582 cjvilreclatsptlege.

zu Hand, sondern nur von einer solchen auf den Todesfall die Rede
fein, dafür aber führte er aus rnangelten die nach beruischem Rechte
vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Er hiess daher die Klage, soweit sie
gegen den Ehemann Schlosser gerichtet war, gut; gegen die Ehesrau
Schlosser wurde die Klage wegen mangelnde-r Passivlegitirnation
abgewiesen.

Der Beklagte Ehemann Schlosser ergriff gegen das ihn verurteilende
Erkenntnis des Appellationsund Kassationshoses die Berufung an das
Bundesgericht, indem er behauptete, das angesochtene Urteil enthalte eine
Verletzung des Art. 104 Q.-R., wonach die Rückgabe des Schnldscheines
an den Schuldner die Vermutung begründe, dass die Schuld getilgt sei.

Das Bundesgericht ist auf die Berufung wegen J.nkornpetenz nicht
eingetreten. In den Gründen seines Urteils führt es zunächst aus, dass
am. 101 O.-R. allerdings an sich auwendbar sei, da die behauptete Rückgabe
nach Inkrafttreten des schweizerischen leigaiionenrechtes stattgefunden
habe. Sodann fährt das Urteil fort:

Art. 104 O-R derogiert unzweifelhaft dein Grundsatze des Art. 141 O.-R.,
wonach der schenkungsroeise gewährte Nachlass durch das kantonale Recht
bestimmt wird, nicht; es folgt aus der Rechtsvermutnng des Art. 104
O.-Jt. speziell nicht etwa, dass-zum schenkungsweisen Nachlasse die
Rückgabe des Schuldscheines an den Schuldner genüge, sondern die Form
des schen-

kungsweisen Nachlasses regelt sich gemäss Art. 10 O.-R., unge_

achtet des Art. 104 D.M., nach kantonalern Rechte. Wenn daher feststeht,
dass der Rückgabe des Schuldscheines jedenfalls ein anderer Tilgnngsgrund
der Forderung als derjenige des schenkungsweisen Nachlasses nicht zu
Grunde liegt, so beurteilt sich die weitere Frage, ob ein gültiger
schenkungsweiser Nachlass vorliege, nach kantonalem Rechte und es
entziehen sich daher die sachbezüglichen kantonalen Entscheidungen
der Nachprüfung des Bundesgerichtes Im vorliegenden Falle nun ist,
nach den gesamten Vorbringen der Parteien, speziell der Beklagten
vor der kantonalen Instanz, vollständig klar, dass ein anderer
Tilgungsgrund der Forderung als derjenige des schenkungsweisen
Nachlasses völlig ausgeschlossen ist, dass es sich vielmehr nur
fragenIl. Obligationenrecht. N° 74. 583

kann, ob durch die Herausgabe der streitigen Obligation, wie sie am
8. April 1894 erfolgte, ein gültiger schenkungsweiser Nachlass vollzogen
worden sei. Diese Frage aber wird von der· tanto: nalen Instanz ans
Grund der Würdigung der Beweisergebnisse positiv verneint, indem sie zu
der Schlussfolgerung gelangt, sofern bei der Herausgabe der Obligation
eine Schenkungsabsicht überhaupt obgewaltet habe, so habe es sich dabei
jedenfalls nicht um eine Schenknng von Hand zu Hand, sondern höchstens um
eine solche von Todeswegen gehandelt und diese sei wegen mangelnder Form
nach kantonalem Rechte ungültig. Diese Entscheidung entzieht sich als eine
kantonalrechtliche der Nachprüfung des Bundesgerichtes Und da dieselbe
für das Schicksal des Rechtsstreites ausschlaggebend ist, so ist das
Bundesgericht zur Beurteilung der Berufung materiell inkompetent. Dass die
vorinstanzliche Entscheidung auf einer bundesrechtswidrigen Verteilung der
Veweislast beruhe, kann nicht gesagt werden, da dieselbe auf der positiven
Feststellung beruht, dass ein kantonalrechtlich gültiger schenkungsweiser
Nachlass jedenfalls nicht vorliege, also thatsächlich davon ausgeht, die
Rechtsvermntnng des Art. 104 O.-R. wäre unter alle-nUmständen widerlegt.

74. Urteil vom 15. Juli 1899 in Sachen Schweizerische Handelsgeselischast
gegen Staufser.

Heft der Direktionsmitg/ieder einer Genossenschaft für Schaden, den
diese durch Spekutaiionen ihres Geschäftsführers erlitten hat. Art. 735
0. R.; Art. 113 eod. Beweisktst. Stellung des Geschäftsführers in
concreto. Thatsäekliche Feststellung, inwieweit vom Bundesgericht auf
Aktenwt'drigkelt nachzupmifen (Art. 81, Abs. 1 Org.-Ges.) .? Kenntnis
der Generalverssammäung von den Spekeelaiîonen; Déchmege.

A. Durch Urteil vom 3. Februar 1899 hat das Handelsgericht des Kantons
Aargau erkannt:

Die Klägerin ist mit ihrer Klage abgewiesen

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht eingelegt, mit

584 cirilrechtsptlege.

den Anträgen: Es sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klagpartei
das Klagebegehren zuznsprechenz eventuell sei eine Aktenbervollsiändigung
durch das Bundesgericht entweder selbst vorzunehmen oder anzuordnen,
insbesondere sollen die von der Klägerin angetragenen Beweise abgenommen
werden.

C. In der Verhandlung vom 6. Juli 1899 wiederholt der Vertreter der
Klägerin diese Anträge und beantragt eventuell Gutheissung der Klage in
einein reduzierten Betrage.

