898 . Civürechtspflege.

gewesen sei, die Bestimmungen des Bandes-gesetzes über die persönliche
Handlungsfähigkeit richtig angewendet habe, so ist zu bemerken: Zur Zeit
der Vornahme der Schenkung war über die Klägerin die Vormundschaft noch
nicht verhängt; dies geschah erst durch das Erkenntnis des Amtsgerichtes
Tübingen vom 7. Dezember 1898, während die Urkunde, in welcher die
Klägerin die Schenkung bestätigte, vom 10. Oktober 1898 datiert; es ist
daher, mangels eines Anhaltspunktes für eine gegenteilige Annahme, davon
auszugehen, dass die Schenkung jedenfalls nicht später als am 10. Oktober
1898, somit in einem Zeitpunkt stattgefunden habe, als die Entmündigung
noch nicht ausgesprochen war. Die Frage, ob die Klägerin zur Zeit der
Vornahme des angefochtenen Rechtsgescbäftes handlungsunfähig gewesen
sei, beurteilt sich demnach nach am. 4 des eitierten Bundesgesetzes,
welcher als handlungsunfähig diejenigen Personen bezeichnet, die keinen
bewussten Willen haben, oder des Vernunftsgebrauchs beraubt sind,
so lange dieser Zustand dauert· Nun stellt die Vorinstanz, indem sie
sich neben andern Momenten namentlich aus das im Entmündigungsverfahren
eingezogene Expertengutachten stützt, sesi, dass die Klägerin zur Zeit,
als sie die Schenkung vornahm, keinen bewussten Willen gehabt habe,
und diese Feststellung kann weder als rechts-irrtümlich noch als
aktenwidrig bezeichnet werden. Denn das Erpertengutachten geht dahin,
dass der Klägerin nicht nur in Beziehung auf ökonomische Angelegenheiten
jedes ordentliche Verständnis abgehe, sondern dass sie überhaupt an
angeborenem Schwachsinn leide, und hieraus darf in der That der Schluss
gezogen werden, dass es der Klägerin bei Vornahme des angefochtenen
Rechtsgeschäftes an dem bewussten Willen gefehlt habe. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen, und daher das Urteil des
Kantonsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 21. September 1899 in allen
Teilen bestätithIX. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. N°
110. 899

IX. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. Responsabilité pour
l'exploitation des fabriques.

110. Urteil vom 1. November 1899 in Sachen Neuschwander gegen Zeltner
und Konsorten.

Betrieb eines Steinbruehes; Abfe'ihrm deegebrochenen Steine; Begriff
des Betriebsunternehmer-H Art. 1 una! 2 Haflpflz'chtgesetz.

A. Die Bürgergemeiude Dornach besitzt in der Nähe von Dornach einen
Steinbruch, die sog. Aktiengrube. Laut Vertrag vom 6, Januar 1898
verpachtete sie diesen vom genannten Tage an bis zum 1. Dezember 1903
an Fritz Zeltner und dessen im Rubrum genannte Konsorten gegen einen
Grubenzins von 1 Fr. per Klafter (9000 Kilos) ausgeführter Steine (% 1);
überdies hatten die Übernehmer, eventuell jeder, der aus dem Bruche Steine
führte, alle Jahre drei Wagen Kies unentgeltlich auf die Ramstalstrasse zu
führen und für jeden Wagen mit zwei Pferden 50 Cis für einen solchen mit
drei oder 'mehr Pferden 1 Fr. zu entrichten (§§ 2 u. 3). Den Einwohnern
von Dornach wurde das Recht vorbehalten, gegen bestimmte Entschädigungen
Steine aus der Grube zu beziehen und unter gewissen Bedingungen der
Gesellschaft ganz oder auch nur bezüglich der finanziellen Rechte und
Pflichten beizutreten (gg 6 u. 7). Nach § 13 hatte die Bürgergemeinde
Dornach sämtliche in dem Steinbruch beschäftigten Arbeiter auf die Dauer
von 6 Jahren zu versicheru, wogegen sich die Übernehmer verpflichteten,
der Gemeinde für alle Folgen, die aus der Versicherung entstehen könnten,
zu haften und ihr die ausgelegten Prämien zu erstatten. Unter sich
schlossen am 13. Januar 1898 die 12 Pächter einen Gesellschaftsvertrag

' ab, als dessen Zweck in § 1 angegeben wurde: eine geregelte

Steinlieferung nach allen Bauplätzen, wo solche verlangt werden. Nach §
2 wählt die Gesellschaft zur Leitung sämtlicher Angelegenheiten einen
Präsidenten, der zugleich die Jnkassi und Aus-

