54 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

nicht unparteiisch, über das Eingreifen der Direktion des Innern, ab; aber
er thut es nach Form und Inhalt nicht in einer Weise, dass die Kritik als
eine Jnjurie gegen die Person des Direktors aufzufassen wäre. Die Kritik
galt der Sache, d. h. der Frage, ob das Verhalten des Direktors des Innern
korrekt sei oder nicht. Der Rekurrent wollte dieses Verhalten öffentlich
rügen. Einer solchen Kontrolle aber ist bei unsern staatsrechtlichen
Justitutionen und politischen Anschauungen jeder Akt eines öffentlichen
Beamten ausgesetzt, und es darf in der öffentlichen Missbilligung eines
derartigen Vorgehens-, das, wie auch das Obergericht feststellt, zu
Diskussionen über dessen Zulässigkeit und Angemessenheit Anlass gab, ein
Eingriff in die persönliche Rechtssphäre des von der Kritik Betroffenen
nicht erblickt werden. Liegt somit in dem inkriminierten Artikel eine
erlaubte Bethätignng des Rechts der freien Meinungsäusserung durch
die Presse, so darf der Verfasser nicht mit Strafe belegt werden. Die
Bestrafung ist mit dem durch Art. 55 V.-V. garantierten Grundsatz der
Freiheit der Presse und dem in Art. 18 der Aargauer Kantonsversassung
garantierten Recht der freien Meinungsäusserung durch Wort, Schrift und
bildliche Darstellung unvereinbar.

3. Demgemäss muss das angefochtene Urteil des aargauischen Obergerichtes
in seinem ganzen Umfange aufgehoben werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt-. Der Rekurs wird als begründet
erklärt und demgemäss das

angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 4. Oktober
1897 aufgehoben.IV. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 11. 55

IV. Gerichtsstand des Wohnortes.

For du domicile.

M. Urteil vorn 9. Februar 1898 in Sachen Bucher.

ssericieésstcmdsktazwei, vertragiic/ae; persönlicher Anspruch dara-us?
Z ulàlssigkeit der Proroga-tion nach Bundesrecht.

A. Theodor Häsliger-Künzli in Zosingen hat am 30. März 1897 beim
Bezirksgericht Zofingen gegen Hermann Bucher, Müller in Mehlsecken,
Kantons Luzern, eine Klage eingereicht mit dem Schlusse: Der Veklagte
sei schuldig, den Kanfvertrag, den er am Là,/L& Januar 1897 über
seine Mühleliegenschaft zu Mehlsecken nebst Wasserrechten mit dem
Kläger abgeschlossen hat, zu halten u. s. w. Die Klage stützte sich auf
einen schriftlichen mit den notarialisch beglaubigten Unterschriften der
Vertragskontrahenten versehenen Kaufsakt, der unter Ziffer XII die Klausel
enthält: Dieser Vertrag ist abgeschlossen worden in Zosingen, wo H. Bucher
sein Rechtsdomizil verzeigtz laut Vereinbarung der Parteien sind in einem
allsälligen Rechtsstreite Über den Inhalt des Vertrages die aargauischen
Gesetze anwendbar, ebenso in einem allfälligen Streite bezüglich der Form
desselben Der Beklagte erhob den Einwand, das Bezirksgericht Zosingen
sei nicht kompetent und der Beklagte nicht gehalten, sich auf die Klage
einlässlich zu verantworten Er Beitritt, dass er einen Wohnsitz oder ein
Rechtsdomizil in Zofingen habe und behauptete, er habe sein persönliches
und rechtliches Domizil in Mehlsecken, im luzernischen Gerichtskreise
Reiden und Pfaffnau, und die Klage Müsse als persönliche gemäss Art. 59
B.-J., wie auch nach nargauischem und luzernischem Prozessrechte vor
diesem angebracht werden Die Bertragsklausel über den Gerichtsstand sei
seine ungültige, unwirksame; die Gültigkeit, Ächtheit und Verbindlichkeit
des Vertrages selbst werde bestritten und sei nicht zu präsumieren,
sondern im Prozesswege erst festzustellen Uber die bestrittene
Vertragsklausel habe nicht der gewillkiirte Richter, sondern

