158 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

digung seiner Äusserung; allein darin kann eine Verletzung des in Frage
stehenden Verfassungsgrundsatzes zweifellos nicht gefunden werden; denn
es ist jedenfalls nicht unmöglich, zum Beispiel den Ausdruck hässliches
Machwerk als beleidigend zu betrachten, und dem Vorwurf, der Gemeinderat
habe einen mit der Wahrheit auf gespanntein Fusse stehenden Amtsbericht
erstattet, den Sinn absichtlich unrichtiger Darstellung beizulegen. Bei
dieser Auslegung aber erscheint die Annahme einer Ehrverletzung mit
Rücksicht ans die festgestellte Unbegründetheit des Vorwuer deren
Richtigkeit zu bezweifeln kein genügender Grund vorliegt keineswegs
als missbräuchliche Anwendung des Strafgesetzes im genannten Sinne.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

V. Gerichtsstand. Du for.

1, Verfassungsmässiger Gerichtsstand. Unzulässigkeit ven
Ausnahmegerichten. For naturel. Inadmissîbilîté de tribunaux
exceptionnels.

37. Urteil vom 18. Juni 1903 in Sachen Christen gegen Regierungsrat
Unterwalden nid dem Wald.

Bundesgesetz betr. Ergänzung des Bundesgesetzes t'è-ber den
Militärpflichtersatz. Kantonale Vofleehungs-Verardnung Mezze,
die, entgegen Verfassung und Geseéz, die Beurteilung des Delikte-s
der schuldhaften Nichtbgzahlung des Miliédrpflichtersatzes einer in
Verfassung und Gesetz nicht aufs Strafgericht vorgesehenen Behà'reîe
zuweist. Eingriff in das Gebiet der gesetzgebenden Gewaèt.

A. Durch Urteil des Gerichtsausschusses von Nidsvalden vom 18. Februar
1903 wurde der Reknrrent Christen wegen schuldhafter Nichtbezahlung des
Militärpflichtersatzes für die Jahre 1898 bis 1902 in Anwendung von Art. 1
des Bundesgesetzes betref-V. Gerichtsstand. 1. Verfassungsmässiger. N°
37. 159

send Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz zu
drei Tagen Gefängnis verurteilt. Christen hatte die Kompetenz des
Gerichtsausschusses bestritten.

B. Die vom Landrat des Kantons Unterwalden nid dem Wald am 12. April
1901 zum Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes
über den Militärpflichtersatz erlassene Vollziehungsverordnung
bestimmt in § 5, dass der Kreiskommandant die Schuldbaren an den
Gerichtsausschuss weist und dass der Gerichtsausschnss in rein
summarischetn Verfahren urteilt, wobei Verteidiger ausgeschlossen
find. Der durch Verfassungsrevision vom 29. April 1900 geschaffene
Gerichtsausschuss ist eine Abteilung des Kantonsgerichts, bestehend
aus dem Präsidenten und zwei Mitgliedern Er beurteilt endgültig und im
summarischen Verfahren alle Civilstreitigkeiten, deren Streitwert 20 Fr.,
nicht aber 100 Fr. übersteigt (K.-Verf. § 57, Gerichtsorganisation §
3). Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kantonsgericht ist Civilund
Strafgericht; als einziges erstinstanzliches Strafgericht entscheidet es
über alle Strafsälle, die ihm von der Untersuchungsbehörde zur Beurteilung
überwiesen werden (K.-Vers. § 58, Ziff. 3, Gerichtsorganis § 4).

Der Gerichtsausschuss hatte anlässlich des Strasfalles Christen
Bedenken über seine verfassungsmässige Zuständigkeit, Strafsachen
zu beurteilen, mit Rücksicht auf § 57 der Kant.-Verf. und § 3 der
Gerichtsorganisation, die dem Gerichtsausschuss nur civilgerichtliche
Funktionen zuweisen. Der Regierungsrat, an den sich der Gerichtsausschuss
um Wegleitung gewandt hatte, teilte jedoch diese Bedenken nicht, sondern
wies den Gerichtsausskhnss un, die Fälle schuldhafter Nichtbezahlung
des Militärpslichtersatzes zu beurteilen. Der Gerichtsausschuss erliesz
hieraus das eingangs erwähnte Urteil. -

C. Gegen dieses Urteil hat Christen rechtzeitig den staatsrechtlichen
Reknrs an das Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrag, es sei das Urteil
aufzuheben. In der Begründung wird ausgeführt, das Urteil enthalte
einen Verstoss gegen-Art 08 B.-.V und em.? FT.-V. (Niemand kann seinem
versassungsmaszigen Richter entzogen werden"). Nach Verfassung und Gesetz
set das Kantonsgericht das einzige erstinstanzliche Strafgericht des Kan-

