110 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

ainsi que du C. P. P, concernant l'application et l'exécution de la
peine capitale sont remis en feignem-, mais sans que la prédite loi
de 1894 énurnère les crimes punissables (le mort; il en résulterait,
suivant le recours, que la publication de cette loi n'aurait eu lieu
que fort ineomplètement, alors pourtant qu'il est de règle, en matière
de lois pénales, que non seulement la peine applicable soit mentionnée,
mais encore les actes punissables auxquels celle-ci doit etre appliquée.

Il n'est point nécessaire d'examiner la valeur de cette argumentation,
puisqu'il est aisé de démontrer que la loi de 1894, réintroduisant la
peine de mort, a été publiée d'une maniere suffisamment complète, et ne
donnant aucune prise aux griefs du recourant.

Chatton, en effet, a été condamné à la peine de mort en application des
art. 230, 233, N°5 2 et 10, 219 et 223 du G. P. et 1er de la loi du 24
novembre 1894.

Il n'est point contesté que ces articles ont été publiés cenformément à la
loi, et ils étaient dès lors en force dans leur teneur textuelle, dont il
a été fait application à Chatten, jusqu'à l'entrée en vigneur de l'art. 65
de la constitution fédérale de 1874, abolissant la peine de mort. C'est
en execution de cette disposition constitutionnelle que le Grand Conseil
de Fribourg a promulgué la loi du 19 aoùt 1874, laquelle, loin d'abroger
les articles susvisés a uniquement remplacé par la réclusion perpétuelle
la peine de mort, dans tous les cas où celle-ci était applicable; pour
tout le reste les dits articles demeuraient en force, absolument comme
ils l'étaient au moment de la publication de la loi du 19 aoùt 1874 ;
iis restaient au bénéfice de la publication régulière dont ils avaient
fait l'objet, et la loi du 24 novembre 1894, réintroduisant la peine de
mort, les a laissés subsister intégralement, sanf en ce qui concerne le
mode de pénalité. Or cette seule modification a été, comme cela n'est
pas contesté, publiée conformément à. la loi, et il n'était nullement
nécessaire que tout le reste des articles dont il s'agit, lequel avait
déjà fait l'objet d'une publication régulière antérieure, fùt publie de
nouveau. Ensuite de la promulgation de la loi de 1894, modifiant celle
de 1874Il. Ausübung der wissenschaltlichen Berufsarten. N° 29. 111

quant à. la peine applicable, les art. 230, 233 N°5 2 et 10, 219 et 223
O. P. étaient valablement publiés dans leur tenenr integrale, en vertu
de laquelle la peine de mort était applisiquée au recourant.

L'affirmation du recours, qu'il anrait été fait application à. Chatten
d'une loi non publiée, ou insuffisamment publiée, est done dénuée de
tout fondement, et le second moyen ne peut non plus etre acoueilli. Le
recours doit etre, en conséquence, xejeté dans son ensemble.

Vergl. auch Nr. 33, Urteil vom 4. Juni 1902 in Sachen Künsch gegen
Bernund Nr. 39, Urteil vom 16. April 1902 in Sachen Siegwart gegen Schwyz.

II. Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten. Exercice des professions
liberales.

29. Urteil vom 7. Mai 1902 in Sachen Rudolf gegen Solothurn.

Art. 5 der Uebergangsbestimmungm zar Bu-ndesoorfassung, Art. 33 B.V.
Tragweite dieser Bestimmungen für éieAusùlbzz-ng des A nwalts-
berufes. Stella-ng der soèothurnisch-en Fursprecher .

A. Gestützt auf ein nach Ablegung der vorgeschriebenen Prüfung
erlangtes bernisches Fürsprecherpatent und unter Hinweis auf Art. 5 der
Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung stellte Fürsprech Wired Rudolf
von Solothurn in Biel an den Regierungsrat des Kantons Solothurn das
Gesuch, es sei ihm die Bewilligung zur Ausübung der Advokatur, d. l"). der
Beistandsleistung für Dritte und deren Vertretung in gerichtlichen

112 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Angelegenheiten im Kanton Solothurn zu erteilen. Durch Beschluss vom
10. Januar 1902 entsprach der Regierungsrat desKantons Solothurn dem
Gesuch des A. Rudolf unter den beidenfolgenden Vorbehalten:

