14 Civilrechtspflege.

III. Obligationenrecht. Code des obligations.

3. Urteil vom 27. Januar 1899 in Sachen der Gesellschaft schweizerischer
Metzgermeister für Hautund Talgverwertnng gegen Gebrüder Leuenberger.

Art. 633 O.-R. Pflicht der Akiiomîre zu Naiumlleistungen; verstösst sie
gegen diese Bestimmung?

A. Mit Urteil vom 10. Oktober 1898 hat das Appellationsgericht des Kantons
Baselstadt das die Klage abweisende erstmstanzliche Urteil bestätigt.

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, mit dem Anfrage,
die Beklagten seien gemäss den Klaganträgen 1 und 2 zu ver-fällen.

C. In der heutigen Verhandlung erneuert der Vertreter der Klägerin
diesen Berufungsantrag

Der Vertreter der Beklagten trägt auf Abweisung der Berufung an.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1· In thatsächlicher Hinsicht ist den Akten zu entnehmen: Am 24. September
1889 konstituierte sich in Zürich die heutige Klägerin, Gesellschaft
schweizerischer Metzgermeifter für Hautund Talgverwertung, eine
Aktiengesellschaft, mit dem Zwecke des fabrikmässigen Betriebes einer
Talgschmelzerei, sowie des Handels in Häuten und Fellen (§ 1 der vorn
4. September 1889 datierten Statuten). Nach g 5 der Statuten sind die
Aktien persönlich und dfn-fen, den Fall des Erbganges ausgenommen, nur
mit Einwilligung des Verwaltungsrates an Dritte übertragen werden. §§
11 und 12 lauten: % 11. Jeder Aktionär haftet mit Rücksicht auf
Gesellschaftspassiven lediglich für den Betrag seiner Aktien (Art. 633
des schweiz. Obligationenrechtes). § 12. Dagegen verpflichtet der Besitz
von Aktien regelmässig zur

III. Obligationenrech N° 3. 15

,. Lieferung von Talg, Häuten und Fellen gemäss den Bestimmungen
des von der Generalversammlung festzustellenden Regiementes und der
besondern Verpflichtungsscheine Demgemäss sollen Gesellschaftsaktien
vorzugsweise nur an Solche und im Verhältnis ihrer Lieferungszusicherung
ausgegeben werden, welche zugleich Lieferanten sind. Ausnahmsweise kann
der Verwaltungsrat auch die Ausgabe von Aktien ohne Lieferungspflicht
beschliessen und in einzelnen Fällen mit Bezug auf dieselbe Dispensation
eintreten lassen- Dieser letztere Paragraph ist indessen in einer
Generalversammlung vom 19. Februar 1893 dahin abgeändert worden,
dass Gesellschaftsaktien nur an Solche und im Verhältnis ihrer
Lieferungszusicherung ausgegeben werden sollen, welche zugleich
Lieferanten find. § 8 setzt über die Verteilung des beim Jahresabschlusse
sich ergebenden Reingewinne-s fest, dassnach Vornahme der jeweils
von der Generalversammlung festzusetzenden zAbschreibungen und der
Zuweisungen in den Reservefonds der Gesellschaft dem Aktienkapital eine
Dividende bis auf 5 0/0 zagt-schieden werde; von dem übrig bleibenden
Rest sind 50 0/0 (nach Statutenänderung 25 %) als Superdividende auf
das Aktienkapitah 50 0/0 (später 75 9/0) aber auf die Lieferanten von
Häuten, Fellen und Talg, im prozentualen Verhältnis ihrer Liefernngen,
als Lieferungsvergütung zu verteilen. Aktionären mit 1 2 Aktien und
Lieferungsverpflichtung soll (gemäss § 6Abs. 2) auf ihren Wunsch
vom Verwaltungs-rat gestattet werden, 50 0/9 des Aktienbetrages in
reglementmässigen Lieferungen einzubezahlen. Aus dem (statutengemäss
von der Generalversammlung festgestellten) Lieserungsreglement
vom 22. Dezember 1889 sind folgende Vorschriften der Allgetneinen
Bestimmungen hervorzuheben: § 5. Der Ausschuss des Verwaltungs-wies
stellt jeweils die Preise für Häute, Felle und Talg nach Massgabe
der allgemeinen Marktverhäitnifse fest. § 7. Die Lieferungen in Talg,
Häuten und Fellen haben gemäss der eingegangenen Verpflichtungsscheine
zu geschehen. § ,8 Abs. 2. Zuwiderhandlungen gegen die eingegangenen
Lieferungsverpflichtungen laut den besonderen Berpflichtungsscheinen
werden mit einer vom Verskwaltungsratsausschuss jeweils auszusprechenden
Konventionalstrase von mindestens 100 Fr. belegt. Hiefür haftet bei Aktio-

