452 Staalsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

zeichnung eines Rechtsdontizils oder eines Rechtsvertreters in
den betreffenden Kantonen das Erfordernis des Vorhandenseins einer
selbständigen produktiven Anlage ersetzen. Auch für ihren Erwerb ist daher
die Rekurrentin einzig dem Kanton Luzern, d. h. dem Kanton gegenüber
steuerpflichtig, in dem sie ihren Sitz hat und von dem aus der ganze
einheitliche Geschäftsbetrieb geleitet wird.

11, Müssen nach dein Gesagten die beiden Hauptanträge der Rekurrentin
gutgeheissen werden, so braucht auf den dritten Antrag, der nur eventuell,
für den Fall, dass die Übereinkunft vom 26. Oktober 1895 beschützt würde,
gestellt worden ist, nicht eingetreten zu werben.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die Retterrentin
mit Bezug auf ihr Mobiliarverinögen und mit Bezug auf ihren Erwerb
als ausschliesslich der Steuerhoheit des Kantons Luzern unterstehend
erklärt wird.

III. Niederlassung und. Aufenthalt.

Etablissement et séjour.

84. Urteil vom 14. September 1898 in Sachen Haist gegen Zurich.

Art. 45 Abs. 3 E',-V. Ist Kwppcleé schweres Vergehen im Sinne dieser
Verfassungsbestimmemg ?

A. Rosine Haist gesch. Hartmann von Eglisau wurde am 15. März 1890,
27. Januar 1891, 7. Juli 1891 Und 16. Dezember 1897 vom Bezirksgericht
Zürich wegen Kuppelei (Hulken eines Bordells) mit Gefängniss und Busse
bestraft. Am 9. März 1898 beschloss der Stadtrat Zürich, in Anwendung von
Art. 45 Abs. 3 B.-V., Art. 14 Zürch K.-B. und § 33 des Gemeindegesetzes,
der Haifi werde die Niederlassung in der StadtIll. Niederlassung und
Aufenthalt. N° 84. 453

Zürich entzogen, und werde ihr befohlen, die Stadt sofort zu

verlassen, und gleichzeitig verboten, wieder nach Zürich zurückzukehren,
beides unter Androhung von Wegschaffung und Überwei- sung an die Gerichte
zur Bestrafung wegen Ungehorfams im Falle des Zuividerhandelns. Der
Stadtrat stützte sich hiebei auf die oben erwähnten mehrfachen
Bestrafungen, welche seines Erachtens einen die öffentliche Sittlichkeit
gefährdenden Lebenswandel der Haist bekunden. Dieser Beschluss ist in
letzter Instanz, in Abweisung des von der Haist dagegen ergriffenen
Rekurses vom Regierungsrate des Kautons Zürich mit Entscheid vom 7. Juni
1898 bestätigt worden. Die Begründung geht dahin: Die Kuppelei merde,
trotz der Geringfügigkeit der Strafe, der sie bisher verfallen, ais ein
schweres Vergehen angesehen; die Rekurrentin sei also viermal wegen
schwerer Vergehen gerichtlich bestraft worden. Dass die Rekurrentin
einen die öffentliche Sittlichkeit gefährdenden Lebenswandel führe, sei
als bewiesen zu betrachten; der Nachweis liege nicht allein in den vier
Strafen, sondern auch in einem Polizeirapport aus der allerjüngsten Zeit,
welcher deutlich zeige, dass ihr Haus immer noch für den alten Betrieb
eingerichtet sei.

B. Gegen den regierungsrätlichen Beschluss hat die Haift den
staatsrechtlichen Reknrs an den Bundesrat ergriffen, und es ist dieser
Rekurs innert der sechzigtägigen Rekursfrist des Art. 178 Ziffer 3
Org.-Ges, dem Bundesgerichte überwiesen worden. Der Rekursantrag geht
auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung. Zur Begründung wird vorgebracht:
Die angefochtene Verfügung verstosse gegen Art. 45 Abs. 1 B.-.V Auf
Absatz Z daselbst könne im vorliegenden Falle nicht abgestellt werden,
weil die Kuppelei bis zum 1. Juli 1897 nicht als schweres Vergehen im
Sinne dieser Gesetzesbestimmung aufzufassen gewesen sei, da sie nur auf
Antrag des Stadtrates strafrechtlich verfolgt worden sei und der Stadtrat
Zürich die öffentlichen Häuser geduldet habe. Freilich habe er hie und
da Strafklage gestellt, allein in ganz willkürlicher Weise, und dabei von
den Bordellinhabern exorbitante Steuern, die sich als eine Art Patenttaxe
qualifizierten, erhoben. Dass die Rekurrentin sich seit ihrer letzten
Bestrafung noch der Kuppelei schuldig gemacht habe, bestreitet sie.

