STAATSREGHTLICHE ENTSGHEIDUNGEN ARRÈTS DE DROIT PUBLICErster
Abschnitt. Première section. Bundesverfassung. Constitution
fédérale. I. Rechtsverweigerung. Déni de justice.

1. Urteil vom 2. März 1898 in Sachen Schwab. Art. 185
B.-GEURs. betr. Schuldbei-reibung und Konkurs.

A. Am 10. Dezember 1897 erliess das Betreibungsamt BernStadt auf Begehren
der Firma S Neu in Cottbus an Handelsmann G. A. Schwab in Bern einen
Zahlungsbefehl auf Wechselbetreibung für einen Forderungsbetrag von 375
Fr. 80 Cfs. nebst Zins und Kosten. Der Betriebene erhob aus verschiedenen
Gründen Rechtsvorschlag Der zuständige Richter, der Gerichtspräsident
von Bern, verweigerte jedoch die Bewilligung desselben. Gegen dieses
Erkenntnis erklärte G. ASchwab die Appellation an den bernischen
Appellationsund Kassationshof. Dieser trat laut Entscheid vom 15. Januar
1898 auf die Appellation nicht ein mit folgender Begründung: Ist Art. 185
des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs ist allerdings

xxrv, 1. 1898 1

2 staatsrechtliehe Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

gegenüber einem Entscheide über die Berücksichtigung des Rechtsvorschlages
die Berufung an die obere kantonale Gerichtsinftanz vorgesehen; allein
diese Vorschrift ist nicht so zu verstehen, dass in allen Fällen die
Berufung stattfinden kann, vielmehr frägt es sich jeweilen, ob die
Streitsache nach kantonalem Rechte appelîabeî ist. Nun ist gemäss §§ 37
und 39 des hernischen Einführungsgesetzes und § 337 P. die Appellation
nur zulässig, wenn der Streitwert 400 Fr. til-ersteigt, oder die Sache,
abgesehen vom Streitwerte, als appellabel erklärt ist. Der für die
Kompetenzfrage massgebende Streitwert beträgt im vorliegenden "Falle
bloss 375 Fr. 80 Cis so dass die Appellation ausgesch10ssen ist (% 126 VJ

B. Gegen diesen Entscheid erklärte ©. A. Schwab den Rekurs an das
Bundesgericht wegen Rechtsverweigerung und Verletzung der Gleichheit
vor dem Gesetz mit dem Antrag: Es sei der von G. A Schwab eingegebene
Rechtsvorschlag zuzulassen und die Berufung zu gestatten, d. I). der
Entscheid des hernischen Appella"tions: und Kassationshoses sei aufzuheben
und dieser Gerichtshof anzuweisen, den Nechtsvorschlag des G. Qi. Schwab
materiell zu Beurteilen. Zur Begründung wird auf den vom Rekurrenten in
Sachen gegen die Gebrüder Spengler am 21. Januar 1898 erhobenen Rekurs
verwiesen.

C. Der Appellationsund Kassationshof des Kantons Bern

trägt auf Abweisung des Rekurses an.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Mit seinem Hauptantrag verlangt der Rekurrent vorn Bundesgericht eine
materielle Beurteilung der Frage, ob der von ihm erhobene Rechtsvorschlag
zu bewilligen sei. Aus ein solches Begehren kann das Bundesgericht als
Staatsgerichtshos nicht eintreten, da ihm als solchem nur zu prüfen
obliegt, ob ein kantonaler Erlass oder Entscheid verfassungsmässige
Rechte eines Bürgers verletze. Zudem fehlt für dieses Begehren jede
Begrünbung. Sollte aber der Hauptantrag dahin zielen, dass der bernische
Appellationsund Kassationshof zu verhalten sei, die Berusung zu gestatten,
so deckt sich derselbe mit dein in zweiter Linie gestellten Begehren

