10 Giviirechtspflege.

wohl grössere Vorteile bietet. Der aus sie entfallenden sWmenta:
tionsqnote entspricht ein Kapital von 8730 Fr., wovon die Vorinstanz
rund 20 0/0 für die Vorteile der Kapitalabfindung abgestrichen hat,
was zu billigen ist, so dass es dies-bezüglich bet der Entschädigung
von 7000 Fr. zu verbleiben hat. Dagegen erscheint

das Verlangen der Beklagten, dass eine Rente, statt einer Kapi

talsumme gesprochen werde, gerechtfertigt hinsichtlich der Entschädigung
für die Kinder. Einerseits fehlt für die Kapitalisierung der auf
die Kinder entfallenden Alimentationsquote eine feste Grundlage,
indem keineswegs als sicher angenommen werden dars, dass dieselben das
16. Altersjahr erreichen, und diesbezüglich 'em irgendwie zuverlässiger
Wahrscheinlichkeitskoefsizient nicht existiert; und sodann dürfte
durch die Ausrichtung periodischer Rentenbek träge den Interessen der
Kinder selbst besser gedient sein, da auf diese Weise mehr Gewähr dafür
besteht, dass die Entschädigung, und zwar im ganzen Umfange, ihrem
Zwecke entsprechend, für den Unterhalt und die Erziehung derselben
verwendet wird. Anderseits ist eine Jnsolvenz der Beklagten für die
Rentenperiode nicht zu befürchten und braucht daher bei der Frage, ob
Rente oder Kapital, aus dieses Moment keine Rücksicht genommen zu werden.

5. Dass die von der Gotthardbahngesellschaft geleisteten Zahlungen
nebst 50/0 Zins seit der Zahlung von der urteilsmässtgen Entschädigung
in Abzug kommen, ist zugestanden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird nur hinsichtlich der Art der Entschädigung für die
Kinder Langenegger gutgeheissen, im übrigen aber verworfen und danach
erkannt: Die Beklagte hat zu bezahlen:

a. An Witwe Langenegger einen Betrag von 7000 Fr. nebst Zins zu 50/0
seit dem 1. September 1901;

b. an die beiden Kinder eine jährliche Rente von je 200 Fr zahlbar in
halbjährlichen, zum voraus zahlbaren Raten vom 1. September 1901 bis
zum zurückgelegten 18. Altersjahre der Berechtigten.l. Haftpflicht der
Eisenbahnen bei Tò'tungen und Verletzungen. N° 2. 11

2. Bitt-teil vom 16. Januari-BE gum 1903 in Sachen Beben Kl. u. Ber.-Kl.,
gegen Elekirische Htraszenbaijn HinrichGrtinonszseebmg Bekr. u. Ver-Ki.

Neue Begehren vor Bundesgericht, Ami. 80 Org.-Ges. Beleauptetes
Selhstverschuldm {bei einem Kindle). Verschulden eines Angestellten der
lz-aftpfliclztigen Balmgeseèlsclmft. Bedewäung ein-es ver- urteilenden
Straferkenntnisses für den Stolz-Lehren Dingen-Miene der Freier-er
von Sämssenbalmwagen. _ Mass des Schadens (Körperverletzwsg bei einem
Li,-'sisijriierigen Kinzie) ; speziell: Berechsimueg des künftigen
Erwerbsausfalles. Versée'tmmelung. Art. 7 E.-H.-G.

