64 staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt. KantonsverfaSsungen.
Dritter Abschnitt. Troisième section.
Kantonsverfassungen.
Constitutions cantonales.
Eingriffe in garantierte Rechte. Atteintes portées à. des droits garantis.
12. Urteil vom 2. März 1899 in Sachen Kündig und Konsorten gegen
Baselstadt.
Recht der Volksinitiative nach der Verfassung von Baselstadt. Stellung
des Grossen Rates einem Initiativbegehren gegenüber.
A. Im Juni 1895 reichten 2011 Basler Bürger beim Grossen Rate das
Jnitiativbegehren ein: Die unterzeichneten in Pantone: len Angelegenheiten
Stimmberechtigten stellen gemäss dem ihnen faut § 28 der Kantonsverfassung
zustehenden Rechte das Begehren beim Grossen Rat, es möge das Gesetz
über die Wahlen in den Grossen Rat vom 10. Dezember 1883 durch ein
anderes Wahlgesetz nach dem Grundsatze der Proportionalvertretnng
er$th werben. Das Begehren wurde dem Regierungsrate zur Prüfung und
Berichterstattung überwiesen Diese Behörde beantragte mit Ratschlag vom
14. Januar 1897 auf das Begehren einzutreten und legte einen Entwurf
zu einem Wahlgesetze vor, Der Grosse Rat beschloss jedoch auf das
Begehren nicht einzutreten. Hierauf wurde das Begehren dem Entscheide
der GesamtheitEingrifl'e in garantierte Rechte. N° 12. 65
der Stimmberechtigten nnterbreitet. Bei der Abstimmung erklärten sich 2731
für und 2635 gegen das Jnitiativbegehren. Jnfolge dieses Volksentscheides
beschloss der Grosse Rat, es sei der Entwurf des Regierungsrates einer
Grossratskomniission zu überweisen. Diese Kommission arbeitete einen
Gesetzesentwurf aus, der am 10. November in zweiter Lesung angenommen
und im Kantonsblatt vom 16. November 1898 publiziert wurde.
B. Am 19. November 1898 erhoben Dr. Rudolf Kündig, Alsred Serafin,
Dr. Eduard Kern, Pros. A. Heusler, DrsAdolf Bieder, Dr. Ernst
Feigenwinter, Dr. J. Matzinger und Dr. H. Stumm, sämtliche
stimmberechtigte Bürger von Basel, beim Bundesgericht einen
staatsrechtlichen Rekurs, in dem sie beantragten: 1. Es sei das vom
Grossen Rate des Kantons Baselstadt Wbeschlossene Gesetz über Wahlen
und Abstimmungen vom 10. November 1898 im Sinne der nachstehenden
Ausführungen als verfassungswidrig zu erklären, und demgemäss dieses
Gesetz den Stimmberechtigten nicht zur Abstimmung zu unter-breitem sontern
es sei der Grosse Rat des Kantons Baselstadt anzuweisen, ein neues Gesetz
ausznarbeiten, welches dem Jnitiativbegehren betresfend Einführung des
proportionalen Wahlversahrens vom 24. Juni 1895 entspricht. Ziffer 2
enthielt ein Gesuch um Sistierung der auf den B.,/4. Dezember 1898
angesetzten Volksabstimmung, das gegenstandslos geworden ist, weil der
Regierungsrat von Baselstadt von sich aus die Abstimmung über das Gesetz
verschoben hat. Die Rekurrenten behaupten, der Grosse Rat habe durch
den Erlass des Gesetzes vorn 10. November 1898 das in der kantonalen
Verfassung, § 28, gewährleistete Recht der Gesetzesinitiative verletzt
deshalb, weil er über das Begehren der Jnitianten hinausgegangen sei und
sich nicht aus die Wabi-art des Grossen Rates beschränkt babe. Das Gesetz
beschlage nämlich nicht nur die Wahlen, sondern auch die Abstimmungen, und
zwar die Abstimmungen in kantonalen und eidgenössischen Angelegenheiten;
der Grosse Rat legiferiere im gleichen Gesetz über die Wahl der Synode der
refortnierten Landeskirche, des Vorstandes der katholischen Landeskirche
und des weiteren Bürgerrates, über die Wahl des Regierungsrates, des
Abgeordneten in den Ständerat und über die Richterwahlenz endlich bringe
er in das neue
XXV, 1. 1899 5
66 staatsrechtliohe Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
Gesetz den im alten zu ersetzenden Gesetz nicht enthaltenen Grundsatz
des Stimmzwangs Dieses Verfahren sei ein verfassungswidriges Das durch
die Verfassung garantierte Recht zur Gesetzesinitiative wolle nichts
anderes, als einer gewissen Anzahl von Bürgern die Möglichkeit gewähren,
ein bestimmtes im Be- gehren genanntes Gesetz über eine bestimmte
Materie zu erhalten und damit einem bestimmten Gedanken zum Durchbruch
zu verhelfen. Es solle damit diesem Teile des Volkes die Gelegenheit
geboten werden, Grundsätze, die im Schosse der gesetzgebenden Behörde
nicht anerkannt werden, zur Anerkennung zu bringen. Es sei ein Recht
des Volkes, das Von keiner Behörde alteriert werden dürfe; der Wille,
der sich in der Initiative kund gebe, müsse ungeschmälert und ohne
Anhängsel und Vermischung mit andern Dingen zur Geltung kommen. Die
gesetzgebende Behörde habe darum in allen Fällen des Jnitiativbegehrens,
wenn dieses durch die Mehrheit der stimmenden Bürger gutgeheissen werde,
ein Gesetz auszuarbeitery das dasjenige, aber nur dasjenige enthalte,
was die Jnitianten verlangen. Sobald die gesetzgebende Behörde über
diesen Willen hinausgehe, entspreche sie nicht dem Begehren und oerletze
so ein verfassungsmässig garantiertes Recht der Bür, ger. Sie entziehe
damit den Jnitianten das Recht der direkten Befragnng des Volkes und
beraube dieses des Rechts, über eine gesetzgeberische Frage, die ihm
von einem Teil des Volkes gestellt worden ist, sich klar und deutlich
und in aller Freiheit auszusprechen eures, was über die Einführung der
Proportionalität für die Wahlen in den Grossen Rat hinausgehe, gehöre
nicht in das Gesetz, durch welches das Jnitiativbegehren erledigt werden
solle. Jnsbesondere gelte dies für den Stimmzwang. Durch die Beifügung
desselben mache man die Initiative illusorisch. Es sei auch nicht richtig,
dass das proportionale Verfahren erst dann wir-fe, wenn der Stimmzwang
eingeführt sei; Stimmzwang und Proportionalsystem seien zwei besondere
Dinge, die jedes ohne das andere sehr wohl existieren könnten und in
den schweizerischen Kantonen auch unabhängig voneinander bestünden.
