122 Civilrechtspflege.
bringt aber die Fassung des Vertrages die Willensmeinung der Kontrahenten
unzweideutig zum Ausdruck: Helbock, und nach ihm der Beklagte,
verpflichteten sich ausdrücklich bei Konventionalstrafe für sich und
ihre Rechtsnachfolger während der Dauer des Darlehensverhältnisses
und ausschliesslich den ganzen Bierbedarf der Wirtschaft zur Gans bei
der Klägerin zu decken. Sie versprachen also nicht etwa bloss, diese
Verpflichtung selbst, so lange sie Eigentümer der Wirtschaft blieben, zu
erfüllen, und sie bei einem allfälligen Verkaufe dem Käufer zu überbinden,
sondern sie gingen die Verpflichtung auch für diesen und dessen eventuelle
Nachmänner, d. h. allgemein für ihre Rechtsnachfolger ein. Der Vertrag
enthält demnach in der That das Versprechen der Leistung einesTDritten
im Sinne des Art. 127 O.-R., wegen deren Nichterfüllung der Beklagte
gemäss dieser Gesetzesbestimmung auf Schadenersatz haftet.
5. Als Schadenersatz kommt, nachdem die Klägerin das Urteil der ersten
Instanz gegen sich hat gelten;lassen, lediglich der Betrag der von dieser
zugesprochenen Konventionalstrafe in Betracht. Nun ist allerdings in
Art. 127 .O.-R., auf den die Klageforderung sich gründet, als Folge
der Nichterfüllung des Versprechens auf Leistung eines Dritten nur von
Schadenersatz schlechthin, und nicht speziell auch von der Verpflichtung
zur Zahlung einer allfällig vereinbarten Konventionalstrafe die Rede.
Allein hieraus folgt nicht, dass da; wo Art. 127 Anwendung finder,
der Gläubiger eine Konventionalstrafe nicht doch fordern könne,
sondern auf den Nachweis des erlittenen Schadens angewiesen sei,
Denn aus der Verpflichtung zu Schadenersatz folgt grundsätzlich auch
die Verpflichtung zur Leistung einer an Stelle des Schadenersatzes
vereinbarten Konventionalstrafe-, und es liegt nichts dafür vor,
dass etwa der Gesetzgeber einer derartigen Vereinbarung, durch welche
das Versprechen der Leistung eines Dritten bekräftigt werden sollte,
seinen Schutz hätte versagen wollen. Es könnte sich daher nur fragen,
ob die im konkreten Falle bestimmte Konventionalstrafe nicht wegen
Übermasses zu reduzieren sei; hier ist jedoch kein Grund vorhanden
angesichts der nicht akteuwidrigen thatsächlichen Feststellung der
ersten JnWuz, dass jedenfalls ein erheblicher Unterschied zwischen dem
inlV. Obligationenrecht. N° 16. 123
der Konventionalstrafe festgesetzten und dem Betrag des wirklichen
Schadens der Kläger nicht bestehe. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Die Berufung der Klägerin wird als begründet erklärt, und in Abänderung
des angefochtenen Urteils der Appellationskammer des Qbergerichtes des
Kantons Zürich das Urteil der ersten Instanz wieder hergestellt.
16. Urteil vorn 17. März 1900 in Sachen Fabrique de tresses et lacets
Torley gegen Chardonnet-Seidenfabrik.
.!(auf. Sckadenersaizklage des Käufers wegen nicht rechtzeitiger
Erfe'iflung, Art. 12.2, 123, 124, 234 Abs. 1 0.-R. Nachweis des Ver-
sshuldens. Barack-nach des Schadens.
A. Durch Urteil vom 29. November 1899 hat das Handelskgericht des Kantons
Aargau erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin den Betrag von 1342 Fr. zu
bezahlen, d. h. die unter den Parteien bestehenden Ansprüche werden
gegenseitig als aufgehoben erklärt.
B. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die Berufung an das
Bundesgericht erklärt.
Die Klägerin beantragt: _
i. Der Klägerin sei ihr ganzer, in der Replik reduzierter Klagschluss
zuzusprecheu.
