430 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Ausübung feines Beruer erteilte, und er habe daher dieselbe nichtnachher
unter Berufung auf dieses Erkenntnis wieder zurückziehenkönnen. Diese
Behauptung der vorherigen Kenntnis der Vermieilung wird jedoch vom
Regierungs-rate bestritten und kann nachden Akten nicht als erstellt
angesehen werden, so dass schon aus diesem Grunde auf dieses Argument
nicht näher eingetreten zu werden braucht.

Wenn schliesslich der Beschwerdeführer geltend macht, die angesochtene
Schlussnahme sei erfolgt, ohne dass man ihn vorher in der Sache
einvernommen habe, so kommt diesem Umstande eine Bedeutung nicht zu, da es
sich um ein Adntinistrativverfahren handelt. Dass nämlich in einem solchen
nur nach vorgängiger Abhörung der betreffenden Partei der Entscheid
ausgefällt werden dürfe, ist verfassungsmässig nicht gefordert, und eine
gegen Art. 4 B.-V. verstossende offenkundige Verletzung einer bezüglichen
kan- tonalen Vorschrift hat der Rekurrent selbst nicht behauptet

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

III. Doppelbesteuerung Double imposition,

75. Urteil vom 23. Dezember 1901 in Sachen Hösli gegen Uri und Glarus.

Erweròssteese r, bezog-en mit den Urner Behörden, wer einein im
Kanton Ure? gelegenen Steinbruche, dessen kommerzielle Leitung ,sich
imKa-nton Glarus befindet. Art. 37 Abs. 2 Urne? Verf.; Art. 3 Abs. 4
li.-Ges. betr. nieste-entrissene Verhältnisse der Niederjeiassmen,
etc. steuerÎwhez't. Spezialdsmizil steuerrechtlics'eer Noize-e'.

A. Der Rekurrent Hösli und Kaspar Leuzinger, Baumeister, beide in
Glarns wohnhaft, hatten im Sommer 1898 in Bolzbach, Gemeinde Seedorf
(Kanion liti), eine Parzelle Landes gekauft und auf derselben unter der
im Handelsregister des Kantons Uri.III. Doppelbesteuerung N° 75. 431

eingetragenen Firma Hösli & Leuzinger einen Steinbruch
(Pflastersieinsabrikation) eröffnet Im März 1899 zog sich Leuzinger aus
dein Geschäfte zurück und die Firma wurde gelöscht. Hösli übernahm das
Unternehmen mit Aktiven und Passioen und betrieb es gleichzeitig mit zwei
andern ihm gehörigen Steinbriichen in Weesen und Hemmenthal weiter. Die
kommerzielle Leitung dieser Steinbriiche, oder wenigstens desjenigen
von Seedorf, befindet sich in Glarus, woselbst der Firma-Inhaber Jacques
Hösli im Handelsregister eingetragen ist

Der Gemeinderat von Seedorf zog Hösli mit einem Vermögen von
30,000 Fr. und einem Erwerb von 7500 Fr. zur urnerischen Staatsund
Gemeindearmenfteuer heran, wobei der Liegenschaftsbesitz Höslis im
Kanton Uri zu 26,500 Fr. gewettet wurde. Höin rekurrierte mit Eingabe vom
30. August 1901 an den uruerischen Regierungsrat mit der Erklärung, dass
er lediglich die Pflicht, seine im Kanton Uri befindlichen Grundstücke
ihrem wahren Werte nach zu versteuern, anerkenne, jede Weitere Besteuerung
dagegen, als dem Art. 46 Abs. 2 der Bundesverfassung und am. 3 W. 4
des Bandes-gesetzes betreffend die civilrecbtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen und Aufenthalter widersprechend, von sich ablehne.

B. Mit Beschluss vom 31. August 1901 wies der Regierungsrat
diese Einsprache ab, woraus Höin innert nützlicher Frist den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriff, mit dem
Antrage: Die regierungsrätliche Verfügung, wonach er zur Bezahlung von
Erwerbssteuern im Kanton Uri verhalten merde, aufzuheben Der Rekurrent
macht geltend:

Von seinem Geschäftsbureau in Glarus aus leite er alle drei
Steinbriiche. Von hier aus werden alle Geschäftsabschlüsse, Käufe und
Verkäufe gemacht, dahin werden alle Rapporte und Korrespondenzen seiner
Angestellten in den Steinbrüchen adressiert. In Glarus sei Rekurrent im
Handelsregister eingetragen, daselbst wohne er mit seiner Familie und
daselbst bezahle er auch alle Landesund Gemeindesteuern. Dem gegenüber
sei die Veranlagung einer Einkommensteuer im Kanton Uri staatsrechtlich
unzulässig; denn 1. könne nach Art. 37 Abs. 2 der urnerischen Kantonsver-

