96 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster Zivilgerichtsinstanz.

16. guten vom 16. Februar 1906 in Sachen Yarmstädter, Kl. u. Ber.-Kl.,
gegen Gemische Fabrik Inneren gl.-@. tu Jima-tion, Bekl. u. Ver-Bekl.

Anfechtung einer Aktieneinzahlung und Riicîcfordefflsssg derselben
durch den Aktionär wegen Betruges. Eine derartige Rückforderungsklage
ist unzulässig, auch gegenüber der in Liquidation ge- tretenen
Gesellschaft. Art. 70 sf.; 629 Abs. 3 OB. Aktivlegiti-mat-tion.
Streiter-ern

A. Durch Urteil vom 27. Oktober 1905 hat das Handelsgericht des Kantons
Zürich über die Streitfrage:

Ist nicht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger den Betrag von 25,000
Fr nebst 5 0/0 Zins seit 9 August 1904 zu zahlen gegen Ruckgabe von 50
Prioritatsaktien der Beklagten?

erkannt:

Die Klage ist abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht eingelegt, mit dem Antrage auf
Gutheissung der Klage.

O. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter des Klagers Diesen
Berufungsantrag erneuert

Der Vertreter der Beklagten hat beantragt, die Berufung sei abzuweisen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Aus den Akten ist zunächst hervorzuheben: Durch Statutenrevision vom
26. Juni 1903 war das bisherige Grundkapital der Beklagten von 250,000
Fr. aus 175,000 Fr. reduziert worden, wobei 150 Prioritätsaktien zu 500
Fr., für die Summe von 75,000 Fr., kreiert worden waren. Von den letztern
waren 100 Stück (zusammen 50,000 Fr.) als volleinbezahlt emittiert
:worden; zur Begebung der übrigen 50 Stück, die auf den Jn.-haber lauten,
war der Verwaltungsrat bevollmächtigt worden. Im Jahre 1904 suchte die
Beklagte einen Chemiker, und zu diesem Zwecke trat der Sohn des Klägers,
Dr. Darmstädter, mit ihr(V; Obligationen-sacht N° 16. 9?

in Verbindung. Nachdem die Vetlagte Dr. Darmstädter mitgeteilt hatte,
dass sie einen Chemiker anzustellen wünsche, der am Geschäft finanziell
beteiligt sei, sagte der Kläger nach Besprechungen mit dem Direktor der
Veklagten und Besichtigung der Fabrik der Beklagten seine finanzielle
Beteiligung im Sinne der Ubernahme von 50 Prioritätsaktien der Beklagten,
im Gesamtbetrage von 25 000 Fr. ., zu, und es wurde darauf am 21. Juli
1904 zwischen der Beklagten und Dr. Darmstädter ein vorläufig auf
drei Jahre unkündbarer Dienstvertrag abgeschlossen, inhaltlich dessen
Dr. Darmstädter mit 15. August 1904 als Chemiker in den Dienst der
Beklagten trat. § 6 des Vertrages bestimmte: Für seine finanzielle
Beteiligung von 25,000 Fr. er-

' hält Herr Dr. Darmstädter von der Chemischen Fabrik Schlieren

A.-G. 50 Stück Prioritätsaktien der genannten Gesellschaft à.
500 Fr. nominefl." Nach Abschluss dieses Vertrages über-sandte die
Veklagte dem Kläger die 50 Aktien auf 9. August 1904, wogegen sie ihm
am 12. gl. Mes. bestätigte, dafür die 25,000 Fr. erhalten zu haben. Die
Ausgabe und Volleinzahlung dieser 50 Aktien wurde im Schweizerischen
Handelsamtsblatt vom 8. Oktober 1904 publiziert. Im Oktober 1904 machte
die Beklagte dem Kläger Bericht über ihre Geschäftslage und bat ihn,
nach Schlieren zu kommen; am 19. Oktober 1904 lud sie ihn zu einer
ausserordentlichen Generalversammlung zur Beschaffung neuer Betriebsmittel
ein. In seiner Sitzung vom Z. November 1904

