Ii4 Civilrechtspflege.

16. Zweit vom 28. Februar 1903 in Sachen ss 39.91qu, Kl,
W.-Bekl. u. I. Ber.-Kl., gegen BMW, Bekl., W.-Kl. u. II. Ber.-Kl.

Werkvertrag, gerichtet auf Herstellung eines sogenannten Geheimmittels
(i'Tormentill-Cre'me). Klage des Bestellers auf Auf-

Ieebmeg. Schadenersatz. Widerklage des Unternehmen? auf

Halt-emy and Schadenersatz
wegen. Nichterfüllung. 'Feste-eigentliBestimmtheit des Vertrages, Art. 1
u. 2 0.-R. ? Unsstthchkert des Vertrages, Art. 17 0.-R. ?

A. Durch Urteil vom 29. Dezember 1902 hat das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt erkannt: Es wird Kläger mit seiner Klage und Beklagter
mit seinem Widerklagsbegehren abgewiesen. _

'B. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien rechtzeitig und in
richtiger Form die Berufung an das Bundesgerieht ergriffeaner Kläger
beantragt Gutheissung der Klage, eventuell Rüchvetsung der Sache an die
Vorinstanz behufs Aktenvervollständigung, speziell auch über den Umfang
des Schadens-. Der Beklagte stellt dagegen die Anträge: In Aufhebung
des angefochtenen Urteils sei zu erkennen:

1. Der Kläger Reinger sei mit den sämtlichen Rechtsbegehren seiner Klage
gänzlich abzuweisen.

2. Es sei widerklageweise der zwischen den Parteien sub15. April
1899 abgeschlossene Vertrag als im ganzen Umfang in Kraft bestehend
zu erklären, und es sei demgemäss der Kläger und Widerbeklagte zu
verurteilen, die Tormentill-Crssme wie früherund unter den frühem
Bedingungen wiederum ausschliesslich vom Beklagten und Widerkläger
zu beziehen, und es sei dementsprechenddem Kläger und Widerbeklagten
zu verbieten, die TormentillCreme künftighin selbst zu fabrizieren,
oder durch Dritte fabrizieren zu lassen, oder solche selbst oder durch
Dritte fabrizierte Tor-mentili-Cräme in irgend einer Form in den Handel
zu bringen.

3. Es sei widerklagweise der Kläger und Widerbeklagte zu verurteilen,
dem Beklagten und Widerkläger eine Entschädigung zu bezahlen von 23,7
Cis ab jeder Dose und von 11,75 Cts. ab jeder Tube Crème, die der Kläger
und Widerbeklagte seit demIll. Obligationenrecht. N° 16. 115

7. Februar 1901 laut Ausweis seiner Geschäftsbücher bis heute verkauft
habe und iu Zukunft bis zu dem Tage noch verkaufen werde, von welchem
an er wiederum die (Crème ausschliesslich vom Beklagten und Widerkläger
beziehen werde.

4. Sollte die sub 8 hievor vorgesehene genaue Feststellung des Verlaufs
von Dosen und Tuben für die angegebene Zeit an Hand der Geschäftsbücher
des Klägers dem Gerichte aus irgend einem Grunde nicht tunlich erscheinen,
so sei für diesen Fall der Kläger widerklageweise zu verurteilen,
dem Beklagten und Widerkläger vom 7. Februar 1901 an bis zu dem Tage,
an welchem der Kläger die Crème wieder ausschliesslich beim Beklagten
beziehen werde, eine monatliche Entschädigung von 212 Fr. 10 Cfs.
zu bezahlen.

5. Der Kläger sei widerklageweise zu verurteilen, dem Beklagten und
Widerkläger noch eine weitere Entschädigng von 2000 Fr. zu bezahlen.

C. In der Parteiverhandlung vom 27.X28. Februar 1903 haben die Vertreter
der Parteien ihre Anträge erneuert und wechselseitig auf Abweisung der
gegnerischen Berufung angetragen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Zwischen dem Kläger, der seit 1895 in der Schweiz das
Alleinverkaufsrecht für Okies Wörishosener Tortnentill-Seife hat, und
der nun auch Versuche zur Herstellung von Tormentill-

Crème machte, und dem Vettagtem der lange Proben machte

und sich im Verlause bereit erklärte, die Salbe in immer gleicher
Zusammensetzung und in Dosen von mindestens 25 Gramm zu liefern, kam am
15. April 1899 ein Vertrag über die Herstellung beziehungsweise Lieferuug
der Tormentill-Cräme zustande, mit wesentlich folgenden Bestimmungen: der
Kläger Überträgt dem Beklagten die alleinige Fabrikation der sogenannten
Okics Wörishosener Tromentill Lanolin Cream, auch der vereinbarten
und von Herrn Dr. E. Bloch zusammengestellten Formel, besiehend aus
Tormentill-Ertrakt, Lanolin, Vaselin, Glycerin, Benzoe, Myrrha, Bismuth,
Borsänre, Zinkoxud und Perubalsam (am. I). Der Kläger verpflichtet sich,
die Crème nur durch den Beklagten anfertigen zu lassen (Aet.11). Der
Beklagte verpflichtet sich, die (Crème , inkl. Glastopf und Aufpackung,
zum Preise von 38 Cts. später wurde der Preis

116 Civilrechispflege.

auf 40 (its. erhöht per Topf zu liefern, in immer gleicher Qualität nach
vereinbarter Zusammenstellung, und die Töpfe möglichst gut gefüllt,
abzuliefern. (am. V.) Laut Art. VIII wurde der Vertrag auf zehn
Jahre abgeschlossen Art. IX bestimmt: Sollte sich der Vertrieb der
Tormentill-Lanolin-Cream wider Erwarten nicht rentieren, so kann der
Vertrag auch vor Ablauf der Vertragsdauer aufgehoben werden, in diesem
Falle hat eine einmonatliche Kündigung beiderseits stattzufinden. Art. X
endlich setzt fest: Sollte Herr Dr. E. Bloch aus irgend welchem Grunde
die Crème nicht mehr herstellen können oder wollen, so verpflichtet er
sich, das genaue Rezept dem Herrn F. Reinger-Vruder mitzuteilen, so dass
letzterer in der Lage ist, die Crème ewentuell selbst oder auch durch
einen Dritten anfertigen zu lassen. Auf Grund dieses Vertrages lieferte
der Beklagte dem Kläger die Tormentill-Creme bis im Februar 1901. Im März
1900 trat der Kläger mit Olic (dem Redaktor der Kneipp-Blätter) wegen des
Alleinvertriebs der TormentillCrème für Deutschland in Unterhandlung. Okie
verlangte das genaue Rezept. Im Vertrag vom 13. November 1900, durch
welchen Qkic dem Kläger die Alleinanfertigung und den Alleinvertrieb
von Okics Wörishofener Tormentill-Cri3me in Deutschland und der Schweiz
übertrug, verbürgte sich der Kläger dafür, dass die Tormentill-Creme
stets nach dem gleichen für gutbefundenen Rezepte, dessen genauer
Wortlaut Herrn Okic besonders mitzuteilen ist, angefertigt- werde. Am
16. November 1900 erhielt dann der Kläger vom Beklagten ein Rezept,
das folgende Zusammensetzung eines Topfes Salbe aufweist:

Zinkoxyd . . . . . . . . . . 4,0 Borsäure . . . . . . . . . . 4,0
Bismuth . . . . . . . . . . 0,5 Perubalsam . . . . . . . . . 0,5
TortnentillExtrakt . . . . . . . . 2,5 Lanolin purissimum Liebreich
. . . . . 5,0 Vaselin Chesebrough . . . . . . . 8,5 25,0 gr.

