362 Civilrechtspflege.

VII. Gewerbliche Muster und Modelle. Dessinssi: et modèles industriels.

43. guten vom 23. Mai 1993 in Sachen @efirfider Fischer-,
Kl. u. I. Ber.-Kl., gegen Gebtüdet Yreisus, Bekl. U. II. Ber.-Kl.

Begriff des Masters. Art. 2 B.-G. betr. Muster und Modelle, wm 30.

März 1900. Begrifi' der Neuheit, Art. 12 Zifi". 1 leg. cit.; es-

ist riet-Mieter lediglich das Ne'ehtbekmmtsein im Publikum oder in den
gewerblichen Kreisen zu verstehen; ein schöpferiscller Gedanke ist nicht
erforderlich. Gleiahzeitige Erfindung und Herstellung des gleichen Masters
durch zwei Gewerbetreibende; Hinterlegung nur des einen Masters. Schutz
des hinterlegten Masters, Art. 5

leg. cit. _Schadenersatz; Fah1"l(issigkelt. Art. 25 and 26 Muster-

ssichutzgesetz .

A. Durch Urteil vom 17. Februar 1903 hat das Handelsgericht des Kantons
Aargau über die Klagebegehren:

:l. Die Beklagten seien zu verurteilen, die Herstellung und Verwendung
oder Veräusserung der sogenannten Pekingbändel (eidgenössischer
Musterschutz 1902, Nr. 8938) zu unterlassen;

2. Sie seien zu verfallen, den Klägern für die Pekingbändel
(eidg. Musterschutz Nr. 8938), die sie vom 10. November 1902 hinweg noch
hergestellt und Verwendet oder veräussert haben,...

Schadenersatz zu leisten, in dem aus dem Beweisverfahren sich

ergebenden Betrage ; --

erkannt: 1. Die Beklagten werden verurteilt, die Herstellung und Ver-

wendung oder Veräusserung der sogenannten Pekingbändel (eidg...

Musterschutz 1902, Nr. 8938) zu unterlassen; 2. Mit Klagebegehren 2
werden die Kläger abgewiesen

B. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien rechtzeitig und in-

richtiger Form die Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Die Kläger
Beantragen:VII. Gewerbliche Muster und Modelle. N° 43. 363

Jn Abänderung des Dispositivs 2 des andels eri" t' Urteils seien die
Beklagten auch als schadenerhsatzpslicgtigchzlicheech-l klaren in
Bezug aus die seit dem 10. November 1902 hinweg noch erstellten und
verwendeten Muster; und zwar solle dies entweder im Grundsatze geschehen,
mit Verweisung des Ersatzanspruches ad separatum, oder es socle im Sinne
der Feststellung des Schadens schon im jetzigen Prozesse geschehen unter
Rücklettung der Akten an das Handelsgericht zur Aufnahme der Beweise
fiber die Grösse des Schadens.

Die Beklagten tragen dagegen aus gänzliche Abweisung der Klage an.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Kläger haben am 29. August 1902 beim eidgenössischen Antte für
geistiges Eigentum unter Nr. 8938 eine Anzahl Handel sür Strohwaren,
sogenannte Pekingbändel, als Muster hinterlegt, und zwar verschlossen. Die
Jdee der Muster ist dies Aus der einen Flachseite einfarbiger Bändel sind
andersfarbige ganz schmale Streischen unregelmässig in den verschiedensten
Rich; tungen angebracht und gleichsam darüber ausgestreut Die Beklagten
haben sich seit Frühjahr 1902 bemüht, ein Produkt von Ranuebeln
mit aufgestreuten und befestigten, ganz schmalen und kleinen Streischen
Hanf herzustellen; seit April, anfangs oder Ende Mai 1902 konnten sie die
betreffenden Produkte herstellen. Ein Muster haben sie nie hinterlegt. Mit
Brief des Anwaltes der Kläger vom 10. November 1902 (der weder im
Original noch in Kopie bei den Akten ist) wurde den Beklagten nntgeteilt,
dass die Kläger einen Musterschutz und ein Patent für Ihre sogenannten
Pekingbändel erworben haben, und sie aufgefordert, die Nachahmungen,
die zur Kenntnis der Kläger gekommen seien, zu unterlassen. Im Namen der
Beklagten antworteten die Patentanwälte Waldkirch und Feder-er in Bem
mit Schreiben vom 15. November, worin sie betreffend den Musterschntz
bemerkten: Eine Musterhinterlegung der Firma Gebrüder Fischer betreffend:
Bande! für Strohwaren, ist allerdings am 29. August 1902 unter Nr. 8938
eingetragen worden. Allein diese-Muster sind versiegelt hinterlegt,
so dass es nicht möglich nt, sich über dieselben durch Einsichtnahme
auf dem eidgenössi-

