546 Cîviirecht-spflege.

66. Arten vom 19. Heptember 1903 in Sachen Feuer-, Kl. u. Hauptber.-Kl.,
gegen Erben Heller-Half, Bekl. u. Anschlussber.-Kl.

Darlehen. Begriff, Art. 329 ().-H. Behauptung und Beweislast des
Daelehezeskleîgers, der Sis/z einer Abtrelngsurkunde gegenüber auf
Simulation beruft. Art. 16 ().-R. Eidgenössisches und kennt. Rec/lt,
speziell : Ungültigleell von, kantonalen Beweisbeschrtînkzmgen
kimi-chtlich des Beweises der Simulaeian. Rechéskraft
um Zwe'scheewntscheiden; Art. 58 Abs. 2, 79 Abs. 3
Org.-Ges. BeweiswümfigungnUnzulässigkeit der Berufung lediglich
hinsichtlich der Kosten. Art. 59 Org.-Ges.

A. Durch Urteil vom 28. März 1903 hat das Obergericht des Kantons Luzern
über die Rechtsfrage: Haberl die Beklagten der Klägerin den Wert der
Obligation mit 3400 Fr. nebst "Sins zu 4422 0O seit 19. März 1897 zu
vergüten ? erkannt:

1. Die Beklagten seien bei ihrem Zugeständnis, der Klägerin von der
Obligation Nr. 2898 im Betrage von 3400 Fr. auf Spar: und Leihkasse
Zurzach die jährlichen Zinserträgnisse abzuliefern, bezw. die bisherige
Abgabe der jeweilen verfallenen Zinscoupons an die Klägerin auch seit
dem Jahre 1900 und biszum Ableben der Klägerin fortzusetzen, behaftet.

2. Im übrigen sei die Klage abgewiesen

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag auf
Zusprechung der Klage im Sinne des Rechtsschlusses der Replik.

C. Die Beklagten haben durch Eingabe an die Obergerichtskanzlei Luzern,
die jedoch innert der Frist des Art. 70 Abs. 1 Organis.-Ges. beim
Bundesgericht eingegangen ist, den Anschluss an die Berufung erklärt
und darin beantragt: Es sei Dis-positiv 8 des angefochtenen Urteils
in dem Sinne umzuändern, dass alleKosten der kantonalrechtlichen
Jnstanzen der Klägerin übel-banden werden und dieselbe auch die Kosten
der Veklagtschaft im richter{ich festgesetzten Betrage zu vergüten
habe.I. Ohligationenrecht. N° 66. 547

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Klägerin Verena Keller, welche Eigentümer-in einer Obligation
Nr. 1667 auf die Spar: und Leihkasse Zurzach, d. d. 29. November
1886, per 3400 Fr. war, stellte am 22. Oktober 1894 im Bureau der
Obligationsschuldnerin eine Abtretungsurkunde aus, wonach sie die
Obligation ihrem Bruder Xaver Keller-Kalt als wahres Eigentum abtrat
und erklärte, dafür .ausgewiesen und bezahlt worden zu sein. Gleichen
Tags wurde die Abtretung auf der Obligation selbst mit folgenden
Worten vermerkt: Vorstehenden Obligationsbetrag an meinen Bruder
Xaver Keller-Kalt abgetreten und deren Gegenwert erhalten. (Datum und
Unterschrift.) Am 18. März 1896 wurde die Obligation auf Kündigung durch
Xaver Keller-Kalt hin zurückbezahlt; am gleichen Tage liess aber der
Briefgläubiger eine neue Obligation Nr· 2898, für den gleichen Betrag
(verzinslich zu ZV2 0/0) auf seinen Namen aus-stellen Tie Nutzniessung
hievon liess Xaver Keller jeweilen zuletzt aus 19. März 1897 der Klägerin
zukommen, wie sich denn auch auf der Obligation ein Bleistiftvermerk
findet des Inhalts-: Von dieser leigation hat jySchwester Verena Keller in
Koblenz die Nutzniessung- Am 14. Februar 1897 stellten die Geschwister des
Xaver Keller, worunter die Klägerin, einen Verpflichtungsakt zu Gunsten
dieses ihres Bruders aus, wonach sie sich solidarisch verpflichtetem
ihm die Baukosten für die Reparaturen am Hause Nr. 86 in Koblenz,
das er ihnen zur Wohnung überlassen hatte, in jährlichen Terminen
zurückzubezahlen, und erklärten, keinen Anspruch auf den Baukonto zu
haben, da die Reparaturen auf ihren Wunsch und ihr Verlangen erfolgt
seien. Am 22. Mai 1898 starb Xaver Keller; er wurde von feiner Wittwe und
seinen Kindern, den heutigen Beklagten, beerbt. Im Januar 1901 trat nun
die Klägerin gegen diese klagend auf mit dem Begehren: Die Beklagten haben
der Klägerin die Obligation Nr. 1867 aus die Sparund Leihkasse Zurzach,
datiert vom 29. November 1886 samt Zinseoupons seit 1886 herauszugeben;
eventuell haben sie den Wert der Obligation mit 3400 Fr. nebst Zins zu
472 0/0 seit 19. März 1897 zu vergüten. In der Replik hat sie dann nur
noch den eventuellen Klagschluss ausrechterhalten. Sie