56 Slaatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

der ordentliche Richter des Wohnsitzes des Beklagten zu entscheiden.
Auch nach § 12 litt. b der aarg Civilprozessordnung seien Streitigkeiten
über Kaufverträge um Liegenschaften vor dein Richter der gelegenen Sache
anzubringen. Der Kläger trug auf Abweisung der Jnkompeienzeinrede an,
indem er sich namentlich auf die bundesgerichtliche Rechtssprechung
über die pmrogatio fori berief. Das Bezirksgericht Zofingen wies
die Einrede ab, und mit Erkenntnis vom 30. Oktober 1897 bestätigte
das Obergericht des Kantons Aargau seinen Entscheid mit folgender
Begründung: Der eingeklagte Anspruch sei ein persönlicher im Sinne des
Art. 59 B.-V. Er könne daher vor dem Bezirksgericht Zofingen nur dann
geltend gemacht werden, wenn eine prorogatio fori vorliege. Eine solche
sei nach konstanter aargauischer Gerichtspraxis, trotzdem die aargauische
Civilprozetzordnung vom gewillkürten Gerichtsstand nichts sage, statthaft,
und auch blindes-rechtlich stehe die Zulässigkeit des gewillkürten
Gerichtsstandes bei Forderungsansprüchen ausser altem Zweifel. Die
Vorschrift des § 12 litt- b der; aarg. Civilprozeszordnung schliesse
die Zulässigkeit einer Prorogation im vorliegenden Falle nicht aus. Denn
einmal werde gemäss einer konstanten Gerichtspraxis durch jene Vorschrift
kein ausschliesslicher Gerichtsstand der gelegenen Sache begründet,
und zudem finde dieselbe auf interkantonale Verhältnisse überhaupt
keine Anwendung Es sei deshalb bloss die Frage zu entscheiden, ob im
vorliegenden Falle gemäss dem Art. XII des Vertrages vom 25.J28. Januar
1897 das Bezirksgericht Zofingen vom Beklagten als zuständiges Gericht
anerkannt worden sei, was bejaht werden müsse.

B. Gegen das angeführte obergerichtliche Erkenntnis reichte Bucher
einen staatsrechtlichen Rekurs beim Bundesgerichte ein, der mit dem
Antrage schliesst, es sei dasselbe aufzuheben und die Sache an das
kompetente Bezirksgericht von Reiden und Pfaffnau zu überweisen. Der
Rekurrent sttitzt sich vorab auf Art. 59 B.-V. und macht gegenüber
dem Einwand, dass er auf den Gerichtsstand des Wohnsitzes verzichtet
habe, unter ausdrücklicher Anerkennung immerhin der bundesrechtlichen
Zulässigkeit einer promgat-io fori, geltend, der Anspruch, dass er vor
dem Gericht von Zofingen Recht zu nehmen habe, sei selbst wieder ein
persönlicherIV. Gerichtsstand des Wohnortes. N° il. 57

