452 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung,

neuen Urteils über die vom Kläger angehobene Ehrverletzungsklage ans
denjenigen Teil dieser Klage keine Rücksicht zu nehmen, der sich auf
das genannte Flugblatt bezieht. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen als begründet

erklärt, damit das angefochtene Urteil des Qbergerichts des Kantons
Aargau aufgehoben und die Sache zu erneuter Behandlung an die kantonalen
Jnstanzen zurückgewiesen

78. Urteil vom 14. November 1901 in Sachen Zai-Kappeler gegen Obergericht
Aargau, bezw. Mürijd

Gerichtsstand für Pressvergehen. Begehngsort. Angeblich willIffirliche
Auslegung des 5 28 aarg. Zeechtpolizeégesetz. Schmale- mmg der
Verteidigemgsrechäe (farmelöe Reaktsvee'weigerung).

A. Der Rekurrent Bai, wohnhaft in Turgi, ist Verfasser einer von ihm
nnterzeichneten Broschüre, betitelt Der Aargauische Hofstaat. Dritte
Nummer. Die Firma Müri, Zschokke & Cie. auf der Anklagebank. Dieselbe
wurde in der Druckerei des Basler Volksblattes hergestellt, gelangte aber
von Basel aus nicht an die Offentlichkeit, sondern wurde in Turgi vorn
Verfasser Bai, Beam. in seinem Aufträge adressiert und auf den beiden
PostBureau}; Turgi und Brugg in vielen tausend Exemplaren aufgegeben
und so verbreitet

In der Folge strengte Regierungsrat Dr. Müri in Aarau vor Bezirksgericht
Brugg Strasklage gegen Zai an, weil ihn dieser in jener Broschüre an
seiner Ehre angegriffen habe. Nachdem der Gerichtspräsident die Parteien
auf den 20. September 1900 zurVerhandlung vor-geladen hatte, reichte Zai
am 16. dieses Monats unter Beilegung einer dem Advokaten Dr. Feigenwinter
in Basel ausgestellten Vollmacht ein Gesuch um Bewilligung der
Vertretung (gg 40 ff. des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes) ein, das
er mit der Wichtigkeit des Falles und der Notwendigkeit juristisch
korrekter Beweisanträge begründete Der Gerichtspräsident wies das8
V. Presssifreiheit. N° 78. 453

Gesuch mangels eines gesetzlichen Grundes, und weil er die persönliche
Anwesenheit des Beklagten als erforderlich erachtete, ab. In der
Verhandlung vom 20. September verlas der Kläger Dr. Müri seine 60
Druckseiten haftenden Klageanbringen und Begehren. Der Beklagte verlangte
vorab neuerdings die Bewilligung der Vertretung und eventuell die
Verbeiständnng durch einen Anwalt. Sodann bestritt er die Zuständigkeit
des Bezirksgerichts Brugg nach §§ 28 und 29 des Z.-P.-G. unter Berufung
darauf, dass die Schrift in Basel gedruckt worden und dass er bereit
sei, sich vor dem zuständigen Gericht in Basel, eventuell vor demjenigen
seines Wohnortes zu stellen. Sowohl jene Zwischenbegehren als die erhobene
Gerichtsstandseinrede wurden vom Bezirksgerichte abschlägig beschieden
Darauf verlas Bai seine Antwort. Darin verlangte er zuerst eine zweite
Verhandlung, um inzwischen die Klagschrift und die eingelegten Akten
prüfen zu können. In materieller Beziehung bestritt er die Klage sowohl
in der Gesamtheit als im allgemeinen, rief zur Unterstützung der in der
Flugschrift enthaltenen Behauptungen Urkunden, Zeugen und Sachverständige
als Beweismittel an, und vernrkundete drei Fascikel Beilagen. Auf die
weitläufige Replik duplizierte der Beklagte nur bezüglich eines Punktes
und wiederholte im übrigen seine Begehren um Einvernahme der Zeugen,
Vervollständigung der Akten und Ansetzung einer zweiten Tagfahrt, bei
der er sich vorbehalte, einlässlich auf die Klage einzutreten.

