320 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

77. Urteil vom 12. November 1902 in Sachen Heisler gegen Frank.

Vollszreckbm-keit ausländischer deutscher Urteile im Kamen.
Nidwalden. Klage auf Haltung eines in Deutschland abgeschiossemm
Liegenschaftenieaufes. kaompetenzerklcîrung eon Seite des Ned- waldner
Richters, weil diese Klage di:-eglicher, nieset persönlich-er Natur
sei. Hechtsverweigerung.

A. Am 25. August 1899 schlossen Julius Heisler, Molfetta:besitzer in
Radevormwald, Rheinpreussen, als Verkaufer, und Melchior Frank in Buochs,
als Käufer, vor dem Notar Cäsar in Lennep, im Bezirk des preussischen
Oberlandesgerichts zu Koln, einen Kaufvertrag um eine Liegenschaft in
Radevormwald, Band 27, Art. 1053, nebst darauf besindlicher Molkerei,
mit sämtlichem Betriebsinventar, ab; auf den Kaufpreis von 40,000 Mark
übernahm der Käufer eine auf der Liegenschaft haftende Restkaufschuld von
18,000 M.; von den übrigen 22,000 sollten 15,000 M. am 1. Oktober 1899,
auf welchen Tag die Liegenschaft auch zu übernehmen war, der Rest nebst
40/0 Zinsen, vom Überlieferungstage ab, spätestens am 1. Januar 1901,
abbezahlt werden.

B. Der Käufer Melchior Frank hielt den Vertrag nicht. Als der Verkäufer
Julius Heisler sich anschickte, in Nidwalden gerichtlich gegen ihn
vorzugeheu, kam er ihm zuvor und erhob vor dem Landgericht zu Elberfeld
gegen Heisler Klage mit dem Begehren, es sei der Kaufvertrag als
nichtig und ausgelöst zu erklären. Der Beklagte schloss auf Abweifung
der Klage und erhob die Widerklage, das Gericht wolle erkennen, dass
der zwischen den Parteien am 25. August 1899 abgeschlossene Kaufvertrag
zu Recht besteht und demgemäss den Widerbeklagten zu den vertraglich
übernommenen Leistungen verurteilen. Durch Urteil vom 13. März 1900
wies die II. Cioilkarnrner des Landgerichts zuElberfeld den Kläger mit
seiner Klage ab und stellte auf die Widerklage fest, dass der zwischen
Parteien abgeschlossene Kaufvertrag zu Recht bestehe. Kläger wurde
demgemäss unter Zurückweisung des mit der Widerklage erhobenen weitern
Zins-I. Bechtsverweigerung und Gleichheit Vor dem Gesetze. N° ??. 321

anfpruchs verurteilt, an den Beklagten und Widerkläger schon jetzt
15.000 Mmit 40/0 Zinsen vom 1. März 1900, sowie ferner am 1. Januar 1901
weitere 7000 M. mit 4 OXz Zinsen seit dem 1. Oktober 1899 zu bezahlen
und die Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Auf das Recht der Berufung
leistete der Kläk ger ausdrücklich Verzicht Mit Zahlungsbefehi vom
11. Juli 1900 betrieb Heisler den Frank, gestützt auf den Kaufvertrag
und das Etberfelder Urteil, in Nidwalden für 20,269 Fr. 30 Età., nämlich
Abzahlung 18,600 Fr., Zins von der Hypothek 711 Fr. 45 Età, Zins von
18,600 Fr., vom 1. Oktober 1899 bis 1. Juli 1900 697 Fr. 50 Cis- Zins
von 7000 M. in gleicher Zeit 260 Fr. 40 Cis. Frank schlug Recht vor,
und ein Rechtsösfnungsbegehren des Heisler wurde vom Präsidenten des
Kantonsgerichts Nidwalden am 28. August 1900 abgewiesen. .