beschloss der Verwaltungs-sah der sofort einzuberufenden General-

versammlung die Auflösung der Gesellschaft zu beantragen; die
Auflösung wurde dann in der ausserordentlichen Generalversammlung
vom 10. November 1904 mit 290 von 340 Stimmen, entgegen dem
Proteste des anwesenden Vertreters des Klägers, beschlossen In einer
ausserordentlichen Generalversammlung vom 25. Februar 1905 bemerkte die
Liquidationskommission in ihrer Berichterstattung über die Liquidation,
diese ergehe ein approximalives Resultat von 63,130 Fr., unter der
Voraussetzung, dass alle Debitorenposten glatt eingehen; dieses Resultat
erlaube, fast das ganze Prioritätsaktienkapital zurückzuzahlen. In der
ausserordentlichen Generalversammlung vom 2. September 1905 stellte der
Vertreter des Klägers namens Dr. Darmstädter das AS 32 n 1906 7

98 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster Zieilgerichtsinstanz.

e ren, es mò te seinem Klieiiten gegen Rückgabe seiner 50 kSgtTihck
Psioritätsckktien die Summe Von "25,000 Fr. ausbezahlt werben, sand aber
damit keine Unterstutzung Schon un Juli 1905 hatte inzwischen der Kläger
die vorliegende {Etage, mit dein aus Fakt. A ersichtlichen Rechtsbegehreu:
anhangig gemacht. Er stützt die Klage darauf, er sei durch betrugerische
Handlungen des Direktionsund Verwaltungsratspräsidenten der Beklagteiu
Dr. Knecht, zur Übernahme der 50 Prioritätsaktien verleitet worden. Die
Beklagte hat neben der Bestreitung der materiellen Vegründetheit der Klage
den Einwand erhoben, es fehle sowohl dein Kläger die Akiivlegitimation
als ihr die Passivlegitiiiiation, ersteres deshalb, weil nicht der Kläger,
sondern dessen Sohn Vertragsiontraheni im Vertrage vom 21. Juli 1904 fei,
letzteres aus dem Grunde, dass nach der Behauptung der Klage Dr. Knecht
den Kläger betrogen hätte und also er, nicht die aGesellschaft, passiv
legitimiert wäre. Das angefochtene Urteil schutzt zunachst die Einrede
der mangelnden Aktivlegitiination und ertlartfuberdies die Klage als
unzulässig, letzteres mit folgender Begrundung: Die Klage, womit von
der beklagten Aktiengesellschaft die Puckzahlung des Nominalbetrages
der in Frage stehenden 50 Prioritätsaktien verlangt wird, hätte . . eine
Reduktion des Grundkapitals der Beklagten zur Folge; infolgedessen beruhrt
sie direkt die im Aktienübernahmevertrag enthaltene Beitrittserklarung
zur beklagtischen Aktiengesellschaft Eine solche begruiidet aber, analog
wie vom Bundesgericht mit Bezug auf die Zeichnung von Anteilen einer
eingetragenen Genossenschaft entschieden wurde (AS 31 II S. 72 Erw. 5),
zugleich eine Erklärung nach auszensi im Verhältnis zu Dritten, nämlich
zu den Glaubigern der Aktiengesellschaft, in dem Sinne, dass der durch
die Subskription resp. Übernahme der Aktien repräsentierte Vermogenswert
zu Gunsten diese-: Gläubiger gewissermassen als Garantiekapital haften
soll. Dabei geht es nicht an, im einzelnen Falle zu untersuchen, ob
auch ohne den Von dem betreffenden Aktionar ubernommenen Aktienbetrag
die Befriedigung der Gläubiger der Aktiengesellschaft möglich sei oder
nicht. Denn entweder kann die Vorschrift des Art. 24
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
OR auch auf die
Beitrittserklärung der Aktionarezur Anwendung gebracht werden; dann
muss konsequenterweise dieser Erklärung, wenn sie auf einein Betrug der
GesellschaftsorganeIV. Obligationenrecht. N° 18. 99