Das Bezirksgericht schritt sofort zur Beratung und erklärte in seinem
daraufhin erlassenen Urteile die eingeklagte Broschüre als für Dr. Müri
injuriös Es verirrteilte Zai zu drei Wochen Gefangenschaft verbunden
mit 500 Fr. Geldbusse, zur Bezahlungeiner Entschädigung von 1000 Fr. im
Sinne von Art. 55 des Obligationenrechts und zur Tragnng der Gerichtsund
Parteikosten, hob die gesallenen Ehrverletzungen von Richteramtswegen
auf und ermächtigte endlich den Kläger, auf Kosten des Beklagten das
Urteilsdispositiv in sämtlichen aargauischen Zeitungsblättern und in
acht ausserkantonalen Blättern nach seiner Wahl zu publizieren und das
Urteil in extenso in 14,000 Eremplaren zu vervielfältigen und innerhalb
der Schweiz durch offene Postsendung zu verbreiten

454 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

B. Dieses Straferkenntnis änderte das aargauische Obergericht, an das
beide Parteien rekurriert hatten, unterm 8 Elstarz 1901 in der Hauptsache
dahin ab, dass es die Strafe auf b Tage Gefängnis und 1000 Fr· Geldbusse
bestimmte und von der ($;th räumung der Befugnis an den Kläger absah,lauf
Kostendep Beklagten das Urteil in extenso durch die Post zu. verbreiten.
Aus der Begründung des obergerichtlichen Entscheides ist als hierorts
wesentlich hervorzuheben: '

ii. Die erhobene Gerichtsstandseinrede anlangend, schreibe F 28
des kantonalen Zuchtpolizeigesetzes vor, dass Vergehen durch die
Presse in demjenigen Bezirk einzuklagen seienzwo die Schrift gedruckt
wurde. Damit sei für die im Kanton Aargau entstandenen Preszerzeugnisse
die Auffassung, dass die Verfasser einer Flugschrist Überall da, wo
diese zur Verbreitung gelange, belangt werden können, ausdrücklich
ausgeschlossen Diese Auffassung widerspreche übrigens auch der
verfassungsmässig garantierten Preskfreiheit So lange die Flugschrift
im Drucke liege, so lange ausser den mit ihrer Herstellung beauftragten
Personen niemand davon Kenntnis habe, entstehe kein Pressvergehenz
dieses entstehe erst und sei erst vollendet mit dem Beginn der Ausgabe,
der Verbreitung der Presserzeugnisse, und zwar sei es ansi dem Orte
begangen, von dem aus sie verbreitet worden seien. Uber den Fall, wo
eine Schrift nicht wie § 28 cit. es vorsehe im Kanton Aargaui gedruckt
werde, enthalte das Zuchtpolizeigesetz keine ausdrückliche Bestimmung
§ 29 dieses Gesetzes schreibe indessen in allgemeiner Î also auch
für die Pressdelikte geltender Weise nor, dasz der Gertchtsstand des
Wohnortes nur dann zur Anwendung gelangen durfe und müsse, wenn ein
Kantonseinwohner ein Vergehen in einem andern Staatsgebiete begangen,
sich aber dort der strafrechtltchen Verfolgung entzogen habe. Daher
müsse der Einwohner des Kantons Aargau, der in einem andern Kardon
einesiFlufflch'ristsieme Broschüre, ein Buch drucken und verbreiten lasse,
oder in eine ausserkantonale, periodisch erscheinende Zeitschrift oder
Zeitung einen Artikel einsende, da verfolgt werden, wo das Presserzeugnis
gedruckt und ausgegeben, verbreitet merde. Und er könne nur-dann an
seinem Wohnorte hiefür belangt werden, wenn er in irgend einer Weise,
z. B. durch Flucht, durch Nichterscheinen zur Ver-V. Pressfreiheit. N°
78. 455