2. Eventuell sei vor Ausfällung und als Grundlage des Endurteils ein
Gutachten von Sachverständigen einzuholen über den der Klägerin aus der
Nichtlieferung von 84774 Kilo Kunstseide entstandenen Schaden, unter
Berücksichtigung des eingetretenen Preisaufschlages der Seide und der
klägerischen Anbringen sub IV der Klage und in Replikbeilage 6.
Die Veklagte beantragt, es sei die Klage abzuweisen und die Widerklage
gutzuheissen, die gegnerische Schadenersatzforderung also "in allen
Teilen zu verwerfen.
124 Civilrechtspflege.
'G. In der heutigen Hauptverhandlung bestätigen die Parteianwälte
ihre schriftlichen Berufungsanträge und Beantragen, die Berufung der
Gegenpartei abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Durch Korrespondenz von Ende Oktober und Anfang November 1898 hat
sich die Firma G. de Coral, Chardonnetseidenfabrik in Spreitenbach (Kamen
Aargau), der Klägerin gegenüber zur Lieferung von 100 Kilo Chardonnetseide
(Kunstseide) verpflichtet, die eine Hälfte lieferbar im Laufe des Mai,
die andere im Laufe des Juni 1899, zum Preise von 25 Fr. das Kilo. Nach
der Angabe der Klägerin bezog sich dieser Preis nur auf Rohseide,
während für farbige Seide 2 Fr. 50 (été. per Kilo mehr zu bezahlen war. Am
1. Januar 1899 erliess die Beklagte, Chardonnetseidenfabrik Spreitenbach,
Aktiengesellschaft, ein CirkuIor, mit dem sie bekannt machte, dass
sie mit diesem Tage die Fabrik der Firma G. de Coral in Spreitenbach,
sowie die Chardonnet-Patente für die Schweiz und Deutschland käuflich
erworben habe und beifügte, sie habe die nötigen Massregeln ergriffen,
um die Vergrösserung der Fabrik in solcher Weise durchzuführen, dass
sie vom 1. Juli 1899 an im Stande sein merde, den Anforderungen des
gesteigerten Konsums zu genügen, so dass die Kundschaft ihren Bedarf aus
erster Hand werde decken können. Am 19. Mai 1899 schrieb die Klägerin
der Beklagten (ChardonnetSeidenfabrik Spreitenbach), nachdem sie dieselbe
(laut ihrer Behauptung) bereits am 20. April und seither wiederholt zur
Angabe der Lieferzeit aufgefordert hatte, sie erwarte ganz bestimmt,
dass die Beklagte die vertragliche Lieferzeit einhalte und deshalb
unverzüglich mit den Sendungen beginne, und zwar gemäss der erteilten
Spezifikation sowohl an die Klägerin selbst, als an ihre Succursale in
Saronno. Mit Faktur vom 30. Mai 1899 sandte hierauf die Beklagte 18 Kilo
rohe Kunstseide an die Filiale der Klägerin in Saronno, und auf weitere
Reklamation hin mit Faktur vom 5. Juni 13,23 Kilo an eine andere von der
Klägerin aufgegebene Adresse, endlich mit Faktur vom 12. Juni 21,85 Kilo
wiederum nach Saronno. Schon mit Brief vom 1. Juni hatte die Klägerin
der Beklagten gedroht, die Sache einem Rechtsanwalt zu übergeben, wenn
nicht bis zum 5. Juni eine Teilliefe-IV. Ohligationenrecht. N° 16. 125
rung erfolge. Nach Empfang der Faktur vom 5. Juni bestand sie (durch Brief
vom 10. Juni 1899) auf sofortiger Ausführung weiterer Lieferungen und
machte die Beklagte darauf aufmerksam, dass diese durch ihren Brief vom
1. November 1898 in aller Form versprochen habe, der Klägerin 200 Kilo
im Laufe des Monats Mai zu liefern. Am 17. Juni schrieb die Klägerin
der Beklagteu: Nous vous confirmons votre lettre du 10 ct. En ce qui
concerne la non-execution de vos engagemeuts vis-àvis de nous, notre
directeur-général, qui se trouvait à Zurich la semaine passée, avait
l'intention de consulter un evocata, Iorsqu'onss lui a fait part de vos
premiersss envois à Bruxelles et à Saronno. Tout en, reconnaissant qu'il y
a un co.mmencement de livraison, nous devons vous dire que ces bagatelies
sont absolnment insuffisantes en reisen de la promesse formelle faite
par votre lettre du 1er novembre 1898 de nous fournir 200 kilos dans
le com-ant du mois de mai. Nous venons donc vous informer qu'à moins
que vous ne fournissiez au minimum une centaine de kilos d'ici fin
du mois (dont la moitié à Bruxelles et i'autre moitié à Saronno) nous
vous rendrons reponsables de la perte résultant de ce retard, et nous
remettrons l'affaire définitivement entre les meins cle notre avocat.