900 Civilreehtspflege.

zahlungen zu besorgen hat. Der Präsident hat das Recht, von sich
aus Verträge bis auf 15 Klaster abzuschliessen. Verträge über 15
Klafter müssen von der Gesellschaft genehmigt werden (§ 4). Die
Ablieferung von Mauersteinen hat nur auf Anweisung des Präsidenten
zu geschehen. Dieser hat darüber eine Kontrolle zu führen, die alle
Monate der Gesellschaft zur Prüfung vorzulegen ist (ij ö). Bezüglich
der Fuhrungen auf dieverschiedenen Bauplätze soll der Präsident in der
Anweisung daran Rücksicht nehmen, dass jeder Fuhrmann möglichst gleich
berücksichtigt wird. Nach § 8 haben Nichtmitglieder der Gesellschaft
per Wagen 20 Cts. für Wegkorrektion zu bezahlen. § 9 lautet: Sollte es
vorkommen, dass der Präsident keine Anweisung zum Abladen geben könnte
oder kann da nicht abgeladen werden, wo angewiesen ist, soll hievon
in der Kontrolle Vormerkung genommen werden und der Lieferant soll in
diesen Fällen abladen dürfen, wo es ihm möglich ist, ohne dass er dafür
bestraft werden farm. Und nach § 10 haben sich Nichtmitglieder, welche
aus der Aktiengrube Steine führen, sowie die sog. Finanziellberechtigten
(gg 6 u· 7 des Pachtvertrages) den Statuten und allen Beschlüssen der
Gesellschast zu unterwerfen

B Über die von den Gesellschaftsmitgliedern anweisungsgemäss ausgeführten
Steinlieferungen stellt der Präsident den einzelnen jeweilen monatlich
Rechnung in der Weise, dass er ihnen unter Angabe der Besteller,
sowie der Wagen: und Pferdezahl, des gelieferten Quantums und der
vereinbarten Einheitspreise die entsprechenden Beträge gutschreibt
und dann in Abzug bringt: a. Brecherlohn, b. Grubenzins, c. Waaggeld,
d. Löhnung, e. Vorschüsse, f. Abrechnung, g. Unsall (Versicherungsprämie)
ze. Die im Brnche beschäftigten Arbeiter werden von der Gesellschaft
gelöhnt Die Fuhrungen besorgt jeder Lieferant mit seinem Personal und
seinen Hilfsmitteln

C.D Der Kläger Neuschwander stand im Dienste des Robert Grünen eines
der 12 Gesellschafter Am 20 Juni 1898 hatte er eine Wagenladnng Steine
aus der Grube zu führen. Ausserhalb derselben wurden die Pferde scheu,
Neuschwander fiel bei dem Versuche, die vordere Mechanik anzuziehen, zu
Boden, geriet mit dem rechten Arm unter den beladenen Wagen und erlitt
dabeiIX. Hafipflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 110. QDI

solche Verletzungen, dass ihm der Arm amputiert werden musste.

D. Mit Klage vom 5. Dezember 1898 belangte Neuschwander die Mitglieder der
Gesellschaft solidarisch auf Schadenersatz. Er berechnete den Schaden auf
über 10,000 Fr. und forderte demgemäss das im Fabrikhastpslichtgesetz
aufgestellte Maximum von 6000 Fr. nebst Zins zu 50/0 seit Anhebung
der Klage. Die beklagte Gesellschaft erhob die Einrede, sie sei nicht
gehalten, die gegnerische Klage einlässlich zu beantworten, weil sie
für den Unfall nicht haftpflichtig sei: Neuschwander sei nicht von
der Gesellschaft angestellt gewesen, sondern von Grütter. Der Betrieb
desSteinbruches unterstehe Überhaupt nicht der Haftpflicht Jedenfalls
könne die Gesellschaft nicht haftbar gemacht werden für Unsälle bei den
Fnhrungen, die auf Rechnung und Gefahr jedes einzelnen Gesellschafters vor
sich gingen. Das Amtsgericht DorneckThierstein verwarf die Einrede der
Beklagten. Hinsichtlich derFrage, ob man es mit einem hastpslichtigen
Betriebe zu thun habe, stellte das Gericht auf einen im Laufe des
Prozesses ergangenen Bescheid des Bundesrates ab, der unter Berufung
aus Art. 1 Biff. 1 des erweiterten Haftpflichtgesetzes die Frage
bejaht. Weiterhin führte das Gericht aus, dass die Steinfuhrungen
zum Gesellschaftszwecke gehören, weshalb die Gesellschaft für dabei
sich ereignende Unfälle verantwortlich sei, woran der Umstand, dass
der Kläger Angestellter nicht der Gesellschaft, sondern des Grütter
gewesen sei, nichts ändere, weil der Unternehmer auch den Arbeitern
seiner Unterakfordanten gegenüber haftpslichtig sei. Aus Appellation hin
änderte das solothurnische Obergericht mit Urteil vom 13. September 1899
das erstinstanzliche Urteil ab und erkannte:

