184 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.
cata, vorliege. Damit befindet sie sich jedoch im Widerspruch mit
allgemeinen Grundsätzen über die Rechtskraft der Urteile. Mit ihrem ersten
Entscheide vom 11. Februar 1897 hat nämlich die Appellationskammer in
That und Wahrheit lediglich auf Grund
der damals vorliegenden thatsächlichen Verhältnisse eine Gerichts-
standfrage entschieden, nicht aber über den Strafanspruch materiell -
abgesprochen, mag das Urteil immerhin mit Rücksicht auf die Vorschrift
des § 900 des zürcherischen Rechtspflegegesetzes in die Form einer
Freisprechung gekleidet worden sein. Damit wurde bloss erkannt, dass
der Kompetenzgrund des § Z litt. & des Straf-s gesetzbuches nicht
vorhanden, weil die Strafthat nicht auf dem Gebiete des Kantons Zürich
begangen worden sei. Insoweit war der Entscheid rechtskräftig Sobald
aber neue kompetenzbegründende Momente hinzukamen, die im Zeitpunkte
der Ausfällung des ersten Entscheides noch nicht vorhanden waren, und
sobald dadurch ein anderer Kompetenzgrund geschaffen wurde, so konnte die
Appellationskammer die Behandlung der Sache nicht mehr durch Verweisung
auf das ergangene Urteil ablehnen, da dessen Rechtskraft sich eben auf
den neuen Kompetenzgrund nicht erstreckte. Dieser Schlussfolgerung
glaubt die Appellationskaminer dadurch entgehen zu können, dass sie
behauptet, durch den Entscheid vom 11. Februar 1897 sei nicht bloss eine
Gerichtsstandsfrage entschieden, sondern die Sache materiell beurteilt
worden. Mit Unrecht. Denn abgesehen davon, dass diese Auffassung eine
rein äusserliche, die Motive des Urteils ausser Acht lassende ist, würde
daraus doch nicht das gefolgert werden können, was dieAppellationskammer
daraus folgern wifi. Denn auch wenn man sich der Auffassung der letztern
anschliessen und den Entscheid vom 11. Februar 1897 als ein Urteil Über
die Strafbarkeit der eingeklagten Handlung betrachten wollte, so wäre
darin doch nurder Ausspruch zu erblicken, dass die Handlung deshalb
straslos sei, weil das Thatbestandsmerkmal der Begehung im Kanton Zürich
fehlte. Dann müsste aber weiter gesagt werden, dass seither ein neues
wesentliches Thatbeftandsmerkmal, das vorher noch nicht vorhanden war,
hinzugetreten sei, nämlich die Ablehnung der Strafverfolgung im Kant-m
Baselftadt, und es könnte deshalb der Eröffnung eines neuen Verfahrens-,
auch vom Standpunkte[. Rechtsverweigerung. N. 32. 185
der Appellationskammer aus, die Rechtskraft des frühem Urteils, die sich
nur auf den damals vorhandenen Thatbestand bezog, nicht entgegengehalten
werden. Danach erscheint der angefochtene Beschluss der zürcherischen
Appellationskammer schon nach der eigenen Gesetzgebung des Kantons Zürich
als eine Rechts-verweigerung. Wäre aber auch das zürcherische Recht nicht
so auszulegen, wie es hier geschehen ist, fo würden doch die gleichen
Erwägungen dazu führen, dass der vorhandene Jurisdiktionskonflikt,
auf dessen Lösung die Rekurrentin, ohne Rücksicht aus das tanto: nale
Recht, bundesrechtlich Anspruch hat, zu Ungunsten der Zürcher Gerichte
entschieden werden muss.
4. Auf die Frage, ob § Z des zürcherischen Strafgesetzbuches mit Art. 4
u. 60 der Bundesverfassung nicht vereinbar sei, braucht unter solchen
Umständen nicht eingetreten zu werden.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird als begründet
erklärt und es werden die Gerichte des Kantons Zürich unter Aufhebung des
Beschlusses der Appellationskaminer des zürcherischen Obergerichts vom
18. November 1897 angewiesen, auf die Beleidigungsklage der Rekurrentin
gegen Heinrich Tobler einzutreten.
32. Urteil vom 27. April 1898 in Sachen Gotthardbahngesellschaft und
Internationale Schlafwagengesellschaft.
Brite-being einerWirtsclmftspnientgeòii-IW ,für den Betrieb ven
Speisewagen auf schweizerischen Bee/men.
