818 Civilrechtspflege.

hoben worden ist und doch wohl kaum von Amtes wegen auf diese Frage des
Berzichtes eingetreten werden farm, steht der Ausführung der Vorinsianz
noch ein weiteres, entscheidendes Bedenken entgegen: Wohl hatte der
Klager, gleichwie für das erste Unternehmen, auch für das zweite dem
Beklagten Abrechnung gestellt und darin eine Honararforderung nicht
aufgenommen; allein diese Abrechnung ist vom Beklagten in tote nicht
anerkannt, vielmehr zuriickgewiesen worden; die darin eventuell enthaltene
Offerte des Verzichtes auf die Honorarsorderung wurde damit für den Kläger
unverbindlich, da der Verzicht auf ein Recht eben vom Gegenkontrahenten
angenommen werden muss, um rechtswirksam zu sein. Auf einen Verzicht also
kann hier nicht abgestellt werden. Die Honorarforderung des Klägers für
diese Baute wäre danach gutzuheiszen, wenn mit der ersten Instanz die
Fortsetzung des ursprünglichen Gesellschaftsvertrages in allen Teilen,
also auch bezüglich der Bestimmung über Honorierung des Klägers, bezw. die
Eingebung eines neuen Gesellschaftsvertrages mit allen Bestimmungen
des früheren, anzunehmen wäre. Aus der Thatsache, dass die Bestimmung
des ersten Vertrages betreffend Honorierung durch Verzicht des Klägers
nicht ausgeführt worden ist, muss nun aber gefolgert werden, dass der
Kläger selber davon ausging, für diese zweite Spekulation gelte die
Bestimmung des früheren Vertrages betreffend Honorar nicht mehr; es ist
anzunehmen, die Parteien haben in diesem zweiten Vertrage die Bestimmung
des früheren betreffend Honorierung des Klägers nicht aufgenommen, und
es greift daher die gesetzliche Bestimmung des Art. 537 Abf. 3 O.-R.
Platz, wonach dem Gesellschafter für persönliche Bemühungen kein Anspruch
auf besondere Vergütung zusteht. Aus diesem Gesichtspunkte ist somit
die zweite Honorarforderung des Klägers abzuweisen. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt:

Die Hauptberufung des Beklagten sowohl wie die Anschlussberufung des
Klagers werden als unbegründet abgewiesen und es wird somit das Urteil
der Appellationskainmer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Juni
1899 in allen Teilen bestätigt.VII. Obfigationenrecht. N° 98. , 817

98. Urteil vom 4. November 1899 in Sachen Häfliger gegen Jten und
Konsorten.

Schadenersatzforderemg aus anerlaubfer Hand/aeg: Körperverletzung,
begangen im Raufhande/ (Art. 50, 51, 53, 54 und 60 0. R.). Stellung des
Bundesgerichles bezüglich der rechtlichen und der Thatfmgen. Art. 81
Org.-Ges. Huftlmrzteit der Teilnehmer am Baufhandel, Art. 60
{). R. Mass der Entschädigung für bleibenden Nachteil ( Verlust des
Sehvesirmcîgens cleef einem Auge bei einem Apotheker fresp. canti,
pharm.). Mitversckulden.

A. Durch Urteil vom 5. Juni 1899 hat das Appellationsgericht des Kantons
Baselstadt erkannt:

Es wird das erstinstanzliche Urteil unter Herabsetzung der
Entschädigungssumme von 26,280 Fr. 50 Cis auf 23,117 Fr.
70 Ets. bestätigt.

Das erstinstanzliche Urteil vom 1. März 1899 hat die Beklagten Fritz
Jschi, Daniel Schaub, Rudolf Jten, Jean Göttisheim und August Wagner der
Teilnahme an einer Schlägerei mit schweren Folgen schuldig erklärt und
sie gemäss § 114 des Strafgesetzes zu Gefängnissstrafen von 1 4 Monaten
verurteiltz es hat sie überdies verpflichtet, dem Kläger Häfliger eine
Entschädigung von 26,280 Fr. 50 (Bits. zu bezahlen, und zwar den Schaub
zu "/9, den Göttisheim zu 2X9, den Jschi, Jten und Wagner je zu Vg,
unter solidarischer Hastbarkeit eines jeden für das Ganze. Ausserdem hat
es einen weitern Angeklagten, Joses Essig, freigesprochen und ihm eine
Entschädigung für unverschuldete Haft und Arbeitslosigkeit zugebilligt.