364 Givilrechtspflege.

schen Amt für geistiges Eigentum zu orientierenYSo lange aber die Herren
Gebrüder Dreifus nicht an zuftändiger Amtsstelle erfahren fünften,
welche Muster bezw. Dessins den Gegenstand der Hinterlegung bilden,
ist die in Ihrer Zuschrift angedrohte Klage offenbar aussichtslos
Wir nehmen vorlaufig zur Kenntnis, dass nach Ihrer Mitteilung die
Farbe des Bandels bei diesen Mustern keine Rolle spielt und geben im
übrigen dee Erklarung ab, dass die Herren Gebrüder Dreifus durchaus
nicht bei Abfichi haben, irgendwelche schntzfähige und wirklich unter
Schutz gestellte Dessins der Herren Gebrüder Fischer nachzuahmen Sollte
es sich bei einer allfälligen Entsiegelung der Hinterlegung "Nr. 8938
herausstellen, dass das eine oder andere hinterlegte Muster zufällig mit
einem Muster der Herren Gebrüder Dreifus übereinstimmt, so werden diese
letztern, falls es sich nicht um ùherhaupt schntzunfähige oder um von
ihnen selbst bereits vor dem 29. August 1902 ausgeführte Muster handelt,
ohne weiteres auf die betreffenden Muster verzichten. Die Kläger haben
daraufhin, am 25. November 1902, die vorliegende Klage ein-· gereicht,
mit den aus Fakt. A ersichtlichen Rechtsbegehren. (.?qu ihr Patent haben
sie dagegen auf Nichtigkeitsklage der im heutigen Prozesse Beklagten
hin Verzicht geleistet.) Die Beklagtenhaben der Klage folgende Einreden
entgegen gestellt: Erstens seien die von ihnen hergestellten Muster
nicht identisch mit den von den Klägern hinterlegten: während die der
Kläger glatt und glänzend seien, sehen die der Beklagten wollig aus;
die ausgestreuten Fasern seien bei dem Muster der Kläger breiter, länger
und unregel-: mässiger als bei dem der Beklagten; der Effekt für das
Auge sei bei beiden Mustern verschieden, insbesondere dann, wenn die
Muster zu Hüten verarbeitet seien. Sodann handle es sich überhaupt nicht
um ein des Musterschutzes fähiges Muster im Sinne des Gesetzes Ferner
sei das Muster der Kläger nicht neu, vielmehr sei die Jdee, auf dem es
beruhe, schon lange bekannt gewesen; speziell die Beklagten haben seit
Frühjahr 1902 also vor der Hinterlegung des Musters der Kläger ihr Muster
hergestellt und es einzelnen Personen vorgewiesen, womit das Recht des
ersten Hinterlegers zerstört sei. Aus diesem Grunde, weil die Beklagten
selber ganz selbständig und unabhängig auf dieVII. Gewerbliche Muster
und Modelle. N° 43. 355

