178 Civflrechispflege.

21. gute vom 29. März 1902in Sachen

Yortcandsgementfabrik Wagner & gia Kl. u. Ber.-Kk.,s

gegen Yaumateriakiewzabrik Eieshiibeü Veil. u. Bein-Beil

Form der Berufung: Berufungsantrége. Art. 67, Abs. 2. Org. Ges..

A. Durch Urteil vom 20. Dezember 1901 hat das Handelsgericht des
Kantons Zürich über die Streitfrage: Ist die Beklagte verpflichtet,
an die Klägerschaft 14,171 Fr. 90 Cis. nebst 5 9,50 Zins seit 15. April
1901 zu bezahlen? Eventuell: Jst die Beklagte zur Rückzahlung von 1950
Fr. nebst Zins à 5 0/0 seit 1. Januar 1901 verpflichtet? erkannt:

1. Es wird davon Vormerk genommen, dass die Beklagte anerkannt hat, zur
Rückgabe der 688 Säcke verpflichtet zu sein, und es wird ihr eine Frist
von 30 Tagen von heute an angesetzt, um dieselben zulrestituiereiy ansonst
sie verpflichtet wäre, dieselben mit 80 Cis. pro Stück in bar zu vergüten.

2. Im übrigenist die Klage abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen Die Berufungsanträge lauten :

1. Es sei unter Aufhebung des angefochtenen Urteils dieVorinstanz
anzuweisen, die von der Klägerin anerbotenen Beweise abzunehmen dafür,
dass ihr infolge Nichterfüllung des Lieferungsoertrages seitens der
Beklagten, d. i. Nichtabruf von 135 Waggons Cement im Jahre 1900 ein
Schaden von 100 Fr per Waggon, im Ganzen also ein Schaden von 13,500
Fr. erwachsen sei, den die Beklagte zu ersetzen hat.

2. Eventuell, d, h. für den Fall, als dem ersten Antrage nicht
schon-auf Grundlage der Akten entsprochen werden sollte, sei eine
Aktenvervollständigung vorzunehmen durch Anordnung von Expertisen über
folgende

Tatfragen:

a.. Hätte nicht die Beklagte sofort nach Erhalt des Schreibens Dorn
21. November 1900 (act. 18) zum Abrns des resiie: renden Quantums
Cement (135 Wagenladungen) schreiten Wien,.VIII. Organisation der
Bundesrechtspflege. N° 21, 179

wenn sie noch im Jahre 1900 ihrer diesbezüglichen Verpflichtung
Genüge leisten wollte unter Berücksichtigung des Aufwandei? an Zeit
und Mühe für Vorladung und Spedition eines so grossen Quantums von
Baumaterialien? Liegt somit in jenem Schreiben eine rechtzeitige und
rechtsgenügende Verbaloblation seitens der KlägerZ

b. Liegt es nicht in der Natur des Lieferungsvertrages (act. 4),
dessen Ausführung sich notwendigerweise nach den Normen eines pro 1900
bestandenen Kartells der schweizerischen Cementfabrik richten musste,
dass die Klägerin nach Ablauf der festbestimmten Lieferungsfrist (bis
Ende Dezember 1900) die nicht abgerufenen Waren nicht mehr zu liefern
branchie, zumal ihr infolge eines im Frühjahr 1901 zu stande gekominenen
neuen Kartellvertrages eine solche nachträgliche Ausführung des Vertrages
untersagt und rechtlich vernnmöglicht wurde?

c. Jst es nicht ein Ding der Unmöglichkeit in Bezug aus das nicht
abgerufene Quantum von 135 Wagenladungen Cement die Rechte des Verkäufers
aus Art. 107 und 108 O.-R. zu realisieren? so dass um so mehr eine Pflicht
des Käufers zur rechtzeitigen Abnahme, d. i. zum Abruf der Ware, innert
der vertraglichen Frist, anzunehmen iii?

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Gemäss Art. 67 Abs. 2 des Organisationsgesetzes ist in der
Berufungserklärung anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten wird und
welche Abänderungen beantragt werden. Und zwar müssen diese Anträge,
entsprechend der Natur des Rechtsmittels der Berufung, materieller Natur
sein, d. h. auf den materiellen Endentscheid in der Sache selbst Bezug
haben (Aufhebung des Urteils und ganze oder teilweise Gutheissung der
Klage, bezw. Abweisung der Klage). Die vorliegende Berufungserklärung
enthält nun keinen derartigen materiellen Antrag für den Entscheid
der Sache selbst, sondern nur den Antrag, das angefochtene Urteil
sei aufzuheben und die kantonale Instanz anzuweisen, die für die
Gutheissung der Klage beantragten Beweise abzunehmen Ein derartiger
Antrag erfüllt das Wesen eines Bernfungsantrages im Sinne des Art. 67
Abs. 2 Qrganis.-Ges. nicht. Findet das Bundesgericht, der vom kantonalen
Gerichte festgestellte Tatbestand sei

180 Civilreehtspflege.

ungenügend, so hat es von sich aus das angefochtene Urteil anfzuheben
und die Akten zur Vervollständigung an die kantonale obere Jnstanz
zurückzuweisen (Art. 82 Abs. 2 Organis.-Ges.); dagegen kann nicht eine
Partei lediglich diefe Rückweisung beantragen, ohne einen Antrag in
der Sache selbst zu stellen. Auf die Berufung ist daher, weil nicht in
richtiger Form eingelegt, nicht einzutreten Demnach hat das Bundesgericht
erkannt: Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

IX. Civilstreitigkeiten, zu deren Beurteilungdas Bundesgericht von beiden
Parteien angerufen worden war.

Difl'érends de droit. civil port-és devant le Tribunal fédéral par
conventions des parties.

