654 A. Staatsrechtliche Entscheidungen I. Abschnitt. Bundesverfassung.

welch letztern-c auch die Erzeugung des nach Solothurn gelieferten
Rohstroms und die kaufmännische und technische Oberleitung über
die solothurnischen Anlagen gehören. Eine Ausscheidng ist, wie im
technischen Gutachten gezeigt wird, in der Weise möglich, dass die
Selbsterzeugungskosten des Stroms beim Eintritt in den Kanton Solothurn
berechnet und hier ein angemessener Zuschlag als Gewinn gemacht wird. Der
Experte gelangt so zu einem Preise von 165 Fr. per ein Kilowatt und
Jahr (gleich dem im Vertrag mit der Gemeinde Grenchen für den Fall
des Rückkaufs vereinbarten Einheitspreis) und berechnet danach unter
Berücksichtigung der Verzinsung, Amortisation und Bewachung der Anlage
in Grenchen und Bettlach den Nettogewinn, den die Rekurrentin aus der
Stromabgabe im Kanton Solothurn zieht, auf rund 5440 Fr. Vergleicht
man diesen Betrag mit der auf 20,000 Fr. sich belauden Schätzung
des Regierungsrates von Solothurn, so liegt die Vermutung nahe, dass
hier dem Kanton Solothurn fremde Erwerbsfaktoren mitbesteuert werden
sollen. In der Tat deutet auch die Formulierung des steuerpflichtigen
Reingewinns im angefochtenen Entscheid als der Differenz zwischen der
Gesamteinnahme für Stromabgabe in Solothurn und der Gesamtausgabe für
die Erzeugung der abgegebenen Energie, für Verzinsung und Amortisation
des Anlagekapitals u. s. w. darauf hin, dass Solothurn auch einen
Geschäftsgewinn, der auf die Erzeugung des gelieferten Rohstroms in
der Zentrale entfällt und der ausschliesslich den Kanton Bern ang-ehi,
mit Steuern belegen will, und insofern dies der Fall ist, würde man es
mit einer unzulässigen Doppelbesteuerung zu tun haben. Unter Hinweis aus
die vom Bundesgericht im Falle Sarasin Stähelin & Cie. (A. S., XXIII,
S. 506, Erw. 2) entwickelten Grundsätze, nach welchen in solchen Fällen
die Ausscheidung der kollidierenden Steuerhoheiten zu erfolgen hat, muss
daher der angefochtene Entscheid, soweit die Einkommensteuer betreffend,
aufgehoben und die Sache an den Regierungsrat von Solothurn zurückgewiesen
werden, damit er das steuerpflichtige Einkommen der Rekurrentin auf der
angegebenen verfassungsmässigen Grundlage neu festsetze, unter genauer
Bezeichnung der für seine Berechnung massgebenden Faktoren, namentlich
des Preisansatzes für den Strom, wie er in den Kanton Solothurn eingeführt
wird.Ill. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 111. 655

Schliesslich mag noch der Behauptung der Rekurrentin gegenüber, dass
sie infolge zu hoher Besteuerung durch den Kanton Beru Überhaupt kein
Einkommen habe, bemerkt werden, dass die blosse Taration des in Solothurn
steuerpflichtigen Einkommens, die natürlich unabhängig von der Taration
des in Bern zu versteuernden Erwerbs erfolgen kann, mit der Frage der
Doppelbesteuerung nichts zu tun hat und auch durch das Bundesgericht als
Staatsgerichtshof nicht aus ihre Richtigkeit nachgeprüft werden könnte.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird, soweit er sich auf "die Vermögenssteuer bezieht,
abgewiesen. Soweit er sich aus die Einkommensteuer bezieht, wird der
Reknrs als teilweise begründet erklärt. Demgemäss wird der Entscheid
des Regierungsrats des Kantons Solothurn vom 3. März 1903 soweit die
Einkommensteuer betreffend aufgehoben und die Sache zu neuer Behandlung
im Sinne der Motive an ss den Regierungsrat zurückgewiesen. '

Vergl. Nr. 105.

