312 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.

welches einerseits (in den Art. 25 28) die materiellen Schranken
desselben erschöpfend regelt, anderseits (in den Art. 29 ff.) die
Formalien des Eheabschlusses vorschreibt. Deshalb sind Beschwerden
wegen Verletzung des fraglichen Berfassungsgrundsatzes begrisslich
notwendig gegen die Anwendung dieses Bundesgesetzes gerichtet Als
solche, d. h. als Beschwerden gegen die Anwendung eines aus Grund der
VB erlassenen Bundesgesetzes, aber fallen sie, gemäss Art. 189 Al. 2
DG, in die Kompetenz des Bundesrates, eventuell der Bundesversammlung,
soweit nicht die Mindesgerichtliche Entscheidung derselben ausdrücklich
Vor-gesehen ist Dies

ist nun zweifellos nicht der Fall hinsichtlich der Streitsachen übers

die formellen Voraussetzungen des Eheabschlussesz denn dabei handelt es
sich um Fragen rein administrativen Charakters,

welche vom Bundesrate als Oberaufsichtsbehörde des Civilstands_

wesens zu entscheiden sind. Als zweifelhaft mag dagegen erscheinen, ob
nicht in Streitsachen betreffend den materiellen Umfang und Jnhalt des
Eherechtes, die sachlichen Ehehinderungsgründe, der staats-rechtliche
Nekurs an das Bundesgericht zulässig sei, indem das Recht zur Ehe
als verfassungsmässiges Jndividualrecht gestützt aus Art. 178 OG dem
Schutze des Bundesgerichts unterstellt werden könnte, wie dieses
im Falle Meyer und Ammann (Umts. Samml. der Entsch., Bd. XXIII,
S. 1390 ff.) tatsächlich angenommen hat. Doch kann dies vorliegend
dahingestellt bleiben; denn streitig ist hier nur die Anwendung einer
Formvorschrift für den Eheabschluss, während dem Rekurrenten, wie der
Regierungsrat im angefochtenen Entscheide ausdrücklich bemerkt, das
Recht zur Ehe an sich nicht abgesprocben wird. Dadurch unterscheidet
sich der gegebene Fall von dem im übrigen allerdings analogen Falle
Meyer und Ammann, indem dort die Regierung des Kantons Bern den
Reknrrenten als Heimatloseu direkt das Recht, sich zu verheiraten,
bestritten hatte. Folglich fällt der dorliegende Rekurs nicht in die
bundesgerichtliche Kompetenz. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Auf den Rekurs wird nicht eingetreten.ii. Civilrechfl. Verhältnisse der
Niedergelasseuen und Aufenthalt. N° 55. 313

III. Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

Rapport-.S de droit civil des citoyens établis ou en séjour.

55. Urteil vom 22. April 1904 in Sachen Senn gegen Erben Henz
bezw. Obergericht Luzern.

Art. 22 Abs. 2 BG betr. einige-. Ve-rh. 93. N. u. A. : Unte-rszîellu-ng
dee Erbfolge unter das Recht des Heimaèoz'tes des'Erblassz-rs. Die
Untersteèlunj muss ausdrücklich geschehffle. Zeitliche Hewscheeft,
Entstehungsgeschich-te med Zweck des Gesetzes. Art. 178
Ziff. 3 : rein lin.58atmiscbe Funktion des siaatsreckälichen
Reifen-mes. -Paris-Zentsckddigemg, Asirt. 221 Abs. 5 OG.