548 Civilrechtspflege.

begründet ihn folgendermassen: Sie habe die Obligation von 3400
Fr. ihrem Bruder Xaver Keller übergeben, damit er die Reparatnr des ihm
gehörenden Hauses in Koblenz ausführen könne. Die Abtretungsurkunde und
der Abtretungsvermerk auf der Obligation seien unrichtigz die Abtretung
sei nur erfolgt, ums den Xaver Keller der Bank gegenüber zur Kündigung zu
legitimieren; einen Gegenwert habe die Klägerin nie erhalten. Sowohl Xaver
Keller wie auch die Beklagten haben denn auch durch die Zinszahlungen
stets die Klägerin als Gläubigerin anerkannt. Eine Schenkung habe
die Klägerin die ihr als Magd Erspartes in jener Obligation Nr. 1667
angelegt gehabt habe ihrem viel vermöglicheren Bruder unmöglich machen
wollen In rechtlicher Beziehung ruft die Klägerin die Art. 333 und
336, vorsorglich und eventuell auch Art. 478 ff., 5325 ff. (sie!),
70 ff. O.-R. an. Die Beklagten berufen sich dem gegenüber vorab auf
den Wortlaut der Abtretungsurkunde, der vollen Beweis bildedafür,
dass der Klägerin ein Gegenwert geleistet worden sei. Eventuell liege
Schenkung vor, und zwar wohl remuneratoriscbe Schenkung für die vielen
Leistungen, die der Erblasser der Beklagten der Klägerin gemacht habe:
die Schuldübernahme desXaver Keller, die jahrzehntelangen Guttaten
und die Bereitung einer Heimsiätte Hierin liege auch der Gegenwert
für die Abtre-f tung. Den Zins der Obligation haben die Beklagten,
wie ihrErblasser, der Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht
Überlassen; die Beklagten erklären in der Antwort ausdrücklich, dies
auch künftig tun zu wollen. Daraus folge keineswegs das Bestehen einer
Schuld. Dass es sich um kein Darlehen für die Bauschuld habe handeln
können, gehe aus dein langen Zeitabsiand zwischen der Abtretung und
dem Beginn des Umbaues (Februar 1897), sowie aus der Verpflichtung der
Geschwister des Xaver Keller vom 14. Februar 1897 hervor.

2. Zum Beweise ihrer Behauptung, dass die Worte auf der Obligation
Nr. 1667 und der Abtretungsurkunde Gegenwert erhalten-C und ausgewiesen
und bezahlt worden zu sein dem wirklichen Willen der Parteien bei
der Abtretung und den Tatsachen nicht entsprechen, sondern nur zur
Bewirkung des Eigentumsübergangs, zur Legitimation der Bank gegenüber
und zurI. Ohligationenrecht. N° 66. 549

