536 A. staatsreotitiictie Entscheidungen. I. Abschnitt Bundesverfassung.

gegenüber der Bank erworben hätten; die Bank hat nicht alsi Vertreterin
der Reknrrenten gehandelt, und auch wenn man zwischen dem Erblafser und
der Bank einen Vertrag zu Gunsten Dritter, der Rekurrenten, annehmen
wollte, so liegt doch. nichtdafür vor und es wird von den Rekurrenten
auch nichtLbehauptet _, dass die Willensmeinung des Kontrahenten daraus
ging, den Rekurrenten einen selbständigen Anspruch zu verleihen, wie denn
auch die letztern von einem solchen Recht zu Lebzeiten des Erblassers
nicht Gebrauch gemacht habenalArtspinORY Es ist anzunehmen, dass der
Erblafser jederzeit uber die Titel hatte Irsügen können, also namentxich
auch in dem' Fall, da er diev ekurrenten überlebt hatte. Der Mangel eines
Rechtsgeschaftess zwischen dem Erblasser und den Rekurrentetr, wie es nach
nargauischetn Recht zum Begriff der Schenkung gehdrt (è 744 leg. cm.},
würde sogar dafür sprecher dass üsierlsanpt keine Schenkung, sonled? li
ein Vermächtnis vor ieg. · derSkiach gderi? gesagten ist das Recht des
Kantons Zurich zurErbschaftssteuer anzuerkennen, und es braucht bei dieser
Sachlage nicht untersucht zu werden, welcher Kanten fteuerberechtigtwaref
wenn es sich um eine Schenkung unter Lebenden handeln wurde-

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: ' ' ' ' " ton Der Rekurs wird in
dem Sinne abgewiesen, das dem Kan Zürich das Recht zugesprochen wird,
die streitige Erbschastssteuer zu beziehen. -lll. Staatsrechuiche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 537

III. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. Difl'érents de
droit public entre cantons.

92. guten vom 28. Mai 1907 in Sachen Dankt-it Dürft-h gegen Bauten
Hehakfhauseu *.

Streit über das Hoheftsrecht am Rhein von Piazzole Berg abwärts bis
Eglisau.

A. Mit Klageschrist vom 22. Februar 1906 hat der Kanton Zürich gegen den
Kanton Schafshanfen beim Bundesgericht als Staatsgerichtshos, gestützt
auf die Art. 175 Biff. 2 und 177 QG, das Rechts-begehren gestellt,
es sei die folgende Rechts-frage zu besahen:

Steht nicht dein Kanten Zürich aus der Strecke des Rheins von der
Gemeindegrenze Flaach-Berg an abwärts bis Eglisau, foweit rechtsfeitig
schaffhauserisches Gebiet anftösst, das Hoheitsrecht über den gesamten
Rhein zu ?

Dieser Klageinleitnng waren längere-, ergebnislose Verhandlungen
zwischen den Regierungen der beiden beteiligten Kantone über einen
bereits vor Jahrhunderten ansgebrochenen Grenzstreit um den rechtsseitigen
(nördlichen) halben Rhein vorausgegangen, welcher Streit in neuester Zeit,
mit der modernen Entwicklung der Wasserkraftverwertung, wieder aktuelle
Bedeutung erlangt hatte und anlässlich einer im Jahre 1901 angehobenen
Ausnuanderfetzung der beiden Kantone über die Rechtsstellung der
sogen. Stäubisallrnend, eines Streuelandkomplexes der schasfhauserischen
Gemeinde Rüdlingen aus dein linken Rheinuser bei Flaach, wiederum zur
Erörterung gebracht worden war.

Die einlässliche Begründung der Klage beruht auf wesentlich folgenden
Ausführungen:

Nach der Reichseinieilung Karls des Grossen sei die fragliche

* F fir die zweite Lieferung verspätet. (Anm. d. Red./'. Publ.)

538 A. Staatsrechlliche Entscheidungen I. Abschnitt. Bundesverfassung.

ein trecke ein e lossen gewesen von den aGaugrafschaften KlettTikii
isiordwärtst sEnd Thurgau, später Zurichgau sudwarts, m denen je ein
Gangraf, ursprünglich als absetzbarers Ziehens-wann des Königs, später,
zufolge der Schwachung des. Konigtums, als tatsächlich unabhängiger,
nur nominell vom Konig belehnter Labudesherr, Landgraf genannt,
die Rechte der Stacgtsgewalh ins esondere die hohe Gerichtsbarkeit,
ausgeubft habe. Hm GebieTe Jener beiden Gangrasschaften habe sich
dann die Herrschsast Cglisau __.die Stadt mit Umgelände zu beiden
Seitenq des Rhein? , seit der Mitte des 13. Jahrhunderts im Besitze des
Freiherrengeschlechts derer von Tengem offenbar aus einer blossemGrämk
herrschast zum selbständigen Territorntm entirickelt _ Die geteiherren
von Tengen hätten unzweifelhaft wenigstens seit der ers en Hälfte
des 14. Jahrhunderts die hohe Eertchtsbarkeit uber die Herrschaft
Eglisau besessen; denn unt Brief ovom 15. Dezember 1359 habe Kaiser
Karl IV. dem Freiherrn Johann von Zeugen das oberste Gericht, Stock
und Galgen und alles, was dazu gehört, in seiner Stadt zu Eglisau,
die allein von uns-und dem heiligen Römischen Reiche zu Sehen kehren
·bestätigy mit dem Vermerk, dass schon seine Vorfahren diese Rechte
redlich zu Lehen besessen hätten. Anel). aus dem 15 Jahrhundert seien
mehrere ähnlich flautende kaiserliche Bestangnngsbriefe vorhanden. Am
5. Mai 1463 sodann hatten Ritter Marquart von Baldegg und dessen Sehr
vaga Johann von Tengen die Herrschaft Eglisau nämlich se1n (Marquarts)
Schlotz Und seine Stadt Eglisau und sein Haus, das man nennt gen Hof,
darin gelegen, mit aller Herrlichkeit, V...Îurden, Ehren, ei; waltsame,
Vogteien, Gerichten, Zwingem Ballarini, hohengiögo kleinen, mit eigenen
Leuten und Gntern fur 1, Gulden an die Stadt Zürich verkauft. Diese aber
habe die Erwerbnng sofort um 12,50t) Gulden an die in der Stadt vers
büisgerte adelige Familie der Gradner abgetreten und sich dabei für den
Fall der Wiederveräusserung das Vorkaufsrecht ausbe-t dungen. Mit Vertrag
vom 4. Juni 1496n habe dann die Stad Zürich wirklich die Herrschaft
Eglisau, sur welche die Gradner sich inzwischen, im Jahre 1465, die hohe
Geerichtsbarkeit Zon; Kaiser ebenfalls hätten bestätigen lassen, von
cJohannes Gralne zurückgekauft. Nach diesem Vertrage bilde Kaufsobjekt das
Sch os;-III. Staatsrechth'che Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 539

Stadt und Herrschaft Eglisau und das Haus genannt Hof, darinnen gelegen,
mit aller Herrlichkeit, Obrigkeit, Würden, Ehren und Gewaltsaine,
mit Gerichten, hohen und kleinen, Zwingen, Bännem Zöllen, Geleiten,
Fällen, Geläsen, Fräseln, Bussen, mit Leibeigenen, Zinsen, Zehnten,
Renten, Nutzen, Gülten, mit Gütern, mit allen Lehenschaften,
geistlichen und weltlicheu, . . mit Fischenzen, Wigern, Mühlen,
Wasser und Wasserrunsen also die Herrschaft mit hohen und niederen
Gerichten und mit Boll: und Geleitrecht. Dabei sei im Vertrage noch
ausdrücklich bemerkt, dass Johannes Gradner die Herrschaft so verkaufe,
wie sein Vetter und Erblasser Bernhard sie vormals von der Stadt
Zürich gekauft habe (nebst den in der Zwischenzeit dazu erworbenen
Rechten: den besonders erwähnten Vogteien Hüntwangen und Wasterkingen
und andern Gülten, Leibeigenen und Gütern). Zürich scheine sich nun
allerdings seinerseits nicht besonders um die Verleihung der hohen
Gerichtsbarkeit beim Kaiser beworben zu haben; allein dies erkläre sich
wohl einfach aus der damals bereits weitgehend privilegierten Stellung
der Stadt und dem gleichzeitig erwachenden Selbständigkeitsgefühl der
eidgenössischen Orte überhaupt und könne jedenfalls die Gültigkeit
des Übertragungsaktes nicht in Frage stellen. Übrigens liege eine
ausdrückliche Bestätigung dieses Hoheitsrechts in dem der Stadt im
Jahre 1521 von Kaiser Karl V. verliehenen allgemeinen Privileg, die
hohe Gerichtsbarkeit auszuüben in allen ihren Städten, Grafschasten und
Herrschaften, die kaufsoder pfandiveise an sie gekommen find. Auch habe
Zürich die hohe Ge- richtsbarkeit in Eglisau Jahrhunderte lang ohne
irgendwelche Bestreitung seitens der Kaiser tatsächlich ausgeübt Aus
diesem Rechtserwerb aber werde die heute geltend gemachte Gebietshoheit
abgeleitet Die hohe Gerichtsbarkeit der Herrschaft Eglisau habe sich
nämlich damals auch aus die streitige Rheinstrecke ausgedehnt. Dies
sei allerdings direkt nicht nachweisbar; denn der Kaufbrief von 1496
enthalte selbst keine genaue Grenzbeschreibung der Herrschaft, sondern
verweise hiefür auf deren Urbare, Register und Model, und diese seien
leider verloren gegangen. Doch ergebe sich die fragliche Umgrenzung der
Herrschaft für das Jahr 1496 aus folgenden anderweitigen Anhaltspunkten:

a) Im Jahre 1417 seien zürcherischen Kaufleuten, laut einer

540 A. Staatsrechlliche Entscheidungen. I Abschnitt. Bundesverfassung.

damaligen Beschwerde Zürichs an Kaiser Sigismund, von Raubrittern in
des von Gachnang Gebiet Waren und Pferde weggenommen und diese durch des
von Tengen Gebiet über seine Wasser und mit seinen Schiffer!" weggeführt
worden. Zwei Berwandte des Freiherrn von Tengen hätten in einem Schreiben
an Zürich zugegeben, dass der Raub über des von Tengen Wasser und Fähre
fortgeschafft worden sei, jedoch bestritten, dass der Freiherr von Tengen
deswegen verantwortlich gemacht werden könne. Die Angelegenheit sei
dann durch Schiedsspruch vom Jahre 1419 auch in diesem Sinne entschieden
worden. Aus den erwähnten Aktenstücken aber gehe hervor, dass der Raub
an einer Stelle über den Rhein geschafft worden fei, wo der Freiherr
von Tengen die Oberhoheit besessen habe; denn nur in diesem Falle habe
seine Verantwortlichkeit überhaupt in Frage kommen können; übrigens sei
ja in den Akten nicht nur von seinen Schiffen, sondern auch von seinen
Wassern" die Rede Und die fragliche Stelle des Rheins lasse sich nach dem
Tatorte des Raubüberfalls in des von Gachnang Gebiet leicht feststellen:
die Edlen von Gachnang hätten damals die zwischen Flaach und Andelfingen
gelegene Burg Goldenberg besessen, und aus dieser Gegend sei der Raub
offenbar über die bequem gelegene Fähre bei Rüdlingen, welche von jeher
im Besitze der Freiherrn von Tengen gewesen sei, in Sicherheit gebracht
worden. Folglich müsse in den Jahren 1417 1419 der Rhein bei Rüdltngen in
seiner ganzen Breite unter der Hoheit der Freiherrn von Tengen gestanden
haben, und daraus sei weiter zu schliessen, dass der ganze Rhein von
Eglisau aufwärts bis mindestens nach Rüdlingen zur Herrschaft Eglisau
gehört habe-

b) Sodann könne auf den Umfang der Herrschaft Eglisau zur Zeit ihres
Erwerbes durch Zürich auch aus Akten des darauffolgenden 16. Jahrhunderts
geschlossen werden.

In einem Verträge vom Jahre 1564, den Zürich mit dem Landgraer des
Klettgaus, damals Wilhelm von Snlz (desfen Geschlecht im Jahre 1468
in den Besitz des Landgrafenaints gelangt fei), abgeschlossen habe zum
Zwecke klarer Abgrenzung des beiderseitigen Bereichs der hohen Oberkeit,
über welche wegen eines in jener Zeit auf dem Rafzerfelde vorgefallenen
Totschlags Zweifel entstanden seien,HI. staats-rechtliche Streitigkeiten
zwischen Kantonen. N° 92. 541

werde die Grenze der nördlich des Rheins gelegenen Partie der Herrschaft
Eglisan wie folgt bestimmt: Sie beginne unterhalb der Stadt Eglisan,
unten by der alten steig am Rhyn, gehe von hier gr-ab ob sich nff bis an
ein Marchstein, so uff dem vorbüchel stadt und weiter (gemäss näherer
Beschreibung) nördlich, östlich und südlich bis an den Rohr-graben bei
Oberriet und dann dem Rohrgraben nach bis an Rhyn, wo sie endige. Und
dazu sei (nach der weiteren Feststellung, dass demnach die Bestrafung des
fraglichen Verbrechens Zürich zukomme) noch ausdrücklich bemerkt, dass
obgeschribue beschechne March allein das erdterich (Erdreich) uund den
Rhyn niendert belanngen, d. h. nirgends in den Rhein hineinreiche. Dieser
Vertrag enthalte somit eine Anerkennung seitens des Landgrasen im Klettgau
nicht nur der hohen Gerichtsbarkeit Zürichs in der Herrschaft Eglisau,
sondern auch der Hoheit Zürichs über den ganzen Rhein. Auch zwei spätere
Marchvereinbarungen zur Revision und Ergänzung des Vertrages vom Jahre
1564, aus den Jahren 1595 und 1598, hätten nicht Bezug auf den Rhein
und bildeten daher einen neuen Beweis dafx'ir, dass der Landgraf im
Klettgau die Hoheit Zürichs über den ganzen Rhein als feststehendes,
überliefertes Recht nicht angetastet habe.

Ahnliche Bedeutung, wie diesen Grenzverträgen, komme ferner den Urbaren
der Herrschaft Eglisau, speziell einem solchen vom

Jahre 1555 zu. In diesem letzteren seien sämtliche Rechte der

Herrschaft aufgezählt im Gegensätze zu zwei früheren, seit dem Ubergang
der Herrschaft an geme, angelegten Urbaren, aus den Jahren 1496 und
1530, welche nur die Zinsgerechtigkeiten, somit vom Rheine nur die
Fischereirechte, nämlich die Fischenzen: oberwasser (bei Rüdlingen),
wasfer by der flat (Eglisau), wasser im Ramsow und nider wasser, und
das Fahr bei Rüdlingen. aufgeführt hätten. Das Urbar von 1555 sei auf
Veranlassung des damaligen Vogts zu Eglisau von einer durch den Rat in
Zürtch ernannten besonderen Kommission sehr sorgfältig angelegt und
wegen seiner Zuverlässigkeit bis ins 19. Jahrhundert benützt worden
Darin aber finde sich unter dem Titel Der Vogtei Wasser und Fischeuzen
im Rhein folgender (Eintrag: Das Oberwasfer ,im Rhein fängt an an der
Thur beim Finsterlöli und geht hinab

542 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

his an den Herdernbach Solch Wasser und Rhein zwischen diesen zwei
anstössen (Grenzen) ist ,,allerdynngen (d. h, gänzlich) dem Schloss
Eglisau zugehörig, und soweit der Rhein also meiner. Herren isi, wenn Eis
darauf entsteht, was Fische dann die Fischer darunter fangen, die sollen
zur Hälfte dem Vogt zukommen- Dann folge die Aufzählung der Fischenzen und
des Fahrs zu Rüdlingen, wie in den beiden früheren Zinsnrbaren, und dazu
als Verpflichtung der Fischer neben ihren Zinsleistungen noch, dem Vogt in
Eglisau anzuzeigen, was sräfel uund nnfüren ufs dem Rhn fürganngen. Das
Urbar konstatiere demnach ausdrücklich, dass der ganze Rhein von der
Thurmündung abwärts bis zur Einmündung des Herdernbaches Zürich als dein
Inhaberder Herrschaft Eglisan zustehe. Die angeführte Stelle umgrenze
nicht etwa nur das Gebiet der Fischenzen, sondern zugleich auchdasjenige
des Hoheitsrechts, wie sich schon ans ihrem Titel: Wasser und Fischenzen,
und dann namentlich auch aus derVerpflichtung der Fischer ergebe, die
auf jener ganzen Rheinstrecke, also auch da, wo links und rechts andere
Territorien anstossen, verübten Frevel und Unfuge beim Vogt in Eglisau
zu verzeigen. Und diesem Urbar dürfe, trotz seiner Natur als ein-

seitigem, von einer interessierten Partei herrührenden Dokument,

die Beweiskraft nicht abgesprochen werden.

Die so festgestellte Tatsache, dass das Hoheitsrecht der HerrschaftEglisau
auf dem Rheine weiter gereicht habe, als ihr Landgebiet, finde denn
auch ihre Erklärung in den mittelalterlichen Rechtsverhältnissen der
schiffbaren Gewässer. Diese hätten, wie die grossen Heerstraszen,.
ursprünglich unter königlicher Verfügung gestanden, und dieStromhoheit
sei noch bis ins spätere Mittelalter von der Hoheit der angrenzenden
Territorien unabhängig gewesen, soweit derKönig nicht einen der
Grenzterritorialherren ausdrücklich damit belehnt habe. Solche Belehnungen
aber hätten sich nicht selten auf ein Stromstück weit über die Grenzen
der Hoheit des betreffenden Territorialherrn zu Lande hinaus erstreckt. So
habe z. B. dieStadt Lübeck durch königliche Verleihung vom Jahre 1188 weit

über ihr Landgebiel hinausreichende Hoheitsrechte über die Trade

erhalten und dieselben gegenüber den Anfechtungen der Territorial:
anstösser bis heute behauptet (zu vergl. Schröder, Deutsche Rechts
-IH. Staatsrechtliche Slreitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 543

geschichte, 4. Aufl., S. 397 und 534, und Schröder, Die Landeshoheit
über die Trave, im Reiten Heidelberger Jahrbuch, Jahrg. I s1891] S. 32
sf.); so auch sei die Stadt Zürich im Jahre 1362 durch Schenkung Karls
IV. in den Besitz aller Hoheitsrechte auf dem Zürichsee bis hinan nach
Hut-den gelangt, während sie damals an den beidseitigen Ufern noch gar
kein Untertanengebiet besessen habe (zu vergl. Blunschli, Zürcherische
Staatsund Rechtsgeschichte, 2. Aufl Buch 3 § 6 S. 351). Häufig habe sich
die Verleihung nur auf einzelne Stromhoheitsrechte, insbesondere das
Fischereirecht, bezogen, oder es seien die Hoheitsrechie über dieselbe
Stromstrecke sachlich unter mehrere Territorialherren verteilt worden. Jn
Fällen letzterer Art sei dann schon im 13. Jahrhundert derjenige
als Inhaber der eigentlichen Oberhoheit betrachtet worden, welcher
mindestens im Besitze der hohen Gerichtsbarkeit, des Stromzolles und des
Geleitsrechts gewesen sei (zu vergl. S chrbder, Deutsche Rechtsgeschichte,
S. 587 Anm. Z; Landeshoheit über die Trade, S. 35 ff.). Erst im Laufe
des 14. und 15. Jahrhunderts-, mit dem fortschreitenden Zerfall der
kaiserlichen Macht, hätten die Territorialherren angefangen, ihre
Hoheit auch ohne besondere Belehnung auf angrenzende, nicht anderweitig
verliehene Flusssirecken auszudehnen, wobei dann zwischen den beidseitigen
Uferanstössern die Flussmitte oder der sogenannte Talweg als Grenze zur
örtlichen Abscheidung ihres Hoheitsbereichs angenommen worden fei.

Bezüglich der Herrschaft Eglisau nun liege allerdings eine
Belehnnngsurkunde für die Hoheit über die streitige Rheinstrecke nicht
mehr vor, weil sie vermutlich mit den meisten übrigen Doknmenten aus der
Beit, da Eglisau im Besitze der Freiherren von Tengen gewesen, verloren
gegangen sei. Da jedoch eine Verleihung jener Hoheit an den Landgraer
im Klettgau nicht einmal glaubhaft gemacht werden könne, so genüge zur
Begründung des Hoheitsanspruchs von Eglisau der Nachweis, dass Zurich
als Rechtsnachfolger der Freiherr-en von Tengen auf jener Rheinstrecke
die entscheidenden Hoheitsrechte hohe Gerichtsbarkeit, Zollregal und
Geleitsrecht tatsächlich ausgeübt habe. Hieer aber sei geltend zu machen:

Der von 1553 datierte Bericht einer zürcherischen Kom-

544 A. Staatsreehtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

mission, die vom dortigen Rate wegen des damals zwischen Zürich und
Schaffhausen ausgebrochenen, durch das Urteil des Bundesgerichts vom
7. November 1897 (AS 23 S. 1439 ff.) erledigten Streite-Z über den
Verlan der Rheingrenze bei der Feuerthalerbrücke mit einer Untersuchung
der Hoheitsverhältnisse auf dem Rhein von Stein bis Kaiserstnhl betraut
worden sei, sage über die Rhein-Hoheitsrechte der Herrschaft Eglisan
folgendes: Eglisau. Da steht die Brücke beiderseits in meiner Herren
(mm Bin-ich) Obrigkeit; die vier Fischenzen aber, die von alters her zum
Schloss gehört haben, gehen abwärts bis an den Herden-.back) und aufwärts
gegen Rüdlingen hinauf, und was sich auf dem Rheine zuträgt, das hat
bisher ein Vogt zu Eglisau bestrast, wie überhaupt die Fischer schuldig
sind, das ihrem Geltibde gemäss anzuzeigen. Darein habe bisher weder
ein Graf zvon Sulz, dessen Oberhoheit jenseits (des Rheines) ansiösst,
noch die Vögte meiner Herren (von Kyburg), die diesseits an den Rhein
anstossen, nie etwas geredet, und wenn die Schiffe aufmarks fahren,
so müsse ein Vogt zu Eglisan, soweit die genannten Fischenzen gehen,
bis gegen Rüdlingen hinan am Ufer

auf der Seite des Schlosses räumen lassen, damit die anrosse

.aufwärts kommen können. . . ."