2. Was nun letzteres betrifft, so ist es zunächst
unrichtig,I. Rechtsverweigerung. L ° 'l. 3

dass der hernische Appellationshof kautonales, 'tatt eid en" " Rechts
angewendet habe. Er hat Vielmehr bei der Seligka der Frage, ob eine
Appellation gegen den erstinftanzlirhen Entscheid über die Bewilligung
des Rechtsvorschlages des Rekurrenten zulässig sei, den Art. 185 des
Betreibungsgesetzes beigezogen diesem aber allerdings die Auslegung
gegeben, dass danach das kantonale Recht für die Möglichkeit einer
Weiterziehung massgebend sei. Es kann sich deshalb bloss fragen, ob
diese Auslegung eine döllig haltlose, mit dem Wortlaut und dem Sinne des
Gesetzes nicht vereinbare sei und so eine Rechtsvermeigerung enthatte.
Dies ist jedoch zu verneinen. Art.185 lässt sich gewiss ohne Zwang
dahin interpretieren, dass darin nur die Frist für die Weiterziehung
bestimmt, nicht aber auch angeordnet werden wollte dass eine solche
überall gestattet werden müsse. Es läge hierin ein Eingriff in die dem
kantonalen Rechte überlassene Gerichtsorganisation, und es kann sehr wohl
gesagt werden, dass, wenn es die Meinung des Gesetzgebers gewesen ware,
eine so weit tragende Vorschrift aufzustellen, er auch eine hierüber
keine Zweifel zulassende Formulierung gewählt hätte. Die Auffassung
dass Art. 185 nicht unter allen Umständen, und abgesehen von den
kantonalen, gerichtsorganisatorischen und prozessualischen Besttmniungen,
eine Weiterziehung zulasse, hat denn auch in dem Kreis-schreiben des
eidgenössischen Justizdepartementes vom 17. Februar 1891 (B.-B. von 1891,
I, S. 372) Ausdruck gefunden und ferner in der Gesetzgebung verschiedener
Kantone zu positiven Beschränkungen des Berufungsrechtes geführt
(ng. Commentar Weber und Brüstlein zu Art. 185 des Betreibungsgesetzesl
Es liegt daher kein Verstoss gegen klares Recht vor, wenn der bermsche
Appellationshof erklärt hat, dass sich die Möglichkeit der Weiterziehung
nach kantonalem Prozessrecht bestimme. ss

3. Dass nun dieses eine andere Lösung der Frage zwingend fordere,
hehauptet der Rekurrent selbst nicht. Denn er sagt bloss es sei ausserst
fraglich, ob die Auslegung, die der bernischx Appellationshof demselben
gegeben hat, richtig sei. Schon nach den eigenen Ausführungen des
Rekurrenten kann somit sein Rekurs wegen Rechtsverweigerung auch in
dieser Hinsicht nicht geschutzt werden. Und in der That enthält der
angefochtene Ent-

cheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

' ' ° o enssi tliche Missachtung klaren Rechts Ezeelkchthkhtfoerkejiv
kgrliktte ;ffim1 egjegeuteil beruht derselbe aus enger durchaus
einleuchtenden und zutreffenden Argumentation uber te Bedeutung der
einschlägigen prozessrechtltchen Vorschriften

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

4 Staatsrechtliche Ente2. Urteil vom 10. März 1898 in Sachen
Schweizerische Kreditanstalt.

Kompetenzkonfl-ikt zwischen kantonalen Behörden; vor Austragung desselben
durch die zuständigen kantonalen Instanzen ist staatsrechtlicher Reims-s
net-sit zulasseg.

