220 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung,
dingliche Klage vor, für die Art. 59 dem Beklagten keineswegs den
Gerichts-stand des Wohnorts zusichert. Vielmehr würde unter jener Annahme
die Frage des Gerichts-standes, da ja auch das Betreibungsgesetz für
die Klagen nach Art. 107 und 109 keinen Gerichts-stand bezeichnet,
in erster Linie nach kantonalem Prozessrecht zu beurteilen sein. Das
Civilgericht hat sich in zweiter Linie auch ans diesem Gesichtspunkte
als zuständig erklärt. Hiergegen hätte, da die Anwendung kantonalen
Prozessrechts an sich den kantonalen Behörden überlassen ist, nur mit
der Behauptung aufgetreten werden können, dass eine Rechtsoerweigerung
vorliege. Eine solche Behauptung findet sich im Rekurfe nicht, und
thatsächlich könnte denn auch die analoge Anwendung des § 4 der Basler
Civilprozessordnung, wonach das forum rei sitæ für Streitigkeiten Über
Faustpfänder begründet ist, die im Kanton liegen, nicht als eine durchaus
unhaltbare, arbitrare bezeichnet werden· Wenn somit auch den eigenen
Ausführungen des Reinerenten über die Natur der Klage gefolgt wird, so
kann dies nicht zu einer Begründeterklärung des Rekurses führen. Dies
auch nicht mit Bezug auf die Anfechtungsklage, die übrigens nicht zum
Gegenstand eines besondern Petitums gemacht worden ist. Denn diese
ist nur eventuell neben der Hauptklage auf Anerkennung des Eigentums
des Schuldners an den verarrestierten Gegenständen angestellt, und
nun schliesst Art. 59 nicht aus, dass eine solche Klage in eventueller
Weise in Verbindung mit einer dinglichen Klage beim Gerichts-stand der
belegenen Sache angebracht werde, zumal da sie in ihrem Endziel doch
auch wieder auf Anerkennung des Eigentums des Schuldners gerichtet ist.
4. Vollends würde die Berufung auf Art. 59 B-V versagen, wenn die Klage
nicht als eine die materielle Beurteilung eines dinglichen Anspruchs
bezweckende, sondern als blosses Erekutionsincidens betrachtet
würde, daran gerichtet, den Widerspruch eines Dritten gegen die
betreibungsrechtliche Liquidation ' der verarrestierten Gegenstände zu
beseitigen. Denn in diesem Falle hätte man es ebenfalls nicht mit einer
persönlichen Ansprache im Sinne der fraglichen Verfassungsbestimmung zu
thun, da sich diese eben nur auf solche Klagen bezieht, mit denen ein
materielles Urteil Über einen persönlichen Anspruch nachgesucht wird,
während Ansprüche,IV Gerichtsstand 1. Des Wohnortes. NO 38. 221
die sich bloss auf den Fortgang eines Exekutionsverfahrens beziehen,
nicht darunter fallen. Crweist sich aber auch dann, wenn von dieser
Auffassung über die Natur der Klage ausgegangen "wird, der einzig geltend
gemachte Anfechtungsgrund nicht als stichhaltig, so muss der Rekurs
abgewiesen werden, ohne dass zu untersuchen ist, ob die Ausführungen des
angefochtenen Entscheides, wonach für derartige Klagen nach allgemeinen
Grundsätzen Und nach den Bestimmungen des eidg. Betreibungsgesetzes
der Gerichtsstand des Betreibungsortes begründet sei, zutreffend seien
oder nicht. Immerhin mag in dieser Beziehung beigefügt werden, dass beim
Fehlen einer Gerichtsstandsnorm im eidg. Betreibungsgesetz aus diesem der
Gerichtsstand des Betreibungsortes nicht hergeleitet werden könnte, so
dass dann wiederum auf das kantonale Recht zurückgegangen werden müsste,
dass aber dieses der Annahme, es seien die Basler Gerichte zuständig,
jedenfalls nicht in absoluter Weise entgegensteht. Demnach hat das
Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.
-88. Urteil vom 29. Juni 1898 in Sachen von Wagnern
Persönliche Ansprcwhe ?
A. Am 3. April 1897 liess Christian Bienz, Gutsbesitzer in Jttigen
bei Bern bei seinem Mieter, Dr. A. von Wagner, Arzt daselbst, ein
Retentionsverzeichnis für den auf 1. Mai fällig werdenden Mietzins von
150 Fr. aufnehmen. Am 28. April hinterlegte Dr. von Wagner den Betrag
des Mietzinses nebst den Kosten der Retentionsurkunde beim Richteramt
Bern. Am i. Mai siedelte er nach Kulm, Kantons Aargau, über, indem er
die in das Retentionsverzeichnis aufgenommenen Gegenstände mitnahm.
