452 ijilkechtsptiege.

XII. Civiletreitigkeiten, zu deren Beurteilung das Bundesgericht von
beiden Parteien angerufen worden war. Difl'èrends de droit civil portes
devant le Tribunal. fédéral par conventions des parties.

56. Arie-il vom 26. Juni 1903 in Sachen Hiegler u. Bartholdi, KL, gegen
.Bflh-Yigi-gzahngeseufflaft, Bekl.

Anfechtung eines Gen-eminentemmtungsäescieiusses einer Aktiengeselt
schaft betr. Verteilung des Reingewinns tin-wie einzelne (Prioritdts-)
Aktionäre. Art. 631 , Abs. 2 O.-R.: Befugnis der Generalversammbmg,
in den Statuten nicht eorgesehene Beserveantageee zu beschliessen,
sofern die Sicherstellung des Unternehmens es eo'foa'dert. Feststellung?
und Leistungskluge. Anspruch der Aktionäre auf Dividende ; Entstehung
und Fälligkeit. Art. 629 ().-R.

A. Die Statuten der Aktiengesellschaft der Arth-Rigi-Bahn bestimmen in
Art. 27:

Nad; Bestreitung sämtlicher Lasten, Unterhaltung-Zund Betriebskosten,
der Verzinsung bestehender Anleihen und Vollziehung der gesetzlichen
Amortisationen, soweit solche erforderlich, wird der Überschuss der
Vetriebseinnahmen wie folgt verwendet:

a. 10,000 Fr. kommen dem Erneuerungs-fonds zu gut;

b. durch jährliche Einlagen bis auf 2000 Fr. wird ein Reservefonds
gebildet, bis derselbe die Hohe von 50,000 Fr. erreicht "haben wird.

c. Von einem Überschuss erhalten zuerst die Prioritätsaktien bis auf
44/2 0/0 Dividende jährlich, und zwar erstmals für das Rechnungsjahr
schliessend mit 31. Dezember 1889; etwaige Ausfälle in einem Jahre sind
denselben jeweilen aus dem Reinertrag "des folgenden Jahres-, jedoch
ohne Zinsvergütung, zu ersetzen.

d. Es folgt sodann die Auszahlung einer Dividende bis auf 5 80 an die
Stammaktionäre.XII, Givilstreicigkeiten vor Bundesgericht als forum
pmrogatum. N° 56_ 453

e. Ein etwa noch verbleibender Rest wird unter die StammWund
Prioritätsaktionäre gleichmässig pro rat-ades Kapitals verteilt.

f. Die Generalversammlung ist befugt, vor Verteilung der Di'oidenden zu
beschliessen, auch solche Reserven anzulegen, welche nicht in den Statuten
vorgesehen sind, sofern die Sicherstellung.des Unternehmen? eserfordert.

Dividenden hat die Gesellschaft das erste Mal pro 1898 ausgerichtet,
und zwar 214/2 0/0 an die Prioritätsaktionäre Damit aber eine Dividende
in diesem Betrage bezahlt werden konnte, mussten dem ausserordentlichen
Reservefonds 10,000 Fr. entnommen werden. Die Eröffnung der Linien
Zug-Arth-Goldau und Luzern: Goldau brachte eine bedeutende Besserung der
Einnahmen der Arth-Rigi-Bahn, und es hatte letztere beim Abschluss der
Bilanz auf 31. Dezember 1900 einen Erneuerungs-fonds von 45,939 Fr.
54 (Stà, einen ordentlichen Reservefonds von 24,000 Fr. und einen
ausserordentlichen Reservefonds von 67,000 Fr. Im Jahre 1899 wurde
eine Dividende nicht ausgerichtet, dagegen ergab das Jahr 1900 einen
Betriebsüberschuss von 45,955 Fr. 48 Età, was den Verwaltungs-rat
veranlasste, der am 29. Juni 1901 zusammentretenden Generalversammlung
zu Beantragen, den nach Abzug der Passivzinse und der Einlnge in den
ordentlichen Reservefonds verbleibenden Reingewinn folgendermassen
zu verwenden:

27,000 Fr. an die Prioritätsaktionäre; 5000 Fr. Mehreinlage

in den Erneuerun sfonds, 13,000 r. in die Spe ialre eroe. 8 z

Die Generalversammlung welcher gemäss Art. 15 litt. a der Statuten
die Festsetzung der Dividende und Beschlussfassung über die Verwendung
des Jahresnutzens überhaupt zusteht, beschloss indes, eine Dividende
nicht auszurichten, sondern von dem Reingewinn 15,000 Fr. dem
Erneuerungsfonds als ausserordentliche Einlage, und 80,000 Fr. dem
Spezialreservefonds zuzuweisen, den Rest von 955 Fr. 48 (its. auf neue
Rechnung vorzutragen. Verwalter Suter in Zosingen gab namens einer Gruppe
von Prioritätsaktionären gegen diesen Beschluss Protest zu Protokoll.

B. Mit Klageschrift vom 1./2. November 1901 sind nun %. Siegler in
Zürich als Inhaber von 300, und F. Bartholdi, Kaufmann in Frauenfeld,
als Inhaber von 60 Prioritätsaktien beim Bundesgerichte (gemäss den
Statuten ,ä 33 und Art. 52,

454 Civilrechtspsiege.

Ziff. 1 Organis.-Ges.) klagend gegen die Gesellschaft der AethRigibahn
aufgetreten mit folgenden Rechts-begehren:

i. Es sei der Beschluss der Generalversammlung der Beklagten vom 29. Juni
1901. womit sie die zu einer Verteilung von 44/2 0/9 Dividende an die
Prioritätsaktien aus dem Jahreserträgnis von 1900 zur Verfügung stehenden
27,000 Fr. ausserordentlicher Weise in ihre Reserven gelegt hat, statt
sie den Prioritätsaktien als Dividende zu verteilen, als gegen Art. 629
O.-R. verstossend, aufzuheben. -

2. Es sei die Beklagte zu verurteilen, die 27,000 Fr. nachträglich
zur Auszahlung einer Dividende von 44X2 0/0 an die Prioritätsaktien zu
verwenden und demnach jeder Prioritätsaktie von 400 Fr., und speziell
den Klägern für die ihrigen, den Betrag von 18 Fr. samt Zins zu 5 Mz
seit dem 1. Juli 1901 zu verabfolgen.

