428 Givilreciîtspflege.

Pümpin & Herzog, Amt]. Samml., Pd. XXII, S. 601, Erw. 2), und da Art. 12
ausdrücklich die Verwirkung des Schadenersatz: anspruches daran knüpft,
dass innert der vorgeschriebenen Zeit eine förmliche Klage eingereicht
werde, könnte sich der Kläger auch auf den am 8. August und 14. November
1898 der Beklagten zugestellten Zahlungsbefehl nicht Berufen, sondern
müsste die Klage, da sie erst nach 6 Monaten seit dem Schadens-eintritt
eingeleitet wurde, als ver-wirkt betrachtet werden. Nun hat aber die
Beklagte, nachdem die Klage bezüglich der Police Nr. 27,921 bereits
anhängig war, an den Kläger das Schreiben vom 28. Juli 1898 gerichtet,
worin sie den Standpunkt einnimmt, dass sie mit Bezug aus die verbrannten
Möbel die Schätzung des Wertes anerkenne, dagegen grundsätzlich die
gleichen Einwendungen gegen ihre Ersatzpslicht erheben werde, wie in
dem bereits angehobenen Prozesse. Angesichts dieser Erklärung durfte der
Kläger davon ausgehen, dass er bezüglich dieser Gegenstände keinen neuen
Prozess anzustrengen brauche, sondern einfach den Ausgang des bereits
anhängigen abwarten könne; denn nachdem materiell das Quantitativ
bereits anerkannt mar, und die Beklagte erklärt hatte, dass sie die
gleichen grundsätzlichen Einwendungen bezüglich dieser Versicherung
erhebe, genügte es vollständig, wenn über diese Einreden in dem bereits
anhängigen Prozess entschieden wurde, und würde eine neue Klage nur
unnötige Kosten verursacht haben. Nach den Grundsätzen der bona fides
kann sich daher die Beklagte, die durch ihren Brief vom 28. Juli 1898
den Kläger veranlasst hatte, mit der Klage bezüglich des Mobiliarund
Warenschadens zuzuwarten, in casu nicht auf die in Art. 12 der Police
enthaltene Verwirkungsklausel berufen.

6. Was das Quantitativ des aus Grund der Police Nr. 18,045 zu
vergütenden Schadens anbetrifst, so haben die Parteien die von den
Experten vorgenommen-e Schätzung anerkannt. Mit Bezug auf das Pian
gehen die Parteien darin einig, dass die Beklagte berechtigt sei,
an dem Schätzungswerte von 700 Fr. denjenigen Betrag abzuziehen, den
der Verkaufer desselben aus anderweitiger Versicherung des gleichen
ijektes erhalten habe, und da dieser Betrag laut der nicht bestrittenen
Angabe des Klägers in der Replik 200 Fr. ausmacht, ist somit die
BeklagteV. Ohligationenrecht. N° 52. 429

zu verpflichten, dem Kläger für dieses Pian 500 Fr. zu verguten.

7. Nach Art. 14 der Police beginnt die Verzinslichkeit der
Entschädigungssumme erst einen Monat nach Aussällung des rechtskräftigen
Urteils. Mit Unrecht hat die Vorinstanz hierin eine unsittliche oder
widerrechtliche Bestimmung erblickt; Vereinbarungen, wie die vorliegende,
sind vielmehr, wie das Bundesgericht schon mehrfach ausgesprochen hat,
durchaus gültig und mit guter Verkehrssitte wohl vereinbar. Die Behauptung
der Beklagten, dass der Zins erst einen Monat nach der Aussällung des
rechtskräftigen Urteils zu laufen beginne, muss daher geschützt werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird als unbegründet abgewiesen, diejenige der
Beklagten dagegen in dem Sinne als begründet erklärt, dass die Klage,
soweit sie den Maschinenund Warenschaden anbetrisst, abgewiesen, dagegen
für den Mobiliarschaden im Betrage von 12,357 Fr. nebst Zins gemäss den
Bestimmungen der Poliee gutgeheissen wird.

