JKL A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungem

46. game vom 111. Juni 1906 in Sachen Yenz gegen CKanten game.

Verletzung der Eigentumsgarantie: Voraussetzungen der Expropriatia-n
nach kantanalem (bem.) Recht. 589 bem. KV. Stellung des Bzendesgffl'ichts.

A. Unterm 30. November 1905 beschloss der Grosse Rat des Kantons
Beru auf Antrag des Regierungsrates: Der Société des Usines de Louis
de Roll in Choiudez wird behufs Erwerbung des auf der Besitzung der
Fräulein Marie Renz Derrière le Vevay befindlichen Quellwassers
nach Massgabe des vorgelegten Situationsplanes das Expropriationsrecht
unter dem ausdrücklichen Vorbehalt erteilt, dass der Erpropriatin nach
den Anordnungen der Baudirektion vorrangsweise das auf ihren dortigen
Besitzimgen bisher tatsächlich verwendete und eventuell noch Benötigte
Trinkund Brauchwasser zur Verfügung gestellt wird und zwar nach
Massgabe der von der genannten Gesellschaft gemachten Zusicherungen.
Die Rekurrentiu halte gegen die Erteilung des Expropriationsrechts
Einsprache erhoben. Der Antrag des Regierungsrates war wesentlich
folgendermassen begründet: Auf Grund der Erhebungen der technischen
Organe der Baudirektion und eines unter Mitwirkung der Beteiligten
eingenommenen Augenschein-Z sei in einer jeglichen Zweifel beseitigenden
Weise festgestellt worden, dass der von der gesuchstellenden Gesellschaft,

den von Roll'schen Eisenwerken, behauptete Wassermangel wirklich

vorhanden sei. Wie dem Bericht des Bezirksingenieurs zu entnehmen
sei, bilde Choindez eine Sektion der Gemeinde Courrendlim mit einer
eigenen Schule, Eisenbahnstation und besonderem PostBureau. Die an
der projektierten Wasserversorgung interessierte Bevölkerungszahl sast
ausschliesslich Arbeiter des Rotl'sche1t Etablissements berechne der
Bezirksingenieur auf zirka 700 Seelen. Choindez sei gegenwärtig mit
einer Trinkund Brauch-

wasserversorgung in Kombination mit einer Hydrantenanlage ver,

sehen, welche von der Hälfte der auf dem Grundstück der Fräulein Renz
gefassten Quelle gespiesen werde. Diese Quelle habe aniak-Eingrifle in
garantierte Rechte. N° 46. 313

lich einer am 31. Oktober 1905 vorgenommenen Messung zirka 500
Minutenliter ergeben. Der Minimalerguss soll 400 Minutenliter
betragen. Unter normalen Verhältnissen könnten die auf die Bevölkerung
von Choindez entfallenden 200250 Minutenliter als für die betreffende
Ortschast hinlänglich bezeichnet werden. Nun sei aber in concreto nicht
ausser acht zu lassen, dass Choindez als Hochofenwerk und Giesserei
ausser-gewöhnliche Bedürfnisse an Trinkund Brauchwasser zu befriedigen
habe. Abgesehen von sechs laufenden Brunnen, welche den bei grosser Hitze
arbeitenden Männern stets gutes frisches Trinkwasser zu liefern Batten,
stelle das Eisenwerk den Arbeitern Bäder und Douchen zur Verfügung und
schaffe damit Wohlfahrtseinrichtungen, die in keinem Etablissement dieser
Art fehlen sollten und ein dringendes Gebot der modernen Gesundheitspflege
befriedigten. Nebsidem versorge die Hydrantenanlage der Fabrik auch die
Wohnhäuser der Arbeiter mit den erforderlichen Hahnen und treffe damit
wirksame Vorbeugungsmassregeln gegen Brandfälle Laut dem Bericht des mit
der Untersuchung der Verhältnisse betrauten Bezirksingenieurs hätten nun
die Eisenwerke von Choindez im Sommer unter Wassermangel zu leiden. Die
Bäder können nur unregelmässig verabfolgt werden. Die Hydrantenanlage,
welche auf ein Reservoir von 130 In3 Vorrat angewiesen sei, vermöge im
Brandsalle den gestellten Anforderungen nicht zu genügen. Die Tatsache des
vorhandenen Wassermangels werde von der Gemeindebehörde von Courrendliu
bestätigt und gleichzeitig das vorliegende Gesuch warm befürwortet. Die
Möglichkeit, diesem Übelstände durch Fassen einer Quelle auf dem
Gebiet der Gemeinde Courrendlin oder in der Nachbarschaft abzuhelfen,
sei nicht gegeben. Courrendlin scheine selber unter Wassermangel zu
leiden. Die Quelle von Vevay bilde daher die einzige Möglichkeit, um die
projektierte Wasserversorgung resp. die Erweiterung der unzulänglichen
Hydrantenanlage rationell und den normalen Bedürfnissen entsprechend
durchzuführen Da an der Realisierung des vorliegenden Projekt-Z neben
den privaten Interessen der gesuchstellenden Gesellschaft die Interessen
der gesamten dortigen Bevölkerung in hohem Masse beteiligt seien und
der in Aussicht genommenen Wasserversorgung daher die Bedeutung einer
Wohlfahrtseinrichtung ersten Ranges