Zur Begründung dieses Begehrens führen die Kläger im wesentlichen
aus: Mit der Bestimmung, dass die Prioritätsaktionäre vom Reingewinn
in erster Linie 41], 0/, dann die Stammaktionäre, mit Ausschluss der
Prioritätsaktionäre, 5 0/0 erhalten und ibeide am Reste gleichmässig
beteiligt sein sollen, habe die Gesellschaft den Prioritätsaktionären
die Zusicherung einer so viel wie festen, bescheidenen Verzinsung
geben wollen. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass die Bestimmung der
Statuten, die Gesellschaft könnenoch weitere Reserven als die ordentlichen
beschliessen, nicht bloss wie die gleichlautende Bestimmung des Gesetzes
(Art. 631 Abs. 2 O.-R.) an die Bedingung geknüpft sei, die Sicherstellung
des Unternehmens müsse es erfordern, sondern dass sie auch, entgegen
der Vorschrift über die jährliche Äufsnung der ordentlichen Reserven,

nicht vor der Bestimmung stehe, die von der Verteilung der -

Dividenden handle, sondern nach ihr. Es sei damit der ausserordentliche
Charakter dieser Befugnis und der sie beherrschende Gedanke
augenscheinlich zum Ausdruck gebracht, und als die Meinung der Statuten
zu erkennen gegeben, dass nur in völligen Ausnahmesituationen der
Gesellschaft die Ansprüche der Aktionäre auf Dividende und speziell der
Anspruch der Prioritäten auf die ersten ihnen bei der Emission quasi
als Verzinsung in Aussicht gestellten 4% 0/0 durch ausserordentliche
Reservestellungen ihnen vereitelt werden dürfen.XII. Givilstreitigkeiten
vor Bundesgericht als forum prorogatum. N° 56. 455

In rechtlicher Beziehung wird sodann bemerkt:

Nach Art. 629 O.-R. habe jeder Aktionär Anspruch aus einen
verhältnismässigen Anteil an dem Reingewinn, der nach den Statuten zur
Verteilung unter die Aktionäre bestimmt sei, undes bestehe nach den
Statuten der Beklagten dieser Reingewinn in. demjenigen Überschusse der
Betriebseinnahmen, der nach der ordentlichen Speisung des Erneuerungssonds
und des Reservefonds noch bleibe. Nun reiche das Betriebsergebnis pro
1900 völlig zu einer Vordividende von i'/2% an die Prioritätsaktionäre
aus. Wohl stehe sowohl nach dem Gesetze (am. 631 Abs. 2 O.-R) als nach §
27 litt. f der Statuten der Beklagten das Recht zu, vor Auszahlung von
Dividenden ausserordentliche Reserven zu be-

schliessen, allein dies nur soweit, als die Sicherstellung des-

Unternehmens es erfordere. Der den Prioritäten gebührende Dividendenbetrag
von 27,000 Fr. dürfe also nicht nach freiem Ermessen und Belieben statt
verteilt in die Reserven geworfen werden. Entstehe hierüber Streit, so
habe nicht die Generalversammlung den Streit zu entscheiden, sondern der
Richter. Nach Art.,631 Abs. 2 O-R und § 27 litt. f der Statuten liege
derBeklagten ob, darzutun, dass die Sicherstellung des Unternehmens

si die Beschlagnahme der Dividendengelder für die Reserven erfordere

und nicht den Klägern der Beweis, dass das nicht der Fall seiImmerhin
wollen die Kläger dies-falls bemerken: Die Erlaubnis, die Dividendengelder
für die Reserven zu verwenden, sei die Gestattung einer-Ausnahmemassregel
und dürfe nicht aus-dehnend ausgelegt werden. Der Wortlaut der Erlaubnis
lasse klar erkennen, dass sie gegen vorübergehende hohe Dividenden,
nämlich gegen Dividenden sich richte, die durch das Eintresfen sich nicht
so bald wieder erneuernder Umstände gross aus-gefallen seien, nicht
aber gegen kleine, normale oder gar Minimaldividenden. Sie wollenicht
sowohl die Auszahlung der Dividenden überhaupt verhindern, sondern sie
nur reduzieren. Wenn es heisse, dass vor Verteilung der Dividenden noch
Reserven beschlossen werden können, so wolledas doch eher sagen, dass
auf alle Fälle etwas verteilt werden müsse, als, es solle überhaupt keine
Verteilung erfolgen. Der Wortlaut der Erlaubnis stelle sodann auch völlig
ausser Zweifel, dass die Beschlaguahme der Dividenden für die Reserven
nicht schon dann stattfinden dürfe, wenn vom Standpunkte des vorsichtigen

4-5 Givilrechtspflege.

Kaufmannes aus die Massregel als nützlich und wünschenswert erscheine,
sondern nur dann, wenn die Lage des Unternehmens sie schlechterdings
verlange, wenn sie notwendig sei. Endlich stehen die Rechnungsablage,
die Aufstellung der Jahresbilanz die Reservestellungen und die Auszahlung
von Dividenden bei den Aktiengesellschaften, die Eisenbahngesellschaften
seien, nunmehr unter dem Rechnungsgesetze von 1896, welches im einzelnen
bestimme, welche Buchungen und Massnahmen dieser Unternehmen notwendig
seien; ies schreibe vor, nach welchen Grundsätzen die Reserven dotiert
werden sollen, es mache die Auszahlung der Dividenden und ihre Höhe von
der Befolgung dieser Vorschriften abhängig und sorge dafür, dass kein
Franken an Dividende ausbezahlt werde, ohne dass die Aufsichtsbehörde,
der Bundesrat, sein Plazet gegeben habe. Damit sei dann aber auch
die Frage, ob die Sicherstellung des Unternehmens die Ausschüttung
einer Dividende verbiete oder gestatte, für die Eisenbahngesellschasten
gelöst. Notwendig seien ausserordentliche Reserven bei einer Bilanz nur,
wo sie für einzelne Aktiven zu hohe Wertungen enthalte, deren Korrektur
dann mit der ausserordentlichen Reservenbildung vorgenommen werde. Die
Bilanz der Beklagten enthalte keine dubiosen, keine mit Verlust bedrohten
Posten. Dass sie auf Abschluss keine grössern Baroder Valorenbestände
aufweise, der Aktivenüberschuss vielmehr wesentlich im Baukonto stecke,
sei entfernt keine Nötigung zur Unterdrückung der Dividende Es komme
bei Eisenbahngesellschaften oft vor, dass der Überschuss der Aktiven
über die Passiven, aus dem die Dividende verabfolgt werde, nicht in
barem Gelde vorhanden sei; dennoch sei bei solider Wertung der Anlagen
die Dividende gerechtfertigt Das Rechnungsgesetz habe denn auch die
Bahngesellschaften von jeher ermächtigt, jede Erweiterung der Anlage
auf Baukonto zu buchen und in die Aktiven der Bilanz einzustellen. Die
Verwendung von Betriebsüberschüssen zur Errichtung oder zum Ausbau einer
Station oder zur Vermehrung des Rollmaterials, wie es bei der Beklagten im
Jahre 1900 vorgekommen sei, bedeute keine unrentable Verwendung, sondern
ein Mittel zur Vermehrung der Rendite, und keinen Aufbrauch von Vermögen,
sondern eine Vermögensumwandlung. Auch das gelegentlich gehörte Motiv, die
Bilanz von 1900 weise noch eine schwebende Schuld XII. Civilstreitigkeiten
vor Bundesgericht als forum prorogatum. N° 58. 457

