154 cirilrechtsptlege.

21. Urteil vom 30. März 1900 in Sachen Bucher gegen Unfallund
Haftpflichtversichernngsgesellschast BMW-

Hofalfrsrsicharmeg. Kompetenz des Bundesgesirickts, Art. 56 Org.Ges.
und Art. 896 ().-R. Ausnutzle neuer Bew'eismittel nor Bun-- desgericht,
Art. 80 Org.-Ges. Auslegung der Versicfzerungspolice. Ist Schaden
die Folge eines durch den deklarierten Betrieb entstandenen Unfalles
? Umfang der Gefahrsübernaäme.

. Durch Urteil vom 28. Dezember 1899 hat das Obergericht des Kantons
Luzern erkannt:

Die Klage sei des gänzlichen abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil haben die Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erkärt, und die Anträge gestellt:

1. Es sei durch den Instruktion-seichter vor Behandlung des Prozesses
im Plenum des Gerichtes ein Lokalaugenschein vorzunehmen

2, Das Urteil sei abzuändern in dem Sinne, dass die eingeklagte Forderung,
4201 Fr. nebst Zins seit 15. Februar 1898, den Klägern gerichtlich
zugesprochen werde, eventuell nach richterlichem Ermessen. ss

C. In der heutigen Hauptverhandlung erneuert der Anwalt der
Berufungskläger seinen Antrag auf Gutheissung der Klage; der Anwalt
der Beklagten bestreitet die Kompetenz des Bundesgerichts, da das
bürgerliche Gesetzbuch des Kantons Luzern auch den Versicherungsvertrag
regte, wenigstens insoweit, als § 528 desselben bestimme, die
Versicherungsverträge seien nach den Grundsätzen zu beurteilen, die von
den Verträgen überhaupt und von der Vertragsart insbesondere gelten,
welcher sie am nächsten kommen. Danach finde gemäss Art. 896 O.-R. das
kantonale Recht Anwendung Eventuell beantragt er Abweisung der Berufung
und Bestätigung des angesochtenen Urteils.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Rutger, Johann Bucher, Vater, in Nebikon, Kanton Luzern, hat im
Jahre 1896 mit der Beklagten einen Versicherungsvertrag abgeschlossen,
laut welchem ihm diese, aus Grund des eingereichten Versicherungsantrages
und der darin gemachtenIV. Ohligationenrecht. N° 21. 155

Angaben, sowie nach Massgabe der in der Police abgedruckten allgemeinen
Versicherungsbedingungen, Versicherung zu Gunsten des in seinem
Zimmereigeschäfte angestellten und beschäftigten Arbeitspersonals,
einschliesslich seines Sohnes Johann, gegen Betriebsunsälle
gewährte. Laut § 2 der allgemeinen Versicherungsbedingungen gilt
als Unfall im Sinne der Versicherung eine durch den deklarierten
Betrieb verursachte und vermittelst plötzlicher Einwirkung äusserer
Gewalt eintretende Körperbaietzung. Der vom Kläger eingereichte
Versicherungsantrag bezeichnet als Gegenstand des Betriebes: Zimmerei,
und enthält auf die Fragen: Mit welchen Hülfsniitteln wird die
Arbeit betrieBen? Sind namentlich Maschinen mit Dampf-, Windoder
Wasserkrast, Elektrizitätsmotoren, sowie Fahrstühle in Benutzung?
Sind etwa Kreis-sagen oder andere Holzbearbeitungsmaschinen im
Betriebe ? die Antwort: Handbetrieb. 1 Bandsäge mit HandBetrieb. Das
Antragsforcnular trägt die Überschrift: Antrag für Kollektivversicherung
gegen Berussunfälle. Am ò. Januar 1898 verbrachte der Sohn Johann Bucher
eine Anzahl Laden in die nahe liegende Sägerei eines Konrad Bucher, um
sie dort behufs sofortiger Verwendung bei einem Neubau sräsen zu lassen.
Er beteiligte sich (wie die erste Instanz feststellt, entgegen soustiger
Gewohnheit) beim Fräsen, indem er die Laden auf den Fräsentisch plazieren
hals. Aus nicht festgestellter Ursache geriet er mit der rechten Hand
in die Zirkularsäge, wodurch diese Hand verstümmelt wurde. Gestützt auf
den mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag forderten
nun Johann Bucher, Vater und Sohn gemeinsam von derselben eine
Enschädigungssumme im Betrage von 4201 Fr. nebst Zins seit 15. Februar
1898. Neben andern Einwendungen machte die Veklagte geltend, dass die
Verletzung nicht im Betriebe des in der Police bezeichneten Gewerbe-s
erfolgt sei, und dass es sich überdies um eine Verletzung durch
Maschinenbetrieb handle, während im Versicherungsantrag ausdrücklich
gesagt sei, dass im Geschäft des Versicherungsnehmers nur Handarbeit
stattfinde. Die beiden kantonalen Jnstanzeu haben diese Einwendungen
als stichhaltig befunden und danach die Klage abgewiesen