Das Bundesgericht hat, da sich ergeben:

A. Im Jahre 1903 starb in Luzern der in Aarau heimatberechtigte, seit
Jahren in Luzern wohnhafte Emil Henz unter Hinterlassung eines am
8. Oktober 1887 in Luzern errichteten eigenhändigen Testamentes, das
folgendermassen lautet: Ich setze anmit bei guten Verstande-straften
auf mein dereinstiges Absterben meine Ehesrau Emma Henz geb. Fräukel
zur alleinigen Er-bin meiner ganzen Beriassenschaft zu Eigentum ein.
Die Ehesrau Henz starb wenige Tage nach ihrem Ehemann. Die Rekurrentin,
eine Schwestertochter des Emil Hertz, focht das Testament gestützt auf
§ 428 des luz. BGB an, wonach Personendie Erben II. Klasse -wozu auch
Geschwisterkinder gehören {è 401) hinterlassen, nur über die Hälfte
ihres Vermögens durch letztwillige Willensverordnung verfügen können, und
verlangte dementsprechend, dass das Testament des Henz in die gesetzlichen
Schranken zurückgesetzt und der Rekurrentin als einziger Erbin II. Klasse
das Recht aus die Hälfte des Nachlasses zugesprochen merde. Hiebei
berief sich die Rekurrentin für die Anwendbarkeit luzernischen Rechts
auf Art. 22 Abs.1 des BG betr.

314 A. Staatsrechtliche. Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

civilr. V. d. N. u. A., während die Beklagten, die Erben der Frau
Henz, geltend machten, dass gemäss Art. 22 Abs. 2 des. letztcitierten
Gesetzes die Gültigkeit des Testamentes sich nach aargautschem
Recht beurteile, nach welchem (BGB §§ 912 und 882) der Testator
gegenüber Erben HI. Klasse, zu denen die Rekurrentin gehört, über
die ganze Verlassenschast zu verfügen berechtigt isf. Mit Urteil vom
9. Dezember 1903 wies das Obergericht des Kantons Luzern die Klage der
Rekurrentin zweitinstanzlich ab. In der Begründung wird festgestellt,
dass diematerielle Gültigkeit der letztwilligen Verfügung des Henz davon
abhänge, ob luzernisches oder aargauisches Recht zur Anwendung femme;
die Parteien seien einig, dass die Frage, welches Recht massgebend sei,
sich nach der im Momente des Todes des Erblassers, nicht der Errichtung
des Testamentes geltenden Kollisionsnorm entscheide, d. h. nach Art. 22
BG betr. civilr. B. d. N. u. A. Darnach komme das Recht von Luzern
als des letzten Wohnsitzes des Erblassers zur Anwendung (Abs. 1),
falls nicht etwa Henz durch letztwillige Verfügung die Erbfolge dem
Rechte seines Heimatkantons Aargau unterstellt habe (Abs. 2). Nun müsse
sichder Wille des Erblassers, dass die Erbfolge sich nach heimatlichetn
Recht richten solle, allerdings aus der letztwilligen Verordnung selbst
ergeben; es folge aber weder aus dem Wortlaut, noch aus der ratio des
Gesetzes, dass eine ausdrückliche Erklärung des Erblassers notwendig
sei; es genüge vielmehr, wie auch dasBundesgericht (Amii. Samml. XXI,
Nr. 132) schon ausgesprochen habe, dass die letztwillige Verordnung unter
Anwendung und nach Massgabe des Heimatrechts errichtet worden sei. Dies
sei aberhier der Fall. Der Testator habe nämlich zur Zeit der Errichtung
der letztwilligen Verfügung überhaupt kein anderes als das aar= gauische
Recht zu Grunde legen können, da damals im Jahres 1887 nach dem Konkordat
über die Testierfähigkeit und die Erbrechtsverhältnifse vom Jahre 1822
im Verhältnis der beiden Kantone Luzern und Aargau der Inhalt eines
Testamentes ausschtiesslich dem Heimatrecht unterftanden habe. Unter
diesen 11m:ständen habe es einer besondern Berufung des Testators auf
dasaargauische Recht nach Inkrafttreten des BG betr. civilr. V. d. Nu.
A. im Jahre 1892 nicht mehr bedurft. Dazu femme, dass das '.)