ihandlung u. s. w. die Verwirklichung des Strafanspruches des Staates
des Begehungsortes vereitelt habe. Jrn vorwürfigen Falle seien aber
die thatsächlichen Verhältnisse andere. Nach den Akten müsse als
festgestellt betrachtet werden, dass die eingeklagte Flugschrift zwar
in Basel gedruckt worden, dass sie dort aber nicht herausgekommen, an
die Offentlichkeit gelangt sei, dass vielmehr der Beklagte sie in Turgi
habe adressieren, auf den beiden Postbureaux Turgi und Brugg aufgeben und
von da aus verbreiten lassen. Es sei somit nach allgemeinen Grundsätzen
ein allfälliges Pressvergehen nicht in Basel, sondern im Kanton Aargau,
und zwar in Turgi und Brugg begangen, vollendet worden. Demnach könne §
29 hier nicht zur Anwendung gelangen, und da § 28 sich nur auf die im
Kanton Aargau gedruckten und verbreiteten Presserzeugnisse beziehe und
beziehen könne, müsse der Kläger berechtigt erklärt werden, nach dein in
der aargauischen Strafgesetzgebung geltenden Territorialitätsprinzip (§
27 des Z.-P.-G., libereinstimmend mit § 2a des Strafgesetzes) den Schutz
des aargauischen Richters da anzurufen, wo das in Basel angefangene
Vergehen vollendet worden sei.

2. Der Beklagte hatte sich unter Berufung auf die vom Bezirksgerichte
verfügte Abweisung seiner Zwischenbegehren (s. oben sub A) wegen
Schmälerung der Rechte der Verteidigung beschwert. Hierüber führte das
Obergericht (soweit hier dieser Punkt noch in Frage) aus:

a. § 40 des Zuchtpolizeigesetzes stelle den Grundsatz auf, dass im
Zuchtpolizeiverfahren die Parteien persönlich zur Verhandlung erscheinen
sollen und setze im weitern die Fälle fest, in welchen ausnahmsweise die
Vertretung durch den Gerichtspräsidenten bewilligt werden könne. Bai
habe sich nun auf keinen der gesetzlichen Vertretungsgründe berufen
und auch die in § 41 vorgesehene Bescheinigung nicht vorgelegt Der
Gerichtspräsident habe bei Prüfung des Vertretungsgesuches nicht zu
untersuchen gehabt, ob die Bestimmungen der §§ 40 u. ff. an sich vom
gesetzgeberischen Standpunkte aus Anspruch auf Vollkommenheit machen
können, und ob sie in concreto nicht eine gewisse, durch die persönlichen
Verhältnisse der Parteien bedingte Ungleichheit schützen Er habe einfach
das Gesetz anzuwenden gehabt und damit zur Abweisung

XXVII, i. MM 31

456 At Staatsrechiiiche Entscheidungen. {. Abschnitt. Bundesverfassung.

des Gesnches kommen müssen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass
beim Vezirksgericht Baden und auch anderwärts in Pressinjuriensachen
mit Rücksicht auf deren besondere Natur im Einverständnis der Parteien
die Vertretung bewilligt werde, auch wenn den Vorschriften des Gesetzes
nicht Genüge geleistet sei.

b. Auch die Abweisung des Gesuches um Verbeiständung sei nicht
nngesetzlich, da letztere durch das Zuchtpolizeigesetz nicht vorgesehen
werde, auch das Ergänzungsgesetz von 1886 auf den vorliegenden Fall
nicht zutrefse und der Kläger zu einer Verheiständung des Beklagten sein
Einverständnis nicht ausdrücklich erteilt habe. Immerhin ergebe sich aus
dem Amtsbericht des Bezirksgerichts Brugg, dass Dr. Feigenwinter als
Anwalt des Beklagten mit diesem erschienen war und während der ganzen
Verhandlung ihm mit Rat beistand, ohne dass das Gericht oder der Kläger
Einwendung erhoben hätten. Materiell sei also der Beklagte dadurch, dass
er einem rechtskundigen Gegner gegenüber sich zu verteidigen gehabt habe,
nicht benachteiligt worden.