Hervorzuheben sei aus diesem Passus die Feststellung, dass auch seitens
der Landvögte von Kyburg die Hoheit der Herrschaft Eglisau auf der
fraglichen Rheinstrecke stets anerkannt worden sei. Ferner sei auch
ein einzelner Fall der Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit durch jene
Herrschaft bekannt. Im Jahre 1582 sei nämlich ein Kleinhans Rouber von
Riidlingen vom Rat in Zürich zum Tode ver-urteilt worden, weil er, wie
damals bekannt geworden sei, im Jahre 1567 während einer Überfahrt mit
der Fähre von Flaach nach Rüdlingen einen Urban Vaterlaus von Eglisau
nach einem (im Momente der Entfernung der Fähre um Spiesseslänge vom
Flaacherufer beginnenden) Wortwechsel erschlagen babe. Aus dem Eintrag
über den Fall im Zürcher Ratsbuch gehe allerdings nicht hervor, ob der
Totschlag selbst auf der linken oder auf der rechten Flusshätste verübt
worden sei; allein gerade der Umstand, dass der Rat diese Frage gar nicht
ausgeworfen babe, spreche dafür, dass die Hoheit Zürichs auf dem ganzer-T

H[. Staats-rechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 545

Rhein als feststeht-nd angesehen worden sei. Und zwar handle es sich
dabei um den Hoheitsbereich der Vogtei Eglisau, nicht etwa um denjenigen
der bei jener Fähre am linken Ufer angrenzenden Vogtei Kybnrg, da
das Blutgericht für Eglisau vom Rate in Zürich ausgeübt worden sei,
während Kyburg damals noch ein eigenes Blutgericht besessen habe (zu
vergl. Binns chli, Zürcherische Staats- und Rechtsgeschichte, 2. Aufl
Buch ii S. 30 ff.). Umgekehrt lägen gar keine Beweise für die Ausübung
der hohen Gerichtsbarkeit ans dem Rheine seitens der Grafen von Salz oder
der Landvögte von Kybnrg vor. Ein Anstand Zürichs aus dem Jahre 1580 mit
Schafshausen, das damals wegen seines Besitzes der Bogteien Rüdlingen und
Buchberg als rheinanische Leben Anspqu auf die Bussen der dort auf der
rechten Rheinhälfte verübten Fischereisrevel erhoben zu haben scheine,
betreffe nur die niedere Gerichtsbarkeitz bekannt sei übrigens von dessen
Abwandelung nur, dass der Vogt zu Eglisau den Rat in Zürich nm Weg:
leitung angegangen habe, wie er sich gegenüber jenem Anspruche verhalten
solle, und dass der Rat deshalb den Stadischreiber Escher beauftragt
habe, die Akten der Herrschaft Eglisau zu studieren und sodann einen
Bericht über die in Frage kommenden Rechtsverhältnisse abzugeben

Die tatsächliche Ausübung des Zollund Geleitsrechts sodann, nicht etwa nur
über die Brücke in Eglisau, sondern auch rheinausund -abwärts, ergebe sich
aus verschiedenen (uäher erörterten) Aktenstellen. Jnsbesondere gehe die
saktische Unterhaltung des Leinpfades durch die ngte in Eglisau aus beiden
Ufern des Rheins, aufwärts jedenfalls bis gegen Rüdlingen, also am rechten
Ufer anch im sulzischen, später schaffhauserischen Gebiet, unzweifelhaft
hervor aus zahlreichen Einträgen der Vogtsrechnungen, sowie auch aus
zwei im Laufe des 16. Jahrhunderts beim Rate in Zier-ich angebrachten
und von ihm entgegengenommenen Beschwerden der Koblenzer Schiffsleute
über mangelhafte Unterhaltung des Leinpfades Die Leinpfadpflicht aber
sei damals stets mit dem Geleitsrecht verknüpft gewesen; soweit sie sich
erstrecke, reiche auch das Geleitsrecht (zu vergl. Lamprecht, Dentsches
Wirtschaftsleben im Mittelalter, Bd. 2 S. 291 f.), und dieses letztere
sei im späteren Mittelalter derart unzertrennbar mit dem Zollrecht ver-

546 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

wachsen, dass ans seiner Ausdehnung ohne weiteres auch auf diejenige des
Zollrechts geschlossen werden könne (zu vergl. Kalisch, Verhältnis des
Geleitsregals zum Zollregal, Berliner Dissert. v. 1904). Somit sei der
Beweis erbracht, dass sich Zollund Geleitsrecht der Herrschaft Eglisau
rheinaufwärts ebenfalls mindestens bis Rüdlingen erstreckt hätten.

Endlich habe der Vogt von Eglisau auch noch in anderer Richtung eine
ausgesprochene Herrschaft über den ganzen Rhein auf der fraglichen
Strecke ausgeübt. Er habe im Laufe des 16. Jahrhunderts wiederholt die
Schiffahrt bei der Glattmündung aus der linken Rheinhälfte, welche dort
einzig befahrbar gewesen sei, wegen angeblicher Störung des Nasenlaichs
zeitweise verboten, und die Schiffsleute von Koblenz und Schaffhausen,
welche deswegen mehrfach mit Beschwerden sogar bis vor die Tagsatzung
gelangt seien, hätten dabei die Kompetenz des Vogts zu jener Massnahme
nie bestritten, sondern nur wegen des ihnen daraus erwachsenen Schadens
reklamiert. Sodann sei das Mühlenregal, als zur Herrschaft Eglisau
gehörig, gehandhabt worden; denn im Jahre 1544, anlässlich der Errichtung
einer Schiffsmühle bei Rüdlingen, als Lehen des Abtes von Rheinau,
habe dieser letztere die Erlaubnis zum Betriebe der Mühle beim Rate in
Zürich nachgesucht, worauf der Rat den Betrieb auf Zusehen hin gestattet
und dem Vogt zu Eglisau (also wiederum nicht dem mit seinem Gebiete
dort angrenzenden Vogt von Kyburgjz entsprechende Weisung erteilt habe.
Und schliesslich sei in diesem Zusammenhang auch die Tatsache zu beachten,
dass der Herrschaft Eglisan sämtliche Fischenzen vom Herdernbach bis zum
Finsterlbli bei der Thurmung zugestanden hätten und dass die ganze
Fähre bei Rüdlingen in ihrem alleinigen Besitze gewesen sei.

c) Aus dem l?. Jahrhundert endlich liege eine direkte und unzweideutige
Anerkennung der zürcherischen Hoheit über die fragliche Rheinstrecke
seitens des Landgraer im Klettgau vor. Am 7.J17. Juni 1651 habe die
Stadt Zürich vom Grafen Johann Ludwig von Sulz die hohe Gerichtsbarkeit
gekauft über diejenigen Teile des Klettgaus, in denen sie bereits die
niedere Gerichtsbarkeit besessen habe, nämlich über die von einander
getrennten Gebiete des Raszerfeldes und des Nohls. Die wichtigste Stelle
diesesIH. Staatsrechüiche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 547

Kaufbriefes laute: Der Graf verkaufe feine reichslehenbaren hohen
Landesobrigkeiten und Herrlichkeiten, Blutbann, Forst, Geleit und
landesgerichtliche Jurisdiktion, soweit sich der genannten Herren der
Stadt Zürich niedere Gerichte und andere "dazu gehörenden Rechte über
die zur Herrschaft Eglisau gehörenben vier Flecken Rafz, Wil, Hüntwangen
und Wasterkingen,. desgleichen auch das Urfar oder Nohl genannt (dessen
niedere Gerichte und Mannschaftsrecht zur szürcherischeUJ Herrschaft
Laner gehören) mit samt dem halben Rhein, in die Landschast Klettgau
erstrecken und zwar mit und in dem Umkreis, wie die Marchen, Ziele und
Anstösse, welche wir und unser Herr flBruder in persönlicher Gegenwart
mit den Ehrendepntierten der .Stadt Zürich am Orte selbst abgemacht,
abgesteckt und ausgemarcht haben, nach Inhalt zweier gleichlautenden, zu
diesem Zwecke extra erstellten Rezefse oder Marcheitbeschreibungen. Es
erhebe sich nun die wichtige Frage, ob in dieser Urkunde die Worte mit
samt dem halben Rhein nur auf das Nohl, oder auch auf das Rafzerfeld
zu beziehen seien. Die letztere Auslegung spräche gegen den von Zürich
vertretenen Rechtsstandpunkt, weil der Kaufbrief danach sagen würde,
Zürich habe, soweit das Rafzerfeld reiche, erst jetzt die Jurisdiktion
über die rechte Rheinhälfte erworben, sie also bisher nicht besessen. Das
im Kausbriese als integrierender Bestandteil des Kaufvertrages vorgesehene
und tatsächlich auch noch im gleichen Jahre erfiellte sogen. Marchenlibell
oder -Protokoll aber entscheide die Frage nnzweideutig im andern
Sinne. Denn darin sei bei Eglisau der halbe Rhein nicht ausgeführt, wohl
aber beim Nohl. Die Grenzbeschreibung des Rafzerfeldes beginne unterhalb
Eglisau ,ssoben auf der Halde des Rheins Ovelcher Ort offenbar identisch
sei mit dem im Marchbrief von 1564 erwähnten Marchstein aus dem Vorbüchel)
und endige oberhalb Eglisau, dem Rohrgraben nach hinunterlaufend bis an
den Rhein. Bei dem unter dem Laufen auf klettganischer Seite gelegenen
Nohl dagegen heisse es ausdrücklich: . . . und dann von dieser Eggmarch
die Halde gerade hinunter bis in die Mitte des Rheins, darauf der Mitte
des Rheins nach hinauf bis neben den zuerst gesetzten oben genannten
Marchstein, und endlich von diesem Punkte in

548 A. Siaaisrecheliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

der Mitte des Rheins rechtwinklig hinaus auf das Land zu dein obgenannten
ersten Marchstein, allwo angefangen wurde. Es handle sich also um die
Abtretung der Rheinhälste nur beim Nohl, die bisher unter sulzischer
Oberhoheit gestanden habe; aus dein Rafzerfeld habe Zürich nur festes
Land erworben, weil eben dort der ganze Rhein bereits zur Herrschaft
Eglisau gehört habe.

Hiefür finde sich eine Bestätigung denn auch noch in den zu gleicher
Zeit entstandenen Werken des berühmten zürcherischen Jngenieurs und
Kartographen Johann Konrad Gyger. Dieser habe schon einige Jahre vor
dem Gebietserwerb Zürichs von 1651, bei dessen Grenzfestsetzung er als
zürcherischer Vertreter mitgewirkt habe, im Auftrage des Grasen von Salz
einen (allerdings nicht mehr vorhandenen) Riss über die klettgauischen
Besitzungen des Grasen angefertigt und darin, ohne dass der Gras hie-gegen
Widerspruch erhoben hätte, die zürcherische Hoheitsgrenze vom Finsterlöli
abwärts bis zum Herdernbach dem rechten Rheinufer entlang eingezeichnet,
wie in einein Schreiben Zürichs an Schaffhausen vom Jahre 1662, das sich
soffenbar auf die persönliche Aussage Gygers stütze, erwähnt sei. Jn
gleicher Weise habe ther

jene Grenze sodann auch eingetragen in seiner bekannten Karte des

Kantons Zürich vom Jahre 1667, und seine dazu herausgegebene ausführliche
Grenzbeschreibung laute für die betreffende Strecke wie folgt: Hier
(beim Einfluss der Thur in den Rhein} steht ungefähr gegenüber auf der
rechtenSeite des Rheins auf Rüdling'schem Boden und auf dem Rheinufer
ein alter Marchstein, der genannt wird Mbei dein finsteren Löli bei dem
Zeichen Q (der Karte). Dieser Stein ist allein eine March und ein Zeichen
des Rheins, nämlich dass derselbe von dem Eintan des Baches zu Herdern,
ob Kaiserstnhl, in den Rhein an Eglisau, Buchberg und Rüdlingen vorbei
hinauf sibis zu diesem finsteren Löli ganz und so weit das Wasser reicht,
zu dem Schloss Eglisau mit aller Botmässigkeit samt den Fischenzen und
Fähre-n gänzlich zudient. Es gehen demnach die Marchen der Grafschaft
Kyburg von dieser Stelle aus der Mitte des Rheins nach links

auf die Flaachthalerseite ans Land, und obgleich das Land der

Grafschaft Kyburg von hier dem Rheine nach hinab geht
bisIII. staatsreahtiiche streitigkeitcn zwischen Kantonen. N° 92. 549

zu der alten Burg Rheinsfelden und dort an die Mündung der Gla in den
Rhein, so hat Kyburg doch kein Anrecht an den Ù,Nhein bis gegenüber
dem Herdernbach, weil der Rhein soweit dem Schloss Eglisau gehört. Der
Marchstein beim Finsterlöli habe tatsächlich bestanden, bis er im Jahre
1841, laut Bericht des Gemeinderats Flaach vom 24. Oktober 1842 an das
Statthalteramt Andelsingen, auf unerklärliche Weise verschwunden sei.

Durch alle die angeführten Jndizieu zusammen werde in genügendem Masse
bewiesen, dass Zürich im Jahre 1496 mit der Herrschaft Eglisau die Hoheit
über den ganzen Rhein von derThurmündung abwärts bis zum Herdernbach
erworben habe. Eveniuefl, für den Fall, dass das Bundesgericht diesen
Beweis nicht als genügend ansehen sollte, werde die Ersitzung der
Stromhoheit durch Zürich und seine Rechtsvorfahren behauptet. In dieser
Hinsicht sei abzusiellen auf die Rechtsaufsassung der damaligen Zeit,
des ausgehenden Mittelalters, gemäss welcher sich der Erwerb hoheitlicher
Rechte vollzogen habe nach den Regeln des Privatrechts, dem damals das
Institut der Verjährung nicht unbekannt gewesen sei. Weiter eventuell
werde geltend gemacht, dass Zürich sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts
längst im unvordenklich en Besitze der Gebietshoheit über die streitige
Rheinstrecke befunden habe, dass es und seine Rechtsvorfahren dieselbe
seit Jahrhunderten stets mit dem Bewusstsein der Rechtszuständigkeit
ohne Einschränkung und ungestört ausgeübt hätten ein Rechtstitel,
den das Bundesgericht auch in seinem früheren Rheinprozess-Urteil vom
9. November 1897 anerkannt habe.

Gegenüber dein vorstehend entwickelten Rechtsstandpunkte Zürichs berufe
sich nun Schaffhausen zur Begründung seines Anspruchs auf die rechte
Rheinhälfte auf einen Vertrag, den es am 21. Juni 1657 mit dem Grasen
von Salz als Landgrasen im Klettgan abgeschlossen habe. Durch diesen
Vertrag habe die Stadt von dem bei ihr zufolge früherer Darlehen
erheblich verschuldeten Grasen um die Summe von 50,000 Gulden
die hohe Gerichtsbarkeit im Klettgau erworben, soweit bisher ihre
niedere Gerichtsbarkeit gereicht habe, also u. a. auch über die aus
der Strecke Thurmündung-Oberriet an das rechte Rheinuser stossenden,
früher rheinaussehen Dörfer Rüdlingen und Buchberg. Im Kansbrief sei nun

550 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

als Kaussobjelt auch die Oberhoheit über die rechte Hälfte des Rheins
auf einer bestimmten Strecke erwähnt; der betreffende Passus laute
nach dem Zitat Schasshaufens im frühem Rheinprozesse: Der Graf von
Sulz verkaufe an Schaffhausen die von dem kaiserl. röm. Reiche mit
anderem zu Lehen tragende hohe Landes-, Oberund Herrlichkeiten,
Blutbann, Forst, die Gerechtigkeit zu jagen und zu geleiten, und
landesgerichtliche Jurisdiktions-Exetntion samt dem halben Rhein, soweit
sich der Herren der Stadt Schaffhaufen niederer Gerichtszwang und andere
zuftändige Rechts-same über ihre Dörfer, Weifer, Höfe und Mühlen in der
Landgrafschaft Klettgau, wo Schaffhausen ohnedies die Mannschaft(das
Aushebungsrecht) hat, erstreckt, mit allen Zuund Eingehbrden, Rechten
und Gerechtigkeiten, genannt und ungenannt..." Dieser Passus zerfalle
in zwei Teile; er enthalte zunächst eine Aufzählung der an Schaffhausen
verkauften Rechte, in welche nicht ganz zutreffender Weise auch der
halbe Rhein einbezogen sei und die gerade mit diesen Worten endige, und
sodann die Umschreibuug des Gebiets, für welches diese Rechte übergehen,
beginnend mit: foweit sich . . .".

Von ino bis wo aber der halbe Rhein an Schaffhausen til-ergehe, '

sage der Vertrag besonders nicht; folglich müsse auch hiefür die auf
das feste Land bezügliche Vertragsbesiimmung gelten: soweit er bis dahin
unter der niedern Gerichtsbarkeit Schasfhausens gestanden habe. Da nun
dies nach dem früher gesagten siir die rechte Hälfte des Rheins von der
Thurmung bis Eglisan nicht bewiesen sei, so falle dieses Flussgebiet
ausser Betracht, und es gelte der Vertrag nur für die Flussstrecke
bei Neuhaufen, wo der zusammenhängende Hauptteil des an Schasfhausen
über-gehenden klettgauischen Gebiets an den Rhein gestossen habe und
wo die Grenze unbestrittenermassen durch die Mitte des Rheines gehe.
Der Umstand, dass der Vertrag oorbehaltlos vom halben Rhein spreche, lasse
sich sehr wohl daraus erklären, dass man bei seiner Abfassung gar nicht an
die Anftossstrecke der ebenfalls an Schaffhausen til-ergehenden Enklave
RüdlingemBuchberg gedacht und deshalb vergessen habe, ausdrücklich zu
bemerken, dass hier die Grenze am Rhein und nicht im Rhein liege. Diese
Vermutung liege um so näher, als auch im Vertrage des Grafen von
Sulz-III. Staaisrechfliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 551

mit Zürich über das Raszerfeld und das Nohl der gleiche Fehler
begangen worden sei: es scheinen hier Überhaupt die Worte der halbe
Rhein-O wohl als Reininiszenz an die ursprünglichen Grafschaftsgrenzen,
etwas formelhaft und ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse
verwendet worden zu sein. Wenn der Gras von Sulz in diesem Vertrage
wirklich die Hoheit über den halben Rhein vom Finsterlöli bis Oberriet
als sein Eigentum an Schaffhansen verkauft hätte, so müsste angesichts
der Tatsachen, dass derselbe Graf einige Jahre vor 1651 in seiner eigenen
Karte der klettgauischen Besitzungen die dortige Hoheitsgrenze dem rechten
Rheinuser entlang habe einzeichnen lassen und im Vertrage von 1651 mit
Zürich dessen Hoheitsrecht auf dem damals in Betracht kommenden Teile
jener Strecke ohne Widerrede anerkannt habe, angenommen werden, dass
der Graf gegenüber Zürich und Schaffhausen doppeltes Spiel gespielt
habe. Dies sei jedoch nicht sehr wahrscheinlich· Erklärlicher wäre
für diesen Fall noch die Annahme, dass der über und über verschuldete
Gras auf Wunsch Schaffhausens gegen eine Gegenleistung in Form eines
erhöhten Kauspreises wider besseres Wissen den halben Rhein bei Rüblingen
und Buchberg als sein Eigentum an Schafshausen abgetreteu hätte. Denn
Schaffhausen habe damals ein grosses Interesse daran gehabt, sich gerade
bei Rüdlingen Hoheitsrechte auf dem Rheine zu verschaffen, indem der
Warentransport rheinausund .-abwärts in jenen Jahren angefangen habe,
von Ellikon nach Stein a,-Rh. zum Zwecke der Umgehung der Schaffhaufer
Geleitsund Zollgebühren den Landweg auf einer damals neuangelegten guten
Strasse zu benutzen, und Schaffhansen dieser finanziellen Schädigung
nur durch Errichtung einer Zollsiätte unterhalb Eilifon, bei Rüdlingen,
hätte begegnen können. Wenn aber auch der Graf von Sulz im Vertrage von
1657 über das Hoheitsrecht an der streitigen Rheinhälfte tatsächlich
versügt haben sollte, so wäre dies rechtlich völlig bedeutungslos, nach
der uralten Rechtsregel: nemo plus iuris transfer-re potest quam ipse
habent, da ja jenes Recht damals nicht dem Grafen zugestanden habe,
sondern, wie bereits nachgewiesen, schon im Jahre 1496 von Zürich mit
der Herrschaft Eglisau rechtmässig erworben und seither unangefochten
ausgeübt worden sei. Schon aus diesem gleichen Grunde AS 33 I _ 1907 36