beruht, auch im Verhältnis zu den Gläubigern die Rechtsgültigkeit
abgesprochen werden, da ja eine direkte Haftung des Aktionärs
gegenüber den Gesellschaftskreditoren nicht gegeben ist. Oder aber die
Beitrittserklärung ist, weil sie zugleich eine Kundgebung nach aussen
repräsentiert, trotz des Betruges der Gesellschaftsorgane verbindlich;
dann kann der Aktionär auch der Gesellschaft gegenüber in keinem Falle
die aus der Aktienübernahme resultierenden Verpflichtungen ablehnen
(vergl. auch Staub, Kommentar zum DHGV, Art. 189, Note 24).

2. Die Kompetenz des Bundesgerichts ist auch hinsichtlich des einzigen
Punktes, in dem sie zu Zweifeln Anlass geben könnte: des Streitwertes,
vorhanden. Zwar richtet sich das vermögensrechtliche Interesse des
Klägers an der Gutheissung seiner Klage danach, wie hoch das ihm
als Prioritätsaktionär zukommende Liquidationsbetreffnis sein wird;
und wenn es richtig ist, was die Liqitidationskoinmission in der
ausserordentlichen Generalversammlung vom 25. Februar 1905 mitgeteilt
hat: dass nämlich das Prioritätsaktienkapital voraussichtlich nahezu
ganz könne zurückgezahlt werden, und was der Vertreter der Beklagten
in der mündlichen Klagebeantwortung vor Handelsgericht vorgebracht
hat: dass für die Prioritälsaktien zirka 80 0/0 erhältlich wären , so
sinkt das Interesse des Klägers auf 20 0/0 oder vielleicht noch weniger
herab. Allein massgebend ist nicht dieses Interesse, sondern massgebend
ist das Streitinteresse nach Inhalt von Klage und Antwort, und das
ergibt eben den Streitwert von 25,000 Fr. Der Kläger macht denn auch mit
seiner Klage nicht eine Schadenersatz-, Jiiterefsenforderung geltend,
eine Forderung auf die Differenz zwischen dein Liquidationsbetreffnis
und seiner Einzahlung, sondern er fordert seine Einzahlung zurück,
weil er durch betrügerische Handlungen der Organe (oder eines Organes)
der Beklagten zum Beitritt als Aktionär verleitet worden fei.

3. Die rechtliche Natur dieser Klage nun ist als condictio zu bezeichnen:
der Kläger verlangt die Rückzahlung, weil er, als durch Betrug zum
Beitritt zur Aktiengesellschaft verleitet, nie Aktionär geworden sei und
also die Zahlung der Aktien ohne Rechtsgrund geleistet habe, weshalb er
(Art. 71
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 71 - 1 Ist die geschuldete Sache nur der Gattung nach bestimmt, so steht dem Schuldner die Auswahl zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt.
1    Ist die geschuldete Sache nur der Gattung nach bestimmt, so steht dem Schuldner die Auswahl zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt.
2    Er darf jedoch nicht eine Sache unter mittlerer Qualität anbieten.
OR) zur Rückforderung, gegen Riickgabe der erhaltenen Aktien,
berechtigt fei. Hieraus ergibt sich auch, im Gegensatz zur Vorinstanz,
ohne

100 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster
Zivilgerichtsinstanz.