Anspruch, der nach Art. 59 B.-V. vor dem Gerichte des Wohnortes
zu erheben sei. Die gegenteilige Auffassung, wonach die Frage
der Gültigkeit der Vertragsklausel über den Gerichtsstand von dem
bestrittenen forum prorogatum selbst entschieden werden müsse, sei eine
durchaus unlogische und theoretisch unhaltbare. Denn diese Klausel
sei ein Bestandteil des Kaufvertrages, dessen Gültigkeit im ganzen
Umfange bestritten sei. Es müsste daher das Gericht, um die Vorfrage
betreffend die Kompetenz zu entscheiden, zum Voraus mit der Hauptsache,
der Frage der Gültigkeit des Kaufvertrages, sich beschäftigen, was
logisch und theoretisch unhaltbar sei. Es sei auch im Auge zu behalten,
dass Art. 59 B.-V. seinem Wortlaute nach sich auf alle persönlichen
Ansprachen beziehe, und dieses Prinzip dürfe im Streit betreffend die
Prorogationsklausel nicht zurücktreten, da sonst eine unbegründete,
der ratio legis widersprechende Ausnahme geschaffen würde. Die für
die andere Auffassung angeführten bundesgerichtlichen Entscheide seien
vereinzelt und dürften auch deshalb keine bindende Norm bilden, weil sie
einer Konvenienzrücksicht die logische Konsequenz und richtige Anwendung
einer Verfassungsbestimmung zum Opfer brächten. Dat-an schliesse sich
die Frage an, ob es überhaupt konstitutionell zulässig wäre, dass das
Bundesgericht im Wege der Gerichtspraxis die Bundesverfafsung ergäuze
oder abändere, was in der Schaffung einer Ausnahme zu Art. 59 B.-V. durch
Aufstellung einer Präsumtion über Gültigkeit non Gerichtsstandsklauseln
läge. Dass die Verpflichtung, vor einem andern, als dem Wohnsitzrichter
Recht zu nehmen, wirklich eine persönliche Verbindlichkeit darstelle,
sei schon dadurch bewiesen, dass sie Gegenstand eines Vertrages sein
und durch Vertrag in thesi rechtsgültig eingegangen werden könne, was
auch das Bundesgericht nicht in Abrede stelle. Die Konsequenz dieser
Auffassung freilich tehne das Bundesgericht mit der Begründung ab, dass
sonst Gerichtsstandsklanseln praktisch wertlos wären. Allein das sei
kein Grund, die Verfassung zu suspeiidieren. Dieses Konvenienzargument
sei zudem nicht einmal richtig, oder doch stark übertrieben, da vor
dem natiirlichen Richter des Angesprochenen nur die Frage über die
Gültigkeit der Prorogation verhandelt werde und inzwischen der Hauptstreit
ruhe. Zudem führe die Aufstellung einer

58 Staatsrechtliche Entscheidungen. L Abschnitt. Bundesverfassung.

verfassungswidrig-en Präsumtion für die Gültigkeit von
Gerichtsstandsklauseln in Verträgen notwendig zu Willkürlichkeiten, da
die Voraussetzungen, unter welchen eine solche Präsumtion Platz greife,
nicht feststünden.

Endlich sei darauf zu verweisen, dass in dem analogen Falle einer
Streitigkeit über die Gültigkeit einer Schiedsgerichtsklausel nicht
das Schiedsgericht, sondern der Richter des Wohnortes des Beklagten zu
entscheiden habe. Zudem liege in der Verzeigung eines Rechtsdomizils
noch keine Anerkennung des Gerichtsstandes Zofingen für jeden Fall,
sondern einfach die Unterziehung des Rechtsverhältnisses für welches das
Domizil verzeigt isi, unter die in Zofingen geltenden Gesetze, wie sich
aus dem Wortlaut der Klausel klar und deutlich ergebe. Hierin liege, dass,
wenn das aargauische Prozessrecht für Streitigkeiten über den genannten
Kaufvertrag einen andern Gerichtsstand, als den von Zofingen vorsehe,
der Veklagte sich aus jenen berufen könne. Nun müssten nach § 12 litt. b
der aarg. Civilprozessordnung Streitigkeiten betreffend Kaufverträge um
Liegenschaften vor das forum rei sitze gebracht werden. Da der Beklagte
auf diesen Gerichtsstand nicht verzichtet habe, müsse er auch vor dem
Bezirksgericht Reiden und Pfaffnau belangt werden. Die Bestimmung in §
12 litt. b leg. cit. enthalte, wie aus ihrer Fassung hervorgehe, ius
cogens. Eine gegenteilige Gerichtspraxis wäre gesetzwidrig Und dass §
12 litt-. b der aarg Civilprozessordnung nur auf kantonale Verhältnisse
Anwendung finde, sei unrichtig Dieselbe verweise in interkantonalen
Fällen den Beklagten vor das ausserkantonale forum rei sitze-, vor
dem der Kläger gemäss Art. 59 B.-V. einzig auftreten könne, so lange
nicht ein Verzicht vorliege. Der obergerichtliche Entscheid statuiere
danach eine Ungleichheit der Bürger vor dem Gesetz und damit eine
Verletzung von Art. 4 B.-V.; denn zufolge dieser Entscheidung werde
bei interkantonalen Verhältnissen dem im Kanton Aargau domizilierten
Beklagten sein Recht versagt, auf das er gemäss dem Wortlaute des
Gesetzes eben so sehr Anspruch habe, als derjenige, welcher bezüglich
eines materiell gleichen kantonalen Verhältnisses beklagt sei. Die ober-'
gerichtliche Argumentation enthalte in diesem Punkte einen Widerspruch in
sich selbst, indem aus der Gerichtsstandsklausel einer-IV. Gerichtsstand
des Wohnortes. N° 11. 59