Das Rezept enthält auch die folgende Formel für den Tormentill-E):trakt
:Ill. Ohligaiionenmcht. N° 16. 117

Tormentill-Wurzel . . . . . . . 500,0 Benzoe . . . . . . . . . . 100,0
Myrrha. . . . . . . . . . 50,0 Glycerin . . . . . . . . . 200,0 Weingeist,
verdünnt, 750 . . . . . 600,0 Weingeist, konzentriert,900 . . . . . 400,0
W gr.

Dieses Rezept übermittelte der Kläger dem Okic. Im Dezember 1900 rügte
die Handelsgesellschaft Noris, Zahn & Cie. in Köln, welche den Vertrieb
der Tormentill-Salbe in der Rheinproving für den Klager übernommen
hatte, dass die Dosen einen zu geringen Gehalt aufweisen. Kläger teilte
dem Beklagten diese Bemängelung mit Brief vom 21. Dezember 1900 mit,
zugleich stellte er ihm die in St. Ludwig liegenden kleinen Dosen, wovon
ihm der Beklagte bereits 100 Stück fakturiert hatte, zur Verfügung und
erklärte, er erachte den bisherigen mangelhaften Vertrag als erloschen
und schlage dem Beklagten vor, einen neuen Vertrag ans anderer Basis zu
schliessen, in welchem der Inhalt der Dosen qualitativ und quantitativ
genau festgestellt werden sollte; er meine nämlich, es solle im neuen
Vertrage nicht nur das Gewicht des Inhalts der Dosen festgesetzt sein,
sondern auch das genaue Rezept zur Herstellung der TormentilLCrdme
angegeben werden Das liege selbstverständlich in beiderseitigem Interesse
und es würden alsdann Misshelligkeiten irgend welcher Art in Zukunft
vermieden werden. Sodann verlange er, dass die Crème ganz im Sinne
Okics hergestellt merde. Wünsche und verlange eben einen ganz klaren,
in allen Teilen genau präzisierten Vertrag. Okic hatte am 19. Dezember
1900 dem Kläger geschrieben: Ich würde Jhr Fabrikat sehr gern empfehlen,
wenn das-selbe derart zusammengestellt wäre, dass es den Anpreisungen,
welche demselben . . . . mitgegeben werden, wenn nicht ganz, so doch
teilweise entsprechen würde, was jedoch leider nicht der Fall ist. Die
Tormentillwirkung in der Crème ist gleich Null; ich habe mit derselben,
soweit es sich um die Wirkung "des Tormentillwurzel-Extraktes handelt,
weder bei leichten noch bei schweren Fällen auch nur das geringste
Resultat erzielt. Die Wirkung des Lanolins und Vaselins aber spielt in
der Crème

118 Civilrechtspflege.

keine Rolle. Wenn Sie aber wollen, dass ich für das Fabrikat einstehe,
so müssen Sie dasselbe so herstellen, dass sich die Wirfung desselben mit
meinem Namen, der um Geld nicht zu haben isi, wirklich decken kann. Die
Crème muss mindestens 30 0/9 Tormentill enthalten. . . . Der wirklich
wirksame Bestandteil (ber Crème) soll der Saft der Tormentillwurzel
sein, vorausgehst, dass derselbe in genügender Menge beigemischt
wird. Trachten Sie also, dass das Fabrikat seiner Bestimmung entsprechend
hergestellt wird, dann werde ich mein möglichstes einsegen, um dem
Vertrieb desselben neue Wege zu ebnen und neue Bahnen zu eròffnen. Das
Verlangen, dass der Tormentillgehalt 30 0/0 betragen sollte, war vom
Kläger selber angeregt worden. Der Bektagte stellte auf den Brief
des Klägers vom 21. Dezember seine Proben für die Herstellung der
Salbe unter Verwendung von 30 O/0 Tormentill-Ertrakt an. Der Kläger
berichtete schon am 22. Dezember darüber an Okic, die Probe sei gut
gelungen; es sei schade, dass man nicht von Anfang an die Salbe so
verfertigt habe; 30 0/0 und 10 0/O Tormentill-Ertrakt sei doch ein
gewaltiger Unterschied. Mit Schreiben vom 18. Januar 1901 verlangte
der Kläger vom Beklagten neuerdings, dass die Salbe mindestens 30 0/0
Tormeniill-Ertrakt enthalte undizwar von dem zusammengesetzten Extrast,
von dem ihm der Beklagte am 16. November 1900 die genaue Zusammensetzung
resp. das Rezept zur Zubereitung persönlich übergeben habe. Von diesem
Ertrakt sollen jeder Dose Tormentill-Creme 15 Gramm auf die Hälfte,
also auf 74/2 Gramm eingedämpft zugesetzt werden. ,·.Also 71/2 Gramni
von dem eingedampften, dickflüssigen Ertrakt, das macht auf die Dose
von netto 25 Gramm gerade die ausbedungenen 30 % aus Mit Brief vom
15. Februar 1901 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er nehme die
sieben Dutzend (Dosen), die ihm der Beklagte geschickt, nicht an, da
sie seinen Vorschriften betreffend Tormentillgehalt nicht entsprechen,
gleichzeitig erneuerte er fein Verlangen betreffend Tormentillgehalt,
und verlangte überdies, dass für die Herstellung der Tormentill-Cräme
ansschliesslich nur die allerbesten Fette als Basis verwendet werden
dürfen und zwar Lanoljnum purissimum Liebreich und Vaselin Chesbrough,
wie sie der Beklagte zu den Proben ver-III. Obljgaiionenrecht. N° 16. 119