1. Könne dem Gesuchsieller nicht gestattet werden, im Kanton Solothurn
den Titel eines Fürsprechers zu führen.

2. Können ihm die Vergünstigungen und Vorrechte nicht eingeräumt werden,
welche nach § 5 der solothurnischen Civilprozessordnung nur denjenigen
zukommen, welche im Besitze des solothurnischen Fürsprecherpatentes
sich befinden, als solothurnische Fürsprecher beeidigt sind und die
für sokothurnische Fursprecher vorgeschriebene Kaution geleistet
haben. Das fragliche Vorrecht besteht darin, dass die patentierten
solothurnischen Fürsprecher ohne Ausweis und Vollmacht dritte Personen
in Rechtsstreitigkeiten vertreten dürfen.

B. Gegen diese Vorbehalte richtet sich die vorliegende staatsrechtliche
Beschwerde des Fürsprech Ll. Rudolf, in der, er, unter Berufung auf
Art. 33 der B.-V. und Art. 5 der UbergangsBestimmungen dazu, beantragt:

'i. Der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 10. Januar
1902 betreffend das Gesuch des Beschwerdeführers um Bewilligung
zur Ausübung der Advokatur im Kanton Solothurn sei, soweit mit den
nachfolgenden Anträgen nicht übereinstimmend, aufzuheben

2. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn habe dem Beschwerdesiihrer
die Ausübung der Advokatur im Umsange der Bestimmungen des am. 5 Ziff. 1
der Civilprozessordnung des Kantons Solothurn vom 27. Februar/5. Juli
1891 zu gestatten.

3. Der Beschwerdesührer sei berechtigt, seine Berufsgeschäste im Kanton
Solothurn unter dem Titel fürsprech auszuüben.

Der Beschwerdeführer bringt an: Der Kanton Solothurn habe die
berufsmässige Stellvertretung vor Gericht eigenartig geregelt-. Während
nach § 4 der Cioilprozessordnung vom 5. Juli 1891 alle Personen als
Vertreter einer Partei zugelassen mer-den, die im Genusse ihrer
bürgerlichen Rechte und Ehren stehen, sofern sie sich durch eine
schriftliche Vollmacht oder durch eine von der Partei abgegebene
Protokollerklärung ausweisen, kenne die Tolo:H. Ausübung der
wissenschaftlichen Berufsarten. N° 29. 113

thurnische Civilprozessordnung in § 5 noch den beeidigten Fürsprech,
der ohne Ausweis für andere in Rechtsstreitigkeiten handeln könne Die
Bedingungen zur Erlangung der Qualität einesbeeidigten Fürsprechs seien
niedergelegt im Gesetz vom 5. März 1859 über die Prüfung der Für-sprechen
Notare und Gerichtsschreiber und im Juristenpriifungsreglement vom
21.April 1859. Danach werde zur Tauglicherklärung als Fürsprecher
verlangt u. a. Aus-weis Über gehörte juristische Vorlesungen, einjährige
Praxisim Kanton in gerichtlichen und notarialischen Arbeiten, Ablegung
einer Prüfung, Leistung einer Kaution. Dafür könne ein dermassen tauglich
erklärter die Vergünstigungen und Vorrechte eines beeidigten Fürsprechers
für sich in Anspruch nehmen. Ausdiesen Tatsachen gehe hervor, dass auch
der Kanton Solothurn den Auwaltsberuf im Sinne eines durch besondere
Kenntnisse sichauszeichnenden, durch Prüfungen 2c. abgeschlossenen Standes
tenne. Der beeidigte Fürsprecher des § 5 C.-P. übe im Kanten Solothurn den
Beruf eines Anwaltes im spezifischen Sinne des Wortes aus. Soweit also
der Kanton Solothurn diese Fürsprecher anerkenne, soweit habe er diese
Anerkennung auch den mit einemBesähigungsausweis im Sinne des Art. 5 der
Übergangsbestimmungen versehenen Personen zu gewähren. Es könnten also
in erster Linie diese Personen und somit auch der Beschwerdeführer die
Vergünstigung des citierten § 5 der solothurnischen Grilprozessordnung für
sich in Anspruch nehmen. Zu der Ausübung des Beruses im Sinne des Art. 5
der Übergangsbestimmungen gehöre auch die Ausübung des Beruer unter dem
besondern den Beruf in diesem Kanton auszeichnenden Titel. Es gehe nicht
an, dass ein Kanton die nach Art. 5 der Übergangsbestimmungen mit einem
wissenschaftlichen Besähigungsausweis versehenen Personen denjenigen
Personen, die im Kanton selbst sich die Befähigung erworben haben,
gleichstellen müsse und auf der andern Seite ihnen diese Gleichstellung
nicht auch äusserlich und in allen Teilen zukommen lasse. Ebentuell werde
behauptet: Der beeidigte Füriprechss des Kantons Solothurn, soweit er
die ihm nach der Civilprozessordnung zustehenden Funktionen vornehme,
habe nicht Beamtencharakter, sondern nur den Charakter einer patentierten
und privilegierten Berufsart. An dieser rein privatrechtlichen Qua-