Nachdem weder eine Antwort der Beklagten noch weitere Lieferungen
erfolgten, reichte die Klägerin am 19. August 1899 beim aargauischen
Handelsgericht gegen die Beklagte Klage ein mit dem Rechts-begehren,
dieselbe sei (richterliche Feststellung vorbehalten) zu verfällen,
der Klägerin den Betrag von 6955 Fr. zu bezahlen, samt gesetzlichem
Verzugszins à 5 0/0 von· der Klage an. Zur Begründung dieser Klage
machte die Klägerin un wesentk Lichen geltend: Das unter den Parteien
abgeschlossene Geschaft sei ein Fixgeschäft gewesen, das nach Art. 123
und 124 O.-R.. der Klägerin das Recht gegeben habe, sofort nach Ablauf
der vertraglichen Lieferungsfrist vom Vertrage zurückzutreten und
Entschädigung zu verlangen. Trotzdem habe die Klägerm m ihrem Brief
vom 17. Juni der Beklagten eine letzte Frist angesetzt, bis 30. Juni
wenigstens 100 Kilo zu liefern. Auch dem sei nicht entsprochen worden;
die Beklagte befinde sich also un Verzuge und habe der Klägerin vollen
Schadenersatz zu leisten, Art. 113,126 Civilrechtspflege.
116 O.-R. Der der Klägerin erwachsene Schaden bestehe in fol; gendem:
a. In der Zeit zwischen der Bestellung Und deren Annahme (Ende Oktober
und anfangs November 1898) bis zu der Beit, wo die Bestellung hätte
ausgeführt werden sollen (Mai und Juni 1899) sei der Preis der Seide,
speziell der Kunstseide, um 20 Fr. per Kilo gestiegen, wofür nötigenfalls
Experten angerufen werden. Die Klägerin könne übrigens diesen Ausfall
noch weiter nachweisen. b. Jnfolge der Nichtlieferung durch die Beklagte
sei dieKlägerin genötigt gewesen, ihren Bedarf durch Naturseide zu
decken. Sie habe deshalb im Juni 1899 bei der Firma Vollert, Strazza
& Eie. in Mailand 400 Kilo Naturseide bestellt, wofür sie 42 Fr. 50
Cis. und 6 Fr. für Farbe per Kilo zu bezahlen gehabt babe. Während also
die Beklagte die gefärbte Seide zu 27 Fr. 50 Ets. hätte liefern sollen,
habe die Klägerin an Vollert Strazza & Eie. 48 Fr. 50 Cis. zahlen
müssen. c. Die behauptete Preisdifferenz gehe auch aus einem von der
Klägerin zu den Akten gebrachten Brief von A. C. Lutz & Eie. in Zürich vom
13. Juli 1899 hervor-, worin diese Firma der Klägerin Kunstseide système
breveté chardonnet zum Preise von 40 Fr. per Kilo angeboten babe, zahlbar
binnen 30 Tagen in Gold (wozu jedoch noch 2 Fr. 50 Ets. für couleur per
Kilo und die Verpackungskosten zu Lasten des Käufers gekommen waren). Von
dieser Offerte habe die Klägerin keinen Gebrauch machen können, da sie
ihren Bedarf schon durch Naturseide gedeckt babe. DieKlägerin verlange
per Kilo nicht gelieferter Seide 20 Fr. Ent-
schädigung, also für 347,75 Kilo nicht gelieferter Ware 6955 Fr..