wendet babe. Er wiederholte ferner die Reklamationen wegen zu kleiner
Dosen, und warf dem Beklagten vor, er habe ihm enor-v men Schaden
zugefügt. Der Beklagte antwortete dem Kläger mit Brief vom gleichen Tage,
die 7 Dutzend Dosen seien nichts anderes als die St. Ludwiger Crème
mit 30 0/0 TormentillErtrakt, die der Kläger abzunehmen versprochen
habe. Am folgenden Tage beantwortete der Beklagte den Brief des
Klägers eingehender, wobei er bemerkte, er seijederzeit bereit, einen
Kontrakt zu. unterzeichnem welcher die Zusammensetzung der Crème in allen
Einzelheiten enthalte. Der Kläger erklärte mit Brief vom 17. Februar, er
wolle mit dem Abschluss eines neuen Vertrages zuwarien bis er einwandsreie
Proben von Ertrakt und fertiger Crème vom Beklagten erhalten habe;
zugleich hielt er dem Beklagten vor, er habe die ursprüngliche Basis der
Crème, das Lanolin, angeblich der bessern Konsistenz wegen, durch immer
vermehrte Zusetzung von Vaselin völlig verändert, und ebenso sei der
garantierte Gehalt von Torinentilertratt von 10 zu 7 und 5, ja bis kaum 1
0/0 hernntergesunken Am 25. Februar übergab der Kläger dem Kantouschemiker
Tornientill-Extrakt zur Untersuchung und zwar angeblich von den 7 Dutzend
Dosen, die der Beklagte am l4. Februar geliefert hatte. Die Untersuchung
ergab laut Bericht des Kantonschemikers vom 23. März 1901: ' Wasser 11,7
'),/'O, Mineralitoffe 4,9 0/0, Fett 71 0/0, für Extrakt somit 12,4 %. Der
Kläger teilte dieses Resultat dein Beklagten mit Brief vom 26. März mit
und erklärte, er habe nun das Zutrauen in den Beklagten verloren und
lehne es ab die Geschäftsbeziehungen mit ihm fortzusetzen Laut einer
weitern Analyse des Kantonschemiters Baselftadt, d. d. 25. April 1901,
setzten sich die vom Kläger übergegebeuen, mit B und S bezeichneten Töpfe,
wie folgt zusammen: Bezeichnung Wasser 0. Fett 0o. Mineralstosse 0/0,
B 24,5 64,8 6,1 S 17,5 r70,0 6,8 Doch können diese Resultate nach einer
Bemerkung des Kantonschemikers keinenAnspruch auf absolute Richtigkeit
machen." 2. Mit Klage, eingereichi den 22. August 1901, hat nun der
Kläger die Rechtsbegehren gestellt:

120 ss Civilrechtspflege.

1. Der Vertrag vom 15. April 1899 sei als aufgehoben zuserklären.

2. Der Beklagte sei zu einer Entschädigung von 15,000 Fr.. an den Kläger
zu verurteilen.

3. Dem Beklagten sei gerichtlich zu untersagen, unter An-: drohung
einer angemessenen gerichtlich festzusetzenden Entschädigungsleistung
im Unterlassungsfalle, fernerhin Tormentill-Extrakt: herzustellen oder
herstellen zu lassen.

4. Der Beklagte sei zu verurteilen, solche von {ihm gelieferte Ware,
welche dem Kläger eventuell noch von seinen Kunden werde zur Verfügung
gestellt werden, gegen Rückoergütung desFakturapreises und allfälliger
Unkosten zurückzunehmen.

5. Dem Beklagten sei zu untersagen, das noch in seinem Besitze
befindliche Verpacknngsmaterial für Tormentill-Creme (Bw:spekte, Glasdosen
inkl. Deckel, Bänder ec.) zu verwenden.

Der Kläger geht davon aus, das nach dem Vertrag vom-. 15. April 1899
vereinbarte Rezept sei dasjenige, das der Beklagte ihm am 16. November
1900 übergeben hat; demnach sei für den Topf ein Inhalt von 25 Gramm
vorgesehen, und solltenhievou 2,5 Gramm, also 10 0/0 Tormentill-Extrakt
sein. Nunhabe der Veklagteseine vertragliche Verpflichtung die Salbe
nach diesem Rezept herzustellen, schwer verletzt. Im einzelnen bringt
der Kläger nach dieser Richtung vor:

a) Die Crème habe von Anfang an nur 1 2 oO, höchstens 5 0/9, statt 10%
Tortnentill-Extrakt enthalten; die am 7. Februar 1901 gelieferte, die
laut vorausgegangener Vereinbarung 30 O/o hätte enthalten sollen, habe
höchstens 1-2,4 0/0 enthalten.,

b) Die Töpfe haben in der Folge nicht mehr 25 Gramm enthalten und seien
immer kleiner geworden.

c) Das von der Firma Bonus Jaffe & Darmstädter in. Berlin, unter der
Bedingung, dass es nur für die TormentillCrème verwendet werde, billig
bezogene Lanolin habe der Beklagte zu andern Salben verwendet und der
Tormentill-Cri-;sme nur ganz minime Zusätze von Lanolin beigemischt,
so dass die Basis nicht mehr Lanolin, sondern Vaselin geworden sei.

d) Statt des teuern Vaselin Chesebrough, habe der Beklagte
das viel billigere nur zu technischen Zwecken bestimmte und
ge-III. Obligationenrecht. N° 16. 121

eignete Vaselin Senglet & Cie. gebraucht. Alle diese Abweichungen
vom vereinbarten Rezept seien vom Beklagten arglistigerweise und in
betrügerischer Absicht vorgenommen worden. Der Beklagte habe für die
Fabrikation der Salbe statt 3 Fr. nur 1 Fr. 46 (Cis, bis 1 Fr. 49 CW.,
durchschnittlich 1 Fr. 47 Cis. pro Kilo auf-. gewendet, so dass er an
den gelieferten 19,133 Töper einen unerlaubten Übergewinn von 731 Fr. 85
Cts., überdies durch Verminderung des Gewichts einen solchen von ca. 60
Fr. gemacht habe. Der Kläger sei nun enorm geschädigt, dass er auf
diese Weise unter dem Namen Tormentill-Cräme und unter Verheissungen,
die sich auf den versprochenen Tormentill-Gehalt stützten, eine Ware in
den Verkehr gebracht habe, die diesen Zusicherungen nicht entsprochen
habe und nicht habe entsprechen können. Der Misserfolg der Unternehmung
des Klägers trotz ausserordentlicher, rühriger und teurer Reklame,
sei ein vollständigen Statt innert einem halben Jahre das doppelte zu
erreichen, sei der Konsum im zweiten Jahre erheblich zurückgegangen, wozu
auch die beständig wechselnde Farbe und Konsistenz der Salbe beigetragen
habe. Im einzelnen berechnet der Kläger den ihm entstandenen Schaden aus
10,000 Fr. als effektiven Verlust unter Berücksichtigung des entgangenen
Gewinnes auf den Reklamekosten von 13,138 Fr. Dazu verlangt er weitere
5000 Fr. wegen ernstlicher Verletzung seiner persönlichen Verhältnisse,
da er in den Augen seiner Kundschaft als Schwindler und Charlatan dastehe.