auf von 259,000 Fr., sei hinfällig. Bei dein Vermögensstande, zu dem
die Gesellschaft mit den Jahren gelangt sei, bedeute eine schwebende
Schuld von diesem Betrage bei einem Aktivenbesiande von {S'/3 Millionen
schon an sich keine Gefahr mehr, sondern habe nur den Nachteil höherer
Verzinsung. Überdein könnten nach Ausrichtung einer Dividende an die
Prioritätsaktionäre noch 18,000 Fr. als ausserordentliche Reserve
verwendet werden. Aus all dem gehe hervor, dass die Streichung der
Dividende der Prioritätsaktie willkürlich und nicht gerechtfertigt und
nur erfolgt sei, um sub colore

juer die Stellung der Stammaktionäre zu verbessern.

C. Die Beklagte beantragt Abweisung der Klage und begründet diesen
Antrag folgendermassen: Von der Zusicherung einer so viel wie festen
Verzinsung sei nie die Rede gewesen und es sei eine solche bei einer
Prioritätsaktie begrifflich ausgeschlossen. Nach § 27 litt.f der
Statuten stehe der Generalversammlung das Recht zu, ausserordentliche
Reserven anzulegen. Auf das gegnerische Argument, dass diese Bestimmung
am Schlusse des § 27 stehe, skomme nichts cm, da ja ausdrücklich gesagt
sei, dass solche ausserordentliche Reserven vor Verteilung der Dividende
beschlossen werden . können. Dass der Beschluss der Generalversammlung ein
berechtigter gewesen sei, beweise die Tatsache, dass die Betriebseinnahmen
im Jahre 1901 bis Ende November ca. 40,000 Fr. weniger betragen
als im Jahre 1900. Die Behauptung, dass der angefochteue Beschluss
gesetzund statutenwidrig sei, sei unrichtig, denn das Obligationenrecht
gestatte ausdrücklich, dass die Generalversammlung über den Jahresgewinn
oder einen Teil desselben auch in der Weise verfüge, dass derselbe zu
ausserordentlichem in . den Statuten nicht ausdrücklich vorgeschriebenen
Abschreibungen oder Reservesiellungen verwendet werde. Überdies stehe
der Generalversammlung nach dem Wortlaute der Statuten die Befugnis zu,
den ganzen Reingewinn Und nicht bloss einen Teil desselben zu solchen
ausserordentlichen Reserven zu verwenden. Der Generalversammlung
komme kraft gesetzlicher Bestimmung allein die Kompetenz zu, über die
Verwendung des Jahresgewinnes Verfügung zu treffen; entscheidend sei
diessalls der Wille der Mehrheit der Aktionäre Die Aufstellung einer
Bilanz und die Beschlussfassung über den Reingewinn im besondern habe
nach allgemeinen kauf-

xxx, 2. J2903 30

458 civilrechtspllege.

männischen Grundsätzen zu erfolgen. Es gebe hierüber feinestarren, für
alle Verhältnisse passenden und unter allen Umstanden anzuwendenden
Regeln. Es würde zu unerträglichen Verhältnissen führen, wenn man
über die Frage der Angemessenheit von Bemerkungen, Abschreibungen
ze. in jedem Falle den ganzen Jnstanzens zug eines gerichtlichen
Verfahrens eröffnen wollte. Es komme also lediglich darauf an, ob der
Beschluss der Generalversammlung dieder letztern gesetzte Kompetenz
überschreite. Sei dies nicht der Fall, so könne die Anfechtung eines
derartigen Beschlusses und" die Forderung auf Auszahlung einer Dividende
nicht damit begrundet. werden, dass die Bewertung eines Kontos der von
den berufenen Organen der Gesellschaft festgesetzten, revidierten und von
der Generalversammlung genehmigten Bilanz unangemessen oder zu hochoder zu
niedrig sei. Zum nämlichen Resultat gelange man, wenn man ausgehen wolle
von dem Recht aus Dividende, das-gedenkeinzelnen Aktionär kraft seiner
Mitgliedschaft zustehe. Der einzelne Aktionär habe weder einen Anspruch
auf eine bestimmte Quotedes bilanzmässigen Reingewinues, noch könne
derselbe verlangen, dass der ganze Jahresgewinn zur Verteilung gebracht
werde. E"... solcher Anspruch bestehe vielmehr nur bezüglich desjenigen
Elsterngewinnes, welcher von der Generalversammlung zur Verteilung
bestimmt und ausgeschieden werde. Der einzelne Aktionär habe die Befugnis,
durch seine Abstimmung bei der Festsetzung der Dividendemitzuwirken,
allein die Ausübung seines Rechtes auf Dividendeunterliege, wie jedes
Mitgliedschastsrecht, den Beschlüssen der Generalversammlung Unter
solchen Umständen treffe die Kläger dieBeweislast für die behauptete
Anfechtbarkeit des von der Generalversammlung innerhalb ihrer gesetzlichen
und statutarischen Befugnisse und Kompetenzen erlassenen Beschlusses. Also
nicht die Beklagte habe den Beweis zu erbringen, dass die Anordnungen und
Beschlüsse der Generalversammlung auch opportun und angemessen seien. Es
sei durchaus nicht richtig, dass es sich hier macine-Ausnahmemassregel
handle. Die Bestimmung des § 27 letti stehe, wie bereits bemerkt,
zu den übrigen Bestimmungen m einein andern Verhältnisse als dem von
einer Ausnahme zur RegelLitt. f spreche von einer fakultativen, die
übrigen Bestimmungen aber von einer obligatorisch-en Reservestellung
Noch unrichtiger setXII. Civilstreiiigkeiten vor Bundesgericht als forum
pm'rogaium N° 56. 459

die Behauptung, dass litt. f nur eine Verkürzung der Vorzugsdividende
gestatte. Mit den Worten vor Verteilung der Dividende- wolle doch
sicherlich gesagt werden, dass die Generalversammlung bevor überhaupt
die Verteilung von Dividenden in Betracht kommen fiume, den vorhandenen
Reingewinn zur Anlegung besonderer