22. guten vom 1. Februar 1902 in Sachen Hchweizerilche
Ecwerbesglnfallkasse, KL, gegen @aîfi & (Lie Bekl.

Versickerungsgesellsckafl auf Gegensgitigîeeit, jm'iséische
Natur. Genossenscîeafl, Art. 678 [T. 0.-R. Pflicht der Genossenschaft
und Versicherten zu Nachschussen. Rechtsgsirund med Voraussetzungen
dieser Pflicht. cc Prämienreseree and rn Schadenresee've .

A. Die im Jahre 1894 gegründete Klägerin ist eine eingetragene
Genossenschaft im Sinne des XXVII. Titels des schweizerischen
Obligationenrechts und hat die Unfallversicherung auf Gegenseitigkeit
(an dem Wege der Kollektivversicherung und mittelst Einzelversicherung)
zum Zwecke. Von ihren mehrfach abgeänderten Statuten kommen für den
vorliegenden Prozess in Frage diejenigen vom 27. Oktober 1895, betitelt
Statuten und Regulative, vom schweizerischen Bundesrate genehmigt Aus
diesen sind folgende Bestimmungen hervorzuheben: Laut §§ 4 ff.,

IX. Civilstreitigkeiîen vor Bundesgericht als forum prorogatum. N° 22. 181

speziell § 7, sind Versicherte und Genossenschaftsmitglieder identisch.
Die Versicherten haben eine Eintrittsgebühr (§ ò) und eine jeweilen vom
Verwaltungskomitee festzusetzende Prämie (g 9), die sich nach dem Umfange
der Gefahren des betreffenden Genossenschafters richtet, zu leisten. %
10 bestimmt über die Nachschussprämiem Reichen die für ein Rechnungsjahr
eingenommenen Prämien selbst mit Inanspruchnahme des Reservefonds (§ 16)
zw: Deckung der im Rechnungsjahre entstandenen Verbindlichkeiten nicht
ans-, so sind die letztern durch sofort zu erhebende Nachschüsse der
Genossenschaftsmttglieder zu tilgen. Der Nachschnss wird nach Prozenten
der letzten Jahresprämie jedes Mitgliedes berechnet Diese Nachschüsfe
sind, sobald der Reservefonds die in § 16 bestimmte Höhe überschritten
hat, aus demselben zurückzubezahlen, bevor eine Prämienrednktion eintreten
"darf. Nach § 11 ist die persönliche Haftbarkeit der Genossenschafter
für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft ausgeschlossen. Die
Anordnung eines allsälligen Nachschusses liegt laut § 25 Ziff. 9 dem
Verwaltungsrat ob.

Durch Poliee Nr. 298, d. d. 31. Dezember 1895, giengen die Beklagten
mit der Klägerin eine Kollektivbersicherung (mit Deckung der
gesetzlichen Haftpflicht) für eine Jahresprämie von 21,600 Fr.
ein, wobei in den besondern Bedingungen speziell auf die Statuten
und Regulative vom 27. Oktober 1895 verwiesen wurde. Eine weitere
KollektivUnfallversicherung der Beklagten durch die Klägerin erfolgte
mit Police Nr. 511 vom 22. Dezember 1896, bei der die Prämie auf 1850
Fr. vereinbart wurde. Bei beiden Versicherungsanträgen erklärten die
Beklagten, dass ihnen die gedruckten Statuten und das Regulativ, nach
deren Massgabe die Versicherung abgeschlossen wird und bestehen soll,
vollständig bekannt und genehm sind.

Jn seiner Sitzung vom 18. Juli 1897 behandelte der Verwaltungsrat der
Klägerin den zweiten Geschäftsbericht, umfassend die Geschäftsperiode vom
1. Juli 1895 bis 31. Dezember 1896. In diesem Geschäftsbericht schloss
die Bilanz pro 31. Dezember 1896 mit einem Überschuss der Einnahmen
von nur 3245 Fr. 30 (Ste.; in der betreffenden Bilanz waren unter den
Aktiven u. a. eingestellt die Posten Prämienreserve 51,392 Fr. 70 Cfs.
Und Schadenreserve 170,000 Fr., der Reservefonds war (mit
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 28 II 178
Date : 29. März 1902
Published : 31. Dezember 1903
Source : Bundesgericht
Status : 28 II 178
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 178 Civflrechispflege. 21. gute vom 29. März 1902in Sachen Yortcandsgementfabrik


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