Ill. Civilrechtl. Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalt-en N°
55. 015

Testament inhaltlich den Vorschriften des aargauischen Rechts
entspreche. Mit Rücksicht auf diese beiden Momente könne die
Willensmeinung des Erblassers, es habe heimatliches Recht zur Geltung
zu gelangen, trotz des Mangels einer ausdrücklichen Erklärung nicht
zweifelhaft sein.

B. Gegen dieses Urteil hat Jda Senn rechtzeitig den staatsrechtlichen
Rekurs ans Bundesgericht ergriffen mit folgenden Anträgen:

1. Das Bundesgericht wolle aussprechen, dass die Erbfolge in den Nachlass
des am 9. Februar 1903 in Luzern verstorbenen Emil Henz sich nach dem
Rechte des letzten Wohnsitzes des Erblasfers, also des Kantons Luzern,
richte.

2. Demgemäss sei das angegriffene Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern Vom 9. Dezember 1903 in allen Teilen aufzuheben.

3. Der Klägerin seien ihre vor den kantonalen Gerichten gestellten
Begehren unter Kostenfolge zuzusprechen.

Eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen mit der Massgabe, seiner Entscheidung luzernisches Recht
zu Grunde zu legen; alles unter Kostenund Entschädigungsfolge (Art. 221
Abf. è OG).

Es wird ausgeführt, das angefochtene Urteil stehe inWiderspruch zu
Art. 22 Abf. 2 BG betr. civilr. V. d. N. u. LI wonach ein Erblasser
zweifellos nur durch ausdrückliche Willenserklärung die Erbfolge in seinen
Nachlass dem Heimatrecht unterstellen könne. Hiefür spreche einmal der
Wortlaut des Gesetzes, da mit dem Begriff unterftellen" sich notwendig
die Vorstellung einer ausdrücklichen Handlung, einer ausdrücklichen
Erklärung verbinde. Sodann ergehe sich diese Auslegung ans der ratio
des Gesetzes, das an Stelle der Rechtsunsicherheit im interkantonalen
Privatrecht Rechtssicherheit habe schaffen wollen, welcher Zweck für
das hier in Frage stehende Gebiet vereitelt ware, wenn in jedem Fall
zwischen den Testamentsund Jntestatserben streitig werden könnte, ob
nicht der Testator stillschweigend Heimatrecht habe angewendet wissen
wollen. Es wird sodann auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes,
Literatur und Gerichtspraxis darzutun versucht, dass am. 22 Abs. 2 eine
ausdrückliche Willensäusserung erfordere. Eventuell

316 A.. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

wird der Standpunkt eingenommen, dass im Testament des Heus auch nicht
eine stillschweigende Erklärung des Testators zu Gunsten des aargauischen
Rechts erblickt werden könne-, da auf eine solche Willensmeinung mit
Sicherheit weder aus der blossen Tatsache geschlossen werden könne, dass
nach der zur Zeit der Errichtung des Testament-Z geltenden Kollisionsnorm
das Heimatrecht für die Erbfolge massgebend gewesen sei, noch ferner aus
dem Umstand, dass das Testament inhaltlich nach aargauischem Recht gültig
wäre Und kein Pflichtteilsrecht verletzen würde, nach luzernischem Recht
dagegen nicht.

C. Das Obergericht des Kantons Luzern und die Rekursbeklagten haben
auf Abweisung des Rekurses angetragen und zwar wesentlich aus den im
angesochtenen Entscheid selber angeführten Gründen. In der Vernehmlassung
der Rekursbeklagten wird ausdrücklich anerkannt, dass Art. 22 BG bett,
civile. V. d. N. u. A. massgebend sei für die Frage, nach welchem Recht
die Gültigkeit des Testamentes des Henz sich beurteile; --

in Erwägung:

1. Es steht fest, dass das Testament, worin Henz im Jahr 1887 seine
Ehefrau als alleinige Erbin eingesetzt hat, nach nargauischem Rechte
inhaltlich in vollem Umfang gültig ist, während es nach luzernischem Recht
insofern ungültig ist, als das Pflichtteilsrecht der Rekurrentin auf die
Hälfte des Nachlasses als verletzt erscheint Die Parteien sind sodann
darüber einig, dass die Frage, welches der beiden Rechte massgebend ist,
sich ausschliesslich nach Art. 22 BG betr. civile. V. d. N. u. Il. und
nicht nach der in Luzern zur Zeit der Errichtung des lest'amenteî in
dieser Hinsicht geltenden Kollisionsnorm entscheidet. In der Tat kann
es nicht zweifelhaft sein und ergibt sich sowohl aus den allgemeinen
Grundsätzen über die zeitliche Geltung der Gesetze, als auch aus der
Fassung des Bundesgesetzes (lief. 39, 24, 27), dass dessen die Erbfolge
betreffenden Bestimmungen sich auf alle Erbfälle beziehen, die nach
seinem Inkrafttreten eintreten Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es
sich um gesetzliche oder testamentarische Erbfolge handelt (oergl. auch
Amit. Samml., Bd. XXL S. 9945995 und XXIV, 1. Teil, S. 280, Erw. 8). Die
Kognition des Bundesgerichts hat sich daher aus die allein streitigem,
Civilrechtl. Verhältnisse der Niedergelassenen und Auf enthalten N°
_55. 317

Frage zu beschränken, ob der Testator nach Art. 22 Abs. 2 leg. cit. die
Erbsolge in seinen Nachlass dem Recht seines Heimatkantons Aargau
unterstellt habe.

Hiebei kann der Auffassung des Obergerichts, dass es nach Abs. 2
genäge, wenn der Wille des Erblassersz die Erbfolge dem Heimatrecht
zu unterstelleu, sich aus der letztwilligen Verfügung, wenn auch
nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend ergebe, nicht beigetreten
werden. Aus dem Wortlaut der Bestimmung folgt zwar das Requisit einer
ausdrücklichen Erklärung nicht mit Sicherheit, da ein stillschweigende-Z
Unterstellen der Erbfolge unter Heimatrecht dadurch, dass die einzelnen
letztwilligen Anordnungen diesem entsprechen, begrifflich nicht
ausgeschlossen ist. Dagegen sprechen dafür mit zwingender Notwendigkeit,
wie die Rekurrentin mit Recht hervorhebt, die Entstehungsgeschichte und
der Zweck des Gesetzes. Nach dem von den Vereinigten parlamentarischen
Kommissionen aufgestellten und von den beiden Räten genehmigien Entwurfe
des Bundesgesetzes (Art. 21) war nämlich einem Niedergelassenen oder
Aufenthalter gestattet, durch eine schriftliche Erklärung die Erbsolge in
seine Verlassenschaft unter das Gesetz des Heimatkantons zu stellen, und
es war beigefügt, dass eine solche Erklärung für den Fall der Jntestatoder
stestamentarischen Erbfolge in Form einer letztwilligen Verfügung zu
erlassent im Fall eines Erbvertrags in den Vertrag selbst auszunehmen
sei. Der Bundesrat hat sodann bei der redaktionellen Vereinigung des
Entwurer die beiden Sätze in einen zusammengezogen, wobei die Worte:
durch eine schriftliche Erklärung -ausfielen. Eine materielle Änderung
war damit zweifellos nicht beabsichtigt (s. Bericht des Bundesrates an
die Bundesversammlung vom 8. Juni 1891, S. 2). Qfsenbar wurde übersehen,
dass sich das Erfordernis der ausdrücklichen Erklärung nicht schon mit
genügender Deutlichkeit daraus ergibt, dass die Unterstellung unter das
Heimatrecht durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag erfolgen muss,
und es ist die Annahme ausgeschlossen, dass die