Der Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und Widerklage erhoben
zur Verurteilung des Klägers als Widerbeklagten:

1. Zur Haltung des Vertrages und demgemäss zum Bezug der TormentilLCrdme
vom Beklagten unter Verbot jeglicher anderweitiger Fabrikation oder des
Vertriebes anderweitig fabrizierter Ware.

2. Zu einer Entschädigung von 23,7 Cts., ab jeder Dose, und von 11,75
(été. ab jeder Tube Crème, die der Kläger seit 7. Februar 1901 verkauft
habe und in Zukunft verkaufen werde, event., wenn die Feststellung
dieses Umsatzes nicht möglich sein sollte, eine Entschädigung von 212
Fr. 10 Ets. pro Monat zu bezahlen, bis der Kläger die Crème wieder beim
Beklagten beziehe.

3. Eine Entschädigung von 2000 Fr. zu bezahlen.

122 Civilrechtspflege.

Er kritisiert vorab die Tormentill-Salbe als Geheimmittel und
macht geltend, dass deren Heilkraft keineswegs durch den Gehalt von
Tormentill-Ertrakt, sondern vielmehr durch die übrigen Beimischungen,
Lanolin, Benzoe und Myrrha als antiseptisch wirkende Pflanzeuertrakte,
nicht minder durch den Gehalt an Zinkoxyd, Borsäure und Perubalsam
bedingt werde. Sodann bestreitet er, dass die vom Kläger behauptete
Zusammensetzung der Salbe vereinbart worden sei, insbesondere sei nie
ein Gehalt Von 10 0/0 Tormentill-Ertrakt zugesichert worden. Das Rezept,
das der Beklagte als Antworibeilage 11 vorlegt, sei vom Beklagten gefunden
worden, und gemäss am. 10 des Vertrages dessen Geheimnis

geblieben. Das Rezept vom 16. November 1900 sei nur zur '

Täuschung des Okic angefertigt worden und zwar auf Veranlassung des
Klägersz gearbeitet sei nie nach diesem Rezepte worden. Ebensowenig sei
vereinbart worden, dass amerikanisches Vaselin verwendet werden müsse;
übrigens wäre es nicht teurer, als das verwendete Vaselin Senglet. Ein
Abkommen, wonach das Lanolin nur zur Verwendung der Tormentilerdme
verwendet werden dürfe, sei mit Bonus Jaffe &; Darmstädter nie vereinbart
worden. Betreffend das Gewicht, seien Dosen von 20 22 Gramm vereinbart
worden, im Dezember 1900 solche von mindestens 25 Gramm; es sei aber
schwer-, Glasdosen von gleicher Grösse zu erhalten. Die zu kleinen
Dosen der am 21. Dezember zur Verfügung gestellten Lieferung seien ohne
Wissen des Beklagten verwendet worden. Bis dahin habe er die Crème stets
nach der gleichen Formel b. h. nach der seiner Zeit gefertigten Formel
angefertigt. Die Farbe der Salbe habe sich Ende Dezember 1900 geändert,
weil mehr Tormentill-Extrakt beigegeben worden sei; deswegen sei auch den
Dosen ein besonderer Zeddel beigegeben worden. Die Erpertise werde nicht
anerkannt. Endlich habe der Kläger keinen Schaden erlitten, da er ja für
seine Dosen immer 1 Fr. 20 Cis. bezogen habe; er habe auch das Geschäft
weitergeführt und die Salbe selbst nach dem ihm Anfangs 1901 übergebenen
und von ihm wider-rechtlich zurückbehaltenen Rezept hergestellt,
allerdings teilweise in Tuben statt in Dosen. Dadurch habe er den
Beklagten geschädigt, und zwar in dem aus Rechtsbegehren 2 der Widerklage
ersichtlichen Masse. Rechts-begehren 3 der Widerklage schliesslich stützt
der Beklagte auf Art. 55 O.-R.III. Ohligationem'echt. N° 16. 123

Jn der Replik behaftet der Kläger den Bekiagten dabei, dass gemäss
Anstwortbeilage 11 der Tormentill-Ertrakt nur 60 Gramm von 5680,
resp. 5580 Gr., also 1,06 bezw. 1,07 % ausgemacht habe. Das Rezept
vom 16. November 1900 sei das vertragliche Rezept gewesen und
erst im Januar 1901 durch das Rezept Replik-Beilage 2, wonach 30 Wo
Torinentillgehalt vereinbart worden sei, aufgehoben worden. Zur Ergänzung
des Klagefundamentes wird vorgebracht, dass der Kläger,. gestützt auf den
Misserfolg vom Jahre 1901, gemäss Art. IX des Vertrages diesen aufhebe. Er
behauptet ferner, es seien bis 25. Januar 1902 im ganzen 622 Dosen von
Kunden zurückgewiesen werben, die vom Beklagten zurückzunehmen seien. Zur
Widerklage beantragt er deren Abweisung. In der Duplik bestreitet der
Beklagte dem Kläger das Recht, den Vertrag gemäss Art. IX aufzuheben.

3. Das Civilgericht des Kantons Baselsiadt hat nach Einvernahme der
Zeugen Bernhardt und Schreiber (der frühern Augestellten des Beklagien)
und nach eingeholtem Gutachten von Dr. Nienhaus und Jaqnet die Klage
abgewiesen, dagegen die Widerklage im wesentlichen gutgeheissen und
somit den Kläger verurteilt, den Vertrag vom 15. April 1899 zu halten
und den Beklagten mit 23,7 Cis per Dose, bezw. 11,75 Ets. per Tube zu
entschädigen, Widerklagebegehren 3 dagegen abgewiesen, gestützt auf
folgende Gründe: Auf das Rezept vom 18. November 1900 könne nicht
abgestellt werden, da dieses dem Vertrage nicht zu Grunde gelegen
habe. Aus dem Zeugnis Bernhardt ergehe sich, dass die Zusammensetzung
der Salbe immer dieselbe gebtieben sei. Dass der Beklagte sich zur
Beimischung von 10 0/0 TormeniillErtrakt verpflichtet habe, sei nicht
bewiesen, und nach dem Inhalt des Vertrages sei nicht anzunehmen, dass
die genaue Zusammensetzung der Salbe vereinbart worden sei. Der Gehalt
der Tormentileräme bestimme sich also nur nach den im Vertrage genannten
Rohstossen in einer angemessenen, nach dem Urteil Sachverständiger,
dem Zwecke entsprechenden Mischung. Durch das Expertengutachten sei nun
dargetan, dass der Beklagte dem Vertrage entsprechend geliefert habe. Die
Mangelhaftigkeit einer Lieserung (an Moris & Zahn) rechtfertige nicht
die Aufhebung des ganzen Vertrages; die übrigen Liefernngen seien gemäss
Art. 360 bezw. 247 O.-R. als genehmigt zu betrachten. Wegen mangeln-

124 Civilrechtspflege.

der Rendite sodann könne der Vertrag nicht aufgehoben werden, da der
Kläger nicht gekündigt habe und übrigens das Geschäftweiter betreibe. Eine
Zustimmung zur Aufhebung des Vertrages von Seite des Beklagten liege
auch nicht vor. Dass Waren im Werte von 473 Fr. 40 Ets. durch die Kunden
beanstandet worden seien, sei nicht nachgewiesen.