16 Givilrechtspflege.

nàren in erster Linie der Betrag des einbezahlten Aktienkapitals.
Auf Grund der vor-genannten Statuten vom 4. September 1889 traten am
17. gl. Monats auch die Beklagten, Johannes Leuenberger-Grauwiler und
Friedrich Leuenberger-Grauwiler, die damals in Qlten unter der Firma
Gebt-. Leuenberger als Kollektivgesellschaft eine Metzgerei Betrieben, der
Klàssgerin vbei; die Beitrittserklärung ist dem Statutenentwurf beigefugt,
tragt die Uberschrift Subskriptionsund Liefernngsverpslichtungti und
besagt ausser der Erklärung der Beklagten, der Gesellschaft beizutreten
und eine Aktie zu übernehmen, die Beklagten verpflichten sich, der
Gesellschaft nach Massgabe von Statuten und jeweiligen Reglementen
zu liefern: ihre Häute und" Felle und das Fett (Talg). Im Laufe
des Jahres 1894 siedelten die Beklagten nach Basel über, woselbst
sie nun, in Form einer einfachen Gesellschaft und unter der Firma
Gebt-. LTeuenberger-Grauwiler, Nachfolger von J. J. Grauwiler-Ammann,·
das Metzger-eigewerbe fortsühren. Seit dieser Zeit führten sie keine
Lieferungen an die Klägerin mehr aus. Auf eine Mahnung der letztern
vom 14. Februar 1895 antworteten sie am 16. gl. Monats, esaware ihnen
einstweilen unmöglich, Haute und Felle an' die Klagerin zu senden, da
in Basel die Häute und Felle direkt von der Schlachthausverwaltung
abgegeben werden; sie fragten zugleich an, wie es sich mit der
von ihnen eingegangenen Verpflichtung verhalte, wann und wie sie
gelöst werden könne? Die Klagerm antwortete am 26. Februar 1896, die
Verpflichtung bestehe so lange, als der Aktionär ein Metzgereigeschäft
betreibe; da die Beklagten ihrer Liefernngspflicht für das Jahr 1890
nicht nachgekomnien seien, müssen sie mit einer Konventionalstrafe
belegt werden, welche reglementsmässig auf 5 0/O des Lieferungswertes
angesetzt werde und daher 400 Fr. (5·0Jo von· 8000 ,St.) betrage. Die
Bekiagten teilten diese Auffassung nicht, sondern erklärten mit Brief
vom 2. März 1896 den Austritt aus der Gesellschaft; dabei fragten sie an,
was mit ihrer Aktie geschehen solle, ob sie sie ihrem Nachfolger in Olten
Verschenken durfen. Die Klägerin nahm den Austritt nicht an und erflarte,
einen Verkauf oder eine Schenkung der Aktie könne. sie nicht dulden.
Weitere Korrespondenzen führten zu keiner Einigung, und imW-.M-.,. _....

