248 Civilrechtspflege.

35. Urteil vom 5. April 1900 in Sachen Wernli gegen Ackermann.

Bürgschaft für die dem Pächter obliegfflden Verpflichtzmssgerz. Auflösung
der Pacht infoège Konkusiessses des Pdchters, Art. 315 {).-R. Klage
des Vefpäckters gegen die Bürgen. Ei-nrede cms Art. 508 0.-H. Das
Retenîionsrecht des Verpe'z'chters ist Sicherheit im Sinne dieses
Artikeis. Art. 502 and 503 ead. Umfang der Verpflichtung der Burgas.

A. Durch Urteil vom Z. November 1899 hat das Obergericht des Kantons
Aargau erkannt:

Die Beklagten sind mit ihrer Appellation abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten, unter Einreichung einer
Rechts-schrift, die Berufung an das Bundesgericht erklärt, und den Antrag
gestellt, es sei in Aufhebung desselben die Klage abzuweisen. Die Kläger
beantragen in ihrer Beantwortungsschrift, es sei die Berufung abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Kläger (Frau Ackermann und Kinder) haben durch Vertrag vom
7. April 1892 dem Johann Jakob Wernli in Brunegg ein Heimwesen im Dorfe
Hendschikon um einen jährlichen Pachtzins von 1080 Fr., zahlbar in zwei
Hälften auf 1. Dezember und 15. März, auf sechs Jahre, d. h. bis 31. März
1898, verpachtet In Art. 10 des Vertrages ist bestimmt: Der Pächter
hat die von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten durch zwei habhafte
Bürgen zu bersichern, welche in solidum zu haften sich verpflichten für
alles, was der Pächter nach diesem Vertrage nicht selbst erfüllt. Auf
Verlangen der Verpächter haben die Pachtbürgen die Pacht selbst nach
Inhalt dieses Vertrages zu vollenben." Diesen Pachtvertrag haben ausser
den Kontrahenten die beiden Beklagten (Samuel und Johann Wernli) als
solidarische Pachtbürgen unterzeichuet. Am 16. Dezember 1897 wurde über
den Pächter der Konknrs eröffnet. In diesem Konkurs machten die Kläger
folgende Forderungen geltend:Il. Obligutionem-ch. N° 35. 249

a. reftanzlicher Pachtzins verfallen 31. März 1895 Fr. 936 28 b, Pachtzins
verfallen 31. März 1896 . . . 1080 C. u 1897 *
1080 _ s re 1898 * ' * 1080 "" . Betreibungs-, Retentionsu.
Steigerungskosten 15 32

Zusammen Fr. 4191 60 und beanspruchten für die Pachtzinse der Jahre
1896/1897 und 1897/1898 das Retentionsrecht. Das Konkursamt anerkannte
die letzte Pachtzinsforderung unter Berufung auf Art. 315 O.-R.
nur für die Dauer vom 1. April 1898 bis zur Konkurseröffnung, und
rechnete demgemäss für die Zeit vom 16. Dezember 1897 bis zum 31. März
1898 einen Betrag von 315 Fr. ab. Als retentionsberechtigt anerkannte
es die Pachtzinsforderungen vom 31. März 1896 bis zur Konkurserösfnung
(1845 Fr.), sowie die Kostenforderung von 15 Fr. 32 Cis. Die restierende
Pachtzinsforderung wurde (nach Abzug einer Gegenforderung von 79 Fr. 74
Cis. = 1936 Fr. 54 Cis.) in die V. Klasse verwiesen. Ein Begehren der
Verpächter, ihnen als Entschädigung für die vorzeitige Auflösung des
Pachtvertrages dasjenige Quantum Futter und Stroh, welches über das
angetretene hinaus vorhanden war, zu überlassen, wurde vom Konkursamt
abgewiesen, dafür aber eine Entschädigungsforderung im Betrage von 315
Fr. wegen Nichterfüllung des Pachtvertrages für die Zeit vom 16. Dezember
1897 bis 31. März 1898 in die V. Klasse aufgenommen Die Kläger kamen auf
der retentionsberechtigten Forderung mit 27 Fr. 57 Età, sowie gänzlich
mit den in V. Klasse kollozierten Forderungen von 1936 Fr. 54 Ets. und
315 Fr. zu Verlust. Sie belangten nun die Beklagten, gestützt auf die von
diesen eingegangene Bürgschaft, auf Bezahlung ihres ungedeckt gebliebenen
Forderungsbetrages, den sie auf 2251 Fr. 40 Cis. bezifferten, samt Zins
zu 50/0 seit 1. Juli 1898 (Datum des Verlustscheines). Die Beklagten
anerkannten, den Klägern für den Ausfall an der retentionsberechtigten
Pachtzinsforderung im Betrage von 27 Fr. 57 Ets, ersatzpflichtig zu sein;
im Übrigen bestritten