C. Auf den Rekurs hat der Regierungsrat des Kantons Baselstadt eine
Vernehmlassung eingereicht, der sich der Grosse Rat anschloss. Darin
wird beantragt, es sei der Rekurs als nnbegriin-Eingriffe in garantierte
Rechte. N° 12. 67
det abzuweisen, und den Ausführungen der Rekurrenten gegenüber im
wesentlichen angebracht: Schon der vom Regierungsrat in Erledigung
des Jnitiativbegehrens ausgearbeitete Entwurf habe, ähnlich wie das
vom Grossen Rate am 10. November erlassene Gesetz, nicht nur das
proportionale Wahlversahren auch auf die Behörden der Landeskirchen
und den weitern Bürger-rat ausgedehnt, sondern auch das Verfahren für
die übrigen kantonalen Wahlen geregelt. Gegen diese Art der Erledigung
des Begehrens sei nie eine Eimvendung von irgend einer Seite erhoben
worden. Fünf der Rekurrenten seien Mitglieder des Grossen Rates und
hätten bei der Beratung sowohl des regiernngsrätlichen als des spätern
Kommissionalentwurss mitgewirkt Im Grossen Rate habe dann allerdings
der regierungsrätliche Entwurf zwei Erweiterungen erfahren, indem die
Bestimmungen der gg 1 14 auch für die kantonalen Abstimmungen anwendbar
erklärt worden seien und indem ferner das Prinzip der obligatorischen
Stimmabgabe für alle eidgenössischen und kantonalen Wahlen aufgenommen
worden sei. Alle das Gesetz verallgemeinernden Bestimmungen, sowie die
Ausdehnung des proportionalen Wahlverfahrens auf die Bürgerratsund die
Synodalwahlen 2e. seien vom Grossen Rate ohne Opposition einstimmig
angenommen worden. In denselben könne denn auch ebensowenig, wie in der
Ausnahme des Prinzips der obligatorischen Stimmabgabe eine Verletzung
der Kantonsversassung erblickt werden. Dass ein in Erledigung eines
Initiativbegehrens vom Grossen Rate zu erlassendes Gesetz sich strenge
auf das zu beschränken habe, was in dem allgemein formulierten Begehren
ausdrücklich verlangt sei, sei in der Verfassung weder vorgeschrieben,
noch verstehe sich dies von selbst. Das Recht der Bolksinitiatioe,
d.h. das Gesetzesvorschlagsrecht dürfe nicht verwechselt werden mit
dem Gesetzgebungsrecht selbst. Die Volksinitiative sei nichts anders
als eine Ausdehnung des Vorschlagsrechts, das dem Regierungsrate
und den einzelnen Mitgliedern der gesetzgebenden Behörde zustehe,
auf eine Anzahl Stimmberechtigter. Dieselbe sei denn auch in § 38 der
Verfassung mit diesen beiden Rechten auf die gleiche Linie gestellt,
und es bestünden über die Art der gesetzgeberischen Behandlung der drei
möglichen Gesetzesinitiativen nicht verschiedene Vorschriften So gut
daher der Grosse
68 Staatsrechtliche Entscheidungen. HI. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
Rat an den Vorschlägen der Regierung und der einzelnen Grossratsmitglieder
Ergänzungen und Erweiterungen vornehmen Yonne, so gut müsse er im Prinzip
hierzu auch befugt sein bei Initiativbegehren aus dem Volke. Zuzugeben
sei, dass der Inhalt eines Erlasses nicht im Widerspruch sein dürfe
mit dem Inhalte des Juitiativbegehrens und dass in dem Erlasse das
Prinzip enthalten und ausgeführt sein müsse, das im Juitiativbegehren
aufgestellt sei, andernfalls der Erlass ebensogut eine Verweigerung des
den Jnitianten zustehenden Rechts bedeuten wurde, als wenn einem solchen
Begehren überhaupt keine Folge gegeben würde. Dass dem Grossen Rate in
Bezug auf die gesetzgeberische Ausführung eines durch Jnitiativbegehren
aufgestellten Postulats nicht die engen Schranken gezogen seien, wie sie
die Rekurrenten ziehen wollen, ergebe sich mit aller Deutlichkeit ans dem
kantonalen Gesetze betreffend das Verfahren bei Ausübung der Initiative
vom 16. November 1875, insbesondere daraus, dass danach auch ein in
der Form eines Gesetzesentwurfs eingereichtes Begehren der gleichen
Behandlung durch den Grossen Rat unterliege, wie wenn das Begehren
allgemein formuliert war. Es folge hieraus, dass der Grosse Rat nicht
schlechterdings an den Entwurf der Initiatiten gebunden, sondern dass er
berechtigt, ja verpflichtet sei, das Gesetz von sich aus zu erlassen,
und dass es ihm deshalb auch vorbehalten sein müsse, den Gegenstand
so zu behandeln, wie er es vom Standpunkte der Gesetzgebungspolitik
aus als angezeigt erachte. Wenn nun das proportionale Verfahren im
Gesetze auch als anwendbar erklärt worden sei für die Wahlen anderer
Repräsentativbehörden als des Grossen Rates, so sei dies einfach eine
notwendige Konsequenz gewesen. Die Bestimmungen über die Wahl des
Regierungsrates entsprächen genau dem regierungsrätlichen Entwurfe und
seien grösstenteils eine Wiedergabe bereits bestehender Vorschriften,
mit der einzigen unwesentlichen Änderung, dass die Stimmzettel dem
Wähler ins Haus geschickt, statt dass sie im Wahllokal verabfolgt werden
sollen. Neu sei die Bestimmung bezüglich der Wahl des Abgeordneten in den
Ständerat, dass nämlich diese Wahl gleichzeitig mit den Nationalratswahlen
stattfinden solle. Die Gründe für diese Neuerung, die im Ratschlag
enthalten seien, seien gewiss stichhaltiger Natur. Hinsichtlich der
Wahlen derEingriffe in garantierte Rechte. N°12. 69