Entlastung der Bank aufgenommen worden seien, hatte die Klägerin in
der Klage den Schiedseid durch die Beklagte Witwe Keller-Kalt und den
Beklagten Otto Keller angerufen. Durch Beweisurteil vom 27. September
1901 liess die erste Instanz das Bezirksgericht Luzern diesen Beweis zu
und erklärte als eidpflichtig die Beklagte Witwe Keller-Kalt Auf Rekurs
der Beklagten hin hat jedoch das Obergericht des Kantons Luzern durch
Urteil vom 19. Dezember 1901 erkannt, der von der Klägerin angetragene
Schiedseid sei nicht zugelassen, mit der Begründung dass, wenn von Seiten
der Klägerschaft durch Zuschiebung des Schiedseides an die Beklagtschaft
dar-getan werden will, dass die Beklagtschaft als Rechtsnachfolgerschaft
des verstorbenen Xaver Keller die in der (Abtretungs-)Urkunde aufgesiihrie
Abtretnngssu1nn1e noch schulde, diese Eidesdelation ..... als direkter
Gegenbeweis gegen die Vernrkundung des Empfangs des Gegen wertes für
die Abtretung der fraglichen Obligation sich darstellt, somit als ein
Gegeubeweis, welcher durch § 210 Abs. 2 des C.-R.-V. ausgeschlossen
wird. Nachdem im übrigen das Beweis-verfahren durchgeführt war, erliess
die erste Instanz unter dem 8. November 1902 ihr Endurteil, des Inhalts:

1. Die Beklagten haben der Klägerin ab der Obligation Nr. 2898 von
3400 Fr. auf Sparund Leihkasse Zurzach die jährlichen Zinserträgnisse
abzuliefern bezw. die bisherige Abgabe des jeweilen verfallenen
Zinscoupons an die Klägerin auch seit dem Jahre 1900 und bis zum Ableben
der Klägerin fortzusetzen.

2. Im übrigen sei die Klage abgewiesen.

n, s. w.

Durch das oben in Fakt. A mitgeteilte obergerichtliche Urteil ist
dieser Entscheid gegen den beide Parteien, die Beklagten mit dem Antrag
auf gänzliche Abweisung der Klage unter Uberbin- dung aller Kosten
an die Klägerin, appelliert hatten materiell bestätigt worden. Jn
tatsächlicher Hinsicht stellen die beiden kantonalen Urteile auf Grund
des Beweisoerfahrens folgendes fest: Die Ausstellung der Bescheinigungen
sei auf Verlangen der Obligationsschuldnerin erfolgt und habe offenbar nur
noch die sormelle Verurkundung eines schon vorher vollzogenen Geschäftes

550 Civilrechtspflege.

gebildet, da Xaver Keller-Kalt die Obligation der Bank vorher gekündigt
habe. Die besondere Abtretungsurkunde habe die Anzeige der Abtretung an
die Obligationsschuldnerin gebildet und sei von dieser in Verwahrung
genommen worden. In den Büchern des Xaver Keller-Kalt finde sich
sodann keine Eintragung betreffend Auszahlung eines Gegemvertes,
aber auch keine, dass etwa ein Darlehen gegeben worden sei. Da ferner
der Umbau der väterlichen Liegenschaft in Koblenz erst im Sommer 1897
stattgefunden habe, könne nicht angenommen werden, dass die Abtretung
mit diesem Umbau im Zusammenhang stehe· Auf Sicherstellung lasse dann
allerdings ein Passus in einem von den Geschwistern Keller auf Verlangen
der Beklagten edierten Briefe schliessen, des Inhalts-: Als Du Dich
weigerst, uns das Land einzusetzen, hat der I. Verstorbene zuerst bevor
er angefangen hat zu banen, dem Fürsprech nach Baden geschrieben, ob
man das mit der Obligation nicht stürzen könne, wo er uns zur Antwort
gab, das sei fest gemacht und könne nicht mehr geändert werden, denn
Xaver wollte Sicherheit haben, wir müssen lange genug warten bis wir die
Abzahlung bekommen. Doch stelle die Klägerin hierauf selbst nicht ab und
zudem widerspreche die Annahme einer Sicherstellung der Verpflichtung
der Geschwister Keller vom 14. Februar 1897. Abrechnung über den Umbau
sei von Xaver Keller am ö. März 1898 erteilt und diese Abrechnung -im
Betrage von 3445 Fr. 25 Cis. am 13. gl. Mrs. von J Keller für sich und
seine Geschwister anerkannt worden; seither haben mit Mühe und Not
Abschlagszahlungen stattgefunden, von einer Sicherstellung sei aber
niemals gesprochen worden. Die Behauptung der Beklagten betreffend
Guttaten ihres Erblafsers sei insofern richtig, als der Genannte bei
dem am 21. Dezember 1878 eingetretenen Tode des Vaters Keller für seine
damals noch ledigen Geschwister in Bezug ans deren späteres Fortkommen und
Wohlergehen Opfer gebracht habe: er habe die väterlichen Liegenschaften
zu einem anderwärts kaum zu erzielenden Preise übernommen und sie seinen
Geschwistern zu lebenslänglicher, unentgeltlicher Benutzung Überlassen
und ihnen so eine Heimstätte geschaffen, auch sich verpflichtet, jedem
aus der Gemeinschaft austretenden Familienglied 220 Fr. als väterliche-s
Erbe auszuzahlen,I. Onligationenrecht. N° 66. 551

