132 Givilrechtspflege.

Nienhaus richtig befundenen Berechnung des Beklagten als Schaden
dem Kruger angerechnet werden, da sich in dieser Berechnung auch
die Arbeitskraft des Beklagten eingesetzt findet, diese aber mit
der Nichthaltnng des Vertrages durch den Beklagten frei geworden
ist. Zu berücksichtigen ist auch die Ungewissheit des Absatzes und die
Möglichkeit einer Kündigung von Seite des Klägers. Trotz der nicht
ganz vollständigen Aufklärung über das Mass des Schadens, empfiehlt
es sich immerhin heute eine Aversalentschädigung zu sprechen und die
Liquidierung des Schadenersatzanspruches nicht etwa einem besonderen
Verfahren zuzuweisen. Wird angenommen, der Bektagte hätte für die Zeit
vom 7. Februar 1901 bis heute ungefähr gleich viel abgesetzt, wie bis
zum 7. Februar 1902, nämlich circa 20,000 Dosen, und wird der entgangene
Gewinn per Dose auf circa 12 Cts. Veranschlagt, so ergibt das einen
Schaden von 2000 2400 Fr. Hievon ist aus den oben entwickelten Gründen
die untere Grenze zu wählen. Die Entschädigungssorderung des Beklagten
ist somit im Betrage von 2000 Fr. gutznheissen.

10. Abznweisen ist dagegen der Genugtuungsanspruch des Beklagten,
da dieser eine unerlaubte Handlung des Klägers, die neben der
Vertragsverletzung bestünde, nicht dargetan hat, für Vertragsverletzungen
aber Ersatz des seelischen, ideellen Schadens nach dem schweiz. O-R
nicht gewährt wird.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird abgewiesen, diejenige des Beklagten dagegen
als teilweise begründet erklärt. Demgemäss wird, in Abänderung des Urteils
des Appellationsgerichts des Kantons Baselstadt vom 29. Dezember 1902,
die Klage abgewiesen und der Kläger verurteilt:

a.) den mit dem Beklagten am 15. April 1899 abgeschlossenen Vertrag im
Sinne der vorstehenden Erwägungen zu halten;

b) dem Beklagten für die Zeit vom 7. Februar 1901 bis 28. Februar 1903
eine Gesamtentschädigung von 2000 Fr., samt Zins zu 5 0/0 seit heute,
zu bezahlen-Ill. 0b1igahonenrecht. N° 17. 133

17. Zweit vom 6. gum 1903 in Sachen geahnt-Obern Kl. u. Ber.-Kl., gegen
Yedensveriicherungsgesellschaft Conturbia, Bekl. u. Ver-Bekl.

Lebensversicherung. Anzuwendendes Recht. Bundesrecht oder kantomeles
Recht. Art. 896 0.-R. Zeitliche Anweeedung der Rechtsnormen. Art. 882
{).-R.

A. Durch Urteil vom 30. Juli 1902 hat das Obergericht des Kantons
Schaffhausen über die Rechtsfrage:

Ist nicht zu erkennen, dass der am 30. März 1882 gemäss den Policen
Nr. 65,744... & und b zustande gekommene Versicherungsvertrag zu Kraft
bestehe und beidseitig zu erfüllen ist ? th demgemäss nicht die Beklagte
die angebotene Bezahlung pro30. Oktober 1900 mit 137 Fr. 42 Cis. nebst 6
0/0 Verzug-szins nebst eventuellen weiteren Zahlungen entgegenzunehmen und
den Vertrag zu halten, eventuali: Jst nicht die Beklagte verpslichtet,
einen nach richterlichem Ermessen seftzusetzenden Betrag an den Kläger
zu bezahlen nebst Zins à 5 O/0 seit dem Tage der Klageerhebung, jedoch
nicht unter 3299 Fr. 41 Es.?

erkannt:

Der Kläger ist mit seiner Klage abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, mit den Anträgen:
Es sei die Klage im vollen Umfange gutzuheissen, eventuell bis aus
die Höhe des bezirksgerichtlichen Urteils (3299 Fr. 40 Ets. samt Zins
seit 1. April 1901), weiter eventuell bis auf die Höhe von 1964 Fr. 75
(été. (Rückkaufswert) samt Zins seit 1. April 1901."

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der vorliegende Prozess beruht auf folgendem Sachverhalt: Der Kläger
hat am 30. Oktober 1882 mit der Beklagten zwei Lebensversicherungsverträge
Über je 5000 Fr. abgeschlossen Die jährliche 127 Fr. betragende Prämie ist
nach Jnhalt des VerUagesx am 30. März fällig; für die Zahlung ist dem Ver-

134 Givilrechtspflege.

sicherten eine Frist von 30 Tagen eingeräumt. Als Zahlstelle
ist in der Poliee genannt die Agentur in Unter-Hallau. Art. 1 der
Versicherungsbedingungen bestimmt sodann über die Zahlung der Prämien
folgendes:

Wde die Prämie am letzten Tage der Zahlungsfrist nicht berichtigt, so ist
die Conkordia aller durch die Versicherung üBemmnmenen Verpflichtungen
entledigt und die gezahlten Prämien sind ihr unbedingt verfallen,
ohne dass es seitens der Direktion oder des betreffenden Agenten einer
diessälligen Anzeige an den Versicherten oder den Inhaber der Voli-ce,
oder an sonst Jemanden bedarf. Meldet sich jedoch der Versicherie
noch im Laufe der nächsten zwei Monate persönlich bei der Direktion der
Gesellschaft oder bei dem betreffenden Generalagenteu und weist durch ein,
von der Direktion als genügend erachtete-Z Attest seiuen dermaligen guten
Gesundheitszuftand nach, so soll gegen Entrichtung der rückständigen
Prämie und eines Strafgeldes von 6 O0 der Prämie die Versicherung als
nicht erloschen angesehen werben.

Die Quittung über die erfolgte Zahlung der Prämie und des Strafgeldes
dient alsdann zum Beweise der fortdauernden Gültigkeit der Police.

Der Kläger entrichtete die Prämienzahlungen bis und mit dem Jahre 1898
an die Agentur in Unter-Hallau. Nachdem diese aufgehoben worden war,
wurde die Prämie pro 1899 an den Agenten der Beklagten in Zürich
bezahlt. Unterm 30. September 1900 forderte dieser den Kläger auf,
die am 30. Oktober gleichen Jahres sällige Prämie an ihn zu entrichten,
bezw. die Quittung gegen Zahlung in Empfang zu nehmen. Am 14. Januar 1901
sandte der Kläger den Betrag dem Agente-n in Zürich ein; dieser refüsierte
jedoch die Annahme, mit der Bemerfung, die Versicherung sei erloschen,
und wies zugleich den Kläger daraus hin, dass er bei der Direktion der
Beklagten um Wiederaufnahme der Versicherung einkommen könne. Der Kläger
übersandte hieraus 110 Mf. 75 an die Beklagtez diese teilte ihm mit,
sie müsse auf der in Art. 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen
vorgesehenen ärztlichen Untersuchung beharren. Der Kläger unterzog sich
dieser Untersuchung. Am 4. Februar 1901

III. Obligationenrecht. N° 17. 135

eröffnete ihm die Beklagte, sie müsse auf Grund des ärztlichen Attestes
die Wiederaufnahme der Versicherung ablehnen; alle Ansprüche aus der
Versicherung seien erloschen. Nichtsdestoweniger wolle sie dem Kläger
gegen Rückgabe der Poliee nebst der letzteingelösten Prämienquittung
den Rückkaufspreis der Police bei Verfall der Prämie mit 1964 Fr. 75
Ets. vergüten. Sie übersandte dem Kläger auch eine Quittung für diesen
Betrag als Ausgleichung seiner Ansprüche-. Der Kläger hat hieran
die vorliegende Klage eingeleitet, deren Rechtsbegehren aus Fakt. A
ersichtlich find. Die Beklagte hat auf Abweisung der Klage angetragen.

2. Das Obergericht ist zu seinem die Klage abweisenden Urteile auf Grund
der Erwägung gelangt, der Versicherungsvertrag müsse nach Massgabe von
Art. 1 der Poliee wegen verspäteter Prämienzahlung als erloschen angesehen
werden. Eine Wiederaufnahme der Versicherung liege nach dieser Bestimmung
im Belieben der Beklagten. Die betreffende Versicherungsbestimmung sei
zwar rigoros, könne aber nicht als unsittlich bezeichnet werden. Auch eine
ungerechtfertigte Bereicherung liege auf Seite der Beklagten nicht vor,
da diese den Gegenwert tin Form der Tragung des Risikos geleistet habe.

3. In erster Linie, und von Amtes wegen, ist die Kompetenz des
Bundesgerichtes zur Beurteilung der vorliegenden Streitsache zu
prüfen. Sie kann nur zweifelhaft sein mit Bezug auf das anzuwendende
Recht; in dieser Beziehung aber nach zwei Richtungen Bin. Einmal nämlich
kann es sich fragen, ob das Streitverhältnis nicht deshalb unter das
kantonale Recht falle, weil es sich um einen Versicherungsvertrag handelt,
und weiter erhebt sich die Frage, ob nicht gemäss Art. 882 O.-R. nach den
Grundsätzen über die zeitliche Herrschaft der Rechtsnormen die Anwendung
des eidgenössischen Obligationenrechtes auf den vorliegenden Streitfall
ausgeschlossen sei.

4... Gemäss Art. 896 O.-Ji. bleiben bis zum Erlass eines
eidgenössischen Gesetzes über den Versicherungsvertrag die allfällig
bestehenden besonderen Bestimmungen des kantonalen Rechts über die
Versicherungsverträge in Kraft. Wie das Bundesgericht in durchaus
feststehender Praxis ausgesprochen hat, ist diese Be-

138 Civilrechtspflege.

stimmung dahin auszulegen, dass der Versicherungsvertrag im allgemeinen
vom eidgenössischen Obligationenrecht beherrscht wird, und das
kantonale Recht nur insofern in Kraft bleibt, als besondere Bestimmungen
bestehen. (Vergl. Soldan, Le codes fédéral des obligations et le droit
cantonal, p. 193 s. und dort citierte bundesgerichtliche Urteile, ferner
Urteil vom 80. März1900 in Sachen Bucher gegen Zürich, Amtl Samml., Bd.