552 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

könne auch einem Marchenlibell, das im Jahre 1686 von sulzischen und
schaffhauserischen Bevollmächtigten, angeblich zur Erläuterung des
Kaufbriefes vom Jahre 1i557, ersiellt worden sei und die Rheingrenze
auch der Enklave RüdlingemBnchberg in die Mitte des Rheines verlege,
keine rechtliche Bedeutung beigemessen werden. Überdies habe dieses
Marchenlibell auch deswegen keine Beweiskraft, weil zur Zeit seiner
Erstellung der vorliegende Grenzstreit zwischen Schasshausen und
Zürich bereits seit 26 Jahren mit Erbitterung geführt worden sei und
mit einer Niederlage Schafshausens geendet gehabt habe. Jnt Jahre 1660
sei nämlich der Streit um die Rheingrenze ausgebrochen Damals habe der
schasfhauserische Obervogt in Rüdlingen einige auf der rechten Rheinhälfte
begangene Vergehen selbst bestraft; der zürcherische Landvogt zu Eglisau
habe sich deswegen bei ihm beschwert und geltend gemacht, dass diese
Strafkompetenz der Herrschaft Eglisau gebühre; der schaffhauserische
Obervogt habe jedoch geantwortet, dass vor 1657 die Vögte in Rüdlingen und
Buchberg bis in die Rheinmitte alle nicht des Schlosses Eglisau Wasser,
Fischenzen und Lehen betreffenden Frevel abgestraft hät-

ten und dass er nun, seit dem Erwerb der hohen Gerichtsbarkeit

in jener Gegend, auch diese Gerichtsbarkeit bis in die Rheinmitte
auszuüben habe. Ferner sei es in den Jahren 1662 und 1663, u. a. an
einer Konserenz in Bülach, zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden
Städten gekommen, weil Zürich am linken Rheinufer gegenüber Rüdlingen
eine Zolleinnehmerei errichtet und Schaffhausen seinerseits hierauf mit
der Errichtung einer Zollsiätte bei Rüdlingen zur Dokumeniierung seiner
Rechte am halben Rhein geantwortet habe. Schafshausen, das stets bestrebt
gewesen sei, der Erörterung der Rechtsgründe auszuweichen, scheine
dann auf Beschwerde Zürichs die Erhebung von Zöllen dort eingestellt
zu haben. In den 1680er Jahren aber habe es, immer wieder unter dem
Drucke der ihm durch den Ellikoner Landweg zugefügten Schädigungen,
jenen Zollanspruch neuerdings durchzusetzen versucht, worauf Zurich
die Angelegenheit vor die Konserenz der reformierten Kantone zu Baden
gebracht und wiederum die tatsächliche Einstellung jedenfalls eines
zwangstveisen Zollbezugs seitens Schaffhausens bewirkt habe. Erst nach
diesen VorgängenIH, Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N°
92. 553

sei dann das Marchenlibell von 1686 mit der Schasfhausen günstigen
Auslegung des Vertrages von 1657 erstellt worden. Hierauf sei
der Grenzsireit allmälig in den Hintergrund getreten und während
des 18. Jahrhunderts mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Nur so
erkläre sich ein die Gerichtsbarkeit betreffender Vorfall aus den Jahren
1709X1710. Damals habe der Vogt in Eglisau von demjenigen in Rüdlingen
verlangt, dass er ihm zwei Bauern zur Bestrafung ausliefere, die einein
Fischer auf der rechten Rheinhälfte bei Rüdlingen einen Lachs gestohlen
hätten. Der Rüdlinger Vogt habe jedoch die Auslieferung verweigert, mit
der Begründung, dass der Strasfall seiner Gerichtsbarkeit unterstehe. Und
die Regierung in Zürich habe ihrem Vogt auf Klage hierüber den Bescheid
erteilt: Wenn der Frevel auf derjenigen Seite des Rheins passiert sei,
die den Herren von Schaffhausen zusiehe, so finden meine gnäd. Herren
nicht genugsame Gründe, dass die Stellung und Abstrafung der Fehlbaren
kraft des dort bestehenden zürcherischen Lehensrechts prätendiert werden
möge, es wäre denn, dass der Vogt in Bezug auf das Strasrecht in diesen
Lehensfischenzen mehr, als nur was die Vergehen der zLehenssischer gegen
ihre Lehenspflicht betrifft, zu beweisen, und einige Konventionen hierüber
vorzulegen hatte. Meine gnäd. Hei-rat wollen deshalb seinen fernern
Bericht hierüber gewärtigen. Der weitere Verlauf der Angelegenheit sei
nicht bekannt. Dieselbe zeige, dass noch im Jahre 1710 der Vogt zu Eglisau
die Hoheit über den ganzen Rhein bei Rüdlingen für Zürich beansprucht
habe. Wichtig sei ferner, dass auch während des ganzen 18. Jahrhunderts
die Unterhaltung des Reckund Schissweges vom Finsterlöli bis hinunter
an den Herdernbach vom Vogt in Eglisau besorgt worden sei, was aus den
Jahresrechnnngen der Bogtei hervorgehe. Erst in den vierziger Jahren des
19. Jahrhunderts sei der alte Grenzstreit wieder ernstlich aufgetaucht,
anlässlich von Auseinandersetzungen zwischen den Regierungen von Zürich
und Schaffhausen über die rechtliche Stellung der sogen. Stäubisallmend
bei Flaach Dabei sei eine Einigung über die ganze Grenzsirecke der Enklave
Rüdlingen-Buchberg nicht zu stande gekommen, dagegen hätten diebeiden
Kantone am 26. Juni 1851 einen vom Bundesrate genehmigten Staatsvertrag
betr. die Be-

554 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

stimniung der Kanionsgrenze und die Regulierung des Rheinlaufs bei
Flaach und Rüdlingen abgeschlossen, dessen § 1 bestimmt habe: Es wird
als Grenze zwischen den beiden Kaukonen, ba wo die Gemeinde Flaach und
Rüdlingen liegen, die Mitte des Rheinbettes, und zwar auf Grundlage des
im Jahre 1817 aufgenommenen geometrischen Planes, nach der ·m demse"lben
hineingezeichneien Linie KKK festgesetzt·a Mii diesem Vertrage habe
der Kanton Zürich auf die Hoheit uber die rechte Rheinhälste von
der Thurmündung bis zur Gemeindegrenze Flauti): Berg zu Gunsten des
Kantons Schaffhausen verzichtet; sein Klagebegehren beschränke sich
deshalb auf die Beanspruchung der rechten Rheinhälste von der Stelle,
wo die Gemeindegrenze FlaachBerg das Rheinuser schneide (in der Nähe
der Rüdlinger Mühle), abwärts bis Oberriet-Eglisau. Am 30. August-is
September 1870 endlich hätten Zürich und Schaffhausen einen Vertrag über
die Erstellung einer Brücke Flaach-Rüdlingen abgeschlossen; darin sei
der Vertrag von 1851 als aufgehoben erklärt, die Bestimmung betreffend
die Kantonsgrenze von der Thurtnündung bis zu der zu erstellenden Brücke
jedoch unverändert ausgenommen worden

(% 10). Somit habe Zärich auch im 19. Jahrhundert seine-

Hoheit über die rechte Rheinhälfte auf der Strecke von Rüdlingen bis
Oberriet-Eglisau bei jeder Gelegenheit zur Geltung gebracht.

RDR-. Klagebeantwortung des Kantons Schaffhausen vom 1. Mai 1906 basiert
auf folgendem Antrage:

Es sei das gestellte Klagebegehren zu verneinen und abzuweisen. Dagegen
sei zu erkennen: WVon der Gemeindegrenze Flaach-Berg an, eventuell der
Ritdlinger Mühle an, abwärts bis zur Landesgrenze bei Oberriet (Eglisau)
bilde die Mitte des Rhein? die Hoheitsgrenze zwischen den Kantonen Zurich
und Schaffhausen.

Der Beklagte bemerkt vorab, die Bezeichnung der obern Grenze des
streitigen Flussgebiets seitens des Klägers, mit der Gemeindegrenze
Flaach-Berg, sei neu und ungenau; jene Grenze bestimme sich lediglich nach
der im Staatsvertrage der beiden Kantone vom Jahre 1870 angenommenen
Grenzlinie der Rheinkorrektion, welche nach der Einzeichnung im
vorgelegten Plane bis zur Rüdlinger Mühle reiche.

Hlll. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantenen. N° 92. 555

Sodann führt er zur Begründung seines Rechtsstandpunktes-, der stofflichen
Anordnung der Klage folgend, hauptsächlich aus:

Das Wesentliche der karolingischen Gangrafschast, die sich im späteren
Mittelalier vielfach als Landgrafschaft erhalten habe, bestehe in dem
Komplex der als Reichslehen sich darstellenden alten Grafenrechte,
der später sogen. Hohen Obrigkeit-i oder Sgohen Gerichtsbarkeit. Diese
habe neben ihrem Hauptbestandteil, der hohen Gerichisbarkeit im engem
Sinne, d. h. dem Blutbanne, auch noch andere, häufig sogar alle andern
Hoheitsrechte der Landgraer, wie Forst: und Wildbann, Zoll und Geleite,
Friedgebotz sowie die Erteilung von Rechten an Gewässern umfasst, sofern
diese letztern nicht überhaupt ganz dem Kaiser zugestanden hätten. Die
Veräusserung einzelner dieser Rechte an andere Grafen oder Freiherren,
sei es durch den Landgrafen mit kaiserlicher Zustimmung, sei es durch den
Kaiser direkt zum Nachteil des Landgraer, habe die Landeshoheit dieses
letzteren im übrigen nicht berührt und die Erwerber solcher Rechte
nicht etwa zu selbständigen Territorialherren gemacht. Ins-besondere
sei auch die Veräusserung wenigstens einzelner Gerichte ohne Aufgabe
der Landherrschaft möglich gewesen (zu vergl. Heusler, Deutsche
Verfassungsgeschichte, S. 206). Ein Beispiel hiefür biete die Geschichte
gerade der Landgrafschaft Klettgauz Durch Vertrag vom Jahre 1497 habe
der Graf von Sulz dem Bischof von Konstanz die hohen Gerichte in der zum
Klettgau gehörenden Herrschaft Neunkirch abgetreten, den Wildbann mit
ihm geteilt, Zölle und Geleite jedoch für sich behalten, wie er dann ja
seine Hoheitsrechte auch über dieses Gebiet im Jahre 1657 an Schasfhansen
veräussert habe. So sei der Klettgau im Jahre 1496 eine noch fast völlig
geschlossene Landgrafschaft gewesen; insbesondere habe die Herrschaft
Eglisau, welche schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts im Besitze der
Freiherren von Tengen gewesen sein möge, damals noch unter der Hoheit der
Landgraer im Klettgau gestanden. Durch den Brief vom 15. Dezember 1359
habe Kaiser Karl IV., der übrigens wegen seiner Privilegienerteilung
nicht im besten Rufe siehe, dem Freiherrn von Tengen nur das Recht des
Blutbanns bestätigt, und zwar, wie die Urkunde ausdrücklich sage, nur
in seiner Stadt zu Eglisau. Danach habe also der Kaiser

556 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

speziell bezüglich des Gerichts in Eglisau den Blutbann, welcher
selbstverständlich, entsprechend dem vom Kläger hervorgehobenen Beisatz
der Urkunde, Reichslehen gewesen sei, dem Landgraer weggenommen und dem
Freiherrn von Tengen verliehen. Diese Verleihung aber beweise nicht die
Übertragung des Hoheitsrechts, und namentlich nicht des Hoheitsrechts
über den Rhein zwischen Rüdlingen und Eglisau. Auch im Vertrage vom ö. Mai
1463 betr. den Verkauf der Herrschaft Eglisau an Zürich könne deshalb die
Stelle von der Veräusserung der Stadt mit . . . Ge"richten . . . Bännen,
hohen und kleinen . . .", sofern die Worte hohen und kleinen überhaupt
nicht nur auf die Bänne, sondern auch auf die Gerichte zu beziehen
sein sollten, nur jenen Stock und Galgen ec., d. h. das Blutgericht
in der Stadt Eglisau bezeichnen; vom Rheine stehe in diesem Vertrage,
abgesehen von den Fischenzen, die bekanntlich kein Hoheitsrecht über
das Gewässer bekundeten, gar nichts. Und die Familie der Gradner, an
welche Zürich die Herrschaft Eglisan sofort weiterveräussert habe, fei,
weil mit Osterreich verfeindet, beim Kaiser (Friederich III.) nicht
in besonderer Gunst gestanden. Sie habe daher wohl keine bedeutenden
weiteren Privilegien erhalten, vielmehr scheine ihr im Jahre 1465 einfach
das Privileg des Blutbanns in Eglisau bestätigt worden zu sein. Wenn nun
trotzdem Johannes Gradner beim Rückverkauf der Herrschaft an Zürich,
laut Vertrag vom 4. Juni 1496, zu den früheren Rechten zwei neue
wichtige Hoheitsrechte, Zölle und Geleite, verkauft habe, so· gebe
es hiefür da die Annahme, dass der Stand Zürich im Einverständnis mit
seinem Bürger Gradner etwas unwahres in den Kanfbrief aufgenommen habe,
um Dritten gegenüber einen Erwerbstitel zu besitzen, nicht angebracht
sei nur eine, naheliegende Erklärung: Zürich habe höchst wahrscheinlich
mit dem siidlichern von der Vogtes Andelfingen bis zur Glattmündung
reichenden und an den Rhein stossenden Teile der Grafschaft Kt)burg,
in deren Besitz es vorübergehend schon im Jahre 1424 und definitiv im
Jahre 1452 gelangt sei, auch die Hoheit über die linke Hälfte des Rheins
erworben und daher hier in der Tat die Hoheitsrechte des Gerichts, des
Zolles und des Geleits besessen. Da nun der Rhein bei Eglisau beidseitig
vom Gebiet dieser Herrschaft einge-III. staatsrechtliche Streitigkeiten
zwischen Kantanen. N° 92. 55?

schlossen gewesen sei, so habe es Zürich freigestanden, auf dieser
Strecke die Hoheitsrechte über den halben Rhein der Herrschaft
Eglisau zuzuweisen und den Gradnern zu überlassen, Beim Rückerwerb der
Herrschaft aber sei es gewiss zweckmässig gewesen, derselben den ganzen
Komplex der zürcherischen Rechte am Rhein die Hoheitsrechte auf der
linken Hälfte von Ritdlingen bis Eglisau und noch weiter hinab und die
Fischereirechte auf dem ganzen Rhein zuzuweisen, da der Vogt in Eglisau
diese Rechte offenbar besser habe überwachen und handhaben können, als
der weit weg wohnende Vogt von Kybnrg. Und deshalb habe man mit gutem
Gewissen auch das Recht der Zölle und des Geleits in die Urkunde von
1496 setzen dürfen. Jedenfalls habe Zürich den ihm obliegenden Nachweis
des Erwerbs anderweitiger Hoheitsrechte am Rhein nicht erbracht. Denn
hier wäre, wie das Bundesgericht schon im früheren Rheinprozessurteile
vom 9. November 1897 (AS 23 S. 1433/34) festgestellt habe, die Vorlage
eines ausdrücklichen Erwerbstitels erforderlich; einen solchen aber
besitze Zürich nach eigenem Geständnis nicht. Übrigens sei auch sein
zum Ersatze hiefür versuchter Jndizienbeweis keineswegs schlüssig.

a) Die Raubrittergeschichte vom Jahre 1417 beweise schon deswegen nichts
für den Hoheitsbereich der Herrschaft Eglisau weil der Freiherr von Tengen
wegen des Übersetzens der Rauber durch seine Schiffsleute über den Rhein
sehr wohl einfach ais Begünstiger des Staubes-, auch ohne Oberhoheit,
hätte verantwortlich gemacht werden können und weil der Ausdruck Wasser
in Urkunden der damaligen Zeit häufig in der Bedeutung von Fischwasser,
promiscue mit Fischenz, gebraucht werde, so gerade in den vom Kläger
angeführten zürcherischen Urbaren der Herrschaft Eglisau.

b) Dem Grenzvertrage Zürichs mit den Grafen von Suiz vom Jahre 1564
sodann sei vorab der bereits im früheren Prozesse angerufene und
vom Bundesgericht (loc. cit. Erw. 4 S. 1450) gewürdigte Kreisbrief
resp. Ertrakt des kaiserlichen Lehem und Kreisbriefes über die
Landgrafschaft Klettgau aus den Jahren 1442 und 1473 entgegenzuhalten,
worin sich folgende Grenzbeschreibung finde: Namblichen des der (Cleggöw)
anfehe

558 A. Staatsrechtliche Entscheidungen I. Abschnitt. Bundesverfassung,

in dem Urwerff vor Schafshusen nund gehet den nechsten bis inn Mittel dess
Rhyn hinab bis inn die Wuttach . . . Wenn demnach in dieser Zeit noch von
der kaiserlichen Kanzlei die Rheinmitte vom Urwerf an bis zur Wuttach als
Hoheitsgrenze angenommen worden sei, so könnten anderweitige, von nicht
zuständiger Stelle behauptete Abmachungen hieran nichts ändern. Zudem
könnte aus dem Vertrage Zürichs mit dem Grafen von Salz vom Jahre 1564,
dessen Grenzbeschreibung die March am Rhein endigen lasse und dazu noch
ausdrücklich bemerke, dass die Austnarkung bloss das Erdreich und nicht
den Rhein betreffe, doch wohl nur herausgelesen werben, die Herrschaft
Eglisau habe auf dem Wasser überhaupt keine Hoheitsrechte, oder doch
zum höchsten, man sei auf die Frage des Hoheitsrechtes auf dem Wasser
gar nicht eingetreten. Ebenso bedeutungslos seien die Revisionen der
auf dem Land gesetzten Grenzmarchen in den Jahren 1595 und 1598.

Ferner könne auch dem von Zürieh selbst erstellten Urbar der Herrschaft
Eglisau vom Jahre 1555 keine Beweiskraft zuerkannt werden; übrigens
beziehe sich die angerufene Stelle des What's, nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang, offen-

bar nur auf die Fischereirechte; von Hoheitsrechten sei darin--

nicht die Rede, da dieselben in den Urkunden jener Zeit allgemein mit
dem Wort Jnrisdiktion oder Jurisdietionalia bezeichnet würden; auch die
Verpflichtung der Fischer, Ja-edel und Unfüren auf dem Rheine dem Vogt
zu Eglisau anzuzeigen, spreche nicht hiefür, sondern betresfe wohl nur
die Handhabung der Fischereirechtspolizei, und die besondere Erwähnung
der Fähre bei Rudlingen unter den Rechten Zürichs stehe der Annahme der
dortigen Hoheit desselben über den ganzen Fluss direkt entgegen, da ja das
Fährerecht in solchem Hoheitsrecht ohne weiteres inbegriffen gewesen wäre.

Die mittelalterliche Auffassung über die Rechtsstellung der schiffbaren
Ströme sodann könne Bin-ich ebenfalls nicht für sich anrufen, indem es
ja selbst zugebe, keine Urkunde über eine Belehnung mit dem streitigeu
Hoheitsrecht zu haben, während anderseits die Behauptung der Klage,
dass eine kaiserliche Verleihung der Stromhoheit über den Rhein an den
Landgraer im Klettgan nicht einmal glaubhaft gemacht werden könne, sehr
befremde, an-III. Staatsreohiiiehe Streitigkeiten zwischen Kantonen. N°
92. 559

gesichts der Tatsache dass Zürich setost im früheren Herzensprozesse den
Rechtsstandpunkt vertreten habe, die rechte Hälftedes Rheins vom Urwerf
an hätte zur Landgrafschaft Klettgau gehört. Der Brief Kaiser Friedrichs
HI. über die Belehnung der Grafen von Sulz mit der Landgrasschaft Klettgan
vom 24. September 1442 beweise denn auch zur Genügt-, dass den Grafen
auch der Bosl zu Wasser und zu Lande zugestanden habe.

