36 A. Staats-rechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.
Gutfindeu hinauszuschieben. Die Einreichung des Rekurses beim
Bundesgericht erfolgte nun aber am 3. Januar 1903, ans mehr als 80 Tage
nach der Urteilseröffnung vom 18. September
1902; erkannt:
Auf den Rekurs wird wegen Verspätung nicht eingetreten.
IV. Schuldbetreibung und Konkurs. Poursuites pour dettes et faillite.
Vergl. Nr. 4, Urteil vom 4. März 1903 in Sachen Cardoner gegen
Gerichtspräsident II von Bern.I. Behergrifl in das Gebiet der
gesetzgebenden Gewalt. N° 9. 37
Dritter Abschnitt. Troisième section.
Kantonsverfassungen.
Constitutions cantonales.I. Uebergrifl' in das Gebiet der gesetzgebenden '
' Gewalt. -Empiètement dans le domaine du pouvoir lègislatif.
' 9. Urteil vom 19. Februar 1903 in Sachen Trümpler-Hurter gegen
Regierungsrat Zürich.
Anfechtung einer Bestimmung (5? 2 Zip. 13) der zürch. Gebührenordnung
filsdie Verwaltungsöehärden, vom 17. Juni 1901, wegen
Verfassungswidrigkeit. Gebühr und Steuer. Angebliche Ueberschrez'tung
der Befugnisse der Verwaltufigsbehòrden, Eéngrz'fi' in das Sei-Hex der
gesetzgebenden Gewalt und die Rechte des Volkes. Gleichheit vor-dem
Gesetze, 5 46 zürcherisches Gesetz betreffend die Organisation der
Bezirksbehcîzssden. vom 23. April 1901. Art. 30
. Abs. 2 Zifi. 2; Art. 31; Art. 19 Abs. 5, Art. 2 Zamò. Is.-V.
vom 18. April 1869 ; Art. 4 und 5 B.-V. Legitimation zum Rekursé,
Art. 178 ZW. 2 Org.-Ges.
sA. Für die Ratifikation der vom Rekurrenten Trümpler als Vormund der am
Rekurs beteiligten Charlotte Trümpler erstatteten Vormundschaftsrechnung
pro 81. März 1901 forderte der Bezirks-rat von Zürich, laut Nota vom
12. Dezember 1901 an den Vormund, eine Staatsgebühr von 366 Fr., gestützt
auf die vom Regierungsrat unter Genehmigung durch den Kantonsrat
38 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt.. Kantonsveefassungen.
erlassene Gebührenordnung für die Verwaltungsbehörden vom 17. Juni 1901,
wonach (§ 2 Ziffer 13) für die in Frage stehende Amtshandlung pro 1000
Fr. des oormundschaftlich verwalteten Vermögens-, soweit dasselbe 5000
Fr. übersteigt, 30 Cis. Gebühren zu entrichten find. Gegen diese Forderung
beschwerte sich der Vormund Trümpler beim zürcherischen Regierungsrat,
indem er wesentlich geltend machte, der vom Bezirksrat angewandte §
2 Ziffer 13 der citierten Gebührenordnung setze tatsächlich nicht
eine Verwaltungsgebühr, sondern eine neue, ausserordentliche Steuer
fest. Regierungsrat und Kantonsrat aber seien nicht befugt, eine
solche Bestimmung auf dem Wege der Verordnung zu erlassen, da nach der
kantonalen Verfassung Steuern unter allen Umständen nur durch Gesetz
geschaffen werden könnten; Art. 19 Abs. 5 letzter Satz und Art. 31 der
K.-V. normieren dies ausdrücklich für die Gemeindesteuern. Der gleiche
Grundsatz gelte natürlich auch für die Staatssteuern, welche in der Tat
durch das Steuergesetz von 1870 erschöpfend geregelt seien. Die Gebühren
erscheinen nach der vom Regierungsrat selbst ausgesprochenen Auffassung