Das Appellationsgericht, an welches beide Parteien appellierten -der
Beklagte mit Bezug auf Widerklagebegehren 3 ist zu seinem eingangs
mitgeteilten Urteile auf Grund folgender Erwägungen gelangt: Der
Vertrag vom 15. April 1899 könne nicht geschützt werden, weil er
unsittlich sei, er verfolge einen unreellen, auf die Täuschung des
Publikums berechneten Zweck; das Verfahren der Parteien sireife an
einen gewöhnlichen Geheimmittelschwindel. Ferner könne der Vertrag als
nicht zu Recht bestehend angesehen werden, weil er zu oberflächlich
und inhaltlos sei, als dass er bindend sein könnte; sein wesentlicher
Inhalt sei unbestimmt und unbestimmbar, es fehle darin an der Hauptsache,
an der genauen Formulierung des den Gegenstand des Vertrages bildenden
Fabrikats. Es würde dem Beklagten eine Macht über den Kläger eingeräumt,
die nie im Willen der Parteien gelegen

haben könne; auch von diesem Standpunkte aus liege eine Un-·

sittlichkeit vor.

4. Der Vertrag vom 15. April 1899, der den Gegenstand des vorliegenden
Prozesfes bildet, ist juristisch als Werkvertrag zu qualifizieren: laut
dem Inhalte des Vertrages hat der Veklagte dem Kläger eine gewisse von
ihm herzustellende Sache: die Tormentill-Crdme, fertig zu liefern, gegen
einen bestimmten Entgelt, der sich als Werklohn darstellt. Von einem
Gesellschaftsvertragekann unmöglich gesprochen werden, da die Parteien
keineswegs einen gemeinsamen Zweck mit gemeinsamen Mitteln verfolgen
wollen; der Vertrieb der Tormentill-Creme soll vielmehr ausschliesslich
Sache des Klägers sein (und zwar gemäss seiner Über - einkunft mit Okic),
und zu diesem Vertrieb lässt er sich das Produkt durch den Beklagten
herstellen, dem er dafür Vergütung leistet.

5. In erster Linie wäre nun, logischer Anordnung gemäss,
die vom Appellationsgericht aufgeworfene Frage zu prüfen,
obIll. Obligatmnenrecht. N° 16. 125

dieser Werkvertrag überhaupt als zustandegekommen, als bindender Vertrag
angesehen werden könne, oder ob es ihm, wie das Appellationsgericht
annimmt, an der erforderlichen Bestimmtheit und Vesiimmbarkeit mangle, so
dass er nach Art. 1 O.-.R gar nicht ials bindender Vertrag zu bezeichnen
wäre, Diese Frage kann indessen dom Richter nicht von Amtswegen zum
Gegenstande der Untersuchung gemacht werden. Die Parteien selber sind
darüber einig, dass ein Vertrag im Sinne des Art. i O.-Jt. abgeschlossen
worden ist; sie haben diesen Vertrag während nahezu zwei Jahren beidseitig
ausgeführt; streitig sind sie nur über die Auslegung eines Punktes des
Vertrages was unter der vereinbarten Formel zu verstehen sei sowie
darüber, ob der Vertrag vom Bis-klagten gebrochen worden sei. Unter
diesen Umständen geht es nicht an, dass der Richter von sich aus erkläre,
ein bindender Vertrag sei überhaupt nicht zustande gekommen, es fehle an
der mach Art. i u. 2 O.-R. erforderlichen übereinstimmenden gegenseitigen
Willensäusserung der Parteien über die wesentlichen Punkte. (Vgl. Danz,
Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 250 sub 2.) Auch wenn man übrigens
auf die Prüfung dieser Frage eintreten wollte, so könnte der Ansicht
der Vorinstanz nicht beigetreten werden. Allerdings ist im Vertrag
selber nicht gesagt, nach welcher Formel (oder nach welchem Rezept) die
TormentillCrème hergestellt werden müsse; das genaue Rezept ist vielmehr
als Fabrikationsgeheimnis dem Beklagten überlassen Allein da die Parteien
auf eine vereinbarte Formel- verweisen und da unbestrittenermassen
vor Abschluss des Vertrages Proben gemacht worden find, kann keinem
Zweifel unterliegen, dass die Herstellung gemäss diesen Proben geschehen
musste. Übrigens sind die Bestandteile der Salbe im Art. I des Vertrages
aufgezählt und das genügt zur Bestimmtheit bezw. Bestimmbarkeit der
Leistung des Beklagten. In welchen Proportionen die Bestandteile zu
mischen sind, ist allerdings durch den Vertrag dem Ermessen des Beklagten
überlassen. Das macht den Vertrag aber nicht zu einem unbestimmten; denn
jenes Ermessen ist nicht reine Willkür-, sondern das arbitrium boni viri,
d. h. der Betlagte hat die Mischung in einer Weise vorzunehmen, dass
eine Salbe entsteht, die nach dem Urteile Sachverständigendem Zwecke,
zu dem sie dienen soll,·

126 _ Civilrechtspflege.

entspricht und die den Namen Tormentill-Creme rechtfertigt. Dass eine
derartige Mischung der in Art. I des Vertrages ausgezählten Bestandteile
möglich ist, ist erwiesen (speziell auch durch die (Expertise) und
wird auch vom Kläger nicht bestritten. Damit ist aber die erforderliche
Bestimmbarkeit der Leistung des Beklagten gegeben. Aus diesem Grunde kann
auch nicht gesagt werden, der Kläger sei ganz der Macht des Beklagten
überliefert, so dass der Vertrag von diesem Gesichtspunkte aus als ein
nusittlicher bezeichnet werden müsse. Das ist Überdies auch deshalb nicht
der Fall, weil dem Kläger in Art. IX des Vertrages ein Kündigungsrecht
eingeräumt ist.