A. Am 24. Juli 1901, vormittags um 101/e Uhr, ist der am 20. April
1899 gebotene, damals in Orlikon verkostgeldete Knabe Ernst Weber, Sohn
des Johannes Weber, der damals die Wirtschaft zum (Holdenen Löwen, am
Rennweg in Zurich, betrieb, nunmehr aber Landwirtschaft betreibt, aus
der Hauptstrasse ZurichOrlikon gegenüber der Wirtschaft zum Rössli in
Oriikon von einem, durch Friedrich Grau geführten Wagen der elektrischen
Strassenbahn Zürich-Orlikon-Seebach überfahren worden. Es sind ihm dabei
beide Beine abgedrückt worden, so dass das rechte Beinim Kniegelenk
erartikuliert und der linke Unterschenkel etwa 15 Centimeter unterhalb
des Knies amputiert werden mussten-

B. Wegen dieses Unfalls wurde der Wagenführer Grau in Strafuntersuchung
gezogen; er wurde der fahrlässigen Körperverletzung schuldig befunden
und entsprechend bestraft.

C. Über die vom Vater des Verunglückten namens desselben an die
Strassenbahn-Gesellschaft erhobenen civilen Entschädigungsanspräche wurde
eine Verständigung nicht erzielt, und es machte deshalb ersierer seine
Ersatzansprüche gerichtlich geltend. Die erste Instanz, das Bezirksgericht
Zürich IH. Abteilung, verurteilte die Beklagte, dem Kläger zu bezahlen:

a) für Heilungskosten 348 Fr.;

b) eine jährliche Rente von 300 Fr., zahlbar vom 24. Juli 1901 bis zum
zurückgelegten 16. Altersjahre des Klägersz

c) eine solche von 500 Fr., von dann bis zum zurückgelegten
20. Altersjahre und

d) von diesem Zeitpunkt an eine solche von 1600 Fr.

12 Civilrechtspflege.

Beide Parteien erklärten gegen dieses Urteil die Appellation. Laut
Urteil der I. Appellationskammer des Qbergerichts des Kantons Zürich
vom 7. Oktober 1902 wurde die Appellation der Beklagten zurückgewiesen,
die des Klägers teilweise begründet erklärt und erkannt:

1. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger zu bezahlen:

a) für Heilungskosten 348 Fr.;

b) eine jährliche Utente von 350 Fr., zahlbar vom 24. Juli 1901 bis zum
zurückgelegter sechs-zehnten Altersjahre des Klä9%;

c) eine solche von 550 Fr., vom zurückgelegten 16. bis zum zurückgelegten
20. Altersjahre des Klägers;

d) und von diesem Zeitpunkte an eine solche von 1750 Fr. Die Renten sind
jeweilen zahlbar am 24. Juli jeden Jahres.

2. Die Beklagte wird bei ihrer Erklärung, für die Rente genügende
Sicherheit zu leisten, behaftet.

D. Dieses Urteil haben beide Parteien auf dem Wege der Berufung
angefochten Die Berufungsanträge gehen dahin: die des Klägers: Die
Beklagte sei zu verpflichten, an den Kläger zu bezahlen:

a) eine jährliche Rente von 500 Fr., bis zum zurückgelegten
16. Altersjahr;

b) eine solche von 1200 Fr vom 16. bis zum zurückgeleg20. Altersjahr;

c) eine solche von 3000 Fr. von diesem Zeitpunkte an;

d) eine Entschädigung für Schmerzensgekd und ernstliche Störung in den
persönlichen Verhältnissen von 10,000 Fr.

Die der Beklagten:

1. Die Klage sei gänzlich abzuweisen;

2. Eventuell die Sache sei zur Aktenvervollständigung an die kantonalen
Jnstanzen zurückzuweisen zur Abnahrne des Beweises dafür, dass die
von der Betlagten erstinstanzlich gemachte Darstellung des Unglück-s
richtig sei, speziell hinsichtlich des Standortes des Klägers vor dem
Hineinspringen in den Wagen, sowie dafür, dass der Kläger auf das Winken
und Rufen der Frau Jda Kläger erst das letzte Hineinspringen in den Tram:
wagen vorgenommen habe;i. Haftpflicht der Eisenbahnen bei Tötungen und
Verletzungen. N '2. 13