d e

sie die Klage, indem sie einwendeten: Die Verpächter haben Den

Schaden an sich zu tragen, der ihnen durch den Verlust der Pachtzinse
pro 31. März 1895 und 1896 entstanden sei, weil

250 Civilrechtspflege.

sie es unterlassen haben, diese Pachtzinse einzuziehen und sich damit
das dafür bestehende Retentionsrecht, _ eine Sicherheit im Sinne des
am, 508 O.-Ji. entgehen liessen. Sie hätten es in der Hand gehabt,
diesen Schaden abzuwenden, indem sie bloss nach Art. 312 O.-R. hätten
vorzugehen brauchen. Jedenfalls wären sie gehalten gewesen, den
Bürgen von der Nichtzahlung der Pachtzinse Anzeige zu machen,
um ihnen damit die Gelegenheit zu geben, ihrerseits nach Art. 503
D.M. vor-zugehen Die Forderung von 315 Fr. sei unbegründet: nach
Art. 10 des Pachtvertrages haften die Burgen nur für die vom Kridaren
eingegangenen Verbindlichkeiten, also für die Pachtzinse, und auch für
diese nur bis zum Betrage des laufenden und eines verfallenen Zinses,
wie dies in Art. 499 O.-·R. festgesetzt sei. Auf die Vereinbarung,
wonach die Bürgen aus Verlangen der Verpächter die Pacht selbst zu
vollenden haben, können sich die Kläger nichz stützen, weil diese an
die Bürgen niemals das Begehren gestellt haben, dass sie die Pachtzeit
zu 31. s eärz 1808 vollenden, ip_: dann es dabei bewendet sein liessen,
den Burgen (durch Anzeige vom 7. Januar 1898) mitzuteilen, dass sie sich
bezüglich der in Rede stehenden Vertragsbestimmung auf Unterhandlungen
einlassen und unter gewissen Bedingungen auf ihren Anspruch verzichten.
Die beiden kantonalen Jnfianzen haben diese Einwendungen der Beklagten
als nicht stichhaltig erachtet, und demgemäss die Klagesumme im vollen
Umfange, mit Zins zu 5 0/0 vom 9. September 1898 an (alè Tag der gegen
die Beklagten angehobenen Betreibung), gutgeheissen.

2. Nach Art. 508 O.? . ist der Gläubiger dem Bitt-gen dafür
verantwortlich, dass er nicht zu dessen Nachteil die bei Eingebung der
Bürgschaft vorhandenen, oder vom Hauptschuldner nachträglich erlangten
anderweitigen Sicherheiten vermindere. Dass diese Vorschrift sich auch
auf die dem Vermieter oder Verpächter zustehenden Retentionsrechte
erstrecke, ist zu Unrecht aus dein Grunde in Abrede gestellt worden,
weil dieselbe nach Fassung und Zweck nur solche Sicherheiten beschlage,
über die der Regel nach dem Gläubiger die Verfügung zustehe, welche
Voraussetzung beim Renntionsrecht nicht zutreffe (i. Urteil des hernischen
Appellationsund Kassationshoses, mitgeteilt in Revue der Gerichtspraris
imIl. Obligationenrechi. N° 35. ' 251