III. Gerichtsstand des Wohnortes. For du domicile.

111. Urteil vorn 20. Oktober 19055c in Sachen Güntert gegen Wahli
(Gewerbegericht Bern).

W oimsitz: selbständige Z weigniecierlassung ?

A. Der Rekurrent betrieb in Zürich unter der Firma F. W. Güntert ein
seit 1. Juni 1904 auf eine Aktiengesellschaft übergegangenes Kolonialund
Spezereiwarengeschäft mit auswärtigen Ablagen, deren eine sich in Bern
(Metzgergasse 24) befindet. Für diese Berner Ablage hatte er am 2. Mai
1903 die Rekursbeklagte

xxx, 1. 1904 43

656 A. Staatsreehtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Anna Wahli als Verkäuferin angestellt. Im Sommer 1904 wurde dieses
Vertragsverhältnis aufgelöst. Hiebei konnten sich die Parteien über die
daraus resultierende Abrechnung nicht einigen. In der Folge machte die
Rekursbeklagte beim Gewerbegericht der Stadt Bem gegen den Rekurrenten
eine Forderungsklage anhängig. Als der Rekurrent vom Zentralsekretariat
der Gewerbegerichte hievon in Kenntnis gesetzt wurde, bestritt er
sowohl die Forderung, als auch den Berner Gerichsstaud (das letztere
unter Hinweis darauf, dass er in Bern kein Domizil habe), erhielt
aber gleichwohl am 8. Juli 1904 eine Vorladung zur Hauptverhandlung
vor das Gewerbegericht, die vom Zentralsekretariate ans neuen Protest
des Rekurrenten ausdrücklich aufrechterhalten wurde mit dein Bemerken,
der Rekurrent müsse seine Gerichtsstandseinrede an der Verhandlung
selbst vorbringen.

B. Hierauf hat Güntert gegen die erwähnte Vorladung rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag,
dieselbe fei, weil mit Art. 59 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV nicht vereinbar, aufzuheben. Er
führt zur Begründung aus: Der Rekurrent sei aufrechtstehend und
habe in Zürich festes Domizil. Er könnte daher für die streitige
Forderung in Bern nur belangt werden, wenn die dortige Geschäftsablage
als Zweigniederlassung im Sinne der Gerichtspraxis ein besonderes
Geschäftsdomizil begründen würde. Um eine solche Zweigniederlassung
aber handle es sich nicht. Der Rekurrent habe in Bern lediglich
ein Ladenlokal gemietet, in welchem seine Verkäuferin die von ihm
kommissionsweise bezogenen Waren absetze. Selbständige Bedeutung komme
dieser Verkaufsstelle nicht zu; denn sie habe keine eigene Komptabilitätz
die Wareneinkäuse würden durch die Geschäftsleitung in Zurich besorgt
und die Lieferungen an die Verkaufsstelle bei periodischen Inventuren
zur Abrechnung gebracht; der Rekurrent bezahle in Bern keine Steuern
und habe dort kein Gewerbe-Patent irgend welcher Art gelöst.

C. Obmann und Zentralsekretär der Gewerbegerichte der Stadt Bern tragen
auf Abweisung des Reknrses an, indem sie wesentlich geltend machen: Es
handle sich bei der fraglichen Verkaufsstelle um eine Zweigniederlassung
des Kaufhauses in Zurich. Jene stelle einen ständigen Geschäftsbetrieb
mit selbständigein, wenn auchm. Gerichtsstand des Wohnortes. N° Mi. 657