3. Weiter eventuell Rückweisung der Akten an die kantonalen Stiftungen zur
Erhebung einer Oberexpertise über die Kosten der künstlichen Gliedmassen,
resp. zur Erhebung einer eigentlichen neuen Expertise hierüber;

4. Weiter eventuell Zusprechung einer abgestusten Rente nach den von den
Vorinstanzen angewendeten Prinzipien unter Reduktion der gesprochenen
Beträge und zwar

bis zum zurückgelegten 16. Altersjahr auf die durch Expertise
festzusetzenden Kosten der künstlichen Gliedmassen ohne Extraentschädigung
für Heilungsund Verpflegungskosten,

dem 16. bis 20. Altersjahr auf 300 Fr., plus Rente für die künstlichen
Gliedmassen,

und vom 20. Altersjahr an auf 600 Fr. plus Rente für kiinstliche
Gliedmassen."

Jn der Parteiverhandlung vom 16. Januar 1903 wurden die schriftlich
gestellten Anträge von den Vertretern der Parteien wiederholt. Der
Vertreter der Beklagten erhob dabei den Einwand, die Anträge des Klägers
seien unzulässig, weil sie über das vor erster Instanz gestellte Begehren
hinausgehen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das ursprüngliche Klagebegehren ging auf Zuspruch einer Kapitalsumme
von 80,000 Fr. Doch hatte der Kläger schon vor der ersten Instanz
eventuell verlangt, dass ein gemischtes System anzuordnen und ihm
zuzusprechen sei: eine feste Summe für die Heilungskosten, die Kosten
der künstlichen Glieder, für Schmerzensgeld und Vermehrte Pflegekosten
bis zum 16. Jahre desselbenund von da an eine jährliche Rente. Vor der
Appellationsinstanz wurden dann die Begehren dahin formuliert, es seien
dem Kläger 30,000 Fr. zuzusprechen, eventuell sei das gemischte System
anzuwenden und dem Kläger ein Kapitalbetrag für die effektiven Aus-lagen,
die entstanden sind, und noch entstehen werden zuzusprechen und im
übrigen eine Rente auszusetzen; weiter ebentuelî sei die Von der ersten
Jnstanz ausgesprochene Sterne bedeutend zu erhöhen und zwar aus 1000
Fr. vom 24. Juli 1901 bis zum zurückgelegten 16.Altersjahre des Klägers,
auf 1500 Fr. vom 16. Altersjahre bis zum zurückgelegten 20. Altersjahre
und auf 3000 Fr. vom 20. Altersjahre an. Die prozessualische Zulässig-

14 Civxlrechtspflege.

keit der eventuellen Anträge war, soweit sie über den prinzipalen Antrag
hinausgegangen sein sollten, nach kantonalem Rechte zu beurteilen. Sie
ist nicht bestritten, und von der Appellationskammer anerkannt worden,
indem sich ihr Urteil, ohne sich über das Verhältnis des prinzipalen
zu den eventuellen Begehren auszusprechen, auf dein Boden der letztern
bewegt. Hieran schliessen sich nun auch die Berufungsanträge des Klägers
an. Grundsätzlich ist daher ihre Zulässigkeit nicht zu beanstanden,
da es sich dabei nicht unt neue Begehren im Sinne von Art. 80
O.-G. handelt, und durch das Fallenlassen des ersten, auf Bezahlung
einer Kapitalentschädigung gerichteten Begehrens, das Petitum nicht
erwei- tert wurde. Einzig fraglich ist, ob der Antrag aus Zuspruch
einer Entschädigung von 10,000 Fr. für Schmerzengeld und ernstliche
Störung in den persönlichen Verhältnissen als neues Begehren betrachtet
werden müsse. Allein der Kläger hatte von vornherein eine Entschädigung
gestützt auf am. 7 E.-H.-G. verlangt, ja diese Gesetzesbestimmung sogar
einzig für die Kapitalforderung von 30,000 Fr. angerufen. Es muss daher
angenommen werden, dass ein Anspruch aus Art. 7 in den vor der obern
kantonalen In stanzen gestellten Anträgen enthalten sei, wenn er schon
nicht besonders herausgehoben wurde. Dem Zuspruch desselben steht daher
prozessualisch an sich nichts entgegen. Nur darf der Gesamtbetrag der
zuzusprechenden Entschädigung nicht über das hinausgehen, was insgesamt
vor der Vorinstanz mit dem einen oder anderen Begehren, die sich in
quantitativer Richtung gegenseitig nicht beschränken, gefordert wurde.