Es sei das ihr effektiver Schade; hieer werde nötigenfalls Expertise
angerufen; eventuell unterstellte die Klägerin ihre Forderung dem
richterlichen Ermessen. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage,
indem sie die aus den folgenden Erwägungen
ersichtlichen Einwendungen erhob, und stellte mittelst Widerklage
das Rechtsbegehren, die Klägerin und Widerbeklagte sei zu verurteileu,
ihr den Fakturabetrag der gelieferten Seide mit 1342 Fr.
zu bezahlen, nebst Zins à 5% vom dreissigsten Tage nach der-
Faktur, eventuell von der Einlegung der Widerklage hinweg. Die
Klägerin beantragte Abweisung dieser Widerklage, erklärte
aber,-IV. Obligationenrecht. N° 16. 127
sie lasse sich den widerklagsweise geforderten Betrag von 1342 Fr.
an ihrer Hauptforderung abziehen, so dass sie also statt 6955 Fr.
bloss 5613 Fr. fordere.
2. In erster Linie hat die Beklagte ihre Passivlegitimation bestritten
und hält an dieser Bestreitung auch heute noch fest, indem sie darauf
hinweist, dass der Kaufvertrag, aus dem die Klageforderung hergeleitet
wird, nicht mit ihr sondern mit der Firma de Coral abgeschlossen worden
sei, Und behauptet, sie sei nicht etwa an Stelle der genannten Firma in
diesen Vertrag eingetreten, sondern de (Set,-al habe einfach durch die
Beklagte liefern lassen. Diese Einwendung ist von der Vorinstanz mit
Recht zurückgewiesen worden. Durch ihr Verhalten hat die Beilagte der
Klägerini unzweifelhaft zu erkennen gegeben, dass sie an Stelle de Corals
in den zwischen diesem und der Klagerin abgeschlossenen Lieferungsvertrag
eintrete. (Wird näher ausgeführt.)
3. Die Beklagte war demnach der Klägerin gegenüber auf Grund des
genannten Vertrages zur Lieferung von 200 KiloChardonnetseide im Laufe
des Monats Mai und eines gleichen Quantums derselben Ware im Laufe des
Monats Juni 1899 verpflichtet Es ist unbestritten, dass die Beklagte
im Ganzen nur-53,18 Kilo geliefert, ihre vertragliche Verpflichtung
somit zum grösseren Teil (mit Bezug auf weiter zu liefernde 346,82 Kilo)