52. Urteil vom 9. Juni 1899 in Sachen Simmen gegen Vereinigte
Schweizerbahnen.

Dienstvertrag (Lakomotivführer). Sofortige, vorzeitige Entlassung
des Déensmehme-rs, Art. 346 ().-R. We'chtige Gründe ) .? Der
Arbeitgeber Terms-e im Prozesse auch auf andere Gründe, als die im
Entlassungsschreiben angefüh-räen , abstellen. That,sachenfesistellung,
Art. 81 Org.-Ges. Tfflnkenheit im Dienst.

A. Durch Urteil vom M.,/15. März 1899 hat das Kantons: gericht des
Kantons St. Gallen erkannt:

Die Klage ist abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erklärt und folgende Abänderungsanträge gestellt:

1. Die Berufungsbeklagte sei zu verurteilen, dem Berufung-Z-

430 Civilrechtspflege.

kläger den Betrag von 13,488 Fr. auf einnlal, eventuell in gerichtlich
festzusetzenden Terminen zu bezahlen.

2. Eventuelt sei die Streitsache zur Abnahme der vom Berufungskläger
angetragenen Beweise im Sinne von Art. 82 Abs. 2 Org.-Ges. und zu neuer
Entscheidung an das Kantonsgericht St. Gallen zurückzuweisen

In der heutigen Hauptverhandlung erneuert der Anwalt des Bernfungsklägers
diese Bernfungsanträge. Er erklärt, der Berufungskläger sei seit Mai
1899 provisorisch in dem Etablissement der Gebrüder Sulzer in Winterthur
angestellt worden, aber mit einem Lohn, der kaum die Hälfte seines
bisherigen Gehaltes ausmache, auch könne das Dienstverhältnis auf 14
Tage gekündet werden. Sodann produziert er ein ärztliches Zeugnis über
die bei seinem Eintritt bei Gebr. Sulzer vorgenommene Untersuchung
seiner Sehschiirse, das dahin lautet, Siminen leide an einer mässigen
Kurzsichtigkeit, welche ohne Brillengläser das Sehen in die Ferne
erheblich beeinträchtige Der Anwalt der Berufungsbeklagten protestiert
gegen die Vorlegung dieses Zeugnisses, und beantragt Abweisung der
Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Kläger Simmen, welcher in seiner Stellung als Lokomotivführer der
beklagten Eisenbahngesellschaft für eine Amtsdauer vom 1. Januar 1896
bis 31. Dezember 1901 bestätigt worden war, hatte am 11. Januar 1898
bei dem Güterng Nr. 505 Von Winterthur nach St. Gallen (Abgang 11 Uhr
50 vormittags, Ankunft 5 Uhr 05 abends) und sodann bei dem Personenzug
Nr. 126 von St. Gallen (Abgang 9 Uhr 08 abends) nach Winterthur (Ankunst
11 Uhr 20 abends) den Dienst als Lokomotivführer zu versehen. Der vom
Zugführer des Zuges 126 ausgestellte Stundenpass enthielt die Bemerkung:
Beim (Wärter-) Es-kosten 278 N.-O.-B. (herwärts Winterthur, beim
Oberwinterthurer Strassenübergang) wurde vom Maschinenführer angehalten,
sofort aber wieder angezogen, aus was für Gründen ist wir nicht bekannt
Diese Bemerkung veranlasste eine bahnamtliche Untersuchung, die dahin
führte, dass die Direktion der Beklagten den Kläger am 22. Januar von
der Stelle eines Lokoinotivführers sofort entliesz, und zwar, wie in
dein Ent-V. Obligationenrecht. N° 52. 431