A. Am 13. April 1897 schloss die Gotthardbahngesellschaft mit der
Jnternationalen Schlafwagengefellschast einen Vertrag ab, wonach vom
1. Juni 1897 an vorläufig in den beiden Expres: zügen 41 und 58 zwischen
Basel und Chiasso und in den Schnellzügen 49 und 52 zwischen Luzern und
Chiasfo der Speisewagendienst in von der Schlaftoagengesellschaft zu
erstellenden Speise-
186 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.
wagen errichtet werden sollte. Aus dem Vertragsinhalte ist hervorzuhen:
Art, 15: Der Wirtschaftsbetrieb in den Restaurationswageu unterliegt
den zutreffenden gesetzlichen und polizeilichen Bestimmungen und es ist
die Schlaswagengesellschaft für Deren Befolgung verantwortlich Sie hat
auch allfällige mit dein Wirtschaftsbetriebe in den Restaurationswagen
verbundene öffentliche Steuern und Lasten irgend welcher Art selbst
zu sirragen." Art. 17: Die Handhabung der Bahnpolizeivorschriften in
den Restaurationswagen ist ausschliesslich Sache der Bahnbeamten." Die
Gotthardbahn bezieht 10 0/0 des Ertrages des Speisewagenbetriebes (mit
einigen Ausnahmen), und wenn der Jahresertrag per Tag und per Wagen
durchschnittlich 160 Fr. übersteigt, überdies 25 9/0 des Überschusses
(Art. 22). Endlich ist zu erwähnen, dass die Schlaswagengesellschast
für die ganze Dauer des Vertrages rechtliches Domizil in Luzern zu
nehmen hat (Art. 27 Abs. 2). Auf Grund dieses Vertrages betreibt die
Schlaswagengesellschaft den Wirtschaftsbetrieb vom genannten Tage an
in Regie.
B. Am 10. Juli 1897 fasste der Regierungsrat des Kantons Uri, nachdem
er die Direktion der Gotthardbahn eingeladen hatte, für den Betrieb der
Wirtschaft auf den kursierenden Schnellzügen um die Erteilung eines
Wirtschafispatentes einzukonirnen und die Direktion der Gotthardbahn
geantwortet hatte, sie habe der Internationalen Schlafwagengesellschaft
vom Inhalte des bezüglichen Schreibens Kenntnis gegeben, folgenden
Beschluss:
1. Für den Wirtschaftsbetrieb auf den Zügen der Gotthardbahn wird das
Patent erteilt gegen Entrichtung einer Jahres"tare von 800 Fr.
2. Diese Bewilligung gilt auf drei Jahre, nämlich bis den 31. Dezember
1899.
3. Für die Entrichtung der Tare ist die Gotthardbahngesellschast haftbar-,
so lange bis die Internationale Schlafwagen: gesellschaft nach Massgabe
von Art. 31 der Verfassung auf dem Gebiete des Kantons Uri Domizil
ver-zeigt und eine Zweigniederlassung nimmt.
C. Gegen diesen Beschluss hat namens der Gotthardbahngesellschaft und
namens der Jnternationalen Schlafwagengesellschaft Advokat Dr. Schaller
in Luzern rechtzeitig den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht
ergriffen, mit den Anträgen:I. Rechtsverweigerung. N° 32. 187
1. Die angefochtene Verfügung sei in ihrem ganzen Umsange auszuhe"ben.
2. Demnach sei die Rekursbeklagte nicht berechtigt, das Um-er
Wirtschaftsgesetz auf den Speisewagenbetrieb der Rekurrenten anzuwenden;
speziell sei sie nicht berechtigt:
a. die Rekurrenten zur Lösung eines Wirtschaftspatentes anzuhalten und
eine Patenttaxe zu fordern;
b. die Internationale Schlafwagengesellschaft zur Begründung einer
Zweigniederlassung im Kanton Uri anzuhalten;
c. die Gottharbahngeseltschaft für die Bezahlung der Patentturen
verantwortlich zu machen.
