20 A. Staatsrechtliche Entscheidung-euI. Abschnitt. Bundesverfassung.

Art. 49 der Bundesversassung grundsätzlich gutzuheissen und daher die
angefochtene Verfügung der Standeskommission aufzuheben ist.

5. Dagegen ist das Bundesgericht als Staatsgerichtshof nicht kompetent,
die kantonalen Behörden zur Herausgabe des streitigen Betrages anzuweisen
Es wird übrigens dürfen angenommen werden, dass die Standeskommission nach
Mitteilung des bundesgerichtlichen Entscheides keinen Anstand nehmen wird,
das betreffende Vermögen zu verabfolgen

6. Die von der Standeskommission erhobene allgemeine Einrede
der Jnkompetenz des Bundesgerichtes, sowie die Bestreitung der
Aktivlegitimation auf Seiten der Rekurrentin erledigen sich aus den die
Sache selbst betreffenden Motiven.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das Erkanntnis der
Standeskommission des Kantons Appenzeil J.-Rh. vom 27. Dezember 1901
aufgehoben wird.

III. Gerichtsstand. Du for.

1. Verfassungsm'àssîger Gerichtsstand. Unzulässigkeit von
Ausnahmegerichten. For naturel. Inaimissi'bîlité de tribuna-ax
excepfiionnels.

Vergl. Nr. 5, Urteil vom 5. Februar 1902 in Sachen Grobety & fils gegen
Bichsel, und Nr. 6, Urteil vom 11.März 1902 in Sachen Baschnonga &
Willi gegen Werk-Held.... Gerichtsstand. "l. Des Wohnnrtes. N° 5. 21

2. Gerichtsstanci des Wei-mortes. For 6.11 domicile.

5. Urteil vom 5. Februar 1902 in Sachen Grobéty & fils gegen Bichsel

Geltendmachung eines Gegenanspmches auf dem Wege der Wetter-Erlieger
oder dus-"ch Bim-eda der Kompensation? Auslegung einer Irren-Zwinlen
Prozesswrsclz-e'ift diu-ck (las angefochtene Urteil ; Stellung des
B-undesge richt-es ais Staatsgea'ichtshaf.

A. Im Juni 1900 erhob die Rekurrentin, die ihren Wohnsitz in Vallorbes
und Croy hat, beim Richteramt Trachselwald (Kan: ton Bern) Klage
gegen Fritz Bichsel auf Bezahlung von 980 Fr. mit Verzugszinsen für
gelieferte Waren In seiner Antwort beantragte der Beklagte Abweisung
und machte gegenüber der Forderung des Klägers widerklagsweise eine
Schadensersatzforderung geltend, deren Ungefähr gleich hohen Betrag er
zu Kompensation stellte. Daraufhin verlangte die Rekurrentin in einem
Zwischengesuch, der bernische Richter möge sich für diese Widerklage
inkompetent erklären. Der Gerichtspräsident von Trachselwald wies sie
jedoch am 4. März 1901 mit dieser, eine auf Seiten des Richtersnotwendige
Prozessvoraussetzung bemängelnden, Behauptung ab; sie zog dieses
Urteil an den Appellationsund Kassationshof des Kantons Bern weiter,
und beantragte dort: Es sei zu erkennen: die vom Beklagten F. Bichsel
gegenüber der klägerischen Firma Grobéty & fils erhobene Widerklage sei
unzulässig und dürfe me Richter von Trachselwald weder instruiert noch
von hernischen Gerichten beurteilt werden. Der bernische Richter wolle
sich daher in Sachen inkompetent erklären und diese Widerklage aus dem
Verfahren answeisen.

B. Mit Urteil vom SO. Mai 1901 wies der Appellationsund Kassationshof des
Kantons Bern die Jmpetrautin ab. Aus der Begründung diese-Z Urteils sind
folgende Gesichtspunkte hervorzuheben. Da die Klägerin verlange, dass
sie in Bezug auf die in der Widerklage erhobenen Ansprüche gemäss am. 58
und 59 der Bundesversassung am Forum ihres Wohnsitzes müsse gesucht Und

22 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

nicht ihrem ordentlichen Richter dürfe entzogen werden, so fechte sie
die örtliche Zuständigkeit der bernischen Gerichte an. Die Berufung auf
Art. 59 der B.-V. sei unzulässig, weil durch ihn im interkantonalen
Verkehr nur die Geltendmachung eines selbständigen Anspruches des
Beklagten an den Kläger aus dem Wege der Widerklage ausgeschlossen set,
während der Beklagte in der Anbringung seiner Verteidigungsmittel nicht
beschränkt sei, und speziell die Einrede der Kompensation erheben könne
In Wirklichkeit erhebe der Beklagte keinen selbständigen Gegenanspruch,
sondern seine Widerklage stelle sich als blosses Verteidigungsmittel dar,
um seine Befreiung vom Kiaganspruche in dem Umfang herbeizuführen, als
ihm eine kompensable Gegenforderung zustehe. Nach § 151 des bernischen
Civilprozesses sei die Zulässigkeit der Widerklage, sofern es sich um
ein Kompensationsoerhältnis handle, nicht durch Vorhandensein einer
Konnerität zwischen Forderung und Gegenforderung bedingt. Auch eine
exceptjo doli der Klagerin gehe fehl, da es dem Beklagten freigestanden
habe, die Kompensation in beliebiger Weise geltend zu machen.