A. Das steuerpflichtige Einkommen der schweizerisrken grew: " '
Ürich wurde für das Jahr 1894 von er . euerWim m Z ' Fr. taxiert. Die
Kreditanstalt berief sich

kommi "ion auf 540,000 . , hiegegesu mit Eingabe vom 23. Januar 1895
an die Finanz-

direktion des Kantous Zürich auf amtliche Judentarjationisrgg dem
Begehren, das fteuerpflichtige Einkommen sur das Jahr

sei auf 390,600 Fr. anzusetzen; zur Begrunduug QMachte sie geltend,
die von ihr pro 1894 ausbezahlten aantiemen dvon 150,000 Fr. seien
nicht als steuerpflichtiges Einkommen, jon ern als mit Gewinnung des
Einkommens verbundene Unkosten dzu betrachten und deshalb von ihr nicht
zu versteuernDatinf er Schätzungskommissiou eine Verständigung uber
den· ls tei igen Punkt die Versteuerung der Tantienien nicht erzie
tywer en konnte, erklärte die Kreditanstalt bei der Finanzdtrektion
uni 28. November 1895 die Berufung aus die gerichtlicheHExherten:
kommission. Mit Verfügung vom 11. Dezember 189k wies lex; doch die
Finanzdtrektion diese Berufung aus dte Experten ommisfw

wegen Jnkompetenz der letztern ab und erklärte die Kreditanstalt

' ' ' ' steuerfür die von ihr aus-gerichteten Tantiemen
einkommensI. Rechtsverweigerung. N° 2. 5

pflichtig Diese Verfügung wurde vom Regierungsrate des Kantons Zürich,
an welchen die Kreditanstalt gegen dieselbe rekurvierte, mit Beschluss
vom 28. Mai 1897 bestätigt Die Begründung sowohl der Verfügung der
Finanzdirektion als auch des Beschlusses des Regierungsrates lässt
sich dahin zusammenfassen1 Die Frage, ob die Kreditanstalt die von ihr
bezahlten Tantiemen zu versteuern habe, erscheine als eine Frage der
Steuerpslicht; danach seien aber gemäss §§ 10 und 30 des zürcherischen
Gesetzes betreffend die Vermögens-, Einkommensund Aktivbiirgersteuer
nicht die gerichtliche Erpertenkommission, sondern Finanzdirektion und
Regierungsrat zuständig.

B. Nach dem Empfang der Verfügung der Finanzdirektiou vom 11. Dezember
1896 reichte die Kreditanstalt dem Bezirksgericht Zurich das Begehren um
Bestellung einer Expertem kommission direkt ein; das Gericht entsprach
dem Begehren trotz Einsprache der Finanzdirektion und das Qbergericht des
Kantons Zürich bestätigte diesen Entscheid durch Beschluss vom 10. Juli
1897. Das Obergericht sieht die streitige Frage nicht als eine Frage
der Steuerpflicht an, sondern als Frage nach dem Umsange und Werthe
des zu versteuernden Einkommens der Kreditanstatt, und hält deshalb
die Kompetenz der gerichtlichen Erwartenkommission, nicht diejenige der
Finanzdirektion und des Regierungsrates, als gegeben.

0. Mit Eingabe vom 10. August 1897 hat sodann die Kreditanstalt gegen
den Beschluss des Regierungsrathes vom 28. Mai 1897, wonach ihr die
Berufung auf die gerichtliche Erbe-tenkommission versperrt wurde,
den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen, mit der
Begründung, jener Beschluss involviere eine Rechtsverioeigerung

D. Der Regierungsrat des Kantons Zürich seinerseits hat gegen den
Entscheid des Obergerichtes vom 10. Juli 1897 Kassationsbeschwerde
beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereicht. Betreffeud
den staatsrechtlichen Rekurs der Kreditanstalt beantragt er Abweisung
desselben. Er bemerkt, er werde den Kompetenzkonslikt eventuell bis vor
den Kantonsrat bringen.

E. Replikaudo beantragt die Kreditanstalt in erster Linie, das

Bundesgericht möge seinen Eutscheid verschieben, bis das Kana-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 24 I 1
Datum : 02. März 1898
Publiziert : 31. Dezember 1898
Quelle : Bundesgericht
Status : 24 I 1
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : STAATSREGHTLICHE ENTSGHEIDUNGEN ARRÈTS DE DROIT PUBLICErster Abschnitt. Première


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