2. Das Bundesgericht ist zur Beurteilung der Vor-liegenden

156 Civilrechtspflege.

Streitsache kompetent Der gesetzliche Streitwert ist gegeben, und es
ist unrichtig, wenn die Beklagte heute geltend gemacht hat, dass der
zwischen den Parteien abgeschlossene Versicherungsvertrag dem kantonalen
Recht unterstellt sei. Nach Art. 896 Q-R. wäre das kantonale Recht
nur anwendbar, wenn und soweit dieses besondere Bestimmungen über den
Versicherungsvertrag enthielte, aus denen sich direkte Anhaltspunkte
für die Lösung der zu entscheidenden Streitfrage ergeben würden. Dies
trifft aber hier nicht zu, indem die Gesetzgebung des Kantons Luzern
rücksichtlich der Versicherungsverträge lediglich die allgemeine,
von der Beklagten angeführte Bestimmung des § 528 des bürgerlichen
Gesetzbuches enthält, wonach diese Verträge nach den Grundsätzen beurteilt
werden sollen, die von den Verträgen überhaupt und von der Vertragsart
insbesondere gelten, welcher sie am nächsten kommen. Gemäss feststehender
Praxis des Bundesgerichts (vgl. bundesger. Entsch Amtl. Samml., Bd. XI,
S. 83; Bd. XX, S. 114, Erw. 2; Bd. XXII, S. 857, Erw. 4 und dort eitierie
(Smith.) ist daher die Streitsache nach den allgemeinen Grundsätzen des
Obligationenrechts zu entscheiden.

3. Auf das in der Berufungserklärung gestellte Begehren um Anordnung
eines Augenschein-Z kann angesichts der Bestimmung des Art. 80 Org.-Ges·,
dass neue Beweisinittel in der bundesgerichtlichen Instanz ausgeschlossen
seien, nicht eingetreten werden

4. In der Sache selbst ist der vorinftanzlichen Entscheidung
beizutreten. Nach der unzweideutigen Fassung des Versicherungsvertrages
setzt die Zahlungspslicht der Beklagten voraus, dass der Schaden, für den
die Entschädigung beansprucht wird, die Folge eines durch den deklarierten
Betrieb, d. h. durch den Betrieb des klägerischen Zimmereigeschäftes
verursachten Unfalles sei. Der von den Klägern herbei-gehobene EUmfiand,
dass das Formular, auf welchem der Versicherungsvertrag geschrieben ist,
die Überschrift: Anti-ag für Kollektivversicherung gegen Berufsunfälle
trägt, vermag hieran nichts zu ändern; denn für den Inhalt und Umfang
des Versicherungsvertrages sind, wie in der Belice ausdrücklich gesagt
wird, die der Police beigedruckten allgemeinen Versicherungsbedingungen
massgebend, und nach diesen Bedingungen umfasst die Versicherung nicht
Berufsunfälle schlechthin, sondernIV. Obligationenrechi. N° 21. 1.57

nur solche, die durch den deklarierten Betrieb verursacht werden.
Diese Voraussetzung trifft aber in casu nicht zu. Die Bestimmung,
dass der Unfall, um durch die Versicherung gedeckt zu sein, durch den
detlarierten Betrieb verursacht sein müsse, lässt keine andere Auslegung
zu, als die, dass der Versicherungsnehmer nur für die Betriebsunfälle
s eines Gewerbebetriebes entschädigungsberechtigt sei, nicht auch für
solche, die sich bei Arbeiten ereignen, deren Ausführung überhaupt
keinen Teil dieses Betriebes bildet, sondern dem Betriebskreise eines
andern Unternehmens angehört. Der Versicherungsanspruch der Kläger
ist, was den Umfang der versicherten Gefahr anbelangt, somit an die
gleichen Veraussetznngen geknüpft, welche das Bundesgericht in seiner
Entscheidung vom 8. April 1891 in Sachen Zollinger gegen Baumwollspinnerei
und -Zwirnerei Niederusier (Amtl. Samml., Bd. XVII, S. 332, (ZS-tw. 2)
für den dort erhobenen Haftpflichtanspruch als massgebend bezeichnet hat.