Jdee gekommen seien, solche Bänder mit Streischen von Han zu bestreiten,
könne auch unmöglich von einer Nachmachung oder Nachahmung des
klägerischen Musters durch die Beklagten gesprochen werden. Die Vorinstanz
hat nach durchgeführtem Beweisverfahren das eingangs mitgeteilte Urteil
gefällt, das darauf beruht, dass einerseits das Muster der Kläger
schutzfähig und dasjenige der Beklagten mit ihm objektiv identisch,
also zu unterfagen sei, dass aber anderseits das Schadenersatzbegehren
der Kläger das allerdings, entgegen einer Einrede der Beklagten, in
prozessualisch zulässiger Form angebracht worden sei nicht geschützt
werden könne, weil die Beklagten vollkommen in gutem Glauben gehandelt
hätten. Durch die Berufung beider Parteien wird dieses Urteil in seinem
ganzen Uinfange der Überpriifung des Bundesgerichts unterbreitet. Auch
heute noch hält der Vertreter der Beklagten dein ersten Klagebegehren die
drei Einwendungen entgegen: Es handle sich beim klägerischen Muster nicht
um ein schutzfähiges Muster im Sinne des Bundesgesetzes über Musterund
Modellschutzz das klägerische Muster sei zur Zeit der Hinterlegung nicht
neu gewesen; und endlich liege auf Seite der Beklagten keine Nachmachung
oder Nachahmung vor. Dagegen scheinen sie die Bestreitung der Jdentität
der klägerischen Muster mit den ihrigen nicht mehr aufrecht zu halten
und das nach dem Ergebnisse der Expertise offenbar mit Recht. Ebenso
bestreiten sie mit Recht nicht mehr, dass die Kläger Urheber ihrer Muster
seien. Die Kläger dagegen halten an ihrem Schadenersatzbegehren fest,
in der aus Fakt. B ersichtlichen Weise.

2. Ihre erste Einwendung: Die Pekingbändel der Kläger seien nicht
musterschutzfähig bie sich auf Art. 12 Biff. 4 Musterschutzgesetz stützt
begründen die Beklagten damit, es fehle am Erfordernisse einer bestimmten
Zeichnung, einer Formgebung, eines Bildes, wie es zum Begriff des Meisters
(dessin) gehöre. Nun hat bekanntlich das neue Bundesgesetz betreffend
die gewerblichen Muster und Modelle, vom 30. März 1900, nach welchem i
is Streitsache zu beurteilen ist im Gegensatze zum alten Gesetzdas in
am. 2 nur eine negative Abgrenzung der gewerblichen Muster und Modelle
gegenüber künstlerischen Werken und gewerblichen Erfindungen gegeben
hatte, eine positive Begriffsbestimmung der

366 Givilrechtspflege.

gewerblichen Musier oder Modelle gegeben: Danach ist (Art. 2) ein
gewerbliches Muster oder Modell im Sinne des Gesetzes eine äussere
Formgebung, auch in Verbindung mit Farben, die bei der gewerblichen
Herstellung eines Gegenstandes als Vorbild dienen soll. (Vgl. hier:
Botschaft des Bundesrates zum Gesetzesentwurs vom 24. November 1899,
B.-Bl. 1899, V, S. 617 f.; ferner die Diskussion in den eidgen. Rittern
Amii. Stenograph. Bülletin, X (1900), S. 103 ff., 174 s.) Der Entwurf
des Bundesrates hatte neben der äusseren Formgebung eine Anordnung
von Linien oder Farben-i in die Begrifssbestiinmung aufgenommen, und
der sranzösische Text unterscheidet noch zwischen toute disposition
de lignes und toute forme plastique , womit er das Muster im engeren
Sinne und das Modell auseinanderhält. Diese scheinbare Verschiedenheit
des deutschen und des französischen Textes bedeutet in Wahrheit keine
solchezda in der deutschen Sprache unter äusserer Formgebung auch die
Anordnung von Linien zu verstehen ist (ng. die Boten von Nationalrat
Wild und von Bundesrat Brenner, a. a. O., S. 104). Ausgeschlossen vom
Musterschutz sind sodann nach Art. 3 die sogenannten Gebrauchsmuster
(am. 2 Abs. 2 des bundesrätlichen Entwurfes; s. Botschaft dazu). Nach
dieser Begrifssbestimmung gehört daher zu einem gewerblichen Muster
oder Modell eine auf das Auge wirkende, sich an das ästhetische Gefühl
wendende äussere Formgebung, sei es in graphischer, sei es in plastischer
Gestalt, mit oder ohne Verbindung von Farben, die zum Zwecke hat, bei der
gewerblichen Herstellung eines Gegenstandes als Vorbild zu dienen. Unter
diese Vegrisfsbestimmung kann nun das klägerische Muster ohne weiteres
subsumiert werden: eine aus das Auge wirkende äussere Formgebung, eine
Anordnung bestimmter Linien, und zwar in Verbindung mit Farben, liegt
vor; übrigens kann das Muster auch, wenn schon nur unvollkommen, durch
eine Zeichnung veranschaulicht werden. Dass es endlich zur Herstellung
gewerblicher Erzeugnisse als Vorbild dienen soll und auch dienen Yann,
ist ohne weiteres flat.