lassungsschreiben gesagt ist, wegen Trunkenheit im Dienste. Da die
Beklagte trotz der Versicherung des Klägers, dass er an jenem Tage nicht
betrunken gewesen sei, auf der Entlassung beharrte, erhob der Kläger beim
Bezirksgericht St. Grillen gegen dieselbe Klage mit dem Rechtsbegehren,
die Beklagte sei zu verpflichten, ihm wegen Vertragsbruchs 13,488
Fr. entweder auf einmal, oder eventuell in gerichtlich festzusetzenden
Terminen zu bezahlen. Die Beklagte bestritt die Klage, indem sie geltend
machte, sie sei gemäss Att. 346 O.-R. zur sofortigen Entlassung des
Klägers berechtigt gewesen Die Voraussetzungen des Art. 346 sicit. seien
gegeben. Denn: Der Kläger habe am 11. Januar beim Zug 505 öfters und
reglementswidrig die Wirtschasten auf verschiedenen Stationen besucht,
und zwar sei dies auch geschehen an Stationen, wo Zug 505 mit andern Zügen
zu kreuzen gehabt und nachdem die Maschine Rohrlaufen gezeigt habe, also
unter Umständen, unter welchen der Kläger nach den Dienstvorschristen
besondere Pflicht gehabt hätte, bei der Maschine zu bleiben. Bei Zug
126 habe der Kläger zugestandenermassen die Maximalgeschwindigkeit,
speziell über die Glattbriicke, um 1 Km. Überschritten, und sei bei
verschiedenen Stationen zu rasch ringt-fahren Endlich habe er ohne
Anlass auf offener Strecke zwischen Skater: schen und Winterthur den
Zug 126 angehalten, und sei ohne Signal zu geben, weitergefahren. Diese
Unregelmässigkeiten involvieren eine Betriebsgefährdung, die dem Kläger
zum Verschulden angerechnet werden müsse, da er nicht im Stande sei,
dieselben auf äussere, z. B. in der Maschine liegende Veranlassungen
zurückführen, und überdies verhältnismässig zu oft und zu viel getrunken
habe. Eventnell beantragte die Beklagte erhebliche Reduktion der
klägerischen Forderung. Der Kläger machte hiegegen geltend: Der Begriff
der wichtigen Gründe, aus welchen nach Art. 346 O.-R. ein Dienstvertrag
vorzeitig ausgelöst werden könne, sei hinsichtlich des zwischen den
Parteien abgeschlossenen Vertrages im wesentlichen und erschöpfend im
Art. 16 des Reglements über die allgemeinen Dienstvorschriften für die
Angestellten der V.-S.-B. definiert. Jedenfalls können im heutigen Falle
nur die in diesem Art. 16 ausdrücklich vorgesehenen Gründe als massgebend
betrachtet werden, und zwar falle von denselben nur der XXV, 2. 1899 28

432 clviirexkhisptlege.

in dem Entlassung-satte einzig erwähnte Grund der Trunkenheit in
Betracht. Es sei nun aber durchaus unwahr, dass der Kläger, sei es
am 11. Januar 1898, sei es vorher, sich in trunkenem, dienstunfähigem
Zustande befunden habe, wofür auf die von ihm produzierten Bescheinigungen
des Personals der Beklagten, auf dieDisziplinaruntersuchungsakten und
auf weitere Beweismittel abgestellt werde. Eventuell, wenn auch die
weitern, von der Beklag: ten angeführten Gründe an sich in Betracht
fallen könnten, so vermöge die Beklagte das Vorhandensein derselben nicht
zu beweisen. Hinsichtlich des Rohrlaufens der Maschine treffe den Kläger
kein Verschulden, und was den Wirtshausbesuch anbetreffe, so müsse auf die
strenge Winterszeit, und die verhältnismässig langen Aufenthalte in den
Stationen Rücksicht genommen werden. Der Kläger habe innert 672 Stunden
dreimal eingekehrt Ein mehrere-s sei nicht aus-gewiesen. Das Zirkular
von 1876, auf welches die Beklagte wegen des Verbots, Wirtschasten zu
besuchen, sich stütze, sei dem Kläger nicht zugestellt, übrigens seit
langem unter den Augen der Aufsichtsorgane ausser Acht gelassen worden.
Wenn dem Kläger der Vorwurf gemacht werde, dass er bei der Führung des
Zuges 126 die Maximalgeschwindigkeit überschritten hahe, so sei damit
noch keine Betriebsgesährdung verbunden gewesen, und es dürfe auch nicht
übersehen werden, dass der Kläger ohne Verschulden mit diesem Zug zu spät
abgefahren sei und die Verspätung bis Winterthur nicht wieder eingeholt
babe. Ebenso seien die andern Vorhalte unstichhaltig, abgesehen davon,
dass sie in keinem Falle relevant wären. Aber selbst angenommen,
es wären einzelne Vorhalte wahr, so seien sie doch unter keinen
Umständen so gradierend, dass sich deshalb die sofortige Entlassung,
ohne vorherige Anwendung anderer, graduell minderer Disziplinarstrafen,
rechtfertigen würden, und zwar um so weniger, als der Kläger seit 13
Jahren im Dienste der Beklagten gestanden habe, und während dieser Zeit
nur 10 mal, mit Bussen von 40 Ets. bis 1 Fr. 50 Età, wegen Verletzung von
Dienstvorschristen bestraft worden sei. Ganz eventuell würde Art. 346,
letzter Absatz, O.-R. in Anwendung kommen, welcher der Beklagten, selbst
im Falle eines hohen Verschuldens des Klägers, nicht das Recht gebe,
den Kläger aus einem festen Anstellungsverhältnisse ohne Entschädigung
zu entlassen.V. Obligationenrecht. N° 52. 433