nicht erfüllt bat. Die Klägerin stellt nun bezüglich dieser unausgeführt
gebliebenen Lieferungen nicht die Erfüllungsklage, sondern. verlangt
Schadenersatz wegen Nichterfüllung, indem sie behauptet, infolge
des Verzuges der Beklagten sei ihr das Rechterwachsen, vom Vertrage
zurückzutreten und an Stelle der nochausstehenden Leistung Entschädigung
zu verlangen. Es handelt sich somit um eine Schadenersatzklage aus
Art. 124 O.-R. Mit- Unrecht macht die Beklagte geltend, dass die Klägerin
aus Art124 nicht klagen könne, weil sie der in Art. 122 vorgeschriebenen
Rechtsvorkehr nicht genügt babe. Dass es dieser Vorkehrnicht bez:durft
habe, weil ein Fixgeschäft vorliege, kann allerdings nichtbehauptet
werden. Es ist zwar zuzugeben, dass mit der Abrede,. es seien je 200
Kilo im Laufe des Monats Mai und Juni 1899 zu liefern, ein bestimmter
Lieferungstermin vereinbart war;. auch stellt sich der Vertrag
unzweifelhaft als ein Geschäft des
128 Givilrechtspflege .
kaufmännischen Verkehrs dar, so dass gemäss Art. 234 O.:Jt. die
Vermutung dafür sprechen würde, dass ein Fixgeschäft vorliege, und die
Klägerin daher berechtigt gewesen fei, nach Art. 123 bezw. 234 Abs. 1
vorzugehen. Allein die Klägerin ist trotz dem Verzug der Beklagten
nicht in dieser Weise vorgegangen Sie hat nach Ablauf des Monats Mai
nicht ohne weiteres den Rücktritt erklärt, sondern der Beklagten weitere
Fristen zur Lieserung angesetzt. Damit hat sie das Geschäft selbst als
Mahngeschäst behandelt und kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass
sie des Vorgehens nach Art. 122 aus dem Grunde enthoben gewesen sei,
weil der Thatbestand des Art. 123 daselbst vorliege. Dagegen steht nun
fest-, dass die Klägerin der Beklagten durch ihre Zuschrist vom 17. Juni
1899 wenigstens mit Bezug auf eine Minimallieferung von 100 Kilo eine
nachträgliche Frist bis Ende Juni angesetzt hat, mit der Androhung, dass
sie die Beklagte sonst für die Folgen des Verzuges haftbar mache und diev
Angelegenheit definitiv einem Rechtsanwalt übergebe. Dass die angesetzte
Frist eine angemessene gewesen sei, wird nicht bestritten; und wenn nun
auch in dieser Zuschrist nicht ausdrücklich mit Rücktritt gedroht ist,
so kann hierauf nicht, wie die Beklagte me'mt, ein entscheidendes Gewicht
gelegt werden.
Wäre nämlich in der genannten Zuschrift der Klägerin eine
Rücktrittsandrohung nicht zu erblicken, und gestützt hierauf anzunehmen,
dass eine wesentliche Voraussetzung zur Schadenersatzklage auf Grund von
s2[rt.124c O.-R. in casu fehle, so würde die Folge hieoon offenbar nicht
die sein, dass die Beklagte ohne weiteres der Verantwortlichkeit für die
Erfüllung ihrer vertraglich übernommenen Verbindlichkeit enthoben wäre;
der Klägerin bliebe alsdann jedenfalls immer noch die Erfüllungsklage
gewahrt; die Einwendnng der Beklagten, dass die Klägerin der Vorschrift
des Art. 122 nicht genügt habe, könnte deshalb nur den Sinn haben,
die Klägerin auf die Erfüllungsklage zu verweisen. Nun hat aber die
Beklagte nicht nur weder im Prozesse, noch vorher jemals die Erfüllung
angeboten, sondern sie stellt sich gegenteils auch ihrerseits, wenn
auch aus andern Gründen, auf den Standpunkt, dass der Vertrag aufgelöst
sei-, ein allfälliger Anspruch der Klägerin auf Erfüllung also nicht
mehr bestehe. Von diesem Standpunkt aus könnte offenbar die Beklagte
grundsätzlich gegen die AnhebungIV. Obligationenrecht. N° 16. 129
der Schadenersatzklage wegen Nichterfüllung auch dann nichts einwenden,
wenn anzunehmen wäre, die Beklagte hätte es unterlassen, sich das Recht
zum Rücktritt nach Vorschrift von Art. 122 $.:ER zu wahren. Ubrigens
ist zu bemerken, dass die in Art. 122 vorgesehene Rechtsvorkehr an keine
besondere Form gebunden (ng Schneider & Fick, Komment. z. Oblig.-Recht,
Art. 122, Anm. é) und daher die in der Zuschrift der Klägerin vom 17. Juni
1899 enthaltene Androhung nach allgemein anerkannter Juterpretationsregel,
nach dem aus dem Zusammenhang und den Umständen erhellenden wirklichen
Willen und nicht bloss nach dem buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu
beurteilen ist. Danach konnte aber für die Beklagte ein begründeter
Zweifel darüber wohl nicht bestehen, dass die Klägerin mit ihrer
Erklärung, sie mache die Beklagte für die Folgen des Verzuges haftbar-,
und werde bei Nichtinnehaltung der angesetzten Frist die Sache einem
Rechtsan-f malk übergeben, sich eben die Rechte vorbehalten wollte,
welche nach Art. 124 O.-R. dem nichtsäurnigen Teil aus der Nichterfüllung
des säumigen erwachsen. Dass die Beklagte dieser Erklärung eine andere
Bedeutung beigemessen und angenommen habe, die weitere Behandlung der
Angelegenheit durch einen Rechtsanwalt würde zu andern Massnahmen, als
den in Art. 124 O.-R. vorgezeichneten, führen, hat die Beklagte selbst
nicht behauptet. Auch dadurch hat sich die Klägerin nichts vergeben,
dass sie, nach fruchtlosem Ablan der für eine Lieferung von mindestens
100 Kilo angesetzten Frist, es unterliess, für den Rest der noch
ausstehenden Lieserungen eine weitere Nachfrist anzusetzen. Denn nachdem
die Beklagte der in dem Brief vom 17. Juni an sie ergangenen Aufforderung
weder nachgekommen war, noch darauf auch nur geantwortet hatte, musste
die Klägerin annehmen, die Beklagte gedenke überhaupt nicht, weitere
Lieferungen zu machen; sie durfte unter diesen Umständen davon ausgehen,
dass die Ansetzung einer weiteren Nachfrift ebenso nutzlos sein werde,
wie diejenige, welche mit dem Brief vom 17. Juni erfolgt war, und war
demzufolge eines weiteren Vorgehens nach Art. 122 O.-Ji. enthoben (vergl.
