616 Civilrechtspfiegc.
vom Gesetze (Art. 3 Fabrikhaftpflichtgesetz) verlangten Nachweis
genüge. Das ist aber zu besahen. Allerdings muss daran festgehalten
werden, dass es bei Klagen aus am. 3 Fabrikhaftpflichtgesetz (Haftpflicht
aus Berufskrankheiten) mit dem dem Kläger obliegenden Beweise nicht
leicht genommen werden darf (vergl. Entsch. des Bundesgerichts,
Amtl. Small-, Bd. XXIII, S. 381). Allein es liegt wohl in der Natur
derartiger Betriebsoder Berufskrankheiten, dass ein ganz absoluter-,
strikter Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen Fabrikbetrieb (Arbeit)
und Erkrankung in vielen Fällen unmöglich geführt werden kann; diese
Fälle mussten aber vom Gesetz vorausgesehen werden, und es war nun gewiss
nicht dessen Meinung, in solchen Fällen die Haftpflicht auszuschliessen
3. Haftet so die Beklagte grundsätzttch für die den Klägern aus
dem Tode des Flückiger entstandenen Folgen, so ist bezüglich des
Quantitativs der von ihr zu leistenden Entschädigung zu bemerfen:
Unterhaltsberechtigt waren zur Zeit des Todes des Flückigers nach der
thatsächlichen Feststellung der Vorinstanz seine Ehefrau, sowie vier
von seinen zehn Kindern An dieser thatsächlichen Fest itellung ist
umsomehr festzuhalten, als die Kläger gegen das vorinsianzliche Urteil
die Berufung nicht ergriffen haben. Ebenso ist das Alter der Ehefrau und
der unterstützungsberechtigten Kinder von der Vorinstanz festgestellt,
und hat sie hievou und vom Verdienst des Flücktger ausgehend, das
Kapital, das den Klägern durch den vorzeitigen Tod ihres Versorgers
entzogen wurde, in richtiger Weise auf 4500 Fr. berechnet. Auch hat
sie mit Recht ausgeführt, dass weder dem Flückiger Selbstverschulden,
noch dem Beklagten Verschulden zur Last gelegt werden könne, und das; ein
Abzug für Zufall nicht gemacht werden dürfe, da es sich um eine
Erkrankung handelt (auf. 5 litt. a Fabrikhaftpflichtgesetz). Zum
Kapital von 4500 Fr. kommen noch die Beerdigung-Kosten im Betrage Von
60 Fr. Bezüglich Zinspflicht besteht kein Streit mehr. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und somit das Urteil
des Obergerichts des Kantons Aargau van 23. Mai 1900 in allen Teilen
bestätigtVl. Schuldheu'eibung und Konkurs N° 78. 617
VI. Schuldbetreibung und Konkurs,
Poursuite pour dettes et faillite.
78, Urteil vom 14. September 1900 in Sachen Moser und Konsorten gegen
Buntweberei Wallenstadt.
Anfechtungsk/aga uns Art. 288 Bahn-Ges. (Deèeklspauliana). Bedeutung
des Art. 289 Pod. für das Bundesgericht. Begriff der
Benztcleteile'gungsbezw. Begünstigmgsabsicht. Erkennbrrrleeil dieser
Absieîzt.
A. Am 3. Oktober 1899 ist über Johann Müller-Liischer in Schöftland,
den einzig unbeschränkt haftenden Teilhaber berKommanditgesellschaft
Mtiller-L1"Ischer & Cie., Blusenund Hemdenfabrik, Mamifakturivarenund
Weinhandlung, in Schöfiland, der Konkurs eröffnet worden, nachdem die
Gesellschaft selbst schon am 23. Mai gl. Jahres in Konkurs gefallen
war. In beiden Konkursen meldete die Buntweberei Wallenstadt eine
Forderung von 9957 Fr. 40 Cis plus Eingabekosten an, nämlich für
Warenlieferungen und Zins 9669 Fr. 50 W;. und für Anwalt-Zkosten
laut besonderer Übereinkunft 287 Fr. 90 Cts. Im Konkurse über Johann
Müller wurde für 6000 Fr. nebst Zins zu ésiU'ss2 00 seit 1. Juli 1898
Pfandrecht auf die Liegenschaft desGemeinschuldners beansprucht, laut
Pfandbrief Vom 8. August 1898. Die Forderung wurde in beiden Konkursen
in Klasse V kolloziert; im Konkurse über Johann Müller wurde auch das
Pfandrecht für die 6000 Fr. nebst Zins anerkannt im dritten Range nach
zwei Forderungen der Aarganischen Bank von 20,000 Fr. und 1200 Fr. nebst
Zinsen und Kosten. In beiden Konkursen gaben auch die Klägetp Jean Moser,
F. Oboussier & Cie. und G. Rufener, laufende Forderungen ein, herrührend
von Warenlieferungen an die Gesellschaft, für die sie beiderorts in
Klasse V angewiesen wurden.