Das vom Kläger angeführte Dienstreglement der Beklagten bestimmt in
Art-. 28: Dienstvergehen werden unbeschadet der Ersatzpflicht für
verursachten Schaden durch die zuständige vorgesetzte Dienststelle mit
einer Qrdnungsstrase belegt. Als Ordnungsstrafen kommen in Anwendung:
a. Verweis, b. Geldbussen, c. Einstellung im Dienst, d. Zeitweilige
Einstellung der Gehaltserhöhungen, e-. Degradation, f. Entlassung;
und in Art. 16: Während der Dauer der sechsjährigen Amtsperiode kann
die Bahnverwaltung das Anstellungsverhältnis aus wichtigen Gründen
im Sinne von Art. 346 des schweizerischen Obligationenrechts auf
zwei Monate kündigen oder durch sofortige Entlassung auflösen. Als
wichtige Gründe gelten insbesondere schwere Dienstvergehen, fortgesetzte
Nachlässigkeit im Dienste oder nachgewiesene Dienstuntauglichkeit. Als
schwere Dienstvergehen werden namentlich betrachtet: Unredlichkeit
im Dienste, Widersetzlichkeit gegen Vorgesetzte, Trunkenheit im
Dienste und Ungebührlichkeit gegen das Publikum Als fortgesetzte
Nachlässigkeit im Dienste werden namentlich betrachtet: wiederholtes
unentschuldigtes Wegbleiben vom Dienste und fortgesetzte Missachtung
der Dienstvorschriften.

Die Vorinstanz führt in Zusammenfassung der Ergebnisse des bahnamtlichen
und gerichtlichen Beweisverfahrens aus: Dass der Kläger am 11. Januar
1898 bei der Führung des Zuges 505, entgegen dem in den Depots der
Vereinigten Schweizerbahnen ausgelegten Zirknlar vom 18. Februar
1876, an verschiedenen Stationen Wirtschaften besucht habe, sei
erwiesen teils durch das eigene Geständnis des Klägers, teils durch
das Zeugnis des Heizers Blattner, dass der Kläger in Elgg, Whl, Uzwyl,
Flawyl und Winkeln eingekehrt babe. Der Richter habe keinen Grund, an
der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen, der sich in seinen Aussagen in der
bahnamtlichen wie in der gerichtlichen Einveruahme gleichgeblieben sei,
zu zweifeln; dazu komme noch, dass Blattner vermöge seiner Dienststellung
als Heizer der vom Kläger geführten Maschine in der Lage gewesen sei, den
Kläger dauernd zu beobachten. In dem bezeichneten Verhalten des Klägers
liege eine wiederholte Übertretung der bestehenden Dienstvorschriften,
die um so schwerer ins Gewicht falle, als Zug 505 in Elgg mit Zug 116,
in Aadorf mit Zug 524, in Uzwyl mit Zug 118, in Flawyl mit Zug 125 und
in Winkeln mit Zug 36 kreuze,