c. Es sei Zai als Verfasser der eingeklagten Flugschrift wenn auch nicht
leicht, doch nicht unmöglich gewesen, im Laufe der Verhandlungen die
von Dr. Mitri verlesenen Ausführungen der Klageschrist zu verfolgen,
zu behandeln und über die klägerischen-Beweismittel sich auszusprechen
Der Beklagte habe sich denn auchauf die Klage eingelassen, die
Antwort erstattet und zwar nach dem Amtsbericht ebenfalls eine, auf die
Verhandlung vor-bereitete und in Schrift verfasste Antwort vorlesen. Diese
Antwort sei vom Standpunkte der Verteidigung aus so erschöpfend und
enthalte auch so viele Beweisanträge, dass das Obergericht eine neue
Vers handluug zu deren Ergänzung bei der gegenwärtigen Aktenlage nicht
als nötig erachte. Die Replik des Klägers sei bedeutend einlässlicher
als die Duplik des Beklagten, da jener einerseits als Rechtskundiger und
früherer Gerichtspräsident und anderseits vermöge der genauen Kenntnis
der verurkundeten Akten dein rechtsunkundigen Beklagten gegenüber im
Vorteile gewesen sei. Allein die Replik und Duplik seien, abgesehen
von allfälligen Beweisantràgen, nicht ausschlaggebend und es wäre daher
nicht zu verantworten, eventuell behufs Erstattung der Duplik eine neue
Verhandlung anzuordnen.V. Pressfreiheii. N° 78. 457

C. (Zustellung des Urteils)

D. Zai erhob nun rechtzeitig staats-rechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht mit dem Antrage, es seien das obergerichtliche und das
bezirksgerichtliche Urteil als gesetzund verfassungswidrig aufzuheben.

Die beiden Entscheide, führt der Rekurrent aus, verstossen zunächst,
insoweit nämlich, als sie für die Beurteilung des Falles die
Zuständigkeit des Bezirksgerichts Brugg als vorhanden erklären, gegen
die Presssreiheit. Wie das Obergericht, in Auslegung von § 28 Z.-P.-G.,
zutreffend ausspreche, habe bei Week; deliktencls ausschliessliches Forum
dasjenige des Druckortes Platz zu greifen und dürfen daneben nicht noch
eine unbestimmte Zahl weiterer Gerichtsstände des Verbreitungsortes
für die einzelnen Verbreitungsakte zulässig sein. Entgegen der dem §
28 cit. gegebenen einschränkenden Interpretation müsse aber dieser
Grundsatz kraft Art. 55 der Bundesversassung, ohne Rücksicht auf
die Kan; tonsgrenzen, für das ganze Gebiet der Schweiz gelten, was
die Vorinstanz übrigens anlässlich ihrer Erörterung über § 29 leg.
cit. selbst erkläre. Nun gehe das Obergericht zwar davon aus, dass
die eingeklagte Flugschrift in Basel gedruckt worden, behaupte aber
anderseits, dass sie nicht dott, sondern im Kanton Aargau herausgekommen,
an die Offeutlichkeit gelangt sei. Diese Annahme werde durch nichts in
den Akten belegt. Allerdings sei der grösste Teil der Aussage von Turgi
und Brugg aus verbreitet worden, manche (Exemplare habe der Beklagte aber
auch von Basel aus direkt an den Mann gebracht. Und abgesehen hievon, wäre
Basel trotzdem der Druckund Herausgabe-Ort Wolle man aber auch, entgegen
dem Gesetzestext (§ 28 Z.-P.-G.), nicht auf den Druckort als solchen,
sondern auf den Ort abstellen, von wo aus die Broschüre nach verschiedenen
Orten gelangte, sich ihr Flug gabelte, so könnte doch Herausgabe-Ort
in diesem Sinne nur Turgi, nicht aber Brugg sein, da letzteres für den
Flug erst eine weitere Etappe gebildet habe. Statt nun aber entweder
in konsequenter Durchführung der im Urteil selbst anerkannten Doktrin
Basel als Forum auch für alle Verbreitungshandlungen zu erWren, oder
doch in Anbetracht der ballenweisen Einsuhr der Flugschrift im Kanton
Aargau den Ort der ersten Gabelung

458 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

als gerichtsstandsbegründenden Herausgabeort anzusehen, komme das
Obergericht unlogischer Weise am Schlusse seiner Ausführungen dazu,
den Vollendungsort als Begehnngsort zu proklamieren.