3. In zweiter Linie bestreiten die Beklagten dem Muster der Kläger
die Neuheit. Und zwar machen die Beklagten hiemit zweierlei geltend:
Sie behaupten einmal, das Muster der Kläger seiVII. Gewerbliche Muster
und Modelle. N° 43. 367

nicht als Produkt origineller schöpserischer Betätigung der Geistes.kraft
der Kläger anzusehen, also nicht neu, eigentümlich in diesem Sinnes
sodann stützen sie sich hiemit weiter aus den Nichtigkeitssoder
Ungültigkeitsgrund der Nichtneuheit im Sinne des Art. 12 Biff. 1
Musterschntzgeietz. Was nun zunächst jenen ersten Einwand der
Nichtneuheit im Sinne des Nichtvorhandenseins eines eigentümlichen
individuellen Geistesproduktes betrifft, so sindet derselbe im neuen
Musterschutzgesetz keinen Boden mehr. Mit vollem Bewusstsein hat das neue
Gesetz die Erörterung der Frage, ob Neuheit in diesem Sinne vorliege,
abgeschnitten, indem es in Art. 12 Ziff. 1 positiv ausspricht, unter
welchen Voraussetzungen sein Muster oder Modell als neu zu gelten
habe: nämlich so lange es weder im Publikum noch in den beteiligten
Verkehrskreisen bekannt is ; indem es ferner im Gegensatz zum früheren
Gesetze, das die Fassung hatte (Art. 7), eine Hinterlegung sei als nichtig
zu erklären, wenn die hinterlegten Muster und Modelle nicht neu find,
nun ausdrücklich auf die Neuheit zur Zeit der Hinterlegung abstellt; und
indem es endlich in Art. 1, der den allgemeinen Grundsatz des Schutzes
der Urheber gewerblicher Muster und Modelle ausspricht, den Beisatz
neuer Muster und Modelle weggelassen hat. Diese Gesetzesänderung erklärt
sich denn auch leicht aus praktischen Bedürfnissen, da die Untersuchung
darüber, ob ein hinterlegtes Muster eine eigentümliche Geistesschöpfung
sei, äusserst schwierig ist, mit der neuen Begriffs-bestimmung der
Neuheit dagegen ein einfacher, objektiver Massstab gegeben ist, der der
Natur des Musterschutzes auch vollständig entspricht (Vgl. Botschaft des
Bundesrates, a. a. O., S· 620 f.) Wird demnach nunmehr aus eine Prüfung
der Frage eingetreten, ob die Einrede der Nichtneuheit begründet sei im
Sinne des Bekanntseins des Musters der Kläger zur Zeit der Hinterlegung,
sso ergibt sich folgendes: Erfordert wird vom Gesetze das Berkanntsein
im Publikum oder in den beteiligten Verkehrskreisen; damit deckt sich
Art-. 12 Biff. 1 des gegenwärtigen Gesetzes nach

seiner Richtung mit Art. 7 Ziff. 2 des alten, wonach ein Muster

Edann als nichtig angefochten werden konnte, wenn es vor der Hinterlegung
in gewerblicher Weise bekannt geworden war. Tatsächlich steht nun fest,
dass die Beklagten ihr mit dem Muster-