Der Vertreter des Beklagten trägt auf Abweisung der Berufung an.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Auf Grundlage der Bestimmungen von Titel XXVII des Obligationenrechts
bildete sich im Jahre 1883 bezw. 1885 auf unbestimmte Zeit unter der
Firma Schweizerische Handelsgesellschaft, mit Sitz in Orlikon, eine
Genossenschaft schweizerischer im Handelsregister eingetragener Kaufleute,
die heutige Klägerin, zu dem Zweck, KoloniaI-, Spezerei-, Manufakturwaren
ee. direkt ans den ersten Quellen zu beziehen, Unter Berücksichtigung der
Tages-preise ihren Mitgliedern und Proselyten abzuliefern und überhaupt
das Handelsinteresse derselben nach Kräften zu fördernDie Genossenschaft
bezweckt keinen direkten Gewinn; doch soll zur Deckung allfälliger
Verluste und Hebung des Gesellschaftskredites aus den allfälligen
Jahresüberschüssen ein Reservefonds und ein Garantiefonds gebildet
werden Die Organe der Gesellschaft sind nach § 8 der Statuten: Die
Generalversammlung der Berwaltungsrat, die Direktion, die Geschäftsführer
und die Censurkonunission (Kontrollstelle). Die Wahl des Verwaltungsrates,
der Direktion und des Kontrollführers, sowie der Rechnungscensoren, steht
der Generalversammlung, diejenige des Geschäftsführers dem Verwaltungsrate
zu (gg 10 und 14 der Statuten). Der Verwaltungsrat überwacht den ganzen
Geschäftsgang mit vollständiger Verwaltungsbefugnis und unter persönlicher
Verantwortlichkeit für gewissenhafte Amtsführung (è 11, Abf. 3 der
Statuten). Die Direktion besteht aus dem Präsidenten, Vicepräsidenten und
Aktuar des Verwaltungsrates; sie vertritt die Gesellschaft nach aussen
und es führen namens derselben deren Präsident, Vieepräsident und Aktuar
je zu zweien die Unterschrift;II. Obligaiiminnt-echtI N° 74. 585

der Verwaltungsrat kann indessen auch einem oder mehreren Geschäftsführern
Einzeloder Kollektivunterschrift unter sich oder je mit einem Mitgliede
der Direktion erteilen. Die Geschäftsführer haben zur Aufgabe die
Besorgung des Geschäftsverkehrs und der Buchführung; im Verwaltungsrate
und in der Direktion ist ihnen beratende Stimme zugeteilt. Die aus
drei Mitgliedern zusammengesetzte Censurkommission (Kontrollstelle)
hat die Pflicht, an Hand der Geschäftsbücher die Jahresrechnungen
und Bilanzen zu prüfen und darüber zu Handen der Generalversammlung
schriftlich Bericht und Antrag zu stellen. Aus dein Geschäftsreglement
der Klägerin sind folgende Bestimmungen hervorzuheben: % 2. Die Direktion
. . . überwacht den gesamten Geldund Waren-Erfein; sie besorgt ferner
alle laufenden Geschäfte, welche nicht speziell dem Verwaltungs-rat
oder einem andern Organe überwiesen sind, und beaufsichtigt im besondern
die Geschäftsführung . . . .'. @ 3. Die Geschäftsführung besorgt unter
spezieller Aufsicht des Präsidenten den gewöhnlichen Wareneinkauf;
Lieferungsverträge und Spekulationskäufe dagegen dürfen nur unter direkter
Mithülfe des Präsidenten gemacht werden. Für alle Kaufe und Verträge
sind dem Präsidenten Rapporte sofort nach Abschluss zuzustellen .....
% è. Der Präsident . . . Übermacht die Geschästsführung, ist Mitberater
bei Einkäufen, vide § 3 . . ."

Vom Jahre 1894 an war der Beklagte, Stauffer, Handelsmann in Murgenthal,
Präsident der Direktion; die übrigen Mitglieder der Direktion waren ein
gewisser Zürcher (wohnhaft im Kanton Bern) und ein Greutert (domiziliert
im Kanton Thurgau); Geschäftsführer für den Handel in Kolonialwaren
war ein Bbsch, gewählt am 30. August 1893. Die Geschäftsführung des
letztern gab alsbald zu Bemerkungen Veranlassung, da er sich in grosse
Spekulationen einliess. Eine Anzahl von Spekulationskäuer des Bösch,
von denen dieser der Direktion erst nachträglich Kenntnis gab, wurden
nur in dem Sinne von der Direktion genehmigt, dass der Verlust ganz oder
teilweise dem Bösch überbunden wurde, so: am 2. Juli 1894, 20. Juli,
20. September-, S. Dezember 1895, 12. Februar 1896. Am 18. September
1895 kam das Verhältnis zu Bösch im Verwaltungsrate dem auch die Censoren
beiwohnten zur Sprache, wobei der Beklagte

586 ' Civilrechtspflege.

bezüglich eines Rohzuckerkaufes von 2500 S die Zumutung Böschs, als
hätte letzterer diese Käufe mit Ermächtigung des erstern (des Beklagten)
abgeschlossen, als unrichtig zurückwies. Bezüglich eines Kauer von 15
Cysternen Petrol à 15% bezw. 10.10. à 19% bemerkt das Protokoll: Die
Behörde tadelt energisch das einseitige Vorgehen des Geschäftsführers
und ladet die Direktion bei ihrer Verantwortlichkeit ein, solchen
Vorkommnissen vorzubeugen. Mittelst Cirknlars vom 26. September 1895
beschloss die Direktion, ans Antrag des Bösch: Die Einkaufsrapvorte seien
von ihm der Direktion regelmässig wöchentlich vorzulegen und von ihr
sofort bezw. per Eirkular zu behandeln; ausserdem erhielt die Kontrolle
Weisung, allen Wechseln bezw. Faktoren über 1000 Fr., für welche nicht
genehmigte Einkaufsrapporta vorliegen und über alle Spekulationskäufe,
die ohne Direktion gemacht worden, das Accept zu verweigern. Durch
Beschluss des Verwaltungsrates vom 17. März 1896 wurde Bösch für das
Defizit von 3365 Fr. aus den Petrolkäufen mit 960 Fr. belastet; ferner
wurden ihm Weisungen erteilt, n. a. den Verkehr mit Grossisten bei
seiner Verantwortlichkeit aufzuheben und jeden eigemnächtigen Einkauf
über 1000 Fr. und auf Lieferung bei eigener Verantwortlichkeit vermeiden
zu wollen. Im Protokolle dieser Sitzung ist überbeut gesagt: aus der
Diskussion über Lieserungskänse in der Kolonialbranche erhelle, dass
solche, wenn mit Erfolg gearbeitet werden solle, nicht ganz zu vermeiden
seien, indei; stets gemeinsam stattzufinden haben zwischen Geschäftsführer