B, Auf dem Wege des Kollokationsprozesses gemäss Art. 2-50Betr.-Ges.
stellten die eben genannten drei Gläubiger gegen die Buntweberei in
Wallenstadt das Begehren: Der Pfandbrief der
'618 Civilrech tspflege.
Beklagten vom 8. August 1898 sei ungültig zu erklären und die auf
denselben gesttitzte Forderung der Beklagten aus der Pfandklasse in die
laufende zu verweisen. Als rechtliches Fundament der Klage bezeichneten
die Kläger in erster Linie den Art, 287 Abs. 1 des eidgen. Betreibungs
Gesetzes, in zweiter Linie den Art. 288, und sie behaupteten, dass in
beiden Richtungen die thatsächlichen Voraussetzungen zur Anfechtung
vorhanden seien. Die Klage wurde erstund mit Urteil vom 20. Juni auch
oberinstanzlich abgewiesen Gegen das obergerichtliche Urteil haben die
Kläger die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, um vor ihm denAntrag
anzunehmen, dass der Titel kassiert merde.
Jin heutigen Vorstande lässt der Vertreter der Kläger die Klage,
soweit sie auf am. 287 Ziff. 1 sich flüge, mit Rücksicht aus das
bundesgerichtliche Urteil in Sachen Fantoli & Cie. c. Comte fréres
(Betreibungsund konkursrechtliche Entscheidungen, Bd. 1], S. î93*) fallen,
behauptet aber, dass die kantonalen Instanzen, indem sie die Klage aus
em. 288 ebenfalls abwiesen, die Akten unrichtig gewürdigt bezw. einen
Rechtsirrtum begangen hätten.
Der Vertreter der Beklagten trägt auf Abweisung der Berufung und
Bestätigung des angefochteneu Urteils an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1 .....
2. Sachlich frägt sich heute einzig noch, ob die Errichtung des
Pfandbrieses vom & August 1898 unter Art. 288 des eidgenösfischen
Vetreibungsgesetzes falle, wonach ohne Rücksicht aus den Zeitpunkt ihrer
Vornahme alle Rechtshandlungen anfechtbar sinddie der Schuldner in der
dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger
zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu
begünstigen.
3. Johann Müller war für die Forderung der Beklagten an die
Kommanditgesellschaft Müller-Lüscher & Cie., als unbeschränkt hastender
Gesellschafter, solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen verhaftet
(Art. 600 und 564 D.M.). Jnsofern war er von Anfang an persönlicher
Schuldner der Beklagten, und wenn er aus seinem privaten Vermögen für
eine Schuld der Gesellschaft
* Amtl. Selma-E., XXV, 2. Tei}, S. 658 EUR?.Vl. Schuldbetr'eihung und
Konkurs. N° 78. 619
Sicherheit bestellte, so versicherte er damit gleichzeitig eine eigene
Schuld. Da nun das Gesellschaftsvermögen nicht hinreichte, um die
Gesellschaftsschulden zu decken, so wurde die private Schuldverpflichtung
wirksam, und es konnte die Forderung, soweit sie noch unbefriedigt war,
im Privatkonkurse des Gesellschafters anlgeuieldet werden (Art· 601
D.M.). In diesem atonkurse wird die Forderung als seine persönliche
Schuld liqutdiert, und erscheint das Pfandrecht, das er bestellte,
und das nunmehr angefochten wird, ja wohl als vom Schuldner der
vzz-ord:3::uiigierrichtet Der von der Beklagten erhobene Einivand,·dass
;5. Muller das Pfandrecht nicht für eine eigene Schuld beitellt habe,
geht demnach fehl. ' _
é. Die Vorinstanz führt aus, es lassen die Verumstandungen nicht einmal
die Vermutung, geschweige denn die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit
zu, dass J Müllerv die Beklagte mit der Beschaffung grundpfändlicher
Sicherheit sur den Betrag von 6000 gr. zum Nachteil der andern Gläubiger
habe begunstigen wollen, und dass eine solche Absicht für die genannte
Glaubigerin erkennbar gewesen wäre. Statt näherer Begrundung dieser
cSchlusse verweist das Obergericht aus die Betrachtung der ersten
Jiistanzsp
die ihrerseits bemerkte: Allerdings habe die Firma Müller-Lüscher
& (Sie., als die Beklagte Betreibung anhob, d. h. anfangs Marz 1898,