Der Rekurs wird darauf gestützt, der angesochtene Beschluss enthalte
eine Verletzung der Art. 4 u. 46 Abs. 2 B.-V., sowie des Art. 1
des schweizerisch-französischen Niederlassungsdertrages; und zur
Begründung wird vorgebracht: Zunächst stehe die Legitimation der
Gotihardbahngesellschaft ausser Zweifel, da sie direkt und indirekt
von der angefochteuen Verfügung betroffen werde, indirekt namentlich
deswegen, weil jede Belastung und Erschwerung des Speisewagenbetriebes
ihre Rückwirkung auf dessen Güte und Billigkeit habe und die Gotthardbahn
an einer guten und billigen Bedienung der Reisenden in den Speisewagen
in hohem Masse interessiert sei. Eine Verletzung der Rechtsgleichheit nun
liege in der Anwendung des Urner Wirtschaftsgesetzes auf die Rekurrenten
deshalb, weil es sich selbstverständlich nur aus Wirtschasten, die
in feststehenden Lokalitäten und im ganzen Umfange des Betriebes auf
Urner Gebiet bestehen und bei denen eine polizeiliche Aussicht und
damit eine stärkere Inanspruchnahme des Staates nötig sei, beziehe;
dieses Verhältnis treffe bei dem in Frage kommenden Speisewagenbetrieb
nicht zu, und eben in dieser Nichtberücksichtigung der verschiedenen
thatsächlichen Verhältnisse sei eine Verletzung der Rechtsgleichbeit
zu erblicken. Die Hastbarmachung der Gotthardbahn für die Bezahlung
der Patenttaxe sodann entbehre jeglichen gesetzlichen Grundes und
sei daher rein willkürlich. Die willkürliche Anwendung des Urner
Wirtschaftsgesetzes auf die Rekurrenten involviere auch eine Verletzung
des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages, der zutreffe,
weil die Internationale Schlafwagengesellschast ihren Hauptsitz in Paris
habe. Die Erhebung einer Patenttaxe verstosse endlich gegen
188 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.
das Verbot der Doppelbesteuerung, da die Gesellschaft für die Schweiz
in Basel Domizil genommen habe, dort der Sitz der kaufmännischen
und technischen Leitung des Schlafund Speisewagenbetriebes für die
Schweiz und damit auch das steuerrechtliche Domizil der Jnternationalen
Schlafwagengesellschast sich befinde; daher dürfe die Internationale
Schlafwagengesellschast in Uri nicht besteuert werden, es wäre denn,
dass sie dort eine Zweigniederlassung hätte; dies sei nicht der Fall,
und die Verzeigung eines Domizils im Kanton Uri wozu sie übrigens nicht
verpflichtet werden könnte vermöchte eine solche nicht zu begründen.
In der Patenttaxe könne in casu auch nicht etwa eine Gebühr erblickt
werden; denn als solche seien nur anzusehen besondere Abgaben an den
Staat, die ein Äquivalent für besondere erhöhte Leistungen des Staates an
den Einzelnen bilden; dies treffe beim Wirtschaftspatent im allgemeinen
zu, da der Staat hier eine vermehrte obrigkeitliche Aufsicht vorzunehmen
habe, nicht aber in concreto, da hier diese Aussicht nicht notwendig,
ja geradezu physisch unmöglich sei.
D. Einige Tage vor Eingabe des vorliegenden Rekurses an das Bundesgericht
hatten die Rekurrenten gegen den nämlichen Beschluss auch an den
Bundesrat wegen Verletzung des Art. 31 B.-V. rekurriert, indem sie die
Anträge stellten:
a.. dass die Rekursbeklagte nicht berechtigt sei, den Betrieb der
Speisewagen auf den Zügen der Gotthardbahn von ihrer Bewilligung abhängig
zu machen;
b. dass demnach die Rekurrenten nicht gehalten seien, hiesür bei der
Rekursbeklagten ein Wirtschaftspatent zu lösen und die geforderte
Patenttaxe von 300 Fr. zu bezahlen;
c. dass die internationale Schlafwagengesellschaft nicht gehalten sei,
im Kanton Uri Zweigniederlassung zu nehmen, Domizil zu verzeigen, die
Taxation ihres Gewerbes der dortigen Regierung anzugeben und Überhaupt
eine Erwerbssteuer zu bezahlen.