Die Beklagten sind nicht gehalten, die vorliegende Klage einlässlich
zu beantworten

E. Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen mit dem Antrag, es sei das obergerichtliche Urteil vom
18. September dahin abzuändern, dass die von den Beklagten erhobene
Einrede abgewiesen und die Beklagten zu einer einlässlichen Beantwortung
der Klage angehalten werden. Die Beklagte schloss aus Abweisung der
Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.

902. Givilrechtspflege.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Einrede der Beklagten, dass sie sich auf die Klage nicht
einzulassen habe, beruht nicht auf prozessualischen, sondern auf
materiellrechtlichen Gründen, und wenn das Obergericht dieselbe guthiess,
so hat man es nicht mit einem prozessualischen Voroder Zwischenentscheid,
sondern mit einem den Streit materiell erledigenden Urteil über den vom
Kläger erhobene-n Haftpflichtanspruch zu thun. Das Bundesgericht muss
deshalb,sda auch die übrigen kompetenzbegründenden Momente vorhanden
und die Formalien der Berufung gewahrt sind, auf die Sache eintreten. '

2. Die Klage stützt sich darauf, dass der Unfall sich bei dem Betriebe
eines Gewerbes ereignet habe, das nach Art. 1 des Bundesgesetzes
vom 26. April 1887 betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht und
die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881 der Haftpflicht
gemäss den Bestimmungen dieses Gesetzes unterstehe, und dass nach
Art· 2 des erweiterten Haftpflichtgefetzes die beklagte Gesellschaft
haftbar sei. Es ist nun zuzugeben, dass Unter Umständen das Abführen
der gebrochenen Steine aus einem Steinbruche mit dem Brechen derselben
einen einheitlichen Betrieb bilden kann. Allein schon vom äusserlichen
objektiven Standpunkte aus kann je nach der Art, wie die verschiedenen
Arbeiten besorgt werden, das Abführen der Steine sehr wohl auch
als ein selbständiger, vorn Steinbrechen unabhängiger Betrieb sich
darstellen. Dazu kommt, dass nach Haftpflichtrecht die Zusammenfassung
oder Jndividualisierung bestimmter industrieller oder gewerblicher
Thätigkeiten wesentlich von einem subjektiven Momente, nämlich davon
beherrscht wird, wer Betriebsunternehmer ist. Nach Art. 1 und 2 des
Bundesgesetzes vom 25. Brachmonat 1881 betreffend die Haftpflicht aus
Fabrikbetrieb ist haftpflichtig, wer eine Fabrik im Sinne des Gesetzes
vom 23. März 1877 betreibt, oder, wie es in Art. 2 und weiterhin heisst,
der Betriebsunternehmen Und in Art. 2 des erweiterten Haftpflichtgesetzes
ist in den Fällen, von Art. 1 Ziff. î und 2 der Jnhaber des betreffenden
Gewerbes, bezw. bei Ziff. 2, litt. (: und d, der Unternehmer der
betreffenden Arbeiten als haftbar erklärt, mit dem Beisatz, dass
dieselben auch haften, wenn sie die ArbeitenIX. Haftpflicht für den
Fabrikund Gewerbebetrieb. N° MO. . 903