eine bedeutende Unterbilauz gehabt. Aber zugener Zeit und bis zur
Pfandbriefbestellung sei für den geschastsleitenden Teilhaber Müller
die Lage nicht unter allen Umstanden hoffnungslos gewesen; sein ganzes
Gebahreii spreche dasurf dag, er immer noch nicht die Möglichkeit
ausgegeben hatte, sich weiter halten zu können, und da sei es sehr nahe
gelegen, dass neinversuchte, sich mit dem weitaus grössten Glaubiger zu
veritandigen. zlicht die Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligenzoder
die Ver klagte zum Nachteil anderer zu begünsttgem habe ihn 'dîxzussI
ge1 führt, vier Monate bevor er sich zum Gesuche um Nach aszs dunnung
entschlossen, seine Liegenschast der-Bellagten zu begangen, wohl aber
das Bestreben, diesen Gläubiger, den er m ersterAksnie zu fürchten hatte,
zum Schweigen zu Bringen. Nach der edulage könne auch nicht als erwiesen
betrachtet werdenikq dass ie Beklagte zu dem Schlusse gekommen sei,
dass m der Handlung
620 Civilrechtspflege.
des Schuldner-s die Absicht bezw. der Wille bestand, sie zum Nachteil
anderer Gläubiger zu begünstigen. Diese Ausführungen sind nicht
ausschliesslich thatsächlicher Natur, sondern enthalten gleichzeitig
das Urteil darüber, ob bei J. Müller eine Benachteiligungsund
Begünstigungsabsicht obgewaltet habe, und ob eine solche Absicht für die
andere Partei erkennbar gewesen sei. Dieses Urteil nachzuprüfen, muss dem
Bundesgerichte vorbehalten sein, da es Fragen des Rechts find, was das
Gesetz unter der Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne
Gläubiger zu begünstigen, verstehe, und wann im allgemeinen anzunehmen
fei, dass eine solche Absicht für die andere Partei erkennbar war.
Darau, dass das Bundesgericht an den kantonalrechtlich festgestellten
Thatbestand gebunden ist (Art. 81 Org.-Ges.), muss ja allerdings auch
in Aufechtungsprozesfen festgehalten werden Allein die Gebundenheit
erstreckt sich nur auf die thatsächlichen Clemente, auf das, was an
thatsächlichem Material die Parteivorbringen und die Beweisführung zu
Tage gefördert haben, während die Schlussfolgerungen, die hieraus im
Hinblick auf die Frage der Anfechtbarkeit gezogen wurden, weil dabei
eben auch rechtliche Auffassungen und Fragen der Gesetzesiuterpretation
mitfpielery der Nachprüfung des Bundesgerichts unterstehen müssen. In
diesem Sinne darf Art. 289 Betr.-Ges., der vorschreibt, dasz der Richter
bei Anwendung der Art. 286 bis 288 unter Würdigung der Umstände nach
freiem Ermessen urteile, auch für die bundesgerichtliche Instanz
eine Bedeutung beanspruchen Wird nun hievon ausgegangen, so springt
zunächst sofort in die Augen, dass die Vorinstanzen den Begriff der
Benachteiligungsbezw. Begünstigungsabsicht zu eng gefasst haben. Jn
der That ist diese nicht nur dann anzunehmen, wenn der eigentliche,
nächste Zweck eines Geschäftes die Benachteiligung der übrigen Gläubiger,
bezwB die Begünstigung eines einzelnen war, sondern schon dann, wenn
die Benachteiligung oder Begünstigung als normale Folge des Geschäftes
vorhergesehen werden musste (ng. Amtl. Samml. der bundesgerichtL
Entscheidungen, Bd. XXIII, S. 738). Dass aber diese Voraussetzung hier
zutrifft, kann nach den Verumständungen nicht zweifelhaft sein. Das
Geschäft hatte bis zum Frühjahr 1898 der Kollektivgesellschaft Müller und
Lüscher gehört, aus der dannVI. Schuldbetreihung und Konkurs. N° 78. 621
der eine unbeschränkt haftende Gesellschafter Zusehen der Schwieger-
vater des J. Müller, als solcher ansschied, um bloss noch Kommanditär
zu bleiben Nachdem die Firma schon im Jahre 1897 mit ihren Gläubigern
über einen Nachlassvertrag verhandelt hatte, gerieten Müller und Lüscher
bezw. Müller-Lüfcber & (Sie. seit anfangs 1898 wiederum in bedenkliche