368 Civilrechtspflege.

der Kläger identisches Produkt schon vor der Hinterlegung desklägerischen
Musters einzelnen Strohindustriellen in ihrem (Stab-= lissemente gezeigt
haben. Mit Recht führt aber die Vorinstanz aus, dass hieraus noch nicht
auf ein Bekanntsein in den beteiligten Verkehrskreisen geschlossen werden
könne. Damit von einem derartigen Bekanntsein gesprochen werden kann,
ist notwendig, dass das betreffende Muster einer grösseren Mehrheit von
beteiligten Personen, b. h. von Industriellen, Händlern und Abnehmern
der Produkte, für welche es bestimmt ist, bekannt ist; dieser Fall liegt
aber bei der Bekanntgabe, dazu noch einer solchen mehr zufälliger Natur,
an einzelne Personen nicht vor. Von einem Bekanntsein im Publikum kann
bei der Aktenlage vollends keine Rede sein

4. In letzter Linie wenden die Beklagten gegenüber dem ersten
Klagebegehren noch ein, die Klage auf Unterlassung des Weitervertriebes
ihrer Muster sei deshalb unbegründet, weil die Beilagten selber die
Urheber dieses Muster-s seien. In tatsächlicher Be-

ziehung ist richtig, dass die Beklagten einerseits unabhängig vonf

den Klägern die gleiche Jdee gefasst und sie auch durch Herstel-

lung von Mustern ausgeführt, dass sie aber anderseits ihr Muster nicht
hinterlegt haben. Es liegt also der Fall vor, dass zwei.

Industrielle unabhängig von einander das gleiche Muster ge-

schaffen haben, und nun der eine der es früher geschaffen-.

hat, als der zweite das Muster nicht hinterlegt hat, während der andere,
der der spätere Urheber ist, der Vorschrift der Hinter-

legung nachgekommen ist. Die Beklagten beanspruchen mit ihrem.

Begehren nichts anderes, als den Schutz auch für ein nicht hinter-

legtes Muster, bezw. sie erheben den Anspruch, dass ein früher-

geschaffenes Muster ein später eingetragenes zu zerstören geeignet
sei. Dieser Anspruch der Beklagten scheitert an der klaren Fassung und
Tendenz des Musterschutzgesetzes Nach der ganz klaren Fas-

sung des Art. 5 geniesst den Schutz des Spezialgesetzes einerseits

nur das hinterlegte Muster; und dieser Schutz ist anderseits unbeschränkt
in dem Sinne, dass niemand (ohne Erlaubnis des Urhebers oder seines
Rechtsnachfolgers) das gültig hinter-legte Muster vor Ablauf der
Schutzdauer zum Zwecke der Verbreitung oder ge-

werbsmässigen Verwertung benutzen dars. Eine Ausnahme für-VII. Gewerbliche
Muster und Modelle. N° 43. 369-