Richter und Gerichtspräsidenten seien die bisherigen Vorschriften
einfach bestätigt worden, und wenn in § 15 des Gesetzes die Bestimmungen
der §§ 1-14 auch für Abstimmungen als massgebend erklärt werden,
so sei auch darin an dem bisherigen Rechtszustande nichts geändert
worden. Es seien somit durchaus objektive und unanfechtbare Gründe
der Gesetzgebungspolitik gewesen, das Gesetz aus eine breitete Basis
zu stellen, als es von den Initianten gerade verlangt worden sei, und
es sei in der Natur der Sache gelegen, in ein Wahkgesetz alles das
aufzunehmen, was auf Wahlen und Abstimmungen Bezug hat, anstatt für
jede einzelne Materie ein besonderes Gesetz zu erlassen. Was endlich
das Prinzip der obligatorischen Stimmabgabe betreffe, so sei dasselbe
vom Grossen Rate deshalb aufgenommen worden, weil Zweck und Ziel der
Proportionalvertretung, wie sie von den Befürwortern derselben verkündet
worden, die Schafsung einer wahrhaften und achten, ein getrenes Abbild
des Volkes darstellenden 2)iepräsentativbehörde nur erreicht werden
könne, wenn die Beteiligung an den Wahlen eine möglichst allseitige
sei. Es entspreche daher den Tendenzen und Absichten der Jnitianten,
wenn als nächstliegeudes und natürliches Mittel, eine möglichst starke
Wahlbeteiligung zu bewirken, die obligatorische Stimmabgabe aufgenommen
worden sei. Es gelange dabei das Prinzip der proportionalen Vertretung
richtiger zum Ausdruck, und jedenfalls widerspreche der Stimmzwang
nicht dem Grundsatze der Proportionalvertretnng, sondern verhelfe
im Gegenteil seiner praktischen Verwirklichung zum Durchbruch Unter
solchen Umständen könne auch in der Einführung der obligatorischen
Stimmabgabe eine Verletzung oder Beeinträchtigung verfassungs-mässiger
Rechte nicht erblickt werden. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich
sei, welche Stellung die Jnitianten in ihrer Gesamtheit dem Stimmzwang
gegenüber einnehmen, könne hiervon übrigens auch deshalb keine Rede
sein, weil es denselben, wenn sie finden, dass ihr Wille in dem Gesetze
nicht zum richtigen Ausdruck gelangt sei, völlig freistehe, möge der
Volksentscheid über das angesochtene Gesetz ausfallen, wie er molle, ein
neues Jnitiativbegehren mit ausdrücklichem Ausschluss der obligatorischen
Stimmabgabe einzureichen.
D. In der Replik wird bestritter dass gegen den regierungs-
70 Staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
rätlichen Entwurf keine Einwendungen erhoben worden seien. Richtig sei,
dass fünf der Rekurrenten dem Grossen Rate angehören. Zwei derseiben
hätten sich aber von Anfang an gegen die Verquickung des Stimmzwangs
mit dem Proportionalverfahren, einer zudem auch gegen die Beiziehung
anderer Materien verwahrt. Und völlig unrichtig sei es, dass jene
fünf Rekurrenten bei der Beratung des regierungsrätlichen und des
grossrätlichen Gesetzesentwurfes mitgewirkt hätten. Die Behauptung,
dass alle das Gesetz verallgemeinernden Bestimmungen vom Grossen Rate
einstimmig und ohne Opposition angenommen worden seien, müsse dahin
richtig gestellt werden, dass, nachdem die vor diesen Bestimmungen im
Gesetze stehenden Artikel Über Stimmzwang und Parteizwang zum Teil mit
knapper Mehrheit durchgesetzt worden seien, ein Teil der Minderheit
sich entfernt, der andere darauf verzichtet habe, weitere Anträge zu
steilen. Diese hätten sich dann auch der Stimmabgabe enthalten. Jn
der Schlussabstimmung sei das ganze Gesetz keineswegs einstimmig und
oppositionslos, sondern mit 46 gegen Si Stimmen angenommen worden und
es hätten die Freunde und Vertreter der Jnitianten die ganze Vorlage mit
ihren Zuthaten verworfen. Jnrechtlicher Beziehung treten die Rekurrenten,
unter Aufrechterhaltung ihres Standpunkts, der Anschauung über das Wesen
des Jnitiativrechts, wie sie in der Vernehmlafsnng entwickelt wurde,
entgegen.
E. In der Duplik wird daran festgehalten, dass die heute angesochtenen
Vorschläge des Regierungsrates und der grossrätlichen Kommission,
mit Ausnahme des Stimmzwaugs, nie eine Anfechtung erlitten, und dass
fünf der Rekurrenten bei der Beratung des regierungsrätlichen Entwurfs
mitgewirkt hätten, und zwar anlässlich der Eintretensdebatte vom 22. April
1897. Alle fiiuf hätten damals für Eintreten auf den regiernngsrätlichen
Entwurf gestimmt, wiewohl derselbe die erwähnten Erweiterungen, mit
Ausnahme des Stimmzwangs, bereits enthalten hah-e. Unrichtig sei,
dass die Grossratsminderheit nach Erledigung der Frage des Stimmzwangs
an den Beratuugen nicht mehr aktiv teilgenommen habe. In der Sache
beharrt der Regierungsrat auf dem in der Vernehmlassung eingenommenen
StandpunktEingriffe in garantierte Rechte. N° 12. 71
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
'l. Die Rekurrenten behaupten, dass der Grosse Rat des Kantons
Baselstadt durch die Annahme des Gesetzes Über Wahlen und Absiimmungen
vom 10. November 1898 das durch die Basler Verfassung den Bürgern
gewährleistete Recht der Initiative verletzt habe. Dieses Recht steht
zweifellos unter dem Schutze des Bundesgerichts, dessen Kompetenz somit
gegeben ist.