H[. Obligationenrecht. N° 3. 17

Juni 1898 erhob die Klägerin gegen die Beklagten Klage mit folgenden
Rechtsbegehren: Die Beklagten seien ans Grund ihrer am 17. September 1889
eingegangenen Lieferungsverpflichtung der Klägerin gegenüber gehalten;
sämtliche Häute und Felle und den Talg der in ihrem gemeinsamen Geschäft
geschlachteten Tiere an die Klägerin nach Massgabe des klägerischen
Lieferiingsreglementes vorn 22. Dezember 1889 abzuliefern und hiefür
,solidarisch haftbar zu erklären. 2. Es seien die beiden Beklagten,
und zwar jeder für das Ganze, zu verurteilen, der Klägerin den Betrag
von 1692 Fr. samt Zins zu 5 0/0 ab 364 Fr. seit 26. Februar 1896
und ab 364 Fr. seit 11. Februar 1897 und ab 964 Fr. seit 19. Februar
1898 zu bezahlen. Das im Klagebegehren 2 bezifferte Quantitativ ihrer
Entschädigungsforderung berechnet die Klägerin folgendermassen:

Bussen pro 1895 und 1896 à 50/0 des Lieferungswertes von

je8000Fr.. ..........Fr.800 abzüglich 212 0O Dividende ab den einbezahlten
300Fr..............72 Fr. 728 plus 5 % vom Umsatz der Beklagten pro
1897 im Betrage von 20,000 Fr. Fr. 1000 abzüglich 12 0/0 Dividende .
36 964 Fr. 1692

Zinse fordert sie jeweilen vom Tage der Mahnung an. Die Beklagten
beantraglen Abweisung der Klage, indem sie folgende Standpunkte
einnahmen: Einmal sei die klägerische Gesellschaft keine rechts-gültige
Aktiengesellschaft, da das Grundkapital nicht genau fixiert sei, indem
die Statuten die Möglichkeit offen lassen, das Kapital zwischen 200,000
bis 300,000 Fr. variieren zu lassen, auch die Lieferung von Häuten und
Talg notwendigerweise als Gesellschaftseinlage des Aktionärs zu gelten
habe. Sodann verstosse die Lieferungspflicht, wenn die Klägerin als
Aktiengesellschaft zu gelten habe, gegen Art. 633 Q..-R Endlich könne die
Verpflichtung nur mit der stillschweigenden Klausel rebus Sic stantibus
verstanden werden, und da nun die Verhältnisse in Basel durchaus andere
seien als in Olten, indem dort der Handel xxx-', 2. 1899 2

18 Civilrechtspfiege.

mit den Fellen u. s. f. direkt von dertSchlachthausverwaltuiig besorgt
werde (wofür die Beklagten Beweis anerboten), tenne dreVerpslichtung nicht
mehr zu Recht bestehen. Evventuell konne dieKlägerin nur den Schaden
geltend machen, den sie aus der Richterfüllung des Vertrages mit der
früheren Firma In Osten erlitten, und habe sie den Beklagten den Nachweis
fur dieihnen zukommende Jahresdividende zu liefern. Den von der Klagerin
der Klageforderung zu Grunde gelegten Umsatz anerkannten die Beklagten.

2. Die erste Instanz hat die Klage aus dein Grunde abgewiesen, dass
die Verpflichtung der Beklagten von Anfang an als eine durch die
Verhältnisse örtlich begrenzte angesehen werden müsse, der Parteiwille
beim Vertragsabschlup dahin gegangen sen dass die Beklagten nur
unter bestimmten ortlichen Verhaltnissen zur Lieferung von Fellen
zc. verpflichtet seien; mit dein fWegzuges des Geschäftes aus Olten sei
daher die Verpflichtung Jedenfalls erloschen, wenn sie überhaupt je und
noch zu Recht bestanden habe. Die zweite Instanz billigt diese Auffassung
und sugt derselben nur noch bei, die Beklagten haben ihre Verpflichtung
nach ihrem Wegng von Olten um so eher alsaerloschen ansehen durfen, als
sie aus ihre Erklärung an die Klagerim sie konnen nicht mehr liefern,
und ob denn ihre Verpflichtung eine ewige sein solle, ein Jahr lang
keine Antwort erhalten und daher mit Recht haben annehmen können, die
Klägerin sei mit ihrer Auffassung einverstanden gewesen. Es handelt sich
hier sonach um eine Auslegung des Vertragswillens, deren Begründetheit
bekanntlich nachder neueren Praxis vom Bundesgericht selbstandig zu
prufen ist, sofern zu deren Beantwortung nicht lediglich Beweisergebnvisse
dienen müssen (vgl. Amtl. Samml. der. bundesger. Entscheide, Bd. XXIII,
S. 1696 Erw. 4), was hier nicht der Fall ist Hier nun ist zu bemerken:
Da die Beklagten keinen besondern Vorbehalt betreffend die Dauer
ihrer Verpflichtung gemacht haben; ist der Vertragswille lediglich zu
entscheiden auf Grundlage de