-Räte, indem sie die bereinigte Fassung des Bundesrats annahmen,

jenes Reauisit ihres Entwurfs hätten aufgeben wollen. Und wenn

nun auch die festgestellte Meinung, die einer der gesetzgebenden

Faktoren mit einer Bestimmung verbunden hat, nicht schlechthin xxx,
1. 1904 21

318 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. EI. Abschnitt. Bundesgesetze,

bei der Gesetzesauslegung entscheidend ist, so führt hier dochpeine
Betrachtung des Sweets, den Art. 22 verfolgt, zum namnchen Resultat. Es
sollte damit für das Recht der Erbfolge an Stelle der verschiedenen in
den Kantonen geltenden Kollisionsngrmen das Wohnortsprinzip aufgestellt
werden, nach welchem im Unter-

esse der Rechtssicherheit das auf dievGrbfolge anzuwendende Recht

sich nach einem äusserlichen, regelmaszig leicht feststellbaren "lat:

bestandsnierkmal, dem letzten Wohnsitz des Erblassers, bestimmt. Wenn
hie-bei nun als Konzession an das sogenannte Heimatsprinzip in Abs. 2 dem
Erblasser die Moglichkeit gegeben ist, die Erbfolge in seinen Nachlass
dem heimatlichen Recht zu unterstellen, so erscheint es notwendig, dass
der Wille, der eine Ausnahmevon der im übrigen zwingenden Gesetzesnorin
begründen in ahnlicher Weise leicht feststellbar, d. h. ausdrucklich
erklart sei. Andernfalls wird in zahlreichen Fällen unsicher und zwischen
den gesetzlichen und testainentarischen Erben streitig sein, welchem
Recht der Erblasser die Erbfolge unterstellt wissen wollte. Nach der
gingegengesetzten Auffassung, die lediglich darauf abstellt, ob der
Emhalt einer letztwilligen Verordnung dein Heimatrecht entspricht, und
nach der jedes Testament, das in Widerspruch gerat mit dein am letzten
Wohnort des Erblassers geltenden Rechte, nachHeimatrecht dagegen gültig
ist, zu, Recht bestehen wurde, ware das Heimatsprinzip als gleichwertige
Norm neben dem Wohnortsprinzip anerkannt, je nachdem ein Testament nach
dein einen oder andern Recht gültig wäre, während doch nach dem Gesetz
dieAnwendung des Wohnortsrechts die allgemeine Regel und diejenige
des Heimatrechts nur die unter bestimmter Voraussetzung eintretende
Ausnahme sein soll. Das Ohergerichi geht abermochs weiter; es folgert
eine Erklärung zu Gunsten des heimatlichen Rechts im Sinne von Art. 22
Abs. 2 schon aus der Tatsache dass der Erblasser im Jahre 1887 nach dem
damals in Luzern geltenden Konkordat über die Testierfähigkeit und die
Erbrechtsverhältnisse nur nach aargauischein Recht testieren und fbeerbt
werden konnte. Das heisst aber nichts anderes als fur die zur Zeit des
Jnkrasttretens des Bandes-gesetzes bereits errichteten letztwilligen
Verfügungen die Anwendbarkeit des Art. 22 Abs. 1, die doch vom Obergericht
und den Parteien anerkannt Und auchIll. Givilrechtl. Verhältnisse der
Niedergeiassenen und Aufenthalter. N° 55. 319