und später seinen Geschwistern noch etwas Land zugekaust. Durch die
Verpflichtung seiner Geschwister zur Erstaitung der umbau: kosten habe
sich allerdings Xaver Keller zum Teil für seine frühem Opfer decken
lassen, allein diese Verpflichtung sei nach der Abtretung eingegangen
worden und die Klägerin habe dagegen keinen Einspruch erhoben. In
Würdigung dieser Beweisresultate sind beide tantonalen Jnstanzen zu dem
Schlusse gelangt, bie Klägerin habe keines ihrer Klagfundamente bewiesen,
wenn schon der Grund der Abtretung unaufgeklärt bleibe.

3. (Kompetenz.)

4. Was zunächst den Rechtsgrund des Darlehens betriffi, so scheint
die Vorinstanz es als zweifelhaft zu betrachten, ob überhaupt die
Nainensobligation, welche die Klägerin dem Rechtsverfahren der Beklagten
abgetreten hat, Gegenstand eines Darlehens habe bilden können. Dieser
Zweifel ist unbegründel. Allerdings ist jene Obligation weder eine
Summe Geldes, noch eine andere vertretbare Sache (vergl. Art. 329
O.-R.), allein es ist in der Wissenschaft wohl allgemein angenommen,
dass (foweit nicht etwa wuchergesetzliche Bestimmungen Beschränkungen
festsetzen) das Darlehenskapital dem Borger auch indirekt verschafft
werden kann (indirette Eigentumsverschaffung), sei es durch Übergabe
von Waren zum Verkauf, durch Anweisung, durch Cession einer Forderung
zum Jnkasso, wobei es dann jeweilen nur darauf ankommt, ob nach dem
Willen der Parteien das gegebene Objekt sofort als Repräsentant einer
bestimmten Summe Geldes gelten solle, oder ob lediglich der aus dem
Verkan der Erhebung der Anweisung, dem Jnkasso erlöste Betrag Gegenstand
des Rücksorderungsanspruches sein solle. (Vergl. darüber Sehey, Die
Obligatidnsverhiiltnisse des österreich. allgem. Privatrechts, Bd. I,
S. 80 ff.) Im vorliegenden Falle braucht die juristische Konstruktion
dieser verschiedenen Arten der indirekten Darlehensbeschaffung und
-hingabe nicht erörtert zu werden, weil einmal die Beklagten eine
Einwendnng in der gedachten Richtung gar nicht erhoben haben, und weil
sodann, da der Rechtsvorfahr der Beklagten den Betrag der Obligation
bei der Schuldnerin für sich erhoben hat, die Räckerstattungspflicht
sich gleich bleibt, gleichviel ob man annimmt, es sei zwischen den
Vertragsparteien sofort

xxlx, 2. 4903 36

5-52 Civilrechtspflege.