Schneider & Fick, Komment., Anm. 8 zu Art. 122 und dort fscitierte
Entschz Staub, Komment. z. deutsch. H.-G.-B., § 22 zu Art. 356). Wenn
schliesslich die Beklagte behauptet, die Klä, xm, 2. _ 1900 9
130 Givilrechtspflege.
gerin sei deshalb nicht berechtigt, Schadenersatz zu verlangen, weil sie
die auf 80 Tage zahlbar gestellten Fakturen für die drei effektuierten
Lieferungen nicht bezahlt, und demnach selbst nicht erfüllt habe, so ist
diese Einwendung augenscheinlich haltios in Anbetracht des Umstandes, dass
die Verpflichtung der Beilagtenr die vertraglich übernommenen Lieferungen
bis Ende Mai und Ende Juni 1899 vollständig zu bewerkstelligen, in keiner
Weisevon der vorherigen Zahlung der genannten Fakturen abhängig gemacht
worden war, und die Beklagte deshalb mit Ablan jener Lieferungsfristeu
ohne Rücksicht darauf in Verzug gekommen ist,. ob die Fakturen für
die, übrigens erst Ende Mai und im Laufe des Monats Juni erfolgten,
Teillieferungen bezahlt worden seien oder nicht.
4. Die auf Art. 124 O.-R. gestellte Schadenersatzforderung .hat der
Kläger mit dem Nachweis des Verschuldens des Beklagten zu begründen;
dieser Nachweis ist aber als geleistet zu betrachten, wenn der
Schuldner ausdrücklich erklärt hat, den Vertrag nicht halten zu wollen
(Amtl. Samml. der bundesger. Etnicheid.r Bd. XIX, S. 932 Erw. 7;
Die-vue der Gerichtspraxis im Gebiete des Bundescivilrechts, Bd. XII,
Nr. 31, Biff. fi), welchem Falle derjenige gleichzustellen ist, wo der
Berkäufer, wie hier,. durch beharrliches Stillschweigen auf die Mahnungen
des Käufarà, die fälligeu Lieferungen vorzunehmen, seine Absicht, nicht
zu erfüllen, in unzweideutiger Weise bekundet hat. Die Beklagtes wäre
hienach ihrer Schadenersatzpslicht nur dann enthoben, wenn sie ihrerseits
nachgewiesen hatte, dass ihr die Erfüllung ohne ihrVerschulden nicht
möglich gewesen sei. Dieser Nachweis ist nun zwar von der Beklagten
versucht, aber nicht erbracht worden. Sie hat sich darauf berufen,
dass die Umgestaltung ihrer Fabrik, sowieeine unter ihren Arbeiterinnen
eingetretene Epidemie Verzögerungen in der Fabrikation herbeigeführt haben
.; allein abgesehen davo-n, dass eine Verzögerung in der Fabrikation
wegen der von der Beklagten vorgenommenen neuen Jnstallationen und
Erweiterung-en ihrer Fabrik fvon vornherein nicht als ein zufällt-ges,
von der Beklagten nicht zu vertretendes Ereignis angesehen werden Tkönnte,
ist in keiner Weise dargethan, dass die Beklagte nichttrotz den von ihr
behaupteten Störungen doch im Stande gewesen wäre, rechtzeitig zu liefern;
die Beklagte hat sich denn auchIV. Obligationenrecht N° 16. _ 131
gegenüber den Mahnungen der Klägerin mit keinem Worte auf solche
Hindernisse berufen, wozu sie doch allen Anlass gehabt haben würde,
wenn ihr dieselben wirklich die Einhaliung der Lieferungsfristen
verunmöglicht hätten.