Gebiete des Bundescivilrechtes, Bd. 14, Nr. 89). Allerdings hat der
Vermieter oder Verpächter regelmässig die seinem Retentionsrechte
unterliegenden Sachen des Mieters oder Pächters nicht tm vBesitz
(i. Sträuli, Das Retentionsrecht, S. 96); er hat somit in der Regel, bevor
die Retention vollzogen ist, keine Versugungsgewalt über dieselben; allein
dieser Umstand nötigt keineswegs zu der Annahme, dass das Retentionsrecht
des Vermieters oder Verpächters nicht zu den Sicherheiten des Art. 508
cit. gehöre. Denn unter diesen Sicherheiten sind nicht etwa bloss
die Forberlichen Gegenstände, auf die der Gläubiger zur Befriedigung
seiner Forderung greifen darf, zu verstehen; der allgemeineBegrtff
der Sicherheit Umfsg vielmehr die Gesamthpie her mmlichen Beziehungen,
welche dem Gläubiger eine Gewähr für die W für seine Forderung Bieten,
wie denn auch zweifellos der Gläubiger dem Bürgen nach Art, 508
dafür verantwortlich Tied, dass er zu dessen Nachteil einen solventen
Mitbüraen riqu machtia aus der Bäraschaft entläfet ngL Hasner, Komment.
zum Obligationenrecht, Art. 508 Anm. öz bundesger. Entsch Amtl. Santini.,
Bd. 20, S. 617 Erw. 8). Hievon ausgegangen, kann es für die Frage, ob
das Retentionsrecht des Vermieters oder Verpächters als Sicherheit im
Sinne des am, 508 anzu= sehen sei, nicht darauf ankommen, ob die dem
Retentionsrecht unterliegenden Gegenstände in der Verfügungsgewalt des
Retentionsberechiigten stehen oder nicht, sondern es frägt sich einzig,
ob das Retentionsrecht selbst, die Berechtigung des Vermieters oder
Verpächters, unter Umständen aus gewisse Gegenstände seines Schuldners
zu greifen, derart der Disposition seines Inhabers anheimgestellt sei,
dass bei dessen Untergang oder Verminderung von einer Haftbarkeit dem
Burgen gegenüber die Rede sein farm. Dies ist aber unzweifelhaft zu
bejahen, indem die Ausübung des Reteniionsrechtes ausschliesslich in die
Hand des Gläubigers gelegt ist, der Bürge aber an der Wahrung desselben
ebenso ein Interesse hat, wie an der Wahrung anderweitiger Sicherheiten.
(Vgl. auch Hafner, Komment. zum Obligationenrecht, a. a. O.;

Schneider und Fick, Kommentar zu Art. 508 Anm. 10).

Z. Im vorliegenden Falle haben jedoch die Kläger das ihnen zustehende
Retentionsrecht nicht preisgegeben und auch nicht ver-

"2-52 Civilrechtspflege .

mindert. Sie haben es, wie auch die Beklagten anerkennen, vollständig
ausgeübt. Die klägerische Forderung ist durch die Ausübung des
Retentionsrechtes soweit gedeckt und dadurch die Bürgschastsschuld
soweit gekürzt worden, als die Sicherheit, die es bot, überhaupt
reichte. Dass die Kläger für ihre Forderung trotz ihrem Retentionsrecht
nicht völlig befriedigt wurden, hatte seinen Grund lediglich darin,
dass mehr Pachtzinse aufgelaufen waren, als durch das Retentionsrecht
hätten gedeckt werden können. Der Nachtetl, für den die Bürgen die
Kläger verantwortlich machen, beruht demnach nicht daraus, dass diese
die vorhandene Sicherheit vermindert, sondern dass sie von derselben
nicht so rechtzeitig Gebrauch gemacht haben, dass dieselbe zur Deckung
ihrer Forderung vollständig ausgereicht hatte. Denn es wäre den Klägern
allerdings möglich gewesen, durch sofortige Beschreitung des Rechtsweges,
nachdem der Pächter mit der Bezahlung eines Pachtzinses in Rückstand
geraten war, und eventuell durch ein Vorgehen nach Art. 312 Abs. 1
O.-R. der Gefahr vorzubeugen, dass mehr Pachtzinse auslaufen, als durch
das Retentionsrecht gedeckt sein würden. Eine Verpflichtung der Kläger,
dies von sich aus im Interesse der Bürgen zu thun, lässt sich jedoch
weder aus Art. 508 noch Überhaupt aus der Stellung des Gläubiger-s zum
Bürgen, wie sie im Bundesgesetz über das Obligationenrecht geordnet ist,
ableiten. Die Frage, inwieweit der Gläubiger dem Interesse des Bürgen
an rechtzeitiger Beitreibung der geschuldeten Hauptleistung, oder
an rechtzeitiger Aufkündung des Schuldverhältnifses gerecht zu werden
verpflichtet fei, ist besonders geregelt in Art. 502 und 503 O.-R. Danach
wären die Kläger allerdings verpflichtet gewesen, nach Eintritt der
Fälligkeit der einzelnen Pachtzinse aus Verlangen der beklagten Burgen
diese Zinse gemäss Art. 503 Abs. i DAR. rechtlich geltend zu machen,
und den beschrittenen Rechtsweg ohne Unterbrechung fortzusetzen. Bevor
dieses Verlangen an sie gestellt wurde, brauchten sie es jedoch nicht
zu thun; und da die Beklagten die Beitreibung der Pachtzinse, für welche
das Retentionsrecht entgangen ist, von den Klägern nicht verlangt haben,
besteht auch kein Rechtsgrundweshalb ihnen diese für das Versäumte
verantwortlich wären; denn dazu, den Bürgen etwa von dem Rückstand,
in dem sichIl. Obligationenrecht. N° 35. 253