2. (Ansführung, dass keine Verwirknng des Rekursrechtes eingetreten sei.)
Z. Der Streit der Parteien bewegt sich auf grundsätzlichem Boden. Er
dreht sich um die Frage, ob der Grosse Rat bei der Behandlung des
Jnitiativbegehrens vom Juni 1895 derart an dessen Inhalt gebunden gewesen
sei, dass er sich dabei auf die Ausarbeitung eines Gesetzes für die Wahlen
in den Grossen Rat nach dem Proportionalwahlverfahren habe beschränken
müssen oder ob er ohne Verletzung der verfassungsmässigen Rechte der
Jnitianten m den Entwurf, mit dem er das Jnitiativbegehren zu erledigen
gedachte, neben den dieses ausführendeu, auch solche Bestimmungen habe
aufnehmen dürfen, die durch das Begehren nicht postuliert waren.
4. Die positive Grundlage des baselstädtischen Initiativrechts bildet §
28 der Verfassung des Kantons Baseistadt vom 2. Dezember 1889: "(S,-ine
Anzahl von tausend Stimmberechtigten ist befugt, jederzeit beim Grossen
Rate das Begehren um Revision der Verfassung oder einzelner Bestimmungen
derselben, sowie um Erlass, Abänderung oder Aufhebung eines Gesetzes oder
Grossratsbeschlusses zu stellen (Jnitiative). Tritt der Gros-3 Rat nicht
daran ein, so ist der Entscheid darüber, ob dem Pegehren Folge zu geben
fei, der Gesamtheit der Stimmberfechttk ten anheimzustellen. Wird vom
Grossen Rate sofort oder infolge einer Volksabstimmung darauf eingetreten
und ein Gesetzesoder Beschlussesentwurs ausgearbeitet und vin Grossen
Rate genehmigt, so ist derselbe der Gesamtheit der Stimmberechtigten
zum Entscheid vorzulegen. Die weitere Ausgestaltung hat die Initiative
in dem Gesetze vom 16. November 187,5 erfahren, das in Ausführung des
mit Bezug auf die Initiative zu Gesetzen und Beschlüssen wörtlich mit §
28 der gegenwärtigen Verfassung übereinstimmenden § 22 der Verfassung
von 18to erlassen wor-
72 Staatsrechtliche Entscheidungen IH. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
den ist und unbestrittenermassen heute noch gilt. Die Bestimmungen dieses
Gesetzes sind bei der Beurteilung des Rekurses ebenfalls beizuziehen, da
bei der Feststellung des Begriffs und des Inhalts eines verfassungsmässig
gewährleisteten Rechts auch darauf Rücksicht genommen werden muss, ob
und in welcher Weise der kompetente Gesetzgeber dasselbe ausgebildet
hat, und da im vorliegenden Falle nicht etwa behauptet wird, dass der
Gesetzgeber sich dabei nicht im Rahmen der Verfassung bewegt habe.
Die positiven Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes befassen sich,
abgesehen von der Bezeichnung des Gegenstandes eines Jnitiatiobegehrens,
nur mit der Form der Ausübung des Jnitiativrechts und mit der Regelung
des Verfahrens. Aber gerade aus den formellen Vorschriften darüber, wie
die Initiative funktioniert, lassen sich gewisse Schlüsse für die Frage
nach dem materiellen Inhalte des Jnitiativrechts und für die heute zum
Entscheide stehende Frage, ob dieses Recht durch den Grossen Rat verletzt
worden sei, ziehen.
Das Jnitiativbegehren, das entweder den Gegenstand nur allgemein
bezeichnen oder in Form eines Gesetzesentwurfs abgefasst sein
farm, ist an den Grossen Rat zu richten (§ 1 des Gesetzes). Dieser
beschliesst zunächst über die Erheblichkeit und beauftragt, wenn er
diese bejaht, den Regierungsrat oder eine Kommission mit der Beratung
und Berichterstattung (g 3). Erlässt der Grosse Rat nach Anhörung
dieses Berichts ein Gesetz oder einen Beschluss, so ist dieser der
Volksabstimmung zu unterbreiten (g 4). In den Fällen dagegen, wo der
Grosse Nat das Begehren sogleich als unerheblich erklärt, bestimmt §
ò, oder wo er nach Anhörung des Berichts des Regierungsrates resp. der
Grossratskommissiou Nichteintreten beschliesst, ist dieser Entscheid mit
Angabe der Motive durch den Regierungsrat sofort im Kantons: Blatt zu
veröffentlichen und besörderlich der Gesamtheit der Stimtnberechtigten
zur Annahme oder Verwersung vorzulegen. Wenn die Mehrheit der Stimmenden
den Entscheid des Grossen Rates verwier so ist dieser verpflichtet,
sofort den Regierungsmt oder eine Grossratskommission mit Vorlage eines
Entwurses zu beauftragen und beförderlich ein Gesetz oder einen Beschluss
im Sinne des Jnitiativbegehrens zu erlassen, und dasselbe derEingriffe
in garantierte Rechte. N° 12. 73
Gesamtheit der Stimmberechtigten zur Annahme oder Verwerfung durch
den Regierungsrat vorlegen zu lassen. Die beiden in § 5 vorgesehenen
Volksabstitnmungen stehen im Verhältnis der Abstimmung über die