Verpflichtungsscheines der Beklagten, sowie der Statuten der-

Klägerin, auf welche in diesem Scheine verwiesen wird. Aus

diesen Urkunden erhellt nun in keiner Weise, dass denParteiwille
der von den Vorinstanzen angenommene gewesen sei; vielmehr
wird diese Verpflichtung zeitlich ganz unbeschrankt statuiert,
so-III. Obligationenrecht. N° 3. 19

dass als einzige Möglichkeit ihres Erlöschens die Ausgabe des
Gewerbes einer Metzgerei durch den Verpflichteten und damit die
faktische Unmöglichkeit der Erfüllung erscheint und vielleicht noch,
was unten des nähern zu erörtern ist der Austritt aus der Gesellschaft
Jnsbesondere ist zu 'bemerken, dass die naheliegende Möglichkeit der
Ubersiedlung eines Lieferanten an einen andern Hrt und der gewiss nicht
alle selten eintretende Fall einer solchen Ubersiedlung die Einfügung
einer Bestimmung, in einem solchen Falle erlösche die Verpflichtung,
ausserordentlich nahe gelegt hatte. Da dies nicht geschehen ist, kann
sie nicht einfach in die Statuten hinein interpretiert werden. Denn eine
derartige Ausdehnung der stillschweigenden Klausel rebus sic stantibus auf
Verträge wider-spricht der Rechtsund Verkehrssicherheit und wird Übrigens
in der neuern Doktrin mit Recht zurückgewiesen (vgl. Regelsberger,
Pand. I, S. 637; Pfaff, in der Festschrist für Dr. J. Unger (1898),
S. 221 ff., speziell 272 sf.). Eine Befreiung der Beklagten könnte hienach
nur dann zugelassen werden, wenn ihnen die Erfüllung der Verpflichtung
durch veränderte Verhältnisse gänzlich verunmöglicht, nicht aber schon
dann, wenn sie ihnen nur erschwert würde. Zu dem von den Vorinstanzen
angenommenen Parteiwillen kann man übrigens um so weniger gelangen,
als es für die Beklagten, wie schon angedeutet, ausserordentlich nahe
gelegen hätte, einen Vorbehalt zu machen. Mangels eines solchen kann
die Verpflichtung nicht anders, als wie hier entwickelt, ausgelegt
werden. Auch das von der zweiten Instanz her-angezogene Stillschweigen
der Klägerin während eines vollen Jahres kann nicht entscheidend
für die Annahme eines andern Vertragswillens schon beim Abschluss
des Vertrages sein; dieses Stillschweigen erklärt sich vielmehr
ungezwungen, wie die Klägerin in ihrer Antwort selber bemerkt, aus dein
persönlichen Verhältnisse der Parteien, insbesondere aus dem Umstande,
dass die Klägerin annehmen konnte, es werde gelegentlich eine mündliche
Auseinandersetzung erfolgen; überdies hatten die Beklagten nur bemerkt,
die Erfüllung ihrer Lieferungspslicht sei ihnen einstweilen nicht möglich,
und sich selber nicht klar und entschieden aus den Standpunkt gestellt,
die Verpflichtung sei mit ihrer Übersiedlung nach Basel erloschen.