B. Gegen das Urteil des Appellationsgerichtes haben sowohl der Kläger als
auch die Beklagten Jten, Wagner und Göttisheim (letzterer anschlussweise)
rechtzeitig und in richtiger Form die Berufung an das Bundesgericht
erklärt.

Der Kläger beantragt: Die erstinstanzlich zugesprochene Entschädigung sei
auf 36,280 Fr. 50 Cis. nebst Zins zu 50/Ù seit 1. März 1899 zu erhöhen;
eventuell seien die von der ersten Instanz angenommenen 29,000 Fr. nicht
auf 20,000 Fr., sondern nur auf 25,000 Fr. zu reduzieren

818 Givilrechtspflege.

Die Beklagten Jten und Wagner stellen die Anträge:

1. Es sei in Aufhebung des Urteils des Appellationsgerichtes die
Entschädigungsforderung, soweit gegen diese beiden Beklagten gerichtet,
gänzlich abzuweisen.

2. Eventuell sei die Entschädigung auf den Betrag von 14,588 Fr. 85
Cis. zu reduzieren; hievon habe jeder dieser beiden Beklagten je '/9
b. h. 1617 Fr. 65 Cts. zu bezahlen, unter Aufhebung der Solidarhaft mit
den übrigen Beklagten.

Die Berufungsanträge des Beklagten Göttisheim lauten:

1. Die Klage sei ihm gegenüber gänzlich abzuweisen.

_ 2. Eventuell sei die Entschädigung auf 15,000 %]:,511 reduzieren und
Göttisheim unter Aufhebung der Solidarhaft zu verfällen, hievon einen
gleichen Teil zu bezahlen wie &ch Jten und Wagner.

· G. In der heutigen Verhandlung wiederholen und begründen die Vertreter
des chigers einerseits, der Beklagten Jten und Wagner anderseits ihre
Berufungsbegehren.

Der Beklagte Göttisheim ist weder erschienen, noch vertreten.

Das Bundesgericht zieht in Er wägung:

1. Das eingangs sub A mitgeteilte Urteil des Strafgerichtes des Kantons
Baselstadt beruht auf folgendem Thatbestande: Die heutigen Beklagteu
Göttisheim, Jten und Wagner befanden sich Sonntags den 11. Dezember 1898
Nachts circa von 12 Uhr an in Nesslers Bar in Basel, nachdem sie etwa
zwei Stunden vorher mit Mitgliedern der Studentenverbindung Helvetia
auf dem Centralbahnhofplatze eine Rauferei gehabt hatten (die indessen
zu keinen weitern Folgen führte), wobei Wagner einem Studenten namens
Christen einen Stock abgenommen hatte. In Nesslers Bar waren um jene
Zeit auch die weitern Beklagten Schaub und Jschi; die drei erstgenannten
Beklagten erzählten den zahlreich anwesenden Gästen von ihrer Rauferei
mit den Helvetern. Etwa um 1î2 Uhr betraten der heutige Kläger Häfliger,
cand. pharm., von Luzern, geb. 1873, und drei weitere Studenten, alle vier
Mitglieder der Studentenverbindung Raur.acia, Nesslers Bari-; Häfliger
und ein gewisser Hiisler trugen ihre Mützen, die gleich denjenigen der
Helvetia von karminroter Farbe sind. Der Kläger scheint beim Hineingehen
in das dichtVII. Obligationenrecht. N° 98. 819