als Entschädigung für besondere Dienstleistungen der staatlichen Organe
gegenüber Privatenz deshalb müssen sie in einem gewissen Verhältnis
zu diesen Leistungen stehen. Von einem derartigen Verhältnis könne
jedoch beim vorliegend geforderten Betrag von 366 Fr. keine Rede sein;
derselbe beweise-, dass die angefochtene Bestimmung gegen den Grundsatz
der Gebühren verstosse, da überhaupt die Leistung des Staates keineswegs
proportional dem vormundschaftlichen Vermögen zunehme. Dagegen entspreche
jene Bestimmung völlig dem Steuerprinzip (Steuerfreiheit bis 5000 Fr.,
Steueransatz für jedes weitere Tausend, Steuerperiode von 2 Jahren). Eine
solche Besteuerung aber verletze auch den Grundsatz der Gleichheit der
Bürger vor dem Gesetze (Art. 2 K.-V.), indem danach ausnahmsweise Vom
Vermögen der Bevormundeten neben den ordentlichen Steuern alle zwei
Jahre eine Extrasteuer von 1/3 O/[)(] erhoben werde
Durch Entscheid vom 4 September 1902 wies der Regierungsrat die Beschwerde
ab. Seine Begründung geht dahin, die
Kompetenz zur Festsetzung der angefochtenen Gebühr auf dem-
Verordnungswege ergebe sich für den Regierungsrat und den-l. Uebergritf
in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N° 9_ . 39
Kantonsrat aus § 46 des Gesetzes betreffend die Organisation
der Bezirksbehörden vom 23. April 1901. Der Kantonsrat habe bei
Genehmigung der streitigen Verordnung durch besondere Abstimmung den
in der voraus-gehenden Diskussion als mässig bezeichneten Ansatz von
0,3 0/00 unter Anschluss einer Maximalgrenze der Gebühr gutgeheissen
Dadurch habe er die Verfassung nicht verletzt, da dieselbe über den
Erlass von Gebuhrenordnungen keine Grundsätze ausstelle Es handle sich
bei der in Frage stehenden Bestimmung keineswegs um eine Steuer-,
sondern um eine Gebi:hr, welche allerdings nach Art der Steuern
berechnet werde. Die Annahme des Rekurrenten, dass die Leistung des
Staates bei allen Vormundschaftlich verwalteten Vermögen so ziemlich die
gleiche sei, widerspreche den Tatsachen; denn die der Ratifikation der
Vormundschaftsrechnung durch den Bezirksrat vorangehende Prüfung derselben
erfordere im allgemeinen um so mehr Zeit und Mühe, je grösser das Vermögen
sei; ferner wachse mitder Grösse desselben die Verantwortlichkeit der
Vormundschaftsbehörden.
-B. Gegen diesen Entscheid des Regierungsraies ergriff der Vormund
Trümpler in seinem und des durch ihn vertretenen Mündels Charlotte
Trümpler Namen rechtzeitig und in richtiger Form den staatsrechtlichen
Rekurs an das Bundesgericht mit den Anträgen:
1. Der angefochtene Entscheid und damit die der Charlotte Trümpler
auferlegte Staatsgebühr von 366 Fr. für die bezirksrätliche Ratifikation
der Vormundschaftsrechnnng per 31. März 1901 seien aufzuheben;
2. Die Gebührenordnung für die Verwaltungsbehörden des Kantons Zürich
vom 17. Juni 1901, eventuell speziell die (unter Fakt· A oben ritierie)
Bestimmung in § 2 Ziffer 13 derselben, sei als rechtlich unverbindlich
zu erklären.