Es greifen daher rückfichtlich der Frage, ob der, unbestrittenermassen
durch den Betrieb einer fremden Säge verursachte, Unfall des Sohnes
Bucher durch die Versicherung gedeckt fei, diejenigen Grundsätze
ebenfalls Platz, nach welchen jener Haftpflichtanspruch beurteilt
worden ist. Nun hat auch hier der Kläger Vater Bucher nicht etwa die
Sägereieinrichtung und die Dienste des Sägers Konrad Bucher zum Zwecke des
eigenen Sägens des Holzes gemietet, sondern Konrad Bucher hat das Sägen
kraft Werkvertrages, als Unternehmer auf eigene Rechnung, übernommen;
er hatte dieses Werk allein, ohne Mitwirkung der Leute des Klägers Vater
Bucher, auszuführen. Die Aufgabe des Johann Bucher Sohn beschränkte sich
darauf, das Holz zur Säge hinund wieder zurückzubringen, dasselbe aufund
abzuladen, nicht dagegen bei der Sägearbeit mitzuwirken; diese Arbeit
fällt also gänzlich ausserhalb des Betriebskreifes der klägerischen
Zimmerei. Zur Sägearbeit gehört aber auch das Auflegen des Holzes auf
den Sägetisch, wie das Wegnehmen desselben von diesem Tisch. Jndem der
Sohn Bucher bei dieser Arbeit Hand reichte, hat er somit nicht eine zum
Betriebe des im Versicherungsvertrag bezeichneten Zimmereigeschäftes
gehörige Dienstverrichtung erfüllt, sondern sich in den Betrieb der dem
vorliegenden Versicherungsvertrag fremden

158 Civilrechtspflege.

Sägerei des Konrad Bucher eingetnischt. Der Unfall, der ihn hie-bei
getroffen hat, wurde demnach nicht durch den in der Police deklarierten
Betrieb des klägerischen Geschäfts verursacht, er ereignete sich
ausserhalb des im Versicherungsvertrag bezeichneten Gefahrkreises,
so dass die Beklagte dafür nicht einzufiehen hat.

5. Die Klage müsste übrigens auch dann abgewiesen werden, wenn
angenommen würde, die Beihätignng des verunglückten Johann Bucher bei
dem Fräsen des Holzes in der Sägerei desKonrad Bucher falle unter den
Betrieb des klägerischen Zimmergeschäfts. Denn der Vater Bucher hat in
dem Versicherungsautrag erklärt, dass in seinem Geschäft ausser einer
Bandsäge mit Handbetrieb keine Maschinen, insbesondere keine Fräsen zur
Auwendung kommen. Auf Grund dieser Erklärung hat die Beklagte die Gefahr
von Unfälien infolge Fräsenbetrieb nicht übernommen und wäre demnach
auch von diesem Gesichtspunkte aus wegen des in Rede stehenden Unfalles
nicht entschädigungspflichtig.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen, und das Urteil des
Obergerichts des Kantons Luzern in allen Teilen bestätigt.

fSiehe auch Nr. 26, Urteil vom 16. März 1900 in Sachen Fischer gegen
Rothenanger, und Nr. 30, Urteil vom 19. Januar 1900 in Sachen Schmid
gegen Bolliger.V. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 22. 159

V. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. Responsabilité pour
I'exploitation des fabriques.

22. Arrest du 31 janvier 1900, dans le cause Ellena contre Pacha.

Responsabilité des fabricants en cas d'aceident. Ayants droit encas
de mort de la victime ; art. 2 et 6 litt. a) lei féd. du 25 juin
1881. -Obligation d'entretien.

Baptiste Ellena, fils du demandeur André Ellena, sujet italien, né en
avril 1883, était venu à Lausanne en 1893 avec son père, et avait été
placé en apprentissage chez un gypsierpeintre, qui était content de
ses services et lui payait déjà un salaire. B. Eilena était un gar-eon
intelligent et robuste, très travailleur, et dans le cours ordinaire
des choses, il fùt devenu au bout de quelques années un bon ouvrier.

Son patron étant venu à manquer d'ouvrage, B. Ellena fut provisoirement
congédié. A la demande de son pere, il fut embeuché à fm octobre
1898 parle defendeur Ch. Peche, entrepreneur à Lausanne, en qualité de
porte-mortier, seid petit manceuvre. Le contre-maître l'occupait à. tous
les petits travaux incumbent à, un tel manieuvre. Ellena, participait
au moyen d'une légère retenue faite sur son salaire au paiement de
l'assurance contractée par son patron. Le défendeur rétribueit B. Eilena
à raison de 25 e. l'heure; ce dernier peuvait travailler environ 200
jours par an an cours de sa campagne en Suisse; en hiver il rentrait
à Mergazzo (province de Novate) où il pouvait s'occuper quelque peu,
son père y possédant une petite propriété.

Depuis longtemps le demendeur travaille comme ouvriermegan à Lausanne; son
fils Baptiste vint habiter avec lui, et il lui remettait la. plus grande
partie de son salaire. D'après les renseignements fournis spontanément
par le demand-zur
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Dokument : 26 II 154
Datum : 30. März 1900
Publiziert : 31. Dezember 1901
Quelle : Bundesgericht
Status : 26 II 154
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 154 cirilrechtsptlege. 21. Urteil vom 30. März 1900 in Sachen Bucher gegen Unfallund


Stichwortregister
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