314 A. Staatsrechtliche
Entseheidungen. HI. Abschnitt. Kantonsverfassungeu,

ohne weiteres zugestanden werden müsse, so erscheine der Einwand
der Qpponentin, es handle sich für die Peteutin einzig und allein um
die Auswirkung privater Vorteile, völlig unbegrüudet. Ebenso scheine
der weitere Einwand der Einsprecherin, der Gesellschaft der Rott'schen
Eisenwerke ständen in Courrendlin und Choindez selber anderweitige Quellen
zur Verfügung, den tatsächlichen Berg hältnissen nicht zu entsprechen
Die Voraussetzungen für die Erteilung des Erpropriationsrechts seien
daher vorliegend gegeben.

B. Gegen diesen Beschluss des Grossen Rates hat Fräulein Renz den
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen mit den Anträgen: Der
angefochtene Beschluss sei aufzuheben. Eventuell: Es sei der Beschluss an
den Grossen Rat zurückzuweisen mit dem Auftrag, das Expropriationsrecht
für die Quelle nur zu gewähren, insoweit das der Quelleneigentümerin
verbleibende Wasserquantum hinlänglich ausreicht, um das dem Gutshof
nötige Wasser mittelst hydraulicher Widderanlage in den Pachthof zu
führen. Als Beschwerdegrund wird geltend gemacht, dass der Beschluss
in willkürlicher Weise das Eigentumsrecht der Rekurrentin verletze und
dem Grundsatz widerspreche, dass die Erpropriation nur aus Gründen des
öffentlichen Wohls erfolgen dürfe. Es wird des langem ausgeführt, dass
mit dem zur Zeit vorhandenen Wasser

die Bedürfnisse der Arbeiterbevölkerung der Eisenwerke Choindez,.

und zwar sowohl die persönlichen Bedürfnisse als auch die Bedürfnisse für
Badund Löscheinrichtungen in überreichem Masse gedeckt seien. Wenn die
Gesellschaft der von Roll'schen Werke mehr Wasser bedürfe, so könne dies
nur für die privaten Zwecke ihres Betriebes der Fall sein. Es stünden also
nicht das öffentliche Wohl, sondern einzig und allein Privatinteressen
in Frage. Die Rekurrentin verlangt, dass das Bundesgericht über die
Bedürfnis-frage eine Expertise erhebe.

C. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat auf Abweifung des Rekurses
ungetragen und einen Bericht des in der Angelegenheit als Fachexperten
verwendeten Jugenieurs des fünften Bezirkes eingelegt, der die Angaben
des regierungsrätlichen Antrages bestätigt. ss

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. § 89 Bern. StsV stellt als materielle Voraussetzung für dieEingriffe
in garantierte Rechte. N° ciò. 315

Pflicht zur zwangsweisen Abtretung eines Gegenstandes des Eigentums,
unter der sie als Ausnahme von dem Grundsatz der Unverletzlichkeit des
Privateigentums zugelassen iii, auf, dass das gemeine Wohl die Abtretung
erfordere. Wie schon oft ausgesprochen wurde, steht dem Bundesgericht,
wenn ein kantonales Expropriationsdekret wegen Mangels des Requisjtes
des öffentlichen Wohls angefochten wird, keine freie Überprüfung des
fraglichen Erlasses auf das Vorhandensein jenes Erfordernisse-s zu,
sondern seine Kognition geht nur darauf, ob die Voraussetzung, dass das
gemeine Wohl die Abtretung heische, ganz offenbar, d. h. in willkürlicher
Weise als erfüllt erachtet worden sei, indem insbesondere das öffentliche
Jnteresse bloss vorgeschoben wäre, um Privatinteresseu die Vorrechte zu
verschaffen, die nur für di Erreichung allgemeiner Zwecke gegeben sind
(s. z. V. AS h, bg. E. 31 I S. 21).

2. Prüft man danach das angefochtene Deh-et des Grossen Rates, so kann
kaum ein Zweifel sein, dass dieser Behörde oder dem Antrag stellenden
Regierungsrat der Vorwurf, er habe in willkürlicher Weise angenommen,
dass die Enteignung der fraglichen Quelle durch das öffentliche Interesse
gefordert merde, während sie in Wahrheit lediglich Privatinteressen dienen
soli, nicht gemacht werden kann. Nach den tatsächlichen Erhebungen
des .Regierungsrates, die vom Bundesgericht im staatsrechtlichen
Rekursverfahren selbstverständlich nicht nachgeprüft werden können,
sondern als richtig hinzunehmen sind (so dass auch für Erhebung
einer Erpertise kein Raum bleibt), durfte gewiss unbedenklich und ohne
Willkür angenommen werden, dass die sanitarischen und seuerpolizeilichen
Bedürfnisse von Choindez die anleitung der zu erpropriierenden Quelle als
dringend wünschbar erscheinen liessen, und dass diese Bedürfnisse auch
nicht auf andere Weise, durch Beschafer von anderem Wasser, befriedigt
werden könnten. Es wird hiebei gewiss mit Recht darauf abgestellt, dass
eine ausschliesslich industrielle-, in einem Hochofenwerk mit Giesserei
arbeitende Bevölkerung einen erheblich grössern Wasser-bedarf hat, als
die BeVölkerung einer grossen Stadt, wie z. B. Basel im Durchschnitt
Dabei ist zuzugeben, und es wird dies auch vom Regierungsrat nicht in
Adrede gestellt, dass die projektierte Erweiterung der