gefüllte Lokal den Schaub etwas gestossen zu haben. Göttisheim rief beim
Eintreten der Studenten sofort: Da kommen die roten Kaiben wieder," und
Schaub sieng ohne weiteres an, die Studenten, und insbesondere den Kläger,
zu beschimpfen, was den ' Kläger veranlasste, dem Wirte zuzurufen, er
solle den Schaub hinausschaffen Schan rief: Was, mich den Schand Dänni
wollt ihr hinauswerfenl !, und die übrigen Gäste, von denen ein Teil
zu schimper und um die Streitenden herumzustehen begann, liessen durch
Zurufe und Geberden die vier Studenten erkennen, dass sie nicht auf ihrer
Seite stehen. Die Studenten verliessen hierauf das Lokal, Germann durch
die innere Türe, Um den Hausbesitzer Nessler, der in der ersten Etage
wirtete, zu holen, Feigenwinter, Hüsler und Häfliger nach einander durch
die Türe gegen die Strasse zu. Wie Hüsler und Häfliger unter dieser Türe
waren, versetzte Schaub, der sich an die Türe angesperrt hatte, jedem
derselben einen wuchtigen Stoss ins Kreuz, so dass beide, zuerst Hüsler,
dann Häfliger, über das Trottoir hinüber auf die Strasse fielen. Sofort
verliessen Schan und alle übrigen Gäste mit Ausnahme von drei Personen
das Wirtschaftslokal, und es entstand nun eine allgemeine Schlägerei,
bei der auf der einen Seite die drei Studenten, auf der andern Seite 8
10 Personen beteiligt waren, und die circa 10 Minuten dauerte. Als nach
Verfluss dieser Zeit die von Germanu herbeigeholte Polizei auf den Platz
kam, waren die Teilnehmer noch anwesend, und Hiisler und Feigenwinter
speziell damit beschäftigt, den Häfliger, der von Schaub zum zweiten Mal
zu Boden geworfen worden war und seitdem bewusstlos auf dem Pflasier lag,
aufzuheben. Auf dem Polizeiposten, wohin die Beklagten Essig und Jschi
ausgenommen -einerseits, die vier Studenten anderseits, verbracht wurden,
stellte sich heraus, dass Häsliger eine schwere Angenverletzung hatte,
der linke Augapfel war aus seiner Höhle getrieben, sodass die sofortige
Überführung desselben nach der Augenheilanftalt angeordnet wurde. Er
blieb daselbst bis zum 8. Februar 1899; anfänglich musste er flüssig
ernährt werden, und zudem machte er eine Gehirnhautentzündung durch. Die
Kontusion des linken Augapfels hat den Verlust des Sehvermögens auf
diesem Auge herbeigeführt Das Auge selbst

820 Civilreehtspflege.

wird zwar wahrscheinlich in seiner Form erhalten bleiben könnenund eine
Gefahr für das rechte Auge durch das verletzte kann als ausgeschlossen
gelten. Wer die Verletzung beigedracht hat, und mit welchem Instrumente
sie erfolgt ist, hat nicht ermittelt werden können; jedenfalls ist
der Schlag beigebracht worden, während Häfliger bewusstlos am Boden
tag. Dagegen wurde gegen die aus dem strafgerichtlichen Urteile
ersichtlichen Personen auf Strafantrag Häfligers hin Anklage erhoben,
und zwar gegen Jschi wegen schwerer Körperverletzung, gegen die übrigen
Angeklagten wegen Teilnahme an einer Schlägerei mit schweren Folgen.
Das Strafgericht nimmt bezüglich der Teilnahme der einzelnen heute
noch in Betracht kommenden Beklagten an der Schlägerei gestützt auf die
Zeugenaussagen folgendes als erwiesen an: Göttisheim war auf Seite des
Hauptangreifers Schan am Streite Beteiligt; einige Zeugen haben ihn,
der eine gleich zu Anfang des Streites, der andere gegen Schluss der
Schlägerei, gegen Feigenwinter schlagen sehen. Jten ist von einer ganzen
Anzahl von Zeugen unter den Streitenden erblickt worden, allerdings
ohne dass sie (mit Ausnahme des Hüsler) eine bestimmte angreifende
Handlung desselben hätten namhaft machen können, indessen kann diese
Einmischung Jtens nur auf dessen Absicht, den angreifenden Schaub und
Göttisheim beizustehen, zurückgeführt werden. Gegen Wagner liegt vor:
Dass er selbst zugibt, möglicherweise mit dem von ihm bei der Rauferei
mit den Helvetern erbeuteten Stocke drein geschlagen zu haben, und dass
er ebenfalls mitten Unter den Streitenden bemerkt worden ist, dass ferner
mit jenem Stock, der im Bar noch ganz war, in der Weise dreingeschlagen
worden isf, dass Stock und Griff sich getrennt haben, und dass auch
der blosse Stock noch zum Schlagen verwendet wurde; dass er endlich
im Lohnhof zu Feigenwinter sagte es geschehe ihm und seinen Freunden
ganz recht, sie hätten schon auf dem Bahnhosplatze angefangen gehabt.
Vor Strafgericht machte der Kläger Häsliger gegen sämtliche Beklagten
(gegen den freigesprochenen Essig hat er sie nachträglich fallen lassen)
adhäsionsweise eine Entschädigungsforderung von 36,280 Fr. 50 Cts.,
unter Solidarhaft jedes der Beklagten für das Ganze, geltend, die er
folgendermassen spezifizierte :VII. Obligationenrecht. N° 98. SW