den früheren Urheber kennt das Gesetz abgesehen von dem hier nicht
in Betracht kommenden Falle, dass der Hinterleger seinerseits nicht
auch der Urheber isi (Art/12 Ziff. 2) nicht. Der frühere Urheber, der
sein Muster nicht hinterlegt, hat dem späteren Hinterleger, sofern
dieser ebenfalls Urheber ist, zu weichen; hahen mehrere Personen
unabhängig von einander dasselbe Modell geschafsen, so erwirbt
den gesetzlichen Urheberrechtsschutz nicht der frühere Schöpfer,
sondern der frühere Anmelden" (Gierke, Deutsche-s Privatrecht I,
S. 842 bei Anm. iO), ein andererUrheber desselben Modelles kann nun
überhaupt kein Recht mehr erwerhen (eod., S. 845 bei Anm. 25). Die
Beklagten stellen sich demgegenüber auf den Boden des Bundesgesetzes
betreffend die Erfindungspatente, nach dessen Art. 4 Personen, die
zur Zeit der Patentanmeldung die Erfindung bereits benutzt oder die
zu ihrer Benutzung nötigen Veranstaltungen getroffen haben, an der
Weiterausbentung des Gegenstandes nicht gehindert find; sierufen Gründe
der Billigkeit und der Gesetzeslogik an, nach denen diese Bestimmung
auch auf das Musterschutzgesetz Anwendung finden müsse. Mögen nun auch
Billigkeitsgründe für die Auffassung der Beklagten sprechen, so lässt
sich für dieselbe doch schon die Gesetzeslogik nicht anrufen und kann
schon deswegen nicht angenommen werden, es liege lediglich ein Versehen
vor, weil das Musterschutzgesetz jünger ist als das Patentgesetzz die
analoge Anwendung der betreffenden Bestimmung des Patentgesetzes aufdas
Musterschutzgesetz würde daher eine unzulässige Ergänzung, Erweiterung des
Gesetzes bilden. Vollends aber ergibt die Diskussion des Gesetzesentwurfes
in den eidgenössischen Staten, dass mit vollem Bewusstsein nur das
hinterlegte Muster-, dieses aber auch gegenüber einem allfälligen,
früheren Urheber, der nicht hinterlegt hat, geschützt werden wollte;
vgl. einerseits das Votum Wild zu Art. 12 (Stenogr. Bülletin, S. 113),
anderseits das Votum Geels (auf eine Anfrage Jslers) zu dem Art. 24,
das speziell auf den hier vorliegenden Fall Bezug nimmt: "Nach Art. i)
sind die Muster nicht an sich geschützt, sondern nur dann, wenn sie nach
den Vorschriften des Gesetzes hinterlegt worden find. Das-aus folgt,
dass derjenige-, der zuerst hinterlegt, zuerst geschützt wird und einzig
geschützt Bleibt, so lange nicht der Nach-

370 Giviirechtspflege.

weiss geleistet werden kann, dass der Hinterleger nicht der Ur"helver ist
oder das Muster nicht neu sei. In dem Falle, den Herr Jsler angeführt
hat, sind beide unabhängig von einander "zur Erstellung des gleichen
Musiers gelangt und derjenige, welcher zuerst hinterlegt, geniesst den
Schutz des Gesetzes Der andere, der nach seinem eigenen, aber nicht
geschützten Muster Warm verfertigt und verkauft, kann am Weitervertrieb
derhindert . . . . werden . . . . Wenn auch Gesetze in erster Linie aus
sich selber zu erklären sind, und den sogenannten Gesetzesmaterialien,
speziell den Beratungen in den gesetzgebenden Körperschaften, nicht
Überwiegende Bedeutung für die Auslegung der Gesetze beigelegt werden
soll, so darf doch hierauf namentlich dann Bezug genommen werden,
wenn es sich darum handelt, zu ermitteln, ob eine Bestimmung aus einem
andern Gesetze, das eine ähnliche Rechtsmaterie betrifft, bewusst oder
unbewusst in ein neues Gesetz nicht herübergenommen worden ist, und wenn
zudem die geäusserten Ansichten so vollkommen mit Wortlaut und Tendenz
des Gesetzes übereinstimmen, wie es hier der Fall ist. Nach dieser
Ausführung ist Klagebegehren 1 zu schützen. Denn objektiv liegt eine
Nachmachung des hinterlegten Musters der Kläger durch die Beklagten vor,
und widerrechtlich ist diese Nachmachung, weil eben einzig das hinterlegte
Muster der Kläger Rechtsschutz geniesst.