Zahlungsschwierigkeiten. Sie liessen mehrfach Wechsel zurückgehen und
schon vor dein August 1898 wurden sie für mehrere Posten triebrechtlich
belangt. Gegen alle Zahlungsbefehle schlug die Firma Recht vor, und liess
es zu Prozeser kommen, die durchwegs verloren gingen. Ein solches Gebahren
lässt sich nur aus einer schlimmen, ja vertzweifelten finanziellen Lage
erklären; denn was dadurch an Zeit gewonnen werden mochte, gieng an
Geschäftskredit, Kosten u, s. w. verloren. Keinenfalls war auf solche
Weise eine Sanierung der Verhältnisse zu erreichen. Thatsächlich kam es
auch immer schlimmer. Am 20. April wurde der Firma gerade für die bereits
am 2. März in Betreibung gesetzte Forderung der Beklagten der Konkurs
angedroht. Dasselbe geschah am 12. August für eine andere Forderung
Gleichzeitig wurde damals das Begehren unt Ausnahme eines amtlichen
Inventars gemäss Art. 83 Betr.-Ges. beantragt und am 23. gl. Mts. vom
Gerichte bewilligt. Dasselbe ergab einen Überschuss der Passiven von
43,000 FrszEin Begehren auf Aufhebung des Verzeichnisses, das die Firma
rarn 3. November stellte, wurde abgewiesen, wesentlich mit Rücksicht auf
das Geschäftsgebahren der Firma und im Hinblick darauf, dass auch von
anderer Seite die Aufnahme des Güterverzeichmsses verlangt war. Den von
verschiedenen Gläubigern anbegehrten Konkurs wusste die Firma dann durch
Einleitung von Nachlassverhandlungen bis zum März 1899 hinanszuzögern. Der
Firmakonkurs erzeigte, die Forderungen und Einlagen des Komnrandiears
Lüscher nicht ein-gerechnet, auf 27,000 Fr. Aktnkem ein Defizit von
circa 20,000 Fr. Der Konkurs der Gesellschaft mühte auch denjenigen
des Unbeschränkt haftenden Teilhabers nach sich ziehen. Denn dieser
besass keine eigenen Mittel mehr, die es Ihm gestattet hätten, sich zu
halten. Seine auf 27,813 Fr: geschatzte Liegenschaft war abgesehen von
der Verschreibung fur die Peklagte für über 22,000 Fr. hypotheziert,
und dem noch dis-
622 Civilrechtspflege.
poniblen Schatzungswert standen andere persönliche Schulden in erheblich
höherem Betrage gegenüber. Für eine solche war ihm denn auch schon
im Februar 1898 der Konkurs angedroht worden. Nach dem allem konnte am
8. August 1898 die Hoffnung des Z. Müller, die Firma und sich vor dem Ruin
zu retten, nur noch eine sehr geringe sein, und es musste derselbe damit
rechnen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach innert nicht allzulanger Frist
das Geschäft werde liquidiert werden müssen, wobei natürlich Verluste
der Gläubiger in sicherer Aussicht standen. Die Situation wurde auch von
Dritten, die einigen Einblick in die Verhältnisse hatten, als schlimm
betrachtet. Schon am 6. Juli 1898 schrieb der Vetreibungsbeamte von
Schöftland einem Gläubiger, der Betreibung eingeleitet hatte: Machen
Sie sich auf einen Rechtsvorschlag gefasst, da dies bei dieser Firma
Mode ist. Nach meinem Dafürhalten wird das Geschäft vor Jahresschluss
futsch sein, und soll der Konkurs aus gewissen Gründen um wenigstens 3
Monate hinausgeschoben werden Gleich wird die Lage und die Aussicht
für die Zukunft geschildert in den amtlichen Berichten, die das
Vezirksgericht Kulm vor der Beurteilung des Begehrens um Veranstaltung
eines amtlichen Inventars von dein Betreibungsamte Schöftland und dein
dortigen Friedensrichter, der vorher Betreibungsbeamter gewesen war,
einholte. In den Berichten wird der Vermutung Raum gegeben, dass auch
der Austritt des, einen Gesellschafters aus der Firma eine Schädigung
der Gläubiger bezwecke, und es erscheint dies nach der Sachlage
nicht als unwahrscheinlich insofern, als versucht werden mochte, die
Schulden der frühern in solche der neuen Gesellschaft umzuwandeln,
und den ausscheidenden Gesellschafter der Bestimmung in Art. 585O.-R.