seits eine Unterweisung unter das aargauische Recht, und anderseits
ein Verzicht auf dasselbe hergeleitet werde, während der Rekurrent
die Unterwerfung nicht nur gegen, sondern auch für sich in Anspruch
nehmen und den mehrerwähnten § iL litt. b als Vertrags-recht anrufen
könne. Endlich dürfe er gestützt auf Art. 60 B.-V. verlangen, dass er,
sofern er sich den aargauischen Gesetzen unterziehen müsse, nicht·
ungünstiger behandelt werde, als ein Bürger des Kantons Aargau selbst.

C. Theodor Häfliger-Künzli bemerkt in der Antwort vorerst, das lnzernische
Obergericht, das laut (eingelegtem) Urteil vom 22. Oktober 1897 sich
infolge einer Provokation des Rekurrenten vor dem Bezirksgericht von
Reiden und Pfaffnau ebenfalls über die Kompetenzfrage auszusprechen
gehabt, habe dieselbe in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen
Entscheide in gleichem Sinne beantwortet, wie die aargauischen
Gerichte. Sodann wird ausgeführt: Die Zuständigkeit des Gerichts von
Zofingen sei dadurch begründet, dass der Rekurrent sich ihr durch
Vertrag unterworfen habe. Zur Entscheidung über die Gültigkeit der
Prorogation sei der aargauische Richter kompetent gewesen, obwohl sie
ein Bestandteil des Kausvertrages sei und die Anfechtung des letztern
sie mitbetrefse. Denn der Kaufvertrag und die prorogatio fori seien
zwei verschiedene Dinge. Die Erwählung des Domizils sei keine Bedingung
des Kaufvertrages, sondern ein Nebenvertrag, der den Hauptvertrag nur
voraus-setze Die Prorogation soll eben dann in Wirksamkeit treten,
wenn die Geltung des Hauptbettrages in Frage gestellt wird. Gerade
die Theorie des Rekurrenten führte dazu, dass sich das Gericht zuerst
mit der Hauptsache befassen müsste, bevor die Voraussetzung seiner
Kompetenz festgestellt wäre. Dass aber die Prorogation nicht unter
Art. 59 B.-V. stehe, sei, wie übrigens auch die Zulässigkeit derselben,
bundesrechtlich längst festgestellt Willkürlichkeiten könnten bei der
richtitigen Auffassung nicht eintreten. Darüber, wann eine Thatsache
als erwiesen anzunehmen sei, entschieden die Normen des kaut-)ualen
Prozessrechtes In casu sei dieser Beweis durch eine öffentliche Urkunde
erbracht worden Die Analogie des Schiedsgericht-Z treffe nicht zu,
da dieses erst durch den Vertrag Gerichtsbarkeit erlange, während das
durch Prorogation zuständige Gericht solche