durch die Übergabe der Obligation ein Darlehensvertrag perfekt geworden
oder es sei zunächst bloss ein Mandat zu stande gekommen; jedenfalls
haftete Xaver Keller (wenn uberhaupt der Rechtsgrund des Darlehens
angenommen werden kann) von dem Momente an auf Rückeritattung als er den
Betrag der Obligation in eigenem Namen und auf eigene Rechnung bei der
Schuldnerin bezogen hatte. Denn das juristische Kriterium des Darlehens
besteht darin, dass ein Kapital vom Darleiherv dem Borger hingegeben
wird (zu Eigentum) unter der ausdrucklichen oder stillschweigenden
Willenseinigung _der Uberlassung der oollen Nutzung aus gewisse Zeit,
d. I). unt der Verpflichtung zur Ruckersiattung (s. spez. Schey, a. a. O.,
S. 15 ff.): · ò. Als Darlehensklägerin hat die Klägerin darzutun:
dreHingabe des Darlehenstapitals und die causeber Hingabe, b h., die
Überlassung zum Gebrauche auf gezvisse Zeit mit der Berpflichtung
zur Rückerstattung Da nun iuber den ersten Punkt die Hingabe des
Darlehenskapitals tm vorliegenden Halle kein Streit besteht, beschränkt
sich die Behauptungsund Beweislaft der Klägeriu auf den Nachweis der
erwahnten eausa, also der Willensmeinung der Vertragsparteien bei der
fraglichen Abtretung der Obligation. Diese Beweis-last ruht auf der
Klagerm lauch gegenüber dem Standpunkt der Beklagten, es habe sich bei
derAbtretung um (remuneratorische) Schenkung gehandelt; denn damit
leugnen die Veklagten das Klagefundamentfund erheben sienicht eine
selbständige Einrede gegenüber der Klage aus Darlehen (vergl. Urteil des
Bundesgerichts vom... 21ss2îprtl 1894i. S. Scheut gegen Weber-Schwab,
Revue des Cwilrechts, XlI, Nr. 81). Dass die Frage der Willensmeinung
der Parteien beim Abschlusse eines Rechtsgeschäftes Rechtsund nicht
Tatsrage ist, das Bundesgericht somit an die Auffassung der kantonalen
oder:sten Instanz hierüber nicht gebunden ist (gemäss Art. D81 Org-,
Ges.), steht nach der neuern bundesgerichtlichen Praxis (s.0statt alles
weitern Geschäftsbericht des Bundesgerichts sur das siéahr 1900, S. 6,
auch Bundesbl. 1901, Bd I'LS. 98) endgultig fest; Tatfrage ist hienach
bloss, welche (schriftlichen oder mundWhen) Erklärungen von den Parteien
abgegeben und inelche sonstigen tatsächlichen Momente, die als Ausdruck
rechtsgeschaftliachen Wollens in Betracht kommen, erwiesen sind, während
die Wurm-I. Obligationenrecht. N° 66. 553

gung der rechtlichen Bedeutung und Tragweite der erwiesenen ausdrücklichen
Erklärungen oder sonstigen Tatumstände Rechtsfrage ist. Im vorliegenden
Falle richtet sich nun das gedachte Beweisthema der Klägerin direkt gegen
den Inhalt der Abtretungsurkunde und des Vermerkes auf der abgetretenen
Obligation, wonach die Klägerin bescheinigt, den Gegenwert für die Hingabe
(Abtretung der Obligation), erhalten zu haben, dafür aus-gewiesen und
bezahlt zu sein. Die Klägerin macht geltend, diese Erklärung entspreche
dem wirklichen Willen der Parteien bei der Hingabe der leigation nicht;
sie sei nur erfolgt zwecks Legitimierung des Rechtsvorfahrens der
Beklagten der Obligationsschuldnerin gegenüber und zur Entlastung dieser;
in Tat und Wahrheit sei keine Übergabe zu Eigentum erfolgt und habe
auch die Klägerin keinen Gegenwert erhalten; vielmehr sei die causeder
Hingabe diejenige der Überlassung, das Gebrauchen auf gewisse Zeit, der
Verschaffung eines Darlehens, gewesen. Damit stellt sich die Klägerin auf
den Boden, die gedachten Erklärungen seien simuliert. Es ist aber klar,
dass der Nachweis dieser Simulation ihr obliegt. (Vergl. Urteil des
Bundesgerichts vom 25. Januar 1902 i. S. Brupbacher gegen Konknrsmasse
Brupbacher, Amtl. Samml., Bd. XXVIII, 2. Teil, S. 56 Erw. 4.) Und
ferner steht fest, dass dem Bundesgericht die Überprüfung der Frage-,
ob der Simulationswille vorliege, der wirkliche Wille der Parteien auf
ein anderes Rechtsgeschäft gegangen sei, als der erklärte Wille, nicht
entzogen isf. (Eodem Erw. 5, S. 56 f.)