1. Für 30 0/0 dauernde Erwerbsunfähigkeit bei Annahme eines
Jahresverdienstes von 6000 Fr. Ausfall per Jahr 1800 Fr., was beim Alter
des Klägers gleichkomme einem Kapital von 35,161 Fr. 40 Ets welche Summe
indessen in Anbetracht des Vorteils der Kapitalabsindung reduziert werde
auf Fr. 30,000 --

2. Für Entstellung und Schmerzensgeld . . 5,000 --

3. Für Zurückkommen im Studium um mindestens ein Semester
. . . . . . . . . . 1,000 -

4. Für Spitalbehandlungskosten . . . . . 280 50

Fr. 36,280 50

Die erste Instanz erachtete die Forderungen sub 2 4 als vollständig
begründet, und die zweite Instanz ist ihr hierin beigetreten. Bezüglich
der dauernden Verminderung der Erwerbsfähigkeit setzte die erste Instanz
den Durchschnittsjahresverdienst eines Apothekers auf 5000 Fr. an und
gelangte so zur Annahme eines Kapitals von 29,301 Fr. 15 Età, das sie
wegen des grossen Vorteile-Z der Kapitalabfindung, wegen des Umstandes,
dass der Kläger dieses Einkommen frühestens in 1I,X2 2 Jahren erreicht
hätte, und endlich wegen eines wenn auch ganz geringen Mitverschuldens
das in der Aufforderung des Klägers an den Wirt, den Schan zu entfernen,
liege auf 20,000 Fr. reduzierte. Die zweite Instanz hat gestützt auf einen
von ihr eingeholten Bericht des Finanzdepartementes des Kantons Luzern,
wonach von Apothekern in der Stadt Luzern Einkommen von 9000 2500 Fr
auf dem Lande solche von 1200 Fr. versteuert werden, als künftiges
jährliches Durchschnittseinkommen des Klägers 4000 Fr. angenommen,
und die Rente für das 27. Altersjahr des Klägers berechnet, wobei sie
zu der Summe von 22,837 Fr. 20 Cis-. gelangt. Diese Summe reduziert
sie um 8000 Fr also aus 16,837 Fr. 20 Cis teils wegen des Vorteils der
Kapitalabsindung, teils wegen des auf Seite des Klägers immerhin, wenn
auch nicht gerade in schwererem Umfange vorhandenen Selbstverschuldens,
läge dies auch nur darin, dass er, der Anspruch aus höhere Gesittung
und Bildung machen will, sich bis spät in die Nacht in Wirtschaften
herumtreibt, wo es erfahrnngsgemäss leicht zu Handeln kommt.

2. Die Kompetenz des Bundesgerichtes zur Behandlung der

822 Civilrechtspflege._

Schadenersatzforderung des Klägers steht ausser Zweifel (was des nähern
ausgeführt wird, unter speziellem Hinweis auf Amtl. Samml., Bd. XXV,
2. Teil, S. 534 f. Erw. 1).

