30 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

stehen, sondern lediglich auf Grund eines auswärtigen Patentes im Kanton
praktizieren woilen, nicht verlangt werden. Und was die Umgebung der
luzernischen Prüfungsvorschriften, die der Rekurrent beabsichtigen soll,
anbetrifft, so isf, wie das Bundesgericht neuerdings wieder im bereits
zitterten Fall Wolhauser ausgesprochen hat *, eine solche Umgebung zur
Zeit und bis zur Schaf fung eines eidgenössischen Vefähigungsausweises
für Anwälte in Ausführung von Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV zulässig, da eben für die
Freizügigkeit im Sinn des am. 5 der Übergangsbestimmuugen auf den Zweck,
zu welchem ein kantonales Patent erworben wird, nach dem klaren Wortlaut
dieser Bestimmung nichts ankommt. Auch kann schliesslich vorliegend nicht
von einer unzulässigen Begünstigung des Rekurrenten gesprochen werden;
denn es steht den andern luzernischen Bürgern frei, sich auf demselben
Wege das Recht der Ausübung des Anwaltsberufs im Kant-on Luzern zu
verschaffen.

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid, der dem. Rekurrenten die
Bewilligung, diesen Beruf im Kanton Luzern gestützt auf das genferische
Patent auszuüben, verweigert, als verfassungswidrig aufzuheben; '

erkannt:

Der Rekurs wird als begründet erklärt und das Erkenntnis des Qbergerichts
des Kantons Luzern vom 13. Februar 1901 aufgehoben.

* S, sehen S. 27.Ill. Verweigerung und Entzug der Niederlassung. N° 6. 31

III. Verweigerung und Entzug der Niederlassung. Refus et retrait de
l'établissement.

6. Urteil vom 16. März 1904 in Sachen Zumstein gegen Regierungsrat
Unterwalden ob dem Wald.

Weigenmg der Aushingabe von Schriften. Art. 45 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
amd 3 BV.
Strafe der Gemeindeeingrenzung (Eingrenzung in die Heimatgesi
meinde}. Unsszuldsségkeit.

A. Die Rekurrentin Maria Zumstein Von Lungern (Kanton Unterwalden
ob dem Wald), geb. 1877, wurde durch Urteil des Civilgerichts ihres
Heimatkantons vom 19. Oktober 1901 wegen ausserehelichen fleischlichen
Umgangs und Verheimlichung der hieraus resultiereuden Schwangerschaft,
unter gleichzeitigem Zuspruch des von ihr geborenen Kindes an sie,
gemäss den Art. 58 und 106 des kantonalen Polizeistrafgesetzes mit
einer Geldbusse von 55 Fr. belegt und überdies auf 2 Jahre in ihre
Heimatgemeinde eingegrenzt, sowie auf 3 Jahre der besonderen polizeilichen
Aufsicht unterstellt. Im November 1901 sodann wurde sie auf Grund einer
Anzeige ihres damaligen Dienstherrn Franz Jmfeld in Giswil, dass sie
ihm 16 Fr. entwendet habe, in Untersuchung gezogen. Diese Untersuchung
ergab sowohl die Richtigkeit jener Anzeige, als ferner auch, dass
Jmfeld mit der Rekurrentin geschlechtlich verkehrt hatte. In der Folge
wurde die Rekurrentin einerseits wegen des Diebstahls durch Erkenntnis
des Regierungsrates vom 5. Dezember 1901 konventionell zu drei Wochen
Arbeitshaus verurteilt, anderseits wegen des Geschlechtsverkehrs mit
Jmfeld als wegen Unzucht im Rückfalle durch Urteil des kantonalen
Polizeigerichts vom 24. Januar 1902 mit einer Geldstrafe von 50
Fr. belegt, unter Verlängerung der auf ihr tastenden Eingrenzung in die
Heimatgemeinde um ein Jahr. Nach Verbüssung der Gefangenschaftsund der
Geldstrafe scheint sie zunächst in der Heimatgemeinde Lungern Arbeit
gesucht zu haben, verliess aber

