18 Staalsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze:

Zweiter Abschnitt. Deuxiéme section.

Bundesgesetze. Lois fédérales.I. Auslieferung von Verbrechern und
Angeschuldigten. Extradition de criminels: et d'accusés.

4. Urteil vom 22. März 1899 in Sachen Elberskirchen gegen Zürich Art. 1
a. 2 obcit. li'.-G. Die Auslieferung kann auch wegen, anderer als der
in Art. 2 aufgezählten Delikte gewahrt,

werden.

A. Mit Eingabe vom 23. Februar 1899 führte Frl. Johanna Elberskirchen
in Zürich beim Bundesrat Beschwerde daruber, dassder Regierungsrat
des Kantons Zürich mit Beschluss vom gleichen Tage dem Gesuche des
Regierungsrats desHantons Bernum Auslieferung der Johanna Elberskirchen
über eine von dieser eingereichte Protefteingabe hinweg entsprochen
habe. ers wurde angebracht: Die Auslieferung sei Von der Regierung des
Kantons Vern verlangt worden wegen

1. Erpressungsversuch eventuell Drohung, eventuell Betrug-s,

versuch; _ . _ ' 2. Einreichung einer wissentlkch falschen Anzeige;

8. Verleumdung ss . Nun könne aber, wie in der Protestetngabe
an fden Zur-chems en Regierungsrat näher ausgeführt worden ,yet,
von einem Îîasharen, d. h. nach Berner Recht strafrechtlich
verfolgbarenl. Auslieferung von Verhrechem und Angeschuldigten. N° 4. 19

Erpreffungsveriuchss einer Drohung, einem Betrngsversuch und einer
Einreichung einer wissentlich falschen Anzeige Überhaupt nicht gesprochen
werden; auch eine Verleumdung liege nicht vor, eventuell könnte es
sich nur um ein Pressvergehen handeln. Jedenfalls liege überall kein
Auslieferungsdelikt im Sinne des Art 2 des Bundesgefetzes vom 24. Juli
1852 vor. Nach allgemeiner Rechtsauffafsung aber könne eine Auslieferung
für Delikte, welche nicht Auslieferungsdelikte nach Art. 2 des qnäsi.
Gesetzes seien, nur gewährt werden, wenn der requirierende Kanton
Gegenrecht erklärt habe. Bezüglich Verleumdung und Pressvergehen habe
Bern dem Kanton Zürich jedoch keine Reciproeität zugesichert, also
sei die Auslieferung auch nicht zulässig; sie versiosse gegen Art. 55
der Bundesverfafsung, sowie gegen Art. 2 und 1 des Bundesgesetzes von
1852. Der Entscheid der Zürcher Regierung sei zudem nicht motiviert. Es
sei um so eher der nachgesuchte Schutz zu gewähren, als die bernische
geheime Untertersuchung nicht die nötigen Garantien biete für richtige
Untersuchung, und als die Rekurrentin mit Grund befürchten müsse, dass
auch der persönliche Einfluss des einen Klägers in Bern nicht Aussicht
auf ein völlig objektives Verfahren biete. Es werde deshalb das Gesuch
gestellt, dass die Motivierung eingefordert und der Beschwerdeführerin
zur Vernehmlassung mitgeteilt merde. Der Antrag geht dahin, es sei der
Beschluss der Ziircher Regierung aufzuheben.

B. Der Bundesrat hat die Eingabe der Johanna Elberskirchen nebst
Beilagen mit Schreiben vom 18. März 1899 dem Bundesgericht zu materieller
Erledigung der Beschwerde überwiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Das Atislieferungsgesetz vom 24. Juli 1852 statuiert in Art.1 lediglich
ein Recht des Kantons, dem ein Strafanspruch zusteht, in den Fällen
des Art. 2 von dem Kardon, in dem sich der firafrechtlich Verfolgte oder
Verurteilte aufhält, die Verhaftung und Auslieferung bezw. die Beurteilung
und Bestrafung desselben zu verlangen. Dagegen wird durch das Gesetz nicht
auch ein Recht der verfolgten Personen darauf begründet, dass sie nur
in den in Art. 2 einzeln angeführten Fällen ausgeliefert werden dürfen,
und es werden die Kantone dadurch nicht gehindert, auch in andern