5. Die Schadenerfatzpfticht der Veklagteu ist demnach grundsätzlich
begründet. Uber die Höhe des zu leistenden Schadenersatzes hat die
Vorinstanz im wesentlichen ausgeführt: Der Nachweis dafür, dass sich die
Klägerin durch Bezug von Naturseide von der Firma Vollert, Strazza &
Cie. in Mailand gedeckt habe, sei nicht erbracht, indem nichts dafür
vorliege, dass die bei dieser Firma gemachte Bestellung auch wirklich
ausgeführt worden sei. Sodann habe die Klägerin auch jeden Beweis
dafür unterlassen, dass sie wegen Nichtlieferung der Kunstseide in
Verlegenheit gekommen, von ihren Kunden gedrängt worden sei, dass
sie anderweitig Kunstseide nicht habe erhalten können, oder dass sie
wegen Nichterfüllung ihrer Verbindlichkeiten entschädigungspflichtig
geworden set. Es müsse (wie näher erörtert wird) von vornherein als
ausgeschlossen betrachtet werden, dass die Klägerin die Kunstseide
einfach durch Naturseide ersetzt habe. Immerhin müsse erklärt werden,
dass der Klägerin durch die Nichtlieferung der Beklagten thatsächlich ein
Schaden entstanden sei. Dieser könnte aber nicht nach der Auffassung der
Klägerin ziffermässig festgestellt werden, da genaue Anhaltspunkte für die
Bestimmung des Schadens fehlen. Das Gericht setze daher den Schaden gemäss
Art.116 O.-R. in Berücksichtigung aller Umstände nach freiem Ermessen
fest, und zwar auf denjenigen Betrag, den die Beklagte für die gemachten
Teillieferungen an die Klägerin zu fordern habe. Bei dieser Art der
Schadensfestftellung geht die Vorinstauz von einer unrichtigen Auffassung
der Klage aus: Die Klägerin verlangt ausdrücklich als Schadenerfatz
die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem Preise der
gekauften Ware zur Zeit des Erfüllungsterminsz sie stellt sich auf den
Standpunkt, diese Preisdifferenz sei ihr, als ihr Erfüllungsinteresse,
zu vergüten, und fordert nicht etwa denjenigen Betrag, den sie für den
von ihr behaupteten Deckungskan mehr habe aufweuden müssen, sondern
beruft sich auf diesen Deckungskan erst in zweiter Linie, um darzuthun,
dass auch ihr effektiv er Schade jener Preisdifferenz gleichkomme. Was
die Klägerin mit ihrer Schadenersatzklage for-
132 Civilrechtspflege.
dert, ist somit der abstrakte Schaden, d. h. der Schaden, den der Käufer
durch die Nichterfüllung an dem Werte der Sache unmittelbar erleidet
(Sta-ub, Komment. z. deutsch. H.-G.-B., Amu. 18 zu Art. 355). Dass
der Käufer bei Waren, die den Gegenstand des Handelsverkehrs bilden,
auf Grund von Art. 124 O-R. seinen Schaden in dieser Weise berechnen
kann, hat das Bundesgericht bereits in seiner Entscheidung in Sachen
Dreyfus frères gegen Egli-Reinmann & Cie. (Amtl. Samml., Bd. XIX,
S. 932, Crw. 8) ausgesprochen, und es ist hieran festzuhalten.
(Vgl. auch Hafner, Komment. z. Oblig.-Recht, Anm. 2 und 3 zu Art. 124,
und Anm. 7 zu Art. 234.) Danach setzte die Schadenersatzforderung der
Klägerin nicht notwendig den Nachweis eine konkreten, z. SB. aus einem
Deckungskan resultierenden Schadens voraus, sondern die Klägerin war
berechtigt, so wie sie es gethan hat, einfach die Differenz zwischen