3. Danach ist weiterhin zu prüfen, ob die Klage nicht aus

W Givilrechtspflege.

dein weitem, von der Vorinstanz angenommenen Grunde abzuweisen sei, dass
die Lieseruiigsverpslichtung im Widerspruch unt Art. 633 O.-R. stehe und
deshalb rechtsgültig nicht habe eingegangen werden können. Bei Prüfung
dieser Frage ist m erster Linie die rechtliche Natur dieser Verpflichtung
zu, untersuchen, und namentlich zu entscheiden, ob es eine dem Aktionar
als solchem obliegende oder aber eine unabhängig von der Eigenschaft
als Aktionär der klägerischen Gesellschaft eingegangene Verpflichtung
sei. Hiebei ist vorab daran zu erinnern, dass der Zweck der Gesellschaft
besteht im fabrikmässigen Betrieb einer Falgschinelzerei und im Handel in
Häuten und Felsen Dieser wirtschaftlichepreckt könnte in der äussern Form
einer Aktiengesellschaft an vsich aus zweierlei Arten erreicht werden,
entweder dadurch, dass die Aktionäre lediglich das Grundkapital zu liefern
Phatten und die fur den Gesellschafts-betrieb erforderlichen Rohstofse
von der Gesellschaft durch Kaufverträge mit beliebigen Dritten, wozu
auch die Aktionäre gehören könnten, beschafft würden; oder aber in der
Weise, dass die Aktionäre selbst als solche ausser zur Einzahlung eines
Geldbetrages zur Lieferung der Rohstoffe verpflichtet wurden, sich diese
letztere Verpflichtung somit als aus dem Gesellk schaftsverhältnisse
entspringende Verpflichtung, als Gesellschaftsbeitrag, darstellen
würde. Vorliegend ist nun nach dein aFtcha te der Statuten der Klägerin
das letztere der Fall. Dahn spricht zwar für sich allein noch nicht
der Umstand, dass die Lieferungspflicht in ihren allgemeinen Zügen
in den Statuten umschrieben und dass das Lieferungsreglement, das sie
naher regelt,.von der Generalversammlung der Aktionäre geregelt wird,
da dies alles auch vorkommen könnte, wenn die Lieferungspfltcht als
Verschlechtung aus einem Nebenvertrag angesehen werden musste. Magen
entscheidend fallen für diese Ansicht in Betracht folgende omente: Dass
50 fo des Aktienkapitals nach § 6 .lbs. 2 der Statuten in regelmässigen
Lieferungen einbezahlt werden Yemen, woraus sich klar ergibt, dass die
Lieferungspslicht der Aktienunzahlung gleichsteht; dass sich ferner (§
8)die Lieferungsverguthg nach dein jedesmaligen jährlichen Reingewinne
richtete, so dass ie Lieferanten neben dem allgemeinen Marktpreis 15/0
des nach Auszahlung der Dividende von 5 "-0 verbleibenden Reingewinns