434 Cieiîrechtspflege.

und Art. 42 des allgemeinen Dienstreglements vorschreibe, dass in
solchen Fällen der Führer sich an seinem Standorte auf der Lokomotive
aufzuhalten habe. Die Einrede des Klägers, er habe das Zirkular von 1876
nicht gekannt, sei an sich und speziell angesichts des Umstandes, dass
es in den Depots aufliege, unglaubhaft, und die Einrede, dass es obsolet
sei, sei nicht erwiesen. Sodann habe die vom Kläger gesührte Maschine
bereits in Uzwyl an Rohrlaufen gelitten; wie aus dem Ausspruch der
Expert-ett hervorgehe, wäre es deshalb Pflicht des Klägers gewesen, der
Maschine durch zweckentsprechende Unterhaltung und Überwachung des Feuers
u. s. w. die grösste Aufmerksamkeit zu schenken, so dass das Verlassen der
Lokomotive in Flawyl und Winkeln auch von daher unentschuldbar sei. Es
sei ferner erwiesen, dass der Kläger den Zug 126 Unregelmässig geführt,
mit demselben die Maximalgeschwindigkeit zwischen den verschiedenen
Stationen um 2 1() Km., über die Glattbrücke um 1 Km. überschritten und
dass er in verschiedenen Stationen zu rasch eingefahren sei. Hierin
liege ein Verstoss gegen die im Interesse der Betriebssicherheit
erlassenen Vorschriften Dazu komme der Aufenthalt des Klägers in der
Restauration in Wyl, während der Schnellng 87 mit Zug 126 gekreuzt habe,
ferner das ausserordentliche, durch nichts gerechtfertigte, vom Kläger
verursachte Anhalten des Zuges auf offener Linie oberhalb Winterthur,
worüber der Kläger ganz widersprechende Aufklärungen gegeben habe. Jn
diesen Thatsachen müsse eine Betriebsgefährdung erblickt werden, die
leicht zu einem Unfall hätte führen können. Die Ursache dieser zeitlich
rasch auf einander folgenden mehrfachen Dienstverletzungen müssen in dem
physischen Zustand des mit seinem Berufe sonst wohl vertrauten Klägers
erblickt werden, um so mehr, als derselbe selbst zugeben müsse, während
der Führung des Zuges 505 wiederholt Wirtschaften besucht zu haben,
und anzunehmen sei, dass er auch seine freie Zeit von 7 Uhr 40 bis 8
Uhr 40 abends in einer Restauration zugebracht und dort Getränke zu
sich genommen habe. Diese Thatsachen in Verbindung mit dem erneuten
Besuch der Bahnhofrestauration in Wyl und dein sonst unerklärten
Vorfall bei dem Posten 278 oberhalb Winterthur lassen die Behauptung
des Zeugen Blattner, der Kläger sei betrunken gewesen, jedenfalls für
die V. Obligationenrecht. N° 52. 435

Zeit nach der Abfahrt von Wyl als wahr erscheinen Die entgegenstehenden,
oder diese Annahme wenigstens nicht bestätigenden Angaben von Personen,
welche nur vorübergehend mit dem Kläger verkehrt haben, und ihn nicht
ständig oder längere Zeit haben beobachten können, vermögen diese
Überzeugung des Richters nicht zu erschüttern. Der Kläger habe somit durch
sein Verhalten am 11. Januar 1898 bei Führung der Züge 505 und 126 nicht
nur im allgemeinen verschiedene Dienstvorschriften wiederholt verletzt,
sondern auch speziell bei Führung des Zuges 126 wegen Trunkenheit seine
Dienstpflicht verletzt, und zwar in einem Grade, dass darin die Beklagte
mit Recht einen wichtigen Grund zur sofortigen Entlassung desselben
erblickt habe.