32 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

später den Kanten Obwalden und fand auswärts (in Luzern und Zürich)
Stellungen Allein sie wurde in die Heimat zurückgeholt und hieran
durch Erkenntnis des kantonalen Polizeigerichts vom 21. Juni 1902 wegen
Übertretung der Gemeindeeingrenzung zu einer Arbeitshausstrafe von zwei
Monaten verurteilt. Nachdem sie diese Strafe abgefessen hatte, begab
sie sich neuerdings von Lungern und aus dem Kanton fort, wurde jedoch
wiederum, diesmal wegen Schriftenlosigkeit und Bettelns, polizeilich
in die Heimat zurückgebracht. Jetzt bestrafte sie der RegierungsratI
am 10. Dezember 1902, wegen Missachtung der Gemeindeeingrenzung im
Rückfalle konventionell mit vier Wochen Arbeitshaus und lud gleichzeitig
den Gemeinderat Lungern ein, für gehörige Unterkunft der Rekurrentin zu
sorgen. Hierauf unter welchem Datum ist aus den Akten nicht ersichtlich
verfügte der Gemeinderat die Verbringung der Rekurrentin in die
Anstalt für gefallene Mädchen zum guten Hirten in Altstätten (Kanton
St. Gallen). Hier machte sich jedoch die Rekurrentin davon und fand
in Luzern eine Anstellung. Allein der Gemeinderat von Lungern liess
sie, laut Beschluss vom 8. September 1903, durch den Gemeindeweibel
mit polizeilicher Hülfe, wiederum nach der Anstalt schaffen. Sie
entwich aber im November 1903 von neuem und begab sich diesmal nach
Zürich Hier trat sie bei ihrem heutigen Vertreter-, E. Maurer-Notz,
Sekretär der Staatsanwaltschaft, als Dienstmädchen ein und führt sich
nach dessen Zeugnis seither in dieser Stellung klaglos auf. Nachdem aus
diesem Grunde die zürcherische Kanionspolizei ein vom Regierungsrat des
Kantons Unterwalden ob dem Wald gestellte-s Anfuchen, die schriftenlose
Rekurrentin, welche der Gemeindeweibel von Lungern zunächst wieder
persönlich hatte abholen wollen, polizeilich abzuschieben, abgelehnt
hatte, wandte sich der Vertreter der Rekurrentin im Januar 1904 an den
Regierungsrat von Unterwalden ob dem Wald mit dem Begehren, es sei der
Gemeinderat Lungern, der bereits direkt erfolglos darum angegangen
worden war, zur Ansstellung und Herausgabe von Ausweisschriften an
die Rekurrentin zu verhalten. Der Regierungsrat aber beschloss, laut
sbrieflicher Mitteilung an den Vertreter der Rekurrentin vom 19. Januar
1904, dem Begehren sei nicht zu entsprechen, undIll. Verweigerung und
Entzug der Niederlassung- N° 6. 33

zwar schon deshalb nicht, weil über die Rekurrentin noch
Gemeindeeingrenznng verhängt sei und sie sich ohne jedes Vorwissen der
Gemeinde: und Kantonsbehörden fortgewacht habe.

B. Gegen den vorstehenden Entscheid des Regierungsrates von Unterwalden
ob dem Wald ergriff E. Maurer, namens der Maria Zumftein, rechtzeitig
den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht, mit dem Antrag,
dieser Entscheid sei aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen,
die Gemeindebehörde von Lungern zur Aushingabe von Schriften für die
Rekurrentin zu veranlassen. Er berust sich in rechtlicher Beziehung auf
Verletzung des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV, indem er näher ausführt, dass die angefochtene
Schriften-verweigerung gegen den in jenem Verfassungsartikel ftatuierten
Grundsatz der Niederlassungsfreiheit, laut dessen bisheriger Auslegung
durch die Bundesbehörden, verstosse.