60 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

kraft Gesetzes besitze. Was sonst noch vorgebracht werde, sei für die
Entscheidung des Reknrses bedeutungslos und auch materiell unrichtig. Der
Antrag geht auf Abweisung des Refin-fes.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Es frägt sich zunächst, ob das aargauische Obergericht dadurch den
Art. 59 der Bundesverfafsung verletzt habe, dass es die Frage, ob eine
vertragliche Unterwerfung des Rekurrenten unter die aargauischen Gerichte
vorliege, selbst beurteilte, statt dieselbe an die Gerichte des Wohnsitzes
des Rekurrenten zu verweisen. Die Beantwortung der Frage hängt davon
ab, ob die vertragliche Unterwersung unter einen andern, als den sonst
zuständigen Richter eine persönliche Anfprache im Sinne des Art. 59 B.-B.
begründe oder nicht. Dies ist zu verneinen. Die Vereinbarung eines
besondern Gerichtsstandes für ein einzelnes Rechtsverhältnis erzeugt
nicht einen selbständigen Anspruch materiellrechtlicher Natur, sondern
ordnet lediglich für den Fall eines Sireites über die Hauptsache in
accessorischer Weise die prozessrechtliche Frage des Gerichtsstandes Diese
Frage kann deshalb auch nicht den Gegenstand eines selbständigen Prozesfes
bilden, und Art. 59 B.-V. findet auf einen Streit Über dieselbe überhaupt
keine Anwendung, da derselbe den Gerichtsstand des Wohnsitzes des
Beklagten nur für die Geltendmachng selbständiger, persönlicher Ansprüche
privatrechtlicher Natur vorschreibt Vielmehr ist über das Vorhandensein
des Kompetenzgrundes der Prorogation, wie über die Zuständigkeit im
allgemeinen, nach den bestehenden schweizerischen Prozessordnungen erst
nach Anhängigmachung der Hauptsache und in der Form eines Vorverfahrens zu
befinden und zu erkennen. Und zwar kann es der Natur der Sache nach nur
der angerufene Richter sein, welcher über die Vorfrage seinen Bescheid
abzugeben hat, wie denn auch der Ausspruch eines gleichgeordneten andern
Richters für erstern unverbindlich ware. Das Bezirksgericht von Zofingen
und das Obergericht des Kantons Aargau befinden sich daher nicht nur
nicht im Widerspruch mit der Bundesverfassung, sondern vielmehr durchaus
im Einklang mit allgemein prozessrechtlichen Grundsätzen, wenn sie,
nachdem sie gestützt auf die Prorogationskkausel zum Entscheide über die-

Gültigkeit des zwischen den Parteien abgeschlossenen
KaufvertragesIV. Gerichtsstand des Woimortes. N° 11. 51

angerufen worden find, selbst die bestrittene Kompetenzfrage geprüft
und es abgelehnt haben, dieselbe vor den Wohnsitzrichter des Rekurrenten
zu verweisen.

2. Freilich ist nun zuzugeben, dass der Prorogationsrichter bei der
Prüfung der Kompetenzfrage sich unter Umständen bereits in diesem
Verfahren mit den nämlichen Fragen befassen mug, die für den Entscheid
in der Hauptsache ausschlaggebend find. Es wird dies insbesondere dann
zutreffen, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Prorogationsklausel einem
Vertrage eingefügt ist, dessen Gültigkeit selbst bestritten wird. Dies
kann jedoch nicht zu einer andern Lösung der Frage betreffend die
Zuständigkeit zur Beurteilung der Gültigkeit der Prorogation führen. Denn
erstlich kann sehr wohl die Unterwerfuug unter einen gewillkürten
Gerichtsstand auf einem selbständigen, von dem Hauptgeschäft, für das
dieser Gerichts-stand begründet wurde, losgelösten Akte beruhen; es
können die kompetenzbegründenden Thatsachen völlig unabhängig von dem
anspruchsbegründenden dastehen, und der Streit über das Vorhandensein
einer gültigen Prorogation braucht sich durchaus nicht notwendigerweise
mit demjenigen über die Begründetheit des Anspruches zu decken oder
auch nur zu berühren Weiter aber ist zu beachten, dass die Prüfung der
Gültigkeit der Protogationsklaufel, auch soweit sie auf die gleichen
Momente sich erstreckt, von denen die Verbindlichkeit des Hauptgeschäfts
abhängt, doch nur zum Zwecke der Beantwortung der Kompetenzfrage erfolgt
und für den Entscheid in der Hauptsache nicht schlechthin präjudiziell
ist, wie denn auch in dem Vorverfahren zur Feststellung der Kompetenz
durchaus nicht die nämlichen Beweisvorschriften zur Anwendung zu kommen
brauchen, wie bei der Verhandlung über die Hauptsache Und endlich würden
sich auch bei dem vom Rekurrenten vertretenen Verfahren die nämlichen
Folgerungen ergeben, die er als nnlogische und theoretisch unhaltbare
bezeichnet. Dazu käme überdies die vom praktischen Gesichtspunkte aus
völlig unzulässige Konsequenz, dass der Zweck der Prorogation in vielen
Fällen geradezu vereitelt und es in die Hand des Beklagten gelegt wäre,
durch das blosse Bestreiten der Verbindlichkeit des Vertrages, in dem
ein gewillkürter Gerichtsstand vereinbart isf, sich von der Pflicht zur
Einlassung vor dem