in. Obhgaüonenrecht. N° 3. 21

erhalten; dass endlich in den ursprünglichen Statuten (g 12), wie in
den neuen (vom Jahre 1893) ausdrücklich gesagt ist, der Beitrag von
Aktien verpflichte regelmässig zur Lieserung von Talg lt., und schon
nach den früher-n Statuten die Ausgabe von Aktien an Nichtlieferanten
und die Dispensation der Aktionäre von der Lieferungspflicht besonders
vom Verwaltungs-rate beschlossen werden musste und nur als Ausnahme
erscheint, und ferner die Übertragung der Aktien unter Lebenden an
die Zustimmung des Verwaltungsrates gebunden ist· Was insbesondere die
Vergütung der Lieferungspreise nach dem jedesmaligen Reingewinn betrifft,
so kann dieses Verhältnis nicht so konstruiert werben, dass damit etwa
eine zweite Gesellschaft innert der Aktiengesellschaft begründet würde,
(so, betreffend die bernisthen Aktienkäsereien, Munzinger, Motive zu
dem Entwurse eines schweiz. Handelsrechtes, S. 165), vielmehr ist der
Zweck, der mit den Lieferungen erreicht werden soll, gerade der Zweck
der Aktiengesellschaft, und sind die Liefernngen Mittel zur Erreichnng
dieses Zweckes. Gerade dieses Abhängigmachen der Lieserungsvergütungen
von der finanziellen Lage der Aktiengesellschaft, dieses Verknüpr des
Lieferungspreises mit dein ökonomischen Geschicke der Gesellschaft zeigt,
neben § 12 der Statuten und dem Umstande, dass zur Übertragung der Aktien
die Zustimmung des Verwaltungsrates notwendig ist, auf das Deutlichste,
dass hier nicht von einer von der Stellung als Aktionär unabhängigen
Verpflichtung gesprochen werden kann, sondern dass diese Verpflichtung
aus dem Rechtsverhältnisse als Aktionär selber hervorgeht Die vom
Reichsgericht versuchte Konstruktion eines Nebenvertrages erscheint daher
hier nicht als zutreffend (ng. über die analogen Fragen bei den deutschen
Rübenzuckeraktiengesellschaften: R.-.G Entsch. in Civilfachen, Bd. 17,
S. 13 ff.; 19, S. 108 ff.; 21, S. 149 ff.; 26, S. 85 ff.; West, in Buschs
Archiv, XXXVI (1877) S. 96 ff.; Lippmann, in Goldschm. Zeitschr XXXIX,
(1891) S. 126 ff.; Staub, Komm. z. D. H.-G·-B., Z. u. 4. nen., Art. 219 §
3; Wolfs, in Goldschnr Zeitschrift, XXXII, S. 19 ff., und im Archiv für
bürg. Recht, III (1890), S. 293 ff.). Zwar kann wohl nicht gesagt werden,
dass nach den früheren, hier massgebenden Statuten die Eigenschaft eines

22 Civilrechtspflege.

Lieserungsfähigen, d. h. wohl regelmässig eines Metzgermeisters,
Voraussetzung des Eintrittes in die Gesellschaft sei, was dagegen
nach den Statuten von 1893 jedenfalls bejaht werden muss; allein als
das regelmässige erscheint das auch nach den alten Statuten, und nach
diesem Regelfalle, nicht nach den Ausnahmen, ist das Rechtsverhältnis
zu beurteilen. Wie es sich beim Erbgang Verhalte, ist nach den Statuten
nicht klar, indessen hier nicht zu entscheiden; sicher ist jedenfalls me,
dass die Beklagten nicht einfach ihre Aktie übertragen und so sich ihrer
Lieferungspflicht entledigen konnten, sowie das, dass mit der Veräusserung
der Aktie, mit dem Aufgeben der Qualität eines Aktionärs, auch die
Lieferungspflicht erlischt, denn gerade zur Sicherung der Lieferungen
ist das Ersordernis der Genehmigung der Übertragung der Aktien aufgestellt

4. Somit fragt sich denn, ob diese Lieferungsverpslichtung als
aktienrechtliche, aus der Stellung als Aktionär entspringende, Vereinbar
sei mit der in Art. 612 ff. O.-.)i. der Aktiengesellschaft gegebenen
Rechtsnatuu Nach Art. 612 eod. gehört zum Wesen der Aktiengesellschaft
ein zum voraus bestimmtes Kapital, die Zerlegung desselben in
Teilfummen (Attimi), und der Ausschluss der persönlichen Haftung der
Gesellschafter (Atti-mare) für die Verbindlichkeiten (Art. 612 sagt
merkwürdigerweise Verbindlichkeit) der Gesellschaft. In Art. 633 wird
dann die Beitragspflicht des Aktionärs näher dahin umschrieben, er sei
nicht schuldig, zu den Zwecken der Gesellschaft und zur Erfüllung ihrer
Verbindlichkeiten mehr beizutragen als den für die Aktie statutengemäss
festgesetzten Betrag. In dieser letztern Bestimmung liegt offenbar
zweierlei: eine Regelung des Verhältnisses des Aktionärs gegenüber den
Gläubigern bezw. den Schulden der Gesellschaft, und eine Feststellung der
Verpflichtungen des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft zur Erreichung
des Gesellschaftszweckes (ng. den Munzingerschen Entwurf, Art. 134 und
135, wo diese beiden Seiten getrennt waren). Für beides, wird gesagt, hat
der Aktionär nur den für die Aktie statutenmässig festgesetzten Betrag
zu leisten. In casu unterscheiden nun die Statuten der Klägerin diese
beiden Verpflichtungen der Aktionäre in §§ 11 und 12 in der Weise, dass
der Aktionär gegenüber den GesellschaftspassivenHI. Obligationenrecht. N°
3. 23