6. In dieser Hinsicht ist nun vorab von Bedeutung die Ablehnung des von
der Klägerin zum Beweise der Simulation angetragenen Schiedseides durch
die Vorinstanz. Die Vorinstanz berust sich für die Ablehnung auf eine
Bestimmung des kammalen Prozessrechts, und es möchte auf den ersten
Blick scheinen, dass damit die Zulässigkeit dieses Beweismittels
für das Bundesgericht erledigt sei, da es sich ausschliesslich um
eine kantonalprozessrechtliche Frage handle, und dem Bundesgericht
die Uberpriifnng des kantonalen Prozessrechts nicht zusteht. Allein
dieser Standpunkt widerspricht dem vom Bundesgericht in seinem Urteil
vom 2. Oktober 1896 in Sachen Vermeil gegen Chaubert (Antil. Samml.,
Bd. XXII, S. 1119 ff.) ausgesprochenen Grundsatz (eod. S. 1129 Erw. 1),
dass kantonalrechtliche Beschränkungen des

554 cirilreolttspilege.

Beweises der Simttlation hinsichtlich der vom eidg. Obligationenrecht
beherrschten Rechtsgeschäfte aufgehoben seien; an diesem Grundsatze
aber ist festzuhalten, da Art. 16 O.-R. den unbeschränkten Nachweis der
Simulation als Satz eidgenössischen Rechts aufstellt. Die Ablehnung des
angetragenen Schiedseides auf Grund der von der Vorinstanz angerufeuen
prozessrechtlichen Bestimmung war daher allerdings bundesrechtswidrig, und
sie hätte in der Berufung gegen das Endurteil mit Erfolg vor Bundesgericht
angefochten werden können, worauf notwendigerweise eine Rückweisung
der Streitsache an die Vorinsianz hätte erfolgen müssen. Nun ist aber
jener Zwischenentscheid in der Berufung mit keinem Worte angefochten
und hat die Klägerin namentlich auch nicht einen Antrag aus Rückweisung
gestellt; sie hat sich damit bei der Ablehnung des Schiedseides beruhigt
und verlangt Überprüfttng der Sache durch das Bundesgericht nur auf Grund
der gegenwärtigen Aktenlage. Danach aber muss es bei dieser Aktenlage
sein Verbleiben haben, da das Bundesgericht nicht Von sich aus die Sache
zurückweisen kann; Art. 58 Abs. 2 OrganisGes., wonach der Beurteilung
des Bundesgerichts auch diejenigen Entscheidungen unterliegen, welche dem
Haupturteile vorausgegangen sind, gibt ihm nicht etwa die Befugnis hier,
indem dieser Gesetzesartikel nur festsetzt, gegen welche Entscheide die
Berufung zulässig ist-, Und Art. 79 Abs. Z, wonach der Überpriisung des
Bundesgerichts mir die von den Parteien gestellten Anträge unterliegen,
auch für ihn Geltung hat. (Vergl. auch Reichel, Kommentar zum Qrg.-Ges.,
Art. 58, Anm. 3, Schlusssatz, S. 64.)