zweifellos ist, ausschliessen Diese Theorie müsste folgerichtig allgemein
auch bei solchen Testamenten gelten, die der in einem andern Kanten
verstorbene Erblasser seiner Zeit in seinem Heimatkanton errichtet hat,
und es wäre danach eine gültige Erklärung zu Gunsten des Heimatrechts
sogar dann anzunehmen, wenn das vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes
oder im Heimatkanton errichtete Testament vermöge seiner allgemeinen
Fortunlieriing z. B.: ich setze die Erben zu Gunsten meiner Ehefrau auf
den Pflichtteil nach den beiden in Frage kommenden Rechten inhaltlich
in vollem Umfang gültig wäre und nur nach dem einen oder andern Recht
verschiedene Wirkungen äussern würde. Die Auslegung des Obergerichts würde
also hier wiederum zu einer ganz ungebührlichen, mit Sinn und Geist des
Gesetzes in Widerspruch stehenden Einschränkung des Wohnortszu Gunsten
des Heiinatprinzips führen. (Vergl. über die Frage: Amtl. Samml. XXI,
S. 954 f., auf welches Urteil das Obergericht sich mit Unrecht für seine
Auffassung beruftz XXV, 1. Teil, S. 55; Esther, Das schweizerische
interkantonale Privatrecht, S. 252 f.; Des Gouttes, Les rapports de
droit civil, S. 280 ff.; ein Urteil des Qbergerichts Thurgau, Revue XIV,
Nr. 36; des Qbergerichts Solothurn in der Zeitschrift des bernischen
Juristenvereins, Bd. XXXIV, S. 229.) .

Jst somit daran festzuhalten, dass Art. 22 Abs. 2 eine ausdrückliche
Erklärung des Erblassers fordert, so könnte es sich noch fragen,
ob bei Testamenten, die zur Zeit des Inkrafttreten-Z des Gesetzes
bereits errichtet sind (oder die errichtet wurden, als der Erblasser
im Heimatkanton wohnte), unter der Herrschaft des Bundesgesetzes (oder
nach dein Domizilwechsel) nicht eine besondere Erklärung hinzukommen
muss, um der Wirkung des Art. 22 Abs. 1 entgegenzutreten oder ob nicht,
wie das Bundesgericht im Fall Bühler und Konsorten (Amtl. Samml. XXI,
S. 994) angenommen hat, die Erklärung zu Gunsten des Heimatrechts im
Wortlaut der frühem letztwilligen Verfügung in Verbindung mit dem Umstand,
dass der Erblasser das Testament bis zu seinem Tode hat bestehen lassen,
gefunden werden fami. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da das
vorliegende Testament nichts enthält, was als ausdrückliche Erklärung,
es solle sich die Erb-

320 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

folge nach aargauischem Recht richten, aufgefasst werden könnte.

2. Aus dem Gesagten folgt, dass das angefochteue Urteil wegen Verletzung
des am. 22 BG betr. civilr. V. d. N. u. A. aufzuheben ist und zwar
gemäss dem Antrag der Rekurrentin und in Anwendung von Art. 221 Ziff. 5
OG unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten der Rekursbeklagten
Auf die übrigen auf den Erlass eines materiellen Entscheides durch das
Bundesgericht an Stelle der aufgehobenen zielenden Rekursanträge kann
dagegen bei der rein kaffatorischen Funktion der staatsrechtlichen
Beschwerde nach Art. 175 Ziff. 3 OG nicht eingetreten werden; --

erkannt:

t. Der Rekurs wird als begründet erklärt und das Urteil des Obergerichts
des Kantons Luzern vom 9. Dezember 1903 aufgehoben.

2. (Kosten.)

56.urtei1"vom 4. Mai 1904 in Sachen Geschwister Stahl gegen Konkursmasse
Stahl, bezw. Obergericht Zürich

Gitter-recht {ler Ehegatten ; Art. is Abs. 2 BG betr. ein-er Verb. d. N.
a. A. ; eli-eliche? Wohnsitz. Stelé emg des Bemdesgericiets bei
steter-tsi'echttsîchen Rekm'sen wegen Ve-rlctzemg des citierten
Bundesgesetzes.