2. Die objektiven Voraussetzungen für die Entstehung eines
Haftpflichtanspruches des Klägers gegenüber der Beklagtett sind nicht
bestritten. Dagegen hat diese zunächst die Einrede des Selbst-verschuldens
erhoben. Allein mit Recht haben die beiden Vorinsianzen diese Einrede
mit der Begründung verworfen, dass bei

dem erst 21-4 Jahre alten Knaben Weber der für die Annahme-

eines Verschuldens erforderliche Grad von Einsicht und Verstand
fehlte. Die weitere Einrede, dass das Verschulden einer dritten, bei
der Transportansialt nicht angestellten Person, der Pflege-. mutter des
Klägers, oder des Mädchens Fritzle, das damals mit ihm gespielt hatte,
den Unsall verursacht habe, braucht nicht ge-

I. Haftpflicht der Eisenbahnen bei Tötungen und Verletzungen. N° 9. LI

prüft zu werden, wenn es richtig ist, dass die Beklagte ihrerseits
ein Verschulden trifft. Denn sobald letzteres zutrifft, ist es für die
Haftung nach dein Eisenbahn-Haftpflichtgesetz unerheblich, dass auch
das Verschulden einer der Transportansialt fremden Person mitgewirkt hat
(vgl. Amtl. Samml. Bd. XXIV, 2. T., S. 49). Und nun kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass ein von der Beklagten zu vertretendes Verschulden des
Wagenführers Grau den Unfall verursacht hat. Zwar erledigt sich diese
Frage nicht einfach durch den Hinweis auf das den Grau wegen fahrlässiger
Körperverletzung verurteilende Straferkenntnis. Durch dieses ist nur
rechtskräftig festgestellt, dass das damalige Verhalten des Grau strafbar
war. Ob aber dieses Verhalten einen privatrechtlichen Haftpflichtanspruch
des Verletzten an die Transportanstali zur Entstehung brachte, hatte
der Strafrichter nicht zu entscheiden, sondern der Civilrichter. Dabei
ist dieser weder an die tatsächlichen Annahmen des erstern, noch an
dessenWiirdiguug der subjektiven Seite des Falles gebunden, ersteres
deshalb nicht, weil die Feststellung des Tatbestandes im Civilprozess
sich nach andern Regeln richtet, als im Strafprozess, letzteres nicht,
weil die Begriffe der strafrechtlichen Schuld und der civilrechtlichen
Fahrläfsigkeit nicht überall und notwendigerweise übereinstimmen und
ferner auch hinsichtlich der Zurechnung des Erfolges die Regeln im
Strafrecht andere sein können, als im Civili-echt. Es könnte unter
solchen Umständen nur dann von einer Gebundenheit des Civilrichters an
das Strafurteil, bezw. an die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen
des Strafrichters die Rede sein, wenn sie sich aus der besonderen Natur
des Verhältnisses oder aus einer positiven Bei stimmung ergäben, was
beides hier nicht zutrifft. Anderseits ist flat, dass der Civilrichter
das Strafurteil, namentlich in seinen tatbeständlichen Feststellungen,
wenn und soweit von den Parteien daraus verwiesen wird, nicht bei Seite
schieben darf, sondern daraus nach Massgabe der ihm nach den allgemeinen
Regeln über den Beweis und die Urteilsfällung im Civilprozesse zukommenden
Bedeutung Rücksicht zu nehmen hat. Von diesem Standpunkte aus ist es zwar
unrichtig, wenn die Vorinstanz hinsichtlich der Frage des Verschuldens
des Grau einfach auf das Strafurteil abstellt. Vielmehr war selbständig
zu prüfen, ob nach dem Prozessinaterial,