In zweiter Linie habe der Rekurrent eine Rechtsverweigerung durch
eine Schmälerung wesentlicher Rechte der Verteidigung erlitten,
deshalb nämlich, weil er als Laie mündlich, aus dem Stegreif und
unter Ausschluss jeden Rechtsbeistandes auf die wohlvorbereitete und
ausführliche schriftliche Klage seines rechtskundigen Rechtsgegners
habe antworten müssen. Während die gegnerische Rechtsschrist voll zum
Bestandteil der Akten geworden sei, habe sich der Rekurrent auf seine
mündliche Improvisation eines hilflosen Laien angewiesen gesehen, die je
nach Geschick und Belieben des Gerichtsschreibers nur bruchstückweise,
gekürzt Und vielleicht gefärbt in die Akten habe gelangen können. Auf
alle Fälle hätte man dem Rekurrenten entweder einen neuen Terinin zur
Abgabe der Antwort gewähren oder ihm dann doch die schriftliche Klage vor
der Verhandlung vom 20. Dezember rechtzeitig bekannt geben sollen. Möge
nun das aargauische Gesetz, die aargauische Praxis, oder der in casu
fungierende Richter am eingeschlagenen Verfahren die Schuld tragen,
so könne dasselbe vor dem Grundsatze der Rechtsgleichheit nicht Stand
"halten. Es lasse sich auch nicht einwenden, dass die Objektivität,
die formelle Korrektheit, mit welcher die zweite Instanz ihres Amtes
gewaltet, dass die selbständige Prozessinstrnktion, die sie ihrerseits
vor Fällung ihres Urteils vorgenommen habe, die dem erstinstanzlichen
Verfahren anhaftenden Mängel und Unbilligkeiten geheilt habe. Denn der
oft unbewusste Einfluss des Vorentscheides sei erfahrungsgemäss kein
geringer. Endlich sei es ein bescheidener Trost, wenn das Obergericht
gegenüber dem Umstande, dass dem Rekurrenten als Laien das Duplizieren
erst recht schwer gefallen sei, darauf abstelle, dass Replik und some
ja nicht ausschlaggebend seien.

E. Das Obergericht des Kantons Aargau erklärte, sich zu Gegenbetnerkungen
in der Sache nicht veranlasst zu sehen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Vollmacht des Anwaltes des Rekurrenten und Rechtzeitigkeit des
Refin-ks.)

2. Die behauptete Verletzung der Pressfreiheit
anlangend,V. Pressfre-iheit. N° 78. 459

steht zunächst fest, dass die inkriminierte Flugschrist zwar in Basel
gedruckt wurde, dass aber ihre Verbreitung vermittelst Versendung durch
die Post nicht von Basel, sondern von Turgi und Brugg aus erfolgte. Der
Rekurrent bestreitet dies auch nur insofern, als er erklärt, dass vor der
massenhaften Verbreitung der Broschüre von Turgi und Brugg aus auch manche
Exemplar-e derselben in Basel an den Mann gebracht worden seien. Indessen
ist die Richtigkeit dieser Behauptung keineswegs dargethan, bezw. nicht
nachgewiesen, dass die gegenteilige Feststellung des Obergerichts,
wonach in Basel überhaupt keine Verbreitungshandlungen erfolgten,
offenbar aktenwidrig sei. Aus ihre rechtliche Erheblichkeit braucht
deshalb die genannte Behauptung nicht geprüft zu werden