Endlich sei auch der Nachweis tatsächlicher Ausübung Von wesentlichen
Hoheitsrechten aus der streitigen Rheinstrecke durch Zürich nicht
erbracht. Der Bericht der zürcherischen Kommission zur Untersuchung
der Rheingrenzverhältnisse vom Jahre 1553 könne nicht das wirkliche,
sondern nur das von Zürich damals prätendierte Recht beweisen; dass die
vom Rate in Zin-ich bestellten und infiruierten Vögte von Kyburg gegen
die Gerichtsbarkeit von Eglisau auf dem Rhein nichts eingewendel hätten,
sei leicht verständlich, da. es denselben nicht habe einfallen können,
dem Befehl ihrer Herren, welche jene Gerichtsbarkeit dem Landvogte
zu Eglisau zugewiesen hätten, zuwider zu handeln. Und der für die
angebliche Praxis einzig namhaft gemachte Straffall Rouber vermöge nicht
die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit aus der rechten Rheinhälfte zu
belegen; denn abgesehen davon, dass das betreffende Verbrechen nach den
Akten wahrscheinlich auf der linken (zürcherischen) Rheinhälfte verübt
worden fei, erkläre sich die Zuständigkeit Zürichs zur Aburteilung des
in seine Gewalt geratenen Täters auch schon aus der Tatsache, dass das
Opfer des Verbrechens ein Jnländer (Butcher) gewesen sei. Zudem gehe aus
der in der Klage erwähnten, fast gleichzeitigen Differenz Zürichs mit
Schafshausen wegen der niederen Jurisdiktion auf der rechten Rheinhälfte
mindestens hervor, dass damals weder der Rat in gene), noch der Vogt zu
Eglisau gewusst hätten, was Rechtens sei. Was aber das Zollund Geleitrecht
betreffe, habe Zürich allerdings in Eglisau, wo es tatsächlich Herr des
ganzen Rheins gewesen sei, jedenfalls seit der durch den Schwabenkrieg
bewirkten faktischen Unabhängigkeit der Eidgenossenschast vom Reich,
rechtmässig einen Rheinzoll beziehen können, dagegen habe ihm dieses
Recht bei Rüdlingen nicht zugestanden, wie es denn auch seinen späteren
Versuch, dort eine Zolltafel aufzustellen, gegenüber dem

560 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Proteste Schaffhausens mit der Aus-rede entschuldigt habe, es bezwecke
damit nicht einen Nheinzoll einzuführen, sondern nur die Umgebung seines
Thurzolles zu verhindern. Die Unterhaltung des Leinpfades habe in der
hier in Betracht fallenden Zeit des späteren Mittelalters nicht mehr
im Zusammenhang gestanden mit dem Hoheitsrecht des Geleits, sondern
qualifiziere sich lediglich als Zubehörde des Schiffahrtsrechts Ein
Territorialherr ohne Ortschast oder Haltestelle an seinem Ufergebiet habe
ganz wohl sich der Unterhaltung des Leinpsades einschlagen und diese den
Schiffahrtsberechtigteu anheimstellen können. So habe z. B., laut Vertrag
zwischen Zürich und Schasshausen vom 13. Juni WO?, die Unterhaltung der
Leinpsade zu beiden Seiten des Rheins oou Schafshausen bis nach Stein,
also auch aus zürcherischem Gebiet, der Schiffergesellschast Schaffhausen
obs-gelegen Und diese Leinpsade seien schon seit ihrer Entstehung,
spätestens im 14. Jahrhundert, von Schafshausen unterhalten worden,
trotzdem sie zum kleinsten Teil in seinem Gebiete gelegen hätten. Der
Umstand, dass der Vogt zu Eglisau den Leinpfad am rechten Rheinufer bis
Rädlingen hinauf unterhalten habe, schliesse somit die Hoheit der

Grasen von Sulz aus der rechten Rheinhiilste bis Ober-riet nicht

aus. Ferner sei nicht einzusehen, was die Tatsache, dass Zürich aus der
linken Rheinhälfie bei der Glattmündung zeitweise die Flussschifsahrt
untersagt habe, mit dem Hoheitsrecht aus dem Rhein von Oberriet an
flussauswärts zu tun haben sollte. Ebenso stehe nicht fest, warum der
Abt von Rheinau im Jahre 1544 beim Rate in Zürich um die Erlaubnis
zur Erstellnug einer Schiffsmühle bei Rüdlingen eingekotnmen sei; dies
könne auch mit Rücksicht aus die Hoheitsrechte Zürichs aus der linken
Rheinhälste oder aus sein Fischer-eirecht auf dem ganzen Rhein geschehen
sein. Jedenfalls stehe diesem Geschehuis die Tatsache gegenüber, dass bei
Erstellung der heute noch am rechten Rheinufer bei Rüdlingen bestehenden
Mühle eine Bewilligung von Zürich nicht eingeholt worden sei, dass
vielmehr Schasfhausen stets unbeanstandet den Wasserzius von derselben
bezogen habe. Dass endlich die Fischereirechte auf der ganzen Rheinbreite
von Eglisau bis zur Thnrmüudung der Herrschaft Eglisau zugestanden hätten
wovon sich Schafshausen im Jahre 1891 durch die Vorlage beweistüchtiger
Urkunden in demIII. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N°
92. 561

si'oon Zürich damals eingeleiieien Prozesse habe überzeugen lassen

, beweise nichts für die Gebietshoheit, sondern bilde lediglich den
Grund, aus dem Zürich schliesslich dazu gekommen sei, den Rhein überhaupt
anzusprechenz bezüglich des Fährerechts bei Rüdlingen aber werde aus das
bereits gesagte verwiesen Von grösserer Bedeutung sei jedenfalls-, dass
das im Mittelalter wichtigste Recht am Rheine, das Schiffahrtsrecht,
auf der fraglichen Strecke Schafshausen als österreichisches Lehen
zugestanden habe {zu vergl. Freuler, Rhein und Rheinsall).

c) Die zürcherische Auslegung des Kausbrieses über das Raszerseld und
das Nohl vom 7.X1?. Juli 1651 gehe offenbar fehl. Schon nach allgemeinen
Grundsätzen der Grammatik könne der Zusatz mit samt dem halben Rhin"
nicht bloss auf das letzte der aufgezählten Kaussobjekte bezogen
werden, und das zum Kausoertrage gehörige Marchenlibell enthalte ja
nicht etwa eine ausdrückliche Erläuterung jenes Zusatzes, dahin, dass
der halbe Rhein bis zum Finsterlöli hinausreiche, sondern bestimme
gegenteils, die Hoheitsgrenze gehe oberhalb Eglisau dem Rohrgraben
entlang himinterlaufeud bis an den Rhein. Auch das Raszerfeld habe mit
seiner Gemarkung Hüntwangen nach der repographischen Karte der Schweiz
direkt an den Rhein gestossen, und dort jedenfalls habe Zürich die hohe
Gerichtsbarkeit noch nicht besessen, da die Gemarkung Hiintwangen nach
eigener Angabe der Klage erst nach der Zeit der Freiherr-en von Tengen,
nämlich im Jahre 1478 durch Bernhard Gradner, und zwar nur mit der niedern
Gerichtsbarkeit, zur Herrschaft Eglisau erworben worden sei. Der Graf
von Sulz habe unzweifelhaft, wie die Vergleichung seiner zwei Verträge
desjenigen mit Zürich vom Jahre 1651, und desjenigen mit Schasshausen
vorn Jahre 1857 erkennen lasse, seine beiden Vertragsgegner einander
gleichgestellt, indem er jeder der beiden Städte die Hoheitsrechte über
diejenigen Ortschaften verkauft habe, wo dieselbe bereits die niedere
Gerichtsbarkeit besessen habe, mit samt dem halben Rhin" also doch wohl
den halben Rhein im Territorialbereich jener Ortschaften. Diese Auslegung
werde jedenfalls durch das Marchenlibell nicht enikrästetxDer Gyger'schen
Karte aber könne, bei aller Anerkennung ihres topographischen Wert-:s,
für die Beantwortung von Rechts-

562 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bimdesveri'assung.

fragen, wie diejenige der Ausdehnung der Staatsgrenzen, irgend-

welche Autorität nicht zuerkannt werden. Dieser Privatkarte ständen
übrigens andere, ebenso zuverlässige Privatkarten entgegen. So sei in
der im Jahre 1566 ebenfalls von einem Ziircher Bürger, Jos. Mater,
gezeichneten und im Jahre 1570 in Zürich gedruckten Karte des
zürcherischen Gebiets die Landesgrenze von Rheinau bis Oberriet in der
Mitte des Rheines eingetragen. Ebenso habe der Schaffhauser Kartograph
Hauptmann Heinrich Peher in einer im Jahre 1888 erstellten Grenzkarte
des Kantons Schaffhansen die Hoheitsgrenze von Ellikon bis Oberriet
in die Mitte des Rheins eingezeichnet, und das gleiche gelte endlich
auch noch von einer gedruckten Karte des Schafshauser Gebiets vom Jahre
1685. Der Kartograph Gyger habe offenbar irrtümlicherweise die Grenze
der Fischereirechte als Hoheitsgrenze angesehen, wie daraus deutlich
hervorgehe, dass er die Grenze bis zur Eintnündung des Herdernbaches
hinunter auf das rechte Rheinufer verlege, während Zürichs Hoheit dort
unbestrittenermassen nicht so weit reiche, sondern die Rheinmitte nach
den beiderseitigen impographischen Karten die Hoheitsgrenze zwischen
dem Grossherzogtum Baden und dem Kamen Zürich bilde. Der in Gygers
Karte eingezeichnete Markstein beim Finsterlöli sei zweifelsohne eine
Fischereimarch gewesen.

Auch auf die eventuell geltend gemachten Erwerbstitel der Ersitzung
und des unvordenklichen Besitzes könne sich Zürich nicht berufen; der
erstere sei im heutigen öffentlichen Rechte nicht anerkannt, und für
den letztern mangle nach dem bereits gesagten der Beweis.

Schafshausen dagegen besitze für seinen Anspruch auf die rechte
Rheinhälfte einen nnzweideutigen urkundlichen Beleg. Auch seine ältesten
Rechtsvorfahren seien die Freiherren von Tengen. In den Jahren 1337 1839
habe Heinrich von Tengen die Bogtei der Dörfer Buchberg, Rüdlingen und
Ellikon mit Zustimmung des Abtes von Rheinau als Lehrnsherrn an einige
Schaffhauser Bürger (an dem Lewe) verkauft. Diese Vogtes sei demnach
bis dazumal mit der Vogtei Eglisau in einer Hand vereinigt gewesen.

Nun hätten aber die Freiherren von Tengen niemals den An--

spruch erhoben, bei Buchberg und Rüdlingen die hohe
Gerichts-IH. staats-rechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N°
92. 563

barkeit über den Rhein erworben zu haben, folglich sei auch nicht
anzunehmen, dass sie dieselbe bei Eglisau gehabt und 1463 an Zürich
hätten verkaufen können. Nach mehrfacher Weiterveräusserung unter
Schasfhauser Bürgern sei die Vogtei schliesslich, im Jahre 1520, an die
Stadt Schafshausen gelangt. Der Blutbann und die Hoheitsrechte über sie
hätten unbestrittenermassen den Grafen von Sulz zugestanden; die niedere
Gerichtsbarkeit aber sei als rheinauisches Lehen von Schaffhansen
erworben und, wie aus den Angaben der Klage selbst hervorgehe, bei
gebotener Gelegenheit s(1580 und -1709) auch auf der rechten Rheinhälfte
geltend gemacht worden. Jtn 17. Jahrhundert nun seien die Grafen von Sulz,
namentlich zufolge der Verheerung ihres Grundbesitzes im unteren Klettgau
während des dreissigjährigen Krieges, immer mehr in Schulden geraten, und
zwar wesentlich bei Schaffhausen, wo sie zum Teil in dem ihnen gehörenden
Hause zizi-Ianne gewohnt hätten. Diese Verschuldnng habe den Grafen Ludwig
um die Mitte des Jahrhunderts, als die Forderung Schasshausens bereits
über 30,000 Gulden betragen habe, zur Veräusserung seiner Hoheitsrechte
genötigt, und da Schaffhausen und Zürich in gleicher Weise danach
begierig gewesen feiert, habe er dieselben, um es mit keiner der beiden
Städte zu verderben, an beide abgetreten, nämlich billigerweise an jede
nach dem Verhältnis ihres Besitzes an niederer Gerichtsbarkeit in ihren
Vogteien, gemäss dem beinahe gleichen Wortlaute der Kaufsurkunden. Das
ältere Datum des zürcherischen Kaufvertrages beweise nicht, dass Zürich
mit seinem Rechtserwerb Schaffhausen zuvorgekommen sei. Tatsächlich
hätten die Verhandlungen mit Schaffhausen, welche wegen der Schuld des
Grafen wichtiger und schwieriger gewesen seien, schon früher begonnen,
und bereits vor 1651 habe der Graf für die beiden Veräusserungen die
erforderliche Bewilligung des Kaisers eingeholt und erhalten. Denn diese
kaiserliche Bewilligung datiere schon vom 8. November 1650. Sie führe,
abweichend von den beiden Kaufverträgen, den halben Rhein nicht auf,
dochsei dies jedenfalls ohne Belang, da durch das Friedensprotokoll von
Ostiabriick vom Jahre 1648 der Übergang der Stromhoheit vom Kaiser an
die Territorialherren ausdrücklich sanktioniert worden sei. Was nun den
Wortlaut der Kaussurkunde Schaffhausens betreffe, finde sich

564 A. Siaatsrechiliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

hinter den Worten samt dem halben Rhin" im Original kein Komma. Es
zersalle somit der ganze Satz nicht in die vom Kläger behaupteten
zwei Teile, sondern zähle als Kaufsobjekte die Hoheitsrechte zu Lande
und den halben Rhein anf und schliesse hierau, auf alle bezogen,
die Umschreibung: so weit sich der Herren von Schasfhausen niederer
Gerichtszwang erstreckt-A Auf eines der Objekte, und gerade das letzte
in der Aufzählung diese Umschreibung nicht anzuwenden, würde gegen alle
Grammatik verstossen und wäre um so unverständlichen als die Worte der
halbe Rhein ohne nähere Bezeichnung oder Beschränkung einen für einen
Kaufvertrag ganz unbrauchbaren Begriff bilden wurden. Die Vermutung,
dass diese Worte als Reminiszenz der ursprünglichen Grafschastsgrenzen
rein formelhaft und ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse
verwendet worden seien, entbehre jeder Wahrscheinlichkeit, da Zürich
wie Schafshausen seine Rechte auch auf dem Rheine in dem Vertrage habe
wahren wollen Das Verhalten des Grafen von Sulz erkläre sich ganz ohne
die ihm vom Kläger unterschobene unehrliche Handlungsweise Denn es sei
jedenfalls nicht erwiesen, dass der Graf den vom Kartogra-

phen Gyger angeblich angefertigten, jedoch nirgends auffindbaren

Riss über sein Hoheitsgebiet jemals anerkannt oder auch nur angesehen
habe, und ebenso könne, wie bereits ausgeführt, weder die Gyger'sche Karte
des Kantons Zurich, noch der Martertbeschrieb zum Verträge von 1651 einen
Beweis bilden für das stillschweigende Einverständnis des Grafen mit dem,
was Zürich immer gewünscht oder beansprucht habe. Die Legende von diesem
stillen Einverständnis werde vollständig zerstört durch ein vom Grasen
Ludwig von Sulz eigenhändig unterzeichnetes und gesiegeltes Schreiben an
den Rat in Schafshausen vom 16. April 1663. Darin erkläre der Gras, dass
ihm der damals ausgebrochene Streit zwischen Zürich und Schaffhausen
wegen der Jurisdiktion auf dem Rhein schon bei früherer Mitteilung
Schafshausens freme gefallen sei und auch jetzt noch so vorkomme, in
Bedeutung wir von dieser zürcherischen Prätension vormals das geringste
gehört haben, und wiewohlen wir uns nit erinnern, noch bei unserm
Archiv aus fleissigst Nachschlagen gefunden werden farm, das; einiger
Aktus vorgegangen, wodurch solche Prätension be-III. Staatsrechtfiche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 565

sestigt werden möge . . ." Immerhin schlage er vor, die Angelegenheit
vermittelst einer Zusammenkunft noch abzuklären. Uber die tatsächliche
Abhaltung einer solchen Konserenz sei in Schaffhausen nichts bekannt,
das Schreiben des Grasen aber beweise dessen guten Glauben bei Verkauf
des halben Rheins bei Rädlingen und Buchberg an Schaffhausen.

Das Marchenlibell vom Jahre 1686 zum Vertrage vom Jahre 1657 sodann könne
nicht wegen seiner späten Erstelluug als beweisuntüchtig erachtet werden;
denn abgesehen davon, dass sein Marchenbeschrieb, der die streitige
Rheinhälfte ausdrücklich umfasse, mit dem an sich schon klaren Wortlaut
des Vertrages übereinstimme, stehe in seiner Einleitung deutlich,
dass schon im Jahre 1657 die Hoche-Gerichtsmarken zwar beschrieben
und mit Marksteinen ausgeschieden und auch anno 1677 die teilweise
zerbrochenen durch beiderseitige Deputierte ersetzt worden seien,
dass sich jedoch darinnen einige Streitigkeiten ereignet hätten,
weshalb es beiderseits für gut befunden worden sei, nach deren nun
erfolgten giitlichen Beilegung die nachfolgende Marchenbeschreibung in
zwei besondern Libellen festzulegen. Dass die Marken wirklich schon im
Jahre 1657 gesetzt worden seien, ergebe sich ans einem Schreiben des Rats
von Schaffhausen, laut welchem Junker Heinrich Peier und der Landvogt
in Neunkirch am 12. Juni 1657 angewiesen worden seien, die Marksteine
anzuschaffen. Und die fraglichen Streitigkeiten hätten sich, laut ver-
schiedenen Korrespondenzen des Graer von Sulz mit Schaffhausen, nicht auf
den Rüdlinger Bann, sondern aus die Gemarkung Neuhausen bezogen. Auch
die zur Enikräftung des MarchensLibells aufgestellte Behauptung des
Klägers, dass zur Zeit der Entstehung desselben der Streit zwischen
Zürich und Schaffhausen schon seit 26 Jahren mit Erbitterung geführt
worden sei und mit einer Niederlage Schafshausens geendigt gehabt habe,
sei durchaus unrichtig. Der 1660 ausgebrochene Streit sei schon im Jahre
1668 nach einem scharfen Schriftenwechsel trotz dem damaligen Begehren
Schaffhausens, ihn durch die Eidgenofsen entscheiden zu lassen, liegen
geblieben, weil Zürich in der Folge die Unterstützung Schafshausens
wegen des Falles Peter Kappeler in Frauenfeld, der betnahe zum Kriege
mit den fünf Orten geführt hätte, nötig gehabt habe. Und die angebliche
Niederlage Schaffhaufens werde deutlich

566 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [.Abschnitl. Sundesveriassung.

illustriert durch den in der Klage erwähnten Bescheid des Rates von
Zürich an den Vogt in Eglisau vom Jahre 1709, welcher eine Anerkennung
der Ansprache jenes enthalte. Der Rechtsstandpunkt Schaffhansens sei
denn auch von Anfang an deutlich geltend gemacht worden, sowohl schon
im Antwortschreiben vom 21. Januar 1661 des Schaffhauser Obervogts zu
Rüdlingen auf die Reklamation des zürcherischen Landvogts zu Eglisau wegen
der Ausübung der Gerichtsbarkeit auf dein Rheine, als dann namentlich
auf der Konserenz in Bülach vom April 1662. Laut deren Protokoll
habe Schaffhausen sich gegen die von Zürich bei Rädlingen errichtete
Zolltafel wegen der damit bezweckten Etablierung der Jurisdiktion über
den ganzen Rhein verwahrt, während Zürich diesen Zweck in Abrede gestellt
und behauptet habe, dass es mit der fraglichen Zolltafel lediglich die
Umgebung des Thurzolles verhindern wolle. Zürich habe laut jenem Protokoll
seinen Hoheit-Zanspruch auf ein altes Urbar von Eglisau, auf eine alte
Rechnung, wonach der Qbervogt zu Eglisau jemanden wegen einer auf dem
Rhein begangenen Unzucht gebüsst habe, sowie auf angebliche Anerkennung
seitens der Grafen von Sulz gestützt. Schafs-

hausen sei diesem Anspruch entgegengetreten, indem es geltend ge-

macht habe, dass jenes alte Urbarium die Jurisdictionalia nicht berühre,
sondern nur die Fischeuzgerechtsame Eglisaus und seine Lehrnschast des
Fahrs bei Rüdlingen verzeichne, dass jene alte Rechnung nichts beweise,
indem der fragliche Straffall sich auch auf der zürcherischen Rheinhälfte
zugetragen haben könne, dass vielmehr die auf dem halben Rhein gegen
Rüdlingen zu verübten Frevel jederzeit vom dortigen Oberoogt abgestreift
worden seien und auch die sulzischen Amtsleute stets die Hoheit auf dieser
Rheinstrecke angesprochen hätten, wie denn auch eine alte Offnung von
Flaach ergebe, dass der dortige Vogt die Frevel allein bis auf oden halben
Rhein abzustrafen habe, und dass es endlich überhaupt gemeinen Rechtens
sei, wann ein Fluss zwischen zweyen Stätten und Ländern herabläuft,
dass der halb Theil desselben mit allen Recht: und Gerechtigkeiten jedem
zugehöre, jnxta regulam: si flumen esset in confinis etc. Schaffhausen
habe dann, weil Zürich seine Zolltasel bei Rüdlingeu nicht entfernt habe,
auf dem rechten Rheinuser daselbst ebenfalls eine solche errichtet und
die-III. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 567

selbe nichtschon im Jahre 1663, sondern erst viel später auf Reklaination
des Kaisers und des Grafen von Sulz wieder aufgehoben. In der an die
Konserenz in Bülach anschliessenden Korrespondenz habe Schaffhausen
(mit Schreiben vom 15. April 1663) ausdrücklich die Anrufung des
eidgenössischen Rechts vorgeschlagen; nicht es sei also der Erörterung der
Rechtsgrunde ausgewichen, sondern Zurich. Auch auf der Vadener Konserenz
nem Jahre 1682 habe Schasshausen sein Hoheitsrecht nicht fallen lassen,
und seine Zollstätte bei Rüdlingen nachher nicht in dieser Meinung,
sondern in erster Linie wegen der schon erwähnten Reklamation des Grasen
von Salz aufgehoben Ausdrücklich verwiesen werde endlich auf einen Ausng
der besiegleten Marchenbeschrybung zwüschent Herrn Grafen zu Sulz und
loblichen ssStadt Zürich hohen Gerichten, die Landgrafschaft Cleggöw und
Herrschast Eglisau betreffend-O den der Rat von Zin-id) nach Abschluss der
Kausoerträge des Grasen von Sulz mit den beiden Städten, am 21. November
1657, wegen der Marken zwischen der Vogtei Rüdlingen-Buchberg und der
Herrschaft Eglisau an den Rat von Schasfhausen gesandt habe und worin
die Grenze der Herrschaft Eglisau als am Rhein anfangend und endigend
beschrieben und bemerkt sei, dass was ausserhalb dieser Grenze sich
befinde, in die Landgrafschaft Klettgau gehörig sei.

Dass Schaffhausen im 18. Jahrhundert die Reckund Schiffsahrtswege
unterhalten habe, sei, wie bereits früher ausgeführt, ohne Belang für die
Frage des Hoheitsrechts; übrigens habe Schasshausen im Jahre 1786, als
zum ersten Male eine grössere Auslage (190 Pfund) für Räumungsarbeiten
im Flusse bei Räd.Îingen nötig gewesen sei, mit der Hälfte hieran
beigetragen. Im 19. Jahrhundert aber hätten schon vor den vierziger Jahren
wiederholt Verhandlungen wegen Fragen des Rheins zwischen Zitti-zl)
und Schafshausen stattgefunden, insbesondere im Jahre 1818 wegen einer
Rheinkorrektion bei Rüdlingen, auf deren geometrischen Plan der Vertrag
von 1851 Bezug nehme. Die Korrektionsarbeit das Graben eines Kanals,
15 Fuss vom zürcherischen Ufer weg, durch die dortige Geschiebebank -sei
damals von-Schaffhausen allein besorgt worden, und dies könne nur daraus
erklärt werden, dass Zini ck) und Schafshausen den Rhein als bei

AS 33 I _ 1907 37

568 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. !. Abschnitt.. Bundesverfassung.