A. Die Rekurrenten sind die Kinder des Kridaren Ulrich Stahl und feiner
im Jahre 1900 verstorbenen Ehefrau geb. Büchi, die ihrem Ehemann als
Weibergut verschiedene im Notariatstreis Turbenthal, Kanton 3firich,
gelegene Liegenschasten in die Ehe gebracht hatte. Stahl hatte bis 1902,
also bis nach dem Tode seiner Ehefrau, in Eschliton, Kanten Thurgau,
gewohnt und war hierauf nach Zürich gezogen, woselbst über ihn der Konkurs
eröffnet worden war. Die Konkursmasse Stahl belangte nun die Rekurrenten
auf Einwerfung der Liegeuschaften, die ihrer verstorbenen Mutter gehört
hatten, in die Konkursmasse, damit sie im Konkursverfahren zu Gunsten
der Konkursgläubiger liquidiert würden, indem sie geltend machte, diese
Liegenschaften seienIll. Civili-echt]. Verhältnisse der Niedergelassenen
und Aufenthalter. N° 56. 321

gemäss dem hier massgebenden thurgauischen ehelichen Güter-recht
mit der Haftung für die Schulden des Ehemannes und Kridars belastet
und müssten daher zur Befriedigung der Gläubiger im Konkursverfahren
verwertet werden. Die Rekurrenten nahmen dagegen den Standpunkt ein,
dass nach Art. 19 Abs. 2 d. BG betr. d. civilr. V. d. N. u. A. für
die Rechtsstellung der Ehefrau Stahl und ihrer Erben den Gläubigern
des Ehemannes gegenüber im Konkurs des letztern nicht thurgauisches,
sondern zürcherisches Recht nach welchem das Frauengut für Schulden
des Ehernannes nicht haftet zur Anwendung femme, und eventuell, dass
auch nach thurgauischem Recht die Haftung jener Liegenschaften für die
vorehelichen und ehelichen Schulden des Ehemannes Stahl mit dem Tode der
Ehefrau aufgehört habe. Das Obergericht des Kantons Zürich als zweite
Instanz verpflichtete mit Urteil vom 1. Dezember 1903 die Rekurrenten,
die ihrer verstorbenen Mutter zugestandenen Liegenschaften im Konkurse des
Vaters Stahl für diejenigen Schulden des letztern liquidieren zu lassen,
welche beim Tode der Mutter bereits bestanden hatten. In der Begründung
wird der Standpunkt der Rekurrenten, wonach kraft Art. 19 Abs. 2 BG
betr. civilr. B. d. N. u. A. das eheliche Güter-recht des Kantons Zürich
anzuwenden wäre, weil der Konkurs in diesem Kanton ausgebrochen sei und
hier der letzte Wohnsitz des Kridaren sich befinde, als offenbar haltlos
bezeichnet Als ehelicher Wohnsitz im Sinne dieser Gesetzesbestimmung
könne nur der letzte, während der Dauer der Ehe bestandene Wohnsitz des
Ehemannes in Betracht kommen. Der zürcherische Wohnsitz des Kridaren sei
dagegen nicht als ehelicher Wohnsitz anzusehen; denn zur Zeit, da die
Ehe durch den Tod der Theft-au Stahl aufgelöst worden fei, habe Stahl
noch im Kanton Thurgau gewohnt. Es sei gewiss auch nach Art. 19 Abs. 2
leg. cit. ausgeschlossen, dass das eheliche Güterrecht eines Kantons zur
Anwendung gebracht werde, in welchem die Ehe gar nicht bestanden habe,
und falls Rechtssätze des ehe-. lichen Güterrechtes gegenüber Dritten
für die Zeit nach der Auflösung der Ehe noch wirkten, so könnten es
naturgemäss nur die Rechtssätze desjenigen Kantons sein, in welchem der
Ehemann zur Zeit der Auslösung der Ehe gewohnt habe. Es liege gewiss
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 30 I 313
Datum : 22. April 1904
Publiziert : 31. Dezember 1904
Quelle : Bundesgericht
Status : 30 I 313
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 312 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze. welches einerseits


Gesetzesregister
OG: 175  178  221
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
testament • erblasser • heimatrecht • bundesgericht • stahl • frage • aargau • erbe • ehe • thurgau • tod • bundesrat • inkrafttreten • stelle • konkursmasse • mutter • wille • ehegatte • wissen • bundesversammlung
... Alle anzeigen