dem vereinbarten Kaufpreis und dem Marktpreise zur Zeit und am Orte
der schuldigen Lieferung als den ihr nach Art.124 O.-R. zu vergütenden
Schaden zu fordern (ng. Staub, a. a. O.). Über die Höhe dieser Differenz
hat nun die Voriustanz keine Feststellung vorgenommen; sie hat die
daherige Beweisofferte der Klägerin, wie aus ihrem Urteil hervorgeht,
nicht etwa aus prozessualischen Gründen, sondern lediglich deshalb
unberückfichtigt gelassen, weil sie davon ausging, die der Klägerin
gebührende Entschädigung wegen Nichterfüllung des Lieferungsvertrages
sei auf Grund einer konkreten Schadensberechnung festzustellen Diese
Auffassung, der Vorinstanz war, wie bemerkt, rechtsirrtümlich, und ist
deshalb die Sache zur Abnahme der von der Klägerin rücksichtlich der
behaupteten Preisdifferenz angetragenen Beweise und zu neuer Entscheidung
auf Grund der so vervollständigten Akten zurückzuweisen. Demnach hat
das Bundesgericht erkannt:
Die Berufung-der Klägerin wird dahin als begründet erklärt, dass
das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 29. November
1899 aufgehoben, und die Sache zur Aktenvervollständigung und neuen
Entscheidung im Sinne der obftehenden Erwägungen an das kantonale Gericht
zurückgewiesen "wird.IV. Obligationenrecht. N° 17. 133
17. Urteil vom 23. März 1900 in Sachen Sommer gegen Slezak und Bemann.
Kauf. Scàadenerssetzklage dee Käufer wegen Nichterfüllung. Recht des
Käufers Zum Rücktritt vom Verträge ; Art. 88, Ziff. 3 Abs. 2, Art. 117,
Abs. 2. 0. R. ; Fixgeschäft, Art. 122 f. amd 124. (J.-R.
A. Durch Urteil vom 12. Februar 1900 hat das Appellationsgericht des
Kantons Baselstadt erkannt:
Beklagte wird zur Zahlung von 6000 Fr. nebst 50/0 Zins vom 7. September
1899 an verurteilt.
B. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt, und den Antrag gestellt, es sei in Aufhebung desselben gemäss
dem Antrag der Klagebeantwortung zu erkennen.
Jn der heutigen Hauptverhandlung erneuert der Anwalt der Beklagten diesen
Berufungsantrag. Der Anwalt der Klägerin beantragt Abweisung der Berufung
und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
:l. Am 19. November 1898 bestätigte die in Basel domizilierte Beklagte der
Klägerin, Firma Slezak & Bemann in Rustschuk, Bulgarien, eine Bestellung
über 100 Tonnen Bauträger zum Grundpreise von 14 Fr. 40 Cis. per 100 Kilos
cif. Galatz, und fügte bei: Die Abnahme dieser 100 Tonnen hat im ersten
Semester 1899 zu erfolgen, und sind mir jeweilen die Spezifikationen
möglichst früh einzusenden, damit die Ware rechtzeitig fertig gestellt
werden kann. Am 8. Dezember 1898 sandte die Klägerin der Beklagien die
Spezifikation für 7 Wagen, mit der Bemerkung, dass davon 4 Wagen Anfangs
März und drei Wagen Mitte April zu liefern seien; über restliche 3 Wagen
Träger wolle sie sich die Spezifikation für später vorbehalten. Mit
Brief vom 16. Dezember 1898 erklärte die Beklagte von der eingesandten
Spezifikation Vormerk genommen zu haben. Da bis gegen Ende März keine
Anzeige über den Abgang der Ware bei der Klägerin eingetroffen war,
reklamierte sie und verlangte dringend