weiteres die Aktivlegitimation des Klägers Angefochten als auf Betrug
beruhend wird der Beitritt zur Aktiengesellschaft, und es steht fest wie
auch die Vorinstanz annimmt -, dass der Kläger die Einzahlung gemacht
und die Aktien erworben hat, wie denn auch immer er als Aktionär von
der Beklagten betrachtet und behandelt wurde; aus seinem Vermögen
hat sich daher die Beklagte Ungerechtfertigt bereichert, falls die
Behauptung des Klägers betreffend die Betrugshandlungen richtig ist
und daher sein Beitritt zur Aktiengesellschaft sich als von Anfang
an nichtig erweist. Der Dienstvertrag des Sohnes des Klägers hat mit
dieser Frage nichts zu tun, und es ist auch unerheblich, dass in diesem
Dienstvertrag von der finanziellen Beteiligung des Sohnes des Klagers
gesprochen und er als Aktionär bezeichnet wird: ausschlaggebend ist,
dass der Kläger selbst im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die 50
Prioritätsaktien erworben hat. Der Von der Vorinstanz hervorgehobene
Umstand, dass die Aktienübernahme in Erfüllung der aus dem Dienstvertrage
fliessenden Pflicht des Sohnes geschah, ändert hieran nichts: hat der
Kläger diese Pflicht erfüllt und ist er (formell) Aktionär geworden, so
steht auch nur ihm und nicht seinem Sohne das Recht der Anfechtung dieses
Beitrittes zu; nicht der Dienstvertrag, sondern direkt der Beitritt zur
Aktiengesellschaft, die Aktienübernahme, wird ja angefochten.

4. Erweist sich so die Einrede der mangelnden Aktivlegitimation als
nnbegründet, so diejenige der mangelnden Passivlegitimation nicht
minder. Denn die Klage beruht auf dem Standpunkt, dass Dr. Knecht als
Vertreter und Organ der Beklagten betrügerische Handlungen gegen den
Kläger verübt habe; die Aktiengesellschaft muss nun aber derartige von
ihren Organen als Organhandlungen vorgenommene Erklärungen und Äusserungen
gegen sich gelten lassen, und sie wird dadurch verpflichten Die Klage
aus Anfechtung des Veitrittes zur Aktiengesellschaft ist denn auch
offenbar gegen die Aktiengesellschaft und nicht gegen deren Vertreter
oder Organe zu richten; gegen letztere kann nur eine Schadenersatzklage
aus unerlaubter Handlung in Frage kommen, als solche aber ist die Klage
nicht gestellt.

5. Nicht identisch mit der Frage der Passivlegitimation ist
die Frage der materiellen Zulässigkeit der vorliegenden Klage
aufIV. Obligationenrecht. N° 16. 101

Anfechtung der Aktienübernahme, deren Verneinung das zweite Motiv der
Abweisung der Klage durch die Vorinstanz bildete und auf die nunmehr
einzutreten ist. In der bundesgerichtlichen Praxis (vergl. AS 15 S. 628
Erw. 4; 29 II S. 662 ff.; 31 I} S. 71 ff. Erw. 4 ff.) ist die Abweisung
solcher auf Anfechtung einer Beitrittserklärung zu einer Gesellschaft
(Kollektivgesellschaft; Kommanditgesellschast, Genossenschaft) wegen
Betruges gerichteten Klagen oder Einreden aus dem Gesichtspunkte erfolgt,
dass der Bekrug, auf den sich der Anfechtende berufe, in Ansehung des
Prozessgegners als ein von Dritten verübter Betrug anzusehen sei und daher
gemäss Art. 25
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 25 - 1 Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht.
1    Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht.
2    Insbesondere muss der Irrende den Vertrag gelten lassen, wie er ihn verstanden hat, sobald der andere sich hierzu bereit erklärt.
OR die Verbindlichkeit des angefochtenen Rechtsgeschäftes
nicht hindern Waren hiebei die Gesellschaftsgläubiger die Prozessgegney so
beruhte die Abweisung der Anfechtung daraus, dass sie nicht Kontrahenten
bei dem Übernahmevertrag waren und dass, soweit die von ihnen geltend
gemachten Rechte aus dem Gesellschafts-, Ubernahmevertrag durch Täuschung
des beitretenden Ubernehmers begründet wurden, die Täuschung nicht durch
sie, sondern von einemDritten (den Mitgesellschaftern, der Gesellschaft)
bewirkt war; war Prozessgegner die Gesellschaft, so erfolgte die Abweisung
der Anfechtung unter dem Hinweis darauf, dass die Aktienzeichnung vor dem
Zustandekommen der Gesellschaft, den Gründern gegenüber, stattgefunden
habe, eine bestrtigerische Verleitnng durch diese letztern aber wiederum,
in An- sehung einer Gesellschaft, als Betrug eines Dritten und nicht
der Gesellschaft oder ihrer Organe erscheine. Im vorliegenden Falle ist
die Beitrittserklärung der Gesellschaft gegenüber erfolgt, und ihrer
Anfechtung kann der Einwand, da}? sich um einen durch Dritte verübten
und daher nicht zu berücksichtigenden Betrug handle, nur in dem Sinne
entgegengehalten werden, dass darauf abgestellt wird, es seien nicht
allein die Interessen der Gesellschaft, sondern auch Interessen Dritter
beteiligt, welche den durch die Gesellschaftsorgane angeblich verübten
Betrug nicht gegen sich gelten lassen müssen. Die Vorinstanz stellt nun
aber überhaupt gar nicht darauf ad, ob auch Interessen Dritter im Spiel
seien, sondern sie leitet die Unzulässigkeit der Anfechtung daraus her,
dass die Beitrittserklärung gleichzeitig stets eine Kuudgebung nach aussen
dar-stelle und aus diesem Grunde absolut, auch derGesellschaft gegenüber,
verbindlich sei. Jst diese Auffassung richtig, so