und Präsidiuin. Zn der Verwaltungstatssitzuug vom 8. Oktober ·

1896 _ in welcher die Censoren ebenfalls anwesend waren wurde die
Geschästsführung der Kolonialabteilung bezw. der Direktion von einem
Mitgliede bemängelt; allein der Verwaltungsrat erteilte der Direktion
und speziell dem Präsidenten (dem heutigen BeklagtenJ laut ssrotokoll
vollständige Satisfaktion In der Direktionssitzung vom 16. November 1896
gestand Bösch gemäss Protokoll zu, dass er ohne Wissen und Willen der
Direktion 500 s good averg. à 7tIH,. ""z gekauft und dafür eine Marge von
5880 Fr. bezahlt habe; die Direktion beschloss hierauf, er habe diesen
Betrag der Gesellschaft sofort zu vergüten, drohte ihm, für den Fall
der Wiederholung eines Lieserungskauses[I. Obligationenrecht. N° M. 58?

ohne ihre Mitwirkung seine Entlassung zu beantragen, und überband ihm
alle weiteren Folgen dieses Geschafteskkachtsdestoweniger fuhr Bösch
fort, Spekulationskäuse ohne Verstandigung der Direktion einzugehen. Dem
Protokoll der Direktionfsttzung voin 12. Februar 1897 ist hierüber zu
entnehmen: Bosé}, uber die Entnahme von 3 Obligationen im Gesamtbetrage·
von 4000517. aus der Kasse befragt, erklärte, er habe ohneWissen der
Direktion ftir Rechnung der Klägerin Zuckereinkäuse gemacht, die mfolge
unglücklichen Ausfalles bedeutende Verluste gebracht haben; zur Deckung
derselben habe er die 3 Obligationen lbenotigtz Nach anfänglichem
Leugnen erklärte Bösch auf eindringliches Besragen,. in Zucker in 7
Spekulationfskäufen noch 37 Wagen gekauft zu

haben, wovon 20 ohne Bewilligung der Direktion Die Direktion

beschloss daraufhin: Die Kolonialabteilungskasse einem· J. Boszharo zu
übergeben, dem Bösch zu untersagen, Sagre, die mehr als 500 Fr. betragen,
ohne Einwilligung der Direktion-abzuschliessen und die weiteren Schritte
gegen Bösch den Beschlussen des Verwaltungs-rareszu unterstellen. Durch
Beschlus; deäj Verwaltungs- rates vom 16. Februar 1897 wurde dann
Bosch sofort entlassen. Das Protokoll der Verwaltungsratssitzung
vorn 28. Fehruar 1897 enthält eine Zusammenstellung aller von Bosch
etgenmachtig eingegangenen Geschäfte In der Verwaltungstatssitzung
vom 2. März 1897 wurde eine Ubereinkunst unt Bosch dahin getroffen,
dass letzterer über eine Obligation von 3000 ,jr., die Îlss Klägerin
schon in Händen hatte, hinaus noch (hysoothekatis )e und Bürgschafts-)
Sicherheit im Betrage von 10,000 Fr. zu leisten habe, wogegen er
weiterer Verbindlichkeiten entlassen werde: In den späteren Sitzungen
der Direktion und des Verwaltungstrates wurde die Liquidation der von
Bösch eingegangenen Zuckerund Kafseekäufe angeordnet und der Verlust auf
den schwebenden Engagements Böschs auf 51,000 Fr. berechnet. Aus-Seen
Protokollen der Generalversammlung ist hervorzuheben: Hu der·Persammlung
vom 18. März 1896 empfahl die Gensurkommistom der Wareneinkauf
der Kolonialabteilung sollte sich nur auf den Bedarf der Mitglieder
beschränken und warnte davor-i sich tauf grössere Spektilationseinkäuse
einzulassen und damit Zike ILS?der Gesellschaft zu gesährden. Die Annahme
der ed

588 ' Ci vilrechtspflege.

ablegung wurde mit grossem Mehr beschlossen; ebenso ergab sich eine
Mehrheit für Entlastung des Verwaltungs-tates. In der Generalversammlung
vom 9. Oktober 1896 bemerkte die Censurkommission: Die Kolonialabteilung
schliesse leider wieder mit einem Defizit von 7538 Fr. O? (Età, das
offenbar von allzugeivagten Spekulationskäufen in Petrol herrühre,
die schon im April 1895 für August und März 1896 abgeschlossen worden
seien; sie empfahl neuerdings Beschränkung der Spekulationskäufe auf das
notwendigsie. Vösch gab Auskunft über das Defizit. Die Rechnung wurde
nach dein Antrage der Eensurkommission mit grossem Mehr genehmigt Der
Bericht der Censurkoinniissiou an die Generalversammlung vom 15. April
1897 rügte, dass der Bestand des Kolonialwarenlagers nicht nur keine
Reduktion, sondern eine bedeutende Zunahme erfahren habe; es ergebe sich,
dass man von verbotenen Börsengeschäften Gebrauch gemacht habe.

Die Geschäfte wurden einzeln aufgezählt, und es wurde bemerkt, .