Zur Begründung wird in allen Punkten auf die Reknrsschrift im analogen
Falle Trümpler und Geschwister Bodmer verwiesen. Diese beruft sich auf
Verletzung der Art. 19 Abs. 5 letzter Satz und Art. 31 der K.-V., sowie
der Art. 2 der K.-V., 4 und :) der B.-V., indem sie wesentlich die in der
Beschwerde an den Regierungsrat vorgebrachten Argumente, welche den sub
Fakt. A oben erwähnten entsprechen, wiederholt und weiter ausführt, die
40 A. Staatsrechthche Entscheidungen; Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
Kompetenz des Regierungsund Kantonsrates zum Erlass der angefochtenen
Gebührenordnung gestützt auf Art. 46 des Gesetzes über die Organisation
der Bezirksbehörden vom 23. April 1901 werde nicht anerkannt,
da es jedenfalls mit dem demokratischen Gedanken der geltenden
Kantonsverfassung, mit dem ungeschriebenen Verfassungsrecht, nicht
vereinbar sei, die finanziellen Folgen eines Gesetzes durch eine
Bestimmung desselben in eine Verordnung zuverweisen und dadurch dem
direkten Entscheide des Volkes zu entziehen, wie es vorliegend für
die Regelung der Gebühren geschehen sei. Die Beschlussfassung über
eine Gebührenorduung sei dem Kantonsrat in am. 31 der K.-V. nicht
vorbehalten und unterstehe deshalb gemäss Art. 30 Alinea 2 ibidem
der Volksabstimmung. Wenn sich nun der Kantonsrat durch das Gesetz
(Art. 46 leg. cit.) von den Stimmberechtigten gewissermassen eine
Blankovollmacht zu einem solchen Beschluss erteilen lasse, so bedeute
dies eine Änderung der Verfassung, die zwar im KantonZürich auf dem Wege
der gewöhnlichen Gesetzgebung möglich sei, dagegen zur Rechtsgültigkeit
gemäss Art. 5 der B.-V. der Gewährleistung durch die Eidgenossenschaft
bedürfe, welche vor-liegend nicht eingeholt worden sei. Das vom
Kantonsrat eingeschlagene Verfahren, welches sich lediglich aus der
Furcht vor einem direkten Volksentscheide erkläre, widerspreche auch
der bisherigen zürcherischen Gesetzgebungspraxis, indem sowohl die
heutigen Gerichtskosten und notariellen Gebühren, als auch die bis zum
Erlassder angefochtenen Verordnung geltenden Verwaltungs-gebührendurch
Gesetze festgelegt seien. Aus allen diesen Gründen folge die rechtliche
Unverbindlichkeit jener Verordnung in ihrer Totalität. Jedenfalls aber
sei § 2 Ziffer 13 derselben ungültig, da dadurch nicht eine Gebühr im
Sinne des Art. 46 leg. cit., sondern in, Wirklichkeit eine Vermögenssteuer
eingeführt werde. Der Unter- schied zwischen Gebühr und Steuer sei weder
verfassungsmässig noch gesetzlich ausdrücklich definiert; doch werden
die beiden Be- zeichnungen für verschiedene Begriffe angewendet, so dass
dieses letzteren an Hand der Wissenschaft klar-zustellen seien (zu vergl.
Schönbergs Handbuch der politischen Okonomie, Bd. IH). Danach bestehe das
Charakteristikum der Gebühr darin, dass sie an bestimmte Amtshandlungen
staatlicher Organe anknüpfe und present-I. Ueber-griff in das Gebiet
der gesetzgebenden Gewalt. N° 9. 4}
lich mit Rücksicht auf diese speziellen Gegenleistungen jener bemessen
werde, während die Steuern zum Zwecke der Befriedigung der allgemeinen
öffentlichen ;Bedürfnisse erhoben werden. Dieser Definition gemäss,
welche der Regierungsrat selbst in einem dem vorliegenden analogen
Falle anerkannt habe, erscheine die hier streitige Abgabe, trotz ihrer
Bezeichnung, nicht als Gebühr; denn einerseits bilde ihre Voraussetzung
nicht die zugehörige Amtshandlung schlechthin, sondern diese nur, sofern
sie einen Vermögensbetrag von über 5000 Fr. betreffe, somit nicht in
der Mehrzahl ihrer Fälle; anderseits sei ihr Betrag der amtlichen
Gegenleistung keineswegs angemessen. Der Rekurrent habe nicht, wie
der Regierungsrat angebe, behauptet, dass die Leistung des Staates in
allen Vormundschaftsfällen ungefähr dieselbe sei, wohl aber (woran er
sesthalte), dass zwischen den Fällen mit Vermögen unter-6000 Fr. und
dem vorliegenden in dieser Hinsicht kein derartiger Unterschied bestehe,
dass die exorbitante Differenz der Abgaben sich rechtfertigen würde. Das
Gegenargutnent des angesochtenen Entscheides mit der Verantwortlichkeit
sei unstichhaltig, da diese in erster Linie auf den Gemeindebehörden,
nur subsidiär auf dem Bezirksrat und keineswegs auf dem Staate selbst
laste, während die streitige Abgabe in die Staatskasse flies-ge. Dagegen