20 Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

Fällen dem Auslieferungsbegehren eines andern Kantons zu entsprechen. Es
besteht auch kein bundesrechtlicher Satz des Inhalts, dass bei Delikten,
die nicht zu den in Art. 2 des Auslieferungsgesetzes aufgezählten
gehören, die Auslieferung nur stattfinden dürfe, wenn der requirierende
Kanton Gegenrecht zusichere. Vielmehr ist dieses Gebiet interkantonaler
Rechtshilse der freien Entschliessung bezw. Vereinbarung der Kantone
überlassen Es braucht daher im vorliegenden Falle nicht untersucht
zu werden, ob die Delikte, wegen deren die Auslieferung von Vern
nachgesucht wurde, sog. Auslieferungsdelikte seien oder nicht. Denn
auch soweit es sich nicht um solche Delikte handeln sollte, kann sich
nach dem Gesagtem vom Standpunkte des eidg. Auslieferungsrechts aus die
Rekurrentin der Auslieferung nicht widersetzen. Es ist ferner nicht Sache
des Bundesgerichts, die gegen die Rekurrentin erhobenen Anschuldigungen
auf ihre materielle Begründetheit zu prüfen. Jnsofern als eine solche
Prüfung zur Beantwortung der Auslieferungsfrage notwendig ift, steht
sie bei der Behörde, die endgültig über das Anslieferungsbegehren zu
entscheiden hat. Dieser fällt auch, soweit ihre Entschliessung überhaupt
eine freie ift, die Würdigung der Frage anheim, ob die Auslieferung
wegen ungenügender Garantien des Verfahrens des requirierenden Kantons
zu verweigern sei, und wenn sie solchen Bedenken keine Rechnung trägt
und die Auslieferung trotzdem gewährt, so kann sich hiergegen die
auszuliefernde Person ebenfalls nicht beschweren Der auf die Art. 1 und
2 des Auslieferungsgesetzes von 1852 sich stützende Rekurs der Johanna
Elberskirchen muss somit abgewiesen werden. (Vgl. die Entscheide des
Bundesgerichtes in Sachen

Martinoni, Amtl. Samml., Bd. IV, S. 234; in Sachen [Fmi,-

ibid., Bd. V, S. 533, und in Sachen Schnieper, ebenda, Bd. XVII,
S. 609). Die Rekurrentin beruft sich allerdings auch noch auf Art. 55
B.-V., d. h. auf die Garantie der Presssreiheit. Allein angenommen auch,
es handle sich um ein Pressvergehen, so ist ohne weiteres klar, dass
jene Garantie nur durch die Anhebung der Strafverfolgung oder durch
die Verurteilung von seiten des requirierenden, nicht aber durch den
Auslieferungsbeschluss des requierierten Kantons verletzt sein kann. Wenn
schliesslich bemerkt wird, der angefochtene Beschluss sei nicht motiviert,
so wird diesII. Persönliche Handlungsfähigkeit. N° 5. 21

nicht zur Begründung des Begehrens auf Aufhebung der regierungsrätlichen
Schlussnahme verwendet, sondern nur zum Ausgangspunkt für das Gesuch,
dass die Motivierung eingeholt und der gRefurrentin mitgeteilt werde,
was aber bei der Liquidität der Rekurssache in thatsächlicher und
rechtlicher Beziehung als überflüssig erscheint. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt: Die Rekurs wird abgewiesen.

II. Persönliche Handlungsfähigkeit.

Capacità civile.

5. Urteil vom 1. Februar 1899 in Sachen Bernhard gegen
Bezirksgerichtsausschuss Unterlandquart.

Unterlassung der Einvernah'me eines zu Bevogtenden.

_ A. Crispin Bernhard, von Untervaz, ist im Frühjahr 1865 nach Amerika
ausgewandert. In Thusis, wo er sich vor der· Abreise aufgehalten hatte,
liess er eine Braut zurück, die im Herbst 1865 einen Knaben gebar. Dieser
wurde gerichtlich dem Crispin Bernhard zugesprochen Der Vater hat sich
weder um die Mutter-, die bald darauf starb, noch um das Kind jemals
bekümmert. Der Knabe musste von der Gemeinde unterstützt werden; er
wanderte im Jahre 1888 ebenfalls aus. Crispin Bernhard hat sich im
Jahre 1868 in Amerika mit Anna Krättli verheiratet. Ungefähr im Jahre
1874 verliess er jedoch seine Frau und die aus der Ehe vorhandenen zwei
Kinder und hat seither seine Angehörigen nichts mehr von sich wissen
lassen. Seine Frau ist gestorben; die beiden Kinder scheinen in dürftigen
Verhältnissen zu leben.

B. Im Jahre 1892 starb in Untervaz die Mutter des Crispin Bernhard. Jhr
Nachlass wurde von den anwesenden Kindern Johann Luzi, Maria Bernhard
und Margreth Plattner geb. Bern-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 25 I 18
Datum : 22. März 1899
Publiziert : 31. Dezember 1899
Quelle : Bundesgericht
Status : 25 I 18
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 18 Staalsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze: Zweiter Abschnitt.


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