teilhaftig werden zu lassen. Wenn es nun auch richtig sein mag, dass
die Pfandbestellung vom 8. August 1898 in erster Linie dem Bestreben
entsprang, den hauptsächlich drängenden Gläubiger zum Schweigen zn
bringen, so muss doch, da nur noch eine ver-schwindend geringe Aussicht
vorhanden war, dass sich die Firma und J. Müller persönlich vor dem
ökonomischen Zusammenbruch würden retten können, gesagt werden, dass
eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger als höchst wahrscheinliche
Folge jenes Geschäftes erkannt werden musste, womit das erste Erfor-VL
Sehuldbetreibung und Konkurs. N° 78. 623-
dernis der Anfechtdarkeit derselben gegeben ist. Die fraudulöse Absicht
war ferner auch für die Beklagte erkennbar. Es ist zu bedenken, dass für
den innern Vorgang und Zustand des Erkennens einer Absicht ein direkter
Beweis selten wird erbracht werden können, weshalb es genügen mug, wenn
dargethan iii dass nach allen Verhältnissen jene Absicht bei gewöhnlicher
Aufmerksamkeit erkannt werden konnte (s. Amtl. Sommi. der bundg. Entsch.,
Bd. XXI, S. 286 f.). Soviel liegt aber hier zweifellos vor: Nachdem die
Beklagte im Januar 1898 einen Wechsel für eine Abschlagszahlung auf ihre
bedeutende Forderung von circa. 10,000 Fr. zurückerhalten, und nachdem
ihr Zahlungsbefehl vom 2. März 1898 mit einem Rechtsvorschlag beantwortet
worden war, mussten sich bei ihr Zweifel über die Einbringlichkeit der
Forderung erheben, und zwar war zu vermuten, dass nicht nur die Firma,
sondern auch der unbeschränkt hastende Teilhaber JMüller zahlnngsnnfähig
sei, da in solchen Verhältnissen erfahrungsgemäss das verfügbare private
Vermögen des Gesellschafters im Interesse der Gesellschaft verwendet
oder für Kredite ge bunden wird. Dass sich die Beklagte Überhaupt eine
Sicherheit geben liess, die nach Art. 287 Abs. 1 Betr.-Ges., wenn der
Konkurs innert sechs Monaten ausbrach, ohne weiteren Nachweiseines
subjektiven Verschuldens aufgehoben werden konnte, spricht gegen ihren
guten Glauben, um so mehr, als es schon an sich ausfällt, wenn sich
ein Fabrikationsgeschäft für Warenlieferungen eine Hypothek bestellen
lässt. Es ist ferner bezeichnend, dass die Hypothek nicht für die ganze
Forderung, sondern nur für den Betrag errichtet wurde, der durch den
Schatzungswert der Liegenschaft, soweit er noch nicht belastet war,
gedeckt wurde. Es muss angenommen werden, dass vor dem Abschluss des
Geschäftes der Beklagten bezw. ihrem Anwalt, der sie in dieser Sache von
Anhebung der Betreibung an vertreten und für dessen objektives Handeln und
subjektives Verhalten sie natürlich einzuftehen hat,. darüber Aufschluss
erteilt worden i, dass die Firma als solche keine verfügbaren Aktiven
mehr besitze und dass jener nicht hypothezierte Teil der Liegenschaft das
einzige disponible Vermögen des Teilhabers Miiller sei. Und anderseits
war es gewiss der Beklagten nicht unbekannt, dass die Firma auch noch
andere Schul-
624 Civilrechtspflege.
ben hatte und dasiir teilweise bedrängt wurde. Jhr Anwalt war selbst schon
vor dem August 1898 von mehreren andern Gläubiger-n mit der gerichtlichen
Geltendmachung von Forderungen beauftragt, und er wusste von daher, dass
die Firma Müller-Lüscher & (Sie. durch Erhebung von Rechtsvorschlägen Zeit
zu gewinnen suchte. Bei einiger Überlegung musste er und musste seine
Klientin sich sagen, dass der Abschluss eines Sicherungsgeschästes für
einen der Gläubiger ja wohl eine Schädigung der übrigen herbeiführen
könne, womit auch das Erfordernis der Erkennbarkeit der sraudulösen
Absicht auf Seite der Beklagten gegeben ist. Demnach hat das Bundesgericht
erkannt: Die Berufung wird gutgeheissen und demgemäss unter Aushebung
des Urteils der Vorinstanz den Klägern ihr Klageschluss zugesprochen.
