222 A. Staatsreehtliehe Entscheidungen. lV. Abschnitt. Staatsverträge.
Vierter Abschnitt. Quatriéme section. staatsverträge der Schweiz mit
dem Ausland. Traités
de la Suisse avec l'étranger.
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Internationale Convention über Civilprozessrechte
Convention internationale concernant 1a procédure civile.
36. Urteil vom 13. Juni 1901 in Sachen Bloch.
Verhältnis des Art. 2 der obgenaemten Ueöereinkunfi zu Art. 59 B.-V.
A. Der heutigen Rekurrentin, Kollektivgesellschaft ©. und J.. Bloch, die
ihren Sitz in Biel (Kanton Bern) hat, wurde einevom 1. April 1901 datierte
Ladung vor Handelsgericht Dünkirchen auf den 7. Mai 1901 zugestellt zur
Verhandlung über eine Klage aus Kan oder Kommission, die von der Firma
E. Bourdon & Cie. in Dünkirchen gegen sie erhoben war. Die Rekurrentin
erhob gegen diese Ladung vor dem Gerichtspräsideuten Biel Einspruch
und stellte vor diesem, unter Berufung aus Art. 59 B.-V., das Gesuch
an den Appellationsund Kassationshof des Kanten-Z Bern, dieser möge
die Bewilligung der Zustellung dieser Ladung an sie verweigern. Der
AppellationsundKassationshof des Kantons Bern erteilte jedoch mit
VerfügungConvention über Civilprozessrecht. N° 36. 223
vom 23. April 1901 dem Richteramt Viel den Auftrag, die Ladung der
Rekurrentin zustellen zu lassen, gestützt auf Art. 2 der internationalen
Übereinkunft betreffend Civilprozessrecht vom 14. November 1896 und
22. Mai 1897. Die Zustellung er: folgte alsdann in Ausführung dieser
Verfügung ·
B. Im vorliegenden, rechtzeitig und in richtiger Form eingereichten
Rekurse stellt nun die Rekurrentin das Begehren: Die vom Appellationsund
Kassationshof des Kantons Bern bewilligte und angeordnete Zusiellung
einer Vorladung vor Handelsgericht Dünkirchen sei zu kassiren. Zur
Begründung fuhrt sie aus, die Bewilligung der Ladung derstosse gegen
den verfassungs-: mässig zugesicherten Schutz des Richter-s des
Wohnortes. Auf Art. 2 der internationalen Übereinkunft betreffend
Civilprozessrecht berufe sich der Appellationsund Kassationshoff
zu Unrecht, da gerade eine der dort vorgesehenen Ausnahmen, bei
deren Vorhandensein die Zustellung gerichtlicher Urkunden abgelehnt
werden dürfe, vorliege, indem nämlich die Ladung die Hoheitsrechte des
Kantons Bern verletze. Durch die Interpretation, die der Apfel1ationsund
Kassationshof dieser Vertragsbestimmung gebe, wurde die Bundesverfassung
verletzt; Bundesrat und Bundesversanink lung haden aber nicht durch
Staats-vertrag in versassungsmaszig garantierte Rechte der Schweizerbürger
eingreifen durften.
C. Der Appellationsund Kassationshos des Kantons Bem verweist in
seiner Vernehmlassung lediglich aus die Begrundung seiner Verfügung vom
23. April 1901.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass auf die Frage, ob die Bewilligung
der Ladung zulässig gewesen sei, die internationale Übereinkunft
betreffend Civilprozessrecht Vom 14. November 1896 und 22. Mai 1897
zur Anwendung kommt, da beide-hier in Betracht kommenden Staaten zu den
Vertragsstaaten gehoren.