Das Bundesgericht beschloss, den vorliegenden Rekurs bis zur Erledigung
des beim Bundesrate eingereichten Rekurses zu suspendieren. Der Beschluss
des Bundesrates, der am 28. Januar 1898 erging, lautet nun:
1. Der Rekurs der Jnternationalen Schlafwagengesellschaft
und der Gotthardbahngesellschaft wird als unbegründet
abge-I. Rechtsverweigemng. N° 32. 189
wiesen, insofern die Rekurrenten den Regierungen der Kant-one Uri
und Tessin die Berechtigung zur Auslegung einer Patenttaxe für den
Betrieb der Speisewagen auf dem Gebiete dieser Kantone bestreiten. Die
Schlafwagengesellschast kann für den Speisewagenbetrieb auf der Linie
Basel-Chiasso bloss zur Entrichtung einer einzigen Patentgebtihr
verhalten werden, welche das in den Gesetzen der beteiligten Kantone
vorgesehene Maximum nicht liberschreiten und unter die beteiligten
Kantone gemäss gütlicher Ubereinkunst oder, mangels einer solchen, nach
Feststellung der zuständigen Bundesbehörde verteilt werden soll. Die
Schlafwagengesellschaft hat einem jeden der beteiligten Kantone den
ihm gebührenden Anteil zu bezahlen, sobald die Betrefsnisse festgesetzt
sein werden.
2. Der Rekurs wird als unbegründet erklärt, sofern er sich gegen die
Verpflichtung zur Domizilverzeigung im Kanton Uri richtet.
E. Die Regierung des Kantons Itri stellt in ihrer (nach Erlass
des bundesrätlichen Entscheides eingegangenen} Vernehmlassung die
Anträge: î. Die Gotthardbahngesellschaft sei als nicht legitimiert zur
Erhebung des Rekurses zu erklären, eventuell habe das Bundesgericht aus
ihren Rekurs wegen Jnkompetenz nicht einzutreten 2. 3. Der Rekurs der
Schlafwagengesellschaft gegen die Auferlegung einer Patenttaxe und der
Verzeigung eines Domizils im Kanton Uri sei als unbegründet abzuweisen,
alles unter Kosten: und Entschädigungssolge Zur Begründung seiner
materiellen Anträge bestreitet der Rekursbeklagte vorab die Behauptung
der Rekurrenten, das Urner Wirtschaftsgesetz finde nur auf ständig
im Kanton Uri betriebene Wirtschaften Anwendung, und verweist für das
Gegenteil daraus, dass der Restaurattonsbetrieb aus den Dampfbooten des
Vierwaldstättersees .ebenfalls einer Patentgebühr unterworer sei. Die
Antwortschrift weist sodann die weiteren Behauptungen der Rekurrenten
betreffend Nichtanwendbarkeit des Wirtschaftsgesetzes und Willkür zurück,
und führt endlich aus, in der Erhebung einer Patenttaxe liege keine
Verletzung des Verbotes der Doppelbesteuerung-
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
i....
2. Die Aktivlegitimation der Gotthardbahn wird vom Reine-sbeklagten mit
Unrecht bemängelt, denn Ziffer 3 des angefochtenen
190 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.
Beschlusses betrifft die Gottharbahn direkt und persönlich, so dass
sie nach Art. 178 Ziff. 2 Organis.-Gef., da sie Verletzung eines
verfassungsmässigen Rechtes behauptet, zur Beschwerdeführung legitimiert
erscheint.
3. Endlich erscheint auch die Komptenz des Bundesgerichts gegeben,
da die Rekurrenten die Verletzung dem Schutze des Bundesgerichts
unterstehender verfassungsmässiger Rechte behaupten. Dagegen wird
allerdings zu untersuchen sein, inwieweit nach dem rechtskräftigen
bundesrätlichen Entscheide vom 28. Januar 1898 für eine selbständige
Prüfung des Bundesgerichtes noch Raum bleibt.
4. Der erste Beschwerdepunkt der Rekurrenten betrifft die Unterstellung
der Jnternationalen Schlafwagengesellschaft unter das urnerische
Wirtschafts-gesetz speziell die Erhebung einer Patenttare: Diese
Massregel soll Art. 4 B.V., eventuell Art. 46 Abs. 2 eod., sowie Art. 1
des schweizeriseh-französischen Niederlassungsvertrages verletzen. Nun
ist durch den Beschluss des Bundesrates vom 28. Januar 1898 rechtskräftig
entschieden, die Erhebung der Patenttaxe verstosse nach der Art und
Weise des von der Jnternationalen Schlafwagengesellschaft thatsächlich
ausgeübten Gewerbebetriebes nicht gegen den Grundsatz der Handelsund
Gewerbefreiheit. Damit ist aber auch implicite die dem Bundesgericht
unterstellte Frage, ob darin eine Verletzung der Rechtsgleichheit
liege, in verneinendem Sinne entschieden; denn da die Verletzung der
Rechtsgleichheit einzig in der Anwendung des Urner Wirtschaftsgesetzes
liegen soll, dieser aber nach dem Entscheide des Bundesrates der
Verfassungsgrundsatz der Gewerbefreiheit nicht entgegensteht, kann auch
von einer Verletzung der Rechtsgleichheit keine Rede sein.