62 Siaaisrechiliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

prorogierten Forum zu befreien (s. die Urteile des Bundesgerichts

in Sachen Bütikofer, Ath Samml., Bd. VI, S. 10; in Sachen Compagnie
d'assurances Armement, ibid. Bd. XV, S. 237, in Sachen Riesen, ebenda
Bd. XVI, S. 729),

3. Es ist ferner auch nicht einzusehen, wie so diese Auffassung

des Verhältnisses Willkürlichkeiten begünstigen follie. Wenn auch
meistens über bestrittene Vorfragen in suinmarischer Weise und nicht
im gleichen Verfahren verhandelt werden wird, wie über die Hauptsache,
so bieten doch die Prozessordnungen auch für das

Verfahren über jene bestimmte Garantien, die sich mehr oder-

weniger den für das Verfahren in der Hauptsache aufgestellten nähern. Und
jedenfalls ist der Umstand, dass in solchen Fällen eine nicht in den
Formen des gewöhnlichen Prozesses sich abwickelnde Kognition eintritt,
nicht ein genügender Grund dafür, um den Streit über die Kompetenz
des gestützt auf einen Prorogationsvertrag angerufenen Richters dem
Streit über einen privatrechtlichen Anspruch insoweit gleichzustellen,
dass derselbe vorv dem Wohnsitzrichter des Beklagten im gewöhnlichen
Prozessverfahren abgewandelt werden müsste Es wird eben in jedem
einzelnen Falle über die bestrittene Vor-frage der Kompetenz des
protogierten Richters nach Mitgabe der einschlägigen Vorschriften des
Prozessrechtes zu entscheiden sein, wobei Willkürlichkeiten nicht:
häufiger und nicht seltener vorkommen fénnen, wie beim Entscheide über
andere prozessualische Vorfragen.

4. Die vom Rekurrenten herbeigezogene Analogie des Schiedsvertrages
rechtfertigt seinen Standpunkt ebenfalls nicht. Wenn auch die Gesetzgebung
und die Gerichtspraris dazu gekommen sind, den Streit über die Gültigkeit
eines Kompromisses als einen solchen über einen privatrechtlichen Anspruch
aufzufassen, so geschah dies doch offenbar bloss deshalb, weil sehr oft
das zum

Entscheide berufene Schiedsgericht noch nicht besteht, oder doch

noch nicht mit Gerichtsbarkeit ausgestattet ist, und weil es ein
anderes Mittel, um die Bestellung zu erzwingen, als dasjenige der
ordentlichen gerichtlichen Klage, in solchen Fällen nicht gibt. Bevor
das Schiedsgericht besteht, kann es überhaupt nicht angerufen werden, und
deshalb muss, wenn eine der kompromittierenden Parteien sich weigert, zur
Bestellung desselben Hand zu bieten,.IV. Gerichtsstand des Wonnortes. N°
M. 63