6. Jst somit der Vertrag als zustandegekommen zu erachten, so ist weiter
die Frage zu prüfen, ob er gültig sei oder aber, als Unsittlich, vom
Richter nicht geschützt werden dürfe, gemäss einem Rechtsgrundsatze,
der in Art. 17 O.-R. in einer speziellen Anwendung niedergelegt ist
Diese Frage ist, im Gegensatze zu der besprochenen, vom Richter von
Amteswegen zu prüfen, da es sich hiebei um öffentliche Interessen und
um einen zwingenden Rechtssatz handelt. Nach diesem Rechtssatze nun
ist ein Rechtsgeschäft nicht bloss dann als nnsittlich anzusehen, wenn
sein Inhalt, der Gegenstand der Leistung des einen Teils oder beider
Teile dem Sittengesetze widerspricht, sondern auch dann, wenn das
Rechtsgeschäst indirekt auf Hervorrufung oder Beförderung des nach dem
Sittengefetze verbotenen gerichtet ist, sowie dann, wenn es wegen der
Verwerflichkeit der Gesinnung,die sich in ihm kundgibt, das sittliche
Gefühl verletzt und von diesem Standpunkte aus gegen das Sittengesetz
verstösst. (Vgl. Urt. des B.-G. vom 23. März 1900 in Sachen Sommer gegen
Eisenund Drahtwerk Erlau, Amit. Samml., Bd. XXVL 2. T., S. 142 f. Erw. 2
und dort cit.; ferner a. a. O., S. 444 Erw. 3, Urt. vom 30. Juni 1900 in
Sachen Meyer gegen Matter.) Es ist daher zu prüfen, ob diese Merkmale
aus den in Frage stehenden Vertrag zutreffen. Diese Prüfung ist dem
Bundesgerichke nicht etwa aus dem Grunde entzogen, dass es sich hiebei um
eine Tat-, nicht um eine Rechtsfrage handeln würde. Zu untersuchen ist,
ob gewisse vertragliche Festsetzungen gegen das Sittengesetz im oben
entwickelten Sinne verstossen; es handelt sich also um die Anwendung
eines Rechts-lll. Ohligationenrecht. N° 16. 127

satzes auf einen gegebenen Tatbestand. Tatsächliche Feststellungen
liegen-nur soweit vor, als bestimmte Tatsachen festgestellt sind-,
z. B., dass die Tormentill-Cräme unter keinen Umständen als Heilmittel
betrachtet werden könne. Ob und inwieweit das angesochtene Urteil
derartige Feststellungen enthält, ist im folgenden im einzelnen zu
untersuchen Die grundsätzliche Frage dagegen, ob ein Vertrag nnsittlich
sei und was als Inhalt der Zeitmoral zu gelten habe, ist durchaus nicht
tatsächlicher Natur (so allerdings Lotmar, Der unsittliche Vertrag),
sondern Rechtsfrage; es handelt sich dabei nicht um die Feststellung
einer Tatsache, sondern um Anwendung von dem Rechtsgebiete angehörenden
Sätzen. Nach der gegenteiligen Ansicht wäre das Bundesgericht an den
Ausspruch der kantonalen obern Instanz darüber, ob etwas unsittlich fei,
gebunden, was gewiss nicht zugegeben werden fami. Die Prüfung jene-r
Frage nach der Unsittlichkeit des in Rede stehenden Rechtsgeschästes
ergibt nun folgendes: Die Leistung, welche der Beklagte dem Kläger
verspricht, ist an sich zweifellos nicht unsittlich; es kann sich daher
nur fragen, ob der Vertrag indirekt auf die Beförderung des Verbotenen
gerichtet war oder ob sich in ihm eine derartige Verwerflichkeit
der Gesinnung kund gibt, dass er nicht geschützt werden kann. Die
Vorinstanz erblickt nun die Unsittlichleit darin, dass das Verfahren
der Parteien an einen gewöhnlichen Geheimmittelschwindel grenze, dass
in ihm eine Spekulation auf die Urteilslosigkeit des Publikums liege,
dass eine enorme Reklame betrieben werde, um für ein zu minimem
Selbstkostenpreise hergefiselltes und medizinisch nur beschränkt
leistungsfähiges Fabrikat ein-en unverhältnissmässig hohen Absatz und
Preis zu erzielen ; endlich widerspreche es der guten Sitte, dass ein
Angehörigser eines wissenschaftlichen Standes sich zur Förderung solcher
Zwecke mit solchen Mitteln hergebe, und anderseits habe der Kläger die
Tormentill-Crizme nicht mit gutem Gewissen empfehlen können, weil sie so
wenig TormentilI-Ertrakt enthalten habe, dass sie den ihr beigelegten
Namen gar nicht verdiem-. Hier ist zu bemerken: Zunächst enthalten
diese Ausführungen nicht etwa Feststellungen bestimmter Tatsachen,
sondern nur allgemeine Erwägungen über den ganzen Geschäftsverkehr und
das Geschäftsgebahren der Parteien. Es ist keineswegs fest-

128 Givilrechtspflege.

gestellt, dass die Tormentill-Creme als Geheimmittel zu betrachten
wäre. Auf Grund der Gutachten Nienhaus und Jaquet kann das jedenfalls
nicht gesagt werden; der letztere Expr-ete spricht sich hierüber gar
nicht aus und der erstere sagt, dass die Salbe, die als Kostnetikum zu
betrachten sei, keine Vorzüge vor andern Kosmetika aufweise. Damit ist
hinsichtlich der Heilkraft des Präparates nichts festgestellt. Dazu
kommt, dass der Vertrieb der Tormentill-Salbe offenbar, wie aus der
Aktenlage geschlossen werden muss, weder in Deutschland noch in Baselftadt
verboten ist, so dass jedenfalls nicht gesagt werden kann, der Vertrag
sei auf Beförderung von etwas staatlich verbotenem gerichtet. Die Art
und Weise der Reklame, sowie der Preis sind bei diesen Voraussetzungen
für die juristische Qualifikation des vorliegenden Rechtsgeschästes
nach der Seite der Unsittlichkeit hin ebensowenig bestimmend, wie bei
der Herstellung und dem Vertrieb anderer Waren. Wenn man auch zugeben
wollte, was übrigens nach der Aktenlage nicht gesagt werden fami,
dass der Preis des Präparates zu den Herstellungskosten, d. h. zu
dessen natürlichem Werte, in solchem Missverhältnis stehen, dass eine
verwerfliche Ausbeutung des Publikums stattfinden könne, und dass auch
der Beklagte hiefür verantwortlich sei, so ist eben doch zu beachten,
dass die Heilkraft des Produktes schwer zu bestimmen ist, und dass
dessen Schätzung im Verkehr ganz wesentlich von ideellen Faktoren
abhängt. Jedenfalls kann in Hinsicht auf die heute im Verkehr allgemein
geltenden Grundsätze, weder in der übertriebenen Anpreisung der Ware noch
in dem unverhältnismässig hohen Verkaufspreis ein Motiv gefunden werden,
um dem hier vorliegenden Vertrag entgegen dem allgemeinen Grundsatzes
der Vertragsfreiheit ausnahmsweise den Rechtsschutz zu versagen. Die
Erwägungen der Vorinstanz sind zu allgemeiner Natur, als dass gestützt
darauf und entgegen der beidseitigen Auffassung der Parteien eine so
einschneidende Massnahme getroffen werden dürfte; die Konsequenzen eines
solchen Entscheides würden die Rechtsbeständigkeit und Rechtssicherheit
gefährden und richterliche Willkür an die Stelle des Willens der Parteien
and an Stelle objektiver Rechtsgründe setzen. Allerdings wäre der Vertrag
dann als unsittlich anzusehen, wenn er auf die Ausbeutung des Publikums
gerichtet wäre; dennIII. Obligationenrecht. N° 16. 129