Rüdlingen halbscheidig geteilt angenommen hätten, Zürich also seinen
Anspruch damals fallen gelassen habe. Ebenso habe dieses denn auch,
nach den Anseinandersetzungen der vierziger Jahre, durch den Vertrag
vom 26 Juni 1851 und dessen Bestätigung vom Jahre 1870 auft der Strecke
FlaachIiüdlingen die Mitte des Rheins als Grenze anerkannt Ausserdem
seien aus dem 19. Jahrhundert noch folgende für den Rechtsstandpunkt
Schaffhausens sprechende Tatsachen vorzubringen: Bei Erstellung
der who graphischen Karte der Schweiz sei die streitige Grenzlinie
in der Mitte des Rheins eingetragen worden, und Zürich sei damit
einverstanden gewesen. Ferner habe der Kanton Zürich im Jahre 1891 beim
Bundesgericht eine Klage auf Anerkennung nur feiner Fischereirechte
im Rhein gegen den Kanton Schaffhausen eingereicht, wahrt-nd er doch
damals schon feinen heutigen Anspruch auf die Hoheit über den Rhein
hatte geltend machen können und gewiss auch geltend gemacht hätte, wenn
er sich dieses Rechts be-. wusst gewesen ware. Uberdies habe Zürich im
fruheren Hoheit-sprozesse,1894 1897,ansdrücklich, unter Beweisangebot,
ausführen lassen, dass die Hoheitsgrenze in der Mitte des Nheines liege,
und diese Auffassung werde auch vertreten in dem 1905 von Prof. Dr. Max
Huber der Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich erstatteten
Rechtsgutachten über die Gebt-rishoheit an langsgeteilten Grenzflüfsen (zu
vergl S. 18 daselbst). Somit habe Zürich im 19. Jahrhundert tatsächlich
auf seinen früher behaupteten Hoheitsanspruch verzichtet.

Nur eventuell sei den bisherigen Ausführungen noch beizufügendass die
Klage des Kantons Zürich abzuweisen ware, selbst wenn der beklagte Kanton
Schaffhausen gar keine Erwerbstitel für die streitige Rheinhälfte besitzen
würde, oder wenn die betreffenden Urkunden aus irgend welchem Grunde nicht
als beweistüchtig angesehen werden sollten. Denn in diesem Falle wäre die
rechtliche Situation beider Parteien bezüglich ihrer Anspruche auf den
Rhein gleichartig, und es müsste daher im Sinne der heutigen Auffassung
der Rechtswif ssene schaft (zu 1111911111111Huber, a a. O S 14 und 41)
die Rheinmitte als Grenze angenommen werden

C In der Replik hat der Vertreter des Kantons Zürich das Rechtsbegehren
der Klage erneuert und an dessen Begründung-Ill. Staatsrechtliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 569

gegenüber den Ausführungen der Klagebeantwortung im wesentlichen
festgehalten. Mit Bezug auf die obere Begrenzung der streitigen
Rheinstrecke sei zu verweisen auf § 1 des zürcherischschaffhauserischen
Staatsvertrages vom 26. Juni 1851, welcher die Grenze bestimme da,
wo die Gemeinden Flaach und Ritdlingen liegen, d. h. soweit, als die
beiden Gemeinden an den Rhein stossen. Und in der Sache selbst sei
das Fundament der Klage, die Behauptung, dass Zürich durch Vertrag vom
Jahre 1496 Hoheitsrechte über jene Rheinstrecke erworben habe, durch die
Einwendungen der Klagebeantwortung nicht entkräftet. Wenn Schaffhausen
nachzuweisen versuche, dass Eglisau unter der Herrschaft der Grafen von
Tengen noch zur Landgrafschaft Klettgau gehört habe, übersehe es, dass
die Landeshoheit der Landgraer damals, im 1-1. und 15. Jahrhundert,
noch gar kein ausgebildeter Begriff gewesen sei (zu vergl. Heusler,
Deutsche Verfassungsgeschichte S. 207/208; Stutz, in der Zeitschrift
der SavignysStiftung für Rechtsgeschichte, germanist. Abteilung, Bd. 25
[1905}). Speziell die Landgrafschaft Klettgau sei (nach Angabe der
vorzüglichen Monographie C. A. Bächtolds: Wie die Stadt Schaffhausen
ihre Landschaft erwarb, in der Festschrift der Stadt Schaffhausen zur
Bundesfeier von 1901, S. 67 u. 153) als Territorium überhaupt erst in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, indem damals erst die
Grafen von Sulz angefangen hätten, ihr Amt zu einer Territorialherrschaft
umzugestaltem Dies beweise namentlich der von Bächtold (a. a.O. S. 154
ff.)

dargestellte Streit der Grafen von Sulz mit dem Bischof von Konstanz,
dessen Kernpunkt darin bestanden habe, dass der Bischof dem Grafen
die kraft seines Landgrafenamtes erhobenen Ansprüche auf die hohe
Gerichtsbarkeit, Wildbann, Geleite ze. in Hallau und Neunkirch gestützt
auf frühere Verleihung bestritten habe, wobei dann diese Hoheitsrechte
durch den den Streit beendigenden Schiedsspruch unter die beiden Gegner
als gleichberechtigte Parteien nach billigem Ermessen verteilt worden
seien. Damals habe noch der Kaiser als Landesherr gegolten, der seine
Regierungsbefugnisse entweder durch den Landgraer, oder, kraft besonderer
Belehnung, durch einen oder verschiedene andere Herren habe ausüben
lassen. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-

570 A. Siaatsrechiliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

hunderts habe die Frage auftauchen können, tver als Landesherr zu
betrachten sei, und erst dannzumal sei die Oberhoheit bei verteilten
Hoheitsrechten stets dem Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit, neben welcher
auf Strömen noch Zoll und Geleite in Betracht gekommen seien, zuerkannt
worden Demnach aber erfordere die Begründung der vorliegenden Klage nur
den Nachweis, dass Zürich diejenigen Hoheitsrechte an sich gebracht
habe, welche seinen später erhobenen Anspruch auf die hohe Obrigkeit
zu rechtfertigen vermöchten, und dass die Landgrafen des Klettgaus vor
der Mitte des 16. Jahrhundertsim Gebiete der Herrschaft von Eglisau
neben den Herren von Tengen als Rechtsvorfahren Zürichs nicht Rechte
besessen hätten, aus denen sie später, als sie Territorialherren geworden
seien, ihrerseits die hohe Obrigkeit hätten ableiten können. Und dieser
Nachweis sei in der Klageschrift erbracht. In der Kaufsurkunde von 1496
seien die hohe Gerichtsbarkeit, Zoll und Geleite ausdrücklich erwähnt,
folglich besitze Zürich hiefär einen rechtsgültigen Erwerbstitel,
der nach allgemein anerkannter Rechtsregel Beweis schaffe, sofern
nicht die Gegenpartei selbständige Einredetatbestände nachweise,
kraft deren der streitige Anspruch trotz jenem Kausvertrag gar nicht
zur Entstehung gelangt oder später wieder erloschen sei. Wenn nun
Schaffhausen zunächst behaupte, Zürich habe Zoll und Geleite nicht von
seinen Rechtsvorfahren, den Freiherren von Tengen, erwerben können, weil
diese nur das Blutgericht innerhalb der Stadt Eglisau besessen hätten,
so sei allerdings zuzugeben, dass aus dein Wortlaut der produzierten
Urkunden (der kaiserl. Bestätigt-russbriefe an die Freiherren von Tengen)
an und für sich nicht hervorgehe, dass sich die hohe Gerichtsbarkeit
auch auf ein Stück des Rheines erstreckt habe. Allein anderseits könne
daraus auch nicht gefolgert werden, dass die hohe Gerichtsbarkeit sich
ausschliesslich auf das Weichbild der Stadt beschränkt habe. Denn zur
Herrschaft Eglisau habe schon unter den Herren von Tengen das Dörschen
Oberriet am rechten und das Dörschen Seglingeu samt dem Laubberg und
dem Hiltberg, am linken Rheinuser, sowie das Land im Umfange des
heutigen Gemeindebannes um das Städtchen herum gehört und sei von
jeher der hohen Gerichtsbarkeit zu Eglisau unterstanden, ohne dass die
kaiserl. Bestätigungsur-III. Siaztsrechtliche Streitigkeiten zwischen
Kantanen. N° 92. 571

kunden etwas davon sagten. Folglich sei zum vornherein wahrscheinlich,
dass sich die hohe Gerichtsbarkeit wenigstens auch auf das vom iengenschen
Besitz nmgebene Rheingebiet bezogen habe. Der Ausdruck in seiner Stadt
zu Eglisau bezeichne lediglich den Sitz der Gerichtsbarkeit. Und wenn in
den Bestätigungsbriefen nur das Hoheitsrecht des Blutbannes erwähnt sei,
so beweise dies wiederum nicht, dass den Freiherren von Tengen weitere
Hoheitsrechte nicht zugestanden hätten, da die Freiherren nachweisbar
auch noch andere Rechte (so den Wildbann auf dem Laubund dem Hiltberg, die
Fischereihoheit auf dem Rhein von der Thurmündung bis zum Herdernbach, und
bis 1376 auch die Vogtei Bülach mit dem hohen Gericht und dein Wildbann
auf dem Schläusenberg) besessen hätten, welche in den Besiätigungsbriefen
nicht aufgeführt seien. Diese letzteren hätten sich eben damit begnügt,
das wichtigste Recht, die hohe Gerichtsbarkeit, zu nennen und die andern
bloss anzudeuten und zusammenzufassen mit den Worten und alles was dazu
gehört. Für den Erwerb des Zolls und Geleits auf dem Rhein, neben dein
Fischereirecht, seitens der Freiherr-en von Tengen spreche jedenfalls
deren Geschichte: offenbar habe dieses alte Adelsgeschlecht eine Zeit
lang den Plan verfolgt, sich nach dem Muster der Zähringen Habsburger,
ZC. ein umfangreiches Herrschaftsgebiet, mit Eglisau als Mittelpunkt,
zuschaffen, und wohl zur Zeit (bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts),
da es die Vogtei über Rüdiingen, Buchberg und Ellikon besessen, aus
dem angrenzenden Rheinstücke Rechte erworben, die es dann bei Aufgabe
jener Vogtei beibehalten habe. Dagegen erscheine es, wie anch' die
Klagebeanttoortung annehme, als ausgeschlossen, dass die fraglichen
Rechte erst nach -l468, zur Zeit der Gradita, der Herrschaft Eglisau
verliehen worden seien. Und der in der Klagebeantwortung gemachte
Erklärungsversuch, dass es sich beim Zoll und Geleit der Urkunde von
1496 um die von Zürich mit der Grafschaft Kyburg erworbenen und an die
Gradner abgetretenen Rechte auf der linken Rheinhälfte handle, stelle
eine durchaus unglanbwürdige, jedes urkundlichen Beweises ermangelnde
Hypothese dar. So bleibe eben nur die natürlichste Erklärung übrig, dass
jene beiden Rechte schon im Jahre 1463, beim Übergang der Herrschaft
Eglisau von den Freiherren von Tengen an Zürich

572 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

und an die Gradner, mit derselben verbunden gewesen seien, was denn auch
durch die in der Klage angerufene Raubrittergeschichte vom Jahre 1417
direkt nachgewiesen merde. Gegenüber der Berufung der Klagebeantwortung
auf die kaiserl. Lehensbriefe aus den Jahren 1442, 1473 und 1490 sei zu
bemerken, dass diese Briefe zweifellos nicht die Meinung haben könnten,
alle Rechte, hohe und niedere Gerichte, ec., innerhalb des umschriebenen
Gebiets als den Grafen von Sulz zugehörig zu erklären, weil dies
einfach im Widerspruch mit den Tatsachen gestanden hatte. Es werde
darin vielmehr rein theoretisch der alte Umfang der Gan-. grafschaft
aufrecht erhalten und damit das Gebiet bezeichnet, innerhalb dessen
die Landgraer als Nachfolger der alten Gaugrafen die gräflichen Rechte
ausübten, soweit sie nicht im Laufe der Jahre in andere Hände übergegangen
seien. So habe, laut der Replik Schafshausens im früheren Rheinprozesse,
noch im Jahre 1857 Kaiser Leopold dem Grafen von Salz den Kreisbries
mit genau der gleichen Umschreibung erneuert, die der Brief von 1473
enthalte. Anderseits werde an den für die Umgrenzung der Herrschaft
Eglisau und die Ausübung ihrer-Ho-

heitsrechte in der Klage angerufenen Beweismitteln festgehalten

Die Auffassung Schaffhausens über die Bedeutung der Leinpfade treffe für
das Mittelalter nicht zu; erst in neuerer Beit, seitdem das Geleitsrecht
seinen Inhalt verloren habe, sei der Zusammenhang zwischen ihm und der
Pflicht zum Unterhalt der Neck: und Schiffswege in Vergessenheit geraten
und habe dieser Unter-halt

dem Inhaber des Schiffahrtsrechts überbunden werden können.

Was endlich die Auslegung des Kaufbrieses vom Jahre 1651 betreffe,
sei der Darstellung der Klage erläuternd beizufügen, dass nach der
topographischen Karte auch das Rafzerfeld, allerdings nur auf einer
kurzen Strecke bei Hüntwangen, an den Rhein gestossen habe, doch sei
diese Strecke eben im Kaufvertrage nicht inbegriffen gewesen, wie aus dem
Marchenlibell klar hervorgehe, und hiesiir gebe es nur zwei Erklärungen:
entweder habe der Graf von Sulz jenes Rheinstück für sich behalten wollen
-was an und für sieh höchst nnwahrscheinlich sei , oder er habe im Jahre
1651 dort auf dem Rheine keine Rechte mehr besessen und deshalb auch
keine solchen veräussern können wasHI. Staatsrechtkiche Streitigkeiten
zwischen Kantonen. N° 92. 573

eben dem in der Klage vertretenen.Rechtsstandpunkt entspreche. Bezüglich
des eventuellen Klagestandpunktes der Ersitzung sodann sei neuerdings
zu betoneu, dass hiebei nicht abgestellt werden dürfe auf die heutige,
erst im 17. Jahrhundert begründete Wissenschaft des Bölkerrechts, welche
die aequisitive Verjährung nicht kenne, dass vielmehr abzustellen sei
auf die den mittelalterlichen Umwandlungsprozess des deutschen Reiches
beherrschenden staatsund privatrechtlichen Grundsätze, nach welchen
insbesondere die Ersitzung hoheitlicher Rechte möglich gewesen sei (zu
vergl. Schröder, an der Spitze seines Gutachtens über den Travestreit, und
Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts 1 S. 336 sf.). Danach
seien die Hoheitsansprüche der Grasen von Sulz aus die streitige
Rheinstrecke jedenfalls in 30 Jahren seit dem Rechtserwerb Zürichs vom
4. Juni 1498 verjährt. Endlich sei auch die unvordenkliche Verjährung
dargetan: Zürich, als Inhaber der Herrschaft Eglisau, habe sich im Jahre
1657 schon längst in rechtmässigem Besitze der Gebietshoheit aus jener
Rheinstrecke befunden. Danach aber erscheine der von Schaffhausen als
Rechtstitel angerufene Vertrag vom Jahre 1657, so weit er über dieses
Gebiet verfüge, Jedenfalls-, auch wenn er von beiden Parteien optima
fide abgeschlossen worden wäre was Schasfhausen allerdings wenigstens
glaubhaft gemacht habe _, als rechtlich völlig bedeutungslos Übrigens habe
der Graf von Sulz bei diesem Vertragsabschluss wissen müssen, dass Zürich
und seine Rechtsvorfahren seit unvordenklicher Zeit aus der fraglichen
Rheinstrecke stets allein Zoll und Geleite bezogen, sowie den Schiff:
und Reckiveg auf der rechten Flussseite unterhalten hätten. Wenn der
Graf von Sulz, laut dem Schreiben an Schaffhausen vom Jahre 1663, in
seinem Archiv keine den Anspruch Zürichs belegende Akten gefunden habe,
so erkläre sich dies einfach daraus, dass die Grafen von Sulz erst 1410,
b. h. mindestens 100 Jahre nach der kaiserl. Belehnung der Freiherren
von Tengen mit der hohen Gerichtsbarkeit und der Stromhoheit aus der
streitigen Rheinstrecke, Landgraer im Klettgan geworden seien. Auffallend
sei nur, dass Schaffhausen diesen Brief im damaligen Schriftenwechsel
gar nicht erwähnt habe. Dein von Schaffhausen angerufenen Protokoll der
Btilacher Konserenz komme keine Beweiskraft zu, da es nicht unparteiischen
Charakter

574 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ]. Abschnitt. Bundesverfassung.

habe, sondern lediglich eine einseitige Darstellung des schaffhauserischen
Stadtschreibers Speisegger enthalte; übrigens wiege der darin erwähnte Akt
der zärcherischen Strasrechtspflege offenbar mindestens so viel, als die
allgemeine und völlig unbetegte Behauptung der Schasfhauser Delegierten,
dass die sulzischen Amt-slente die Oberhoheit auf dem Rhein ausgeübt
halten. Die dort augerufene Offuung von Flaach sei ohne Belang, weil sie
nur die niedere Gerichtsbarkeit des Vogtherren betreffe. Richtig sei,
dass Schasfhausen am 15. Apri11663 die Entscheidung des Streites durch
Vermittlung der reformierten Orte anlässlich der nächsten Konserenz
in Aarau vor-geschlagen habe. Da diese Konserenz aber nicht zustande
gekommen sei, habe Zurich eine Vesprechuug der Angelegenheit an der
hierauf in Aussicht genommenen Konserenz in Baden beantragt und sie
tatsächlich im Jahre 1682 dort zur Sprache gebracht, sei also keineswegs
ausgewichen. Dass der Streit gegen Ende des 17. Jahrhunderts in den
Hintergrund getreten fei, habe an den politischen Verhältnissen gelegen;
diese hätten namentlich auch die Stellungnahme Zürichs beim Anstand
vomJahre 1709 beeinflusst· Von einer Anerkennung des schaffhause-

rischen Anspruchs durch Zürich im Laufe des 19. Jahrhunderts _

könne endlich ebenfalls nicht die Rede sein. Die vertragliche
Verständigung vom Jahre 1851 stelle sich vielmehr dar als Abtretung der
rechten eitheinhälste von Zürich an Schaffhausen für die Gegenleistung
der Anerkennung der Gebietshoheit Zürichs übers die Stäubisallmeud. Das
Rechtsgutachten von Max Haber sei in der Klagebeantwortung unrichtig
zittert; dasselbe untersuche a. a. O. (S. 13) lediglich, ob die
festgestelltermassen im Flusse in seiner Längsrichtung liegende Grenze
der Flusstnitte oder dem Talwege folge. , .

D. In der Duplik hat der Kanton Schaffhausen an den Auträgen und
Ausführungen der Klagebeantwortung in allen Teilen festgehalten
Hervorzuheben ist als Ergänzung in tatsächlicher Hinsicht: Kaiser Karl
IV., aus dessen Lehensbrief an den Freiherrn von Tenge" vom Jahre 1359
sich vie Klage berufe, hab-je im Jahre 1365 auch den Brüdern Rudolf und
Gottfried (non Habsburg) einen Lehensbrief für die Landgrafschaft im
Kletigau mit Gerichten und Zivingen, mit Bannen und Wildbanneu, mirlll
Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 57"

Stocken und Galgen und mit allem, was dazu höret", gegeben. Danach wäre
also der Blutbann in Eglisau aus Irrtum oder wissentlich zweien verliehen
worden. Wohl aus diesen oder ähnlichen Gründen, vielleicht auch wegen
der Ansprüche des Bischofs non Konstanz, habe Kaiser Friedrich III.,
als er im Jahre 1471 den Grasen von Sulz ihre Gerichtsprivilegien im
Klettgan bestätigt habe, die Erklärung beigefügt: Was auch Gnaden und
Fryheit vormals von uns oder unsern Vorfahren erworben oder zusgangen
wäre oder noch us flyssigem bette us; vergessenheit usgeen würden,
die diesen unsern kaiserlichen Gnaden und Fruheiten Abbruch teten,
. . . dieselben alle tun wir ab, vernichten die, von obgemelter unserer
kaiserlichen Machtvollkommenheit . . . Damit sei also jedenfalls der
besondere Blutbann über Eglisau nicht mehr anerkannt worden. Ferner
sei bezüglich des Hoheitstreiles zwischen dem Grafen von Sulz und dein
Bischof von Konstanz noch zu erwähnen, dass derselbe schon in den 1480"
Jahren zu einein schiedsgerichtlichen Vermittlungsversuche geführtund dass
das damalige Schiedsgericht (beftehend ans Hans Waldmann, Bürgermeister-,
und Johannes Trachthoser, Ratsherr, beide von Zin-ich, als von sulzischer
Seite, Ulrich Trüllerei, Bürgermeisier von Schaffhausen, und Hans Fries,
alt Ammann zu Urie als von bischöflicher Seite bestellten Schiedsrichtern,
und Ritter Heinrich Esther, Ratsherr in Zurich, als Obmann) am 17.-Oktober
1486, mit Stichentscheid des Qbmanns, also mit den Stimmen gerade seiner
zürcherischen Mitglieder, zu Gunsten der Grasen von Sulz erkannt habe,
von der Annahme ausgehend, dass der Kiettgau als freie Landgrafschaft
den Herren von Sulz zuständig sei. In rechtlicher Beziehung beruft
sich Schaffhausen event. auch zu seinen Gunsten ans die Rechtstitel
der Ersitzung und der unvordenklichen Verjährung hinsichtlich der
Rechtsstellung seiner Rechtsvorfahren, der Grafen von Sulz. E. Das
Beweisverfahren ist auf die Produktion und Erörterung der von den Parteien
angerufenen Urkunden beschränkt worden. Im Verlaufe desselben hat der
Kanton Schaffhausen noch ein inzwischen erst durch Zufall aus privater
Hand erworbenes Protokollder im Schreiben des Grafen von Sulz an den
Schaff-.hauser Rat vom 16. April 1663 vorgeschlagenen Zusammenkunft