der Pächter mit der Bezahlung der Pachtzinfe befand, Anzeige zu machen,
waren die Kläger weder gesetzlich noch vertraglich verpflichten

4. Was endlich die von der Konkursverwaltung in die V. Klasse aufgenommene
und gänzlich zu Verlust geratene Forderung von 315 Fr. für Pachtzins
von der Konkurseröfsnung an bis zum Ende der vertraglich vereinbarten
Pachtzeit anbetrifft, so haben die Beklagten ihre Zahlungspflicht
lediglich aus dem Grunde bestritten, weil die Kläger von ihnen die
Vollendung der Pacht an Stelle des Pächter-Z nicht verlangt haben, so
dass sie auch für den daherigen Pachtzins nicht aufzukommen brauchen.
Nun stützt sich aber der gegen die Beklagten erhobene Ersatzanspruch
nicht auf die von diesen eingegangene Verpflichtung, auf Verlangen der
Verpachter die Pacht selbst zu vollenden, sondern aus ihre Verpflichtung
den Verpächtern für alle Leistungen,.dte aus dem Pachtvertrag dem
Pächter obliegen, einzustehen. Kraft dieser von den Beklagten übernommenen
Bürgschast haften diese daher ganz abgesehen davon, ob ihre Verpflichtung,
die Pacht eventuell selbst zu vollenden, existent worden sei den Klägern
auch für die in Rede stehende Entschädigung, es wäre demi, dass der
Hanptschuldner selbst diese Entschädigung nicht schulden würde. Hieran
haben die Beklagten jedoch nicht abgessstellt; sie haben niemals
behauptet, dass die daherige Forderung zu Unrecht in den Kollokationsplan
ausgenommen worden sei, und damit stillschweigend anerkannt, dass der
Hauptschuldner den Klägern als Ersatz des aus die unbeendigte Pachtzeit
entfallenden Pachtzmses eine Entschädigung in genanntem Betrage schulde;
Ha sich ihre Bürgschaft nach dem Bürgschaftsvertrage auch auf diese Schuld
erstreckt, sind sie somit verpflichtet, den Klägern den vollen Betrag,
mit dem diese im Konkurse des Hauptschuldners zu Verlust gekommen sind,
zu ersetzen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Die Berufung der Beklagten wird
als unbegründet abgewiesen

und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 3. November 1899
in allen Teilen bestätigt.

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Dokument : 26 II 248
Datum : 05. April 1900
Publiziert : 31. Dezember 1901
Quelle : Bundesgericht
Status : 26 II 248
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 248 Civilrechtspflege. 35. Urteil vom 5. April 1900 in Sachen Wernli gegen Ackermann.


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
retentionsrecht • beklagter • pacht • pachtzins • burg • weiler • bundesgericht • schaden • aufhebung • aargau • frage • konkursamt • zins • thun • beendigung • dauer • ersetzung • entscheid • vertrag • kantonales rechtsmittel
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