C. Mit Klage vom 28. Februar 1901 stellte Julius Hetsler gegen Melchior
Frank vor dem Kantonsgericht Nidwalden die Begehren ans Recht: Der
Beklagte habe die Vollziehbarkett bezw. die formelle und materielle
Rechtskraft des durch ihn selbst erwirkten Urteils der II. Civilkammer
des königl. Landgerichtes zu Elberfeld vom 1. bezw. 13. März 1900
anzuerkennen; eventuell zu konzedieren, dass der am 25. August 1899
zwischen den Litiganten geschlossene Kaufvertrag um die Molkerei zu
Findeoormwatd zu Recht bestehe und somit Beklagter pflichtig sei, die
vertraglich stipulierien Leistungen zu erfüllen. Der Beklagte schloss
in der Antwort auf Richtigerkläruug des Kaufvertrages; eventuell sei
die klägerische Forderung um 20,000 M. zu reduzieren; subeventuell sei
der Kläger nicht berechtigt, auf Haltung des Kaufvertrages, sondern auf
Entschädigung zu Hagen. Das Kantonsgericht von Nidwalden erkannte hierüber
am 19. Februar 1902: Das klägerische Exekuiionsgesuch sei abgewiesen;
m die weitern Begehren der Klage und Antwort wird nicht ungetrennt- Die
Begründung dieses Urteils ist im wesentlichen folgende: Fur die Frage,
ob dem Urteil des Elberfelder Gerichts in Zitdwalden Vollng zu gewähren
sei, komme darauf nichts an, bag; sich Frank vor demselben eingelassen
habe, da eine solche Einiassungf einem fremden Richter eine über sein
Gebiet reichendeJurtsdIktionsF gewalt nicht verleihe; entscheidend sei
vielmehr emng § 175 Al. 2

322 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

der Civilprozessordnung für den Kanton Nidwalden Zwischen Deutschland und
der Schweiz und Nidwalden besiehe über die Materie kein Staats-vertrag
Ein Nachweis aber, dass in Deutschland Gegenrecht gehalten werde, liege
nicht vor. Man habe sich dies-bezüglich einzig auf die einschlagenden
Bestimmungen der deutschen Civilprozessordnung berufen. Nach § 328
Ziff. 5 derselben sei aber die Anerkennung eines ausländischen Urteils
ausgeschlossen, wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Überhaupt
sei in Deutschland die Vollziehung von fremden Civilurteilen sogeordnet,
dass der Richter darin eine grosse Freiheit habe. Die Klausel verbürgter
Gegenseitigkeit speziell würde demselben eine genügende Handhabe bieten,
seinerseits die Vollziehung nidwaldnerischer Urteile zu verweigern,
indem eine solche Verbiirgung nicht vorhanden, nämlich weder durch
die Praxis noch durch den Bestand eines Staatsvertrages, noch durch
zutreffende Erklärungen der zuständigen Regierungsorgane ausgewiesen
sei. Deutscherseits werde durch die erwähnte Gesetzesvorschrift
keine, zweifellos keine unbedingte Gegenseitigkeit zugesichert, und
es sei daher für den inländischen Richter der Fall gegeben, dass dem
vorliegenden Exekutionsgesuch nicht entsprochen werden könne. Die
eventuellen Klagbegehren seien eine dingliche Klage im Sinne von §
13 des sCivilrechtsverfahrens, für welche das forum rei sitæ und nicht
dasjenige des Wohnortes begründet sei, weshalb die Gerichte von Nidwalden
diesbezüglich ihre Kompetenz ablehnen miissten; eine Schadenersatzklage
sei zur Zeit nicht rechtshängig gemacht und würden für diesen Fall
den Litiganten ihre Rechte allseitig gewahrt. Mit Ablehnung der
Zuständigkeit, über die eventuellen Klagbegehren zu judizieren, sei auch
der Antwortschluss ausgetragen. Das Qbergericht des Kantons Nidwaiden, an
das der Kläger appellierte, bestätigte mit Urteil vom 10. April 1902 das
kantonsgerichtliche Urteil in seinen Motiven und Dis-positiven Es handle
sich, heisst es im obergerichtlichen Urteil, bei den Eventualbegehren
des Klägers um die Gültigkeit eines Liegenschastskaufvertrages, also um
eine Streitfrage, die nach Gesetz und bisheriger Gerichtspraxis mit der
dinglichen Klage verfolgt wurde. D. Gegen das obergerichtliche Urteil
hat Julius Heisler recht-[. Rechtsverweigeruug und Gleichheit vor dem
Gesetze. N° ?7. 328