dass sich ein Verlust von 51,600 Fr. darauf ergebe. Die Rechnung wurde,
unter üblicher Entlastung der Censoren, genehmigt. In derselben Sitzung
wurde vom Veklagten über die Entlassung des Bösch und die Vereinbarung
mit ihm referiert und beides genehmigt. Ferner wurde beschlossen,
der Geschäftsführung (Direktion und Geschäftsführer) sei von heute
(15. April1897) an jedes Börsengeschäft strengstens verboten, und habe
sie allen Schaden, der der Gesellschaft aus Nichtbeachtung dieses
Beschlusses erwachsen sollte, persönlich ungeschmälert zu vergüten,
auch wenn das Geschäft Nutzen bringen sollte. Die Direktion solle
sich zu Protokoll erklären und verpflichten, dass sie die persönliche
Verantwortung für derartigen Schaden Übernehine, auch für Schaden,
welcher der Gesellschaft ferner entstehen sollte aus effektiven
Lieferiingskäufen, welche von grösserem Umfange seien, als höchstens
die Hälfte des Jahresumsatzes. Der Beklagte und Zürcher gaben diese
Erklärung sofort zu Protokoll ab. Am 23. Juni 1897 reichte der Beklagte
seine Entlassung als Präsident des Verwaltungsrates ein; sie wurde jedoch
erst auf Ende Dezember 1897 angenommen Nach den in der Generalversammlung
vom 20. Juni 1897 revidierten Statuten der Klägerin sind nunmehr alle
Börsengeschäste ausdrücklich vom Geschäftskreise der Klägerin ausge-
II. Obligationenrecht. N° 74. 589

schlossen. Die Generalversammlung vom 27. September 1897 setzte
eine Untersuchungskommission zur Fliiitlariing der Geschäfte Böschs
und des Verhaltens der alten Direktion zu denselben em, und in der
Generalversammlung vom 20. April 1898 wurde beschlossen, es sei
dem-Verwaltungsrate Vollmacht-zuoerteilen, aiif gütlichem oder dem
Prozesswege gegen die alte Direktion Evorzugehen, unt eine gewisse
Rückvergiitung des durch die Spekulationen Böschs entstandenen Schadens
zu erlangen. 2. Mit Klageschrift vom 1. September 1898 erhob nun vdie
Klägerin gegen den Beklagten beim aargauischen Handelsgericht Klage auf
Bezahlung von 37,177 Fr. ?0'Ets. nebst Zins zu 59/0 von der Einreichung
der Klage asi. Die Hlagesurnine stellt den Verlust dar, den sie an den
Borsengeschaften de?: Bosch erlitten zu haben behansitet,1ind setzt sich
folgendermaszen zuÎammeflî JE b 2000 Säcke Roh si ""t mit S eu quer,
* l' XII a. 24. und 30. September 4896 Fe. 6,277 Do 2. Zuckschwerdt &
Beuchel, 4000 Säcke Rohzucker, 23. Februar, 12, April, 28. Mai und

30. Juni 1897 . . . . . . _. 10,73a 10 ' 3 Latham & Cie., 1500 Säcke
Kaffee, 26. ,3 50 April und 26. Juni 1897 . . . . . . 21,201 4. Latham &
Cie. . . . . . . . . . Lo, _--

Fr. 60,185 15 Davon wird abgezogen der auf andern Börsenj geschäften
gemachte Gewinn von Fr. 8,007 40 23 007 45 sowie die Belastung Böschs
mit . 13,000; 07:17 70 o ' als Verlut bleibt die Klagesumme non: Fr. o ,
' r s FÎÎ'ÎÎ diesen Veriust haste gemäss Art. 62, 71.0 und 113 Dfi, die
Direktion, und zwar nach am. 60 und 16?)O.-R. Le es einzelne Mitglied,
also auch der Beklagtez solidarisch m;? zwar wurde die Klage in erster
Linie daran gestutzt, dass der Oeklagte von allen den oben erwähnten
Börsengeschästen Kenntnis gehabt, ja teilweise dazu Auftrag erteilt habe;
in zweiter Linie wnèride geltend gemacht, es falle ihm Verletzung seiner
Pflichten dert eaussichtigung der Geschäftsführung zur Last. Der Beklagte
rug aus Abioeisung der Klage cm.

590 Civilrechtspflege.

3. Die Klägerin verlangt Ersatz von Schaden, den ihr der Beklagte als
früheres Mitglied der Direktion durch Nichterfüllung von Pflichten
verursacht haben soll, die ihm nach Statut und Reglement und den
einschlagenden Gesetzesbesiimmungen in jener Eigenschaft obgelegen. Nach
den Statutenbestimmungen kann nun zunächst keinem Zweifel unterliegen,
dass die Direktion der klügerischen Gesellschaft dasjenige Organ ist,
welches vom Obligationenrecht arm. 695 als Vorstand (Direktion) bezeichnet
wird, dessen Obliegenheiten in Art. 695-7·04 eod. geregelt find, und
bezüglich dessen Verantwortlichkeit Art. 715 O.-R. bestimmt, es kommen
dafür die Bestimmungen der Art 82, 113 und 115 zur Anwendung Au diesen
Art. 715 O-R hatte sich also die Klage in erster Linie zu stützen. Von
den daselbst angeführten Gesetzesbestimmungen fallen Art. 62 und 115
in casu von vornherein ausser Betracht. Denn es handelt sich bei der
vorliegenden Klage um Schaden, den der Beklagte durch seine eigenen
Handlungen und Unterlassungen der Klägerin zugefügt haben soll, und
nicht um seine Verantwortlichkeit für Schaden, den seine Angestellten
innerhalb oder ausserhalb des Vertragsverhältnisses verursacht hätten,
indem ja der Geschäftsführer Vösch nicht Angestellter des Beklagten oder
der Direktion, sondern der Klägerin war. Art. 113 nun normiert das Mass
der Haftung des Schuldner-Z in Vertragsverhältnissen; der Grundsatz der
Haftung selbst ist in den vorhergehenden Art. 'llO ML bestimmt. Diese
Bestimmungen finden auf das Verhältnis des Beklagten zur Klägerin Anwen-

dung, da die Mitglieder der Direktion einer Genossenschaft zu '

dieser in einem Vertragsverhältnisse stehen, das als Mandat oder als
Dienstvertrag aufgefasst werden kann, richtiger aber wohl in die letztere
Kategorie gehört. Die vorliegende Schadensersatzklage ist somit eine
solche aus Vertrag, und das hat bezüglich der Beweislast zur Folge,
dass nicht die klagende Genossenschaft das Verschulden des beklagten
Vorstandsmitgliedes-, sondern dieses sein Nichtverschulden bezw. die
Erfüllung seiner Pflichten oder die Unmöglichkeit der Erfüllung zu
beweisen hat; die Klägerin hat ihrer Beweispflicht genügt mit dein
Nachweise, dass ihr ein Schaden entstanden sei und zwischen demselben und
den Pflichten des belangten Vorstandsmitgliedes ein Kausalzufammenhang
bestehe,