"Reserven verwenden dürfe. Die Frage, ob die Sicherstellung des

Unternehmens die Anlegung besonderer Reserven verlange, sei eine
Frage, welche durch die Generalversammlung nach den im kaufmännischen
Verkehr geltenden Grundsätzen und vom Standpunkte des ordentlichen und
vorsichtigen Kaufmannes aus zu beurteilen sei, und nicht vom Standpunkte
desjenigen aus, der aus seiner Aktienbeteiligung einen möglichst grossen
Nutzen ziehen wolle. Unter keinen Umständen könne das Rechnungsgesetz
massgebend sein dafür, ob die Voraussetzungen der Iitt.f von g 27
der Statuten vorhanden seien oder nicht. Weder dieses Gesetz, noch das
Obligationenrecht, verbieten, dass die Statuten weitergehende Vorschriften
ausstellen zur Konsolidierung und bessern Fundierung eines Unternehmens
Eine Anfechtung des in Frage stehenden Beschlusses wäre nur dann zulässig,
wenn in demselben eine offenbar arglisiige Handlungsweise gegenüber den
Priorität-Zaumnären liegen, oder wenn sich derselbe nicht mehr im Gebiete
vernünftiger Erwägungen bewegen würde. Dies sei indes nicht der Fall und
speziell sei die Äussnung der Reserven nicht etwa deshalb beschlossen
worden, um die Prioritäten vom Dividendengenuss auszuschliessen, bis und
so lange auch den Stammaktionären etwas gegeben werden könne. Die Kläger
anerkennen mit Recht, dass ausserordentliche Reserven bei einer Bilanz da
notwendig seien, wosie für einzelne Aktiven zu hohe Wertungen enthalte,
deren Korrektur dann mit der ausserordentlichen Reservebildung vorgenommen
werde. Diese Voraussetzungen liegen in casu in der Tat vor und es werde
der Beweis durch Expertise dafür angeboten, dass die Sicherstellung
des Unternehmens die beschlossene Reservestellung absolut verlange. Zur
Unterstützung dieser letztern Behauptung führt die Beklagte u. a. aus:
Der Baukonto, der im Jahre 1895 6,173,609 Fr. betragen habe, sei bis
Ende 1900 auf 6,475,180 Fr. angestiegen, was jährliche Abschreibungen
in Form von Reservesiellungen nötig mache. Die vorhandenen Re-

460 Civilrechtspflege.

serven seien nun absolut ungenügend, zudem stehen dieselben in der
Hauptsache lediglich auf dem Papier. Einzig der ordentliche Reservefonds
von 24,000 Fr. sei durch einen Kassabestand und Wertschriften gedeckt,
die andern beiden Fonds von zusammen 112,939 Fr. bestehen bloss als
Guthaben auf dem Baukouto, bezw. seien in dem Baukonto enthalten, was
übrigens auch die Kläger anerkennen. (über die Verwendung dieser Fonds,
bezw. die Vermehrung des Baukonto, macht sodann die Beklagte nähere
Angaben.) Die Sicherstellung des Unternehmens verlange daher in der Tat,
dass die Betriebsüberschüsse nicht für Dividenden verwendet, sondern
so lange zurückbehalten werden, bis die Gesellschaft über ein mässiges
eigenes Betriebskapital verfüge. Dabei sei zu betonen, dass auch dann,
wenn der angefochtene Beschluss bestehen bleibe, den Reserven noch gar
kein bares Geld oder Werttitel zugewiesen werden können.

D. In ihrer Replik erläutern die Kläger ihr Klagebegehren dahin, dass
unter dem Coupon, der gegen die Dividende auszuhändigen sei, der von
1899 gemeint sei, weil für ein Jahr das Nachbezugsrecht bestehe, und
führen gegenüber den Anbringen der Antwort in der Hauptsache aus: Dem
einzelnen Aktionär stehe überall das Recht zu, Einspruch zu erheben,
wenn für eine ausserordentliche Verwendung des Reingewinnes, wie sie
in easu geplant sei, die gesetzliche und statutarische Voraussetzung
fehle, d. h. wenn die vom Gesetze und den Statuten verlangte Gefährdung
oder Notlage der Gesellschaft nicht vorhanden sei, worüber einzig der
Richter zu entscheiden habe. Andernfalls wäre der einzelne Aktionär völlig
rechtlos und der Willkür der Mehrheit der Aktionäre ausgeliefert. Art. 631
Abs. 2 O.-R. (und die Statuten) enthalten bloss eine Einschränkung dieser
Garantie, indem, wie gesagt, die ausserordentliche Reservestelluug
nur eintreten dürfe, wenn die Sicherstellung der Gesellschaft es
erfordere. Sollte die Auslegung der Beklagten richtig sein, so wäre
es ja in das völlige Ermessen der Generalversammlung gestellt, die
Dividenden zu kürzen oder ganz zu unterdrücken, falls sie sich nur
dazu entschliesse, sie für ausserordentliche Reserven zu verwenden. Die
bezügliche Vorschrift besage aber gerade das Gegenteil. Es sei auch mit
der Gerechtigkeit unverträglich, wenn von zwei streitenden Parteien der
einenXII. civilstrejtjgkeiten vor Bundesgericht als forum prorogatum. N°
56 461

die Rolle des Richters zugeteilt werden wollte, und es wäre die von
der Beklagten behauptete Kompetenz der Generalversammlung nur dann
anzunehmen, wenn das Gesetz sie ausdrücklich statuierte. Hieran sei um
so mehr festzuhalten in einem Falle wie dein vorliegenden, wo eine die
Minderheit bildende Rangklasse von Attionären