zeitig den staatsrechtlichen Rekursf an das Bundesgericht ergrisfetx mit
den Begehrer dasselbe sei aufzuheben und das Obergerischll des Kantons
Nidwalden anzuhalten, die Klage Heislers materie zu beurteilen. Die
Frage der Vollziehbarkeit des. Elberselder Urteus, wird in rechtlicher
Beziehung ausgefuhrt, sei allerdings eine solche des kantonalen
Prozessrechts; die Voraussetzung des Gesänrechts, die § 173 Al. 2 der
Civilprozessordnung von NidwaGen aufstelle, sei aber vorliegend nach
dem Stande der deutsghlsndisck-e setzgebung vorhanden. Melchior Frankn
habe das atid anischgn Gericht selbst anerkannt Beide Parteien hatten
vom ntdwa dner vom Richter die materielle Untersuchung und BeurteilungK
er tem deutschen Gerichte beurteilten Anspruche verlangt. Die ompedenz
des angerufenen Gerichts sei von keiner Seite aangefochten wor u: Die
nidtvaldische Prozessordnung kenne, gegenuber der unumwu denen Anerkennung
der Parteien, kein Recht des ·Ger1chtes, von sich aus die Kompetenz
abzulehnen und den Richterspruch zu verweigern. Tue es dies, so begehe es
eme. Rechtsverweigerutng.t Der Grund, aus dem die Nidwaldner Gerichte sich
inkompKelene erklärt hätten, sei denn auch ein bloss vorgeschobener. Dg}
Eaggehe nicht auf Erfüllung einer dinglichen Pflicht,.resp. 'tner en:
nung eines dinglichen Rechts-, sondern aus personliche Lets utnge eg
auch der Anspruch auf Erfüllung eines LiegenschaftskansxrjraZP sei
persönlicher Natur-, da er nicht die Anerkennung und lte Trabeleistung
eines dinglichen Rechts zum Zweck und Islttiharklärunä Ebenso sei das
Begehren des Beklagten auf Ungu tîe Kom: des Kausvertrages persönlicher
Natur. Die Ablehnung er ) das petenz verstosse daher willkürlich gegen
klares Regt Tun der Gericht begehe damit eine Rechtsverweigerung Zur
rhe Ses eg Schadenersatzklage könne Rekurrent nicht gezwungen we die ,&;
stehe ihm frei, auf Erfüllung zu klagen und erlst, weundadurch füllung
verweigert werde, Schadenersatz zu verangeni1 teil nicht dass man das
vom Rekursbeklagten eingeholte deutsche Te fin eissn Vollziehen lassen
wolle und ihm den Weg zum Ges.i;lächtios vollziehbares Urteil versperre,
mache man ihn einfach B u ,an? E. Der Rekursbeklagte verweist m der
Antwort in tmez fm m die Verweigerung der Urteilsvollstreckung auf die
Auäälkhkes Bim des kantonsgerichtlichen Urteils, mit dem Betsugen, 3

324 A. Staatsrechdiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Vorliegenden Falle eine Frage des kantonalen Rechtes sei, ob dem
ausländischen Urteil die Vollziehung zu gewähren gewesen sei oder
nicht. Bezüglich der Jnkompetenzerklärung wird bestritten, dass eine
Rechtsverweigerung im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis vorliege.
Ob die von den Nidwaldner Gerichten ihren Entscheiden zu Grunde
gelegte Rechtsauffassung richtig fei, habe das Bundesgericht nicht
nachzuprüfen. Immerhin werde hier bemerkt: Es wäre Sache des Rekurrenten
gewesen, über die Natur des eingeklagten Anspruchs nach Mitgabe des
einschlägigen Rechts, hier des Code Napoléon, nähere Angaben zu machen,
bezw. an Hand desselben den Beweis zu führen, dass es sich um eine in die
Kompetenz der Nidwaldner Gerichte fallende Klage handle. Das habe der
Rekurrent unterlassen, und wenn nun die Nidwaldner Gerichte erklärten,
man habe es mit einer dinglichen Klage zu tun, so könnte höchstens gesagt
werden, dass darin ein error in judicando liege, während von Willkür
und Rechtsvermeigerung nicht gesprochen werden könne. Der Grund zu dem
befremdenden Ausgang des Streites liege nicht in einem fehlerhaften
Verhalten der Nidtvaldner Gerichte, sondern in dem ntangelhaften
Rechtszustand betreffend die internationale Urteilsexekution.