J114 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

iität des Fürsprechers ändere auch das solothurnische Gesetz vom
24. Dezember 1870 nichts, wonach zur Wählbarkeit als Amtsgerichtspräsident
und Qberrichter die Patentierung zum Fürsprecher Voraussetzung sei. Nicht
von Bedeutung für die streitige Frage sei die Tatsache, dass im Kanton
Solothurn die Patentnrung als Fürsprecher zugleich diejenige als Notar
und Gerichtsschreiber in sich begreife. Der Beschwerde-sichrer habe
nie die Qualität als Träger der zwei letztern Funktionen für sich in
Anspruch genommen. Es würden Übrigens die Bewerber um das solothurnische
fürsprecherpatent jeweils als Fürsprech und Notar patentiert. Unberührt
vom Entscheide des Regierungsrates des Kantons Solothurn bleibe die Frage
nach der Kautionspflicht des Beschwerdeführers, der die solothurnischen
Fürsprecher unterliegen· Der Beschwerdesührer erkläre übrigens-, dass
er sich dieser Kautionspflicht, sofern diese geltend gemacht würde,
in vollem Umfange unterziehen merde.

C. Der Regierungsrat des Kantous Solothurn beantragt in seiner
Vernehmlassung Abweisung des Rekurses An Hand der einschlägigen
Bestimmungen der Civilund der Strasprozessordnung des Kantons Solothurn
wird ausgeführt, dass die berufsmässige Vertretung der Parteien
vorGericht, wie der Beschwerdeführer richtig bemerke, im Kanton
Solothurn sreigegeben sei, und dass sich danach auch ein in einem
andern Kanton domizilierter Anwalt im Kanton Solothurn berussinässig
mit der Parteiuntretung befassen könne, sofern er nur im Besitze seiner
bürgerlichen Rechte und Ehren sei und sich durch eine Vollmacht seiner
Partei legitimieren könne. Einer besondern Bewilligung zur Ausübung
der Anwaltspraxis bedürfe es demnach im Kanton Solothurn überhaupt
nicht. Der Beschwerdeführer hätte deshalb nicht nötig gehabt,
sich an den Regierungsrat zu wenden, um von ihm eine förmliche
Bewilligung auszuwirken, es sei denti, derselbe verlange nicht nur
die Gestattung der Advokatur, sondern auch die Gleichstellung mit den
praktizierenden solothurnischen Fürsprecherm m. a. W. das solothurnische
fürsprecherpatent. Diesem Teil des Gesuches könne der Regierungsrat
aber nicht entsprechen. Das solothurnische Recht kenne als besondere
Klasse der Abdokaten die Für-sprechen Um Fürsprecher zu werden, müsse
sich derIL Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten. N° 29. 115

Betreffende einer staatlichen Prüfung durch eine vom Regierungsrate
ernannte Kommission unterziehen (Gesetz vom 5. März 1859
betreffend Prüfung der Fürsprecher, Notare und Gerichtsschreiberz und
Juristenprüfungsreglement vom 21. April 1859). Der Regierungsrat erteile
nach bestandener Prüfung das Patent, nachdem

der Bewerber ferner für die getreue Erfüllung seiner Berufspflich-

ten eine Sicherheit von 10,000 Fr., die auch für seine Funktionen als
Notar hafte, geleistet habe. Der Fürsprecher habe ferner

den für die Beamten vorgeschriebenen Amtseid zu leisten und stehe

unter der Aufsicht des Regierungsrates. Den patentierten Fürsprechern
stünden nun einige besondere Rechte zu, so speziell die Befugnis, ohne
Vorweisung einer Vollmacht vor den Civil: und den Strafgerichten eine
Partei zu vertreten. Diesen Privi-