das Opfer der ausserordentlichen Reserve bringen sollte. Die Fest-

stellung der Abschreibungen in der jährlichen Bilanz dürfe damit nicht
zusammengestellt werden. Mit der Festsetzung der Bilanz, d. f),. den
Abschreibungen, habe die Generalversammlung ihre Befugnis der Feststellung
per major-a erschöpft; mit den dort beschlossenen Abschreibungen sei
die Wertung der Aktiven und Passiven durch die Generalversammlung als
richtig erklärt, und darauf könne nicht mehr zurückgekommen werden. Das
Gesetz selber kenne die Abschreibungen nur als Vermögeiisiarieruiigen,
nichtl als Reserven. Die Kompetenz für die Abschreibungen (die
Feststellung der Bilanz) sei sachlich ganz verschieden von der Hompetenz
für ausserordentliche Reserven aus dem Vermögensuberschuss dieser
Bilanz. Aber auch in Bezug anf die Abschreibungen sei die Kompetenz der
Generalversammlung keine schrankenlose, sondern finde ihre Beschränkung
durch den Begriff der Abschreibung als Wertermittlung, denn setze sich die
Generalversammlung über den Begriff der Abschreibung weg, d. h. nehme
sie unter dein Namen Abschreibung nicht eine Wertung, sondern eine
für jedermann sichtbare starke Unterwertung vor, so stehe auch schon
im Abschreibungsverfahren der geschädigten Minderheit das gerichtliche
Einspruchsrecht gegen einen solchen Missbrauch zu. Das Argument, dass
der einzelne Aktionär überhaupt so lange keine Dividende verlangen
und einklagen könne, als die Generalversammlung eine Dividende nicht
beschlossen habe, sei ebenso unzutreffend und habe mit dem materiellen
Dividenden-ansprach nichts zu tun, sondern nur mit dem Moment seiner
Fälligkeit. Der materielle Dividendenanspruch aus Art. 629 O.-R. sei
seine Berechtigung vorausgesetzt gegeben, sobald die Bilanz festgestellt
bezw. die Jahresrechnung abgenommen und über die Verwendung des Gewinnes
Beschluss gefasst sei. Darauf, ob der Beschluss den Anspruch anerkenne
oder negiere, komme nichts an. Auch bei Auszahlung der Dividende an die
Prioritäten entspreche die Vermögens-lage der

462 . Ci vilrechtspflege.

Gesellschaft immer noch den Vorschriften des Rechnungsgesetzes, das
eine weitere Reservestellung, als die Sicherheit des Bahnunternehmens
erfordere, nicht verlange. Die Aussetzungen, die die Be- klagte an ihrer
Bilanz mache, seien augenscheinlich unbegründet. Die Vermehrung des
Baukontos in den letzten fünf Jahren, welcher eine bedeutende Steigerung
des Verkehrs gegenüberstehe, bedeute doch eher eine Verbesserung denn
eine Verschlimmerung der Lage der Gesellschaft, indem sich ja die
Betriebseinnahmen von 1897 an um circa 45 0/O vermehrt haben. Auch sei
der Baukonio nicht zu hoch bewertet, übrigens sei diese Wertung von der
Generalversammlung gutgeheissen worden. Die Aussetzung, die Reserven
stünden bis auf 24,000 Fr. lediglich auf dem Papier, sei eine Verkennung
des Charakters der Reserven, denn diese letztern stecken im Überschuss
des Wertes der Anlage und dieser Überschuss sei wirkliches, rentables
Vermögen. Auch bei andern Unternehmungen, und speziell bei allen Bahnen,
seien die Reserven zum grössten Teile nicht in Kapitaltiteln, sondern
in dem freien Wert der Anlage ausgewiesen, und das Gesetz verlange auch
nichts anderes-.

E. In der Duplik hält die Beklagte an allen in der Klagebeantwortung
angebrachten Vorbringen fest und offeriert für die Richtigkeit derselben
den Beweis durch Expertise. Im weitern protestiert sie gegen die in der
Replik vorgenommene Klageänderung sowie gegen die Zinspsiichi. Bezüglich
des letztern Punktes bemerkt die Beklagte, dass der Dividendenanspruch
der Aktionäre sich erst dann in ein Forderungsrecht verwandle, Wenn
die Grösse der Dividende durch die Generalversammlung eventuell durch
gerichtliches Urteil festgestellt sei.

F. Den in Sachen bestellten (Experten, Herren Löffler, Direktor der
Tösstalbahn in Winterthur, und A. Laubi, Direktor der Südostbahn in
Wädensweil, ist die Frage zur Begutachtung vorgelegt worden, ob die
Sicherstellung des Bahnunternehmens es erforderte, dass der ganze
Reingewinn von 1900 als ausserordentliche Reserve zurückgelegt wurde,
eventuell welcher Teil davon. Das den Parteien in Abschrift mitgeteilte
Expertengutachten kommt zu dem Schlusse: Von dem gesamten, 45,955
Fr. 48 Ets. betragenden Aktivsaldo der Gewinnund Verlustrechnung auf
31. Dezember 1900 hätte die Summe von 24,955 Fr. 48 W. zuriickgestellt
werden sollen,XII. Civilstreitigkeiten vor Bundesgericht als forum
prorogatum. N° 58 463

Und zwar 20,000 Fr. als eigentliche Rücklagen behufs Sicherstellung
des Unternehmens im Sinne von § 27 litt. { der Stasssstuien, und
4955 Fr. 48 Ets. als Saldovortrag auf neue Rechnung gemäss Ufance
und Vorgang in frühern Jahren. An die Prioritätsaktionäre hätte dann
verteilt werden können der Betrag von 21,000 Fr. oder 3'/& 0/0 des
Prioritätsaktienkapitals.t Auf die Ausführungen dieses Befindens wird
in der rechtlichen Erörterung eingetreten werden.

G:. Von den Parteien haben einzig die Kläger das Gutachten .bemangelt,
ohne indessen bestimmte Erläuterungsfragen zu stellen.

HszBei der Parteiverhandlung vom 30. Mai 1903 haben die Partekvertreter
ihre in den Rechtsschriften gestellten Anträge wiederholt. Der Vertreter
der Beklagten führt dabei aus, die Klage sei eventuell abzuweisen in dem
Sinne, dass der Reingewinn pro 1900 in den Erneuerungs-fonds zu legen sei.

sissSDas Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Kompetenz.)