7. ,m...-& -1-n-;2-.z;sos-I 'H. Ohligationenrecht. N° 74. 591

d. h. dass nach der Art des dargethanen Ereignisses, durch welches
der Schaden bewirkt worden ist, die Annahme an sich begründet sei,
er habe durch Erfüllung der Obliegenheiten der Gesellschaftsorgane
verhütet werden können, die Verhütung sei also in den Kreis ihrer
Obliegenheiten gefallen. Die Klägerin hat sich nun aber in erster Linie
auf den Standpunkt gestellt, dass die unbestrittenermassen statutenund
reglementswidrigen Geschäfte, aus denen geklagt wird, von Bösch im
Einverständnis, mit Genehmigung des Beklagten abgeschlossen worden
seien, und für diese Behauptung liegt ihr der Beweis ob. Bezüglich
ihres zweiten Standpunktes: Dass der Abschluss jener Geschäfte hätte
vermieden werden können, wenn der Beklagte seine Pflichten erfüllt und
den Geschäftsführer Bösch mit der ihm obliegenden Sorgfalt überwacht
hätte, hat sie darzuthun, dass dem Beklagten, wenn er seine gesetzesund
statutengemäss-en Verpflichtungen gehörig erfüllt hätte, vor Abschluss
jener Geschäfte nicht habe entgehen können, dass die Beibehaltnng des
Bösch als Geschäftsführer mit Gefahr für die Genossenschaft verbunden
und daher dessen Entlassung geboten gewesen sei, und überdies die
Herbeiführung dieser Entlassung in den Kreis der Obliegenheiten
des Beklagten gehört habe; dem gegenüber hat dann der Beklagte zu
beweisen, dass er den Bösch mit gehöriger Sorgfalt überwacht habe und
ihn bezüglich der Nichtentlassung des Bösch vor Abschluss jener Geschäfte
kein Verschulden treffe.

4. Die Stellung des Geschäftsführers Bösch in der klägerischen
Genossenschaft und sein Verhältnis zur Direktion betreffend, kann
nach § 14 der Statuten und § 8 des Reglementes und der Art, wie diese
Bestimmungen gehandhabt wurden, nicht zweifelhaft sein, dass der
Geschäftsverkehr, insbesondere der Wareneinkauf, dein Geschäftsführer
oblag, dieser also bezüglich dieses Verkehrs die Gesellschaft nach augen,
Dritten gegenüber, zu vertreten hatte, die Klägerin somit durch dessen
Geschäfte verpflichtet und berechtigt wurde. Der Reglementsbestimmung,
dass Lieferungsverträge und Spekulationskänfe nur unter direkter Mithülfe
des Präsidenten gemacht werden dürfen, kann namentlich gegenüber § 14 der
Stataken, wonach der Geschäftsführer zur Besorgung des Geschäftsverkehrs,
ohne Ausnahme, bestellt wird, nur Bedeutung für sein

592 Civilrechtspfiege.

Verhältnis nach innen, znr Genossenschaft, nicht aber auch für seine
Ermächtigung nach aussen, gegenüber Dritten, beigemessen werden;
danach war der Geschäftsführer verpflichtet, Lieferungsgeschäfte
und Spekulationskäufe nicht ohne die Zustimmung des Präsidenten
abzuschliessen; allein zur Verpflichtung der Genossenschaft gegenüber
Dritten war die Mitwirkung des Präsidenten beim Vertragsschluss
bezw. seine Unterschrift nicht erforderlich Übrigens hätte diese
Beschränkung des Geschäftsführers nur solchen Dritten entgegengehalten
werden können, welche dieselbe erweislich gekannt hätten; denn Bösch
befand sich bezüglich der Wareneiutäufe nach aussen in der Stellung
eines Handelsbevollmächtigten im Sinne des Art. 426 DML, so dass sich
seine Vollmacht gemäss Gesetz auf alle Rechtshandlungen erstreckte,
welche der Wareneinkauf gewöhnlich mit sich brachte. Für den Umfang der
Handlungsvollmacht ist diejenige Willensmeinung des Prinzipals massgebend,
die aus seinem äussern Verhalten zu erkennen ist, d. h. es kommt darauf
an, wie die Bevollinächtigung in die Erscheinung tritt; und da nun der
mit Bösch kontrahierende Dritte kaum entnehmen tenute, für welchen Zweck
ein Geschäft jeweilen bestimmt war: ob für den Bedarf der Klägerin oder
für Spekulationen, so waren diese Dritten zu der Annahme berechtigt,
dass Bbsch Überhaupt zum Wareneinkauf berechtigt sei, so lange ihnen die
Beschränkung bezüglich der Lieferungsund Spekulationskäufe nicht speziell
zur Kenntnis gebracht war; eine solche Kundrnachung hat nun aber nach der
eigenen Darstellung der Klägerin offenbar nie stattgefunden und nicht in
der Absicht der Klägerin gelegen. Nicht dagegen allerdings erstreckte sich
die Vollmacht des Bbsch nach Gesetz auf Differenzgeschäste, da diese nicht
zu denjenigen Rechtshandlungen gehören, die der Wareneinkauf gewöhnlich
mit sich bringt. Diese Geschäfte hätte die Klägerin gemäss Art. 512 O-R
als für sie unverbindlich ablehnen können. Die andern Geschäfte musste
sie den Dritten gegenüber anerkennen, konnte aber den Bösch ganz oder
teilweise dafür verantwortlich machen. Über den in § 3 des Reglements
getroffenen Unterschied von Lieferungsverträgen und Spekulationskänfen ist
des weitern zu bemerken: Die Klägerin beabsichtigt nach § î ihrer Statuten
keinen direkten Gewinn, sondern nur, ihren Mit-ll. Obligationenrecht. N°
74. 593