16 Civilrechtspflege.

wozu allerdings auch die Strafakten und das Strafurteil gehören, der
Unfall auf ein Verschulden des Grau zurückzuführen sei. Eine Rückweisung
der Sache zu selbständiger Feststellung des Hergangs und selbständiger
rechtlicher Beurteilung der Verschuldensfrage an die Vorinstanz ist
trotzdem nicht nötig, da das Bundesgericht die notwendigen Feststellungen
nach dein Jnhalt der Akten selbst vornehmen und das Urteil ohne weiteres
fällen kann. Grau hatte, wie sich aus der eigenen Darstellung der
Beklagten über den Hergang ergiebt, als er aus die Unglücksstelle zufuhr,
den-Knaben Weber und das um einige Jahre ältere Mädchen Fritzle schon
aus einiger Entfernung auf der Strasse neben dem Tramgeleise spielen
sehen und sie durch Läuten auf den herankommenden Wagen aufmerksam
gemacht. Das Mädchen war nun etwa 12 Meter vor dem Wagen über das
Tramgeleise hinübergesprungen, während der Knabe auf der andern Seite
des Geleises in genügender Entfernung 11X2 2 Meter davon stehen blieb,
' oder längs des Geleises aufwärts marschierte Erst auf den Zuruf und
das Winken einer hinzugekommenen Drittperson sprang er plötzlich im
letzten Momente auf das Geleise, oder, wie die Beklagte sagt, förmlich
in den Wagen hinein. Die Geschwindigkeit des letztern hatte etwa 12
Km. per Stunde betragen und war nicht herabgesetzt worden, selbst nach
dem Zusammenstoss fuhr der Wagen eine erhebliche Strecke weiter, wie
Grau sagte, deshalb, weil er ob dem Unfall erschrocken war. Nun sind
die Tramführer gehalten, bei der Verrichtung ihres Dienstes auf die
Möglichkeit von Kollisionen mit Personen, Tieren oder Fuhrwerken, welche
die auf öffentlicher Strasse gelegenen Geleife betreten können, Bedacht
zu nehmen, und sie müssen stets auf der Hut und bereit sein, die nötigen
Mittel anzuwenden, um solchen Kollisionen vorzubeugen (vgl. Amtl. Samml.,
Bd. XXIV, 2. Teil, S. 47). Es kann vorkommen, dass sie die Möglichleit
eines Zusammenstosses ohne Schuld nicht beachten. Hier war dies jedoch
nicht der Fall. Grau hat die Kinder schon auf eine gewisse Entfernung nahe
neben dem Geleise erblickt und sie durch Läuten zu warnen gesucht. Damit
durfte er sich aber nicht begnügen Er sah, dass er es mit kleinen Kindern
zu tun hatte, und musste wissen, dass bei solchen die Erkenntnis der
Gefahr oft fehlt und dass von!. Haftpflicht der Eisenbahnen bei Tötungen
und Verletzungen. N° 2. 1?