316 A. Siaatsrechiliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungem

Wasserversorgung zugleich auch im privaten Interesse der don Nofl'schen
Werke liegt, und es mag zu diesem Privatinteresse

vielleicht sogar die Verforgung der Wohlfahrtseinrichtungen der _

Werke Badeund Douchen-Jnstallation gerechnet werden. Allein aus der
Verfassung kann nicht gefolgert werden, dass ein Unternehmen, damit
ihm das Expropriationsrecht verliehen werden darf, ausschliesslich
öffentlichen Interessen dienen müsse; vielmehr

muss es genügen, wenn neben dem privaten auch das öffentliche '

Interesse dessen Durchführung zur Seite steht (s. z. B. AS d. bg. E. 24 I
S. 686). Ebensowenig kann die Zulässigkeit der Zwangsenteignung deshaib
bestritten werden, weil nicht der Staat odereine Gemeinde, sondern
eine Privatgesellschast das Unternehmen durchführt. Die Verleihung des
Expropriationsrechts an Privat-

gesellschasten, die ein mit vom allgemeinen Wohl gefordertes Werk-

erstellen, ist ja im Expropriationsrecht eine häufige Erscheinung,
und nichts in Art. 89 KV deutet darauf hin, dass sie nach bernischem
Verfassungsrecht nicht zulässig sein soll.

3. Der Rekurs ist nach dem gesagten unbegründet und muss daher abgewiesen
werden. Auf das eventuelle Begehren der Rekurrentin, das aus die
Erteilung einer positiven Weisung an den Grossen Rat aus Abänderung oder
Ergänzung des Dekrets zielt, kann bei der rein kassatorischen Funktion
der staatsrechtlichen Beschwerde von Vornherein nicht eingetreten
werden. Übrigens ist nicht ersichtlich, dass in dieser Beziehung nicht
alle Rechte der Rekurrentin durch den Vorbehalt im Dekret gewahrt sein
sollten.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.Auslieferung. 1. Vertrag mii Deutschland. N°
47. 317

Vierter Abschnitt. Quatriéme section.

Staatsverträge der Schweiz mit dem Ausland.

Traités de la Suisse avec l'étranger. _Auslieferung. Extradition.

1. Vertrag mit Deutschland. Traité avec l'Allemagne.

47. guten vom 28. Yuan,-is 1906 in Sachen Dies-hauen

Zit. Amt. Vertrag, Art. 7. Stellungdes Bundesgericktes ;
Akten-vervollständigung nach Art. 23 Abs. 2 AUSL-GBS. Amtsunterschiagung
und einfache Unterschiagug; Art. 1 Ziff. 21 u. 12
Aus].Verir'ag. Voraussetzung der Strafirerfaigung fü?" erstens
Deli-Fri ist nachAusl. Vertr. nur, dass es in Deutschland strafbar
sei. Begriff der Amtsunterschlfligung sue-obs 350 DStGB. Verjährung ;
Art.. 5 AHL-Vertrag. 5224 zürch. StGB. Einfache Unterschlagung nach; zu:
ch. StGB, § f82. Erlöschen der Strafverfoigmig, 553 eod. -Politisches
Deliki? Art. 4 Abs. 1 AUSL-Vertrag. AM. 9 Ami.Vertrag.

A. Am 29. Januar 1908 wurde in Zürich der dort wohnhaste Alfred Stephany,
gewesener Polizeikommissär aus Strassburg, verhaftet, gestützt auf eine
Ausschreibung im ElsasssLothfinger Polizeianzeiger vom 24. Januar 1906,
worin der K·aiserl. I. Staatsanwalt in Strassburg um Verhaftung des
Genannten wegen Unterschlagung im Amte nachsuchte. Der Angeschuldigte,
der bestritt, sich der Unterschlagung im Amte schuldig gemacht zu haben,
willigte anfänglich in seine Auslieferung ein, protestterte aber dagegen
für den Fall, als seine Auslieferung lediglich wegen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 32 I 312
Datum : 11. Juni 1906
Publiziert : 31. Dezember 1907
Quelle : Bundesgericht
Status : 32 I 312
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : JKL A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungem 46.


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • bundesgericht • wasser • deutschland • gemeinde • enteignung • privates interesse • entscheid • zweifel • mass • frage • gesuchsteller • kv • weisung • stelle • verfassungsrecht • unternehmung • festnahme • erlass • voraussetzung
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