fassung und dem entsprechenden Art. 10 des nrnerischen Steuer-

432 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

gesetzes vom 2. Mai 1886 die direkte Landessteuer nur von 20jährigen
männlichen Einwohnern des Kantons erhoben werden, während Rekurrent
kein solcher Einwohner sei, nach Art. 3 Abs. 4 des Bundesgesetzes über
die civilrechtlichen Verhältnisse einen zweiten Wohnsitz überhaupt nicht
haben könne und auch keine Geschäftssiliale in Uri besitze; 2. liege eine
gegen Art. 46 Abs. 2 B.-V. verstossende Doppelbesteuerung vor, wofür auf
den Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Dantpfschifsahrtsgesellschaft
des Vierwaldstättersees gegen Schwyz (Amtl. Sammlg., Bd. XII, S. 246
ff.) verwiesen werde. Rekurrent anerkenne gegenüber den urnerischen
Behörden lediglich die Pflicht zur Verstenerung seines im Kardon Uri
gelegenen Grundbesitzes nach dessen wirklichem Werte.

Dem Reknrse liegt eine Bescheinigung der Gemeindeverwaltung von Glarus
Bei, der zufolge Hösli in Glarus ein Vermögen von 25,000 Fr. versteuert
für Kanton, Gemeinde, Schule, Kirche und Armengut (jedes für sich extra),
nebst Haushaltungsund Kopfeuer.

C. Aus der auf Abweisnng des Rekurses antragenden Vernehmlassung des
nrnerischen Regierungsrates sind folgende Angaben zu entnehmen:

Der Steinbruch in Seedors sei wenigstens nach seiner technischen Seite
ein durchaus selbständiges und unabhängiges Geschäft. Rekurrent lasse
die Steine in Seedorf brechen, verarbeiten und dann durch einen Nauen
auf die Bahnstation Flüelen bringen, von wo aus sie direkt an ihren
Bestimmungsort abgeben. Die Leitung des Betriebes in Bolzbach liege
einem Vorarbeiten Buch-

,wegen-DB, der in Seedorf ständig wohne, wobei der Rekurrent

selbst jede Woche auf dem Arbeitsplatze sich einfinde, um sich vom Stande
seiner Unternehmung zu überzeugen und die nötigen Wei{ungen zu geben. Die
Zahl der Arbeiter, welche Rekurrent in Bolzbach beschäftige, übersteige
gelegentlich 100. Erfolge somit der technische Betrieb ausschliesslich
von Seedorf aus, so sei im weitern der administrative zum mindesten
ein zwischen Glarus und Uri geteilter, insofern alle Bestellungeu von
Seedorf ans effektuiert werden und hier die Jnventarisationen gemacht
werden müssen. Und ebenso finde der Verkehr der Gemeindebehörden und
Bewohner von Seedorf direkt mit der dortigen Unternehmung Und nicht auf
dem Umwege über Glarns statt.III. Doppelhesteuerung. N° 75. 433

In rechtlicher Beziehung führt der Regierungsrat des nähern aus, dass
der Steueranspruch der urnerischen Behörden nach den einschlagenden
kantonalen Bestimmungen (Art.31 der Verfassung, Art. 2,1itt. b, Art. 10
und 13 des Steuergesetzes vom 2. Mai 1886 und Art. 3 und 6 der Verordnung
über das Steuerwesen der Gemeinden) begründet sei, dass die Besteuerung
des Rekurrenten auch aus Erwägungen der Billigkeit sich rechtfertige,
indem das fragliche Unternehmen die Thätigkeit der urnerischen Verwaltung
in verschiedenen Beziehungen stark in Anspruch nehme, und dass eine
Verletzung von Art. 46 Abs. 2 B.-V. nicht vorliege.

D. Der Regierungsrat des Kantons Glarus, ebenfalls zur Vernehmlassung
eingeladen, lässt erklären, dass er, weil nicht mitinteressiert, zu
Bemerkungen in der Sache sich nicht veranlasst sehe. Der Rekurs richte
sich lediglich gegen die Erhebung der Einkommensteuer seitens des Kantons
Uri. Nach glarnerischer Steuergesetzgebung aber werde ausschliesslich
das Vermögen besteuert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. In Frage steht nur noch die Erwerbs-, nicht aber die Vermögenssteuer-,
welche dem Rekurrenten auferlegt wurde. Denn nur die erstere hat er
zum Gegenstande seines Rekursbegehrens gemacht. Allerdings scheint
er in der Rekursbegründung in gewissem Umfange auch die Zulässigkeit
der Vermögens-besteuerung zu bestreiten. Aber auf diese Anbringen kann
mangels eines ausdrücklichen und bestimmten Antrages, und weil sie die
erforderliche Deutlichkeit vermissen lassen, nicht eingetreten werden
(Art. 178 Ziff. 3 des Org.-Ges.). Übrigens würde es sich dabei wohl
wesentlich um eine der Überprüfung des Bundesgerichts nicht unterstellte
Tarationsfrage handeln.