Eintretensfrage über einen Antrag und der Schlnssabftimmung über den
durchberatenen Antrag selbst. Dies, in Verbindung mit dem Umstand,
dass die Umgestaltung des Jnitiativbegehreus zu einem gesetzgeberischen
Erlass ohne Mitwirkung des Volkes oder der Juitiauten vor sich gehi,
deutet schon darauf hin, dass sich die zur Beratung des Entwurfs bezw. zur
Ausarbeitung einer Vorlage delegierte Behörde Von dem Begehren jedenfalls
nicht allzusehr entfernen darf. Es ist aber vom staatsrechtlichen
Standpunkte aus weiter zu sagen,dass mit Bezug auf einen Gegenstand,
der nicht durch das vom Volke angenommene Jnitialivbegehren umfasst war
und der erst im Laufe der Beratung durch den Grossen Rat eingeführt
wurde, die verfassungsmässigen und gesetzlichen Voraussetzungen zur
Vorlage an das Volk mangeln. Nur für diejenigen Volkswünsche, die
in dem angenommenen Juitiativbegehreu zum Ausdruck gelangt sind, ist
das besondere in § 28 der Verfassung und im Ausführungsgesetz von 1875
umschriebene Verfahren vorgesehen. Jus-besondere ist nur für den gestutzt
auf das Juitiativbegehren und in Ausführung desselben vom Grossen Rate
beschlossenen Erlass die Volksabstimmung obligatorisch vorgeschrieben,
während für ein Gesetz oder einen Beschluss, den der Grosse Rat aus
eigener Initiative erlassen hai, die Sanktiou durch das Volk auch
stillschweigend, durch Nichtergreifung des Referendums, erteilt werden
kann (s. g 29 der Basler Kautonsverfassung). Diese Verschiedenheit
der Vorschriften über das Zustandekommen von Gesetzen und allgemein
verbindlichen Beschlüssen je nach der Provenienz der gesetzgeberischen
Initiative hat noch notwendigerweise zur Folge, dass die beiden Verfahren
auseinander gehalten werden müssen und dass der Grosse Rat nicht
Gegenstände in das zur Behandlung von Volksinitiativbegehren vorgesehene
Verfahren hineinbringen darf, die seiner Initiative entsprungen sind
und an sich einer andern staatsrechtlichen Behandlung und Erledigung
unterliegen
Hierzu führt auch eine nähere Betrachtung der Aufgabe, die dem Grossen
Rate gegenüber Volksinitiativbegehren zugewiesen
74 Staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
ist. Es ist dieser Behörde wohl zunächst die Beschlussfassung darüber
anheimgestellt, ob sie von sich aus einem Jnitiativbegehren Folge
geben wolle oder nicht. Lehnt sie es aber ab, so hat es dabei nicht sein
Bewenden, sondern es ist das Volk darüber zn befragen, und wenn dieses in
Mehrheit dem Begehren zustimmt, so ist der Grosse Rat verpflichtet, für
die Ausarbeitung eines Entwurfes zu sorgen und denselben zu erlassen. Er
ist von da an bloss noch ausführende, nicht mehr frei schaffende Behörde;
er iiht nicht mehr ein ihm selbst zustehendes Gesetzgebungsrecht aus,
sondern erfüllt nur eine staatsrechtliche Pflicht. Diese Funktion kann
er nun nicht mit seiner freien gesetzgeberischen Thätigkeit vermengen in
der Weise, dass er einem Beschluss, den er durch eine Volksinitiatioe
gezwungen fasst, einen aus seiner eigenen Initiative hervorgegangenen
hinzusügt Der formelle Zwang, dein Jnitiativbegehren zu entsprechen,
schliesst auch die materielle Nötigung in sich, sich an den Gegenstand
des Begehrens zu halten. Dieser Gedanke ist im Gesetze von 1875 selbst
zum Ausdruck gelangt in der Vorschrift, dass der Grosse Rat für den Fall
der Gutheissung des Jnitiativbegehrens gehalten sei, ein Gesetz oder
einen Beschluss im Sinne desselben zn erlassen. Der Wille der Jnitianten
verpflichtet somit den Grossen Rat nicht nur dazu, dass er thätig merde,
sondern er weist ihm auch den Weg, wie er thäiig werden soll. Aus seiner
Diskussion ist nach der Annahme des Jnitiativbegehrens nicht nur die
Frage ausgeschaltet, ob der Erlass politisch zweckmässig sei, sondern
auch die damit zusammenhängende Frage, ob aus Rücksichten politischer
Zweckmässigkeit eine Ausdehnung (oder eine Einschränkung) des Begehrens
angezeigt sei. Diese Fragen gehören in das erste Stadium der Behandlung
des Jnitiativbegehrens, in dasjenige der Erheblicherklärung desselben; und
es kann der Grosse Rat seine Ansichten darüber in der Weise zur Geltung
bringen, dass er dem Volke die Ablehnung des Begehrens beantragt. Wenn
ihm aber die Mehrheit der fiicnmenden Bürger nicht beitritt, so ist für
eine Erörterung jener Fragen in den vorbereitenden Behörden kein Raum
mehr; ihrer Thätigkeit ist durch den Jnhalt des angenommenen Begehrens
Ziel und "Mag gesetzt.
Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt wendet ein, in § 38Eingriffe
in garantierte Rechte. N° 12. 75
der Kantonsversassung sei dem Grossen Rate gegenüber den
Volksinitiativbegehren die gleiche Aufgabe zugewiesen, wie gegenüber
Anträgen, welche vorn Regierungsrate oder von einzelnen Mitgliedern des
Grossen diates ausgehen. In der That wird hier bestimmt: .Anträge Und
Entwurfe zu Gesetzen und Grossratsbeschlüssen gehen vom Regierungs-rate
oder von einzelnen Mitgliedern des Grossen Rates oder nach § 28 von den
Stimmberechtigten aus. In den beiden letzten Fällen sollen sie, wenn sie
erheblich erklärt werden, entweder durch den Regierungsrat oder durch eine
Grossratskommission vor-beraten werden Allein daraus folgt nur, dass die
Art der Behandlung eines Initiativbegehrens im Schosse des Grossen Rates
die nämliche ist, wie die eines aus seiner Mitte gestellten Antrages,
nicht aber auchdass das Volksvorschlagsrecht überhaupt dem Antragsrecht
der Mitglieder des Grossen Rates und des Regierungsrates gleichzustellen
sei. Das Jnitiativrecht wird durch die Bestimmung in § 38 der Verfassung
weder geschaffen, noch in seinem Wesen und in seinen Wirkungen
abschliessend umschrieben, sondern nur in einer bestimmten Richtung
geregelt. Die grundlegende Norm über das Recht der Initiative, § 28, steht
unter einem andern Titel, nämlich unter dem Titel; Politische Rechte der
Staatsbürger, während § 38 unter der Aufschrift: Offentliche Behörden,
A. Grosser Rat, erscheint. Das Recht der Initianten unterscheidet sich
denn auch in wesentlichen Beziehungen von dem Antragsrecbte der Mitglieder
des Grossen Rates Und des Liiegierungsrates Über Anträge seiner Mitglieder
und des Regierungs-states steht dem Grossen Rate die freie und endgültige
Beschlussfassung zu. Er kann darauf eintreten oder nicht und kann sie
gestalten wie er will. Wenn er sie annimmt, so gelten sie nach aussen
als eigene Beschlüsse des Grossen Rates. Auf die Volksinitiative muss
der Grosse Rat eintreten, er hat den Willen der Jnitianten, sogar gegen
seinen eigenen Willen, auszuführen und eine Vorlage zur Abstimmung zu
bringen, die sich nur formell als sein eigener Erlass, im Grunde aber
als solcher der Jnitianten darstellt. Es
' erscheint danach die Berufung auf§ 38 der Verfassung nicht als
schlüssigi
Der Regierungsrat weist ferner darauf hin, dass für den Fall,
76 Siaatsrechtliche Entscheidungen. HI. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
wo das Jnitiativbegehren in der Form eines fertigen Entwurfes abgefasst
ist, der Grosse Rat nicht einfach über den vorgelegten Entwurf zu
beschliessen und diesen nebst seinem begutachtenden Beschluss dem Volke
vorzulegen hat, dass vielmehr auch in einem solchen Falle der Grosse Rat
berechtigt und verpflichtet iii, das Gesetz von sich aus zu erlassen. Nun
ist richtig, dass sich die Bestimmungen der §§ 3 5 des Gesetzes von 1875
auf beide Formen der Initiative, sowohl auf die Initiative, welche den
Gegenstand nur im allgemeinen bezeichnet, als auf das in der Form eines
Gesetzesentwurfs eingereichte Begehren beziehen. Tsiese Eigentümlichkeit
rechtfertigt jedoch in keiner Weise den Schluss, dass sich der Grosse
Rat von dem Gegenstande des Jnitiaiivbegehrens entfernen oder demselben
einen andern Gegenstand beifügen dürfe. Es kann eine Beratung und Prüfung
auch eines auf dein Wege der Initiative eingebrachten fertigen Entwurfes
durch den Grossen Rat vom Standpunkte einer technischen und rechtlichen
Kontrolle aus zweckmässig erscheinen. So wird es das Recht, ja wohl
die Pflicht des Grossen Rates sein, einen Entwurf auf seine formelle
und materielle Versassungsmiissigkeit zu prüfen. Und ebenso kann die
Durchsicht eines Entwurfes nach Sprache und Form, nach der Einfügung
in die bestehende Gesetzgebung u. s. w. geboten erscheinen. Aus diesen
Gründen, denen auch noch politische beigefügt werden könnten, erscheint
es als durchaus begreiflich, dass dem Grossen Rate auch gegenüber einem
fertigen Entwurfe die Aufgabe überwiesen wurde, denselben in die ihm
richtig scheinende Form zu bringen Aber ein Recht zur viillig freien
Gestaltung des Stoffes mit Inbegriff materieller Änderungen und Zusätze
kann daraus nicht hergeleitet werden.
5. Sprechen sonach schon die positiven Vorschriften über die Handhabung
der Initiative dafür, dass der Grosse Rat bei der Behandlung eines
Jnitiaiivbegehrens sich an den darin genannten Gegenstand halten muss, so
erweist sich die abweichende Auffassung des Basler Regierungsrat-es auch
nach dem Ursprung und innern Wesen des Jnitiatiorechts als unhaltbar-. Die
Initiative beruhtan dem staatsrechtlichen Prinzip der Demokratie,
dass die höchste Staatsgewalt bei den stimmberechtigten Gliedern eines
Gemeinwesens liege. Sie entspringt der politischen Tendenz,Eingriffe in
garantierte Rechte. N° "12. 77
das Gesetzgebungsrecht unmittelbar durch das Volk (die stimmberechtigten
Bürger) ausüben zu lassen. Sie ift danach eine Erscheinungsform der
reinen Volksherrsehaft, die in der Mehrzahl der schweizerischen Kantone,
in denen sie nicht schon von alter-s her bestand, mit der Zeit an die
Stelle der Repräsentativdemos kratie getreten ist. Die Initiative stellt
sich so, dem Ursprung nach, neben das Volksveto, die primitivste,
übrigens in der Schweiz nirgends mehr praktische Form der direkten
Bethätignng des Volks-willens in Gesetzgebungssachen und neben das
Referendum, das gegenwärtig als fakultatives oder als obligatorisches
in fast allen Kantonen besteht. Diesen Instituten verwandt, bedeutet
die Initiative eine selbst schaffende, statt einer bloss hemmenden
oder sanktionierenden Form der Beteiligung des Gesetzgebungsrechtes
durch das Volk. Das Jnitiativrecht ist ein öffentliches Recht, kraft
dessen eine Anzahl Stimmberechtigter einen Vorschlag für ein Gesetz oder
einen allgemein verbindlichen Beschluss einbringen und verlangen kann,
dass darüber das Volk befragt werde. Das ist allen Normierungen des
Initiativrechts gemeinsam, dass über den Vorschlag der Jnitianten der
endgültige Entscheid beim Volke steht. Hierin berührt sich die Initiative
mit dem Anzugsrecht der Landègemeiudefanione, das in gewissem Sinne
wohl als ihr Vorbild bezeichnet werden darf und welches, teilweise nach
langem, wechselndein Kampfe mit den Prätentionen der Behörden, überall zum
Durchbruch gelangt ist. Darin, dass es sich um einen Antrag aus dem Volke
an das Volk handelt, erblickt denn auch die staatsrechtliche Litteratur
das Wesen der Initiative (ngl. Vogt, in der Tiibinger Zeitschrift für
Staatswissenschaft, 1873, S. 379; Dubs, Kantonales Staats-recht, S. 1453
v· Orelli, das Staatsrecht der schweiz. Eidgenossenschaft, S, 103; Hilty,
im Archiv für öffentliches Recht von Laband u. Störk, II, S'. 417 ff.;