576 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

beigebracht, die danach wirklich im Jahre 1663 in Lottsteiten
stattgefunden habe. Er folgert aus den darin verzeichneten Angaben der
sulzischen Delegierten, dass die Grafen von Sulz tatsächlich von jeher
die Hoheit über die streitige Rheinstrecke beansprucht hätten. Der
Kanton Zürich hat die von Schaffhaufen gegebene Auslegung der erst in
der Duplik namhaft gemachten beiden Urkunden von 1365 und 1471, sowie die
Beweiskraft der Notizen über die Konserenz von Lottstetten bestritten und
seinerseits einen weiteren angeblirh den ersten Lehensbrief der Grafen
von Sulz für die Landgrafschaft Klettgau, vom 25. Juli 1430, produziert,
als neuen Beweis dafür, dass diese Lehensbriefe jeweilen nur die damaligen
wirklichen Rechte des Landgrafenamts hätten bestätigen wollen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Gegenstand des vorliegenden Prozesses bildet eine Grenzftreitigkeit
zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen, zu deren Beurteilung das
Bundesgericht als Staatsgerichtshof gemäss den Art. 175 Biff. 2 und 177
OG kompetent isi. Es handelt sich um die Feststellung der interkantonalen
Grenze für einen Teil derjenigen Strecke, auf welcher der Rheinstrom
die schaff-

,_ hauserische Entlave Rüdlingen-Buchberg vom zürcherischen Staats

gebiete scheidet, nämlich von einem bezüglich seiner genauen Bestimmung
ebenfalls streitigen Punkte südlich der Ortschaft Rüdlingen stromabwärts
bis dahin, wo der Kantou Zin-ich, mit dem Gebiete des Ortchens Oberriet
beginnend, sich auch nordwärts des Rheines ausdehnt und die genannte
Enklave weiterhin zu Lande umschliesst. Auf jener Teilstrecke soll
nach der Behauptung Zürichs das rechte (nördliche) Rheinufer, nach
der Behauptung Schaffhausens aber die Mitte des Rheines die Grenze
bilden. Streitig, als von beiden Kantonen angefprochen, ist somit die
Gebietshoheit über die rechte (nördliche) Hälfte des Rheinsiromes in
der umschriebenen Ausdehnung Beide Parteien gründen ihren Anspruch auf
den rechtmässigen Erwerb der betreffenden Gebietshoheit seitens der
ihnen als Kantonen voraufgegangenen städtischen Staatswesen Zürich
bezw. Schaffhausen und versuchen daher, den Nachweis eines solchen
Hoheitserwerbes zu erbringen. Dabei gehen sie, im wesentlichen
übereinstimmend, von einer zutreffenden allgemeinen Auffassung der
hiefür massgebenden mittel-HI. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen
Kantonen. N° 92. 577

allerlichen Rechtsverhältnisse aus. In der Tat stellte die öffentliche
Gewalt im Mittelalter nicht, wie im modernen Staate, eine Einheit dar,
sondern war aufgelöst in ihre einzelnen Attribute, die Hoheitsrechte, die
als solche vom König, als ihrem grundsätzlichen Inhaber, ursprünglich zu
rein amtlicher, später zu lebensrechtlicher Ausübung vergeben wurden. Jn
letzterer Art, durch Verleihung, wurden mit hoheitlichen Funktionen
betraut sowohl die Gangraer, die beamteten Träger der Reichsgewalt
nach der alten Gauverfassung, unter lehensmässiger Umgestaltung ihrer
ehemaligen Amtsbefugnisse und dadurch allmählig bewirkter Radiziernng
ihrer Gewalt als Landgraien ihrer Gaue, als auch in den Gauen aufstrebende
Grundherren nach Massgabe der territorialen Ausdehnung ihres Besitzes. Für
die Übertragung der einmal verliehenen Hoheitsrechte galten aller
Regel nach die Formen des Privatrechtsverkehrs, doch blieb daneben als
Wahrzeichen des Ursprungs jener Rechte das Erfordernis der königlichen
Sanktionierung des Übergangs durch Bestätigung der Verleihung zu Gunsten
des neuen Inhabers Erst allmählig erlangten die wichtigsten einzelnen
Hoheitsrechtet die hohe Gerichtsbarkeit (Blutbann) nebst dem namentlich
bei Flüssen bedeutsamen Zollund Geleitsrecht in ihrer Zusammenfassung
als hohe Obrigfeit überwiegende Bedeutung, und hieraus entwickelte sich
die heutige einheitliche Gebietsoder Staatshoheit

2. Der als Kläger auftreteude Kamen Biitick) beruft sich für seinen
Rechtsstandpunkt in erster Linie auf einen selbständigen Rechtstitel:
den Vertrag vom 4. Juni 1496, laut welchem die Stadt Zürich die Herrschaft
Eglisau von Johannes Gradner zurückgetauft hat nachdem sie dieselbe schon
im Jahre 1463 von ihren angesiammten Vesitzern, den Freiherren von Tengen,
erworben, aber gleichzeitig unter Wahrung des Rückkaufsrechts an die
in Zürich niedergelassene, ehemals österreichische adelige Familie der
Gradner weiter veräussert hatte. Durch jenen Rechtsakt soll die Stadt
die die Grundlage der späteren Gebietshoheit bildenden Hoheitsrechte der
hohen Gerichtsbarkeit, des Zolls und des Geleits über den Rhein auf der
Strecke von der Thurmündung bezw. dem ihr gegenüberliegenden Punkte zum
Finsterlöli oberhalb, bis zur Einniündung des Herdernbaches unterhalb
der Stadt Eglisau, worin der heute

578 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

streitige Abschnitt; inbegriffen} ist, erworben haben. Der Vertrag
verurkundet jedoch lediglich den Verkauf der Herrschaft Eglisau und
vermag daher den Übergang der zugehörigen Hoheitsrechte nach der von
Zürich selbst entwickelten, vorstehend wiedergegebenen Rechtsanschauung
nur auszuiveisen in Verbindung mit einer königlichen Bestätigung der
Übertragung jener Rechte. Eine soiche aber liegt zugestandenerinassen
nicht vor. Zürich sticht nun ihren Mangel hauptsächlich durch Hinweis
auf die damats beginnende, im Schivabenkriege vom Jahre 1499 faktisch
durchgesetzte Lostrennung der eidgenössischen Orte vom Reiche zu erklären
und beruft sich ausserdem auf ein der Stadt im Jahre 1521 verliehenes
allgemeines Priviteg des Kaisers Karl V. Allein Demgegenüber fällt in
Betracht, dass der Schwabenkrieg mit seinem Friedensschiusse zu Basel die
rechtliche Zugehörigkeit der Eidgenossenschaft zum Reiche, ausser ihrer
Execution von der Reichskamrnergerichtsbarkeit, nicht aufhob, dass im
übrigen vielmehr die formalen beidseiiigen Rechtsbeziehungen, speziell
die Einholnng der Privilegienbestätigringen seitens der eidgeuössischen
Orte bei den Kaisern, auch im 16. Jahrhundert noch fortdauerten, wie ja
gerade das von Zürich angerufene

Privileg ans dem Jahre 1521 beweist. Es schliessen also jene poli:

tischen Verhältnisse die juristische Notwendigkeit des kaiserlichen
Besiäti : gungsaktes für den Hoheitserioerb Zürichs vom Jahre 1496
keineswegs aus (vergi. Dändliker, Geschichte der Schweiz, 2 [Z. Aufl-I
S. 323). Und das genannte spätere Privileg umfasst die aus dein streitigen
Kauf-satt abgeleiteten Hoheitsrechte jedenfalls nicht im vollen Umfange,
da darin ausschliesslich von der hohen Gerichtsbarkeit, nicht auch von
Zöllen und Geleiten, die Rede istDer fragliche Eriverbstitel erscheint
somit schon in sormeller Hinsicht nicht als völlig einwandfrei. Überdies
aber ist er auch inhaltlich nicht geeignet, den Hoheitsanspruch Zürichs
zu begründen. Als Kaussobjekt nennt der Vertrag vorn Jahre 1496 das
floss, statt und herrschast Eglisow und das hus, genannt hoff, darinne
gelegen, mit aller herlikeit, oberkeit, wirden, eren und gewaltsamy,
mit geric'hten, hohen und kleinen, zwingen, bennen, zötlen, geteilten,
feilen, getäsen, fräfeln, busen, mit eignen lsitteu, zinsen, zehenden,
rennten, nützen, gülten und gütern, mit allen lehenschafsten, geistlichen
und wettlichen, besunders . . mit vischentzen, .... Staaisrechfliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 579

wigern, mi'tlIinen, wasser Und wasserrünsen, mit holtz, veld, wmm,
weid, lieg, weg und aller ehaffte, rechttung und zugeI)örung", als
denjenigen Rechten, welche der Rechtsvorfahr des Berkäusers, Bernhard
Gradner, seinerzeit von Zin ich erkauft habe, Und dazu ferner mit den
von Bernhard Gradner später erworbenen Rechten der vogtye und vogtstür
zu Hüntrvangen, auch der vogtye zu Wasierkingen und andren gülten,
eigen lütten und gutten . . ., und zwar alles nach Int und innhalt
der ueber, register und rödelndrfther wisende darinn sötichs namlich
und eigentlich beschrieben und vergriffen were. Danach sind mit der
Herrschaft Eglisan in der Tat Hoheitsrechte der hohen Gerichtsbarkeit,
des Zolls und des Geleijs veräussert worden, und zwar sollen diese
Rechte, nach dem ausdrücklichen Wortlauie des Vertrages, schon bei der
Veräusserung der Herrschaft seitens der Stadt Zürich an die Gradner
im Jahre 1463 dazu gehört haben, somit, dassjene Veräusserung Zürichs
nnbestrittenermassen in unmittelbarer Ubertragnng seines Erwerbs von den
Freiherren von Tengen erfolgte, schon aus diese Ursprünglichen Besitzer
der Herrschaft zurückgehen Die Aufzählung der veränsserten Rechte im
Titel des letztgenannten Erwerbs aber weicht von derjenigen im Ver-trage
vom Jahre 1496 teitweise ah. Jener Titel spricht von Schloss und Stadt
Eglisan und dem darin gelegenen Haus zum Hof mit aller herlikeit, wir-den,
ereu, gewaltsamy, vogtyen, gerichten, twingen, bennen, hochen und Heinen,
mit eigenen lütten und gütern und sunders mit allen lechensc'haftezt,
geistlichen und weltlichen . . ., enthält also speziell die zöcle und
geleitte der Aufzählung vorn Jahre 1496 nicht. Dazu kommt, dass faktisch
ein Ausweis königlicher Verleihung von Zöllen und Geleiten zn Gunsten
der Herrschaft Eglisau nicht vorliegt. Denn die vom Kläger angerufenen
kaiserlichen Besiätigungsbriefe an die Freiherren von Tengen erwähnen als
Lehen alle nur das obriste gerichte, stok und gcdgen, und alleB was dartzu
gehoret, in seiner stat zu Eglesaw (Briefe vom 15. Dezember 1359 und vom
12. Mai 1400) bezw. die her geric'hte, den han uber das blnt tzn richten
in dem slosse Eglisauwe mit vorstellen, lutten und husern dartzn gehortg
(Brief vom 20. März 1408, und ähnlich schon Brief vom 20. Juni 1406),
also nur die hohe Gerichtsbarkeit oder den Blut-

580 A. Staatsrechüiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Banu. Und lediglich hierauf, mit wörtlich gleicher Leheusbezeichnung,
wie in den ersterwähnten Briefeu, bezieht sich auch noch die von
Bernhard Gradner im Jahre 1465 uachgesuchte und erlangte kaiserliche
Bestätigung Somit erscheint die wirkliche, rechtmässigeZugehörigkeit
irgendwelcher Zollund Geleitsrechte zur Herrschaft Eglisau im Jahre
1496 als mindestens zweifelhaft Die Argumentation Zürichs, dass jene
Rechte in den erörterten Belehnungsurkunden jeweilen stillschweigend
inbegrissen gewesen, bezw. neben dem wichtigsten Hoheitsrecht der hohen
Gerichtsbarkeit in demzufammenfassenden Zusatze und alles was dazu gehört
lediglich angedeutet worden seien, ist keineswegs überzeugend, sondern was
wenigstens die Auslegung jenes Urkundenzusatzes betrifft offenbar haltlos,
da ja Zollund Geleitsrecht an sich von der hohen Gerichtsbarkeit durchaus
unabhängig waren. Jhr hält jedenfalls die Vermutung die Wage, es möchten
die erst 1496 ausdrücklicherwähnten Zölle und Geleite der Herrschaft
Eglisau, vielleicht schon von den Rechtsvorfahren der Gradner, usurpiert
und von diesen letzteren im Jahre 1496 auf Grund der nun eingelebten
faktischen Ausübung übertragen worden sein, wobei den beiden Ver-

tragsparteien sehr wohl das Bewusstsein der Unrechtmässigkeit dieses-

Verhältnisses fehlen konnte. Wenn aber auch anzunehmen sein Follie,
dass das Zollund Geleitsrecht, gleichwie die hohe Gerichtsbarkeit,
der Herrschaft Eglisau im Jahre 1496 unanfechtbar zugehört habe,
und dass daher Zürich durch deren Erwerb, seiner Verurkundung gemäss,
in den Besitz der für die Begründung der Gebietshoheit wesentlichen
Hoheitsrerhte gelangt sei, so kann doch die von Zürich behauptete
territoriale Ausdehnung dieser Rechte nicht als erwiesen angesehen
werden. Das Flussbett des Rheinss zwischen der Einmung der Töss
und derjenigen des Hadernbaches reichte unbestrittenermassen nach
beiden Seiten über die Grenzen der Herrschaft Eglisau zu Lande hinaus;
speziell lag die vorliegend fragliche Flussstrecke von Oberriet an
aufwärts nicht innerhalb derselben, sondern war damals eingeschlossen:
rechtsseitig (nordwärts) vom Hoheitsgebiet der Landgrafschafi im Klettgau,
und linksseitig (siidwärts) von der zürcherischen Landvogtei Kyburg,
der früher österreichischen Grafschaft, welche Zürich im Laufe des
15. Jahrhunderts (endgültig zufolge VerpfändungIII. Staatsrechtliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. SU

vom Jahre 1452z Dierauer, Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschast
2 S 139) erworben hatte. Nun ist allerdings in der Klage zutreffend
ausgeführt, dass die Hoheitsrechte an den schiffbaren Strömen im
früheren Mittelalter von denjenigen an den anliegenden Uferterritorien
grundsätzlich unabhängig waren und insbesondere einem hoheitsberechtigten
Uferanstösser auch über den Bereich seiner Land-Hoheitsrechte hinaus
verliehen werden konnten. Allein eine solche Verleihung bildete
immerhin, wie namentlich der von Schroder, a. a. O. erörterte Fall der
Stromhoheit Liibecks an der Travemündung zeigt, die jeweilen in besondern
Verhältnissen begründete Ausnahme und bedarf daher zu rechts-wirksamer
Geltendmachung naturgemäss eines strikten Nachweises. Dieser
aber ist vorliegend nicht erbracht. Zunächst kann, wie der Kläger
selbst zugeben mug, aus dem Inhalte der Vertragsurkunde vom 4. Juni
1496 selbst in keiner Weise abgeleitet werden, dass die streitigen
Hoheitsrechte auch auf den Rhein im angegebenen, über den Landbesitz
der Herrschaft Egtisau hinausreichenden Umfange Bezug haben. Denn
jene Urkunde verweist hinsichtlich der Begrenzung der darin als zu
Schloss und Stadt Eglisau gehörig ausgeführten Rechte lediglich auf die
einschlägigen UrBare, Register und Rödel der Herrschaft, und diese find
zugestandenermassen nicht erhalten geblieben. Ferner liegt auch irgend
eine speziell jene Stromhoheitsrechte als solche den Herren von Eglisau
zuweisende Verleihungsurkunde nicht vor. Der Kläger sieht sich deshalb
ausschliesslich auf die Beweisführung durch Judizien angewiesen. Hierüber
ist nun zu sagen:

a. Die Raubrittergeschichte aus den Jahren 1417/1419 vermag keineswegs
die Annahme zu begründen, dass die Freiherren von Tengen als Herren
von Eglisau damals schon die wesentlichen Hoheitsrechte auf dem Rheine
bis mindestens nach Rüdlingen hinaus besessen haben. Wohl erwähnen die
vorliegenden Urkunden, dass der Raub, Um dessetwillen der Freiherr von
Tengen zur Verantwortung gezogen werden wollte, über des von Tengen
Wasser" und mit seinen Schiffen bezw. über seine Fähre fortgeschafft
worden sei, und mögen sich diese Angaben aller Wahrscheinlichkeit nach
auf die Rüdliuger Fähre beziehen, welche tatsächlich den Freiherr-en
von Tengen zu Lehen gehörte. Allein die Schluss-

582 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

folgerung, dass der Ausdruck des von Tengen Wasser dessen Oberhoheit,
b. h. eben den Besitz aller wesentlichen Hoheitsrechte auf dem Rheine bei
Rüdlingen, bezeichne, geht offenbar zu weit. Näherliegend und natürlicher
erscheint gewiss die Auslegung des Wortes Wasser als konkrete Bezeichnung
lediglich des dem Freiherrn von Tengen dort, nach dem anschliessenden
Texte der Urkunden: mit seinen Schiffen bezw. über seine Fähre, am Wasser
zustehenden speziellen Rechts des Fährebetriebs Es ist denn auch nicht
einzusehen, warum der Freiherr von Tengen nicht ebensowohl als einfacher
Inhaber der Fähre, wie als eigentlicher Territorialherr des Rheins wegen
Begünstigung des Raubes hätte verantwortlich gemacht werden können.

b. Als Belege aus der Zeit nach dem Erwerbe der Herrschaft Eglisau durch
Brit-ich, welche dartun fallen, dass die Herrschaft im Zeitpunkte jenes
Erwerbs die in Frage stehenden wesentlichen Hoheitsrechte wirklich in
der behaupteten Ausdehnung umfasst habe und dass dem Kaufvertrage vom
4. Juni 1496 tatsächlich die Bedeutung solcher Rechtsübertragung zukomme,
nennt die Klage einmal die seit 1496 angelegten Urbare der Herrschaft
Sie gibt jedoch sofort zu, dass die beiden ersten derselben, aus den
Jahren 1496 und 1530, über den Hoheitsbereich der Herrschaft keine
Auskunft geben, indem darin nur die Zinsgerechtigkeiten, d. h. die
nutzbaren niederen Regalien: vom Rheine die Fischereirechte und das
Fährerecht bei Rüdlingen, aufgezählt sind; dagegen stützt sie sich
auf das Urbar vom Jahre 1555, welches alle Rechte der Herrschaft
enthalten soll. Allein die angerufene Stelle dieses Urbars bezieht
sich, wie Schasfhausen zutreffend einwendet, ebenfalls nur auf die
unbestrittenermassen von der Thurmündung an abwärts zu Eglisau gehörenden
Fischereigerechtigkeiten. Der Ausdruck Wasser ist hier wieder verwendet
zur konkreten Bezeichnung des in Rede stehenden speziellen Rechts am
Wasser, also hier gleichbedeutend mit Fischenz. Dies geht ohne weiteres
hervor aus der territorialen Einteilung des Fischereigebiets zum Zwecke
der dem Vogte in Eglisau zustehenden Nutzungsverleihung (zu Schupflehen)
in die einzelnen Fischenzen oberwasserniderwasser, wasser inn der Ramsouw
und wasser by der fiati, welche Einteilung das Urbar von 1555 der in der
KlageIII. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 583

zitterten allgemeinen Bestimmung über die Ausdehnung und Bedeutung von
der Vogtyg wasser und Fischenutzen im Rhynii unmittelbar einschliesst
(weshalb die einleitende Bezeichnung der ganzen Stromstrecke vom
Finsterlöli bis zum Herdernbach als ,,oberwasser, statt wie im Titel,
allgemein nur als wasser, wohl auf Versehen beruht). Dieselbe Einteilung
und Benennung der Fischenzen findet sich denn auch schon in den beiden
älteren Urbaren Der Satz des Urbars von 1555, welcher söllich wasser
flFuund Selma (dh. auf der angegebenen Strecke vom Finsterlöli bis
zum Herdernbach) als allerdynngen dem Schlosse zugehörig bezeichnet,
lässt sich gewiss ungezwungen dahin auslegen, dass damit eben die
Fischereirechte auf dem ganzen Rhein in jener Ausdehnung für Eglisau
beansprucht werden. Jedenfalls spricht die Fortsetzung des Textes:
uund so wyt der Rhyn also miner Herren isf, wann darusf yhs wirt, was
Fischenn dann die Fischer daruunder fachent, die sölleund halb einem
Vogt wärdenn eine Bestimmung, welche auch schon das Urbar vom Jahre
1530 im Anschlusse an die Aufzählung der Fischenzen enthält durchans für
diese Auslegung, da der Anspruch des Vogts aus die Hälfte der unter dem
Eis gefangenen Fische doch unzweifelhaft lediglich aus der Verleihung
der Fischereirechte herzuleiten ist. Und auch aus der im Urbar von
1555 ausserdem noch siatnierten Verpflichtung der Fischer, dem Bogie
anzuzeigen, was fräfel uund unfüren uff dem Rhyn sürganngen", kann in
ihrem Zusammenhange nicht geschlossen werben, dass Eglisau im Bereiche
seines Fischereigebiets zugleich auch die allgemeine Gerichtsbarkeit,
mit Einschluss des Blutbann-s, besessen habe. Jener Zusammenhang
legt vielmehr die von Schaffhausen rertretene Annahme nahe, dass mit
den fraglichen Freveln und Unfüren speziell nur die Fischereivergehen
gemeint seien. Der Umstand, dass das Urbar von 1555, soweit Zürich darauf
abstellt, weder Zoll noch Geleite irgendwie erwähnt, noch auch auf die
hohe Gerichtsbarkeit ausdrücklich Bezug nimmt, würde es als gewichtiges
Jn.biz gerade gegen den Rechtsanspruch Zürichs erscheinen lassen, wenn
die Behauptung der Klage, dass es im Gegensatze zu den früheren Urbaren
eine Aufzählung aller Rechte der Vogtei Eglisan enthalte, tatsächlich
zutreffen sollte. AS 33 I _ 1907 38