Auf Grundlage des vorinstanzlich angenommenen Thatbestandes kann
aber zunächst davon nicht die Rede sein, dass der in Art. 55 der
Bundesverfassung ausgesprochene Grundsatz dem Rekurrenten den
Gerichtsstand Basel garantiere. Allerdings ergibt sich als eine
Konsequenz aus dem Wesen der Pressfreiheit, dass das Pressdelikt
nur als einheitliches Vergehen behandelt werden darf und dass nicht
die verschiedenen zu dessen Begehung gehörenden Handlungen eines
Beteiligten, z. B. nicht einerseits feine Thätigkeit als Verfasser,
anderseits als Verbreiter, gesondert für sich unter Strafe gestellt
werden dürfen. Andernfalls würde man, in unzulässiger Einschränkung der
durch Art. 55 Hz;-V, bezweckten Garantien, dazu kommen, durch wiederholte
Ahndung des seiner Natur nach einheitlichen strasrechtswidrigen Altes
den Grundsatz ne bis in idem zu verletzen Es darf also das vermittelst
eines bestimmten Presserzeugnisses, bezw. vermittelst einer bestimmten
Auflage eines solchen begangene Pressdelikt gegenüber einem Beteiligten
nur einmal und demnach nur an einem Orte strafrechtlich verfolgt werden,
wobei freilich die Thatfache der an verschiedenen Orten stattgefundenen
Verbreitung bei Ausmessung der Strafe in Berücksichtigung fallen
kann. Dagegen lässt sich keineswegs als bundesrechtlich verbindliche Norm
ansehen, dass die Verfolgung eines solchen Deliktes nur am Druckorte
stattfinden fiume, namentlich dann nicht, wenn das Presserzeugnis,
wie hier, eine Angabe des Druckortes gar nicht enthält. Vielmehr muss,
in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Obergerichtes und wie das
Bundesgericht in seinem heutigen Entscheide in

460 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Sachen Zai gegen Schulthessic bereits des nähern dargethan hat,
als zulässiger Gerichtsstand, weil eigentlicher Begehungsort des
Pressdeliktes, der Ort angesehen werden, wo die betreffende Druckschrift
herausgekommen, von wo aus ihre Veröffentlichung betrieben worden ist. Wie
es sich verhält, wenn ein Presserzeugnis im Auslande gedruckt wurde, kann
hier unerörtert gelassen werden; ebenso ist die Frage, ob und inwieweit
bundesrechtlich ein Gerichisstand des Wohnortes des Angeklagten oder
der Widerklage anzuerkennen sei, für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

3. Indem der Rekurrent sich eventuell selbst auf den soeben erörterten
Standpunkt stellt, behauptet er, dass als Begehungsort im genannten
Sinne nur das Bezirksgericht von Baden, nicht aber dasjenige von
Brugg zur Beurteilung des gegen ihn eingeklagten Vergehens zuständig
fein könne. Auch hierin lässt sich ihm indessen nicht beistimment Es
magdahingestellt bleiben, ob der ganze Stock der fraglichen Broschüre
zuerst, wie behauptet wird, nach Turgi gebracht worden sei. Denn auf alle
Fälle vermöchte diese, die Veröffentlichung nur vorbereitende Massnahme,
einen ausschliesslichen, bundesrechtlich garantierten Gerichtsstand
nicht zu begründen. Vielmehr muss die Strafversolgung auch da und in
erster Linie da bundesrechtlich möglich fein, wo die Veröffentlichung des
Presserzeugnisfes an sich, diejenige Thätigkeit, welche unmittelbar feiner
Bekanntmachung beim Publikum dient, stattgefunden hat. Dieselbe kann
aber hier allein in der Aufgabe der Eremplare zur Post erblickt werden;
denn dadurch gab der Verfasser der Broschüre ihren Inhalt, dessen Kenntnis
bisher auf wenige bestimmte Personen beschränkt war, einem unbestimmten,
ohne sein Zuthun weiter anwachsenden Leserkreis preis. Im genannten
Sinne stehen sich aber Turgi und Brugg als Anfangsund Mittelpunkte der
Verbreitungsthäiigkeit gleich; es scheinen sogar nach den Akten eher
eine grössere Zahl von Exempiaren vom Poftbureau Brugg aus vertrieben
worden zu sein. Somit musste es aber verfassungsmässig zulässig sein,
die Strafverfolgung gegen den Rekurrenten bezüglich des ihm zur Last
gelegten Pressdeliktes am letztern Orte durchzuführen