sdann würde er gegen Rechtsgüter Dritter, der Ge ell Publikums,
verstossen, und der Rechtsschutz könnte einesm sdckifxxtigdeeä Vertrage
nicht gewährt werden. Allein diese Voraussetzung trifft nach dem
gesagten nicht zu. Gerade die Eigenschaft und Stellung des Beklagten
als Apotheker verbietet dem Richter ohne zuverlassige Anhaltspunkte
das Unternehmen der Parteien als -Schwindel", d. h. als planmässige,
absichtliche, widerrechtliche Ausbeutung des Publikums zu bezeichnen,
nachdem weder von Seiten der Behörden, noch von Seiten der Abnehmer
der Ware irgendwelche Beschwerden geltend gemacht worden find. Dass
endlich eine Unsittlichkeit wegen der Stellung des Klägers zum Beklagten
nicht vorliegt, ist in Erto. 5 i. f. ausgeführt worden. Allerdings
sist auch hier der Grundsatz, von dem die Vorinftanz ausgeht richtig:
ein Vertrag, durch den der eine Kontrahent gänzlich der Willkür des
andern überliefert wird, bei dem die Leistung des einen einzig und allein
durch den andern bestimmt wird ist unstttlkch, weil er das Rechtsgut der
freien Persönlichkeit des Einlengtb Fer-I?. Eigle ürcher, Die Grenzen der
Vertragsfreiheit "'-o . e.S. .Allein' " ' ' ss Nicht gegeämxkz ) dieser
Tatbestand Ist hier eben 7. Jst sonach, entgegen der Rechtsau·a "un der '
" ztauf die einzelnen Begehren der Klage mg ger ?ZBiderfîîzînîiÎznuz;
reten, _so steht vorerst das grundsätzliche Begehren der Kla e das
aufstLlllTifhebung des Vertrages gerichtet ist, und das dem est-, gegenge
e e, au Sultan des ' ' flagehegehren, insîciage, g Vertrages gerichtete
erste Widera) Der Kläger stützt seine Klage in erster Linie daran der
Beklagte habe den Vertrag gebrochen und er, der Kläger seidaher fzum
Rücktritte vom Vertrage berechtigt. Einen Vertragsbruch erblickt der
Kläger darin, dass vom Beklagten die TormentillCreme nicht nach der
Formel, wie sie dem Kläger am 16. November 1990 _ussergessen worden,
hergestellt worden sei; diese Formel habe namltch auch dem Vertrage zu
Grunde gelegen. Mit der ersten Instanz ist jedoch anzunehmen, dass die
Formel vom rm. November 1900 dem Vertrage nicht zu Grunde tag. Der Vertrag
enthält im Art.] die allgemeine Formel; er bezeichnet die Bestandteile,
aus denen die Crème hergestellt werden fell. xxxx, 2. 1903 9 .

130 Civilrechtspfiege.

Nach Art. V ist der Beklagte verpflichtet, die (Crème stets in gleicher
Qualität "nach vereinbarter Zusammenstellung zu liefern, und gemäss Art. X
bleibt das genaue Rezept das Geheimnis des Beklagten, fo lange dieser
die Salbe herstellt. Aus diesen Vertragsbestimmungen geht mit aller
Klarheit hervor, dass derWille der Parteien beim Vertragsabschlusse
dahin ging, nur dieallgemeine Formel, b. h. die Mischung als solche,
nicht aber zugleich das Rezept, b. h. das Mischungsverhältnis, zu
bestimmenJedenfalls hat der Kläger nach den (in Etro. 3 wiedergegebenenJ
Feststellungen der ersten Instanz, die nicht aktenwidrig sind, und an
die das Bundesgericht daher gebunden ist, den ihm obliegengenden Beweis
der Vereinbarung des ihm am 16. November1900 übergebenen Rezept-es nicht
geleistet. Dagegen haben die Zeugen Bernhardt und Schreiber bestätigt,
dass die Salbe im wesentlichen stets nach demselben Rezept bereitet worden
ist. Ebensowenig hat der Kläger nachgewiesen, dass ihm ein Gehalt von 10
0/0 TormentillsExtrakt zugesichert worden sei. Er könnte daher was er
übrigens nicht tut den Vertrag auch nicht wegen Irrtums oder Betruges
anfechten, weil der Tormentill-Gehalt zu gering sei. Übrigens ist nach
den Gutachten der Tormentill-Gehalt unerheblich. Endlich könnte der
Kläger auch aus dem Grunde wegen zu geringen Tormentill-Gehaltes nicht
vom Vertrage zurücktreten, weil er dem Beklagten nie eine Nachfrisi
im Sinne des Art. 122 O.-R. gesetzt hat. Der Kläger hat daher keinen
andern Anspruch gegen den Beklagten als den, dass dieser die Crème aus
den im Vertrage fpezisizierten Jngredienzien und zwar in dem in das
Ermessen des Beklagten gestellten bezw. ben ersten Proben entsprechenden
Mischungsverhältnisse herstelle. Nach dieser Richtung ist festgestellt,
dass der Beklagte sich immer an die bei Anfertigung der Proben befolgte
Formel gehalten hat. Der Kläger hat die Proben genehmigt und auch bis
zum 21. Dezember 1900 die gelieferte Ware nie bemängelt, sie gegenteils
nach Aussage Bernhardts gerühmt. Auch von Seite der Abnehmer sind
Nellamationen nicht erfolgt. Die Mängelrüge ist daher gemäss Art. 860 O-R
verwirkt. Dasselbe gilt mit Bezug aus den Zusatz von Lanolin und Vaselin,
sowie das Gewicht der Dosen Die ZurVerfügung-Stellung vom 21. Dezember
1900 endlich berechtigtIII. Obligationenrecht. N° 16. 131

den Kläger nicht zum Rücktritte vom Vertra e w ' '

em giesergngsgeschäst handelt und jede Lieferfnig Tiililesn slzctht ll?
urteilen nt, zumal aus der Mangelhaftigkeit der einen Lieferankeineswegs
hervorgeht, dass der Beklagte überhaupt nicht vertra sff gemass liefern
könnte oder wollte. g '