584 A. Staatsrectittiatie Entscheidungen. L.Abscnnitt. Bundesverfassung.

c. Im weiteren beruft sich die Klage zur Bekräftigung EhrerAusleguug
des Vertrages vom 4. Juni 1496 darauf, MB. guera; die wesentlichen
Hoheitsrechie auf dem fraglichen Rheingebtete speziell im Laufe des
16. Jahrhunderts tatiachlich ausgenbt habe. Nun kann aber aus der
gelegentlichen späteren Voritahnie hohenlicher Akte überhaupt nicht
mit Sicherheit auf den Erwerb deibetreffenden Hoheitsrechte durch
jenen Kaufvertrag geschlossen werden. Vielmehr lässt sich eine solche
Hoheitsausubung iint gleicher Wahrscheinlichkeit auf die damals keineswegs
seltenequnmassung der Hoheitsrechte zurückführen Uberdies ist bezuglich
der einzelnen Anbringen zu bemerken: "

a) Die Ausübung der hohen Gerichtsbfarkeit soll sich zunächst ergeben
ans dem Bericht einer voin zurcherischenf Rate Hur Untersuchung der
Hoheitsverhältnisse auf dein Rheine mit Rucksaicht auf den Grenzanstand
mit Schaffhausen bei der vFeuerthalerbrucke eingesetzten Kommission,
vom Jahre 1553. Allein dieser Bericht kann, wie Schaffhausen mit Recht
einwendet, nicht als unparteiische Verurkundung der darin festgestellten
Rechtsverhaltnifse angesehen werden und deshalb nicht ohne-weiteres Beweis
schaffen Zudem ist auch sein Jnhalt nicht unzweifelhaft schlussig tin
Sinne der Klage. Denn die dort zitierte Stelle des lBerichts nber die
Hohettsrechte von Eglisau am Rhein, deren Eingang urschristlisch lautet:
Da staht die brugg beidersit in myner Herren ObertenDie Vier Vischentzen
aber, so zum schloss von alter hats gehort hand, gahnd nidtsich bis an
den Herderbach und obsich gegen Rüdlingen hinuff. Und was sich uff dem
Fehn zu tren, das hat bishar ein Vogt zu Eglisouw gestrafft, wie dann die
Vischer schuldig sygend, das Inhalt ihres glubdts zu leiden erwähnt die
Strafgerichtsbarkeit in unmittelbarein Zusammenhang mit den Fischenzen und
stellt deren Ausdehnung durch das Wort aber- in ausdrücklichen Gegensatz
zu der Oberkeit an der Brücke. Dieser Text kann deshalb mindestens sehr
wohl auch dahin ausgelegt werden, dass die fragliche Gerichtsbarkeit
Eglisaus nur die Wahrung seiner Fischereirechte zum Gegenstande habe und
somit auf die Beurteilung niederer Frevel beschränkt sei. Auch diese
niedere Gerichtsbarkeit Zur-ichs war übrigens nicht unbestritten, da
nach Angabe der Klage selbst im Jahre 1580 Schaff-HI. Staatsrechtliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 585

hausen als Inhaber der Vogtei Rüdlingen die Bussen der auf der
anstossenden (rechten) Rheinhälfte begangenen Fischereifrevel für sich
beanspruchte Ferner verweist die Klage noch auf den 1582 in Zürich
beurteilten Straffall des Kleinhans Nouber von Rüdlingen betreffs
Totschlag aus der Rüdlinger Fähre. Dieser Fall ist jedoch schon deswegen
nicht geeignet, die Gerichts-hohen Eglisaus über den Rhein bei Rüdlingen
zu belegen, weil keineswegs feststeht, ob die damalige Ausübung der
hohen Gerichtsbarkeit durch Zürich überhaupt mit Rücksicht auf den
Tatort des Verbrechens, oder nicht vielmehr-, wie Schaffhausen geltend
macht; lediglich im Hinblick darauf erfolgt ist, dass das Opfer des
Verbrecheus, Urban Vaterlaus von Eglisau, ein zürcherischer Untertan
war. Als Beziehung der Angelegenheit zu Eglisau ist aus dem hierüber
vorliegenden Ratsprotokoll nur ersichtlich, dass ein Rüdi Met)ger,
oueh von Egglisouw, den Kleinhans Rouber anlässlich einer Zusammenknnst
im Dorfe Rafz der Ermordung des Vaterlaus bezichtigt und dass deshalb
Rouber den Meyger an dem gricht zu Egglisonw mit recht fürgenoinmen habe,
worauf dann die ganntz haundlung an Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich
als die ordentlich oberhaund zu gebiirendein underscheid gewyst worden
sei. Danach scheint also die Heimat des zunächst in der Beklagtenrolle
stehenden Meyger den Gerichtsstand bestimmt und der Rat in Zürich gar
nicht direkt, sondern als Ober(Appellationsoder sogenannte Zugs-) instanz
( vergl. Blunschli, Staatsund Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft
Zürich, 2. Ausl., Buch 3, S. 403 ff.) geurteilt zu haben. Ebenso kann
auch dem laut der Klagebeaiitwortung von Zürich auf der Konferenz zu
Bülach im Jahre 1662 geltend gemachten Fall zürcherischer Bestrafung
einer auf dem Rheine begangeneii Notzucht, den Zürich in der Replik
zu seinen Gunsten beizieht, in Ermangelung aller näheren tatsächlichen
Angaben keine Erheblichkeit zuerkannt werden.

,?) Was die Hoheitsrechte des Zoll-s und des Geleits betrifft, geht
aus verschiedenen Belegen der Klage, worunter ein Eglisauer Zollrodel,
hervor und wird auch von Schasshausen nicht in Abrede gestellt, dass
jedenfalls Zollund wahrscheinlich auch Gelettsgebühren in der Stadt
Eglisau für den Durchgang

586 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

von Waren auf dem Rheine tatsächlich erhoben worden find. Bestritten
aber tft, dass diese Gebühren auf eine längere Stromstrecke, als das
eglisauische Landgebiet einschloss, Bezug gehabt hätten. Nun stützt
sich die Klage für die behauptete weitere Ausdehnung der fraglichen,
in damaliger Zeit angeblich stets verbundenen Hoheitsrechte auf die
entsprechende Ausdehnung der ais Kotrelat des Geleitsrechts bezeichneten
Pflicht der Unterhaltung der Leinpsade (Schiffswege ). Allein es sieht
schon nicht ausser allem Zweifel, ob überhaupt Eglisau zur Unterhaltung
der Leinpfade auf beiden Rheinufern von der Einmündung des Hadernbaches
bis zur Thurmündung hinauf verpflichtet gewesen fei. Jedenfalls bemerkt
der bereits erwähnte zürcherische Kommissionsbericht vom Jahre 1553, im
Anschlusse an die territoriale Umschreibung der Fischereirechte Eglisaus,
nur, es müsse der Vogt zu Eglisaru so wyth die bemelten Vischentzen gahnd,
bis gegen Riidlingen hinusf am Land gegen der sythen des Schlosses-
d. h. des Schlosses Eglisau, welches sich nach überlieferten Bildern
(vergl. Beschreibung Eglisaus von Pfarrer Albert Wild, nach den Seiten
88 und 146) am linken Rheinufer beim dortigen Bräckenkopf befand lassen
rumen, dass-die Zugross hinnsf mögint kommen . ., während allerdings
einzelne Vogtsrechnungen vom Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts
auch Ausgaben für Arbeiten am Schiffswege näbent Rüdlingen und an der
Rambsen (südlich Rüdlingen), also auf dem rechten Ufer, aufführen und
eine Beschwerde der Koblenzer Fischer an den Rat in Zürich vorn Jahre
1585 sich ebenfalls auf den Schiffsweg zu Rüdliugen bezieht. Überdies
aber ist auch eine notwendige Beziehung zwischen dem Geleitsrecht und der
LeinpfadUnterhaltungspflicht im Sinne der Klage nicht nachgewiesen. Die
in der Klageschrift zitierte Stelle aus dem Werke Lamprechts (Deutsches
Wirtschaftsleben im Mittelalter 2 S. 291 f.) kann hiefür nicht angerufen
werden, da dort der Übergang des früher königlichen Geleitsrechts
ans den Wasserstrassen an die Territorial: herren mit dem Besitz der
Leinpfade am Ufer-, also lediglich mit dem Normalsall der unmittelbaren
Uferterritorialhoheit, und nicht schon mit der Pflicht der Unterhaltung
der Leinpfade ohne Rücksicht ans die zugehörige Gebietshoheit, wie hier
in Frage, inIII. Staatsrechiiiche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N°
92. 587

Zusammenhang gebracht wird. Sollte die Unterhaltung der Leinpsade aber
auch aller Regel nach ais Judiz für die Ausübung des Eeleitsrechts in
gleicher Ausdehnung angesehen werden könnenso ist dieser Zusammenhang
doch jedenfalls nicht rechtlich notwendig. Vielmehr war, wie gerade die
in der Klagebeantwortung relevierten und von Zürich nicht bestrittenen
Verhältnisse am Rheine oberhalb der Stadt Schaffhausen zeigen, die
Übernahme der Unterhaltung solcher Schifsswege denkbar auch unabhängig
von den wesentlichen Attribut-en der zugehörigen Stromhoheit, ans Grund
sonstiger Interessen am betreffenden Schiffsverkehr. Hieran aber war
gegebenenfalls Sättel), wenn auch das Schiffahrtsrecht selbst nicht
ihm, sondern, wie es scheint, Koblenzer und Schaffhauser Schiffern
zustand, doch zweifellos schon zufolge der in Eglisan ausgeübten
Stromheitsrechte, wegen der dort erhobenen Boll: und Geleitsgebühren,
wesentlich interessiert Endlich ist eine Einheit von Zollund Geleitsrecht,
welche, wie die Klage behauptet, von der Ausdehnung des letzteren ohne
weiteres auch auf diejenige des ersteren schliessen liesse, ebenfalls
nicht zwingend dargetan. Die hiefür zitierte Schrift Kalischs (Über die
Verhältnisse des Geleitsregals zum ZollregaO nimmt zwar eine faktische
Verbindung der beiden insofern an, als an den Zollstätten regelmässig auch
die Geleitsgebühren erhoben worden seien, betont jedoch (loc. cit. S.19)
ausdrücklich den hier gerade relevanten Gegensatz, dass sich der Zoll
lediglich auf bestimmte Durchgangspunkte von Verkeh;slinien, das Geleit
dagegen auf die Verkehrslinien selbst bezie e.

T) Von den noch namhaft gemachten anderweitigen Rechtsansübungen
Zürichs auf der fraglichen Rheinstrecke sind vorab die Verleihungen der
Fischenzen und die Jnnehabuug der Fähre zu Rüdlingen, weil lediglich
niedere Negatien, Nutzungen privatrechtlichen Charakters, betreffend,
für die Frage der Gebietshoheit ohne Belang Bezüglich der vom Vogt zu
Eglisau erlassenen zeitweisen Schiffahttsverbote für die linke Rheinhälfte
bei der Glattmüudung sodann ergibt sich aus den einschlägigen Akten,
dass es sich dabei stets um Massnahmen zum Schutze der Fischer-ei (des
Nasenlaichs) handelte, welche zwar an sich hoheitlichen Charakter haben
mögen, jedoch ihrem angegebenen Zwecke nach nicht

588 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

als Manifestationen eines besonderen Hoheitsrechtes und jedenfalls
in diesem Sinne nicht als Ausfluss des Vertrages vom 4. Juni 1496
aufzufassen find. Und was schliesslich den Fall angeblicher Handhabung
des Miihlenregals als Pertinenz der Stromhoheit betrifft, geht aus
dem angerufenen Schreiben des Rats von Zürich an den Abt des Klosters
Rheinau vom Jahre 1544 ohne weiteres hervor, dass die Schiffsmühle bei
Rüdlingen, welche seinen Gegenstand bildet, ein rheinauisches Leben war,
also jedenfalls nicht ausschliesslich von Zürich abhing. Dies aber legt
die Vermutung nahe, dass die damalige Begrüssung Zürichs seitens des Abtes
von Rheinau lediglich erfolgt sei im Sinne einer Mitberiicksichtigung
der durch den dortigen Fischereirechisbesitz gegebenen zürcherischen
Interessen, deren Beeinträchtigung infolge des Betriebs einer Schiffsmühle
ja sehr wohl in Betracht fallen konnteDaraus erklärt sich denn auch
aufs einfachste der von Zürich hervorgehobene Umstand, dass der Vogt
von Eglisan in der Angelegenheit beteiligt war. Folglich ist auch
diesem Vorfall nicht die Bedeutung eines Jndiziums zuzuerkennen für die
Ausdehnung des Hoheitsbereichs, welche Zürich aus dem Ver-trage vom Jahre
1496 ableiten will. Dieses Jndizium würde übrigens aufgewogen durch die
von Schaffhausen unbestritten behauptete Tatsache-, dass die heute noch
bei Rüdlingen bestehende Mühle ohne zürcherische Bewilligung angelegt
worden und von jeher nach Schafshausen Zinspfslichtig gewesen sei.

d. Neben den erörterten, als praktische Betätigung der streitigen
Stromhoheit geltend gemachten Tatsachen verweist die Klage ferner
auf Aktenstücke, aus welchen die Anerkennung jener Hoheit seitens der
dabei interessierten Grenznachbarn der Vogtei Eglisau gefolgert wird. Jn
Betracht fällt zunächst die Feststellung des mehrerwähnten zürcherischen
Kommissionsberichts vom Jahre 1553, dass gegen die darin dem Vogt zu
Eglisau zuerkannte Strafkompetenz auf dem Rheine bisher weder die Grafen
von Sulz, welchen die Oberhoheit jenseits des Rheins zustehe, noch die
zürcherischen Vögte von Khburg als diesseitige Rheinanstösser jemals
Eittsprache erhoben hätten. Allein diese Feststellung kann schon nach
den oben geäusserten Zweifeln darüber, ob die fragliche Straskompetenz
überhaupt die hohe Gerichtsbarkeit betreffe, nichtIII. Staatsrechtliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 589

als erheblich erachtet werden. Sodann gehört zu jenen Aktenstücken
der Vertrag Zürichs mit Wilhelm von Sulz über die Abgrenzung des
Bereichs der hohen Gerichtsbarkeit zwischen der Vogtei Eglisau und
der Landgrafschaft des Klettgaus, vom Jahre 1564, mit Revisionen und
Ergänzungen aus den Jahren 1595 und 1598. Der Umstand aber, dass in der
Grenzbeschreibung dieses Vertrages der Rhein ausdrücklich ausgeschlossen
ist, kann schlechterdings nicht die von Zürich behauptete Meinung haben,
dass dadurch die Gerichts-harken der Vogtei Eglisau auf dem Rheine
nicht nur innerhalb des Bereichs der Vogtei auf dem Lande, sondern auch
noch darüber hinaus, abwärts bis zum Hei-derubati) und aufwärts bis zum
Finsterlöli gegenüber der Thurmündung, anerkannt worden sei. Denn vorab
ist nicht einzusehen, warum diese Meinung nicht in einer Weiterführung der
Grenzmarken von den beiden Rheinanstössen dem Rheinufer entlang bis zu
den angegebenen Endpnnkten zum bestimmten Ausdruck gebracht worden sein
sollte. Und zudem kann gegen dieselbe auch die positive Fortnuliernng
des Vertrages ins Feld geführt werden. Jni Anschlusse an die in der
Klage hervorgehobene Stelle, es sei vereinbart, dass . . . obgeschribne
beschechne March allein das erdterich uund den Rhyn .niendert belanngen,
fährt nämlich die Vertragsurkunde fort: auch dies alles menglichem an
synen zechenden ohne schaden syn uund wie die Landtgrasschasst Klegkouw
bishar in den dörssern ·.,Wyl, Rufy Hüntwangen uundWasterkingen die
hohen gericht, und die herrschoft Eglisoto die übrigen herrligkeiten,
es sygen die kleinen ald niedern gericht mit sambt der Mannschafft uund
aunderm daselbs gehebt, also söllen ft) die beidersyts sürer haben uund
daby belyben . . . Diese Fortsetzung der fraglichen Stelle aber legt
gewiss den Schluss nahe, dass es sich auch bei ihr, entsprechend den
letzterwähnten Verhältnissen, lediglich um den ausdrücklichen Vorbehalt
der bisherigen Rechtsstellung der Vertragsdarteien bezüglich des
Rheines handle. Die Ausnahme dieses Vorbehalts lässt sich denn auch ohne
Schwierigkeit erklären, ist es doch mindestens sehr wohl denkbar, dass
damals die Hoheit-Zorn hältnisse auf dem Rheine speziell innerhalb des
vertraglich umgrenzten Landgebiets der Vogtei Eglisau, auf welche Strecke
der iti-cinge Vorbehalt wohl am natürlichsten zu beziehen ist eben-

590 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

falls nicht völlig abgeklärt schienen, da Zürich jene Strecke jeden--

falls als zu der sie beidseitig einschliessenden Vogtei Eglisau gehörig
beanspruchte, während vielleicht der Graf von Sulz diesen Anspruch
auf Grund seiner eigenen landgräslichen Kompetenzen nicht anerkennen
wollte, und dass die zurzeit nicht direkt gebotene Erörterung dieser
Verhältnisse durch solchen Vorbehalt in nnpräjudizierlicher Weise
vermieden werden wollte. Eine direkte und unzweideutige Anerkennung der
fraglichen Stromhoheit kann endlich auch ans dem in letzter Linie hiesür
angerufenen Kansvertrag Zürichs mit dem Grafen Johann Ludwig von Sulz
über das Raszerfeld und das gKohl, vom 7./17. Juli 165t, nicht gefunden
werden. Dessen Bezeichnung des Kaufsobjektes lautet im Urtert: Wir Johann
Ludwig, grasfe zu Sülz . . . thuen khundt . . ., dass wir . . . zu konsfen
geben . . . für das erste unsere richslehenbare hoche landesoberund
herligkeitetn Blntpan, vorst, gleit und landtgerichtliche jurisdiction,
so weith sich ertnelter herren der statt Zürich nidere gerichtszwang
und andere zuestendige rechtssame über die zur herrschafft Egli-Zomo
gehörigen bier släcken Raffg, Wul, Hündtwangen und Wasterkingen, dess-

gleich auch dass Ussahr ald Nol genandt (dero nidere gericht und

die maunschafft zue der herrschafst Laufer dienet) mit sambt dem
halben Rhin in die landtgraffschasst Kleggow erstrecktemit allen
zu: und ingehörden, recht und gerechtigkeiten, wie die iren namen
haben 1nögent, und ... . (folgt Verweisnng auf die in der zugehörigen
Marchenbeschreibung festgelegte lliitgrenzung). Es ist nun zuzugeben,
dass sich der Ausdruck mit sambt den-. halben Rhin, nach der tertlich
bestimmten Auseinanderhaltung der beiden veräusserten Gebietsteile durch
die Gegenüberstellung; für das erste . . , und: dessgleich auch . . .",
nur auf den letztgenannten Gebietsteil des Nohls bezieht, dass also der
Vertrag eine Veräusserung des halben Rheins im Gebiete des Raszerfeldes
nicht in sich schliesst. Dies geht denn auch ans der Marthenbeschreibung
des nach dem Vertragsabschluss erstellten Marchenlibells, welche den
halben Rhein nur beim Nohl umfasst, unzweideutig hervor. Allein aus dieser
Tatsache kann, entgegen der Argumentation Zürichs, eine Anerkennung des
Inhalts, dass

Zürich die Hoheit auf dem Rheine in dessen ganzer Breite
vornHI. staatsrechtlicheStreitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 591

Herdernbach bis zum Finsterlöli bereits besitze, wiederum nicht gefolgert
werden. Wohl magkdie Nichterwähnung speziell des bereits vom bisherigen
Hoheitsbereich derZBogtei Eglisau beidseitig eingeschlossenen und jenem
deshalb jedenfalls tatsächlich zugehörigen Rheingebiets im streitigen
Kaufdertrage zu dem Schlusse berechtigen, dass der Graf von Sulz aus
die Hoheitsansprüche, die seine Rechtsoorfahren dort allfällig noch
zu wahrenisversucht hatten, wegen der nun noch versiärkten dortigen
Machtstellung Eglisaus stillschweigend Verzichtet habe. Dagegen bestehen
keinerlei Anhaltspunkte, welche die gleiche Erwägung auch bezüglich
der ausserhalb des eglisanischen Landgebtets zwischen Herdernbach und
Finsterlöli gelegenen Rheine1bschnitte zu rechtfertigen vermöchten Es
erscheint vorab als höchst fraglich, ob das durch den Vertrag vom Jahre
1651 veräusserte Gebiet des Raszerseldes den Rhein direkt überhaupt
berührt hat. Denn die von Schasfhansen ausgehende und hieran in der
Replik -von Zürich zu seinen Gunsten oerwertete Angabe, dass jenes Gebiet,

laut der topographischen Karte der Schweiz, mit der Gemarkung

Hüntwangen unterhalb Eglisau an den Rhein gestossen habe, entspricht der
Marchenbeschreibung des damals erstellten Marthenlibells nicht. Diese
lässt Vielmehr die fragliche March beginnen am Wynn, drygthusent und
dryghundert schritt ungesährlichen under der Bruggen zu Eglisouw, da
oben us der Haiden des seem zwüschent dem Hüntwanger Hard und deren
von Herderen Reittholtz ein mit grasf-sulzischefm und ziari)? rischetu
Erenschiltt bezeichnete March staht, d. h., wie Zürich selbst in der Klage
zutreffend bemerkt hat, offenbar bet dem im Marchbries von 1564 erwähnten
Marchstein so nfs dem vorbüchel stadt, wonach also die neue Grenze
des eglisauischen Hoheitsbereichs am Rheine vorn bisherigen Grenzpunkt
ausging. find diesem unmittelbaren Dokument gegenüber kann die abweichende
Umgrenzung der Gemarchung Hüntwangen nach den heutigen Karten wohl nicht
Beweis schaffen. Wenn aber auch hierauf abgestellt werden wollte, so
würde doch nur ein so kurzes Stück (zirka 300 M.) Rheingrenze in Frage
kommen, datz einerseits die Vermutung wenigstens nicht ohne weiteres von
der Hand zu weisen wäre, es sei dasselbe bei der Grenzbeschreibung als
nicht der Erwähnung wert erachtet, wenn nicht überhaupt übersehen worden.