komme dieser Abgabe offenbar Steuercharakter zu, indem die Exemption der
Vermögen unter 5000 Fr. direkt einem positiven Steuergrundsatz entspreche,
indem jene überdies gesetzlich notwendig alle 2 Jahre wiederkehre, einer
Steuer analog berechnet werde und endlich, wie diese, im Gegensatz zu
den Gebühren des Rechtspflegegesetzes und allen übrigen der angefochtenen
Verordnung selbst, kein Maximum habe. Handle es sich aber um eine Steuer,
so sei deren Verfassungswidrigkeit, abgesehen von der unzulässigen
Art ihrer Einführung, klar, da sie lediglich eine einzelne Klasse von
Vermögen die vormundschaftlich verwalteten '-belaste. si '
Bezüglich der Legitimation zum staatsrechtlichen Rekurs beruft sich
der Rekurrent einerseits auf seine Eigenschaft als Vormund der direkt
beteiligten Charlotte Trütnpler und anerbietet sich, eventuell eine
Bescheinigung im Sinne des am. 75 Alinea 2 Ost. darüber beizubringen,
dass er nach dem kantonalen Recht
42 A. staats-rechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
einer speziellen Vollmacht zur vorliegenden Vertretung seines Mündels
nicht bedürfe. Anderseits macht er für seine eigene Person geltend, dass
er gemäss Art. 178 Al. 2 D.M., wonach jedem Bürger das Beschwerderecht
gegen allgemein verbindliche Erlässe zustehe, jedenfalls zur Anfechtung
der in Frage stehenden Verordnung berechtigt sei.
C. Der Regierungsrat des Kantons Zürich verweist in der Beantwortung des
Rekurses, dessen Begründung entsprechend, auf seine Vernehmlassung im
Falle Trümpler und Geschwister Bodmer. Dort bestreitet er zunächst die
Aktivlegitiniation des Rekurrenten Trümpler für seine eigene Person,
da dieser selbst jedenfalls keine Rechtsverletzung erlitten habe;
im übrigen beantragt er materielle Abweisung des Rekurses wesentlich
aus den im angefochtenen Entscheid bot-gebrachten Gründen. Er betont
insbesondere, dass sich die streitige Abgabe gerade nach den im Rekurse
entwickelten Theorien nicht als Steuer qualifiziere, indem alle von
den Bezirksräten bezogenen Gebühren nicht einmal die Hälfte der für
diese Behörden erforderlichen Auslagen decken. Von einer Verletzung der
Art. 2 K.-V. und Art. 4 B.-V. könne keine Rede sein, da die Gleichheit
der Behandlung aller Bürger hier durch die Verhältnismässigkeit der
Gebühr nach dem Betrage des Vermögens gewahrt werde. Art. 19 Al. 5 der
K.-V. stehe mit der angefochtenen Gebührenordnung in keinem Zusammenhang
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Rekurrent Trümpler ist in seiner Eigenschaft als Vormund der
durch den streitigen Entscheid des Rekursbeklagten direkt Betroffenen
Charlotte Trümpler zweifellos legitimiert, sowohl diesen Entscheid selbst,
als auch die ihm zu Grunde liegende, allgemein verbindliche Verordnung
auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses anzufechten. Da er dabei die
Interessen seines Mündels gegenüber den Vormundschaftsbehörden vertritt
und diese, insbesondere der Rekursbeklagte als oberste Instanz, seine
Kompetenz hier ohne besondere Vollmacht stillschweigend anerkannt hat,
so liegt für das Bundesgericht kein Grund vor, von ihm einen speziellen
Ausweis über die Gesetzinässigkeit seiner Vertretung zu verlangen. Was
aber die Rekurs-Legitimation des Vormundes aus eigener Person betrifft,
ist die dagegen erhobene Einrede desl. Uebergrlfi' in das Gebiet der
gesetzgebenden Gewalt, N° 9. 43
Rekursbeklagteu gutzuheissen. Es kann hier, offenbar auch nach der
Ansicht des Rekurrenteii Trüinpler selbst, lediglich das Begehren an. 2
des Rekurses, die Anfechtung der allgemeinen Verordnung, in Frage kommen,
da die spezielle Versagung, gegen die sich der Rekursantrag Nr. 1 richtet,
den Vormund personlich nicht berührt. In jener Hinsicht aber erscheint
die Anrusung von Art. 178 Ziff. 2 Org.-Ges. nach der konstanten Auslegung
dieser Bestimmung durch die Praxis des Bundesgerichtes (vgl. Entscheid
in Sachen Berger und Konsorten gegen Aargau, Amtl.· Samml Bd. XXV11, 1,
Nr. 87 Erw. 1) als unzutreffend, indem ein verfassungsmässig garantiertes
Judividualrecht des Resurrenten Trümpler durch den Erlass jener Verordnung
an sich keineswegs verletzt wird., Somit ist aus den Rekurs nur mit
Rucksicht auf das beteiligte Mandel Charlotte Trümpler einzutreten. .