legien stünden gewisse besondere Pflichten gegenüber-, insbesondere

die Pflicht, eine Partei, der der unentgeltliche Rechtsbeistand bewilligt
worden ist, gegen die ihm durch das Gericht hiesür zugebilligte Gebühr
zu Vertreten. Die Fürsprecher seien zugleich Notare; dass auch das
Gerichtsschreiberpatent in ihrem Patent inbegriffen sei, falle hier
nicht weiter in Betracht. Die Fürsprecher ständen sonach unter einem
bestimmt geregelten öffentlichen Rechte Und hätten in gewisser Beziehung
Beamtencharakter. Wegen dieser

öffentlich-rechtlichen Stellung des fürsprechers und seiner recht-

lichen Beziehungen zum Staate habe der Regierungsrat stets daran
festgehalten, dass der patentierte Fürsprecher, sofern er im Kanion seinen
Beruf ausüben wolle, daselbst wohnen oder Domizil erwählen müsse. Wenn
nun der ·Rekurrent, dem schon kraft der bestehenden Rechtsordnung, dann
aber auch infolge ausdrücklichen Regierungsratsbeschlusses die Befugnis
zur Ausübung seines Anwaltsberuses im Kanton Solothurn zukomme, sich damit
nicht begnüge, sondern vollständige Gleichstellung mit den solothurnischen
praktizierenden Fürsprechern verlange, so begehre er damit nichts

anderes, als dass ihm tatsächlich das solothurnische Für-sprechen

patent verabfolgt werde. Hier berechtige ihn Art. 5 der
Ubergangsbestimmungen zur Bundesversassung nicht. Die Befugnis-, die sich
hieraus ergebe, sei dem Rekurrenien eingeräumt, er könne gleich wie alle
andern Anwälte aus andern Kantonen berufsmässig vor den solothurnischeu
Gerichten auftreten, sofern er nur

116 A. Sàaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

eine Vollmacht seiner Partei vorweise. Den Art. 5 der
Übergangsbestimmungen weiter auszudehnen und dem Rekurrenten auch die-
Gleichstellung mit den solothurnischen Fürsprechern einzuräumenwürde einen
Eingriff in das kautonale Staatsrecht bedeuten, für den sich keinerlei
Notwendigkeit oder Wünschbarteit erweise. Eine solche Gleichstellung
wäre auch praktisch unmöglich, weil das solothurnische Recht kein
Fürsprecherpatent für sich kenne, sondern der Titel des Fürsprechers
und Notars durch ein und dasselbePatent erworben werde und daher beide
unlösbar miteinander verbunden seien. Das Gesuch des Beschwerdeführers
um Gleichfteltung mit den solothurnischen Fürfprechern müsse unter allen
Umständen schon daran scheitern, dass der Rekurrent die Befugnissedes
Notariats nicht beanspruchen könne, eine Trennung des Notariats aber vom
Begriffe des Fürsprechers nicht möglich fei. Das Verbot der Führung
des Titels eines Fürsprechers aber ergebe sich ohne weiteres aus dem
Gebote der Rechtssicherheit deshalb, weil der solothurnische Fürsprecher
nicht gleichbedeutend seii mit dem bemischen und daraus Jnkouvenienzen
entstehen müssten.

Das Bundesgericht zieht in (Erwägung:

1. Während nach dem bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzder
Handelsund Gewerbesreiheit (Art. 31 der B.-V.) die privatwirtschaftliche
Erwerbstätigkeit, abgesehen von bestimmten Ausnahmen, frei ist und durch
die Kantone nicht in der Weise beschränkt oder beengt werden darf, dass
die Ausübung eines Erwerbszweiges nur einzelnen Personen oder einer
Klasse von solchen eingeräumt oder dass dieselbe von Erfordernissen
abhängig gemacht werden wollte, die einer Kontrolle über die persönliche
Fähigkeitund Eignung gleichkämen, ist es durch Art. 33 der B.-V. den
Kantonen gestattet, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von
einem Ausweise der Befähigung abhängig zu machen.