einem Dritten zur Ausführung übergeben haben. Danach kann denn ein
Betrieb, der sich nach dem Zweck, nach dem Gegenstand, den gebrauchten
Mitteln u. f. w. als einheitlicher darstellen mag, doch nach der
Verschiedenheit der Unternehmer in einzelne selbständige Betriebe
zerfallen, die vom Gesichtspunkte der gesetzlichen Haftpflicht aus
auseinanderzuhalten find. Da grundsätzlich jeder Unternehmer nur für
die in seinem Betriebe sich ereignenden Unfälle haftet, müssen die
Betriebskreife nach der Person des Unternehmers ausgeschieden werden,
selbst wenn von einem objektiven Gesichtspunkt aus betrachtet, von
einem einheitlichen oder Gesamtbetrieb gesprochen werden könnte. Nur
in einem Falle fasst das Gesetz die einzelnen nach den Unternehmern
differenzierten Betriebskreise zu einem Gesamtbetrieb zusatnmmen, im
Falle des sog. Unterakkordanten, d. h. dann, wenn der Unternehmer die
Arbeiten einem Dritten zur Ausführung übertragen hat. Auch in diesem Falle
aber ist die Voraussetzung der Haftpflicht die Eigenschaft des Belangten
als Unternehmen Und so muss es sich denn auch im vorliegenden Falle in
erster Linie fragen, ob die beklagte Gesellschaft als Unternehmer-in
des Betriebs sich darstelle, bei dem der Kläger verunglückte.

3. Das Obergericht des Kantons Solothurn beantwortet diese Frage
dahin, dass nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschafter die
Steinfuhrungen betrieben: Zwar sage § 1 der Gesellschaftsstatuten das
Gegenteil. Allein der wahre Wille der Gesellschafter sei ein anderer,
was sich aus der Organisation des Betriebes, sowie daraus ergebe,
wie sie thatsächlich durchgeführt worden sei. Der Präsident oder die
Gesellschaft schlösfen mit den Abnehmern der Steine die Lieferungsverträge
ab; die Anweisung, wohin die Steine transportiert werden müssen, gehe
vom Präsidenten der Gesellschaft ans. Dieser besorge die Jnkassi der
Fuhrlöhne bei den Abnehmern der Steine und die Auszahlung derselben
an die Fuhrleute. Insoweit arbeiteten die Beklagten im Hinblick auf
einen gemeinsamen Zweck mit gemeinsamen Kräften und Mitteln. Aber nur
so weit. Gerade die Fuhrungen selbst erfolgten nicht mit gemeinsamen
Kräften und Mitteln, sondern mit eigenen Mitteln und Kräften und auf
eigene Gefahr und Rechnung der betreffenden Fuhrleute. Der Gesellschafter
sei nicht zum Transport

904 Civilrechtspflege.

von Steinen verpflichtet; es sei sein Recht, das er ausüben könneaber
nicht ausüben müsse. Die Abrechnnng sei keine gemeinsame. Der
Gesellschafter führe die Steine auf seine, nicht auf der Gesellschaft
Rechnung. Der Transport geschehe auch auf Gefahr des Fuhrmanns,
d. h. es werde so gehalten, wie wenn der Fuhrmann Eigentümer und
Wiederverkäufer der Steine wäre, die er transportiert. Könne also der
Fuhrmann die Steine am Bestimmungsort nicht abliefern, so habe den
aus dieser Weigerung entstehenden Schaden nicht etwa die Gesellschaft,
sondern der Fuhrmann zu tragen; § 9 der Statuten schreibe vor, dass er
in diesem Falle die Steine verkaufen könne, wo es ihm möglich sei. Diese
Ausführungen stehen, soweit sie thatsächlicher Natur sind, mit den Akten
nicht in Widerspruch und sind deshalb insofern für das Bundesgericht
verbindlich. Was aber die rechtliche Schlussfolgerung betrifft, dass
sich die Gesellschaft nicht als Unternehmerin der Fuhrungen darstelle,
so frägt es sich bloss, ob dieselbe auf einer unrichtigen Auffassung über
den Begriff des Unternehmers beruhe. Dies ist zu beweinen Zunächst ist
zweifellos-, dass bei der Beantwortung der Frage, ob die Gesellschaft
Betriebsunternehmerin sei, kein entscheidendes Gewicht darauf gelegt
werden kann, dass der Gesellschaftspräsident bezw. die Gesellschaft die
Steinlieferungsverträge mit Dritten abschliessen. Einmal geben die Akten
über den Inhalt der Verträge keinen Aufschluss, und ist es wohl möglich,
dass der Präsident oder die Gesellschaft als Stellvertreter der einzelnen
Lieferanten dieselben abschliessen. Sollten aber auch die Verträge auf
den Namen der Gesellschaft lauten, so ist zu beachten, dass sehr wohl
jemand nach aussen als Übernehmer bestimmter Arbeiten oder Leistungen
austreten und dafür Dritten gegenüber die rechtliche Verantwortlichkeit
tragen kann, ohne dasser den die Arbeiten und Leistungen Ausführenden
gegenüber als der Unternehmer sich darstellt. Von dieser innern Seite
des Verhältnisses aber muss ausgegangen werden bei der Bestimmung
des Begriffs des Betriebsunternehmers im Haftpflichtrecht. Und wie
die Fabrikhastpflichtgesetzgebung überhaupt gewisse wirtschaftliche
Zustände ins Auge fasst und, zum Teil wenigstens, sozialpolitische Zwecke
verfolgt, so ist auch bei jener Begriffsbestimmung darauf zurückzugehen,
wer im wirtschaftlichen und sozialen Leben als Be-[X. Haftpflicht für
den Fahrikund Gewerbebetrieb. N° 110. 905