B. Unterm 2-8. März 1898 stellte Christian Bienz vor dem
Gerichtspräsidenten von Bern gegen Dr. von Wagner das Be-
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gehren an's Recht: Es sei gerichtlich zu erkennen, der Kläger sei
zum Bezuge der vom Beklagten bei der Amtsgerichtsschreiberei Bern
deponierten Mietzinssordernng des Klägers im Betrage von 150 Fr. nebst
Zins berechtigt. Der Beklagte erhob
die Einrede der Jnkompetenz des angerufenen Richters. Dieser-
verwarf dieselbe jedoch mit Entscheid vom 28. März 1898.
G. Hiegegen hat Dr. von Wagner innert der gesetzlichen Frist den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen. Er stützt
sich dabei auf am. 59 B.V., indem er behauptet, dass es sich um einen
persönlichen Anspruch handle, und indem er bezüglich der rechtlichen Natur
des Depositums auf em. 107 ff O.-R. verweist, wonach die Annahme, dass
dem Kläger Bienz auf den hinterlegten Betrag ein Psandrecht oder sonst
ein dinglicher Anspruch zustehe, kaum als zutreffend erachtet werden könne
D. Christian Bienz schliesst auf Abweisung des Rekurses. Er
macht in erster Linie geltend, das Depositum sei an Stelle der
Retentionsgegenstände getreten, und die Klage bezwecke einfach die
Realisierung des daran begründeten Pfandrechts. In zweiter Linie wird
angebracht, das Depositum sei in dem Sinne geleistet worden, dass Bienz
nach dem Verfall der Mietzinsforderung darüber sollte verfügen können,
Dasselbe sei also ein Eigentumsgegenstand, auf den Bienz mit seiner
Klage Anspruch erhebe.
E. Der Gerichtspräsident von Bern lässt es in seiner Vernehmlassung
dahingestellt, ob man es mit einer Eigentumsklage zu thun habe, da
jedenfalls eine dinglich durch gesetzliches Retentionsrecht gesicherte
Forderung in Frage stehe, für welche Art. 59 V.-V. nicht gelte.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Klage will einen Anspruch des Klägers zum Bezuge des vom Beklagten
auf der Aintsgerichtsschreiberei Bern deponierten Betrages gegenüber
demselben zur Anerkennung bringen. Der Fassung nach stellt sich
diese Klage als eine dingliche, auf die Sache selbst gerichtete dar,
und es geht dieselbe nicht etwa auf Anerkennung oder Erfüllung der
Mietzinsforderung, die vom Rekurrenten gar nicht bestritten zu werden
scheint. Die NaturIV. Gerichtsstand 1. Des Wohnortcs. N° 38. 223
und der Zweck des Depositums schliessen denn auch die Anhebung einer
dinglichen Klage nicht aus. Der Rekurrent Bereit sich diesbezüglich selbst
und der Rekursbeklagte stellt sich in zweiter Linie aus den nämlichen
Standpunkt auf Art. 107 D.M., wonach man es mit einer Hinterlegung zum
Zwecke der Befreiung von einer obligatorischen Verbindlichkeit zu thun
hätte; und zwar wäre vorliegend der Deponent nach Art. 109 legt cit. zur
einseitigen Zurücknahme der Hinterlage nicht mehr befugt, da infolge
der Deposition die Retentionsgegenstände, an denen der Vermieter mit der
betreibungsrechtlichen Geltendmachung des Retentionsrechtes Pfandrecht
erlangt hat, frei geworden sind. Bei dieser Sachlage ist jedenfalls eine
direkt auf Herausgabe des Depositums gerichtete Klage des Glüubigers
der fraglichen Förderung als dingliche denkbar (vergl. Rossel, Manuel du
droit des obligations, S. 147), Und es kann sich derselbe gegenüber dem
Beklagten nicht auf Art. 59 B.-.V berufen. Ob freilich der Anspruch,
wie er erhoben wurde, begründet sei, ist damit truck/)t entschieden;
vielmehr hat dann hierüber der angesprochene Richter der gelegenen
Sache zu erkennen. Der Rekursbeklagte hat bezüglich der Natur und
des Zweckes des Depositums in erster Linie einen andern Standpunkt
eingenommen, indem er geltend machte, dass dasselbe an die Stelle
der in das Retentionsverzeichnis ausgenommenen Objekte getreten sei,
und somit die Bedeutung eines Psandes habe. Auch diese Auffassung ist
nicht unhaltbar, wofur auf den ähnlichen, speziell oorgesehenen Fall
in Art. 27? Vetreib.-Ges. verwiesen werden kann. Auch so aufgefasst,
ware die Klage als eine dingliche, Ursprünglich auf Anerkennung des
Pfandrechts, und nunmehr, nachdem eine Geldsnmme als Kraution für die
Pfandobjekte hinterlegt worden ist, auf Herausgabe der Kaution gerichtete
zu betrachten. In keinem Falle kann somit der Anbringung der Klage vor
dem Gerichtspräsidenten von Bern durch die Berufung auf Art. 59 B-V
begegnet werden. Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird
als unbegründet abgewiesen.