2. Mit ihrem ersten Rechtsbegehren verlangen die Kläger Ungültigerklärung
des Beschlusses der Generalversammlung vom '29. Juni 1901 betreffend
Verteilung des Reingewinnes für das Jahr 1900, den sie als gegen
Art. 629 QR. verstossend bezeichnen. Sie machen damit das jedem Aktionär
zustehende Anfechtungsrecht gegen gesetzund statutenwidrige Beschlüsse der
Generalversammlung geltend, machen von ihrem Mitglied-schastsrechte gut
Beobachtung von Gesetz und Statuten Gebrauch Diese An1fechtungsklage,
die auch nach eidgenössischem Obligationenrecht jedem Aktionär
zusteht, und aus seiner Mitgliedschast folgt, ist entgegen der
Regelung im neuen deutschen Haudelsgesetzbuche § 271 (vgl. auch das
alte deutsche Handelsgesetzbuch, Art. 222 in Verbindung mit Art.190
a.), und im Unterschiede von der Verantwortlichkeitsklage gegen die
Verwaltung und die Gründer, Art. 675 O.-R., weder an eine Frist noch
an besondere Förmlichkeiten gebunden. Der Inhalt dieser Klage, wie er
im ersten Rechtsbegehren ausgedrückt ist, geht auf Ungültigerklärung,
Aufhebung eines Beschlusses der Generalversammlung,muss also als
Feststellungsanspruch bezeichnet werden. Daneben verlangen

ifdie Kläger mit ihrem zweiten Rechts-begehren eine Leistung, er-

464 civilkeohtspttege.

heben sie eine aus der Gutheissung des ersten Rechtsbegehrenstunmittelbar
folgende Leistungsklage Inwieweit dieser Anspruch nach eidgenössischem
Obligationenrecht zulässig und begründet iii ist weiter unten zu erörtern.

3. Der angefochtene Beschluss der Generalversammlung stütztsich auf
die, mit Art. 631 Abs. 2 O.-R. identische Bestimmung in § 27 litt.f ber
Statuten, wonach die Generalversammlung befugt ist, vor Verteilung der
Dividende auch solche Reserveanlagen,. welche nicht in den Statuten
vorgesehen sind, zu beschliessen, sofern die Sicherstellung des
Unternehmens es erfordert. Bomb kann nun diesem Beschlusse nicht etwa
entgegengehalten werden,... was die Kläger übrigens selbst nicht tun,
durch die vorausgegangene Genehmigung der Bilanz und der Jahresrechnung
per 531. Dezember 1900 habe die Generalversammlung festgestellt,. dass ein
Reingewinn von 45,955 Fr. 48 Cts. zur Verfügung der Aktionäre stehe,
und es gehe daher nicht an, dass nun entgegen dieser genehmigten
Bilanz ein anderer Beschluss, der feinen; Reingewinn zur Verfügung
der Aktionäre halte, gefasst merde... Gegen diese Argumentation ist zu
bemerken, dass der Beschluss derGeneralversammlung über Anlegung von
Spezialreserven und Einlagen in den Erneuerungsfonds eben materiell eine
Aufhebung der frühem Bilanzgenehmigung bedeutet, in dem Sinne, dass einzu
verteilender Reingewinn nicht vorhanden sei. (Vgl. Entscheidungen des
Reichsgerichts in Civilsachen, Bd. IV, S. 102 ff.)Steht so die Genehmigung
der Jahresrechnung und der Bilanz mit dem angefochtenen Beschlusse der
Generalversammlung nicht in Widerspruch, so ist nunmehr dieser Beschluss
materiell auf seineAnfechtbarkeit zu prüfen. Hiebei ist vorerst der
Stundpunkt derKläger abzulehnen, der dahin geht, den Prioritätsaktionären
stehe unter allen Umständen ein Recht auf Dividende zu, sobald der

Erneuerungsund der Reservefonds in der statutarischen Höhe-

(iitt. a und b des § 27 der Statuten) gespiesen seien; das Recht zur
Anlegung von Spezialreserven sei subsidiär, stehe dem Rechte der Aktionäre
auf Ausrichtung einer Dividende nach, wie sich dies

schon daraus ergebe, dass die betreffende Bestimmung sich amSchlusse des §
27, der die Verteilung der Betriebseinnahmen

regelt, befinde-; es könne überhaupt mehr nur von einer Reduktion

XII. Civilstreitigkeiten vor Bundesgericht als forum prerogatum. Na
56 465-

als von einer gänzlichen Aufhebung des Dividendenrechtes
derPrioritätsaktionäre die Rede sein. Dieser Auffassung der Kläger
steht schon der Wortlaut der Bestimmung, die sich mit Art. 631 Abs. 2
O.-R. inhaltlich deckt, entgegen. Aber auch dem Sinne nach kann ihr
nicht beigepslichtet werden: indem die Statuten,. übereinstimmend
mit dem Gesetze, ein Recht der Generalversammlung, auch nicht in den
Statuten vorgesehene Spezialreserven zu. beschliessen, ausstellen,
schränken sie damit das Recht der Aktionäre auf die Dividendenznteilung
notwendigerweise ein. Dieses letztere Recht ist jener im Interesse
der Aktiengesellschaft aufgestellten Befugnis der Generalversammlung
der Natur der Sache nach untergeordnet Dagegen ist den Klägern darin
beizutreten, dass das gesetzliche Hund statutarische) Recht der
Generalversammlung, vor erteiluna der Dividende die Anlegung von "iti
WW Licht vor-geschienen Reserveanlagen zu beschliesseni geknüpft ist
an eine bestimmte Voraussetzung, indem dies nur es e en farm, wenn und
insoweit die Sicherstellung des Unternehmens es er-fordert. Dass diese
Voraussetzung vorhanden sei, ist richtigerW-

ficht nach von der beklagten Gesellschaft, die auf die Bestimmung

gestützt eine Einschränkung des Anspruches der Aktionäre auf die-

ss Dividende vornimmt, zu beweisen. Unrichtig ist hiebei der Stand-

punkt der Kläger, es müsse sich geradezu um eine Notlage oder eine
Gefährdung der Gesellschaft handeln, es genügt vielmehr, dass vom
Standpunkte einer vorsichtigem die Gegenwart und Zukunft ins Auge
fassenden Geschäftsleitung die Anlegung derartiger Spezialreserven
geboten erscheint. Auf der andern Seite widerspricht auch die von der
Beklagten vertretene Auffassung, die bezüglichen Beschlüsse können nur
angefochten werden, wenn darin geradezu eine arglistige Handlungsweise
(hier gegenüber den Priorität-Zaktionären) liegen würde, dem Wortlaut
und Sinn des Gesetzes. Der Wortlaut schliesst ein freies Belieben der
Generalversammlung eine willkürliche Verfügung aus. Die Generalversammlung
darf den Aktionären den Reingewinn nur entziehen, wenn und soweit die
Sicherstellung des Unternehmens es erfordert; es muss also in irgend
einem Punkte eine Unsicherheit, Unzulänglichkeit in finanzieller Hinsicht
vorhanden sein. Fraglich kann dabei sein, ob es an der Gefahr irgend
eines Nachteils genüge, oder ob die Existenz