3. Bei der zu entscheidenden Frage: ob die Beklagten eine dem Kläger
Schaden verursachende rechtswidrige Handlung begangen haben und für
diesen Schaden civilrechtlich verantwortlich find, ist das Bundesgericht
in der rechtlichen Würdigung des Thatbestandes trotz Vorliegens eines
Strafurteiles vollständig frei und in keiner Weise an die strafrechtliche
Qualifikation der That durch den Strafrichter gebunden; das Strafurteil
hat rechtskräftig nur ent-

schieden darüber, dass dem Staate wegen der so und so strafss

rechtlich qualifizierten Handlung ein Strafanspruch zustehe. Dagegen gilt
für die Prüfung des Bundesgerichtes bezüglich des Thatbestandes auch hier
die Schranke des Art. 81 Abs. 1 Org.-Ges., wonach das Bundesgericht an
den vom kantonalen Gerichte festgestellten Thatbestand gebunden ist und
von demselben nur abzugeben hat, wenn die Feststellung in Verletzung
buudesrechtlicher Normen über Beweiswürdigung zu Stande gekommen ist,
oder mit den Akten in Widerspruch steht. Ersterer Ausnahmesall kann hier
nicht in" Frage kommen. Und bezüglich der Aktenwidrigkeit haben sich
allerdings heute die Vertreter der Beklagten Jten und Wagner bemüht,
nachzuweisen, dass in den Feststellungen der kantonalen Jnstanzen
bezüglich dieser Beklagten eine Aktenwidrigkeit liege. Allein alles
von ihnen hiefür vorgeht-achte ist eine Kritik der von den kantonalen
Jnstanzen vorgenommenen Würdigung der Zeugenausfagen und Jndizien, die
vielleicht vor einem Gerichte, das den Thatbestand frei zu prüfen hätte,
von Erfolg begleitet sein könnte, die aber vom Bundesgericht nicht gehört
werden kann, da eben Widersprüche mit aktengemässen Thatsachen nirgends
bestehen. Es ist sonach bezüglichder Frage der Beteiligung jedes der
einzelnen heute noch in Frage kommenden Beklagten der vom Strafgerichte
festgestellte Thatbeftand zu Grunde zu legen.

4. Die schädigende Handlung, welche der Kläger zum Fundamente seines
Schadensersatzanspruches macht, ist einzig und allein die Verletzung
feines linken Auges; nur für den aus dieser Verletzung erwachsenen Schaden
verlangt er Ersatz, nicht etwa auchVII. Ohligationem-echt. N° 98. 823

noch für die übrigen (geringfügigen) Verletzungen, die er bei der
Schlägerei erlitten, oder für Beschädigung von Kleidungsstücken und
dgl. Es fragt sich daher, ob die heute noch in Betracht kommenden
Beklagten für den dem Kläger aus jener Handlung erwachsenen Schaden
civilrechtlich haftbar zu erklären find. Massgebend hiefür ist Art. 60
O.-R., wonach mehrere, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben,
solidarisch für den Ersatz haften, ohne Unterschied, ob sie als
Anstifter, Urheber oder Gehülfen thätig gewesen find. Danach ist für
die Haftbarerklärung in dem Falle, wo ein Verschulden mehrerer vorliegt,
notwendig die Teilnahme an der schädigenden Handlung, ein Verschulden des
Belangten, und ein Kausalzusammenhang zwischen der schuldhaften Thätigkeit
des Belangten und dem eingetretenen Schaden. Letzteres Erfordernis
folgt sowohl aus allgemeinen Grundsätzen, wie auch aus dein Wortlaute des
Art. 80, wonach eben der Schaden gemeinsam verschuldet, d. h. durch eine
gemeinsame schuldhafte Handlung verursacht fein muss. Als die gemeinsame
schuldhafte Handlung stellt sich nun hier, da nicht etwa ermittelt ist,
dass mehrere bestimmte Beklagte gemeinsam auf den Kläger losgeschlagen
und ihm die Verletzung des Auges beigebracht hätten (in welchem Falle
vielleicht nur diese Handlung als den Schaden verursachend angesehen
werden könnte), dar der Raufhandeh die Schlägerei; es ist daher zu
prüfen, inwieweit die Thätigkeit eines jeden der noch in Frage kommenden
Beklagten bei diesem Raufhandel mit dem dem Kläger verursachten Schaden im
Kausalzusammenhang steht, d. h. inwieweit die schuldhaste Thätigkeit jedes
Einzelnen eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolg gesetzt hat Es fragt
sich, m. a. W., inwieweit die als Teilnehmer am Raufhandel bestraften,
heute noch in Frage kommenden, Beklagten als Gehülfen bezüglich der
in diesem Raufhandel zugefügten Körperverletzung erscheinen; denn als
Anstifter oder Urheber können sie nach den thatsächlichen Feststellungen
der Borinstanz von vornherein nicht angesehen werden; der Beweis für ihre
Thäterschaft ist nicht erbracht. Und zwar ist bei dieser Frage nicht
etwa von einem bestimmten strasrechtlichen Begriff der Gebülfenschaft
auszugehen (z. B. demjenigen des § 29 des Strafgesetzbuches für den Kamm
Baselstadt), sondern von dem allge-