160 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

tons. Die Kompetenz des Gerichtsausschusses sei auf Civilstreitigkeiten
beschränkt Der Gerichtsausschusz habe verfassungs-gemäss keine
Strafgewalt. Der Landrat habe nicht die Befugniss gehabt, in einer
Vollziehungsverordnnng zu einem Bandes-gesetz gegen Verfassung und Gesetz
ein Civilgericht mit Strafgewalt auszustatten. Diese Befugnis stehe nur
der Landsgemeinde zu nach dem für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen
Verfahren (Verf. Art. 39 a). Nach dem Bundesgesetz betreffend Ergänzung
des Bundesgesetzes Über den Militärpflichtersatz merde, wer schnldhafter
Weise den Militärpflichtersatz nicht entrichtet vom Strafrichter mit Hast
bestraft; gemeint sei der nach Verfassung und Gesetz zuständige kanteiiale
Strafrichter, und das sei in Ridwalden das Kantonsgerichi. Der Rekurrent
sei daher seinem verfassungsmässigen Richter entzogen worden. Sodann sei
dem Reinerenten die Beiziehung eines Verteidigers verweigert worden unter
Berufung auf § 5 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung. Diese Bestimmung
stehe im Widerspruch mit Art. 64 KQV (Jn Strafund Appellationsfällen
findet Anklage und Verteidigung statt. Wo der Beklagte nicht selbst einen
Verteidiger wählen kannwird ein solcher von Amtes wegen bestellt.) Das
Recht der Verteidigung involviere die Befugnis, einen Verteidiger
herbeizuziehen. Auch ans diesem Grunde sei das angefochtene Urteil als
verfassungswidrig aufzuheben.

D. Der Gerichtsausschuss Nidwalden hat auf Bemerkungen verzichtet. Der
ebenfalls zur Vernehmlassung eingeladene Regierungsrat von Nidwalden hat
auf Abweisung des Rekurses angetragen und zur Begründung im wesentlichen
ausgeführt: Der Landrat habe nach Art. 48 Ziff. 4 die erforderlichen
Vollziehungsverordungen und Ausführungsbestimmungen zu den eidgenössischen
und kantonalen Gesetzen zu erlassen. Das Bundesgesetz betreffend die
Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichiersatz schreibe nicht
vor, dass zur Abnrteilung renitenter Militärsteuerpflichtiger nur die
verfassungsmässigen kantoualen Strafgerichtskollegien kompetent seien,
sondern es Überlasse es den Kantonem einen Strafrichter zu bezeichnen
In der Vollziehungsverordnung habe festgestellt werden müssen, wer als
Strafrichter zu fungieren habe, Der Gerichtsausschuss sei als solcher
bezeichnet worden, nichtV. Gerichtsstand. 1. Verfassungsmässiger. N°
37. 151

als Civilinstanz, sondern als Abteilung des Kantonsgerichts in
seiner Eigenschaft als Strafgericht Die Verordnung sei vom Bundesrat
genehmigt mordere. Es sei auch durchaus kein Bedürfnis vorhanden, dass
in so unbedeutenden Strasfällen der ganze kostspielige Apparat des
Kantonsgerichts in Bewegung gesetzt merde. Seinem verfassungsmässigen
Richter sei der Rekurrent nicht entzogen worden. Ebensowenig sei das
durch die Verfassung gewährleistenVerteidigungsrecht durch den Ausschluss
von Verteidigern verletzt; denn, da kein Ankläger erscheine, seien die
Rechte der Verteidigung nicht verkürzt, wenn der Angeklagte sich selber
verteidigen müsse.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. In erster Linie ist die Frage zu prüfen, ob nach der
verfassungsmässigen Ordnung der Strafgerichts-harken in Nidwalden der
Gerichtsausschuss zuständig ist, die Fälle schuldhaster Nichtbezahlung
des Militärpflichtersatzes zu beurteilen, und da die kan- tonale
Vollziehungsverordnung zum mehrfach citierten Bundesgesetz in § 5
Abs 1 diese Falle dem Gerichtsausschuss zur Aburteilung überweist,
sos spitzt sich die Frage dahin zu, ob die Verordnung in diesem Punkte
verfassungsmässig ist. Der Rekurs richtet sich allerdings nicht gegen
die Verordnung selber, die wegen Ablaufs der Rekurssrist nicht mehr
anfechtbar ist, sondern gegen das Urteil, durch das die Verordnung aus
den Rekurrenten angewandt worden ist.

Die schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes ist ein
Delikt, das nach Art. i Abs. 1 des Bundesgesetzes vom Strafrichter
mit Haft von ein bis zehn Tagen bestraft wird. Gemeint ist der
kantonale Strafrichter-. Nun ist nach am. 58 K.-V. und § 4 der
Gerichtsorganisation das Kantonsgericht das einzige Strafgericht erster
Jnstanz in Nidwalden. Der Gerichtsausschuss ist lediglich Civilgericht
für Bagatellsachen (K.-V Art 57 und Gerichtsorganis. § 3) und hat keine
Strafgewalt. Eine Ubertragung von Straffunktioneu an eine Abteilung
des Kantons: gerichts, also ein Gerichtsausschuss in Strafsachen, ist
weder in der Verfassung, noch in der Gerichtsorganifatiou vorgesehen,
und widerspricht der Verfassungsbestimmung, dass das Kantonsgericht alle
Straffälle beurteilt und der Gerichtsausschuss lediglich Civil:

162 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

gericht ist. Indem der Landrat in der Vollziehungsverordnung die
fraglichen Fälle an den Gerichtsausschuss gewiesen hat, hat er ein
Civilgericht mit Strafgewalt ausgestattet, also ein neues Strasgericht
geschaffen. Hier bedurfte es aber einer Änderung der in. der Verfassung
und Gerichtsorganisation enthaltenen Vorschriften, wie sie nur von der
gesetzgebenden Behörde des Kantons, der Landsgemeinde (K.-V. Art. 37
u. 39), und nicht von der obersten Verwaltungsbehörde, dem Landrat
(K.-V. Art. 45 ff.), vorgenommen werden konnte. § ö Abs. 1 der Verordnung
muss daher als verfassungswidrig bezeichnet werden

Mit Unrecht leitet der Regierungsrat die Kompetenz des Landrates zum
Erlass der betreffenden Bestimmung ans am. 48Ziff. 4 K.-V., in Verbindung
mit dem Bundesgesetz selber ass, Dieses letztere bestimmt nur dass
das Strafe erfahren von den Kantoneu in den Votlziehungsbestimmungen
festzustellen sei: Aber dass ein neuer und besonderer kantonaier
Strafrichter von den Kantonen für diese Fälle zu schaffen sei,
ist vom Bundesgesetz weder ausdrücklich, noch dem übrigen Inhalt
nach gefordert. Jnsofern enthält deshalb § 5 Abs. 1 der kantonalen
Vollziehung-Zverordnnng nicht eine Ausführung des Bundesgesetzes,
sondern es wird damit eine darüber hinausgehende, aus eigener, freier
Entschliessung des Landrates beruhende Anordnung geschaffen. Färdie
Kompetenz des Landrates zum Erlass dieser Anordnung kann demnach auf
Art. 48 Biff. 4 der Verfassung nicht abgestellt werden, und es braucht
die Frage nicht geprüft zu werden, wie es sich verhalten würde, wenn nach
dem Bundesgesetz eine Anordnung, wie die angefochtene, notwendigerweise
hätte erlassen werden müssen.

Der Regierungsrat beruft sich endlich auf die Tatsache, dass der Bundesrat
die Bollziehungsverordnung des Landrates genehmigt hat. Allein diese
Genehmigung bezieht sich nur darauf, ob die Verordnung den Bestimmungen
des Bundesgesetzes entspricht. Ob sie sich auch im Einklang mit dem
kantonalen Staats-recht befindet, hatte der Bundesrat nicht zu prüfen. si

2. Der verfassungsmässige Richter, um den Straffall des Rekurrenten zu
Beurteilen, war nach dem Gesagten das Kantonsgericht. Da der Rekurrent
in Anwendung von § 5 Biff. 1 derV. Gerichtsstand. 2. Des Wohnortes. N°
38. 153

Verordnung vor den Gerichtsausschuss gestellt und von diesem beurteilt
worden ist, ist er seinem verfassungsmässigen Richter entzogen worden. Das
angesochtene Urteil ist daher wegen Verletzung von Art. 58 B.V. und
")Îrt. 7 K.-V. aufzuheben. Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu
werden, ob auch der zweite Beschwerdepunkt des Rekurrenten Verletzung
der in Art. 64 K.-V. gewährleisteten Rechte der Verteidigung zutrefsen
würde. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und demgemäss das Urteil des
Gerichtsausschusses von Nidwalden vom 18. Februar 1903 ansgehoben.

2. Gerichts-standdes Wohnortes. For du äomic'fle.

38. Arrét ein 6 mai 4903, dans la cause Bandes contre Bourderye.

Soi disant acquîescement au jugement attaqué, tiré du fait que le paiement
des dépens serait prétendüment intervenu sans reserve. -Art. 4, traîté
franco-suisse.

A. Baudet, citoyen frangais, domicilié à Rome-nt (Fribourg), est
propriétaire d'un immeuble situé à Plan-les-Ouates (Genève), qu'il a
loué à Bourderye, également citoyen francais.

Ce dernier, prétendant avoir réclamé de Baudet des reparatîons an dit
immeuble, qui lui auraient été refusées, 3. assigné Baudet, par exploit
du 15 aoùt 1902, devant le Tribunal de première instance de Genève,
concluant:

(0 à ce que Baudet soit condamné à. faire procéder sans délai aux
réparations prescrites par M. l'expert Saulnier dans son'rapport
dressé le 2 amd-1902, pour remédier aux inconveniente par lui constatés
etpermettre au requé rant de jouir utilement et selon l'usage des lieux
à lui lou-és;
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 29 I 158
Date : 18. Juni 1903
Published : 31. Dezember 1903
Source : Bundesgericht
Status : 29 I 158
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 158 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. digung seiner


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