G. Der Regierungsrat des Kantons Unterwalden ob dem Wald trägt auf
Abweisung des Rekurfes an, im wesentlichen mit der Begründung: Da die
Rekurrentin durch rechtskräftige Strafurteile mit Gemeindeeingrenzung,
welche lediglich durch ihre Versetzung in die Anstalt zum guten Hirten
bedingt aufgehoben worden sei, belegt und der Regierungsrat für den Vollng
dieser Strafe zu sorgen verpflichtet sei, so dürfe er jener nicht die
anderweitige auswärtige Niederlassung durch Aushändigung von Schriften
ermöglichen, sondern müsse vieiinehr ihre Heimschaffung zu erwirken
suchen, was er bereits durch Stellung eines Auslieferungsbegehrens bei
der zürcherischen Regierung getan haben würde, wenn er nicht angenommen
hatte, dass die Rekurrentin als schriftenlos ohnehin polizeilich in
die Heimat abgeschoben würde. Von Verletzung des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV könne
nicht die Rede sein, weil die Rekurrentiu zufolge der Verurteilung zur
Gemeindeeingrenzung zweifellos nicht im Vollbesitze ihrer bürgerlichen
Rechte und Ehren sei und daher auf Riederlassungsfreiheit keinen Anspruch
habe, abgesehen davon, dass sie wiederholt wegen Sittlichkeitsvergehen
und überdies sogar wegen ausgezeichneten Diebstahls bestraft worden sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Kompetenz.)

2. Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV statuiert eine Verpflichtung der schweizerischen
Heimatbehörden, die zugehörigen Bürger auf Verlangen mit Aus-

xxx, l. 1904 3

34 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

weisschriften zu versehen, ausdrücklich nicht; allein da er das
Recht der freien Niederlassung in Al. 1 an die Bedingung des Besitzes
solcher Schriften (Heiinatschein oder eine andere gleichbedeutend-:
Ausweisschrift) knüpft, so ist klar, dass es soll die Möglichkeit der
Ausübung dieses Rechtes nach Massgabe der Verfassung gesichert sein den
genannten Behörden nicht freistehen darf, die Aussiellung oder Herausgabe
der Ausweisschriften aus beliebigen Gründen zu verweigern. Daher hat denn
auch die Praxis der Bandes-behörden von jeher aus dem in Rede stehenden
Berfassungsgrundsatz einen Anspruch des Bürgers auf Aussiellung eines
Heimatausweises abgeleitet, und zwar dem verfassungsmässigen Rahmen der
Niederlassungsfreiheit entsprechend, in dein Sinne, dass die Ansstellnng
des Answeises nur bei Vorliegen solcher Umstände verweigert werden dars,
welche zur Verweigerung oder zum Entng der Niederlassung berechtigen,
d. h. gegenüberPersonen, bei denen eine der in Al. 2 und 3 des am. 45
BV erwähnten Voraussetzungen (Nichtbesitz der bürgerlichen Rechte und
Ehren infolge strafgerichtlicher Aberkennung derselben, wiederholte
Vorbestrafung wegen schwerer Vergehen, dauernde Armengenössigkeit)
zutrifft. (Vergl. hierüber schon Ullmer: Die staatsrechtliche Praxis
der schweizerischen Bundesbehörden: Bd. I, Nr. 122, Bd. II, Nr. 777,
Ziffer i; ferner Salis: Schweizerisches Bundesrecht, 2. Aufl Bd. II,
Nr. GB?; Entscheidungen des Bundesgerichts, Ath Santini., Bd. XX,
Nr. 115, S. 739X740.) Immerhin ist gegenüber diesem Rechtszustand
in der Praxis ebenfalls stets der Vorbehalt gemacht worden, dass die
Behörden des Heimatortes, wie auch diejenigen des Niederlassungsortes,
aus strafrechtlichen oder strasprozessualen Gründen zur Nichtabgabe
bezw. Zurückbehaltung der Ausweisschriften eines Bürgers berechtigt
seien, in Fällen nämlich, in denen unmittelbar die Verfügung über
die Person desselben zulässig wäre, also sowohl bei Durchführung einer
Strafuntersuchung, als auch zum Zwecke der Vollstreekung rechtskräftiger
Strafurteile, dies jedoch mit Ausnahme der Vollftreckung von Geldbussen,
welche wegen bloss polizeilicher oder fiskalischer Delikte ausgesprochen
worden find. (Zu vergl. z. B. Ullmer: 1. c. Bd. II, Nr. 776, Ziffer Z;
Salis: 1. c. Bd. II,