102 A. Entscheidungen des Bundesgerichis als oberster
Zivilgerichtsînstanz.

folgt daraus allerdings ohne weiteres die Abweifung der Klage; denn wenn
die Beitrittserklärung schlechthin aus dem Grunde unanfechtbar ist, weil
sie eine Kundgebung nach aussen bedeutet, so ist sie absolut unanfechtbar,
ohne Rücksicht darauf, ob im einzelnen Falle wirklich solche Interessen
gefährdet werden, die speziell wegen der erfolgten Kundgebung nach aussen
schutzbedürstig sind oder nicht .....

6. Die streitige Frage der Unzulässigkeit der Anfechtung des Beitrittes
zur Aktiengesellschaft wegen Betruges schlechthin, der Gesellschaft und
den Mitaktionären, nicht bloss den Gläubigern gegenüber, kann nicht
lediglich unter Hinweis aqurt.629 Abs.? OR erledigt werden, wonach
dem Aktionär ein Recht, den eingezahlteu Betrag zurückzufordern, weder
vor noch bei der Auflösung der Gesellschaft zusteht. Denn mit seinem
Anfechtungsgrund behauptet der Kläger gerade, in Wirklichkeit nicht
Aktionär geworden zu sein, er will den Beitritt zur Aktiengesellschaft
ex tunc rückgängig machen. Dagegen gibt diese Bestimmung immerhin den
Anhaltspunkt zur Entscheidung Denn es folgt aus ihr, dass das, was der
Attionär als Gegenwert seiner Mitgliedschaftsrechte hingegeben hai,
unwiderruflich Eigentum der Gesellschaft wird (Stand, Anm. 1 zu § 213
DHGB, Komm. 6 u. 7. Aufl., S. 643). Nach der in der neueren deutschen
Literatur (Stand a. a. O. Anm. 3 zu § 213, Anm. 24 zu § 189 {S. 585 s.],
Anm. 20 zu § 186 [S. 577]; Goldmann, Komm. S. 819 § 188 Anm. 12), die
auch Vom Reichsgericht geteilt wird (RGB 534 Nr. 39 S. 129 ff. n. dort
zii,), vertretenen Ansicht ist die Zeichnungserklärung, gleichgültig
ob bei Gründung der Aktiengesellschaft oder bei Kapitalserhöhung, der
Anfechtung wegen Irrtums oder Betrags entzogen mit Rücksicht auf ihren
recht-sponzeilichen Charakter-J und das Reichsgericht hat in der zitterten
Entscheidung weiter angenommen, auch ein Schadenersatzanspruch (aus §
31 und 823 GB) stehe dem Aktionär, welcher durch wissentlich falsche
Angaben des Vorstandes über die Verhältnisse der Aktiengesellschaft
veranlasst worden sei, bei einer Erhöhung des Aktienkapitals Bezugsrechte
auszuüben, der Gesellschaft gegenüber nicht zu; es folge das aus
dem Wesen der Aktiengesellschaft als einer Gesellschaft mit reiner
Kapitalhaftung, aus der auch die Begrenzung der Ansprüche des Aktionärs
auf ReingewinnIV. Obligationenrecht. N° 18. 103