7. Hat sonach das Bundesgericht auf Grund der heutigen Aktenlage frei
darüber zu befinden, ob der der Klägerin obliegende Beweis geieisiet
fei, so fällt folgendes in Betracht: Die Darsstellung der Klägerin
betreffend Hingabe der Obligation zwecks Legitimation der Schuldnerin
gegenüber hat durch den Zeugenbeweis keine Bestätigung erhalten. Für
die Auffassung der Klägerin lässt sich dagegen vorab geltend machen der
Umstand, dass eine Eintragung der Obligation Nr. 166? in den Büchern des
Rechtsvorfahren der Beklagten nicht stattgefunden hat und dass auch die
dafür eingetauschte Obligation Nr. 2898 erst später, von anderer Hand,
in den Zinsrodel eingetragen ist; sowie die Tatsache, dass die Zinsen
beider Obligationen stetsfort der Kiäge-I. Obligaiiunenrecht. N° 66. 555

rin übermacht worden find. Demgegenüber fällt offenbar die Erwägung
der Vorinstanz nicht erheblich ins Gewicht, dass Xaver Keller ja gar
nicht auf finanzielle Hilfe seiner Schwester angewiesen gewesen sei
und dass er speziell für die Umbaute damals kein Geld benötigt habe,
indem diese erst mehrere Jahre später in Angriff genommen worden
sei. Denn die erstgenannte Tatsache schliesst ja natürlich nicht aus,
dass Xaver Keller es als wünschbar erachten konnte, unter Umständen auch
über jene Obligation verfügen zu können, und zur zweiten ist zu fageu,
dass darüber-, wann die Umbaute in Aussicht genommen worden sei, gar
nichts feststeht, während anderseits ausfällt, dass die Baukosten sogar
bis aus einige Franken den Betrag jener Obligation ausgemacht haben. Die
Erklärung der Klägerin, Xaver Keller habe die Obligation verlangt, um sich
Geld für den Umbau zu verschaffen, verliert daher, trotz jener Tatsachen,
nichts an Wahrscheinlichkeit Sie würde umso plausibler erscheinen, wenn
mit ihr jener von der ersten Instanz hervorgehobene Passus in einem
Briese der Beklagten Witwe Keller-Kalt, in dem von Sicherheit die Rede
ist, zusammengehalten werden dürfte; allein aus diesen Brief darf,
auch abgesehen von dessen unbestimmten Inhalt, schon deswegen nicht
abgestellt werden, weil die Klägerin selbst nirgends, auch nicht in ihrer
Berufungsschrift, daran Bezug nimmt. Auf der andern Seite spricht gegen
die Darstellung der Klägerin der Umstand, dass die Geschwister Keller,
die Kiägerin inbegriffen, sich 1897 dem Xader Keller zum Ersatze der
Baukosten verpflich-

tet haben, die ihnen belastete Bausumme verzinst und daran Ab-

schlagszahlungen gemacht haben, ohne dass dabei je der Cession
der Obligation Erwähnung getan worden wäre. Sodann liegt in der
Abtretungsurkunde eben nicht bloss die Erklärung des Empfangs des
Gegenwertes, sondern auch die Erklärung, die Klägerin wolle es so
angesehen haben als sei der Gegenwert geleistet, und deswegen wolle
sie die Obligatiou nicht mehr zurück haben. Um diese Bedeutung der
Abtretungsurkunde zu entkräften, wäre es nötig gewesen, aufzuhellen,
warum die Klägerin eine Scheinerklärung abgegeben und welche Motive sie
dazu geführt haben. Der dafür angerusette Zeugenbeweis aber tft, wie
schon bemerkt, misslungen, und auf den angetragenen, aber abgelehnten
Schiedseid darf aus den in Erwägung 6 entwickelten Gründen nicht zu-

556 Civilrechtspflege.

rückgekommen werdenWenn endlich auch die Beklagten eine Darstellung
über die Art und Weise, wie der Gegenwert geleistet worden fei, gegeben
haben, so haben sie doch damit nicht etwa die Beweislast dafür-, dass die
behauptete Schuldübernahme und die behaupteten Guttaten der Klägerin in
der Höhe der Obligationssumme zugekommen seien, übernommen und anerkannt,
dass sie den Hauptbeiveis leisten müssen; Vielmehr bleibt es Sache
der Klägerin, die in der Abtretungsurkunde ausgesprochene Anerkennung
zu widerlegen und den Beweis zu leisten, dass sie mit der Ansstellung
der Abtretungsurkunde keine den darin enthaltenen Erklärungen adäquate
rechtliche Situation habe schaffen wollen.