2. Da die Beklagte den mit dem Kläger abgeschlossenen Dienstvertrag
vor Ablauf der vertraglich bestimmten Zeit aufgelöst hat, so
erscheint der vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch
grundsätzlich begründet, sofern nicht die Beklagte von der Fortsetzung
des Vertragsverhältnisses vor der vertraglich festgesetzten Endigung
desselben enthoben worden ist. Die Beklagte behauptet dies, indem
sie sich auf Art. 346 O.-Ji. beruft, wonach aus wichtigen Gründen die
Aufhebung des Dienstverhältnisses vor Ablauf der Dienstzeit von jedem
Teil verlangt werden farm. Eine nähere Angabe darüber, welche Gründe
hinreichend seien, um die vorzeitige Auflösung des Dienstvertrages zu
rechtfertigen, macht das Gesetz nicht, sondern begnügt sich damit, die
Entscheidung über das Vorhandensein wichtiger Gründe dem richterlichen
Ermessen anheimzustellen Immerhin ist hiebei, wie das Bundesgericht
mehrfach ausgesprochen hat, als leitendes Prinzip festzuhalten, dass eine
vorzeitige Auslösung des Dienstvertrages dann, und nur dann berechtigt
ist, wenn die wesentlichen Voraussetzungen persönlicher oder sachlicher
Art, unter welchen der Vertrag abgeschlossen wurde, sich als hinfällig
erweisen (bundesger. Entsch., Bd. XIX, S. 317 Erw. 3). Es muss sich also
fragen, ob durch das Verhalten des Klägers, aus welchem die Beklagte
ihre Berechtigung zur sofortigen Entlassung desselben herleitet, diese
Voraussetzungen hinfällig geworden seien.

Z. Wenn der Kläger geltend gemacht hat, dass bei der Prüfung dieser
Frage nur diejenigen Thatsachen in Betracht gezogen wer-

436 Civilrechtspflege.

den dürfen, welche in dem Dienstreglement der Beklagtenlals wichtige
Gründe zu fofortiger Entlassung aufgeführt sind, so ist dies nicht
zutreffend. Es liesse sich Überhaupt fragen, in wie weit die Parteien
zum Voraus auf die Geltendmachung der ihnen nach Art. 346 O-R zustehenden
Rechte verzichten, beziehungsweise vertraglich das Gebiet der wichtigen
Gründe, welche nach dem Gesetz den Rücktritt vom Vertrag zu rechtfertigen
vermögen, einschränken können. Im vorliegenden Falle handelt es sich
jedoch offenbar nicht um eine solche vertragliche Einschränkung;
denn schon die Fassung des Art. 16 des Dienstreglements, welcher sich
aus diese Frage bezieht, zeigt deutlich, dass die daselbst enthaltene
Aufzählung keine abschliessende erschöpfende, sondern lediglich eine
exemplisikative sein soll. Es ist ferner auch nicht richtig, dass
die Veslagte mit allen von ihr angeführten Gründen, ausser demjenigen
der Trunkenheit im Dienste, deswegen ausgeschlossen sei, weil sie nur
diesen Grund in dem Entlassungsschreiben angeführt hat. Dass der gemäss
Art. 346 O.-R. vom Vertrag Zurücktretende zur Rechtfertigung seines
Rücktritts auf diejenigen Gründe beschränkt sei, auf welche er sich bei
der dem andern Teil erstatteten Mitteilung vom Rücktritte berufen hat,
kann nicht als Meinung des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht
angesehen werden, da dieses, wenn es eine solche Beschränkung gewollt
hätte, dieselbe ausdrücklich hätte aussprechen müssen. Es könnte sich
daher nur fragen, ob nicht in der Hervorhebung jenes einzelnen Grundes
ein stillschweigender Verzicht darauf zu erblicken sei, neben demselben
noch weitere Gründe geltend zu machen. Ein solcher Verzicht ist jedoch
nicht zu vermuten, und im vorliegenden Falle auch nicht anzunehmen
Immerhin geht aus der Entlassungsanzeige der Beklagten hervor, dass sie
selbst den Vorwurf der Trunkenheit Im Dienste als den entscheidenden
angesehen hat, und es darf auch wohl vorausgesetzt werden, dass sie,
wenn dieser Grund für sie-nicht vorgelegen hätte, wegen der übrigen
dem Kläger zur Last fallenden Dienstverstösse allein noch nicht die
sofortige Entlassung verfügt haben würde, sondern es für einmal noch
mit einer Disziplinarmassregel hätte bewendet sein lassen. Wenn auch zu
dem mehrmaligen Wirtshausbefuch während des Fahrdienstes vom 11. Januar
1898 erschwerend hinzukommt, dass der Kläger dieV, Obligaiionenrechî. N°
52. si 437