454 Staate-rechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

C. Der Regierungsrat trägt in seiner Vernehmlassung auf

Abweisung des Rekurses an, unter Hinweis auf die Begründung

seines Entscheides vom 7. Juni 1898.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Sowohl der Bundesrat als auch die Bundesversammlung, welche Behörden
bis zum Inkrafttreten des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893
staatsrechtliche Rekurse wegen Entzugs der Niederlassung zu beurteilen
hatten, haben sich bezüglich der Frage, ob ein schweres Vergehen im
Sinne des Art. 45 Abs. 3 B.-V. vorliege, die selbständige Würdigung des
einzelnen Falles auch gegenüber der durch die gerichtliche Strassentenz
und durch die gesetzliche Strafandrohung selbst ausgesprochenen Auffassung
der kantonalen Behörden vorbehalten und den Grundsatz aufgestellt, dass
namentlich die für die öffentliche Sicherheit und Sittlichkeit zu Tage
tretende Gefahr jeweilen ganz besonders in Berücksichtigung fallen müsse;
hievon ausgehend haben sie die Vergehen gegen die Sittlichkeit durchwegs
als unter die Kategorie der schweren Vergehen fallend bezeichnet,
so insbesondere auch die Kuppeleiz vgl. Salis, Bandes-recht II, 362,
428 und 432. Es liegt nun für das Bundesgericht durchaus kein Anlass
vor, dieser frühem bundesrechtlichen Praxis gegenüber andere Grundsätze
aufzustellen; vielmehr entspricht diese frühere Praxis dem Sinn und Geiste
des Art. 45 Abs. 3 B.-V. vollständig Danach kann nichts darauf ankommen,
wie die Kuppelei in Zürich vor der Strafgesetznovelle vom 1. Juli 1897
vom Gesetze selbst geregelt und von den Administratibund Strafbehörden
behandelt wurde, vielmehr ist sie ohne weiteres jedenfalls wenn, wie hier,
ge: werbsmässig betrieben als die öffentliche Sittlichkeit gefährdendes,
schweres Vergehen zu qualifizieren. Danach muss der Rekurs abgewiesen
werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet
abgewiesen.IV. Vollziehung kantonaler Urteile. N° 85. ' 455

IV. Vollziehung kantonaler Urteile. Exécution

de jugements cantonaux.

85. Urteil vom 18. Juli 1898 in Sachen Burkhard gegen Bürgin.

Art. 61 B.-V. Auchadhàîse'onsweése im Strafprozess ergaeegene
Urteile über Civilansprù'che sind Civileerteile im Sinne dieser Ver
assungsbeste'mmu-ng.A. Durch Urteil des Polizeirichters von Aarwangen vom
4. Februar 1897 ist Fabrikdirektor Emil Bürgin wegen VerbotsÜbertretung
zu einer Busse und solidarisch mit zwei Mitbeklagten zu den Kosten und
gegenüber dem Kläger Rudolf Burkhard, Zimmermann in Schwarzhäusern, der
sich als Civilpartei gestellt hatte, zu einer Entschädigung von 90 Fr. 10
Cis verurteilt worden. Gestützt auf dieses Urteil hob Burkhard gegen
Bürgin sur den Entschädigungsbetrag von 90 Fr. 10 (Stà. Betreibung an. Es
erfolgte Rechtsvorschlag, woraufhin Burthard beim Civil: gerichtspräsidium
Basel unter Berufung auf Art. 81 B.-G. um ittechtsöffnung nachsuchte. Das
Civilgerichtspräsidium, I. Abteilung, wies das Rechtsöffnungsbegehren ab,
weil es sich nicht um ein Civilurteil im Sinne des Art. 61 B.-V. handle.

B. Hiergegen erhob Burkhard den staatsrechtlichen Rekurs beim
Bundesgericht. Es werde, wird zur Begründung angebracht, in Art. 61
der Bundesverfassnug nicht unterschieden, ob sein Civilnrteil von
einer Behörde mit rein civilrechtlichen Kompetenzen oder von einein
andern Gerichte erlassen sei; es hätte auch die Bundesverfassung
eine solche Unterscheidung gar nicht treffen können, da damit in die
Gerichtsorganisation der Kantone eingegriffen worden wäre. Wäre unter
Civilurteil nur ein von einem Civilgericht erlassenes Urteil zu verstehen,
so liesse es sich nicht rechtfertigen, dass auch Entscheidungen von
Vormundschastsbebörden als Civilurteile für vollstreckbar erklärt
wurden (vergl. Weber u. Brùstlein, Kommentar zu Art. 81 B.-G.). Noch
durchschlagender sei die Erwägung, dass das Bundesgericht die Berufung
gegen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 24 I 452
Datum : 14. September 1898
Publiziert : 31. Dezember 1898
Quelle : Bundesgericht
Status : 24 I 452
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 452 Staalsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. zeichnung eines


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