C. Gegen dieses Urteil reichte die Klägerin rechtzeitig einen
staatsrechtlichen Rekurs beim Bundesgerichte ein Und stellte darin den
Antrag auf Kassation des angefochtenen Urteils. Die Rekrutrentin stützte
ihre Beschwerde auf eine Verletzung der Art. 58 und 59 der B.V. und
begründet sie im wesentlichen folgendermassen: Der Beklagte habe sie,
die Rekurrentin, mit seiner Gegenfordeeung, die mit der ihrigen in gar
keinem Zusammenhang stehe, vor dem Richter ihres Wohnortes im Kanten
Waadt zu belangen. Die Widerklage sei eine Schadensersatzforderung aus
einem ganz andern Rechtsgeschäft und ein etwa berechtigter blosser Fall
von Kompensation liege nicht vor. Übrigens sei auch die Gegenforderung
des Beklagten nicht bewiesen, daher zur Kompensation gar nicht geeignet.

D. In seiner Antwort aus die Rekursschrift begnügt sich der Beklagte
damit, auf die Erwägungen des angesochtenen Urteils zu verweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Rechtzeitigkeit des Reknrses und Kompetenz.)

L. Von den beiden, von der Rekuerentin augerufenen
Verfas-III. Gerichtsstand. '2. Des Wohnortes. N° 5. 23

ilexggîîrrftiieiiidfînîtblhsssder zweite, Art. 59, für die Entscheidung
· S rette in cFrage kommen D ' Urteil des Appellationsit t '
' . enn mm schon da? nd Kassattonsho s · · ' handelt es sich durch
Be " ss Uchng bemerkt ss ' grundung des bernisch G ' ' sur die vom
Beklagten en ertdétssftanbeä ssss geltend gemachte Gegensorderun "
Cinsuthnng von oerfassungswidrigen Ausnahmegericlgtmchti um wg. Od der
B.-V. verbietet. zen, nelüäe der.Kl?;::tkt1:g eî-Èohîînsièb der vom
Rekursbeklagten gegenüber . e egenanspruch in Form i d " selbstandig
oder in Form einer E" L ener Wlxerflage . inrede kompensationsweise lt
gemacht wird. Jst das erste der Fall s ' ge end ss D -_ , o unterltet er
der V ichrist be Art 59 der B -V iî ' g Di?. . . .. st das zweite der *
ll liegt er dieser Vorschrift nich © ss so unter _ t. Art. 59 der B-V
be r . " ' _ _ .. et ;;??? ijurgeksonltcheHAnsprachen die örtliche
Zuständigkät desfein? %Ügäféglbl? gessengprengel der ausrechtftebende
Beklagte . a. me iderklage nun stellt 'ckss " diger Gegenangriff als
i si ' sl } als selbstau' ,_ m Wege der Klage eltend em 't îglîtué
dazu-nd tsä daher am Wohnort des ZLäjchuldnergs ziltchetins ; on iesem
rundsatz besteht nur dan ' ss ' zu Gunsten des Gerichtsstandes der H L
n eme Ausnahme _ tkla e wenn KI Widerklagsanspruch in rechtl" aup gf
ag und [them Zusammenhan i Kompensattonseinrede da " ' g MHW. CUI? .
gegen bildet ein blosses Vert eidi ( ;ÎÎÎÈ agi: in deren Anwendung
sind die Parteien durkh thltngöss teils d.: , nicht beschranky sondern
hierfür ist teils das Privatdes gis Zitrozetzrsecht massgebend Diese
Auffassung ist vom Bun53333;gintnrfmtqtznter grams festgehalten worden,
und von ihr . leg ein nme vor (Vgl Amtl ' S S. 207,208 Ekw 1 2 3s v S'
' ammI., siss _; . .300 Cem? VII, S.228 ä??? Fen, S. 522 term. 1, 2;
XVI, S. 644'Ekw. cis XXI .4 ag,-308 Erw. '1 und die dort citierten.) ,
' fighe OeuAppellattonM und Kassationshos des Kantons Bern Beklantnn
in der Geltendmachung seiner Gegenforderung durch den welchg eg nicht
eine IWiderklagg sondern bloss eine Einrede, mit Ve er er Beklagte die
Tilgung der eingeklagten Forderung durch d oist-Zehntng herbergnsnhren
beabsichtigt Er stützt sich dabei auf sag ernische Ptozejzrecht,'bei
dessen Unklarheit über den Unterchted zwischen Kompensatton Und Widerklage
die formelle Ein-