Maschine wiederholt unter Umständen verlassen hat, wo besondere Gründe
seine Anwesenheit erforderten, wie bei Kreuzungen mit andern Zügen
und wegen eingetretener Beschädigung der Maschine, und es bei diesen
Dienstverletzungen nicht geblieben ist, indem der Kläger überdies mit
Zug 126 die vorgeschriebene Maximalgeschwindigkeit mehrfach überschritten
hat, bei mehreren Stationen zu rasch eingefahren ist und endlich den Zug
unmotivierterweise auf offener Strecke angehalten und vorschriftwidrig
wieder in Bewegung gesetzt hat, so musste dieses Verhalten allerdings eine
strenge disziplinarische Ahndung nach sich ziehen; allein es wäre doch
zu weit gegangen, darin allein schon den Beweis zu erblicken, dass die
wesentlichen Voraussetzungen, unter welchen das Anstellungsverhältnis
begründet worden war, in der Person des Klägers nicht mehr vorhanden
seien, zumal derselbe während seiner langjährigen Dienstzeit bisher zu
keinen nennenswerten Klagen Anlass gegeben hatte.

Nun stellt aber die Vorinstanz fest, dass der Kläger bei Führung des Zuges
126, jedenfalls von der Abfahrt von Wyl an, betrunken gewesen fei, und
diese Feststellung, die sich auf das Zeugnis des dem Kläger beigegebenen
Heizers, in Verbindung mit einer Reihe anderer aktenmässiger Thatsachen,
stützt, kann nicht als aktenwidrig bezeichnet werden; sie ist daher
gemäss Art. 81 Organis.-Ges. für das Bundesgericht verbindlich, so dass
die, auf Widerlegung derselben abzielenden Beweisanträge des Klägers als
unstatthaft erscheinen. Mit Rücksicht auf diese Feststellung kann aber
nicht geleugnet werden, dass die Beklagte zur sofortigen Entlassung
des Klägers in der That berechtigt war. Erfahrungsgemäss kann bei
der grossen Gefährlichkeit des Eisenbahnbetriebes schon ein leichtes
Versehen des Lokomotivführers hinreichen, um eine schwere Katastrophe
herbeizuführen, und es bedarf somit keiner weitern Erörterung darüber,
dass die Führung der Züge nur solchen Personen anvertraut werden darf,
die im vollen Besitze der geistigen Kräfte find. Ein Lokomotivführer,
der seinen Zug in betrunkenem Zustande führt, legt demnach eine solche
Missachtung der auf ihm tastenden schweren Verantwortlichkeit an den
Tag, welche mit seiner Dienftstellung absolut unvereinbar ist, und die
Bahnverwaltung mit Rücksicht auf ihre eigene Verant-

488 Civilrechtspfiege.

wortlichkeit für die Sicherheit-s des Betriebes nicht nur berechtigt-,
sondern sogar verpflichtet, ihn dieser Stellung unverzüglich zu entheben

4. Dass dieser Erwägung gegenüber die Einwendung des Kläger? unhaltbar
ist, wonach die Beklagte zunächst nach der in dem Dienstreglement
angegebenen Stufenleiter eine mildere Massregel hätte ergreifen sollen,
liegt auf der Hand, denn es kann eben unter Umständen auch schon durch
eine erstmalige Dienstverletznng das Vertrauen in die Gewissenhaftigkeit
bei Ausübung der dienstlichen Pflichten derart erschüttert werden,
dass die wesentlichen Voraussetzungen persönlicher Art, unter welchen
der Dienstvertrag abgeschlossen wurde, sich als hinfällig erweisen,
und dies trifft, wie bemerkt, hier zu.