* Oben No 7-7 (3. eu g.}.V. Pressfreiheit. N° 78. 451

4. Dass die vorinstanzliche Beurteilung der streitigen Gerichtsstandsfrage
in willkürlicher Weise gegen § 28 des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes
verstosse und so unter dem Gesichtspunkte der Rechtsverweigerung
anfechtbar sei, lässt sich mit Grund nicht behaupten. Wenn das
Obergericht annimmt, es komme dem § 28 cit. nur interkantonale Bedeutung
zu, d. h. er beziehe sich nur an solche Schriften, die im Kanton
Aargau gedruckt werden, so ist diese Auslegung mit Wortlaut und Sinn der
Vorschrift wohl vereinbar. Daraus ergibt sich aber ohne weiteres, dass der
vorliegende Thatbesiand gar nicht unter § 28 cit. fällt, diese Bestimmung
also durch das obergerichtliche Urteil auch nicht verletzt sein kann.

5. Gegenüber der Beschwerde wegen verfassungswidriger S chmäterung
der Verteidigungsrechte wendet der Rekursgegner Dr. Müri zunächst ein,
dass sie innert sechzigtägiger Rekursfrist von der Kenntnisnahme der
betreffenden erstinstanzlichen Verfügungen san beim Bundesgerichte
hätte angebracht werden sollen. Diese Auffassung steht indessen mit der
bundesgerichtlichen Praxis in Widerspruch, nach welcher gegen derartige
Zwischenentscheide ein selbständiges Rekursrecht an das Bundesgericht
nicht besteht, sondern solche Verfügungen ihm erst in Verbindung mit
der Hauptsache unterbreitet werden können.

Dagegen erweist sich die vorliegende Beschwerde materiell als
unbegründet. Wenn § 40 des Zuchipolizeigesetzes eine Vertretung der
Parteien für die Regel nicht zulässt, so mag dieser allgemeine Grundsatz
freilich unter Umständen, und so auch hier, zu Unbilligkeiten führen,
da er der Thatsache keine Rücksicht trägt, dass die Möglichkeit der
Einzelnen, ihre Rechte selbständig vor Gericht zu wahren, nach ihren
Fähigkeiten und Kenntnissen eine ganz verschiedene sein tanu. Gegen den
Grundsatz der Rechtsgleichheit verstösst aber eine solche Bestimmung
nicht. Gemäss derselben werden ja alle Bürger formell gleich behandelt,
und es fordert der Rekurrent, unter Hinweis aus die zwischen ihm und
seinem Rechtsgeguer bestehende thatfächliche Ungleichheit, diesem
gegenüber eine verschiedene Behandlung, wenn er, als Ausnahme von der
allgemeinen Regel, für sich Zulassung eines Vertreters beansprucht. Dem
Gesagten entsprechend lässt sich auch darin, dass dem

462 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Rekurrenten nach der kantonalen Gesetzgebung das Recht auf Verbeiständung
nicht zukommt, keine Verletzung des am. 4 der Bundesverfassung
erblicken. Übrigens war Zai vor Bezirksgericht von einem Rechtskundigen
als Ratgeber assiftiert. Dass in einer der erwähnten Beziehungen die
einschlägigen kantonalen Bestimmungen, namentlich der g 40 cit.,
zum Nachteile des Reknrrenten unrichtig angewendet worden seien,
hat dieser nicht dargethan. Wenn er endlich geltend macht, es liege
eine Rechtsnngleichheit darin, dass ihm kein Termin zur Abgabe seiner
Antwort eingeräumt wurde, so kann auch in diesem Punkte ein willkürlicher
Verstoss gegen eine spezielle Vorschrift der aargauischen Gesetzgebung
oder einen allgemeinen Rechtssatz nicht gefunden werden,. Übrigens hat
der Rekurrent laut vorinsianzlicher Feststellung an der Verhandlung vom
20. September 1900 eine ebenfalls daraufhin vorbereitete und in Schrift
verfasste Antwort ver-lesen. Schliesslich muss bemerkt werden, dass
das Obergericht sein Urteil auf eine erneute selbständige Prüfung aller
Anbringen und Beweisanträge des Rekurrenten stützt, deren Unparteilichkeit
und Gründlichkeit dieser alles Lob zollt. Es lässt sich deshalb nicht
einsehen, wie Zai thatsächtich durch allfällig vor Bezirksgericht
begangeneFehler des Verfahrens zur Zeit noch benachteiligt sein
sollte. Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