824 Civilrechtspflege.

mein juristischen Begriffe, wonach insbesondere auch fahrlässige
Gehülfenschaft denkbar und möglich ist. In diesem Sinne erscheint
denn auch derjenige als Gehülse zu der im Raufhandel beigebrachten
Körperverletzung oder Tötung (die übrigens selber auch fahrlässig
beigebracht werden farm), der durch seine Teilnahme am Raufhandel den
Thäter unterstützt; auch er hat alsdann unmittelbar eine Bedingung zu
dem eingetretenen Erfolg gesetzt, so dass er den Erfolg mitvernrsacht
hat. Und zur Schuld zuzurechnen ist ihm dieser Erfolg dann, wenn
er voraussehen musste, dass durch seine Thätigkeit, durch seine
Teilnahme am Raufhandel, dieser Erfolg eintreten konnte. Ja Anwendung
dieser Grundsätze auf die drei rekurrierenden Beklagten nun steht
zunächst, nach den für das Bundesgericht, wie in Erwägung 3 ausgeführt,
verbindlichen Feststellungen der kantonalen Instanzen, ausser Zweifel,
dass Göttisheim im Raushandel eine derart aktive Thätigkeit entfaltet hat,
dass er mindestens als fahrlässiger Mitverursacher der Körperverletzung
des Klägers anzusehen ist; ferner fällt gegen ihn in Betracht, dass er
durch seine aufreizenden Worte in der Wirtschaft den ganzen Streit recht
eigentlich provoziert hat; der Provokant eines Raushandels aber wird wohl
in der Regel als Mitverursacher der darin begangenen Körperverletzungen
verantwortlich erklärt werden müssen. Schwieriger zu beurteilen ist
die Frage des Kausalzusammenhanges bei Jten und Wagner. Jndefsen
erscheinen doch auch sie zunächst als Mitprovokanten der Schlägerei
-wie denn wohl die Haltung aller drei rekurrierenden Beklagten in der
Wirtschaft Nessler auf ihren Irrtum zurückzuführen ist, sie hätten es,
wie einige Stunden vorher, wieder mit Mitgliedern der Studentenverbindung
"Helvetia zu thun; und sodann ist festgestellt, dass sie den Beklagten
Schaub und Göttisheim Beistand geleistet und sich nicht etwa auf die
eigene Verteidigung beschränkt haben, und nun konnte von ihnen gewiss
vorausgesehen werden, dass bei der Schlägerei und unterstützt durch ihre
Teilnahme eine schwere Körper-verletzung beigebracht werden könnte Unter
diesen Umständen sind auch diese Beklagten, zumal der eigentliche Thäter
nicht bekannt geworden isf, als haftbar zu erklären. Damit nähert sich
die Auffassung der Haftbarkeit der Teilnehmer am Raushandel allerdings
der in § 830 Satz 2 deutsches B.-G.-B. gesetzlich sanktionierten, wonach
solidarischeVU. ObligafionenrechL N° 98. 825

Haftbarkeit dann eintritt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von
mehreren Beteiligten deni Schaden durch seine Handlung verursacht hat -ein
Satz, der freilich mangels einer positiven dahin gehenden Bestimmung des
leigationenrechtes und bei dem Wortlaute des Art. 60 O.-R. nicht ohne
weiteres aus die Entscheidung der vorliegenden Frage angewendet werden
durfte-, während er auch im gemeinen Recht seine Vertreter gefunden hat
(vergl. Seufsert's Archiv Bd. 40 Nr. 109).