Da ferner der Grund, welcher die Beklagte zur sofortigen Entlassung
berechtigte, in einem schuldhaften Verhalten des Klägers liegt, hat
derselbe die ökonomischen Folgen dieser Entlassung an sich zu tragen,
und muss daher seine Entschädigungsfordernng als gänzlich unbegründet
abgewiesen werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird als unbegründet abgewiesen und daher das
Urteil des Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14.J15. März 1899
in allen Teilen bestätigt.

53. Urteil Vom 9. Juni 1899 in Sachen Allgemeine Aktienbaugesellschaft
Zürich gegen Konkursmasse Egloff-Bt"thler.

Kaufoder Tauschverimg über Liegenschaften; Klage auf Rückferäe'gung
im Konkurse des Käufers; Kompetenz des Bundesgerichts. Art. 212
Bem-Ges. Vindikation von Aktien.

A, Durch Urteil vom S.,/16. März 1899 hat das Kantons: gericht des
Kantons St. Gallen die Klage abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bandesgericht
erklärt, und Abänderung desselben im Sinne derV. Obligationenrecht. N°
53. 439

Gutheissung ihrer vor den kantonalen Jnstanzen formulierten Rechtsbegehren
beantragt.

Jn der heutigen Hauptverhandlnng erneuert der Anwalt der Berufungsklägerin
diesen Antrag. Der Anwalt der Berufungsbeklagten beantragt Abweisnng
der Berufung und Bestätigung des kantonsgerichtlichen Urteils-.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Jakob Egloff in Wattny verkaufte durch Vertrag vom 22. Dezember 1897
der Allgemeinen Aktienbaugesellschaft Zürich I (Klägerin) den in seinem
Besitze befindlichen Weierhof bei Rickelshausen, Grossherzogtum Baden,
nebst Mobiliar und Fahrhabe, um den Preis von 232,000 Mark, wobei
er für 88,000 Mark Aktien der Allgemeinen Aktienbaugesellschast (220
Stück) übernahm und 24,()00 Mark mit einer Kanfpreisforderung dieser
letztern an Egloff aus einem andern, gleichen Tages abgeschlossenen
Liegenschaftshause verrechnet werden sollten. An jenem Tage verkaufte
nämlich die Klägerin ihrerseits an Eglosf das Hans Hopfenftrasse 15 Zürich
III um 112,000 Fr., wobei bestimmt war, dass 82,000 Fr. angewiesen und
30,000 Fr. bei einer anderweitigen kanzleiischen Fertigung verrechnet
werden-. Diese anderweitige kanzleiische Fertigung betrifft, laut
übereinstimmender Angabe der Parteien, eben das Gut Weierhof. Bei beiden
Käuer sollte der Antritt mit 1. Januar 1898 stattfinden Bei Abs chluss
des Kaufvertrages über das Gut Weierhof hatte Eglosf den Vertretern der
Klägerin davon Kenntnis gegeben, dass er auf diesem Gute noch mit Zahlung
von Hypothekarzinsen und des Guthak bens seines Verioalters für Dienstlohn
und Verwendungen auf das Gut sich im Rückstand befinde, dass er aber diese
Verpflichtungen bis Ende Dezember 1897 auslösen wolle. Am 31. Dezember
1897 genehmigte der Verwaltungs-rat der Klägerin den Kaufvertrag, unter
dem Vorbehalt, dass Eglosf sich mit seinem Verwalter verständige, und die
Käufer jeder Verpflichtung gegenüber demselben entbinde. Am 4. Januar
1898 wurde die Liegenschaft Hopfenstrasse 15 dem Eglofs notarialisch
angefertigt. Ferner gab die Klägerin dem Egloff auf Rechnung der
220 Aktien, welche sie ihm gegen anertigung des Gutes Weierhof an
Zahlungsstatt geben sollte, in 2 Malen (da? erste Mal 4. Januar
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Dokument : 25 II 429
Datum : 09. Juni 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 II 429
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 428 Givilreciîtspflege. Pümpin & Herzog, Amt]. Samml., Pd. XXII, S. 601, Erw. 2),


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beklagter • bundesgericht • trunkenheit • uhr • frage • verhalten • tag • monat • vorinstanz • maler • schaden • kantonsgericht • einwendung • zins • zeuge • rechtsbegehren • busse • dauer • lohn • restauration
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