VI. Gerichtsstand. Du for.

1. Gerichtsstand des Wehnortes. For du domicile.

79. Awét da 6 novembre 1901, dans la cause BraadeisAction en répétitionsi
art. 86 LPF.

Par écriture da 6 aoùt 1901 U. Brandeis, négociant a Zurich, a adressé
en temps utile un recours de droit publicau Tribunal fédéral, en
faisant valoir, en substance, les considérations de fait et de droit
ci-après:Vl. Gerichtsstand. 'l. Des Wohnortes. N° 79. 463

U. Brandeis, bourgeois de Lengnau et solvable, est établi comme
négociant à. Zurich; il a venda a E. Bovard-Lauper, a Vevey, des
articles de bonneterie pour le montant de 782 fr. 60 G., et les expedia
a M. E. Bovard Lauper. La facture n'ayant pas été payée à, l'échéance,
Brandeis poursuivit le dit. Bovard. Ce dernier ne fit aucune Opposition,
et Brandeis, continuant la poursuite, demanda la mise en faillite
du débiteur. A l'audience du President du Tribunal du District de
Vevey, du 5 décembre 1900, Bovard prétendit que c'est sa femme, dame
EmmassBovard née Lauper, marchande publique en dite ville, qui est en
réalité la debitrice de Brandeis, et, pour éviter la faillite, sieur
Bovard déposa en main du prédit magistrat, une somme de 800 fr. à titre
de consignation juridique. Le President, dans ces conditions, decida
de ne pas donner suite à la demande de faillite formée parBrandeis,
et consigna ces fonds a la Banque cantonale vaudoise jusqu'à droit
connu, Bovard ayant d'ailleurs annonce qu'il allait ouvrir sans délai
une action au créancier Brandeis. Il n'est pas possible, poursuit le
recouraut, de voll-, sur la devanture du magasin, si c'est le mari ou
la femmeBovard qui explizite le commerce, et au moment de la commande,
M. Emile Bovard-Lauper était seul inscrit au registre du commerce du
Canton de Vaud. En présence des reclamations de sieur Bovard, Brandeis
autorisa ce dernier, par lettre du 29 janvier 1901, à retirer le dépòt
de 800 fr. susmentionné ; le créancier poursuivit alors dame Emma
Bovard-Lauper, qui pays. le montant de la facture.

Par exploit du 24 juin 1901, Emile Bovard ouvrit àBrandeis, devant le
Tribunal civil de Vevey, une demande dont les conciusions portent :

I. Que le demandeur ne doit pas au defendeur et ne lui a jamais dù le
montant de la poursuite N ° 2927 du 10/11 oetobre 1900.

II. Qu'en conséquence le demandeur est en droit de répéter ce qu'il a
payé, soit de retirer le montant du dépòt de 800 fr. qu'il a effectué
le 5 décembre 1900 en main du Présideut du Tribunal de Vevey.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 27 I 452
Datum : 14. November 1901
Publiziert : 31. Dezember 1902
Quelle : Bundesgericht
Status : 27 I 452
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 452 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung, neuen Urteils


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • beklagter • bundesgericht • bundesverfassung • verfassung • kenntnis • replik • weiler • zahl • vorinstanz • duplik • begehungsort • stelle • druck • kommunikation • die post • prozessvertretung • zeuge • mann • hauptsache
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