Keller, das Volksinitiativrecht nach den schweiz. Kantonsverfafsungen,
S. 57). Dass das Jnitiativbegehren in der Regel, bevor es dein Volke
vorgelegt wird, der Beratung durch die Behörde unterliegt, die auch zu
selbständiger Ausarbeitung von Gesetzen berufen isi, ändert an der Natur
des Rechts nichts. Die Überweisung an die sog. gesetzgebenoe Behörde
lässt sich schon aus dem Bestreben erklären, politischen Neuerungen
durch Anlehnung an
78 Staaèsrechiliche Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.
bestehende Institutionen leichter oder rascher Eingang zu verschaffen.
Sie drängte sich auf, wenn man der Behörde ein Begutachtungsrecht oder
das Recht der Ausarbeitung eines Gegenentwurfs einräumen wollte. Eine
Durchsicht mochte ferner auch vorn verfassungs-rechtlichen und vom
gesetzgebungstechnischen Standpunkt aus geboten erscheinen. Und da,
wo man die Initiative in der Form einer blossen Anregung zuliess, war
es durchaus natürlich, dass man derjenigen Behörde die Ausarbeitung des
definitiven Entwurfs übertrug, die sich auch sonst mit diesem Zweige
staatlicher Thätigkeit befasst, wiewohl mit dieser und den übrigen
Funktionen prinzipiell ebensogut eine andere Behörde betraut werden könnte
(vgl. Maurus, Verfassungsstaat, S. 216). Gerade diese Möglichkeit zeigt,
dass die von der gesetzgebenden Behörde infolge eines Jnitiativbegehrens
dem Volke unterbreitete Vorlage nicht den eigenen Erzeugnissen derselben
gleichgestellt werden dars, wie denn auch die vorberatende Behörde da,
wo ihr ein Begutachtungsrecht zusteht, die Verwersung des gestützt
auf die Initiative von ihr formulierten, äusserlich als ihr Werk sich
darstellenden Erlasses beantragen farm. Hierin liegt der grundsätzliche
Unterschied zwischen der Initiative und dem Petitionsrecht. Durch eine
Petition soll die gesetzgebende Behörde zu eigener Thätigkeit angeregt, es
sollen ihr Gedanken beigebracht werden; die Initiative setzt die Behörde
gezwungenerweise in Thätigkeit undes sollen dadurch gesetzgeberische
Ideen, die im Volke vorhanden find, durchgebracht werden. Daraus folgt
nun aber weiter, dass die vorher-atende Behörde nicht in beliebiger
Weise den Gegenstand des Initiativbegehreus verändern kann und dass
sie auch stofflich an dieses gebunden ist. Wenn die Jnitianten darauf
Anspruch haben, dass ihr Begehren an das Volk gebracht werden muss,
so schliesst das in sich, dass auch nur das, was sie verlangen, zum
Gegenstand der Abstimmung, bezw. wenn die Art der Formulierung des
Begehrens eine doppelte Abstimmung erheischt, der beiden Abstimmungen,
gemacht werden darf. Diese Gebundenheit besteht nicht bloss darin, dass
der Inhalt der Vorlage nicht im Widerspruch stehen darf mit dem Inhalt des
Jnitiativbegehrens und dass ferner in dem Erlasse das Prinzip enthalten
und ausgeführt werden muss, das im Jnitiativbegehren aufgestellt worden
ist-Eingriffe in garantierte Rechte. N° 12. 79
Sondern es müssen sich die Juitianten auch dem Versuche widersetzen
können, eine Abstimmung über einen andern, von ihnen nicht postulierren
Gegenstand mit derjenigen Über ihr Begehren zu verbinden Sie sind
berechtigt, den Volksentscheid über ihren Antrag-zu verlangen, und
dieses Recht wird nicht durch Veränderung des Juitiativbegehreus,
sondern auch dadurch beeinträchtigt, dass im gleichen Erlasse, der das
Begehren ausführt, eine selbständige legislatorische Massnahme der
Voltsabstimmung unterbreitet wird, da diese in einem solchen Falle
nicht den Willen des Volkes über die Initiative zum Ausdruck bringt
und da letzterer aus dem einheitlichen Votum auch nicht eruiert werden
farm. Die Jnitianten brauchen sich auch nicht damit vertrösten zu lassen,
dass ihnen nach Erledigung ihres Begehrens immerhin noch die Möglichkeit
offen stehe, ihren Gedanken in einer neuen Initiative so zu formulieren,
dass eine Verbindung mit andern Gegenständen ausgeschlossen ist Vielmehr
können sie schon kraft ihres ursprünglichen Begehrens einer derartigen
Vermengung entgegentreten. Der Inhalt des Begehrens, wie es gestellt,
bezw. angenommen ist, bildet von vornherein für die vorbereitende
Behörde die Schranke in der Gestaltung und selbständigen Bearbeitung
des Gegenstandes der Initiative, weshalb der Vorlage auch nichts
beigefügt werden darf, was dem Begehren fremd ist, nicht in rechtlich
oder logisch notwendigem Zusammenhange mit ihm steht und so ein anderes
Absiimmungsergebuis herbeizuführen geeignet ist, als dasjenige, auf
dessen Ermittlung die Jultianten einen verfassungsmässigen Anspruch haben.