ihnen auch nicht angenommen werden darf, dass sie stets auf die
iWarnungssignale achten. Die Erfahrung lehrt, dass selbst, wenn dies
der Fall ist, bei einzelnen Personen gerade dadurch, dass sie sich
plötzlich infolge des Warnungssignals einer Gefahr gegen:ihrer fühlen,
die Uberlegung gehemmt und dass dadurch nicht immer ein zweckmässiges
Verhalten ausgelöst wird, was naturgemäss namentlich bei Kindern
zutrifft. Grau durfte es daher unter keinen Umständen bei dem Läuten
bewenden lassen, sondern er musste Fdie Geschwindigkeit des in der
Richtung der Kinder heranfahrenden Wagens vermindern, um im stande zu
sein, denselben anzuhalten, bevor er an die Stelle gelangte, wo sie
spielten. Er musste sich sagen, dass nur eine kleine Bewegung derselben
sie auf das sGeleise führen merde, und dass er geläutet hatte, durfte ihn
nicht darüber beruhigen,. dass er damit genug getan habe, um die Sorge
für ihre Sicherheit ganz auf die Kinder abzuwälzen. Und zwar muss diese
Fahrlässigkeit, was für das Mass der Entschädigung von Bedeutung ist,
als eine grobe bezeichnet werden, da jeder, auch der minder sorgsame
Tramführer einer gleichen Situation gegenüber anders handeln wird,
als es im vorliegenden Falle Grau getan hat.

3. Was die Schadensbemessnng betrifft, so ist der Betrag der ergangenen
Heilungskosten von 348 Fr. anerkannt. Auf den Antrag, es sei über
die Kosten der künstlichen Gliedmassen eine Obererpertise, bezw. eine
eigentliche Expertise anzuordnen, ist nicht einzutreten Die Vorinstanz hat
einen Experten angehört und aus Grund seines Gutachtens die bezüglichen
Aus-lagen aus 250 Fr. jährlich festgestellt; hieran ist das Bundesgericht
ohne weiteres gebunden. Auch die Annahme, dass für besondere Wartung
und Pflege durchschnittlich 100 Fr. jährlich bis zum zurückgelegten
16. Altersjahre zuzusprechen seien, ist szu billigen, und dieser Betrag
als Teil der Heilungskosten zuzusprechen. Was den aus der Verminderung
der Erwerbsfähigkeit herrührenden Schaden betrifft, so haben mit Recht die
Vorinstanzen unter Berücksichtigung der Erwerbsstellung, in die den Kläger
seine individuellen und seine Familienverhältnisse mutmasslich führen
werden, eine Ubergangsperiode vom 16. bis 20. Altersjahre eingeschnltet,
während der von einem Erwerb, somit auch von einer durch den

XXIX, 2. 51903 2

18 Civilrechtsispflege.

Unsall verursachten Erwerbseinbusse, nur in beschränktenutk fange die
Rede sein kann. Der Betrag von 300 Fr. dürfte richtig bemessen sein,
wozu wieder die 250 Fr. für künstliche Gliedmassen kommen. Zu niedrig
erscheint der Ansatz von 1500 Fr. für die spätere Erwerbseinbusse Die
beiden Vorinstanzen gehen von einem Durchschnitts-Ichresverdienst von 2400
Fr. aus, was jedenfalls nicht zu hoch gegriffen iii. Die Verminderung
der Erwerbsfahigkeit wird unbestrittenermasseu in solchen Fällen auf
circa 80 _0/0 angesetzt. Es ist nun richtig, dass im vorliegenden Falle
die Einbusse nicht gleich hoch geschätzt werden darf, wie dann, wenn der
Unfall eine bereits in einer Erwerbstätigkeit stehende Person trifft,
da der Kläger sich auf einen für seine Verhältnisse passenden Beruf
von vornherein einrichten kann. Allein sehr erhebliche Bedeutung kommt
diesem Umstande doch nicht zu, weil anderseits von vornherein auch die
Berufswahl beschränkt ist. Ein Betrag