_b) Auf Art. IX des Vertrages kann sich der Kläger nicht berufen, da
er von der einmonatlichen Kündigungsfrist nie Gebrauch gemacht hat. Das
Recht der Kündigung für den Fall schlechter Ren)dite bleibt dem Kläger
vorbehalten. '

c Von der stillschweigenden oder ausdrückli en ' desBeklagten zur
Aufhebung des Vertrages kähnn stmxxjiuijnki ersitnstanzlichen Urteile
angeführten Gründen keine Rede sein Der Vertrag ist also vom Kläger
zu halten; die Crème ist nach dem von Anfang an befolgten Rezepte
herzustellen, das durch die Zeugen Bernhardt Und Schreiber dahin
präzisiert worden ist Zinkoxyd 200 Gramm, Borfäure 200 Gramm Vismuth
20 Gramm, Oleum paraffini 500 Gramm, Lanolinum 1200 Fzzmng Unguentum
paraffini 4000 Gramm, Extract torment. 40 Gäxclixiny Balsamum per-uv. 40
Gramm, weisser Wachs

8. Danach fehlt es der Entschädigun sorderun ' " am Fundamente, da
nicht von einer Flusflösung gdedsesteKrltcthszs infolge Verschuldens
des Beklagten gesprochen werden kann. Die auf Art. 55 O.-.R gestützte
Forderung von 5000 Fr. ist übrigens auch deshalb unbegründet, weil es
am Nachweise einer ernstlichen Verletzung der persönlichen Verhältnisse
des Klägers durch den Yeklagten vollig fehlt. Auch die übrigen Begehren
der Hauptkla e kottznetixdanxcch nicht geschützt werden. I

. Imge ehrt muss die Entschädi un sorderun grundsatzlich gutgeheissen
werden, ?owgits mit il)? dgchîîîîgsîg wegen Mrchthaltung des Vertrages
vom 7. Februar 1901 an bis zum heutigen Tage verlangt wird. Dagegen
kann die Schadenersatzforderung nicht gutgeheissen werden, soweit sie
Ersatz des noch drohenden Schadens verlangt, da hiefür alle Anhaltspunkte
fehlen.·Auch die Bemessung des bisher entstandenen Schadens ist schwierig:
Es kann nicht einfach mit der ersten Instanz der Gewinnausfall auf jeder
Dose und Tube nach der vom Expa-ten

132 Civilrechtspflege.

Nienhaus richtig befundenen Berechnung des Beklagten als Schaden
dem Kläger angerethnet werden, da sich in dieser Berechnung auch
die Arbeitskraft des Beklagten eingesetzt finder, diese aber mit
der Nichthaltung des Vertrages durch den Beklagten frei geworden
ist. Zu berücksichtigen ist auch die Ungewissheit des Absatzes und die
Möglichkeit einer Kändigung von Seite des Klägers. Trotz der nicht
ganz vollständigen Aufklärung über das Mass des Schadens, empfiehlt
es sich immerhin heute eine Aversalentschädigung zu sprechen und die
Liquidierung des Schadenersatzanspruches nicht etwa einem besonderen
Verfahren zuzuweisen. Wird angenommen, der Beklagte hätte für die Zeit
vom 7. Februar 1901 bis heute ungefähr gleich viel abgesetzt, wie bis
zum 7. Februar 1902, nämlich circa 20,000 Dosen, und wird der entgangene
Gewinn per Dose auf circa 12 (nità veranschlagt, so ergibt das einen
Schaden von 2000 2400 Fr. Hievon ist aus den oben entwickelten Gründen
die untere Grenze zu wählen. Die Entschädigungssorderung des Beklagten
ist somit im Betrage von 2000 Fr. gutzuheissen.

10. Abzuweiseu ist dagegen der Genugtuungsanfpruch des
Beklagten, da dieser eine unerlaubte Handlung des Klägers, die
neben der Vertragsverletzung bestünde, nicht dargetan hat, für
Vertragsverletzungen aber Ersatz des seelischen, ideellen Schadens nach
dem schweiz. O.-R. nicht gewährt wird.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird abgewiesen, diejenige des Beklagten dagegen
als teilweise begründet erklärt. Demgemäss wird, in Abänderung des Urteils
des Appellationsgerichts des Kantons Baselstadt vom 29. Dezember 1902,
die Klage abgewiesen und der Kläger verurteilt:

a) den mit dem Beklagten am 15. April 1899 abgeschlossenen Vertrag im
Sinne der vorstehenden Erwägungen zu halten;

b) dem Beklagten für die Zeit vom 7. Februar 1901 bis 28. Februar 1903
eine Gesamtentschädigung von 2000 Fr., samt Zins zu 5 0/0 seit heute,
zu bezahlen.lll. Obligatlonenrecht. N° 17. 133

17. get-teil vom 6. März 1903 in Sachen Mahut-Heer, Kl. u. Ber.-Kl.,
gegen Yedensvernchenmgsgesellschaft gonkordia, Bek1.u.Ber.-Bekl.

Lebensversicherung. Anzuwendendes Recht. Bundesrecht oder kantonales
Recht. Art. 896 O.-R. Zeitliche Anwendung der Rechtsnorfflen. Art. 882
{). R.

A. Durch Urteil vom 30. Juli 1902 hat das Obergericht des Kantons
Schasfhausen über die Rechtsfrage:

Ist nicht zu erkennen, dass der am 30. März 1882 gemäss den Policen
Nr. 65,744 a und b zustande gekommene Versicherungsvertrag zu Kraft
bestehe und beidseitig zu erfüllen ist ? hat demgemäss nicht die Beklagte
die angebotene Bezahlung pro 30. Oktober 1900 mit 137 Fr. 42 (été. nebst 6
0/0 Verzngszins nebst eventuellen weiteren Zahlungen entgegenzunehmen und
den Vertrag zu halten, eventuell: Jst nicht die Beklagte verpflichtet,
einen nach richterlichem Ermessen festzusetzenden Betrag an den Kläger
zu bezahlen nebst Zins à 5 "o seit dem Tage der Klageerhebung, jedoch
nicht unter 3299 Fr. 41 Età?

erkannt:

Der Kläger ist mit seiner Klage abgetviesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, mit den Anträgen:
Es sei die Klage im vollen Umfange gutzuhetssen, eventuell bis auf
die Höhe des bezirksgerichtlichen Ur-teils (3299 Fr. 40 Ets. samt Zins
seit 1. April 1901), wetter eventuell bis auf die Höhe von 1964 Fr. 75
Cts. (Rückkaufswert) samt Zins seit 1. April 1901."

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der vorliegende Prozess beruht aus folgendem Sachverhalt: Der Klager
hat am 30. Oktober 1882 mit der Beklagten zwei Lebensversicherungsverträge
über je 5000 Fr. abgeschlossen Die jährliche 127 Fr. betragende Prämie ist
nach Inhalt des Vertragesam 30. März fällig; für die Zahlung ist dem Ver-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 114
Datum : 28. Februar 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 114
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ii4 Civilrechtspflege. 16. Zweit vom 28. Februar 1903 in Sachen ss 39.91qu, Kl,


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • schaden • weiler • frage • verurteilung • tag • brief • widerklage • bundesgericht • richtigkeit • bestandteil • gewicht • vorinstanz • zins • ermessen • zeuge • rechtsbegehren • werkvertrag • erste instanz • deutschland
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