flediglich für den Betrag seiner Aktie haftet, dagegen gegenüber
der Gesellschaft zu mehr als zur Einzahlung seiner Aktie (oder
feiner Aktien) verpflichtet wird, nämlich zur Lieferung der für den
Gesellschaftszweck benötigten Rohstoffe. Dass eine andere Festsetzung
der Haft des Aktionärs für die Gesellschaftsschulden dem Wesen der
Aktiengesellschaft widerstreiten würde, ist ohne weiter?flat. Nicht so
zweifellos isi dagegen, ob auch die statutenmässig sbei der Konstituierung
der Aktiengesellschaft festgesetzte Verpflichtung der Aktionäre zu
weiterem, als zur Einzahlung ihrer Aktien, insbesondere zu gewissen
periodisch wiederkehrenden, nicht in Geld bestehenden Leistungen dem
Art. 633 O.-R. gegenüber rechtsungültig sei. Diese Bestimmung des Gesetzes
bezweckt doch gewiss zunächst und in erster Linie nur den Schutz des
Aktionärs einmal gegen die weitere Inanspruchnahme durch die Gläubiger
und sodann gegen die Möglichkeit einer späteren, nach der Konstituierung
beschlossenen, Verpflichtung zu weiteren Beiträgen, wie z. B. im Falle der
Erhöhung des Aktienkapitals gegen die Verpflichtung zur Abnahme weiterer
(neuer) Aktien; dagegen erscheint durch diese Bestimmung an sich nicht
ohne weiteres ausgeschlossen, dass schon bei der Konstituierung die
Verpflichtung der Aktionäre weiter gefasst werden könne. Auch kann wohl
nicht gesagt werden, eine derartige weitere Verpflichtung verstosse gegen
das Wesen der Aktiengesellschaft als solcher; hat doch das neue-deutsche
Handelsgesetzbuch in § 212 (bekanntlich gerade mit Rücksicht auf die
Prozesse der Rübenzuckeraktiengesellschasten) eine derartige Verpflichtung
ausdrücklich anerkannt und näher geregelt, ohne dass deshalb solche
Gesellschaften nun nicht mehr als Aktiengesellschaften zu bezeichnen wären
(vgl. für die Rechtsgültigkeit der Rübenlieferungspslicht der Aktionäre
nach dem frühern deutschen Recht Lippmann, a. a. Q, S. 192 ff.). Dagegen
mangelt allerdings nach dem schweizerischen Obligationenrecht die
gesetzliche Grundlage für eine derart gestaltete Aktiengesellschaft und
damit für eine derartige weitergehende Lieferungspflicht der Aktionäre
Die Bestimmungen des Obligationenrechts über die Aktiengesellschaften
gehen ganz offenbar-, wie aus ihren Einzelheiten erhellt, davon aus,
dass der Aktionär nur seinen Aktienbetrag einzumer-fen hat; nur die
Folgen der Unterlassung dieser Pflicht sind