XXVI, 2, S. 156 Erw. 2.) Nun enthält das privatrechtliche-

Gesetzbuch für den Kanton Schaffhausen allerdings in seinem: von
Forderungen und Schulden- handelnden vierten Buche einen

Abschnitt Über die Versicherungsverträge (@@ 1629 1685), und-

darin auch einige Bestimmungen Über die Lebensversicherung (§§ 1680
1682). Die Vorinstanz sagt denn auch, für die Beurteilung der streitigen
Frage sei gemäss Art. 896 Q.-R:. daskantonale Recht anzuwenden. Allein
sie vermag eine spezielle Bestimmung, welche auf das hier zu entscheidende
Streitverhältnis Anwendung fände, nicht anzuführen, und eine solche findet
sich denn auch in den angeführten Bestimmungen nicht. Diese enthalten
nnr Vorschriften über Form und Begriff des Versicherungsvertrages im
allgemeinen und die allgemeinen Verpflichtungen der Vertragsparteienz
die Bestimmungen über Lebensversicherung regeln nur den Begriff, die
Versicherung für ein fremdes Lebenif sowie die Übertragbarkeit der
Forderung des Versicherten aus die Versicherungssumme. Vom Standpunkte
des Art. 896 O.-R.. aus kann somit die Kompetenz des Bundesgerichtes
nicht abgelehnt werden.

ò. Da der Versicherungsvertrag, dessen Bestand der Kläger durch
Feststellungsklage anerkannt haben will, vor dem 1. Januar 1883 dem
Zeitpunkte des Jnkrafttretens des eidgenössischen Obligationenrechtes
-abgeschlossen worden ist, so sind seine rechtlichen Wirkungen gemäss
Art. 882 Abs. 1 O.-R. nach den Bestimmungen des damals geltenden,
d. h. des kantonalen Rechtes zu beurteilen. Das eidgenössische
leigationenrecht findet dagegen gemäss Abs. 3 leg. cit. Anwendung aus
den Untergang von For-· derungen, welche schon vor jenem Zeitpunkte
entstanden sind.. Es fragt sich daher, ob sich die Beklagte auf eine
selbständige, nach dem 1. Januar 1883 eingetretene Untergangstatsache
be--HI. Obligationenrecht. N° 17. 187

ruft, oder ob es sich um die rechtliche Wirkung des vor jenem
Tage abgeschlossenen Versicherungsvertrages handelt. Diese Frage
ist unzweifelhaft im zweiten Sinne zu entscheiden. Die Beklagte
stützt ihren Rechtsstandpunkt des Unierganges des Vertrages auf eine
Bestimmung des Vertrages selbst, auf dessen Art. 1. Die Tatsache der
Nichtzahlung, bezw. verspäteten Zahlung der Prämie pro 1900 ist nicht
als selbständige Tatsache, die den Untergang der Forderung des Klägers
aus dem Versicherungsvertrage bewirken könnte, aufzufassen, sondern sie
kann diese Wirkung nur entfalten auf Grund jener Vertragsbestimmung.
Handelt es sich aber danach um die Wirkung dieser Vertragsbestimmung,
so ist nicht eidgenössisches, sondern kantonales Recht anzuwenden, und
ist das Bundesgericht gemäss Art. 56 und 57 Org.-Ges. zur Beurteilung
der Streitsache nicht kompetent. Das trifft auch für die eventuellen
Berufungsbegehren zu; auchfür diese ist überall die Frage, ob der
Vertrag zu Recht bestehe, präjudiziell. Auch mit Bezug auf das dritte
Berufungsbegehren ist das der Fall. Der Kläger macht hier keinen
selbständigen Anspruch gestützt auf eine erst nach dem l. Januar 1883
emgetretene Tatsache geltend; zudem enthält dieses Begehren, :das
sich auf eine Offerte der Beklagten stützen muss eine Replik gegenüber
der Einwendung der Beklagten, und kann als solches für die Kompetenz
des Bundesgerichtes nicht bestimmend sein. Dass auch die Frage der
Unsitilichkeit der fraglichen Vertragsklausel vom kantonalen Recht
beherrscht wird, ist klar; Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Auf die Berufung wird wegen Jnkompetenz des Bundesgerichtes

nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 133
Datum : 28. Februar 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 133
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 132 Givilrechtspflege. Nienhaus richtig befundenen Berechnung des Beklagten als


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • versicherungsvertrag • frage • kantonales recht • schaden • tag • zins • lebensversicherung • buch • richtigkeit • kantonsgericht • zahl • entscheid • antrag zu vertragsabschluss • rechtsbegehren • abweisung • aufhebung • unerlaubte handlung • frist
... Alle anzeigen