2. Jti der Sache selbst behauptet die Rekursschrift in erster Unie,
die Geblihrenordnung für die Verwaltungsbehorden vom 17. Juni 1901 sei
in ihrer Totalität veriassungsividrigsz Sie macht jedoch zur Begründung
dieses Standpunktes nicht,fwie zu erwarten wäre, geltend, dass jene
Verordnung direkt bestimmten, Für ihren Erlass und Inhalt massgebenden
Verfassungsartitelu widerspreche, sondern anerkennt vielmehr, indem sie
nach dieser Richtung ausschliesslich Art. 2 Ziff. 13 derselben anficht
(ng. Erw. 3 unten), implicite, dass die Verordnung im ubrigen als Vollzug
des § 46 des Gesetzes betreffend dies-Organisation der Bezirksbehbrdeii
vom 23. April 1901 einwandirei erscheint Der eitierte § lautet, soweit er
vorliegend in Betracht sallt, dahin . Der Regierungsrat bestimmt durch
eineovom Kantonsrcctte zu ,genehmigende Verordnung, in welchen Fallen
fur die Saga: ,spruchnahme der Tätigkeit der Bezirksverwaltung von den
,. e teiligten Erledigungsbezw. Kanzlezgebuhren zu entrichten seien:
Solche Gebühren sind nach maszigen Ansatzenusestzusetzem in Fällen
offenbarer Dürftigkeit kamt die Gebuhr erlassen
erben."
wDie Argumentation des Rekurses richtet sich unmittelbar gig; die
Verfassungsmässigkeit dieser Gesetzesbestimmungz ein Re ; antrag auf
Nichtigerklärung derselben aber liegt nicht vor,·so Bas? jenen Argumenten
schon aus diesem formellen Grunde keine e-
44 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
deutung zukommt. Übrigens könnten dieselben zweifellos auch materiell
nicht durchschlagen; denn: Wenn sich die Rekurrenten vorab darauf
berufen, dass der in Frage stehende § 46 leg. cit; gegen den der
Verfassung zu Grunde liegenden demokratischen Gedanken verstosse,
wonach die finanzielle Tragweite eines Gesetzes dem Entscheide
des Volkes nicht entzogen werden dürfe, so vermag eine Erwägung so
allgemeiner Natur, welcher jede Substanziierung an Hand der positiven
Verfassungsgrundsätze fehlt, die Aufhebung einer von Kantonsrat und Volk,
den zur Interpretation der Verfassung in erster Linie legitimierten
Organen, geschaffenen Gesetzesbestiinmung, wie der citierte § 46, durch
das Bundesgericht keineswegs zu rechtfertigen. Wieso die ferner speziell
an- gerufenen Art. 30 Ziff. 2 und Art. 31 K.-V. verletzt sein sollen,
ist nicht Verständlich; denn gerade weil die Befugnis zum Erlass einer
Gebührenordnung in Ari; 31 nicht erwähnt ist, kann sich auch Art. 30
Ziff. 2, der ausdrücklich nur im Rahmen des Art. 31 Geltung hat, hieran
nicht beziehen und stand es demnach dein Gesetzgeber, in Ermangelung
einer bezüglichen Verfassungs-vorschrift, frei, die streitige Kompetenz
auf gesetz-lichem Wege zu regeln, wie es durch die eitierte Bestimmung in
rechtsgültiger Form geschehen ist. Somit erweist sich auch die Berufung
auf Art. ö B.-V. ohne weiteres als haltlos.