nach'Weisung des Geschäftsinhabers erfolgendem Abschlusse von
Detailverkäufen der Spezereiund Kolonialwarenbrauche dar. Der Rekurrent
habe denn auch, für seine Filiale, in Bern die behördliche Bewilligung für
den Verkan von Petrol und Weingeist bei der stadtischen Polizeidirektion
nachgesucht und erhalten, und sei ferner im August 1903, bei der
beruischen Direktion des Innern fürk sein Etablissement um ein Patent für
den Kleinverkauf von Wein und Bier unter der Leitung der Geschäftsführerin
Il. Wahli eingekommen, das ihm jedoch wegen mangelnden Bedürfnisses
einer weiteren Verkaufsstelle nicht erteilt worden sei. Tatsächlich habe
also danach die Rekursbeklagte die Waren des Rekurrenten als dessen
Geschäftsführerin, und nicht eigene kommissionsweise von ihm bezogene
Waren verkauft Auch sei für die Filiale Bern eine eigene Komptabilität
geführt worden, wofür die Bücher jener als Beweis angerufen würden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Ausführung, dass der Rekurrent zur Anfechtung schon der Vorladung vor
den angeblich nnzuständigen Richter befugt sei.) n.2. Das Gewerbegericht
der Stadt Bern leitet die streitige Zustandigkeit aus der Annahme ab,
dass die in Beru befindliche Verkaufsstelle des Kaufhauses Zurich,
mit deren Betrieb die eingeklagte Forderung zusaminenhängi, dort ein
besonderes Geschäftsdomizil des Rekurrenten begründet habe, d. h. als
Zweigniederlassung seines Hauvtgeschäftes in Zürich zu betrachten sei. Nun
ist ein solches Domizil, eine gerichtsstandsbegründende Zweigniederlassung
gemäss der bundesgerichtlichen Praxis da vorhanden, wo geschäftliche
Tätigkeit eines Unternehmens ausserhalb seines Hauptetablissements dauernd
und, wenn auch in Verbindung mit dem Hauptetablissement, doch mit gewisser
Selbständigkeit ihm gegenüber sich abspielt. In solchem Verhältnis
aber steht gegenwärtig die Berner Verkaufsstelle zu dem Geschast m
Zürich Zwar scheint der Rekurreut mit seinem Hinweis darauf, dass die
Rekursbeklagte die in Bern verkauften Waren laut ihrem Ansiellungsvertrage
kommissionsweife von ihm bezogen habe, vorab behaupten zu wollen, dass
das Berner Geschäft überhaupt nicht auf seinen Namen geführt worden sei,
dass also ein äusserer Zusammenhang mit dem Kanfhaus in Zürich fehle;
allein er hat tatsachlich die fragliche Verkaufsstelle nach aussen als
sein Geschäft

658 A. Staatsrechlliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

behandelt, wie schon daraus, dass er nach eigener Angabe das Ladenlokal
gemietet hat, sowie aus den vom Gewerbegericht angeführten und belegten
Tatsachen hervorgeht, dass er in Bein die behördlichen Handelspatente (für
den Verkauf von Petrol Und Weingeist und den Kleinverkaus von geistigen
Getränken) nachgesucht hat. Auch der Inhalt des Vertrages zwischen dem
Refin-ren: ten und der Rekursbeklagten bestätigt diese Annahme; denn wenn
der Relursbeklagten danach auch die Waren zum Verkaufe kommissionsweise
übergeben werden, so lässt doch die Festsetzung eines fixen Monatsgehalts
für sie (neben bestimmter Provision), sowie die Übernahme der Kosten für
Heizung und Beleuchtung des Verkausslokals durch den Rekurrenten deutlich
erkennen, dass die Rekursbeklagte tatsächlich nicht Verkausskommissionär,
d. h. selbständige Inhaberin des Ladens, sondern im Dienstverhältnis
stehende Angestellte, Geschäftsführerin des Reknrrenten war. -Übrigens
macht der Rekurreut im weitern selbst geltend, dass der Laden in Bern
deswegen nicht als Zweigniederlassung des Zürcher Geschäftes angesehen
werden könne, weil er diesem gegenüber keine Selbständigkeit habe,
anerkennt also damit die Betriebszusammengehörigkeit der beiden
Etablissamente Der Einwand mangelnder Selbständigkeit der Filiale
Bern geht jedoch fehl. Diese Filiale erscheint im Verkehr nach aussen
zweifellos als besondere Handelsniederlassung; denn in ihr vollzieht
sich in durchaus selbständiger Weise der wesentliche Geschäftsbetrieb
einer Detail-Spezereiund Kolonialwarenhandlung, nämlich der Verkaufund
die Abgabe der einschlägigen Waren an das Publikum. Der Umstand, dass die
Anschastng der Waren durch das Hauptgeschäft in Zürich erfolgt und durch
dessen Vermittlung der Filiale geliefert wird, bildet kein entscheidendes
Gegenargumeni, da sich der Warenankauf doch mehr nur als Hülfstätigkeit
für den eigentlichen, den Erwerb realisierenden Geschäftsbetrieb des
Warenabsatzes qualifiziert. Und bezüglich der Komptabilität ist ohne
weiteres klar, dass der selbständige Warenverkaus eine selbständige
Buchführung bedingt, wie denn der Rekurrent selbst angibt, dass die
Abrechnung der Filiale mit dem Hauptgeschäst jeweilen bei periodischer
Jnventuraufnahme erfolge, was eine eigene Komptabilität der Filiale für
die Abrechnungsperioden vor-aussetzt