Nr. 639 ff.)HI. Verweigerung und Entzug der Niederlassuhg. N° 6. 35

3. Tsird der vorliegende Fall in Anwendung der entwickelten Grundsatze
geprùft, so ergibt sich vorab, dass keiner der Gründe aus denen
gemäss Al. 2 und 3 des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV die Niederlassung verweigert oder
entzogen werden kann, auf die Rekurrentin zutrifft. Mit Unrecht
behauptet der Regierungsrat, dass diese zufolge dervauf ihr lastenden
Strafe der Gemeindeeingrenzung nicht im Besitze der bürgerlichen
Rechte und Ehren sei; denn deren Verlust besteht nicht etwa, wie der
Regierungsrat anzunehmen scheint in der durch die Gemeindeeingrenzung
die bundesrechtliche Zulassigkeit dieses Strafmittels, worüber das
Nähere in Erwägung 4. unten, vorausgesetzt wie durch jede staatliche
Strafverhängnng uaturgemass bedingten Beeinträchtigung der Rechtssphäre
des Bestraften, sondern er bildet eine speziell gegen das Rechtsgin der
staatsburgerlichen Stellung und Ehre des Jndividuums gerichtete Strafe
fur sich. Allerdings hat diese nach dem Polizeistrafgesetz des Kantons
Unterwalden ob dem Wald nur den Charakter einer Zusatzstrafa Allein,
da ihre Dauer im Gesetze, das nur ein Minimum und Maximum aufstellt,
nicht bestimmt noriniert ist also in Jedem einzelnen Falle vom Richter
unter Würdigung derkonkreten Verumständungen fixiert werden mug,
so kann doch nicht davon gesprochen werden, dass sie hier trotz dem
Fehlen einer solchen ausdrücklichen Verfügung, gleichwohl mit der vom
Regierungsrat ausgesprochenen Arbeitshausstrafe wegen qualifizierten
Diebstahls von Gesetzes wegen verbunden sei. Die Rekurrentin ist ferner
auch nicht wiederholt wegen schwerer Vergehen im Sinne des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV
bestraft worden. In dieser Hinsicht fallen einmal ausser Betracht ihre
Verurteilungen wegen verbotenen sleischlichen Umgangs; denn es handelt
sich dabei um das Delikt der einfachen Unzucht, welches schon aus dem für
die Auslegung der in Rede stehenden Verfassungsbestimmung massgebenden
allgemeinen Gesichtspunkte nach allgemeiner Strasrechtsanschauung,
nicht als schwer bezeichnet werden kann und übrigens auch nach seiner
Einordnung im System des Polizeistrafgesetzes von Obioalden unter den
Übertretungen allgemeiner Polizeiordnungen nur als leichteres Vergehen
aufzufassen ist. Sodann würde jedenfalls nicht als schweres Vergehen zu
betrachten sein der weiterhin gegenüber der Nekurrentin geahndete

36 A. Siaaisrechtliche Entscheidungen. i. Abschnitt. Bundesverfassung.

Bruch der Gemeindeeingrenznng, welcher in Art. 29 des Polizeistrafgesetzes
unter dem Titel geringerer Rechtsverletzungen figuriert, wenn nicht
überhaupt, wie in Erwägung 4 unten dargetan werden wird, die Strafe der
Gemeindeeingrenzung und damit auch ihre strafzwangsweife Durchführung
bundesrechtlich gar nicht haltbar ware. Endlich kann auch dahingestellt
bleiben, ob der der Rekurrentin noch zur Last fallende qualifizierte
Diebstahl von 16 Fr. als schweres Vergehen zu tarieren wäre; denn
selbst wenn man ihn als solches gelten lassen wollte, so läge doch
nur eine einmalige Verurteilung wegen eines schweren Vergehens vor,
welche die Voraussetzung des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV nicht erfüllen wurde, da es
nach feststehender Praxis nicht etwa angeht, die andern leichteren
Delikte zur Konstruktion eines weiteren schweren Vergebens zu kumulieren
(vergl. z. B. Salis, I. e. Nr. 618). Dafür endlich, dass die Rekurrentin
je dauernd der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last gefallen wäre,
bieten die Akten keinerlei Anhaltspunkte Somit kann die angefochtene
Schriftenverweigerung nicht auf die Al. 2 und 3 des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gestützt
werden-