Der Zweck dieser Ausnahme ist nicht in dem Bestreben zu suchen,

diese Berufsstände von den andern auszuzeichnen, sondern liegt in der
Erwägung, dass bei denjenigen Berufs-arten, deren richtige Ausübung eine
wissenschaftliche Vorbildung erfordert, im Interesse des Publikums der
Staat sich über das Vorhandensein der letztern solle versichern dürfen,
bevor er die Ausübung gestattet. Uber die Fähigkeit zur Ausübung der
wissenschaftlichen Berufsarten sollteIL Ausübung der wissenschaitlichen
Berufsarten, N° 29. 117

nach Anweisung der Bundesverfassung die Bundesgesetzgebung das nötige
bestimmen. Für die Zwischenzeit wurde eine Art Freizügigkeit insofern
geschaffen, als nach Art. 5 der Übergangsbestimmungen Personen, welche
den wissenschaftlichen Berufsarten angehören, und welche bis zum Erlasfe
der im Art. 33 vorgesehenen Bundesgesetzgebung von einem Kanton oder
von einer, mehrere Kantone repräsentierenden Konkordatsbehörde den
Ausweis der Befähigung erlangt haben, befugt find, ihren Beruf in der
ganzen Eidgenossenschaft auszuüben. Für die Ausübung des zweifellos
unter diese Bestimmungen fallenden Berufe-s eines Anwaltes, d. h. der
gewerbsmässigen Vertretung der Parteien vor Gericht, besteht ein
eidgenössischer Fähigkeitsausweis zur Zeit noch nicht; es greift daher
Art. ö der Übergangsbestimmungen Platz, an den sich der Rekurrent auch im
vorliegenden Falle berufl, um die Aufhebung der Vorbehalte durchzusehen,
welche die solothurnische Regierung an die ihm grundsätzlich gestattete
Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberuses im Gebiete des Kantons
Solothurn geknüpft hat.

L. Art. 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfasfung sichert
denjenigen, die im Besitze eines kantonalen oder konkordatsmässigen
Fähigkeitsansweises sind, die Ausübung des Anwaltsberuses im ganzen Gebiet
der Eidgenossenschaftz bis zur Schaffung einheitlicher Vorschriften soll
dieser Ausweis gleichsam als seidgenössischer gelten. Die Vorschrift
richtet sich ihrem Zwecke nach nur gegen diejenigen Kantone, in denen die
Ausübung des Anwaltsberufes durch das Ersordernis materieller Garantien
für richtige Berufsausübung beschränkt ist, sie trifft dagegen von
vornherein solche Kantone nicht, in denen die Ausübung des Anwaltsberufes
von keinerlei derartigen Beschränkungen abhängig ist, sondern jedermann
freisteht. In der Tat braucht sich der Inhaber eines kantonalen oder
konkordatsmässigen Fähigkeitsausweises da, wo nach kanton al em Recht
die Advokatur freigegeben ist, um daselbst den Anwaltsberus ausüben zu
können, gar nicht darauf zu berufen, dass ihm nach Bundesrecht gestützt
auf seinen Ausweis die Ausübung gestattet werden müsse. Der Rekurrent
führt nun selbst an, und der Regierungsrat des Kantons Sole:" thurn hat
dies des nähern dargelegt, dass in diesem Kanten die

118 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Ausübung des Anwaltsbernfes frei ist und auch dem Rekurrenten offen
steht. Die Befugnisse, die ihm das bernische Fürsprecherpatent für
das Gebiet der ganzen Eidgenossenschaft verleiht, besitzt er sonach
im Kanton Solothurn schon nach der kantonalen Rechtsordnung. Das
Erfordernis der bürgerlichen Ehrenfähigkeit steht nicht in Frage,
und was die Vorschrift betrifft, dass der Vertreter einer Partei einer
Vollmacht derselben bedürfe, so folgt dieselbeaus der rechtlichen Natur
des Auftrags-verhältnisses im allgemeinen.