notwendigerweise in einem besondern Verfahren über die Gültigkeit
des Kompromisses und die Verbindlichkeit der Verpflichtung bei der
Konstituierung des Schiedsgerichtes mitzuwirken, entschieden werden,
wobei es dann nahe lag, den Anspruch wie einen materiellrechtlichen
und persönlichen zu behandeln und dem Wohnsitzrichter des Beklagten
zuzuweisen Diese Besonderheiten treffen bei dem Prorogationsvertrag
nicht zu, weil hier das vertraglich als zuständig bezeichnete Gericht
bereits besteht und in der Lage isi, selbst über die Gültigkeit der
Prorogation zu befinden, wie übrigens auch das Schiedsgericht selbst,
wenn es einmal konstituiert4 ist, zu prüer und zu entscheiden hat,
wie weit es kompetent sei (ng. Uniti. SammL, Bd. VII, S 705).

5. Enthält hienach der Umstand, dass die aargauischen Gerichte
ihre Kompetenz selbst geprüft haben, nachdem sie gestütztauf eine
Prorogationsklausel angerufen worden waren, keinen Verstoss gegen Art. 59
B.-V., so kann dies auch nicht gesagt werden mit Bezug auf die Art und
Weise, wie dieselben die Kompetenzfrage beurteilt haben. Vor allem aus
könnte es sich in dieser Richtung fragen, ob das Bundesgericht überhaupt
den obergerichtlichen Entscheid einer Nachprüfung unterwerfen könne
Denn nach den aus Art. 59 B.-.V. sich ergebenden bundesrechtlichen
Gerichtsstandsregeln kann sich die Frage der Zulässigkeit und der
Gültigkeit einer Prorogationsklausel offenbar nur richten, wenn sich
diese auf eine persönliche Ansprache bezieht, während jene Fragen sich
ausschliesslich nach kantonalem Prozessrecht beurteilen, wenn ein anderer
Anspruch im Streite liegt. Und nun ist es doch zweifelhaft, ob die Klage
des Th. Häfliger auf Haltung des Kaufvertrages mit dem Rekurrenten Vom
25. Januar 1897, der eine Liegenschaft zum Gegenstande hat, als eine
persönliche oder als eine dingliche aufzufassen sei. Die Frage braucht
jedoch nicht gelöst zu werden, weil auch im erstern Falle, d. h. wenn
der Anspruch als persönlicher aufgefasst und eine Nachprüfung des
Ent-scheides des aargauischen Obergerichtes an Hand der bundesrechtlichen
Praxis über die Zulässigkeit und die Gültigkeit von Prorogationen als
statthaft betrachtet wird, der Entscheid bestätigt werden muss. Die
bundesrechtliche Zulässigkeit der freiwilligen Unterweisung unter einen
andern als den Wohnsitzrichter wird

64 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverlassung.

vom Rekurrenten selbst ausdriicklich anerkannt, und hätte übrigens
angesichts der diesbezüglichen Praxis des Bundesgerichts nicht mit
Erfolg bestritten werden können. Es entspricht ferner durchaus der
bundesgerichtlichen Praxis, dass in der Bestimmung des Art. XII des
Vertrages vom 25. Januar 1897, wonach der Reknrrent sein Rechtsdornizil
in Zofingen verzeigte, und die Parteien für den Fall eines Rechtsstreites
über den Inhalt oder die Form des Vertrages die aargauischen Gesetze für
anwendbar er- klärten, auch eine vertragliche Unterwerfung des Beklagien
{unter den aargauischen Gerichts-stand erblickt wurde. Endlich ist vom
Standpunkte des Bandes-rechtes aus nichts dagegen einzuwenden, dass die
gegen die Verbindlichkeit des Vertrages erhobenen Einwendungen verworfen
worden sind. Im Gegenteil ist angesichts der Thatsache, dass ein mit
den notarialisch beglaubigten Unterschriften beider Parteien versehener
Vertrag vorgelegt wurde, offenbar mit Recht die fragliche Klausel für
verbindlich erklärt worden, wobei bloss daran zu erinnern ist, dass damit
die Gültigkeit nur für die Kompetenzsrage anerkannt wurde, und dass dem
Entscheid über die Hauptsache damit an sich nicht präjudiziert ist.