(è 213 DHGB) sich erkläre; die sowohl zum Schutze des mit der
Aktiengesellschaft kontrahierenden Publikums als im Interesse der
Gesamtheit der Aktionäre getroffenen Vorschriften könnten nicht
dadurch ausser Wirksamkeit gesetzt werden, dass im Einzelfalle ein
Aktionär durch schuldhaftes Verhalten der Gesellschaftsorgane zu seiner
Beteiligung veranlasst worden sei (a. A. allerdings Makower, Anm. 2
a zu § 182; vergl. aber gegen ihn Staub, a. a. O.). Diese Erwägungen
erscheinen auch für die Aktiengesellschaft nach schweizerischem
Recht, die in allen wesentlichen Punkten die gleiche rechtliche
Struktur trägt, wie die deutsche Aktiengesellschaft, und bei der
insbesondere auch der Zeichnungserklärung die gleiche Wirkung zukommt
wie dort, als zutreffend. Auch nach schweizerischem Recht bedeutet
die Zeichnungserklärung eine Kundgebung nach aussen, den Gläubigern,
aber auch den andern Aktionären gegenüber-; während des Bestehens
der Aktiengesellschaft und vor Durchführung der Liquidation mit den
Gläubigem muss daher jedenfalls das Aktienkapital intakt bleiben. Aber es
folgt daraus, dass die Kundgebung auch an die Gesamtheit der Aktionäre
gerichtet ist, noch weiter, dass auch nach der Auseinandersetzung mit
den Gläubigern, bei der Verteilung des Liquidationsergebnisses unter
die Aktionäre, nicht ein einzelner Aktionärgegenüber der Gesellschaft
austreten kann mit der-Behauptung, er sei durch Betrug zum Beitritt
veranlasst worden'uud fordere nun nicht sein Liquidationsbetreffnis,
sondern seine Einzahlung zurück; denn auch den Mitaktionären gegenüber
gilt der Satz, dass das Aktienkapital intakt zu erhalten sei, und
es würde bei Zulassung der Klage im vorliegenden Falle, wie der
Vertreter der Beklagten zutreffend ausgeführt hat, eine Rangstellung
unter den Prioritätsaktionären geschaffen, die mit ihrer gleichmässigen
sozialrechtlichen Stellung unvereinbar ist. Danach ist das angefochtene
Urteil in dieser zweiten Erwägung zu bestätigen und somit die Berufung
abzuweisen Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 27. Oktober 1905 in allen Teilen bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 32 II 96
Datum : 16. Februar 1906
Publiziert : 31. Dezember 1907
Quelle : Bundesgericht
Status : 32 II 96
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 96 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster Zivilgerichtsinstanz. 16. guten


Gesetzesregister
OR: 24 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
25 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 25 - 1 Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht.
1    Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht.
2    Insbesondere muss der Irrende den Vertrag gelten lassen, wie er ihn verstanden hat, sobald der andere sich hierzu bereit erklärt.
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 71 - 1 Ist die geschuldete Sache nur der Gattung nach bestimmt, so steht dem Schuldner die Auswahl zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt.
1    Ist die geschuldete Sache nur der Gattung nach bestimmt, so steht dem Schuldner die Auswahl zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt.
2    Er darf jedoch nicht eine Sache unter mittlerer Qualität anbieten.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aktiengesellschaft • beklagter • betrug • bundesgericht • frage • vorinstanz • weiler • richtigkeit • aktienkapital • chemiker • fabrik • handelsgericht • auflösung der gesellschaft • schweizerisches recht • streitwert • genossenschaft • staub • rückerstattung • liquidation • veranstaltung
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