3. Nun erheben aber die Rekurreuten gegenüber Art. 2 Ziff. 13 der
angefochtenen Verordnung, welche die vor-liegend streitige Abgabe für
die bezirksrätliche Ratisikation der Vormundschaftsrechnungen normiert,
speziell den weiteren Einwand, Regierungsrat und Kantonsrat hätten hier
in Überschreitung der ihnen laut § 46 leg. cit. eingeräumten Kompetenz
zur Feststellung von Gebühren, eine Vermögenssteuer zu Gunsten des
Staates eingeführt und damit den aus Art. 19 Al. 5 und Art. 31 K.-B.
resultierenden Grundsatz-, dass Steuern überhaupt nur durch Gesetz
geschaffen werden dürfen, verletzt. Der Rekursbeklagte behauptet nicht,
dass ihm in Verbindung mit dem Kantonsrat die Kontpetenz zur Einführung
von Staatssteuern zustehe, bestreitet aber, dass der in Rede stehende
Artikel eine solche Steuer schaffe. Demnach darf angenommen werden,
Regierungsrat und Kantonsrat hätten durch den Erlass jenes Artikels
ihre verfassungsmässigenl. Uebergrifi' in das Gebiet der gesetzgebenden
Gewalt. N° 9, 45
Befugnisse überschritten, sofern sich ergeben sollte, dass derselbe
tatsächlich nicht eine Gebühr, sondern eine Sttfeuer betrifft. Um
aber diese Frage zu entscheiden, ist von· der wissenschaftlichen
Abgrenzung der in Betracht fallenden Begriffe auszugehen, da dieselben
nnbestrittenermassen weder durch Verfassung, noch durch Gesetz definiert
sind. Nun qualifizieren sich nach der Doktrin der politischen Okonomie
(vgl. A. Wagner, Handbuch, Abteil. IV, Teil 1 und 2; Schönberg,
Handbuch, Bd. III; Schaffle, Die Stemmi, allgemeiner Teil) die
Gebühren als speziellen Entgelt für bestimmte, durch den Pflichtigen
veranlasste Leistungen der Staatsgewalt, welcher Entgelt demgemäss
die effektiven Kosten der betreffenden staatlichen Tätigkeit und der
hiefür erforderlichen Einrichtungen möglichst decken soll, während die
Steuern als Beiträge der Einzetiien zur Durchführung der allgemeinen,
dein Wohl der Gesamtheit dienenden Staatsaufgaben erscheinenszNach diesem
Unterscheidungsmerkinal aber handelt es tsich vorliegend unzweifelhaft
um eine wirkliche Gebühr. Denn die streitige Abgabe wird erhoben für die
Leistung des Vezirtsrates bei Genehmigung einer Vormundschaftsrechnung,
also sür einen speziellen Akt einer bestimmten Staatsbehörde. Sie verliert
diesen Charakter eines Spezialentgeltes, entgegen der Auffassung der
Rekurrenten, nicht dadurch, dass ihr Betrag entsprechend den sur die
Steuern üblichen Grundsätzen nach der Grösse des in Frage stehenden
Vermögens bemessen wird, da in diesem äusserlichen Merkmal der Anpassung
an die Verhältnisse des einzelnen Falles nach der vorstehenden Definition
keineswegs das für die Steuer wesentliche Requisit enthalten ist. Auch
über die von den Rekurrenten speziell bestrittene Angeinessenheit der
Abgabe kann kein Zweifel bestehen, da jene unter Berücksichtigung des
früher bezeichneten allgemeinen Zweckes der Gebühren zu würdigen ist
und vorliegend aus den Angaben des Rekursbeklagten hervorgeht, dass
die Ivon den Vezirksräten erhobenen Gebühren in ihrer Totalitat ihren
entsprechenden Zweck, die Gesamtauslagen dieser Behorden zu decken,
bei weitem nicht erreichen. .
4. Da Art. 2 Ziffer 13 der angefochtenen Verordnung nach dem Gesagten
zkeine Steuer normiert, so fällt dasvvon den. Rekurrenten in letzter
Linie vorgebrachte Argument, die. durch seiten
46 A. Siaatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
Artikel geschaffene Abgabe qualifiziere sich als Ausnahmesteuer,
welche gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 2 K.-B. und Art. 4
B.-V.) verstosse, ohne weiteres dahin. Denn dass diese Abgabe bei ihrer
Eigenschaft als Gebühr nicht von allen Vermögen, sondern nur von den
vormundschaftlich verwalteten, erhoben wird, erklärt sich aus der Natur
der Sache; die Gleichheit in der Behandlung innerhalb dieser einzelnen
Kategorie von Vermögen aber liegt, wie der Rekursbeklagte zutreffend
ausführt, in der Proportionalität der Gebühr zum Vermögensbetrag.