F. Letzteres betont auch das Obergericht des Kantons Nidwalden in
seiner Vernehmlassung, in der ferner angebracht wird; Die Nidwaldner
Gerichte hätten stets ihre Zuständigkeit von Amtes wegen geprüft und bei
erfundenem Mangel sich als intonipetent erklärt, wofür auf ein Urteil des
Kantonsgerichts in Sachen Waser gegen elektr. Bahn Stansstad-Engelberg
vom 8. Januar 1902 verwiesen wird. Die richterliche Wirksamkeit
sei nach dem Gesetz nicht vom Willen der Parteien abhängig und eine
Nichtbeachtung dieses Willens enthalte keine Rechtsverweigerung Sach-
lich handle es sich um die Anwendung und Auslegung einer kantonalen
Gerichtsstandsnorm. Bundesrecht komme nicht zur Anwendung Ob die
Klage dinglicher oder persönlicher Natur sei, habe das Bundesgericht
nicht nachzupriifen. Der Nidwaldner Richter befinde sich mit seiner
Auffassung in Übereinstimmung mit dem deutschen Richter-, der sich als
zuständig erklärt habe. Auch seien in Nidwalden Klagen auf Anerkennung
von Liegenschaftskäufen stetssort als dingliche Klagen behandelt und dem
[. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 77. 32 5

Gerichtsstand der gelegenen Sache unterstellt worden, wofür auf ein
kantonsgerichtliches Urteil vom 10. November 1898 in Sachen Schön gegen
Kaufmann verwiesen wird. Es liege somit keineswegs der Fall vor, dass
klar nachgewiesenes Recht willkürlich missachtet worden fei, und der
Beschwerde wegen Rechts-verweigerung fehle formell und materiell jeder
Halt, zumal da die Schadenersatzklage ausdrücklich vorbehalten worden sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Betreffend die Frage der Vollziehbarkeit des Urteils des Landgerichts
von Elberfeld vom 13. März 1900.

Der Reknrrent stellt sich selbst aus den Standpunkt, dass materiell
für die Frage der Vollziehbarkeit des Elberfelder Urteils das kantonale
Prozessrecht massgebend sei, speziell § 173 Abs. 2 der Civilprozessordnung
von dealden, der lautet: Für die Vollziehung nicht schweizerischer
Urteile sind die Staatsverträge massgebend. Im weitern ist darauf zu
sehen, ob im betreffenden 7,Staate diesfalls Gegenrecht gehalten wird.
Diese Auffassung ist denn auch zweifellos richtig, da weder ein die
Gerichte von Nidwalden bindender Staatsvertrag mit Deutschland, noch
auch, abgesehen von der hier in keiner Weise zutreffenden Bestimmung
in Art. 81 Abs. 3 des eidg. Betreibungsgesetzes, bundesrechtliche
Vorschriften über die Materie bestehen. Das Bundesgericht kann demgemäss
gegen die Weigerung der Nidwaldner Gerichte, das Elberfelder Urteil für
vollziehbar zu erklären, nur einschreiten, sofern diese Weigernng eine
oerfassungswidrige Rechtsverweigerung enthält. Der Rekurrent macht nun
dies-bezüglich in erster Linie geltend, die Vollziehung des Urteils
habe im vorliegenden Falle deshalb nicht abgelehnt werden dürfen,
weil der Rekursbeklagte selbst die deutschen Gerichte angerufen habe,
damit sie über die Gültigkeit des zwischen den Parteien abgeschlossenen
Kaufvertrages entscheiden. Wenn nun die Nidwaldner Gerichte hierauf keine
Rücksicht nahmen, so stellten sie sich dabei offenbar auf den Standpunkt,
dass es sich bei der Erteilung des Exequaturs für ein ausländisches
Urteil um ein staatliches Hoheitsrecht handle, das von der Anerkennung
der fremden Jurisdiktion durch die Parteien unabhängig sei und bei dessen
Ausübung deshalb eine

5526 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung

solche nicht in Betracht falle. Diese Auffassung kann aber nicht als
völlig unzutrefsend und eine Rechtsverweigerung enthaltend bezeichnet
und es kann deshalb dieser Beschwerdegrund nicht geschützt werden
Weiterhin macht der Reknrrent geltend, die Frage des Gegen-rechts sei
von den Nidwaldner Gerichten unrichtig gelöst worden. Allein an ihm
war es, darzutun, dass in Deutschland Gegenrecht gehalten werde, und
nun erscheinen die Ausführungen des Kantonsgerichts von Nidwalden, dass
durch die blosse Berusung auf die einschlägigen Vorschriften der deutschen
Civilprozessordnung (gg 723 und 328) dieser Nachweis nicht erbracht sei,
als zutreffend, zumal wenn berücksichtigt wird, dass jene Bestimmungen
ebenfalls die Gegenseitigkeit als Voraussetzung der Vollziehbarkeit
aufstellen und in Nidwalden weder durch Gesetz noch durch die Praxis
der Gerichte die Gegenseitigkeit von vornherein verbürgt erscheint. Der
Rekurs ist deshalb, soweit er sich aus die Verweigerung des Exequaturs
für das Elberfelder Urteil bezieht, abzuweisen.