8. Jst aber sonach der der Klägerin obliegende Beweis, dass der Inhalt
der Abtretungsurkunde dem wirklichen, rechtsgeschäftlichen Willen der
Parteien nicht entsprochen habe, nicht geleistet, so fällt damit nicht
nur die Darlehensklage, sondern auch die Rücksordernng aus den übrigen
von der Klägerin geltend gemachten Rechtsgrtinden dahin.

9. Ebenso entfällt damit die ven den Beklagten vor den kantonalen
Jnstanzen aufgeworfene Einrede der Verwirknng der Forderung der Klägerin
wegen Nichtanmeldung im erbrechtlichen Schuldenruf eine Frage, die
übrigens nach kanionalem Rechte zu entscheiden wäre.

10. Die Anschlnssbernsung endlich ist zwar, entgegen dem Gesetze
(Organis.-Ges., Art. 70), bei der Vorinstanz anstatt beim
Bundesgerichi selbst eingereicht worden, indessen noch binnen der
Anschluss-Berufungssrist an das Bundesgericht gelangt, so dass sie nicht
als verspätet zurückzuweisen ist.

Dagegen enthält sie nur einen Antrag mit Bezug aus die Kosten, nicht
einen solchen hinsichtlich der Sache selbst. Das ist aber unzulässig,
und es ist deshalb aus sie nicht einzutreten.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Hauptberusnng wird als unbegründet abgewiesen, auf die
Anschlussberufung wird nicht eingetreten; demgemäss ist das Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern vom 28. März 1903 in allen Teilen
bestätigt.I. Obligationenrecht. N° 67. 557

67. garni; vom 26. Hepteniber t903, in Sachen adatti, Kl. u. I. Ber.-Kl.,
gegen.3dächket, Bekl. u. II. Ber.-Kl.

Unerlctnbte Hemdanan Körperverletzung. Berece'muezg der Entschädigung,
speziell für entgangenen Unäernehmergewinn. Art. 53 Abs. 1
O.-H. Schmerzengeld (angemessene Geldsumme ), Art. 54 cod.

A. Durch Urteil vorn 22. Juni 1903 hat das Appellationsgericht des
Kantons Baselstadt erkannt:

Der Beklagte wird zur Zahlung von 8000 Fr. an Kläger 'verurteilt.

B. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen.

Der Kläger stellt die Anträge:

1. Das angesochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an das
Appellationsgericht zarückzuweisen zur Anordnung einer Expertise über
die Fragen:

a) Jst das Missverhältnis zwischen den Erstellnngskosten der Häuser
Gundoldingerstrasse 85 und 87 und Reichensteinerstrasze 47 und dein
für dieselben erzielten Verkansspreise daraus zu erklären, dass für die
Häuser unverhältnismässig viele Arbeitslöhne aus-gelegt worden sind?

b) Jst mit Sicherheit anzunehmen, dass diese Tatsache zurückzuführen
ist auf mangelhaste Aussicht und Kontrolle während der Vauzeit?

2. Eventuell sei der Beklagte aus Grund der heutigen Aktenlage zur
Zahlung von 20,000 Fr. zu verirrt-eilen

Der Beklagte beantragt dagegen:

1. Zuziehung des Protokolls der Strafgerichtsverhandlung vom 22. Mai 1901
zu den Wien, eventuell Rückweisung der Akten an die kantonale Instanz
zur bezüglichen Vervollständigung

2. Aufhebung des angefochtenen Urteils.

3. Abweisung der Klage, soweit sie vom Beklagten mehr als 1750 Fr.,
eventuell mehr als 3500 Fr. verlangt.

C. Zn der heutigen Verhandlung wiederholen die Parteivertreter ihre
Berufungsbegehren und tragen wechselseitig aus Abweisnng der gegnerischen
Berufung an.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 546
Datum : 19. Januar 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 546
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 546 Cîviirecht-spflege. 66. Arten vom 19. Heptember 1903 in Sachen Feuer-, Kl. u.


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • geschwister • darlehen • vorinstanz • frage • geld • simulation • wille • baukosten • eigentum • weiler • wirklicher wille • stelle • wert • erste instanz • richtigkeit • witwe • zins • vertragspartei
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