Z. Weitere Rechte als die, welche ihm nach der solothurnischen
Gesetzgebung an sich schon zustehen und Überdies durch ausdrücklichen
Beschluss des Regierungsrates zugesichert sind, verleiht dem. Rekurrenten
die Bundesversassung nicht Jnsbesondere kann er nicht verlangen, gestützt
auf seinen bernischen Ausweis als solo: thurnischer fürsprecher anerkannt
und der besonderen rechtlichen Stellung teilhaftig zu werden, die diesem
nach § 5 der Civil: prozessordnnng zukommt. Es steht den Kantonen frei,
trotz der Freigebung der Advokatur, eine staatliche Prüfung vorzusehen,
eine besondere Klasse von solchen Anwälten zu schaffen, die diese Prüfung
bestehen, und dieselben Unter bestimmte öffentlich-rechtliche Normen zu
stellen, durch welche sie zu den Behörden und den Parteien in besondere
Beziehungen der Rechte und Pflichten gesetzt werden. Mit einer solchen
Organisation hat man es bei den solothnrnischen Fürsprechern zu tun, die
zu dem kantonalen öffentlichen Rechte in um so nähere Beziehung treten,
als sie nach solothurnischem Rechte zugleich Notare sind und die Fähigkeit
zu gewissen öffentlichen Ämtern besitzen. Wer dieser Organisation
angehöre, darüber kann das kantonale Recht frei bestimmen, sobald, wie
dies für den Kanton Solothurn zutrifft, der bundesrechtlichen Pflicht,
die sich aus Art. ö der Übergangsbeftimmungen für die Kantone ergibt,
schon dadurch Genüge geleistet ist, dassdie Ausübung des Anwaltsberufes
jedermann freisteht.

4. Wenn hienach sachlich der Stefan-ent nicht auf die Stellung und
die Rechte eines solothurnischen Fürsprechers Anspruch erheben kann,
so steht vom bundesrechtlichen Gesichtspunkt auch dem Vorbehalte des
solothurnischen Regierungsrates nichts entgegen, dass derselbe im
Kanton Solothurn nicht den Titel Fürsprecher führen dürfe, sofern der
Regierungsrat, was das Bun-lll. Dappelbesteuerung. N° 30. 119"

desgericht nicht nachzupriifen hat, ein genügendes ftaatliches Interesse
hiefür als vorliegend erachtet. Zu seiner beruflichen Qualifikation
stehen dem Rekurrenten noch andere Bezeichnungen zu Gebote, und
selbstverständlich kann es ihm auch nicht verwehrt4 werden, sich des
Titels bernischer Fürsprecher zu bedienen. Demnach hat das Bundesgericht
erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

III. Doppelbesteuerung-. Double imposition.

30. Urteil vom 30. April 1902 in Sachen Terlinden & Cic. gegen Bern Und
St. Gallen.

Verwirkung des staatîsrechtlicken Rekurses wegen Doppelòeséeuemng infolge
freiwilliger Unterwerfamg unter die betreffande Slezzerhoheit.

A. Die Firma Terlinden & Cie. betreibt in Küsnacht, Kantons Zürich, eine
Kleiderfärberei und chemische Waschanftalt. Sie hat in verschiedenen
Städten der Schweiz, so in Bern und St. Gallen, Abnahmestellen
errichtet, in der Weise, dass sie einen Laden mietete, in dem eine von
ihr angestellte Person die zum waschen und färben hergebrachten Kleider
und Stoffe entgegennimmt, und, nachdem dieselben nach Küsnacht gesandt
und dort gewaschen und gefärbt worden sind, den Kunden wieder übergibt,
wogegen sie die Kostenbeträge einkassiert. Zn Bern und St. Gallen
wurde die Firma pro 1901 für das von den betreffenden Abnahmestellen
erzielte Einkommen besteuert, wie schon früher von ihr bezw. von ihrem
Rechtsvorfahren in den verschiedenen Städten, wo die Abnahmestellen
bestehen, Einkommensteuer bezogen worden war. Gegen die Besteuerung
pro 1901 beschwerte sich die Firma Terlinden & Eie. mit Eingabe vom
26. September/7. Oktober 1901 beim Bundesgericht. Es wird geltend
gemacht, die Heranziehung zur Steuer in Bern und St. Gallen verstosse
gegen das Verbot der Doppelbesteuerung (Art. 46 der B.V.), und beantragt,
es möchten die Einschatzungen der Rekurrentin in den
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 28 I 111
Datum : 04. Juni 1902
Publiziert : 31. Dezember 1903
Quelle : Bundesgericht
Status : 28 I 111
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 110 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. ainsi que


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • notar • bundesverfassung • vorrecht • frage • richtigkeit • funktion • bundesgericht • prozessvertretung • rechtsanwalt • ehre • gerichtsschreiber • doppelbesteuerung • mais • weiler • eidgenossenschaft • entscheid • berechtigter • sicherstellung • zuschauer
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