5. Jst sonach die Berufung der drei rekurrierenden Beklagten im Prinzipe
abzuweisen, so fragt sich weiterhin, ob ihre eventuellen Anträge
bezüglich des Quantitativs, oder aber gegenteils die diesbezüglichen
Berufungsanträge des Klägers gutzuheissen seien. Hiebei sind
vom Bundesgerichte nur zwei Fragen zu entscheiden: Die Frage,
welcher künftige Jahreserwerb der Berechnung der Einbusse der
Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legen sei, und die weitere Frage,
ob und inwiefern wegen Mitverschuldens des Klägers ein Abzug an der
ihm zuzusprechenden Schadensersatzsumme gemacht werden müsse; über
das Quantitativ der übrigen Posten (Schmerzengeld 2c., Verlust eines
Semesters, Heilungskosten) herrscht kein Streit. Die erstere Frage
betreffend erscheint allerdings die Annahme des Vorderrichters, es sei
ein künftiger Jahreserwerb von 4000 Fr. als Basis anzunehmen, nach den
vom Finanzdepartemente des Kantons Luzern gelieferten Angaben als recht
gering; denn hieuach haben pro 1896/97 die Apotheker der Stadt Luzern ihr
Einkommen tariert wie folgt: 1 à 9000 Fr 1 è... 8200 Fr., 1 à 8000 Fr.,
1 à 7000 Fr 2 à je 4500 Fr., und 2 à je 2500 Fr., und das ergäbe einen
weit höheren, gegen 6000 Fr. hinliegenden Durchschnitt Zählt man hiezu
das Mittel der Angaben aus den auf dem Lande eristierenden Apotheken
(2 Apotheken à 1200 Fr.), so ergiebt sich immer noch ein näher gegen
5000 Fr. als gegen 4000 Fr. liegender Durchschnitt. Indessen kann doch
nicht gesagt werden dass die Annahme der Vorinstanz, die wesentlich eine
thatsächliche Schlussfolgerung ist, aktenwidrig erscheine; sie mag niedrig
sein, namentlich in Anbetracht des Umstandes, dass dem Kläger die besten
Zeugnisse ausgestellt worden sind und also wohl für ihn eher ein höheres
als das Durchschnittseiukommen erwartet werden durfte; anderseits sind
die für den künftigen Erwerb des Klägers massgebenden Faktoren

828 Civilrechtspflege,

derart unsicher und ungewiss, dass von einer Aktenwidrigkeit nicht
gesprochen werden farm. Es muss also bei der Annahme der Vorinstanz sein
Bewenden haben.

Dagegen ist ein Mitverschulden des Klägers an dem ihm erwachsenen Schaden
nicht anzunehmen Zunächst ist klar,"dass ein mit dem eingetretenen
Schaden kausales rechtliches Mitverschulden und nur ein solches hat
Art. 51 Abs. 2 OJR im Auge in der blossen Thatsache des Besuches einer
Wirtschaft zu später Nachtstunde nicht gefunden werden farm. Aber
auch im Verhalten des Klägers in der Wirtschaft liegt ein Verschulden
seinerseits nicht; das wäre allerdings der Fall, wenn er seinerseits
absichtlich den Schaub gestossen und so den Streit provoziert hatte;
allein hiefür liegt gar nichts vor; und dass er sich gegenüber Schand
nicht entschuldigt, sondern den Wirt um Entfernung Schaubs ersucht hat,
kann ihm angesichts der brutalen Weise, mit der ihn Schan wie Göttisheim
-sofort behandeln-, nicht zum Verschulden angerechnet werden. Jst so ein
Verschulden des Klägers nicht anzunehmen, so gelangt das Bundesgericht
gleichwohl zur Bestätigung des von der Vorinstanz gesprochenen Betrages,
indem der Vorteil für die Kapitalabsindung etwas höher angesetzt wird
als von der Vorinstanz.