von 1750 Fr., oder mit dem Zuschlag für künstliche Gliedmassen,s

von 2000 Fr. dürfte der Sachlage entsprechen Was endlich die nach
Art.? des Gesetzes dem Kläger zuzusprechende angemesseneGeldsmnme
betrifft, so ist klar, dass die Verstümmelung des Klagers eine erhebliche
Herabminderung des Lebensgenusses für ihn zur Folge hat und dass auch
psychische Schmerzen kaum ausbleiben merden. Wenn wirklich von einer
Ausgleichung soll gesprochen werden Îònnen, darf deshalb nicht ein zu
niedrigerBetrag ausgesetzt werden. Nach freiem Ermessen dürfte ein Betrag
von 5000 Fr. angemessen sein. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird dahin gutgeheissen, dass die Rente,
welche die Beklagte dem Kläger vom zurückgelegten 20. Altersjahre an
zu bezahlen hat (Biff. 1 litt-. d des appella: tionsgerichtlichen
Urteils) auf 2000 Fr. erhöht und die Beklagte ferner verurteilt
wird, dem Kläger eine Summe von 5000 Fr. im Sinne von Art. 7 des
Eisenbahn-Haftpinchtgesetzes zu bezahlen; im übrigen werden die
Dispositive i und 2 des appellationsgerichtlichen Urteils bestätigt
II. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 3. 19

II. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. Responsabilité pour
l'exploitation des fabriques.

3. genen vom li. Februar 1903 in Sachen zeieollg KI. u. Ber.-Kl., gegen
Hegesser Höhne, Bekl. n. Ber.-Bekl.

Hafipflichîberechtigîe Personen : Arbeiter im Betriebe der Beklagten.
Art. i F.-H.-G., Art-. 1 u. 2 B. G. öete'efi'end Ausdsknemg der
Haftpflicht. Art. 2 Abs. 1 letztvit. Ges. Verhältnis der Gesellschaft,
nicht des Dienstverefirages unser den Personen, denen die Arbeit zur
Ausfù'hru ny übertragen ist.

A. Die der Hastpflichtgesetzgebung nnterstehende beklagtische Firma
Segesser Söhne, Baugeschäft in Luzern, hatte den Umbau des Hotels
Sonnenberg bei Kriens übernommen Zur Beschaffung der hiefür nötigen Steine
war ihnen vom Besitzer des Hotels, Widmer, ein ihm gehörender Steinbruch
zur Verfügung gestellt worden. Das Aus-brechen der Steine übertrugeu
Segesser Söhne dem Pietro Zambelli und Giovanni Bonardi, den Transport
zur Baustelle einem Landwirt Bühlmann. Für den ms ausgehobener Steine, an
der Mauer gemessen, erhielten Zambelli und Bonardi 2 Fr. 50 Ets. Da ihre
persönliche Arbeitskraft zur Bewältigung der übernommenen Arbeit nicht
hinreichte, zogen sie noch andere Arbeiter zu, unter diesen den Sohn des
Klägers, Luigi Pieollo, und vereinbarten mit ihnen, dass der Erlös aus den
abgelieferten Steinen unter allen Mitarbeitenden gleichmässig verteilt
werden solle. So wurde es dann tatsächlich auch gehalten. Keiner dieser
Arbeiter erhielt einen fixen Taglohn, sondern der Verdienst eines jeden
bemass sich nach den von Segesser Söhne eingegangenen Geldern und zwar
scheinen die Anteile der einzelnen gleich gewesen zu sein. Mit Segesser
Söhne dagegen standen Zambelli und Bonardi allein in geschäftlichem
Verkehr, und es traten dieselben dabei ausschliesslich in ihrem eigenen
Namen, nicht etwa als gleichzeitige Vertreter der übrigen Arbeiter
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 29 II 11
Datum : 01. Januar 1903
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 29 II 11
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 10 Giviirechtspflege. wohl grössere Vorteile bietet. Der aus sie entfallenden sWmenta:


Stichwortregister
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beklagter • vorinstanz • bundesgericht • weiler • richtigkeit • stein • frage • verhalten • erste instanz • strassenbahn • persönliche verhältnisse • kapitalabfindung • mass • schaden • vorteil • zins • verurteilter • entscheid • arbeitnehmer • unternehmung
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