gliedern durch Umgebung des Zwischenhandels gute und billige Waren zu
verschaffen; daneben aber sollte doch zur Erhöhung ihrer Kreditfähigkeit
ein Garantieund Reservefonds angelegt werden. Die Einkäufe, die für die
Klägerin zu machen waren, konnten daher einen doppelten Zweck haben: sie
sollten entweder für den Bedarf bestimmt sein, oder aber, unter Ausnutzung
günstiger Konjunkturen, für den Weiterver"kauf, letzteres alsdann zum
Zwecke der Speisung des Garantieund Reservefonds-. Auch die für den
Bedarf bestimmten Käufe brauchten, wie dies in der Natur der klägerischen
Genossenschaft und des für sie erforderlichen Handelsbetriebes lag, nicht
ausschliesslich Kassageschäfte, sondern sie durften auch Termingeschäfte
sein; und es ist klar, dass für solche die Börse der geeignete Ort zum
Geschäftsabschluss warDanach waren Börsengeschäfte im weitern Sinne
nicht etwa untersagt, gegenteils im Reglemente vorgesehen Das geht
übrigens insbesondere ans zwei Thatsachen auf das schliessigste hervor:
Aus dem Beschlusse der Generalversammlung vom 15. Apri11897, dass der
Geschäftsführung von nun an jedes Börseugeschäft verboten sei, und aus
den neuen Statuten vom 23. Juni 1897, wonach nunmehr Börsengeschiifte
(überhaupt) aus dem Geschäftskreise der Klägerin ausgeschlossen
sein sollen. Unter den Lieferungsverträgen und Spekulationskäufen,
die das Reglement vorsah, sind dagegen reine Differenzgeschäfte nicht
zu verstehen, da diese vom Handel nur die Form des Kaufes und Verkauer
entlehnen, dem Wesen nach aber nichts anderes als ein Spiet sind, und vom
leigationenrecht (Art. 512) nicht als rechtsgültig angesehen werden. Die
reinen, klaglosen Disserenzgeschäfte waren daher dem Geschäftsführer
untersagt, wie denn auch die Klägerin ausdrücklich hierauf abstellt. Und
zwar ist bezüglich der Begriffsbestimmung derartiger Differenzgeschäfte
anzunehmen, dass auch die Klägerin von der bundesgeriehtlichen Definition
ausgehe, wonach ein reines Differenzgeschäft dann vorhanden ist, wenn
gemäss dem Willen der Parteien Recht und Pflicht wirklicher Abnahme und
Lieferung ausgeschlossen sind und Gegenstand des Vertrages die Differenz
zwischen dem Kur-se des Vertragstages und einem bestimmten späteren
Knrse bildet.

5. Übergehend zum ersten Standpunkte der Klägerin, ist zu

XXV, 2. 1899 89

594 Ci vilrechispflege.

sagen: Die Frage, ob der Beklagte von den Börsenspekulationen Böschs
Kenntnis hatte, ist thatsächlicher Natur; das Bundesgericht ist daher
an die diesbezüglichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, sofern
sie weder aktenwidrig sind noch bundesgesetzliche Bestimmungen über
Beweiswürdigung verletzen (Art. 81 O.-G.). Nun verneint die Vorinstanz
jene Frage-, und zwar gestützt auf die Protokolle der Direktion,
speziell die in Crw. 1 hievor angeführten Vorfälle vom 16. November
1896, 2. Februar, 16. Februar 1897; ferner auf den Umstand, dass Bösch
zugestanden habe, mit den Verkaufsagenten unter seiner persönlichen
Adresse verkehrt zu haben, sowie auf den weiiem, dass er sich sofort
schuldbewusst gezeigt, und den Schaden soweit möglich zu decken gesucht
habe; endlich darauf, dass in den Souchenbüchlein die Latham: Geschäfte
mit Ausnahme eines einzigen von 500 $ (Nr. 346) nicht aufgeführt
feiert. Dem gegenüber misst sie der nachträglichen Erklärung Böschs,
der Beklagte habe ihm Auftrag erteilt, mit den Verkaufsagenten unter
seiner persönlichen Adresse zu verkehren, keine Glaubwürdigkeit bei. Eine
Verletzung bundesgesetzlicher Vorschriften liegt in diesen Feststellungen
und der daraus gezogenen Schlussfolgerung nirgends; insbesondere ist die
Würdigung der Beweisergebnisse, die ausschliesslich Sache des kantonalen
Richters ist, ohne solche Verletzung zu stande gekommen. Und dass jene
Feststellungen und der daraus von der Vorinstanz gezogene Schluss der
Unkenntnis des Beklagten aktenwidrig seien, ist vom Vertreter der Klägerin
selber in der Berufungsverhandlung nicht behauptet worden. Darauf, dass
die Aktenwidrigkeit in dem nach der Berufungserklärung von der Klägerin
eingelegten Gutachten Meili behauptet wird, kann nichts ankommen, da
der Vertreter der Klägerin auf diese Ausführungen des Gutachtens in der
Berufungsverhandlung nicht Bezug genommen hat. Kantonalen Urteilen in
Bezug auf den Entscheid von Thatsragen nachzugehen, ist aber für das
Bundesgericht nur insoweit Veranlassung vorhanden, als von einer Partei
ausdrücklich Aktenwidrigkeit geltend gemacht und unter Bezeichnung der
Aktenstücke oder Aktenstellem aus denen sie hervorgehen [OH, begründet
worden ist. Allerdings ist die Begründung der Berufungsanträge für den
Erfolg des Rechtsmittels insoweit nicht erforderlich, als es sich um
die Frage han-II. Ohligationenrecht. N° 74. 595