592 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Zudem läge dann anderseits, beim Mangel irgend welcher gegenteiliger
Jndizien, die in der Replik alternati erwähnte, jedoch als an und für sich
höchst unwahrscheinlich bezeichnete Annahme, dass der Graf von Salz den
halben Rhein jenes Grenzstücks, das ja im Zusammenhang mit dem ihm noch
verbleibenden Hoheitsgebiet des Klettgaus stand, habe behalten wollen,
doch gewiss nicht weniger nahe, als die von Zürich verfochtene andere
Alternative, der Graf habe dort, wie überhaupt auf der ganzen Strecke
des Rheins vom Herdernbach bis zum Finsterlöli, bereits keine Rechte
mehr besessen. Denn dieser letzteren Annahme steht ja mit Bezug aus den
Abschnitt des Rheins vom Ende des Eglisauer Landgebiets bei Oberriet an
aufwärts der Inhalt des vom gleichen Grafen von Sulz im Jahre 1657 mit
Schaffhausen abgeschlossenen Vertrages (vergl. hierüber Crw. 5 unten)
direkt entgegen.

e. Als letztes Jndiz für ihre Auslegung des Kaufvertragess vom Jahre
1496 führt die Klage endlich die von 1667 datierte Gygersche Karte des
Kantons Zin-ich an. Allein der Umstand, dass Gyger die streitige Grenze
dem rechten Rheinufer entlang eingezeichnet hat, mag wohl die damals
in Zürich hierüber herrschende Auffassung wiedergeben, kann jedoch als
Dokument für den Erwerb der betreffenden rechten Rheinhälfte durch den
Vertrag vom Jahre 1496 um so weniger angesehen werden, als Zürich sich
in den um die gleiche Zeit beginnenden offiziellen Auseinandersetzungen
mit Schaffhausen aus jenen Vertrag gar nicht gestützthat. Übrigens ist
diesem Kartenbetveise auch deswegen keine Bedeutung beizumessen, weil
Schaffhausen für seinen Rechtsstandpunkt ebenfalls Karten des fraglichen
Gebiet-Z beigebracht hat, von denen jedenfalls diejenige des Zürchers
Jos. Muretaus den Jahren 1566j70 die Gygersche Karte an Beweiskraft
hinsichtlich des Vertrages vom Jahre 1496 aufwiegt.

Das Ergebnis der ganzen vorstehenden Erwägung ist somit, dass Zürich
seinen eingeklagten Hoheitsanspruch aus dem Kaufvertrag um die Herrschaft
Eglisau vom 4. Juni 1496 nicht ableiten kann, indem es den hiefür
erforderlichen Nachweis des durch jenen Vertrag erfolgten rechtmässigen
Erwerbs der wesentlichen Hoheitsrechte der hohen Gerichtsbarkeit,
des Zollund Geleitsrechts auf dem Rheine, jedenfalls in der für den
frag-.... Staatsrechiliche Slreitigkeiien zwischen Kantonen. N° 92. 593

Eichen Anspruch allein relevanten örtlichen Ausdehnung: über die vom
Territorium der Herrschaft Eglisau umschlossene Rheinftrecke hinaus,
stromauswärts speziell bis in die Gegend der Thurknüm dung, nicht
erbracht hat.

Z. Eventuell stützt der Kamen Zürich seinen Hoheitsanspruch unter
Zugrundelegung des Kaufvertrages vom 4. Juni 1496 auf den Rechtsgrund
der Ersitzung der mehrerwähnten wesentlichen Hoheitsrechte und stellt
sich dabei auf den Standpunkt, dass hiefür die zu jener Zeit geltenden
Privatrechtsnormen massgebend seien, nach welchen sich damals allgemein
der Verkehr mit den Hoheitsrechten vollzogen habe. Wenn nun aber
auch dieser Rechtsstandpunkte, speziell mit Bezug auf den Erwerb von
Hoheit-srechten an Flüssen, als zutreffend anzunehmen sein sollte, so
wäre doch zu beachten, dass das einschlägige mittelalterlich-deutsche
Sachenrecht die Ersitzung nicht kannte in der römisch-rechtlichen
Bedeutung eines positiven Eigentumserwerbsgrundes (vergl. Heusler,
Jnsiitutionen des deutschen Privatrechts 2 S. 65), sondern lediglich in
dem negativen Sinne eines Ausschlusses des Anfechtungsrechts des wirklich
Berechtigten gegenüber dem unrechtmässigen Erwerber, sofern die Anfechtung
nicht innert bestimmter höchstens 30-jähriger Frist geltend gemacht wurde
(vergl. z. B. Heusler, a. a. O., §§ 97 u. 98 S. 103 sf., spez. S. 105;
Schròder, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 383 oben, u. S. 720), und dass
diese Rechtsfolge des Anfechtungsausschlusses naturgemäss das Bekanntsein
des fraglichen Rechtsanspruches, d. h. dessen offenkundigen Erwerb
oder die als rechtmässig erworben sich äussernde dauernde Ausübung
bezw. Nutzung des Rechts, voraussetzte. Gegebenenfalls ist jedoch
nach dem vorstehend gesagten keine dieser Voraussetzungen erfütktz Von
offenkundigem Erwerb der streitigen Hoheitsrechte laut dem Vertrage vom
Jahre 1496 kann nicht die Rede sein, da ja dieser Vertrag abgesehen von
dem formellen Mangel der darin ftipulierten Rechtsübertragung zufolge
Fehlens der königlichen Bestätigung die örtliche Ausdehnung jener Rechte
nicht erkennen lässt Und eine dauernde, auf den vertragsgemässen Erwerb
basierte Ausübung der Rechte isf, wie ausgeführt, insbesondere für die
erste Zeit nach 1496, ebenfallè nicht nachgewiesen.

SS)-L A. Staatsrechmche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung

4. Weiter eventuell beruft sich der Kanton Zürich noch auf unvordenkliche
Verjährung, und zwar zum Beweise dafür dass ihm die streitige
Gebietshoheit im Jahre 1657, dem Zeituunkte ihres vertragsgemässen
Übergangs an Schaffhausen, bereits rechtsgültig zugestanden habe. Nun
kommt dein Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung oder
unvordenklichen Zeit die Bedeutung zit, dass danach anerkanntermassen
speziell auch mit Bezug auf Hoheitsrechte (vergl. Stobbe, Handbuch
des deutschen Privatrechts 1 S3. Aule S. 656 n. 681) einer seit
Menschengedenken so bis 100 Jahre, faktisch unangefochten bestehenden
Rechtsans: ubung als solchen, ohne Rücksicht aus titetmässigen Ausweis
rechtliche Begründetheit zuerkannt wird. Somit hätte Zürich zur Begründung
seines Rechtsstandpunktes in jedem Falle den Nachweis solcher Ausübung
der streitigen Gebietshoheit, bezw. der ihr wesentlichen Hoheitsrechte,
vor dem Jahre 1657 zu erbringen. Auch dieser Nachweis kann jedoch nicht
als geleistet erachtet werden. Allerdings ist ans dem in Crw. 2 oben
erörterten Jndizien- material zu schliessen, dass Zürich im Laufe des
18. und in der ersten Hälfte des l7. Jahrhunderts auf dem Rheine zwischen
der Einmündung des Herdernbaches und der Thurtnimdung eine gewisse
Herrschaft, wohl in der Meinung rechtlicher Zuständigkeit, tatsäch-

, lich ausgeübt hat. Dies geschah im Zusammenhang mit der
Verwaltung der ihm, d. h. der Vogtei Eglisau, aus dieser ganzen
Strecke unbestrittenertnassen zustehenden Fischereirechte, die, wie
Schaffhausen zutreffend bemerkt, zufolge ihrer Auszeichnung in den
Bestei- Izrbaren und namentlich im zürcherischen Kommissionsbericht vom
Jahre t053, überhaupt das Motiv und den Ausgangspunkt für die dortigen
Hoheitsbestrebungen Zürichs gebildet zu haben scheinen (so die Beurteilung
der Fischereisrevel, die Schiffahrtsverbote undhie" Einwilligitng zum
Betriebe der rheinauischen Schiffs-mühte bei Rudlingen), und vielleicht
auch auf Grund der in gleicher Ausdehnung wohl in der Hauptsache
ebenfalls von der Vogtei Eglisau besorgten Unterhaltung der Schiffund
Reckwege Erhebung von Helmsund Zollgebühren in Eglisau). Allein diese
speziell bezüglich ader wesentlichen Hoheitsrechte durchaus unsichere
Rechtsausubung ist schon damals nicht einmal in ihrer nach aussen
aufsallendsten Erscheinung, der Fischereigerichtsbarkeit, unangefochten
III. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 595

geblieben, wie die Einsprache Schaffhausens vom Jahre 1580 zeigt, Und
kann jedenfalls heute nicht mehr zur Gutheissung des in Rede stehenden
Rechtsstandpunktes führen.

5. Durch Kaufvertrag vom 21. Juni 1657, aus welchem der Kanton
Schaffhauien seinen widerklageweife geltend gemachten Hoheitsanspruch
ableitet, hat nämlich der Gras Joh. Ludwig von Sulz der Stadt Schafshausen
die wesentlichen Hoheitsrechte über die streitige Rheinsirecke
ausdrücklich abgetreten. Es ergibt sich dies zu voller Gewissheit
aus der vertragiichen Umschreibung des Kausobjektes als . . . hoche
LandsOberundt Herrlichkaiten, Bluetpann, Forst, die Gerechtigkeit zu
jagen undt zu glatten si undt landgerichtlicheJurisdictions Exemption
sambt dem halben Rhein soweit sich der Herren der Stadt Schaffhanssen
niederer Gerichiszwang undt andere zueständige rechtsame über ihre
Dörser, Wehler undt Mithlenen in der Landgrasschaft Kleggbw . . .
ersirefht . . . ( wozu erwiesenermassen die mit ihren GemarJungen an die
fragliche Rheinstrecke stossenden Dörser Rüdlingen und Buchberg gehörten)
in Verbindung mit der faktischen Einbeziehnng der dortigen Rheinhälste in
das zugehörige Marchenlibell vom Jahre 1686, dessen Marchensesisetznng
laut unangefochtener Angabe Schasshauseus unmittelbar nach dem
Vertragsabschlusse erfolgte. Der Kanton Zürich hat denn auch an seiner
ursprünglichen Bestreitung der Tatsache dieser Abtretung in der Replik
nicht festgehalten, sondern lediglich den weiteren Einwand erneuert,
dass die Abtretung angesichts seines eigenen älteren Rechtsbesitzes,
nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatze: nemo plus iuris transferre potest
quam ipse habeat, der Rechtswirksamkeii ermangle. Dieser Einwand aber
wird durch die vom Kanten Schafshausen angerufenen Rechtstitel der Grasen
von Sulz entkräftet.

Denn ein diesen für das Landgrafenamt im Ktettgau erteilter kaiserlicher
Lehen(Bestätigungs-) bries vom Jahre 1442 erwähnt als

zugehörung der Grafschast im Klettgöw, als die von alter her-

komen ist-, u. a. auch den Zeoll uff wasser und ufs dem laund,

und ein kaiserlicher Bestätiguiigsbries vom Jahre 1473 enthält folgende
territoriale Lehensnmschreibung, welche den streitigen halben

Rhein ausdrücklich einschliesst: Die gemeldt Landgraffschaft im

Klegkow, die dann mit iren Ckrayssen und begrysfen anvahett in

596 A. Scaatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

dem Urwerff vor Schasfhusen und geht den nächsten bis in mittel h,des
Rheins und den Rhein ab bis in die Wuttach uff an den Schlaytheimer
Bach, do er in die Wiittach losfet, also das der halb Rhein und die halb
Wuttach in den Kreis zu der Grafsschaft gehören. Die Echtheit dieser
beiden, auf Kaiser Friedrich III. als Aussteller lautenden Urkunden,
deren letztere allerdings nur in einer unbeglaubigten, jedoch in
einem als durchaus zuverlässig erscheinenden Sainmelbande enthaltenen
Kopie eines Vidiiuus des Hofrichters zu Rottweil, vom Jahre 1490,
vox-liegt, kann mit Grund wohl nicht bezweifeli werden, stellt doch
auch C. A. Bächtold in seiner, von Zurich selbst lebend angezogenen
Abhandlung: Wie die Stadt Schaffhausen ihre Landschaft er:warb, in der
Festschrift der Stadt Schaffhausen zur Bundesfeier von 1901, ohne jedes
Bedenken auf den fraglichen Urkundeninhalt ab (S. 152). Dagegen ist dem
Kantoii Zürich gemäss den Ausführungen Bächtolds allerdings zuzugeben,
dass jene territoriale Rechtsumschreibung des sogenannten Kreisbriefes
vom Jahre 1473 nach den Umständen der Zeit nicht absolut, sondern nur
mit der Beschränkung eines stillschweigenden Vorbehalts anderweitiger
widersprechender Rechtsverleihungen, verstanden werden darf. Allein in
diesem beschränkten Sinne ist sie grundsätzlich als rechtlich bedeutfam
und demnach vorliegend als Rechtstitel für die Hoheit in dem ganzen
umschriebenen Gebiet anzuerkennen, soweit Zürich ihr gegenüber nicht den
Nachweis eines rechtsgüitigen Hoheitserwerbs zu erbringen vermag. Aus
dieser Anschauung über die Rechtsstellung des Landgrafen im Klettgau
beruht denn auch der in der Duplik angerufene Schiedsentscheid, den im
Jahre 1186, im Laufe des von den Parteien mehrfach berührten Streite-s
zwischen den Grafen von Sulz und dem Bischof von Konstanz wegen der
hohen Gerichtsbarkeit und der Wildbäune zu Neunkirch und Hallau,
der zürcherische Ratsherr Heinrich Escher als Obmann, in Zustim-vv
mung zu den beiden zürcherischen (sulzischen) Mitgliedern des damaligen
Schiedsgerichts, getrofer hat (vergl, hierüber Bächtold,. sa. a. O. S. 154
ff., spez. 161). Nun ist aber eine Verleihung hoheitlicher Rechte an
die Herrschaft Eglisau nach dem früher gesagten nachgewiesen durch die
kaiserlichen Lehensbriefe aus den Jahren 1359 bis 1465 nur mit Bezug
auf die hohe Gerichts-III. Staaisrechtliche Streitigkeiten zwischen
Kantonen. N° 92. 597

barkeit (den Bluibann) in der Stadt Eglisau, somitaauf dem nirgends
erwähnten Rhein jedenfalls höchstens in der Ausdehnng des ihn
umschliessenden eglisauischen Landgebiets, weshalb dahingeftellt bleiben
farm, ob nicht diese Verleihung durch das in der Duplik angeführte
Privileg des Kaisers Friedrich 111. un die Grafen von Sulz, vom Jahre
1471, wieder rückgangig gemacht worden fei. Es liegt also kein Grund
vor, den Fortbestand der Gebietshoheit der Grafen von Sulz als Landgraer
im Klettgau über die rechtsseitige Rheinhäifte, speziell von Oberriet
aufwarts bis zur Thurmündung, bis zum Jahre 1607 zu verneinenU und aus
diesem Gesichtspunkte die Rechtsgüitigkeit ihrer damaligen Ubertragung
an Schaffhausen zu beanstanden. Diesem unzweideukigen Rechtserwerbe
Schaffhausens gegenüber hat denn auch Bunch seinen angeblichen
Rechtsanspruch im Laufe des seither schwebenden Streit-es nach den
vorliegenden Akten tatsachltch nicht zu behaupten vermocht. Die im
Jahre 1660 von zurcherischer Seite vom Vogte zu Egiisau erhobene
Einsprache wegen der vom Schaffhaufer Vogt zu Rüdlingen mit Bezug
auf die streitige Rheinitrecke ausgeübten hohen Gerichtsbarkeit drang
nicht durch, sondern führte lediglich zur ausdrücklichen und seither
stets festgehaltenen Bestreitung des von Zürich geltend gemachten
Hoheitsanspruchs durch Schaffhausen (vergl. die in der·Klagebeantwortung
angeführten Akteiistiickez das Antwortschreiben des Vogts zu Rüdlingen
vom 21. Januar 1661,_ die Verhandlungen in Bülach vom Jahre 1662 deren
vorliegende-s Protokoll "nach dem Jnhalte der übrigen Akten keineswegs
als nnglaubwiirdig erscheint und die hierauf bis in das Jahr 1663 hinein
fortgesetzte Korrespondenz). Und zwar erfolgte diese Bestreitungl
mit Unterstützung des Grafen von Sulz (vergl. dessen in der K age-l
beantwortung erwähnte-Z Schreiben an Schaffhaiisen vom 16. Apri 1663,
sowie das nachträglich beigebrachte, ebenfalls durchaus glaubk würdige
Protokoll der hierauf erfolgten Zusainmensunft schaffhauserischer
und fiilzischer Delegierten zu Lottsteiten). Auch gibbet schliesslich
angerufenen Konserenz der resoruiierten Orte zua Il en im Jahre 1682,
scheint Zürich keinen besiiniminten ihm guns igen Entscheid erlangt
zu haben, da die Klage einen solchennicht nam-l haft zu machen weiss;
es scheint vielmehr in der Folge seinen woh

598 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

auch zur Sicherung der streitigen Gebietshoheit unternommenen Versuch
der Erhebung eines Rheinzolles gegenüber Rüdlingen im Interesse des guten
Einvernehmens mit Schaffhausen wieder ausgegeben zu haben. So endete schon
diese erste Phase des Streites in der Tat nicht mit einein Siege, sondern
eher mit einer Niederlage gauche. Einen augensälligen Beweis hiesür bildet
das Verhalten des Rats von Zürich anlässlich des in der Klage selbst
zutreffeud dar-gestellten Vor-falls vom Jahre 1709/10. Die Tatsache, dass
damals der Rat auf die Geltendmachung des vom Vogt zu Eglisau erneuerten
Gerichtsbarkeitsansprnchs mangels bekannten Nachweises desselben
verzichtete, verträgt sich schlechterdings nicht mit der Annahme, dass
Zürich nur einige zwanzig Jahre früher die jene Gerichtsbarkeit in sich
schliessende allgemeine Gebietshoheit siegreich gewahrt habe. Ebenso
muss aus den im Prozesse erörterten Ereignissen des 19. Jahrhunderts-,
insbesondere aus dem Vertrage der Prozessparteien vom 26. Juni 1851,
worin Zürich seinen Hoheitsanspruch für die dort in Betracht sallende
Rheinstrecke ausdrücklich aufgegeben hat, Unzweifelhast aus die bestehende
faktische Präponderanz der Rechtsstellung Schaffhausens geschlossen
werden. Endlich entspricht diese Situation auch dem in Ermangelung einer
abweichenden rechtswirksamen Überlieferung oder Vereinbarung im späteren
Mittelalter zur Geltung gelangten Rechtsgrundsatze, den Schasfhausen
tatsächlich bereits in den Verhandlungen zu Bülach vom Jahre 1662
für sich angerufen hatte, dass die Hoheitsgrenze zweier durch einen
Fluss getrennter Staaten diesen Fluss zu Hälften teilt, d. h. in der
Flnssmitte verläuft (vergî. den Verweis hieraus im Rheinprozess-Urteil
des Bundesgerichis vom 9. November 1897, AS 23 Nr. 196 Erw. 5 S. 1452,
sowie die von den Parteien zitterten Werke: Schröder, Die Landeshoheit
über die Trave, in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern i. [1891] S. 32/38,
und Max Huber, Rechtsgutachten über die Gebietshoheit an längsgeteilten
Grenzflüssen, S. 14 und 41). 6. Gemäss den vorstehenden Erwägungen muss
einerseits die Klage des Kantons Zürich abgewiesen und anderseits die
WiderPlage des Kantons Schasshausen gutgeheissen werden. Die Disserenz
der Parteien über den oberen Endpunkt des sireitigen Rheingebiets ist
bei diesem Entscheide belanglos, indem die danach inIll. Staatsrechtliche
Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 92. 599

der Rheinmitte verlaufende Grenze mit ihrem oberen Ende
jedenfalls unmittelbar an den in gleicher Weise vertraglich durch
die nun im zürcherisch-schasfhauserischen Staatsvertrage vom 30.
August-is. September 1870 über die Erstellung der Brücke FlatschRüdlingen
enthaltene Vereinbarung vom Jahre 1851 geregelten Grenzabschnitt
anschliesst. Demnach hat das Bundesgericht in Abweisung der Klage und
Gutheissung der Widerklage erkannt:

Die Hoheitsgrenze zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen geht vom
unteren (südweitlicheu) Endpunkte des durch den-Staatsvertrag der beiden
Kantone vom 80. August-is September 1870 zwischen den Gemeinden Rüdlingen
und Flaach bestimmten Grenzabschnitts abwärts bis zur Landesgrenze bei
Oberxiet, d. h. bis zu dein Punkte, wo die Grenze, sich nach Norden
wendend, den Rhein verlässt, durch die Mitte des Rheins.

AS 33 I 1907 fit]
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 33 I 537
Datum : 28. Mai 1907
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 33 I 537
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 536 A. staatsreotitiictie Entscheidungen. I. Abschnitt Bundesverfassung. gegenüber


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Stichwortregister
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