24 Civilrechtspflege.

geregelt (Art. 634 und 635) und nur die Haft der Zeichner für die
Einzahlung überhaupt ist berücksichtigt; dagegen sieht das Gesetz
nirgends weitere Verpflichtungen der Aktionäre vor, währenddoch darüber,
speziell betreffend die dafür allfällig zu entrichtende Gegenleistung
und für deren Nichterfüllung Vorschriften gegeben sein müssten (vgl. 5%
212 und 216 des neuen deutschen Handelsgesetzbuches-) Hieraus muss der
Ausschluss derartig gestalteter Gesellschaften um so eher geschlossen
werden, als der Munzingersche Entwurf eines schweiz. Handels-rechtes in
Art. 113 ausdrücklich für gewisse Aktiengesellschaften, namentlich
für solche mit landwirtschaftlichem Charakter, speziell für
Aktienkäsereien, die Befreiung von einzelnen Bestimmungen über die
Aktiengesellschaften vorsah. Aus dieser Vorschrift, in Verbindung mit
der ganzen geschichtlichen Entwickelung des Aktiengesellschaftswesens
geht hervor, dass das schweiz. Gesetz unter einer Aktiengesellschaft
nur eine solche Gesellschaft verstanden wissen will, bei welcher der
einzelne Gesellschafter nur für einen fest bestimmten Geldbetrag haftet,
und die Eingebung weiterer Verpflichtungen der Aktionäre gegenüber
der Gesellschaft ausgeschlossen wissen will. Da nun, wie in Erwägung
3 gezeigt, im vorliegenden Falle in der That eine aus der Stellung
des Aktionärs als solchen entspringende Verpflichtung streitig ist,
und diese Verpflichtung nach dem oben ausgeführten nicht rechts-gültig
ist, muss das angefochtene Urteil aus diesem Grunde bestätigt werden.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen, und somit das Urteil des
Appellationsgerichtes des Kantons Baselstadi, vom 10. Oktober 1898,
in allen Teilen bestätigt.

III. Ohligationenrecht. N° 4. 25

4. Urteil vom 8. Februar 1899 in Sachen Brunner gegen Bühlmann und
Konsorteu.

Art. 64. Org.-Ges. Motiviefflng des letztinsäanzäichen kantonalen
Haupturäeils. Art. 50 ff., spezieZZ 51, Abs, 2 und, 56 0.-R. Notwefw.

A. Durch Urteil vom 8. November 1898 hat das Obergericht des Kantons
Luzern erkannt:

1. Josef Bühlmann, Josef Schnieper, Moritz Widmer, Johann Georg Brunner
und Joh. Müller seien von der Klage freigesprochen.

2. Adolf Hüsler und Xaver Brunner seien zu einer Geldbusse von je zwölf
Franken (12 Fr.) eventuell Gefängnis und Johann Hüsler zu einer Geldbusse
von fünfzehn Franken (15 Fr.) eventuell Gefängnis verurteilt.

3. Die von den Parteien gestellten Entschädigungsansprüche seien für
einund allemal abgewiesen.

4. Die ergangenen Untersuchungs-, Gerichtsund Prozesskosten seien von
Johann und Adolf Hüsler und Xaver Brunner zu je 4j3 zu tragen, von Johann
und Adolf Hüsler mit Solidarität für das Ganze, von Xaver Brunner ohne
Solidarität Von den Beklagten Johann und Adolf Hüsler und Xaver Brunner
haben demnach an die Privatklägerschaft Bühlmann, Schnieper und Widmer
jeder eine Kostenvergütung zu leisten von 69 Fr. 95 Cis.

B. Gegen Dispositiv 3 und 4 dieses Urteils hat der Kläger Joh. Georg
Brunner rechtzeitig und in richtiger Form die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen, mit den Anträgen:

1. Die Beklagten Josef Bühlmann, Moritz Widmer und Joh. Müller seien
zu verurteilen, dem Kläger eine Entschädigung von 4238 Fr. zu bezahlen,
unter Solidarhaft eines Jeden für das Ganze.

2. Die Beklagten haben die Prozesskosten, speziell auch sämtliche
Anwaltskosten des Klägers zu tragen.

C. In der heutigen Verhandlung beantragt der Vertreter des Klägers
Gutheissung dieser Bernfungsanträgez er trägt überdies
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 II 14
Datum : 27. Januar 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 II 14
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 14 Civilrechtspflege. III. Obligationenrecht. Code des obligations. 3. Urteil vom


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • aktiengesellschaft • lieferung • brunnen • bundesgericht • aktienkapital • verwaltungsrat • olten • bewilligung oder genehmigung • austritt • vorinstanz • umsatz • unternehmung • dauer • zahl • frage • archiv • eigenschaft • verurteilung • metzgerei
... Alle anzeigen