deli, ob eine Norm des eidgenössischen Rechts nicht oder nicht
richtig angewendet worden sei; vielmehr wird der Rechtsstreit
durch die einfache Ergreifung der Berufung innerhalb des Rahmens der
gestellten Abänderungsatiiräge zur freien rechtlichen Nachprüfung des
Bundesgerichts gebracht, derart, dass dasselbe jede in dem kantonalen
Urteil wirklich vorliegende Verletzung des eidgenössischen Rechts, auch
wenn sie vom Berufungskläger nicht einmal geltend gemacht worden ist,
berücksichtigen muss. Dies ergiebt sich aus Art. 57, Art. 74 Abs. 3
und Art. 81 Org.-Ges. Dagegen folgt aus der Bestimmung des Art. 81
cod., wonach das Bundesgericht an die thatsächlichen Feststellungen des
vertustanzlichen Urteils gebunden sein soll, sofern nicht Aktenwidrigkeit
oder Verletzung eidgenössischer Beweisvorschriften vorliegen, dass die
Thatfrage beim Bundesgericht nur dann zu verhandeln und zu entscheiden
ist, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind. Es kann unmöglich die
Meinung des Gesetzes sein, dass das Bundesgericht jede thatsächliche
Feststellung von Amtes wegen, also ohne dass eine Partei dieselbe ansicht,
auf ihre Aktenwidrigkeit nachzuprüfen habe. Nur bei dieser Auslegung des
Qrganisationsgesetzes wird auch die Rechtsstellung des Berufungsbeklagten
gehörig gewahrt, der ein rechtliches Interesse daran hat, über die
behauptete Aktenwidrigkeit thatsächlicher Feststellungen gehört zu
werden. Auch wenn übrigens das Bundesgericht die Thatsachenseststellung
von Amtes wegen auf ihre Aktengemässheit oder Aktenwidrigkeit zn prüfen
hätte, könnte in casa die Annahme der Vorinstanz nicht als aktenwidrig
bezeichnet werden. Das Gutachten Meili übergeht die Argumentation der
Vorinstanz mit Stillschweigen und beruft sich auf einige Aktenstücke,
aus denen der strikte Beweis für die Kenntnis des Beklagten hervorgehen
soll, nämlich auf die Einkaufsrapportsouche Nr. 346 (500 $, Geschäft
mit Latham & Cie.), auf einen Brief des Bösch vom 27. Juni 1896, eine
Zuschrift des Beklagten an die Klägerin vom 28. gl. MW., einen Brief des
Beklagten an Bösch vom 16. April 1896 und einen solchen des Beklagten
an die Klägerin vom 28. Mai 1896. Abgesehen nun davon, dass der Beklagte
in seiner Eingabe vom 2. Februar 1899 die Zulässigkeit der klägerischen
Cingabe vom 30. Januar 1899 samt Beilagen (zu denen die erwähnten Briefe
gehören) bestritten

Civilrechtspflege.

hatte uno o... Einnahme nicht unbegründet erscheint, dass die Vorinstanz
diese Aktenstücke ans diesem Grunde mit Stillschweigen Übergungen habe,
so beziehen sich die von der Klägerin angerufenen Beweismittel nur
aus die am 4. Juni 1896 von Bösch bei Latham & Eie. bestellten 500 $
und bestreitet der Beklagte nicht, dass er vier Tage nach derselben
von der Bestellung Kenntnis erhalten und derselben die ihm aufgedrungene
Genehmigung erteilt hatte; streitig ist aber, ob der Beklagte zu derselben
seinen Auftrag resp. seine Zustimmung vorher gegeben habe, und das
geht nun aus jenen Aktenstücken keineswegs mit der Sicherheit hervor,
dass angesichts der von der Vorinftanz für ihre Annahme angeführten
Gründe letztere als aktenwidrig bezeichnet werden könnte. Zn dem
Briefe des Beklagten an Bösch vom 28. Juni 1896 ist allerdings gesagt,
dass Hr. Zurcher schreibe, er werde je nach der Grösse des auf Petroleum
erlittenen Verlustes nochmals zu einem Kaffeekauf von 500 $ Hand Bieten,
und heisst es weiter; Wie Sie sehen, ist der Kurs unter 70 und halte ich
meinerseits das Risiko für nicht mehr gross- Allein in diesem Schreiben
kann doch eine Ermächtigung Böschs zum Ankan von 500 Z ohne vorherige
Bewilligung des Beklagten nicht gefunden werden, und jedenfalls ist
nicht bewiesen, dass dieses Geschäft ein Differenzgeschäft gewesen sei,
und also auch nicht, dass der Beklagte gewusst habe, dass es sich um
ein solches Geschäft handle. ,

6. Demnach muss auf den zweiten Standpunkt der Klägerin eingetreten
und geprüft werden, ob der Beklagte der Klägerin nicht deshalb für den
ihr von Bösch verursachten Schaden verantwortlich sei, weil er es an
der statutengemässen Aufsicht über Vösch habe fehlen lassen und nicht
die erforderlichen Massregeln zur Verhütnng des Schadens getroffen,
insbesondere die Entlassung des Bösch veranlasst habe. Nun kann allerdings
nicht zweifelhaft sein, dass Bösch mit voller Kenntnis des Beklagten
bezw. der Direktion dem Reglemente von Anfang seiner Anstellung an
wiederholt zuwidergehandelt hat, wie dies aus den in Erw. 1 angeführten
Thatsachen hervorgeht Allein hieraus ergiebt sich anch, dass auch der
Verwaltung-Brut und ferner die Censoren vom reglementswidrigen Gebahren
des Bösch unterrichtet waren; gleichwohl haben auch diese Organe niemals
die Entlassung des BöschIl. Obligationenrechî. N° M. 59?

veranlasst bezw. darauf angetragen, und es hat die Generalversammlung
selber der Direktion nie daraus einen Vorwurf gemacht, dass sie den
Bösch nicht früher entlassen habe. Es kann sich daher nur fragen, ob
der Beweis dafür, dass Bösch schon früher, vor den in Frage stehenden,
Differenzgeschäfte abgeschlossen und der Beklagte dies gewusst habe
resp. habe wissen müssen, geleistet sei. In Betracht kommen können in
dieser Beziehung lediglich die Einkaufe von allerdings vielen tausend
Centnern Rohzucker vom 7. Dezember 1894, 7. Mai, 30. Mai und 27.
November 1895, 1. September, 28. Oktober und 7. November 1896. Dass die
Klägerin keinen Bedarf in Rohzucker gehabt bat, ist allerdings richtig;
dass derselbe kein Handelsartikel fei, kann dagegen wohl kaum behauptet
werden. Diese Käufe waren aber nicht nur der Direktion, sondern auch
dem Verwaltungsrat und den Censoren aus den Protokollen bekannt,
und es ist ungedenkbar, dass diese nicht energisch dagegen Einsprache
erhoben hatten, wenn sie den Ankan von Rohzncker als durch Statuten
und Reglement ausgeschlossen betrachtet hätten. Übrigens hat auch die
Generalversammlung schon im Jahre 1894 von dein Anlan von Zucker und den
darauf erlittenen Verlusten Kenntnis gehabt, und es liegt durchaus kein
Grund zu der Annahme vor, dass sie nicht gewusst habe, es handle sich
um Rohzucker, sondern der Meinung gewesen sei, es betreffe raffinierten
Zucker. Es steht nun aber nicht fest-, dass die Geschäfte, deretivegen
der Beklagte belangt wird, wirkliche Differenzgeschäfte in dem in Erw. 4
i. f. gegebenen Sinne gewesen seien; jedenfalls hat die Klägerin nie
die Einrede des Differenzgeschäftes gegenüber den dritten Kontrahenten
erhoben, und zudem ergiebt sich aus den Akten nicht mit Sicherheit,
dass der Abschluss von Disserenzgeschäften zur Entlassung des Bösch
geführt habe; in den Protokollen ist vielmehr nur von zu grossen
Spekulationsgeschäften die Rede.

