182 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster
Zivilgerichtsinstanz.

die in der mündlichen Hauptverhandlung gestellten Begehren, da bis
zu diesem Zeitpunkte neue Tatsachen vorgebracht werden können (gg
103, 104, 127 soloth. ZPO). In jenem Zeitpunkte überstieg aber der
Streitwert für das zweite Nechtsbegehren allein schon den Betrag von
4000 Fr. (monatlich 416 Fr. 65 Ets. vom 17. August 1904 bis 27. Juli
1905). Hieraus-folgt auch, dass für das Bundesgericht das zutreffende
Verfahren das mündliche i.

Vergl. auch Nr. 18.B. Entscheidungen des Bundesgekjehts als einziger
ss Zivilgsierichtsinstanz. Arréts rendus par le Tribunal fédéral comme
instanee unique en matière civile.I. Zivilstreitigkeiten zwischen Kantonen
einerseits und Privaten oder Korporationen anderseits.

Difl'érends de droit civil . entre des cantone d'une part et des
particuliers ou desss corporations d'autre part.

(Art. 48 Z. 4 OG.)

28. gut-zugaus dem gutem: vom 24. Januar 1906 in Sachen Wählethalet,
KL, gegen atm Yom, Bekl.

Verantwortlichkeitskiage nach bern. Recht. Art. M bem. KV, gg 51,
48 des Verantworflichkeétsgesetzes: Erfordernis der vomusgegangenen
fee-antwo-rtle·eltleeeftseelc3eimng dem-Jldie Administmtéebehtîrde.

Aus den Gründen:

Nach Art. 15 KV und § 51 des Verantwortlichkeitsgesetzes, Beide lautend:
Jede Behörde, jeder Beamte und Angestellte ist für seine Amtsverrichtungen
verantwortlich. Zivilansprüche, welche aus der Verantwortlichkeit
fliessen, können unmittelbar gegen den Staat vor den Gerichten geltend
gemacht werden. Das Gericht darf jedoch die Klage gegen den Staat nicht
annehmen, bis der Kläger nachgewiesen, dass er sich diesfalls

184 B. Entscheidungen des Bundesgerichts als einziger Zivügerichtsiastanz.

wenigsiens 30 Tage zuvor erfolglos an die oberste Vollziehungsbehörde
gewendet hat. Dem Staat bleibt der Riickgriff gegen den Fehlbaren
vorbehalten. Dem Gesetze steht dieweitere Ausführung dieser Grundsätze
zu" darf der Richter die Klage gegen den Staat nicht aunehmen,wenn der
Kläger sichnicht wenigstens 80 Tage zuvor mit seinem Begehren an den
Regierungsrat gewandt hat. Dieses Formerfordernis, von dem. dahingestellt
bleiben kann, ob es auch Voraussetzung der-Klage beim Bundesgericht
ist, ist vor-liegend erfüllt Dagegen erscheint fraglich, ob nicht aus
einem andern Grund auf die Klage nicht: eingetreten werden kann. §
48 des zitterten Gesetzes bestimmtnämlich, dass die Erörterung über
die Existenz einer Verletzung der Amtspflichten bei nicht strafbaren
Pflichtverletzungen wie sie im vorliegenden Fall allein in Frage kommen
können einzig Sache der kompetenten Administrativbehörden ist, und dass
dieZivilklage erst zulässig ist auf ein vorausgegangenes Erkenntnis,
dass eine Verletzung der Amtspslichten vorliege; in die richterliche
Kognition fällt lediglich, aber auch ausschliesslich, die Erörterung
über Existenz und Grösse des Schadens Mit dieser in ähnlicher Form
auch in andern Gesetzgebungen sich findenden und auf französische
Anschauungen zurückgehenden Vorschrift (s. Ziegler, Referat über
die Haftung des Staates für Versehen ec. der Beamten, Zeitschr. für
schw. Recht, n. F. 7 S. 523 ff. und Otto Mayer, Verwaltungsrecht, I
S. 234) wird die gerichtliche Geltendmachung der Schadenersatzansprüche
von einer vorgängigen Verantwortlichkeitserklärung durch die kompetenten
Verwaltungsbehörden abhängig gemacht. Es wird dadurch die Zulässigkeit
des Rechtswegs für den fraglichen kantonairechtlichen Anspruch schlechthin
beschränkt, und das genannte Requisit, dessen Borhandensein von Amteswegen
zu prüfen istif gilt daher zweifellos auch für die Klage vor Bundesgericht
(nei-gl. AS 3 S. 417 f.). An einer solchen vorgängigen Feststellung
der Amtspflichtverletzungen der betreffenden Behörden und Beamten fehlt
es vor-

liegend. Indessen wird jene Bestimmung, wie dem Bundesgericht

(u. a. aus durchaus zuverlässigen persönlichen Mitteilungen) bekannt ist,
in ständiger Praxis der bernischen Gerichte und Admi- nistrativbehörden
dahin ausgelegt, dass sie sich nur auf die Klage!. Zlvüstreitigkeiten
zwischen Kantonen und Privaten, etc. N° 28. 185

gegen den angeblich fehlbaren Beamten und nicht auch auf die
Verantwortlichkeitsklage gegen den Staat beziehe (s. z. B. ein Urteil
des bem. Appellationsund Kassationshofes in Sachen Blum, Zeitschr. des
Bern. Juristenvereins 13 S. 327, und Ziegler a. a. O. S. 524). Jn
diesem Sinn hat sich denn auch der Regierungsrat des Kantons Berti
dem Bundesgericht gegenüber in einem früheren Fall ausgesprochen (AS
7 S. 144), und es stimmt damit überein, dass im gegenwärtigen Prozess
eine bezügliche dilatorische Einrede seitens des Beklagten nicht erhoben
worden ist. Und wenn nun auch ein innerer Grund für jene Unterscheidung
kaum ersichtlich ist, so lässt sich immerhin für die Auslegung der
bernischen Behörden die Stellung des Art. 48 im Gesetz bei den Normen
über die Klage gegen Behörden, Beamte und Angestellte direkt und vor §
51, der von der Klage gegen den Staat handelt, sowie der mit Art. 15 KV
sich denkende Wortlaut der letztern Bestimmung anführen, der besagt, dass
Verantwortlichkeitsansprüche unmittelbar gegen den Staat geltend gemacht
werden können und als Voraussetzung der Klage nur das Formerfordernis
der vorgängigen Anmeldung des Anspruchs beim Regierungsrat erwähnt. Da
es sich um ein kantonales Gesetz handelt, so kann der konstanten und
gewiss sehr wohl vertretbaren Interpretation der bemischen Behörden
gegenüber für das Bundesgericht kein Anlass gegeben sein, durch eine
abweichende, strengere Auslegung die gerichtliche Geltendmachung der
Verantwortlichkeitsansprüche gegen den Staat Bern zu beschränken.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 32 II 183
Datum : 24. Januar 1906
Publiziert : 31. Dezember 1907
Quelle : Bundesgericht
Status : 32 II 183
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 182 A. Entscheidungen des Bundesgerichts als oberster Zivilgerichtsinstanz. die


Stichwortregister
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