6. Wird von diesem grundsätzlichen Standpunkte aus der Gesetzesentwurf
einer Prüfung unterstellt, den der Grosse Rat des Kantons Baselstadt zum
Zwecke der Erledigung des vom Volke gutgeheissenen Jultiativbegehreus
vom Juni 1895 ausgearbeitet hat und der Volksabstimmung unterbreiten
wikis, so ist zu bemerfen: Postuliert war einzig, dass das Gesetz über
die Wahlen in den Grossen Rat vom 10. Dezember 1883 durch ein anderes
Wahlgesetz nach dem Grundsatze der Proportionalvertreiuug ersetzt werde
Etwas anderes durfte nicht zum Gegenstand der Vorlage gemacht werden,
die vom Grossen Rate in Erledigung des Initiatiobegehrens auszuarbeiteu
und dem Volke vorzulegen war, es
80 Staatsrechuiche Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfaèsungeu.
müsste denn sein, dass die Einführung der Proportionalwahl für den Grossen
Rat notwendigerweise auch Änderungen oder Neuerungen auf anderen Gebieten
der Gesetzgebung nach sich ziehen würde. In einer solchen Beziehung
zum Gegenstande der Initiative stehen nun aber die Bestimmungen nicht
die der Grosse Rat den dieselbe erledigenden Vorschriften beigefügt
hat. Dass die gesetzlichen Vorschriften über die Abstiinmnngen revidiert,
bezw. die allgemeinen Bestimmungen des neuen Gesetzes für Abstimmungen für
anwendbar erklärt werden (è 15 des Entwurfes), war im Initiativbegehren
nicht verlangt und ist auch nicht eine natürliche Konsequenz desselben,
wie denn auch das zu revidierende Gesetz keine derartige Vorschrift
enthält. Gleich verhält es sich mit den Bestimmungen über die Wahlen
anderer Behörden, als des Grossen Rates. Wenn auch einzelne derselben
bisher in gleicher Weise gewählt wurden, wie der Grosse Rat, so berechtigt
dies doch nicht zu der Annahme, dass die Jnitianten auch für diese
Behörden das proportionale Wahloerfahren angewendet wissen wollten;
und für eine Abänderung der bestehenden Wahlvorschrifteu in anderem
Sinne lag in der Initiative vollends keinerlei Nötigung. Aber auch die
Aufnahme des Stimmztoangs in das Gesetz steht nicht in einem so engen
Zusammenhang mit der Einführung des Proportionalwahlverfahrens, dass darin
eine notwendige oder selbsverständliche Ergänzung der Vorlage erblickt
werden könnte. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass der theoretische
Zweck der Einführung der Proportionalvertretung, die Herstellung einer
Volksveriretung, die ein möglichst genaues Abbild der im Volke vorhandenen
Interessengruppen bietet, auf die obligatorische Stimmabgabe hinweist,
und dass das Prinzip der Proportionalvertretung, abstrakt gesprochen, da
am richtigsten zum Ausdruck gelangt, wo eine möglichst grosse Beteiligung
am Wahlakte stattfindet. Allein praktisch ist der Stimmzwang in der
Schweiz durchaus nicht parallel mit dem proportionalen Wahlverfahren
eingeführt worden, und thatsächlich besteht derselbe häufiger oder sogar
nur in Kaukonen, die dem Majoritätssystem huldigen, wie denn gewiss bei
diesem letztern eine möglichst grosse Beteiligung bei den Wahlen ebenso
wünschbar ist. 1n concreto werden übrigens dafür, ob man dem Ziele der
Proportionalvertretnng mehrEingriffe in garantierte Rechte. N° 13. 81
oder weniger nahe femme, ob dieselbe besser oder weniger gut funktioniere,
ebenso sehr oder in höherem Masse andere, ausserhalb der Möglichkeit
gesetzlicher Regulierung liegende Momente von Bedeutung sein. Jst aber
danach der Stimmzwang nicht eine notwendige Ergänzung des proportionalen
Wahlverfahreits, so folgt daraus, dass er in den die Initiative vom
Juni 1895 erledigenden Gesetzesentwurf ebenfalls nicht aufgenommen
werden durfte.
7. Der erste Teil des Begehrens der Rekurrenten, dass das Gesetz vom
:l(). November 1898 nicht der Volksabstimniung zu unterbreiten sei,
ist somit verfassungsrechtlich begründet Das Gesetz muss vielmehr
einer Durchsicht in dem Sinne unterworer werden, dass alles dasjenige
daraus entfernt wird, was nicht auf die Wahl des Grossen Rates Bezug
hat. Jnfofern muss ein neues Gesetz ausgearbeitet werden und ist somit
auch der zweite Teil des Rekursbegehrens gutzuheissen. Ob dabei auch
die nicht angefochtenen Bestimmungen des Gesetzes in Wiedererwägung zu
ziehen seien, fällt dem Ermessen des Grossen Rates anheim.
Aus diesen Gründen hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird als begründet erklärt und den Reknrrenien
ihr Begehren Unter Ziffer 1 der Rekursschrift zugesprochen.
18. Urteil vom 9. März 1899 in Sachen Ruhstaller gegen Schwyz.
BieVee-fasszmgsmc'éssigkeit gesetzgeöerischee' Verordnungen est vom
Bzmdesgere'chte auch. dann zu prüfen, wenn das kantonale Gericht
an die Verordnungen gebunden ist. Kantonsrätliche Verordnung
übe? Grundòuchòereinigung nach Schwyzer Rache! verfassemgsmässég ?
'A. Hermaun Ruhstaller erhob als Eigentümer der Gerin-
ltegenschaft, Grundbnch Nr. 60 von Lachen, gegen Marianus
Bneler, als Eigentümer der Sagenriedwiese, Grundbuch Nr. 61,
und des Schornowiesli, Grundbuch Nr. 39 von Lachen, vor den
Schwyzer Gerichten Klage mit dem Begehren, Kläger sei in geXXV, 1. 1899 6