466 Givîlrechispflege.

der Gesellschaft bedroht sein müsse Im Zweifel wird dem Verfügungsrechie
der Generalversammlung und dem Bestreben, das Unternehmen zu konsolidieren
sicherzustellen, gegenüber dem Bestreben auf Erreichung eines baldigen
Reingewinnes der Vorzug zu geben sein; immerhin ist zu beachten, dass
das Gesetz die Befugnis der Generalversammlung insofern einschränkt,
als es sich ausdrückt, die Anlegung von Spezialreserven dürfe insoweit
beschlossen werden, als die Sicherstellung des Unternehmens es erfordere,
also jedenfalls blosse Wünschbarkeit nicht genügt. Dabei ist nicht
ausser Acht zu lassen, dass es sich für die Generalversammlung sehr
häufig nicht darum handelt einfach Schlüsse aus gegebenen Tatsachen zu
ziehen, sondern darum, Urteile über Situationen abzugeben Über die Frage
der Zweckmässigkeit und des Masses ist in erster Linie das Ermessen
der Generalversammlung massgebend. Kommt es, wie hier, über die Frage,
ob die Sicherstellung des Unternehmens die Anlegung von Spezialwserven
erfordert, zum Streit, so ist objektiv, in der Regel an Hand einer
Expertise, das Vorhandensein dieses Momentes zu prüfen.

4. Wird nun von diesen Gesichtspunkten aus die Frage geprüft, ob im
vorliegenden Falle die Generalversammlung ihre Befugnisse in einer
Weise überschritten habe, die gegen Gesetz und Statuten (Art. 631
Abs. 2 O.-R. und § 27 litt. f der Statuten) verstosse, so ergibt sich
folgendes: Die Erperten, denen im Einverständnisse mit den Parteien die
sub Fakt F mitgeteilte Frage vorgelegt worden ist, haben die Vahnanlage
und das Rollmaterial einem Augenschein unterzogen und ausser dem Bau:
und betriebstechnischen Zustand auch untersucht, ob das Unternehmen auf
Ende 1900 über die erforderlichen Mittel zur Erfüllung der statutarischen
und gesetzlichen Verpflichtungen, sowie zur ordnungsgemässen Fortführung
des Betriebes verfügt habe. Sie sind nun zunächst dazu gelangt, darzutun,
dass der Erneuerungssonds den Vorschriften des Eisenbahn-Rechnungsgesetzes
von 1896 nicht entspreche, und berechnen den Fehlbetrag desselben auf Ende
1900 auf 130, 000° Fr. Unter Abzug der verfügbaren Deckungsmittel von 67,
000 Fr. (30,000 Fr im ObligationenzinsReservefonds-, 3? ,000 Fr. in der
Spezialres erve) stellen sie indessen den Fehlbetrag endgültig auf 63,
000 Fr feft;u11b unter ZugrundelegungXl] . Civilsissreitigkeiten vor
Bundesgericht als forum prorogatum. N° 56. 467

seiner sechsjährigen Deckungsfrist berechnen sie die jährlich
erforderliche Einlage auf 10,500 Fr. Wenn nun unter diesen Umständen sder
angesochtene Beschluss einen Betrag von 15,000 Fr. dem Erneuerungsfonds
zuweist, so kann das nicht als gesetzoder statutenwidrig bezeichnet
werden, zumal die Experten sich dahin aussprechen, den Grundsätzen eines
soliden finanziellen Haushaltes entspreche es, dass Defizite dieser Art
nicht zu lange in den Jahresrechnungen nachgeführt werden Im weitern
erklären es die Experten als ein Gebot der Vorsicht, dass ein Betrag
von 5000 Fr aus dem Uberschuss des Betriebsergebnisses des Jahres
1900 für Umbauten ' und Erweiterungsarbeiten angelegt werde Endlich
stellen sie einen Betrag von 4500 Fr. für Verzinsung ausserordentlicher
Geldbedürfnisse zu Umbauten und Erweiterungen (speziell für Hochsbauten
und Stationserweiterungen aus RigisStaffel und auf Nigi: KlösterliJ
in Rechnung Sie gelangen so dazu, von dem Aktivsaldo der Gewinn und
Verlustrechnung pro 31 Dezember 1900 von , . . . . Fr 45,955 48 in Abzug
zu bringen . 20,000 -

als Rücklage behufs Sicherstellung des Unter-

nehmens, somit Fr 25, 955 48 zur Verfügung der Aktionäre zu halten
Dagegen bringen sie hievon noch weitere 4955 Fr 48 Etf. in Abzng, indem
sie von der Annahme ausgehen, es sei ein Saldovortrag von 29,795 Fr.
-88 Cts. vom Jahre 1899 auf die Rechnung pro 1900 herübergenommen
worden. Diese Annahme der (Experten ist indessen irrtümlich; denn von
jenem Saldovortrag sind 27,000 Fr. in die Speziatreserve eingelegt und
nur 2795 Fr. 88 Ets. als Saldo vorgetragen werden; der von den Experten
vorgeschlagene weitere Abzug rechtfertigt sich daher nicht.

Nach diesen Ausführungen erscheint der Beschluss der Generalversammlung
vom 29. Juni 1901 insoweit unanfechtbar, als damit

a. Fr. 15,000 dem Erneuerungsfonds zugewiesen,

b. 9,500 für Sicherung des Unternehmens in einer

Spezialreserve angelegt, c. 955 48 auf neue Rechnung vorgetragen werden.