5. Was sodann die angebliche Verletzung des schweizerischfranzösischen
Niederlassungsvertrages, Art. 1, betrifft, so ist zunächst unerklärlich,
wiefo die Rekurrenten behaupten können, dieser Staats-vertrag finde
Anwendung, da die Internationale Schlaf: wagengesellschaft ihren Hauptsitz
in Paris habe, während doch in dem bei den Akten liegenden Auszug aus
dem Handels-registerdes Kantons Basetstadt (Eintrag vom ö. Oktober
1897) als Sitz der Gesellschaft Briissel angegeben ist In Frage kämen
so-!. Rechtsverweigerung' N° 32. 191
nach Art. 1 des Niederlassungsvertrages zwischender Schweiz und Belgien
vom 4..Juni 1887, in Kraft seit 1. Juni 1888 (Art. 8 des Vertrages und
Note dazu), sowie der Handelsvertrag zwischen diesen beiden Staaten
vom 3. Juli 1889. Allein eine Verletzung dieser Bestimmungen ist
nicht vorhanden, da durchaus klar ist, dass auch eine schweizerische
Gesellschaft, die den Speisewagendienst betreiben wollte, im Kanton Uri
mit einer Patenttaxe belegt werden dürfte und jedenfalls auch belegt
würde, wie auch daraus hervor-geht dass die Dainpsschifffahrtgesellschaft
des Vierwaldstättersees für ihren Wirtschaftsbetrieb der Patenttaxe
unterworer ist. Nach den genannten Staatsverträgen haben nun aber die
Belgier den gleichenik und nicht einen höhern Schutz zu beanspruchen,
wie die Schweizer.
6. Endlich verstösst die Erhebung der Patenttaxe auch nicht gegen das
bundesrechtliche Verbot der Doppelbesteuerung Denn vorab fehlt es an
dem Begriff der Steuer: die Patenttaxe stellt sich nicht dar als eine
Geldzahlung des Einzelnen, die ihm nach einem allgemeinen Massstabe
auferlegt wird, sondern als Entgelt für die besondere Inanspruchnahme
der Staatsgewalt bei der Konzesfion. Und sodann ist die Doppelbesteuerung
durch den Entscheid des Bundesrates vom 28. Januar 1898 ausgeschlossen.
7. Weiter-hin soll die verlangte Doniizilverzeigung eine Verletzung sowohl
des Art. 4 B.V., als des Art. 1 des Niederlassungsvertrages zwischen der
Schweiz und Frankreich enthalten. Allein hierüber steht dem Bundesgericht,
nachdem der Entscheid des Bunde-states am 28. Januar 1898 ergangen ist,
eine selbstständige Prüfung nicht zu. Denn der Rechtsgrund, aus welchem
die Domizilverzeigung verlangt wird, besteht im Gewerbebetrieb der
International-In Schlafwagengesellschaft auf dem Gebiete des Kantons Uri;
sie wird nur gefordert auf Grund des am. 31 der urnerischen Verfassung
Vom 6. Mai 1888, der seinerseits die Genehmigung des Bandes nur erhielt
unter Vorbehalt des Art. 31 B.-V. Die Domizilverzeigung hängt sonach mit
dem Gewerbebetrieb auf das engste zusammen; alles den Gewerbebetrieb
betreffende aber untersteht der Kizmpetenz des Bundesrates, nicht
derjenigen des Bundesgerichts. Ubrigens erscheint der Rekurs auch in
diesem Punkte durchaus unbegründet, da in keiner
192 Staatsrechtliche Entscheidungen, I. Abschnitt. Bundesverfassung.
Weise dargethan ist, dass Schweizer, die im Kanton Uri ein analoges
Gewerbe betreiben würden, nicht ebenso zur Domizilverzeigung verhalten
würden; gegenteils ist erstellt, dass die Dampfschifsfahrtgesellschaft
des Vierwaldstättersees in jedem der Uferkantone, also auch in Uri,
hat Domizil ver-zeigen müssen.