5. Mit ihrem zweiten Klagebegehren mit Bezug auf das sie Berufungskläger
sind verlangen die Kläger grundsätzliche Vernrteilung der Beklagten zqu
Schadenersatz für die seit dem 10. November 1902 hinweg noch erstellten
und verwendeten Muster; und zwar in alternativer Form, indem sie entweder
im vorliegenden Prozesse nur Feststellung des Entschädigungsanspruches
im Grundsatz-, unter Berweisung der Liquidation ad separatum, oder
aber Liqnidierung des Schadens auch nach seinem Betrage im vorliegenden
Prozesse, jedoch unter Rückweisung der Akten an die Vorinstanz (dies im
Sinne des Art. 82 Abs. 2 Org.-Ges.) verlangen. Da das kantonale Gericht
ein derart gesielltes Klagebegehren als nach kantonalem Prozessrechte
zulässig erklärt, und eidgenössische Gesetzesvorschriften hiesiir nicht
in Frage kommen, steht seiner Zulassung auch für die bundesgerichtliche
Instanz nichts entgegen. Voraussetzung des Schadenerfatzanspruches ist nun
gemäss Art. 25 und 26 Musterschutzgesetz eine vorsätzlicheVll. Gewerbliche
Muster und Modelle. N° 43. 371 :

oder fahrlässige Begehung der gemäss dem oben ausgeführten objektiv
widerrechtlichen Nachmachung. Im vorliegenden Falle wird nun von den
Klägern selber geradezu vorsätzliche Beigehung nicht behauptet, wohl
aber erblicken sie im Vorgehen der Beklagten eine Fahrlässigkeit. Dieser
Ansicht ist, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, beizutreten. Durch
das Schreiben vom 10. November 1902 sind die Beklagten von der
Inanspruchnahme des Musterschutzes durch die Kläger in Kenntnis
gesetzt und gleichzeitig verwarnt worden. Allerdings sind sie dann
der -angesichts der Tatsache, dass es sich um ein versiegeltes Muster
handelte, nicht ungerechtfertigten Aufforderung der Beklagten, das
Muster zu entsiegeln, nicht nachgekommen. Allein in der Unterlassung
einer Massnahme, die Entsiegelung zu veranlassen, der Stellung eines
förmlichen Begehrens hierauf, und des Weitervertriebes ihrer Ware trotz
der Verwarnung und trotz jener Unterlassung liegt ein Verschulden der
Beklagten, das als Fahrlässigkeit zu bezeichnen ist. Damit ist aber
der Schadenersatzanspruch der Kläger im Prinzip begründet. Mit Bezug
auf die Form dessen Durchführung empfiehlt es sich, die erste von
den Klägern aufgestellte Alternative zu wählen, also im vorliegenden
Prozesse nur grundsätzlich die Schadenersatzpflicht der Beklagten
auszusprechen, die Liquidierung des Schadens aber einem besonderen
Prozesse vorzubehalten. Demnach hat das Bundesgericht in Gntheissung
der Berufung der Kläger und Abweisung derjenigen der Beklagten, erkannt:

1. Die Veklagten werden verurteilt, die Herstellung und Verwendung oder
Veräusserung der sogenannten Pekingbändel (eidgenössischer Musterschutz
1902, Nr. 8938) zu unterlassen

2. Die Beklagten sind grundsätzlich verpflichtet, den den Klä-gern durch
Herstellung und Verwendung des geschützten Musters seit 10. November 1902
entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Liquidation dieses Schadenersatzes
wird in einen besondern Prozess verwiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 362
Datum : 17. Februar 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 362
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 362 Civilrechtspflege. VII. Gewerbliche Muster und Modelle. Dessinssi: et modèles


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • abstimmungsbotschaft • angabe • autonomie • beendigung • beginn • begründung des entscheids • beklagter • benutzung • beurteilung • brief • bundesgericht • bundesrat • dauer • designschutz • einwendung • erfinder • erfindungspatent • ersetzung • farbe • frage • gesetzesentwurf • guter glaube • handel und gewerbe • handelsgericht • kenntnis • klage an das bundesgericht • kommunikation • kopie • kreis • mahnung • mast • nationalrat • nichtigkeit • original • rechtsbegehren • richtigkeit • richtlinie • schaden • schadenersatz • sprache • stelle • unternehmung • urheber • veranstalter • verfahren • verurteilter • verurteilung • vorinstanz • wahrheit • ware • weiler • weisung • zahl • zeichnung