6. Der Rekurrent erhebt gegen den Entscheid des aarg. Obergerichts
schliesslich auch noch einige Einwendungen aus dem Gesichtspunkte
einer mit andern verfassungsmässigen Grundsätzen in Widerspruch
stehenden Anwendung des kantonalen Rechts. Dieselben beruhen aus der
Voraussetzung, dass der Hauptanspruch ein dinglicher und dass somit
für die Zulässigkeit und die Gültigkeit der Prorogation nicht die
bundesrechtlichen Bestimmungen über den gewillkiirten Gerichtsstand
bei persönlichen Ansprachen zur Anwendung zu kommen haben. Da dieser
Standpunkt nicht von vornherein zu verwerer ist, so muss auch ans die
daherigen Beschwerden eingetreten werden. Dieselben erweisen sich jedoch
materiell als unbegründet. Wenn das aarg. Qbergericht erklärt, § 12
litt. b der aarg. Civilprozessordnung, wonach Streitigkeiten betreffend
Kaufverträge über Liegenschaften am Orte der gelegenen Sache angebracht
werden sollen, begründe keinen ausschliesslichen Gerichts-stand in
dem Sinne, dass eine Prorogation vor ein anderes Forum nicht zulässig
ware, so ist diese Auslegung mit dem Wortlaute des Gesetzes nicht
undereinbar. Übrigens wäre für dieIV. Gerichtsstand des Wohnortes. N°
11. 65

Zulässigkeit der Prorogation vor ein anderes, als das Gericht der
gelegenen Sache nicht das aargauische, sondern das Recht des Kantons
Luzern massgebend, wo die Liegenschaft des Rekurrenten sich befindet. Nun
ist aber nicht einmal behauptet worden, dass das luzernische Recht
eine solche Prorogation ausschliesse; und es haben thatsächlich
die luzernischen Gerichte selbst mit Rücksicht auf die fragliche
Klausel ihre Kompetenz zur Beurteilung der Streitsache abgelehnt
Gänzlich haltlos ist die Behauptung, dass die angeführte Bestimmung
der aarg. Civilprozessordnung dem Beklagten, der sich freiwillig den
aargauischen Gesetzen und den aargauischen Gerichten unterworer habe,
ein Recht darauf gebe, vor dem Forum der ausser diesem Kanton gelegenen
Sache belangt zu werden. Sobald feststeht, dass der Rekurrent sich einem
besondern Gerichts-stand im Kanton Aargau unterworfen hat und sobald die
Gesetzgebung der beiden in Frage kommenden Kantons dies zulässt, kann
von einem solchen Rechte ebensowenig die Rede sein, wie davon, dass die
daherige Entscheidung des aarg. Obergerichtes an einem innern Widerspruch
leide, oder gar eine ungleiche Behandlung der Bürger in sich schliesse
und so gegen die Grundsätze der Art. 4 und 60 der Bundesverfassung
verstosse. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen

iL. Urteil vom 16. März 1898 in Sachen Eggimann. Persönliche Ansprache ?

I. Eduard Beck in Langenthal liess Margaretha Eggimann in Lausanne vor
den Gerichtspräsidenten von Aarwangen laden, indem er folgende Begehren
stellte: 1. Die Vorgeladene sei schuldig, mit dem Vorlader über den
Nachlass der in Gondiswyl verstorbenen Witwe Eggimann eine Erbteilnng
abzuschliessen; 2. Es sei der Saldo, welchen die Borgeladene in Folge
dieser

xm, {. 1898 5
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 24 I 55
Datum : 09. Februar 1898
Publiziert : 31. Dezember 1898
Quelle : Bundesgericht
Status : 24 I 55
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 54 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. nicht unparteiisch,


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • frage • beklagter • bundesgericht • hauptsache • bundesverfassung • weiler • buch • persönliche ansprache • vorfrage • richtigkeit • wohnsitz • vertragsklausel • form und inhalt • gerichtsstandsvereinbarung • norm • vorverfahren • analogie • einwendung • verfassung
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