Diese Fr. 25,455 48 sind demnach in Abzug zu bringen vom

468 Civilrechtspflege.

Überschuss von 45,955 Fr. 48 Cis. Dagegen haben die restierenden
20,500 Fr. zur Verteilung unter die Prioritätsaktionare zujdienetn
da für diesen Betrag nicht nachgewiesen ist, dass die Sicherstellung
des Unternehmens die Anlegung von speziellen, in den Statuten. nicht
vorgesehenen Reserven erfordert habe. Der angefochtene Beschluss ist
sonach ungültig zu erklären, insoweit als er mehr als25,455 Fr. 48 Età.,
nämlich weitere 20,500 Fr., der Versugung der Prioritätsaktionäre,
bezw. der Verteilung unter diese, entzieht, und in diesem Umfange
erscheint das erste Rechtsbegehren als begründet. _

5, Mit ihrem zweiten Rechtsbegehren, auf dessen Prüfung nunmehr
überzugehen ist, verlangen die Kläger Verurteilung derBeklagten zur
Auszahlung der den Prioritätsaktionären zukommenden Dividende, und
zwar sowohl für alle Prioritätsaktionäre, als auch für sie persönlich
Dieses Rechts-begehren stellt sich im Gegensatze zum ersten Begehren
dar als Leistungsklage; die Kläger verlangen damit eine Leistung der
Beklagten: Die Ausrichtuug der gesetzund statutenwidrig entzogenen
oder vorenthaltenen Dividende. Soweit nun die Kläger Leistung an
alle Prioritätsaktionäre verlangen, geht ihr Begehren von vornherein
zu weit; denn obschon sie im Namen ihrer Mitaktionäre aufzutreten
erklären, habensie doch keine Vollmacht etwa einer Versammlung der
Prioritatsaktionäre oder der einzelnen übrigen Prioritätsaktionäre
zu den Akten gebracht, sodass sie im Prozesse nur als im eigenen
Namen auftretende Kläger behandelt werden dürfen. Dagegen wirkt
dann allerdings das Urteil, soweit es die Ungtiltigkeit des
angefochtenen Beschlusses ausspricht, diesen aufhebt, für und wider
alle Beteiligten. (Vergl. Amtl. Sammlg. der bundesger. Entscheidungen,
Bd. XXIII, S. 1829, Erw. 2, Urteil vom 17. Dezember 189?] i. S. Spar:
und Leihkasse Zofingen gegen Graf und Konsorten;. ferner Bd. XXVII,
2. Teil, S. 234, Erw. 2, Urteil vom 22. Juni 1901 i. S. Schweitzer gegen
Hypothekarbank Zürich.)

Jm übrigen hängt die Frage, ob den Klägern jetzt schon die der-

Ungültigkeitserklärung entsprechende Dividende zuzusprechen sei, davon ab,
ob die Kläger einen gegenwärtigen, fälligen Anspruch auf diese Dividende
haben, oder ob nicht ihr Dividendenansprnch erst entsteht mit einem
Beschluss der Generalversammlung, der sichXII. cirilstreitiglceiten vor
Bundesgericht als forum prorogatum. N° 56. 469

als Ausführung des gegenwärtigen Urteiles über das erste Klagedegehren
darstellen würde. Nun ist, entgegen den Ausführungen der Kläger, daran
festzuhalten, dass Art. 629 O.-R. den Aktionären nicht ein unbedingtes
und unbeschränkte-Z Recht auf die Dividende gibt, sondern nur insoweit,
als der Reingewinn nach den Statuten zur Verteilung unter die Aktionäre
bestimmt ist. (Vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 1. November 1902
i. S. Bank für Handel und Industrie in Darmadt, gegen Jura-Simplon-Bahn,
Amtl. Sammlung, Bd. XXVIII, 2. Teil, S. 484 s., Erw. 3.) Der
Dividendenanspruch der Aktionäre folgt also erst aus den Statuten,
nicht unmittelbar aus dem Gesetze selber. Dagegen ist die weitere Frage,
ob dieser durch die Statuten gewährte Anspruch schon entstehe durch
die Tatsache des Vorhandenseins eines nach den Statuten zur Verteilung
unter die Aktionäre bestimmten Reingewinues, oder ob zur Entstehung des
Anspruches ein Dividendenfeststellungsbeschluss der Generalversammlung
notwendig sei, im Sinne der ersten Auffassung zu entscheiden Denn, wenn
die Statuten den Anspruch der Aktionäre auf die Dividende festsetzen,
schaffen sie damit ein Recht der Aktionäre, das als Sonderrecht der
Aktionäre zu bezeichnen ist und gemäss Art. 627 O.-R. nicht angetastet
werden darf, das nach dem System des schweizerischen Obligationenrechts
allerdings nur mit der Einschränkung des Art. 631 Abs. 2 Q.-R Einer
besondern Beschlussfassung zur Entstehung des Dividendenrechts bedarf
es in dem Falle, wo (wie hier) die Statuten die Verteilung und das Mass
der Dividende genau regeln, nicht. (Vgl. Bachmann, Die Sonderrechte des
Aktionärs, S. 161, der aber infolge der Bestimmung des Art. 631 Abs. 2
O.-R. auf anderm Boden steht, indem er diese Bestimmung unzutresfend dahin
auffasst, sie gewähre der Generalversammlung das freie Verfügungsrecht
über den Reingewinn zu Reserveanlagen.) Daraus folgt, dass dann, wenn
den Aktionären durch einen gesetzoder statutenwidrigen Beschluss die
ganze oder ein Teil der Dividende entzogen ist eine präsente Verletzung
des Anspruches der Aktionäre auf die Dividende vorliegt, und dass sie
demgemäss berechtigt sein müssen, Wiederherstellung dieser Verletzung
nicht nur in der Form der Ungültigkeitserklärung des betreffenden
Beschluss es zu verlangen, sondern auch in der Form der Leistungsklage,
der Klage auf

470 Civih'echtspsiege.

Leistung nämlich der widerrechtlich entzogenen Dividende Auch vom
Standpunkte der Zweckmässigkeit aus ist diese Lösung der andern, wonach
nunmehr noch ein Beschluss der Generalversammlung notwendig wäre, weit
vorznziehen. Das zweite Klagebegehren erscheint danach insoweit als
begründet, als es die Ausführung des Urteils über das erste Begehren mit
Bezug auf die Klagen darstellt, und ist in diesem beschränkten Umfange
gutzuheissen. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

1. Der Beschluss der Generalversammlung der Arth-Rigi-BahnGesellschaft
vom 29. Juni 1901 wird insoweit als ungültig ers klärt, als dadurch über
einen grössern Teil des Reingewinnes pro 1900 als 25,455 Fr. 48 Cts. zu
nicht in den Statuten vorgesehenen Reserven verfügt wird.

2. Die Beklagte hat den die 25,455 Fr. 48 Cfs. übersteigenden
Betrag von 20,500 Fr. nachträglich zur Auszahlung einer Dividende
an die Prioritätsaktionäre zu verwenden und den Klägern die
entsprechenden Beträge, nebst Zins à 5 o0 seit 1. Juli 1901, zu
bezahlenLUSANNE. IMP. GEORGES BRlDEL & cm
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 452
Datum : 26. Juni 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 452
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 452 ijilkechtsptiege. XII. Civiletreitigkeiten, zu deren Beurteilung das Bundesgericht


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