4. Frägt es sich daher noch, oh die Heimatgemeinde, wie der Regierungsrat
in erster Linie geltend macht, zum Zweck des Vollzugs der über die
Rekurreutin nach dem kantonalen Polizeistrafgesetz verhängten Strafe der
Gemeindeeingrenzung zur Verweigerung der Schriftenausstellung berechtigt
sei, so ist auch dies zu verneinen, da die fragliche Bestrafung selbst
eine unstatthafte Beschränkung des Rechts der freien Niederlassung
bedeutet. Die Strafe der Eingrenzung in die Heimatgemeinde, kraft welcher
der damit Belegte in seiner Heimatgemeinde, bezw. an einein ihm behördlich
angewiesenen Wohnsitz, sich aufzuhalten verpflichtet ist, erscheint
nämlich nicht als Freiheitsstrafe, als die Art. 4 des PStG sie bezeichnet,
im eigentlichen Sinne, d. i). als wesentlicher Entng der Bewegungsfreiheit
durch Juternierung in einem abgeschlossenen Raum, wodurch lediglich
indirekt, als tatsächliche Folge, auch die Niederlassungsfreiheit
illusorisch wird, sondern sie richtet sich direkt und ausschliesslich
gegen diese letztere, indem sie das Recht der freien Niederlassung als
solches einschränkt. Nun sind aber die Beschränkungen dieses Rechts,
wie sich aus seinem Charakter als verfassungsmässiges Jndividnalrecht
ohne weiteresIII. Verweigerung und Entzug der Niederlassung. N° 6. 37

ergibt, erschöpfend aufgeführt in den oben berührten Bestimmungen des
Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV selbst, und es können daher einschlägige weitergehende
kantonale Rechtssatzungen, sei es staatsrechtlichen sei es
strafrechtlicher Natur-, als bundesrechiswidrig nicht zu Recht
be- stehen. Dies aber trifft für die in Rede stehende, durch das
Polizeiftrafgesetz von Unterwalden ob dem Wald vorgesehene Strafe der
Eingrenzung in die Heimatgemeinde zu; denn da dieselbe gemäsz Art. ii
ibidem allgemein anzuwenden ist, wo die Persönlichkeit des Täters und
die Individualität des zu beurteilenden Vergehens sie als notwendig oder
rätlich erscheinen lässt-Z somit die generelle Bedeutung des Delikts
nicht in Betracht fällt, so würde es danach dem erkennenden Richter
freistehen, nach seinem Ermessen auch wegen der an sich unbedentendsten
Polizeiübertretung das Recht der freien Niederlassung zu entziehen, bezw.
zu modifizieren, während dies nach der Garantie des Bundesrechts nur
gestützt auf die in Art. 45 bestimmt umschriebenen Tatbestände hin
geschehen kann.

Nach dem Vorstehenden erscheint die Weigerung ihrer Heimatbehörden,
der Rekurrentin die erforderlichen Ausweisschriften auszustellen, als
gegen Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV verstossende Behandlung jener.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und demgemäss der Regierungsrat des Kantons
Unterwalden ob dem Wald angewiesen, die Ge-

meindebehörde von Lungern zur Aushingabe von Ausweisschriften für die
Rekurrentin zu veranlassen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 30 I 31
Datum : 16. März 1904
Publiziert : 31. Dezember 1904
Quelle : Bundesgericht
Status : 30 I 31
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 30 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung. stehen, sondern


Gesetzesregister
BV: 33 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • bundesgericht • bundesverfassung • ehre • eingrenzung • gemeinderat • diebstahl • verurteilung • niederlassungsfreiheit • entscheid • polizeigericht • weiler • verurteilter • hirt • charakter • geldstrafe • angewiesener • dauer • obwalden • rechtsverletzung
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