8. Zu erledigen bleibt noch der Beschwerdepunkt der
Gotthardbahngesellschaft, ihre Hastbarmachung für die Patenttaxe
verstosse gegen Art.4 SE.-B., weil er einen Willkürakt einer
Verwaltung-behörde Hilde. Auch dieser Beschwerdepunkt muss ais unbegründet
bezeichnet werden. Die Gotthardbahn ist es, die die Internationale
Schlafwagengesellschaft aus das Gebiet des Kantons Uri führt, ihr die
Betreibnng der Speisewagenwirtschaft auf diesem Gebiete erst möglich
macht; sie partizipiert sogar am Ertrage des genannten Betriebes,
steht mit der Jitternationalen Schlafwagengesellschaft in einem
Partizipationsverhältnis; unter diesen Umständen liegt darin, dass
sie als Vertreter der Jnternationalen Schlafwagengesellschaft haftbar
gemacht wird, kein Willkürakt, sondern eine durchaus sachgemässe und den
Verhältnissen angepasste Ausübung der Gebietshohett, die ihre Analogie in
manchen Gesetzen, z. B. in verschiedenen Wirtschaftsgesetzen, in denen der
Vermieter, der seine Lokalitäten zum Betrieb einer Wirtschaft vermieten
für die Patenttaxe haftbar gemacht wird, findet. Zudem ist zu bemerken,
dass die Hastbarmachung der Gotthardbahn nur eine provisorische ist,
und nun muss dem Regierungsrate, als der obersten Verwaltungsbehörde,
die Befugnis zum Erlass derartiger Verfügungen, die die Ausführung von
Gesetzen sichern sollen, gegenüber Personen, die seiner Gebietshoheit
unterstehen, zuerkannt werden.
9, Nach dem Gesagten ist der Rekurs, als nach allen Richtungen
unbegründet, abzuweisen.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen als unbegründet abgewiesen.L
Rechtsverweigerung. N° 33. 193
33. Urteil vom 18. Mai 1898 in Sachen schweizerische
Nordostbahngesellschaft und Mitri.
Gegenséandslosigkeit ein-es stacxtsrechtlicken Rekurses? Erschöpfung
des Kenntnis-kriege Instanz-erzeugen ? Kampetenz des Bundesgerickts als
S laatsgerichts/wf.
A. Zur Verhandlung in einem Forderungsstreite zwischen Johann Reinhart in
Bischofszell, Klager, gegen die schweizerische Nordostbahngesellschaft
in Zürich, Beklagte, erschien am 12. Februar 1898 vor Bezirksgericht
Frauenfeld als Vertreter der Beklagten Fürsprech P. Mitri in Zürich,
Adjtmkt des Rechtsbureaus der Nordostbahn. Zu seiner Legitimation
legte derselbe eine Spezialvollmacht der Nordostbahndirektion, sowie ein
aargauisches Animuspatent oor. Trotzdem beschloss das Gericht, es sei die
Vertretung des Fürsprech Mitri als unzulässig erklärt, die Verhandlung
sistiert und die beklagte Partei auf die nächste Gerichtssitzung perenne:
risch vorzuladen; ferner es zahle der Kläger die Gerichtskosten mit
24 Fr. 10 Cis., wogegen er bei der beklagten Partei 60 Fr. an die
Tages-kosten zu erheben habe. Der Beschluss wurde-wie der Rekursgegner
ansiihrt durch den Hinweis auf die §§ 133, 88 und 89 der thurgauischen
Civilprozessordnung und mit dem Bemerkten begründet, dass der Besitz
eines aargauischen Anwaltspatentes an und für sich noch nicht genüge,
um ohne weiteres vor den thnrg. Gerichten als Vertreter einer Partei
austreten zu können.
B. Gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Frauenfeld haben einerseits
die Nordoskbahngesellschaft, anderseits Fürsprech P. Müri rechtzeitig
den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht erklärt, indem sie
folgende rechtliche Gesichtspunkte geltend machen: Der Beschluss des
Gerichts, einen ständigen Angestellten der Centralverwaltung der beklagten
Gesellschaft, mit Spezialvollmacht versehen, nicht als rechtsgültigen
Vertreter derselben anzuerkennen, widerspreche der Bestimmung von §
35, al. 2 der thurg. Civil: prozessordnung und qualifiziere sich als
Rechtsverweigerung (Art. 4
_ B.-V.). Denn jene Bestimmung, wonach Korporationen ihre Ver-