Erscheint somit die Anfechtung der Gebührenordnung vom 17-. Juni 1901 als
in allen Teilen unbegründet, so ist implicite auch der Angriff auf deren
Anwendung im vorliegenden Falle widerlegt. Daraus folgt die Abweisung
beider Rekursbegehren.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.
II. Anderwéitige Eingrifie in garantierte Rechte. Atteintes portées à
d'autres droits garantis.
10, Urteil vom 28. Januar 1908 in Sachen Sozialdemokratische Fraktion
des Grossen Rates des Kantons Bern gegenGroÎzrat Bern.
Verfassungsdeetirnenung betrefi'meä angemessene Rücksichtnahme auf
die Minderheiten bei Bestellung des Bm'eaus amd in der Kommission des
Grossen Rates. Art. 26 Zilî'. 1.9 ber-n. K.-V. ; Art, 11 Abs. 4, Art. 33
des Reglements für den Gr. Rat des Kantons Bem vom 20. Mai 1901.
A. Am 16. September 1902 reichte Fürsprech Albrecht in Biel als Sekretär
der sozialdemokratischen Fraktion des bernischen Grossen Rates dem
Bundesgerichte eine von ihm und zehn andern, ebenfalls der genannten
Fraktion angehörenden Mitgliedern des Grossen Rates unterschriebene
Beschwerde ein, in der beantragtll. Anderweitige Ring,-riffa in
garantierte Rechte; N° 10. 47
wird: Es sei die vom Grossen Rat des Kantons Ver-n am 30. Juli 1902
vorgenommene Wahl des Grossrates Gottfried Rufener in die Justizkommission
des bernischen Grossen Rates zu kassieren und es sei diese Behörde
anzuweisen, bei Besetzung der vakanten Jnstizkommissionsstelle gemäss
Kantonsverfassung und Grossratsreglement vom 20. Mai 1901 zu progredieren.
In tatsächlicher Beziehung wurde in der Beschwerdeschrift angebracht:
Jm Frühjahr 1902 habe die ordentliche Gesamternenemug des bernischen
Grossen Rates stattgefunden, wie solche alle vier Jahre gemäss Art. 21
der bernischen Staatsverfassung zu erfolgen habe. Der neugewähite
Grosse Rat des Kantons Berti sei zum ersten Mal am 2. Juli 1902
zusammengetreten, um nach Art. 7 und 25 des Reglements für den Grossen
Rat zu seiner Konstituierung und zur Wahl des Regierungsrat-es und der
ständigen Kommissionen zu schreiten. Nach Art. 26 Schlussalinea der
beru. Kantonsverfassung und nach Art. 33 des Grossrats-Regleutents sei
bei Bestellung des Bureaus und der Kommissionen auf die Vertretung der
Minderheiten angemessene Rücksicht zu nehmen. Eine solche Minderheit
bilde die sozialdemokratische Fraktion des Grossen Rates, bestehend
aus 16 Mitgliedern. Nach Vorschrift der Verfassung und des eitierten
Grossrats-Reglements müsse diese Fraktion bei Besetzung der Kommissionen
gebührend berücksichtigt werden. Dieser Vorschrift sei der Grosse
Rat bei Bestellung der Justizkommission in der Sitzung vom 8. Juni
1902 nachgekommen, indem er den Gross-rat Scherz, Armensekretär in
Bern, Mitglied der sozialdemokratischen Grossratsfraktion, in die
Justizkommission wählte. Nach seiner Wahl in die Justizkommission sei
Grossrat Scherz auch bestätigt worden als Mitglied
a) der Kommission betreffend das Gesetz über die Sonntagsruhez .
b) der Kommission betreffend Dekret über das BestattungswesenGestützt auf
Art. 32 Alima 2 des Grossrats-Reglementes habe Grossrat Scherz schriftlich
seine Demisfion als Mitglied der Justizkommission erklärt. Am 80. Juli
1902 sei der Grosse Rat zur Neubesetzung der infolge der Demission des
Grossratss Scherz vakant gewordenen Stelle in der Justizkommission
geschritten. Die sozialdemokratische Fraktion des Grossen Rates als
Minderheit,