24 A. staatsrechtliche Entscheidungen I. Abschnitt. Bundesverfassung.

kleidung der Gegenforderung des Beklagten in eine Widerklage deren wahren
Jnhalt nicht beeinträchtigen könne. Diese Interpretation einer kantonalen
Gesetzesvorschrift hat das Bundesgericht nicht zu überprtifen, um so
weniger als die Nekurrentin keine Rechtsverweigcrung in dem Sinne
behauptet, der kantonale Richter habe das Gesetz willkürlich oder
offenbar unrichtig angewendet. Aber auch abgesehen hiervon handelt es
sich im vorliegenden Falle tatsächlich um eine Kompensationseinrede und
nicht um eine Widerklage Denn massgebend ist der Inhalt des vom Beklagten
gestellten Rechtsbegehrens, nicht seine formelle Einkleidung Und dieser
Jnhalt ist der, dass der Beklagte Abweisnng der Forderung der Rekurrentin
beantragt mit Rücksicht aus seinen kompensablen Gegenanspruch welchen
der Appellationsund Kassatioushof demnach nur insoweit zu beurteilen
hatte, als er zur Korn-beination gestellt worden ist. Daher ist denn auch
weder die Frage zu prüfen, ob die Gegenforderung des Beklagten in einem
rechtlichen Zusammenhang mit der Haupts-ordnung stehe (weil dies für die
Möglichkeit der Kompensation gleichgültig isî), noch die andere Frage, ob
der Gegenansprnch des Beklagten an sich kompensabel sei oder nicht (weil
diese Frage in das Privatrecht gehört und mit Art. 59 der B.-V. nichts zu
thun hat). Da nach dem Gesagten der Beklagte keine Widerklage, sondern
eine Kompensationseinrede erhoben hat ist aber Art. 59 der V.-V· nicht
verletzt und muss die Beschwerde der Rekurrentin abgewiesen werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesenHL
Gerichtsstand. "2. Des Wohnortes. N° *3. 25

6, Urteil vom 19. März 1902 in Sachen Baschnonga u. Willi gegen Beck-Held.

Form, spec. Begründung des staatsrechtlichen Rekurses. Are. 178 Zifi. 3
Org. Ges. Art. 58 B.-V.

A. Jnfolge einer bei der Holzflössung im Vorderrhein im

Frühjahre 1898 eingetretenen Kollision erwuchsen Forderungsansprüehe
zwischen der Firma Baschnonga & Willi einer: und Th. Beet-Held
anderseits-. Es war eine Partie Holz, welches der Firma Baschnonga
& Willi gehörte und nach Eins bestimmt mar, in den Farschkanal bei
Reichenau gedrungen und dort gelandet worden. Beet-Held verhinderte
die Absuhr dieses Holzes durch die Eigentümer und machte darauf ein
Retentionsrecht geltend für eine Forderung von 280 Fr. Landungskosten,
Lagergeld ze. Baschnonga & Willi erkannten dieses von Beet-Held in
Anspruch genommene ForderungsUnd Retentionsrecht nicht an. Vielmehr
verlangten sie ihrerseits eine Vergütung von 865 Fr. 65 Cis. eventuell
nach richterlichem Ermessen für den Schaden, welcher ihnen durch die
ordnungsUnd rechtswidrige Flössung des BeckHeld erwachsen sei. Als die
Firma Baschnonga & Willi diesen Anspruch beim Kreisgericht Trins klagweise
geltend machte, stellte die Partei BeckHeld das Gesuch, das Gericht wolle
auf Grund von Art. 249 der C.-P.-Q. Und gestützt auf Art'? und 35 der
Flössordnung die Kompetenz ablehnen. Die Partei Baschnonga & Willi erhob
dagegen Einrede, weil das Begehren des Beklagten und Widerklägers formell
und materiell unstatthaft und unbegründet sei. Das Gericht entschied:
Aus diesen Prozess wird nicht eingetreten, weil das Kreisgericht Trins
nicht kompetent ist Zur Begründung des Entscheides wurde in den Erwägungen
bemerkt, der vorliegende Prozess sei zweifelsohne ein Flössanstand im
Sinne des § 35 der Flössordnnng, worin Flöszansiände betreffend erlittenen
Schaden ausdrücklich erwähnt werden. Solche Flössstreittgkeiten der
Flösskommission als Spezialgericht zu überlassen, empfehle sich deshalb,
weil diese alle Übungen und Gebräuche der Flösserei am besten kenne.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 28 I 21
Datum : 05. Februar 1902
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 28 I 21
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 20 A. Staatsrechtliche Entscheidung-euI. Abschnitt. Bundesverfassung. Art. 49 der


Stichwortregister
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