triebsunternehmer betrachtet wird. Danach ist denn als Unternehmer
derjenige zu bezeichnen, auf dessen Rechnung und Gefahr eine bestimmte
wirtschaftliche Thätigkeit ausgeübt wird: Nur derjenige gilt als
Unternehmer, dem die ökonomischen Vorteile eines Betriebes zukommen,
der aber anderseits auch thatsächlich die wirtschaftlichen Lasten
der fraglichen Thätigteit trägt, in dem sich also die Aussicht auf
den Unternehmergewinn und das Risiko für den ökonomischen Misserfolg
des Unternehmens vereinigen. Demjenigen, der sich als Unternehmer in
diesem Sinne darstellt, ist durch die Haftpflichtgesetzgebung auch
die Verantwortlichkeit für die aus dem Betriebe sich ergebenden
Unfälle überbunden worden (vgl. Roscher, Nationalökonomie, Bd. I,
S. 541z Urteile des deutschen Reichsoberhandelsgerichts in Bd. XXI,
S. 176, des deutschen Reichsgerichts in Bd. I, S. 282; ferner:
Refin, Das Recht der Arbeiterversicherung, S. 233 f.; Piloty,
Das Reichsunfallversicherungsgesetz, Bd. I, S. 191; Menzel, Die
Arbeiterversicherung nach österreichischem Rechte, S. 55 f.; Westerkantp
in Endemanns Handbuch, S. 643 ff.). Hienach kann im vorliegenden Falle
die beklagte Gesellschaft in der That nicht als Unternehmerin der
Fuhrungen aus dem Steinbrnch betrachtet werden. Es ist diesbezüglich
insbesondere auf die monatlichen Abrechnungen zu verweisen, die der
Präsident den Gesellschaftern ausstellt. Man ersieht daraus, dass die
Fuhrungen, ja wohl selbst die Steinlieferungen als solche, auf Rechnung
der einzelnen Gesellschafter erfolgen, dass diese Thätigkeiten einen
Teil ihrer Privatwirtschaft bilden und dass für die Gemeinwirtschaft der
Gesellschaft nur bestimmte einzelne Funktionen, namentlich das Brechen
der Steine, übrig bleiben, die in den Abrechnungen in den sog. Abzügen
ihre Berücksichtigung finden. Nur zur Bestreitung der Kosten dieser
Funktionen verschafft sich die Gesellschaft eigene Mittel. Sie stellt
Arbeiter nur an zum Steinbrechen, nicht aber auch für die Fuhrungen,
und sie besitzt hiefür weder Pferde noch Wagen. Sie zieht hieraus keinen
Gewinn und trägt infolgedessen dafür auch vom internen Standpunkt des
Betriebes aus kein Risiko. Es stehen ihr keine Mittel zur Verfügung,
aus denen sie eine Entschädigung für Unsälle leisten könnte, die sich
hiebei ereignen, indem die Prämien, die sie von den Mitgliedern bezieht,
offenbar bloss zur

906 Civilrechtspflege.

Versicherung der bei ihrem Betriebe, dem Steinbrechen, verwendeten
Arbeiter dienen. Sie ist auch keineswegs Unternehmerin der Fuhrungen in
dem Sinne, dass sie dieselben auf ihre Rechnung und ihr Risiko übernähme
und an die Mitglieder als Unterakkor-