ss Nach Art. 2 dieser Übereinkunft nun liegt die Zusiellung der
gerichtlichen (wie der aussergerichtlichen) Urkunden der erfuchten
Behörde oh, und kann sie nur abgelehnt werden, wenn sie nachder Auffassung
des Staates-, auf dessen Gebiet sie erfolgen sofl, geeignet erscheint,
seine Hohettsrechte zu verletzen, oder seineSicherheit zu gefährden-dt
Uber den Sinn dieser Ausnahmebe-
224 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staalsvertrà'ge.
stimmnng giebt die Botschaft des Bundesrates Über die Übereinkunft
vom S. April 1898 (Bundesbl. 1898, Bd. II, S. 756 ff.) klare Auskunft
(a. a. O. S. 759 f.). Jener Vorbehalt wurde möglichst eng gezogen; er
wurde gewählt deshalb, weil die kontrahierenden Staaten davon ausgingen,
dass im internationalen Sinne nur diejenigen Einrichtungen mit der
öffentlichen Ordnung zusammenhängen, die ohne Änderung, Zerstörung,
Erschütternng der politischen oder sozialen Grundlagen des Staates nicht
angetastet werden fonnen. Einen derartigen Eingriff in die Hoheitsrechte
der Schweiz (oder eines schweizerischen Kantons) enthält nun die Ladung
eines Privaten vor ein ausländisches Gericht jedenfalls nicht. Die Frage,
ob der ausländische Richter zufiändig gewesen sei, wird erst bei der
Vollstreckung des Urteils aktuell; erst dann kann gegebenen Falles der
Schutz des Art. 59 B.-B. angerufen werden (ng. bundesger. Entscheid vom
9. Februar 1899 in Sachen Espanet gegen Seve, Amtl. Samml., Bd. XXV,
I. Teil, S. 89 ff.)... Ob die internationale Übereinkunft betreffend
Civilprozessrecht mit den Normen der Bundesverfasfung in allen Punkten
vereinbar fei, hat das Bundesgericht gemäss Art. 113 Abf. 3 B.-V. und
Art. 175 Abs. 3 Org.-Gef. nicht zu prüfen. Die vom Appellationsund
Kafsatioshof dem Art. 2 dieser Übereinkunft gegebene Auslegung aber steht
nach dem Gesagten mit Art. 59 B.-V· nicht in Widerspruch Demnach hat
das Bundesgericht ' erkannt: Der Rekan wird abgewiesen.B. Entscheidungen
der Schuldbetreibungs und Konkurskammer.
Arrèts de la Chambre des poursuites et des faillites.
37. Entscheid vom 27. Apri11901 in Sachen Odier und Konforten gegen Vern.
' " ' " ' ' . Steueransprüchss).
Barelli-mg fm offentlzch rechthohe Foz derungen (_ . . _
Nichtemwendbarkeit des Gea-ichtssta-stvertm-ges met F3
mzkzeech. -Betreéòimgsort ; Art. 46 Abs. 1 Schuldàss u. KMS-Ges. Folgen
der Betreibung, Stellung des Betriebenen.
I. Am LG./23. November 1900 erliess dass Betreibnngsamt Biel auf
Begehren der Einwohnergemeinde Viel die Zahlungsbefehle Nr. 14,557
14,588 gegen die nachbezeichneten Parteien als Rechtsnachfolger des in
Biel Verstorbenen, bevogtet gerdesenen Pierre-Henri-Louis Colladon von
Genn, 'l. Jeanne Qdier, 2. Alice Odier, 3. Marguerite-Helene Diner,
4. Marie-E·milie Colladorn 5. die Eheleute Vierte-Zorns Dnnant und
Adrienne geb. Colladonz diese ö Parteien in Genf wohnhaftz 6. Pierte
-Odier, Agronom in Celigny, und 7. Charles Odter, Pfarrer, von Genf, in
Ferney-Voltaire (Frankreich). Die Zahlungsbefehle, die den Betriebenen
durch die Post zugestellt wurden, gaben als Grund der Forderungen an:
Steuern und Nachfteuern der Ein-