2. Betreffend die Jnkompetenz-Erklärung der Mid: waldner Gerichte-

Jn der Allgemeinheit, mit der das Obergericht den Satz ausspricht,
es habe seine Zuständigkeit von Amtes wegen zu prüfen, ist dieser Satz
kaum richtig; abgesehen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, ist auf g 19
der Civilprozessordnung von Nidwalden zu verweisen, der lautet: Wenn
die Parteien Klage oder Widerklage und Antwort vor Gericht eröffnen,
ohne dessen Zuständigkeit anzufechten, so ist der Streit vor diesem
Gerichte zu beurteilen, wenn dasselbe nicht von sich aus die Jnkompetenz
ausspricht Stillschweigende Prorogation ist danach doch jedenfalls nicht
ausgeschlossen Dagegen ist es allerdings fraglich, welche Bedeutung
dem der Bestimmung beigefügten Vorbehalt beizumessen ist: Es liesse
sich wohl die Ansicht vertreten, dass sich derselbe auf die sachliche
Kompetenz beziehe, während bei der Frage der örtlichen Zuständigkeit
eine Prüfung von Amtes wegen nicht einzutreten habe, wie denn auch das
vom Obergericht angerufene Präjudiz in Sachen Waser gegen elettr. Bahn
Stansstad-Engelberg die sachliche Kompetenz beschlägt. Es ist aber
auch die AusIegung Möglich, dass auch über die örtliche Zuständigkeit
eineI. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 77 327

Prüfung von Amtes wegen wenigstens insofern einzutreten habe, als
es sich Um die Frage handelt, ob der Streit überhaupt derkantonalen
Jurisdiktion unterstellt sei. Wenn aber von dieser nicht unzulässigen
Auslegung ausgegangen wird, so kann es nicht beanstandet werden, dass im
vorliegenden Falle die Nidwaldner Gerichte ihre Kompetenz daraufhin von
Amtes wegen prüften, ob die Klage des Rekurrenten vor ein Nidwaldner
oder vor ein fremdes Gericht gehöre. Dagegen beruht nun die Lösung,
die die Eliidwaldner Gerichte dieser Frage gegeben haben, auf einem
handgreiflichen Irrtum, der gut gemacht werden muss. Die Klage, welche der
Rekurrent gegen den Rekursbeklagten erhob, ist nämlich zweifellos nicht
eine solche dinglicber Natur-, wie die Nidwaldner Gerichte annehmen,
sondern es werden damit lauter persönlicheAusprüche auf Haltung und
Erfüllung eines Kaufvertrages verfolgt. Die Frage der Zuständigkeit ist
eine solche proz-essualischer Natur, für deren Beantwortung es einfach
darauf anfam, wie die Klagbegehren formuliert und begründet waren, und
welche von dem angerufenen Gerichte nach seinem Rechte, nach der lex fori
zu beantworten war. Das Obergericht des Kantons Nidwalden hat nun freilich
schon in dem angefochtenen Urteil und auch in der Vernehmlassung geltend
gemacht, dass Klagen auf Anerkennung von Liegenschaftskäusen stets als
dingliche behandelt und an das forum rei sitæ gewiesen worden seien. Die
von ihm angerufene Stelle in den Motiven eines kantonsgerichtlichen
Urteils in Sachen Schön gegen Kaufmann kann für einefeste Praxis nicht
als beweiskräftig angesehen werden. Und wenn auch eine solche Praxis
bestünde, so könnte sie bundesrechtlich nicht geschützt werden, da es
sich dabei nicht um einen blossen error in judicando, sondern um einen
Verstoss gegen elementare Rechtsauffassuugen handelt, der hier zu einer
förmlichen Justizverweigerung führt. In der Tat vermögen die Nidwaldner
Gerichte selbst ihre Auffassung nicht durchzuführen, indem sie sowohl
in dem angeführten Präjudiz als auch im vorliegenden Falle dieKlage auf
Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Kausvertrages als persönliche
dem ordentlichen Forum des Domizils zuweisen. Allein der rechtlichen
Natur nach ist die Klage, mit der der Anspruch auf Erfüllung eines
Kaufvertrages verfolgt