VII. Organisation der Bundesrechtspflege.
Organisation judiciaire fédérale.
79. Entscheid vom 6. Juli 1900 in Sachen Kläusli und Rutishauser gegen
Thomas·
si-Berufung. Läuft dem Litiedenemziaten eine eigene Berufungsfrisé oder
gilt für ilm die Fe'ist, dee seinem Litisdenzuezimeàen eröffnet ist? Art.
63 Zifiî 4, 65 Abs. 1, 85 Org.-Ges.; Art. 11 Abs-Z eidg. {LP.-0.
Das Bundesgericht hat,
da sich ergeben:
A. Durch Urteil vom 27. März 1900 hat die I. Appellations-kammer des
Obergerichts des Kantons Zürich erkannt: ss 1. Der Beklagte ist schuldig,
dem Kläger 2500 Fr. zu bezahlen. Die Mehrforderung wird abgewiesen.
2. Die Widerklage wird als gegenstandslos betrachtet
B. Gegen dieses, ihm am 24. April 1900 mitgeteilte, Urteil hat der
Beklagte am 14. Mai 1900, also rechtzeitig, die Beru-VII. Organisation
der Bundesrechtspflege. N° 79. 625
sung an das Bundesgericht ergriffen, mit den Anträgen: Die Klage sei
abzuweisen, eventuell sei die Klage nur im Betrage von 1000 Fr., weiter
eventuell in demjenigen von 1300 Fr. gutzuheissen; weiter eventuell seien
die Akten zu ergänzen durch die verlangten Zeugenbefragungen und Expertise
darüber, dass die Verfehlungen des Klägers als Architekten solche
gewesen seien, welche die sofortige Aufhebung des Anstellungsvertrages
gerechtfertigt haben. Sodann seien die Akten: Klänsli gegen Raushauser
und diejenigen Gremli gegen Kläusli beizuziehen. Endlich beantragt er, es
sei in Anwendung des am. 73 Abs. 2 Org.: Ges. eine mündliche Verhandlung
anzuordnen, obschon der Streitweri wenn man die Anzahlung von 2000
Fr. nicht in Betracht ziehe den Betrag von 4000 Fr. nicht erreiche.
C. Durch Eingabe vom 14. Mai 1900 hat alsdann der Linsdenunziat
des Beklagten gegen das Urteil der Appellationskammer, das ihm am
18. gl. Mis. auf sein Verlangen schriftlich mitgeteilt wurde, ebenfalls
die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er stellt mit Eingabe vom
7. Juni 1900 dieselben Anträge wie der Beklagte und fügt dieser zweiten
Berufungserklärung, die erst die Anträge enthält, eine sie begründende
Rechtsschrift hei.
D. Der Vertreter des Klägers beantragt: Die Berufung des Beklagten sei
zu verwerfen, weil sie nicht in gesetzlicher Form eingelegt sei (indem
ihr eine Begründungsschrist mangle); aus diejenige des Litisdenunziaten
sei nicht einzutreten, da sie verspätet eingereicht sei, indem für den
Litisdenunziaten keine spezielle Rechtsmitelsrist laufe; ' in Erwägung:
1. (Hier wird ausgeführt, dass aus die Berufung des Beklagten nicht
einzutreten sei, da sie, obschon der Streitwert den Betrag von 4000
Fr. nicht erreiche, der schriftlichen Begründung entbehre [Art. 67
Abs. 4 Org.-Ges.].)
2. Bei der Berufungserklärung des Litisdenunziaten des Beklagten, die
erst am 7. Juni 1900 sormrichtig eingelegt worden ist (während auf die
Erklärung vom 14. Mai 1900 keine Rücksicht genommen werden kann, da sie
keine Berufungsanträge enthalt), fragt es sich dagegen, ob sie innert
der gesetzlichen Frist erklärt worden fei; und die Entscheidung dieser
Frage hängt davon
xxv1, 2. 4900 M