2. Was nun die Erhebung der Einkommenssteuer anlangt, so kann darin zum
vornherein eine Verletzung des Art. 37 Abf. 2 der urnerischen Verfassung
nicht erblickt werden. Wenn in diesem Artikel bestimmt wird, das; die
direkte Landessteuer von: Vermögen und Erwerb in mässiger Progression
und vom Kopfe des 20jährigen männlichen Einwohners erhoben merde, so
ist klar, dass sich der Ausdruck Einwohner nur auf die Kopf-, nicht aber
auf die vorher erwähnte Vermögens-: und Erwerbs-

434 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

steuer bezieht, d. h. dass die Besteuerung von Vermögen Und Erwerb nicht
nur gegenüber den 20jährigen männlichen Einwohnern als zulässig erklärt
werden wollte.

Ebenso haltlos ist die Berufung aus Art. 3 Abs. 4 des Bundesgesetzes
betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und
Ausenthalter. Diese Bestimmung handelt lediglich vom civilrechtlichen,
nicht vom steuerrechtlichen Wohnsitze einer Person und schliesst also die
blmdesrechilich längst anerkannte Möglichkeit verschiedener Steuerdomizile
der nämlichen Person nicht aus.

8. Hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung des Rekurrenten zur
Erwerbs-steuer gegen das bundesrechtliche Verbot der Doppelbesteuerung
verstosse, kommt zunächst dem Umstande keine Bedeutung zu, dass der Kanton
Glarus kein Einkommenssteuergesetz besitzt und demnach vom Rekurrenten
auch keine Einkommenssteuer bezieht. Denn, wie das Bundesgerichi schon
häufig entschieden (ogl. z. B. Ath Samml., Bd. XVIII, Nr. 3, S. 15;
Bd, XXIV, 1. Teil, Nr. 88, S, 446), ist ein Kanton zur Besteuerung von
Vermögensobjekten, die in thesi nach bundesrechtWhen Grundsätzen der
Steuerhoheit eines andern Kantons unterstehen, auch dann nicht berechtigt,
wenn dieser letztere von seinem: Steuer-rechte keinen Gebrauch macht.

Vorliegenden Falles nun kann der Kanten Uri seinen Steueranspruch
unbestrittenermassen nicht daran stützen, dass die Firma des Rekurrenten
im Kanton ihr ordentliches Geschäftsdomizil besitze. Aber auch von einer
Zweigniederlassung in Seedorf lässtsich nicht sprechen, da die gesamte
kommerzielle Thätigkeit sich vonGlarus aus abwiekelt und den Angestellten
des Rekurrenteu in Seedorf Überhaupt jegliche Befugnis einer selbständigen
Vertretung des Geschäftes gegen aussen zu mangeln scheint. Damit ist
jedoch die Möglichkeit eines Spezialdomizils steuerrechtlicher Natur im
Kanton Uri noch nicht ausgeschlossen Vielmehr genügt nach dergegenwärtigen
bundesgerichtlichen Praxis für das Vorhandensein eines solchen Domizils,
wenn der Betrieb in Seedorf nach seinem wirtschaftlichen Zweck und nach
seiner thatsächlichen Organisation sich als besonderer Betrieb darstellt,
der ohne wesentliche Änderung auch gänzlich vom Hauptgeschäfte losgelöst
und mit rechtlicherIII. Doppelbesteuerung-. N° 75. 485

Selbständigkeit ausgestattet werden könnte (dal. namentlich Entscheid
des Bundesgerichts in Sachen Salzmann-Däniker vom 22. Juni 1898,
ferner Amd. Samml Bd. XXIII, 1. Teil, Nr. 73, S. 505j'6 in Sachen
Sarasin, Stähelin & Cie., und Bd. XXIV, 1. Teil, Nr. 83, S. 449,50 in
Sachen Dampfschiffahrtsgesellschast des Vierwaldstättersees). Dies
ist aber thatsächlich der Fall: Der technische Fabrikationsprozess,
wie er sich in Seedorf abspielt, ist ein von den Übrigen Betrieben des
Rekurrenten völlig unabhängiger; er umfasst alle Seiten des in Frage
stehenden Fabrikationszweiges, indem die Steine in Seedorf gebrochen,
verarbeitet und als fertige Ware direkt an die Abnehmer versandt werden;
und der Durchführung des Fabrikatiousprozesses dienen nicht nur ständige
und ausschliesslich dafür bestimmte Betriebsinstallationen,

sondern es besteht dafür auch eine besondere, selbständige Organi-

sation der erforderlichen zahlreichen Arbeitskräfte und eine spezielle,
einem Angestellten übertragene Betriebsleitung Somit kann die Besteuerung
des durch die Fabrikationsthätigkeit in Seedorf erzielten Einkommens
seitens der urnerischen Behörden nicht als

verfassungswidrig bezeichnet werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 27 I 430
Datum : 23. Dezember 1901
Publiziert : 31. Dezember 1902
Quelle : Bundesgericht
Status : 27 I 430
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 430 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. Ausübung


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