danken weiter vergäbe, sondern Gewinn und Risiko trifft die-

einzelnen Steine führ-enden Gesellschaften Diese sind somit die
Unternehmer der Fuhrungen im Sinne der Hastpflichtgesetzgebung. § 1
der Gesellschaftssiatuten nötigt nicht zu einer andern Auffassung. Wenn
hierin als Gesellschaftszweck eine geregelte Steinlieserung vorgesehen
ist, so braucht damit nicht notwendigerweise der Gedanke verbunden zu
werden, dass die gesamte Lieferung der Steine auf gemeinsame Rechnung
und Gefahr erfolge. Es kann darunter auch verstanden werden die blosse
Organisation zum Zwecke des leichtern Abschlusses der Lieferungsveriräge,
die gemeinsame Besorgung des Steinbrechens und die Regelung der Abfnhr
unter den einzelnen zu den Fuhrungen Berechtigten. Diese Ausfassung
entspricht den ihatsächlichen Verhältnissen, wonach der Vorteil
des einzelnen und sein Betrieb im Vordergrund steht, während die
gesellschaftliche Organisation und ein gemeinschaftlichen Betrieb nur
eintritt, wo der einzelne der Gemeinsamkeit-, einer Organisation mit
gemeinsamem Zweck und gemeinsamen Mitteln, bedarf. Dadurch wird aber die
Gesellschaft nicht Uniernehmeriu der Arbeiten, die die einzelnen in ihrem
Interesse und mit ihren Kräften und Mitteln ausführen. Jhr Betriebskreis
erstreckt sich nicht aus die Fuhrungen, die nicht einmal im Sinne eines
Unterakkordverhältnisses dazu gehören. Es ist deshalb die Klage, weil
die Beklagte nicht als Unternehmerin der Arbeiten betrachtet werden
farm, bei denen sich der Unsall ereignet hat, abzuweisen, ohne dass
es einer Erörterung der übrigen von den Parteien aufgeworsenen Fragen
bedarf. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird verworfen und das angefochtene Urteil in

allen Teilen bestätigt.IX. Haftpflicht für den Fabrikund
Gewerhebetrleb. N° 111. 907

Mi. Auszug aus dem Urteil vom 2. November 1899 in Sachen
Jura-Cementfabriken gegen Gehrig.

Entschädigung für Anschafissnng und Unterhahf eines Iriinsiticften
Bein-es ; in der Entschädigung für Verminderung der Erwerbsfeîhig-keit
inbegriffen oder nicht ?

Der mit einem Taglohn von 3 Franken in der Cementsabrtk der Beklagten in
Wildegg beschäftigte, im Jahre 1867 gebotene Kläger erlitt am 15. Juni
1897, als er auf einem durch Wasserkraft betriebenen Aufzug mit einein
mit sogenannten Ungarsieinen beladenen, vom Erdgeschoss auf den zweiten
Stock zu befördernden Karten in die Höhe fuhr, einen Unfall, indem er
während der Fahrt umsiel und mit dem rechten Bein zwischen den Auszug
Und den nächsten Boden geriet. Dem Verungiückten musste infolgedessen
das verletzte Bein amputiert werden, an dessen Stelle er sich ein
künstliches Glied verschaffte. Er machte von daher gegen die Beklagten
einen Haftpflichtanspruch geltend und forderte gerichtlich ein:

a. Für verminderte Erwerbsfähigkeit 6000 Fr. (richterliche Feststellung
vorbehalten) samt Zins zu 5 o/0 vom 15. Juni 1897 an;

b. an Heilungskosien (auge): den Kosten bei der Krankenanstalt) täglich
3 Fr. bis zur Arbeitsfähigkeit des Klägers (abzüglich bezahlte 190 Fr.);

c. 9 Fr. ausstehenden Lohn;

&. 1000 Fr. Leichterliche resp. Sachverstandigeersistellung vorbehalten)
für Beschaffung eines künstlichen Beines und Unterhalt desselben.

Überdies wurde verlangt, dass die Beklagte verhalten werde, der
aargauischen Krankenanstalt die sämtlichen dort erwachsenen Kosten zu
entrichten, soweit dies noch nicht geschehen sein sollte.

Das Bezirksgericht Aarau gelangte unter Annahme einer Verminderung der
Erwerbsfähigkeit des Klägers von 70 0/0 und unter anrundelegnng eines
Taglohnes von 3 Fr. dazu, den sechsfachen Jahresverdienst des Klägers
aus 5940 Fr. anzuschlagen; hievon machte es einen Abzug von 10 0/0 für
Kapitalabfindung. Überdies legte es der Beklagten die Kosten der Ver-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 II 899
Datum : 21. September 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 II 899
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 898 . Civürechtspflege. gewesen sei, die Bestimmungen des Bandes-gesetzes über die


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
stein • beklagter • bundesgericht • frage • wille • dornach • pferd • monat • weiler • steinbruch • lieferung • schaden • funktion • thun • vorteil • zins • einzelne gesellschaften • entscheid • unternehmung • richtigkeit
... Alle anzeigen