Nach dem Gesagten muss die Filiale Bern als
Zweigniederlas-III. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 112. 659

sung des Kaufhauses Zürich bezeichnet werden, und es weigert sich daher
der Rekurrent mit Unrecht, in dem streitigen Forderungsprozesse vor dem
bernischen Richter zu erscheinen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

112. Urteil vom 15. Dezember 1904 in Sachen Nussbaum gegen Rohrbach
(Appellationsund Kassationshos Bern).

Vaterschafàs(Alimentmd Klage. Wohnsitz. (Angesteléter des eidg.
Z ent-ralremontendepots . ) Beweislast.

A. Der Rekurrent, der Angestellter des schweiz. Zentralremontendepots in
Bern und als solcher gemäss reglementarischer Bestimmung verpflichtet
ist, seinen Wohnsitz in Bern zu nehmen, wurde von der Rekursbeklagten
vor dem Amtsgericht Seftigen mit einer Vaterschaftsklage aus Leistung
von Alimenten belangt. Die Zusiellung der Klage, die nach bernisrhem
Prozessrecht die Streithängigkeit bewirkt, erfolgte am 21. Juli 1903. Der
Rekurrent erhob die Gerichtsstandseinrede, indem er geltend machte,
er habe seinen Wohnsitz im civilrechtlichen Sinne in Aarau; dort müsse
er sich einen grossen Teil des Jahres dienstlich aufhalten und dort habe
er im April 1903 eine Wohnung auf den 1. Juli 1903 gemietet, die er dann
allerdings erst später nach seiner Verheiratung bezogen habe. Aarau sei
daher der Mittelpunkt seiner Tätigkeit und Existenz Und da er vorher,
d. h. bis zur Begründung seines Domizils in Aarau, seinen Wohnsitz bei
seinem Vater in Flamatt gehabt habe, so sei er jedenfalls zur Zeit der
Klageeinlegung nicht im Kanton Bern domiziliert gewesen.

Das Amisgericht Sestigen wies die Gerichtsstandseinrede ab und der
Appellationsund Kassationshof des Kantons Bern bestätigte dies durch
Urteil vom 6. September 1904. In der Begründung des letztern Entscheides
wird ausgeführt, dass seitens des Rekurrenten der Nachweis dafür, dass
vor-liegend der Anwendung der
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 30 I 655
Datum : 01. Juni 1904
Publiziert : 31. Dezember 1904
Quelle : Bundesgericht
Status : 30 I 655
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 654 A. Staatsrechtliche Entscheidungen I. Abschnitt. Bundesverfassung. welch letztern-c


Gesetzesregister
BV: 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • zweigniederlassung • bezogener • regierungsrat • unternehmung • bundesverfassung • aarau • weiler • doppelbesteuerung • berechnung • kenntnis • entscheid • kauf • wohnsitz • vertrag • autonomie • solothurn • sachverständiger • begründung des entscheids • bescheinigung
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