6. Da die Frage des Mitverschuldens des Klägers verneint wird, ist es
nicht notwendig, zu prüfen, ob auch dann eine Summe für Erschwerung des
Fortkommens durch eine Entstellung (Art. 53 Abs. 2 O.-;Jit.) gesprochen
werden dürfe, wenn auf Seite des Ver-letzten ein Mitverschulden vorliegt,
m. a. W., wie sich Art. 51 Abs. 2 zu Art. 53 Abs. 2 O.-R. verhalte.
Dass aber bei Nichtannahme eines Mitverschuldens des Klägers die
Zusprechung einer bezüglichen Summe gerechtfertigt sei, ist auch von
den Beklagten nicht bestritten

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers sowohl wie diejenige der Beklagten wird als
unbegründet abgewiesen und somit das Urteil des Appellationsgerichtes des
Kantons Baselstadt vom 5. Juni 1899 bestätigt.VII. Obligationenrecht. N°
99. 827

99. Urteil vom 10. November 1899 in Sachen Schüpbach gegen Burgen

Forderung cms Heiratseermiftlung. Abwägung wegen Unsitiliahkeit.
Art. 17 0.42.

A. Durch Urteil vom 23. März 1899 hat der Appellationsund Kassationshof
des Kantons Bern erkannt:

Der Kläger ist mit seinem Rechtsbegehren abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Zdie Berufung an das Bundesgericht
ergrifer smit dem Antrag, es sei in Abänderung desselben die Klage
gutzuheissen.

C. In der heutigen Hauptverhandlung erneuert der Anwalt des Klägers diesen
Berufuugsantrag Der Anwalt des Beklagten beantragt Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Klager, Friedrich Schüpbach, Geschäftsmann in Bern, fordert vom
Beklagten, Johann Burger, Landwirt auf der Viehweide Strättligen bei Thun,
mit der vorliegenden Klage die Vezahlung von 4173 Fr. samt Verzugszins zu
5 0/0 seit 22. Mai 1895 gestützt auf folgende Thatsachen: Der Beklagte
habe eine vermögliche Frau zu heiraten gewünscht und zu dem Zweck dem
Kläger, der sich unter anderem mit der gewerbsmässigen Vermittlung
von Heiraten gegen Geldentschädigung befasse, den Auftrag erteilt, eine
Heirat zwischen ihm und der Magdalena Zingg in Frauenkappelen zu Stande zu
bringen. Er habe dem Kläger am 5. März 1894 folgenden Verpflichtungsschein
ausgestellt: Der unterzeichnete Johann Burger auf der Viehweide bei
Thun verpflichtet sich, dem Friedrich Schüpbach und N. Siegenthaler
in Bern für direkte oder indirekte Vermittlung einer projektierten
Heirat mit Magdalena Zingg vom Frauensvermögen, was ihm mehr als 20,000
Fr. zufällt, nach der Trauung sofort an Obgenanute als Vermittlungsgebühr
ohne jede Einrede auszuzahlen Viehweide den 5. März 1894. Johann Burgen-
Der Kläger habe den Auftrag ausgeführt Der Eheabschluss zwischen dem
Beklagten und der Magdalena Zingg sei am 18. Juni 1894 erfolgt, und die
Ehe werde allgemein als eine glückliche betrachtet.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 II 817
Datum : 01. Januar 1898
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 II 817
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 818 Civilrechtspflege. hoben worden ist und doch wohl kaum von Amtes wegen auf diese


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • frage • bundesgericht • schaden • student • raufhandel • apotheke • strafgericht • vorteil • erste instanz • burg • vorinstanz • kausalzusammenhang • erwachsener • thun • essig • solidarhaftung • zeuge • honorar • verhalten
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