fliesst, bedarf kaum näherer Ausführung, da die letztere nach
dem gesagten sich ihrem Wesen nach nicht als Erhaltung und Vollziehung
bestehender Gesetze, sondern als Schaffung neuer Rechtssätze darstellt
Ebensowenig ist zu begründen, dass die verfassungs- mässige Bestimmung
und Abgrenzung der Kompetenzen der kantonalen Organe nicht durch Praxis
und Gewohnheitsrecht abgeändert werden kann. Auch vom Standpunkt des
kantonalen Staatsrechts aus erscheint darnach der angesochtene Beschluss
nur als eine unverbindliche Meinungsäusserung des Grossen Makes. ,
(Vergl. AS 16 S. 674 Erw. 2; Burckhardt, Kommentar der BV S. 7373
Regelsberger, Pandekten I, S. 142fs.; Georg Meyer, Deutsches Staatsrecht,
3. Auflage, S. 458.)

4. Zur Frage, ob diese unverbindliche Meinungsäusserung dar-

AS 33 I 1907 41

632 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

über, welcher Vorgang des zugerischen Prozessrechts Klaganhebung im Sinne
des SchKG ist, materiell zutreffend ist, d. h. ob sie dem eidgenössischen
Recht entspricht, hat sich das Bundesgericht zurzeit nicht auszusprechen
Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Der Rekurs wird in dein Sinne gutgeheissen, dass der Beschluss des Grossen
Rates von Zug vom 28. Februar 1907 als unverbindliche Meinungsäusserung
erklärt wird.

2. Anderweitige Eingriffe in garantierte Rechte. Atteintes portées à
d'autres droits garantis.

97. Anteil vom 26. September 1907 in Sachen Yui; und Buchten gegen
Gemeinde Luseiin

Bechtsuertrriiznis zwisciwn einer Gemeinde und deren Fraktionen
mit Bezug auf eine Alp. (Holzvea'kauf. ) Angeòlichmss Eingriff in
das Prieatez'gentum. Angebie'cher Eingriff in die î'ichterlichsse
Gewalt. Art. 9 ,31 ; 20 KV von Ga'aeebünden.

A. Die Fraktionen Putz und Buchen bilden zusammen mit den Fraktionen
Luzein und Pany die politische Gemeinde Luzein. Ausder Verfassung der
letztern vom Jahre 1893 sind hier folgendeBestimmungen hervorzuheben:

am. 2. Den Fraktionen steht, unter Qberaufsicht der Gemeinde, die
Verwaltung und Benutzung ihres Sondergutes, magihnen dasselbe seinerzeit
von der Gemeinde zur Nutzung zugeschieden oder mag es von ihnen käuflich
oder auf dem Wege derSchenkung erworben sein, im Sinne der nachfolgenden
Bestimmungen zu. _

Ari. 3. Da die Fraktionen einerseits integrierende Bestandteile der
politischen Gemeinde und anderseits öffentliche Korporationen bilden, so
kann ihr Vermögen uur nach öffentlichem Rechte ver waltet und nur nach
öffentlichem Rechte darüber verfügt werden-II. Anderweitîge Eingriffe
in garantierte Rechte, N° 97. 633

Art. 4. Jede Fraktion ist in Gemässheit des kantonalen Gesetzes von
1849 über Verwendung von Korporationsvermögen der-pflichten für den
ungeschmälerten Bestand ihres Vermögens zu sorgen und darf dasselbe
feinem öffentlichen Zwecke nicht entfremden.

Art. 6a. Jeder Gemeindebürger, der in einer Fraktion sich niederlässt,
ist gleich den Fraktionsangehörigen in Bezug auf den Mitgenusz an dem in
der Fraktionsverwaltung befindlichen, öffentlichen Vermögen zu behandeln,
in gleicher Weise, wie dies bisher der Fall war.

am. 7. Das Recht, die laut Niederlassnngsgesetz und Verfassung für
den Genuss der Gemeindeutilitäten zu erhebenden Taer zu bestimmen,
steht auch mit Rücksicht auf das Fraktionsvermögen der Gesamtgemeinde
zu. Der Betrag dieser Taxen, sowie auch ein allfälliger Überschuss der
Nutzungserträgnisse, fällt in die Kasse der politischen Gemeinde.

Die auf Gebiet der Gemeinde Klosters gelegene Also Casanna ist
nach einem Urteil des Kantonsgerichts Granbünden vom 13. März
1886 eine Genossenschaftsalp im Sinne des § 213 des bündnerischen
Zivilgesetzbuches, der lautet: Wenn die Glieder von Genossenschaften an
dem Genossenschaftsgute Teilrechte befigzen (§ 87), so sieht ihnen (den
Genossen) im Zweifelsfalle das Recht zu, über dieselben zu verfügen,
aber nicht Teilung der Sache zu verlangen, wogegen die Genossenschaft
als solche in jedem Falle berechtigt ist, mit Beachtung der Bestimmungen
des § 89, nicht nur über die ordentliche Verwaltung und Benutzung zu
verfügen, sondern auch Veränderungen am Genossenschaftsgut und selbst
dessen Veräusserung zu beschliessen. Durch das genannte Urteil wurde
der Besatz der amp auf 150 Kuhweiden festgestellt, woran die Fraktionen
Putz und Buchen 132, und drei Privatpersonen, wovon die eine in Küblis,
die andere in Klosters und die dritte in Davos wohnhaft, 18 Anteilrechte
haben. Nach den Statuten der Alpgenossenschast Casanna vom 26. Juni
1887 werden die Geschäfte der Genossenschaft von einem durch die
Generalversammlung der Alpgenossen gewählten Vorstand geleitet, soweit
die betreffenden Angelegenheiten nicht der Generalversammlung selber
vorbehalten sind. Zu den letztern gehören die sogen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 33 I 625
Datum : 16. Juli 1907
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 33 I 625
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 624 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze. letztern Rechte


Gesetzesregister
BV: 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 3 Kantone - Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.
OG: 178
SchKG: 107 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 107 - 1 Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1    Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1  eine bewegliche Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners;
2  eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Schuldners wahrscheinlicher ist als die des Dritten;
3  ein Grundstück, sofern er sich nicht aus dem Grundbuch ergibt.
2    Das Betreibungsamt setzt ihnen dazu eine Frist von zehn Tagen.
3    Auf Verlangen des Schuldners oder des Gläubigers wird der Dritte aufgefordert, innerhalb der Bestreitungsfrist seine Beweismittel beim Betreibungsamt zur Einsicht vorzulegen. Artikel 73 Absatz 2 gilt sinngemäss.
4    Wird der Anspruch des Dritten nicht bestritten, so gilt er in der betreffenden Betreibung als anerkannt.
5    Wird der Anspruch bestritten, so setzt das Betreibungsamt dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er gegen den Bestreitenden auf Feststellung seines Anspruchs klagen kann. Reicht er keine Klage ein, so fällt der Anspruch in der betreffenden Betreibung ausser Betracht.
242
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 242 - 1 Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
1    Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden.
2    Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch verwirkt.
3    Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
verfassung • bundesgericht • fraktion • kv • gemeinde • friedensrichter • kantonsgericht • weisung • beklagter • kantonsverfassung • benutzung • politische gemeinde • frage • fakultatives referendum • vorstand • genossenschaft • bundesgesetz über schuldbetreibung und konkurs • entscheid • ehegatte • monat
... Alle anzeigen
BBl
1891/III/565