7. Zu allen diesen für Abweisung der Klage sprechenden Erwägungen kommt
noch die mettere, dass die Generalversammlung vom 17. April 1897 durch
Genehmigung der Rechnung die Entlastung der Verwaltung ausgesprochen
hat. In dieser General: versammlung haben die Censoren sowohl einen
allgemeinen Bericht als speziell einen solchen über die ausserordentliche
Revision

598 Givilrechtsispflege.

der Kolonialabteilung vom 11. und 12. Februar 1897 erstattet und
insbesondere die sämtlichen Geschäfte, für deren verlustbringende
Folgen der Beklagte nun belangt wird, speziell aufgeführt und teils
als Börsengeschäfte, teils als grössere effektive Lieferungsgeschäfte
bezeichnet, welche, aus Grund des Tageskurses vom 15. April 1897
berechnet, für die Gesellschaft einen Verlust von 51,000 Fr. ergeben. Die
Gesellschaft hatte also von diesen Geschäften und deren Folgen am
15. April 1897 ganz genaue Kenntnis-, wie ihr denn auch über das
Gebahren Böschs und dessen Entlassung in beiden Berichten der Censoren
einlässlicher Ausschluss erteilt worden war. Die Entlastung der Verwaltung
könnte daher, nach ständiger bundesgerichtlicher Praxis, der Klägerin nur
dann nicht entgegengehalten werden wenn sich nachträglich ergeben hätte,
dass die der Genossenschaft von den Censoren und der Direktion (resp. dem
Beklagten) gemachten Angaben: dass die fraglichen Geschäfte dem Bösch
zur Last zu legen seien, und er sie hinter dem Rücken der Direktion
abgeschlossen habe, unrichtig gewesen seien; allein dieser Beweis ist
nach den Erw. 5 gegebenen Ausführungen nicht als geleistet zu betrachten
Ebensowenig liegt nach dem in Crw. 6 gesagten der Beweis dafür vor, dass
Bösch schon früher, in den Jahren 1894 und 1895, Börsendisserenzgeschäste
abgeschlossen habe, welche die Direktion hätten veranlassen sollen,
dessen Entlassung zu bewirken. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und somit das Urteil des
Handelsgerichts des Kantons Aargau vom Z. Februar 1899 in allen Teilen
bestätigtII. Ohligationenrecht. N° 75. 599

75. Urteil vom 16. September 1899 in Sachen Minder gegen Fischer.

Darlehen, aufgenommen vom Beklagten aZs Schuldner oder aber als
Stellvertreter eines Dritten.? Geggio der Darlehensfordemssmg, A7't.184,
186, 187 amd 188 0.-R. Schassiftl icllze Beurkmzdung .? Zahlung an
nachgehenden Erwerber m gutem Glaaeben? see-est über Gläubigerqualität
an der Forderung?

A. Durch Urteil vom 12. Juni 1899 hat das Appellationsgericht des Kantons
Baselstadt erkannt:

Es wird das erstinstanzliche Urteil bestätigt.

Das erstinstanzliche Urteil hatte gelautet1 '

Der Beklagte wird zur Zahlung von 5000 Fr. und Zins zu 5 0/0 seit 5. Juli
1898 an Kläger verurteilt.

B. Gegen das Urteil des Appellationsgerichtes hat der Be klagte
rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht eingelegt, mit dem Antrag:
Die Klage sei abzuweisen

G. In der heutigen Verhandlung wiederholt der Vertreter des Beklagten
seinen Berufungsantrag. _

Der Vertreter des Klägers trägt auf Abweisung der Berufung und Bestätigung
des angesochtenen Urteils an,

Das Bandes-gerächt zieht in Erwägung: .

1. Am 25. Januar 1896 erhielt der Beklagte Minderfvon der Schwiegermutter
seines damaligen Assoeies Adolf ' Fischer (Bruder des Klägers), der
Frau Henriette Vielle In (Eman, den Betrag von 5000 Fr. ausbezahlt,
dessen Empfang er dem Bankhause der Frau Vielle quittierte Am gleichen
Tage stellte Adolf Fischer einen Schuldschein zu Gunsten des Beklagten
aus, dahin lautend, er anerkenne, dem Beklagten aus Darlehenn 5000 Fr.
zu schulden; das Kapital sollte auf einen Monat kundbar( und vom Tage
der Ansstellung des Schuldscheines bis zuruJiucb zahlung mit 5 O;},
zu verzinsen fein. Frau Vuelle ermachtigte durch schriftliche Vollmacht
vom 25. Juli 1896 den Adolf Fischer, die Summe von 5000 Fr. samt Zins
zu 5 0/0 seit 20. Januar 1896, welche sie dem Beklagten als Darlehen
gegeben habe, beim
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 II 583
Datum : 15. Juli 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 II 583
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 582 cjvilreclatsptlege. zu Hand, sondern nur von einer solchen auf den Todesfall


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • schaden • verwaltungsrat • kenntnis • genossenschaft • vorinstanz • frage • obliegenheit • bewilligung oder genehmigung • richtigkeit • schuldner • tag • brief • kantonales recht • zucker • zins • spekulation • handelsgericht • aargau
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