828 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

wird, von derjenigen, mit welcher eine Vertragspartei Schadenerfatz wegen
Nichterfüllung verlangt, nicht verschieden und es muss deshalb auch der
Gerichtsstand, soweit die Natur des Anspruchs dafür massgebend ist, für
beide Klagen der nämliche sein, d. h. nach § 11 der nidwaldnerischen
Civilprozessordnung der ordentliche Gerichtsstand des Wohnsitzes des
Bekiagten. Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass die gleichzeitige
Verweigerung des Exeqnaturs für das Urteil des nach Ansicht der Nidwaldner
Gerichte zuständigen fremden Gerichts einen Zustand der RechtIosigkeit
schafft, den hinzunehmen dem Rekurrenten mit dem Hinweis auf die
Unzulänglichkeit der bestehenden internationalen Normen über Exekntion
fremder Urteile nicht zugemutet werden farm, wenn, wie hier, das heimische
Recht eine andere Lösung nicht nur zulässt, sondern, sofern es in einer
mit der allgemein geltenden Rechtsanschauung übereinstimmenden Weise
ausgelegt wird, geradezu gebietet. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird im Sinne und Umfang der Erwägungen gutgeheissen und
demgemäss das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden
vom 10. April 1902 insoweit aufgehoben, als damit die Kompetenz der
Gerichte von Nidwalden zur Beurteilung der eventuellen Klagbegehren und
des Antwortschlusses abgelehnt wurde.

Vergl. auch Nr. 82, Urteil vom 4. Dezember 1902 in Sachen Schläfli gegen
Regierungsrat Bern, und Nr. 84, arrét (in 23 cléeembre 1902, dans la
cause Decroux contre Conseil d'Etat de Fribourg.IL Verweigerung und
Entzug der Niederlassung. N° 78. 329

II. Verweigerung und. Entzug der Niederlassung. Refus et retrait de
l'établissement.

78. Arrét du 8 octolwe 1902, dans le cause Dumas contre Conseil d'Etaä
de Genève.

Art. 45 GF.

Par declaration du 6/7 septembre 1902, dame FrancelineLouise Dumas, née
Encrenaz, de Thorens, Département de ia Haute-Savoie (France), femme
de Charles-Louis Dumas, fromager, de Sommentier (canton de Fribourg),
a formé auprès du Tribunal fédéral un recours de droit public, concluant
à. ce qu'il lui plaise mettre à néant l'arrété du Conseil d'Etat de
Genève du 13 aoùt 1902, confirmant celui du 24 décembre 1901, prononeant
son expulsion du territoire genevois. A l'appui de cette conclnsion,
Ia recourante fait valoir ce qui suit :

Par arrété du 18 aoùt 1902, le Conseil d'Etat de Genève a maintenu et
confirmé une erreur précédemment commise par lui, en refusant à dame
Dumas le droit de séjourner sur le territoire de ce canton. Dame Dumas
est ressortissante suisse par son mariage; elle n'a jamais subi de
condamnation pour délit grave, et elle n'est point tombée à la charge
de l'assistance publique. Par conséquent le droit de séjonrner dans le
canton de Genève ne saurait lui étre retiré : l'arrété du Conseil d'Etat,
prononeant néanmoins son expulsion de ce canton, constitne une violation
flagrante des dispositions catégoriques de l'art. 45 de la Constitutîon
fédérale, et ne peut subsister.

Dans ss. réponse le Conseil d'Etat aHègue d'abord les faits (zi-après:

Une expulsion avait été prononcée par le Département genevois de Justice
et Police en date du 11 aoùt 1900 contre Ia recourante, attendo que
celle-ci est sans domiciie fixe, sans

xxvm, 1. 1902 ' 23
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 28 I 320
Datum : 12. November 1902
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 28 I 320
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 320 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. 77. Urteil


Stichwortregister
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nidwalden • frage • kantonsgericht • bundesgericht • deutschland • beklagter • bundesverfassung • von amtes wegen • zins • widerklage • richtigkeit • gegenrecht • wille • kaufmann • weiler • departement • staatsvertrag • schadenersatz • nichtigkeit • vertragspartei
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