930 C.. Civilrechtspfiege.

und für den Antrag Bühler abgegeben worden sind, ergibt sich aus den Akten
nicht. Der Beweis-, dass sie auf das Ergebnis der Abstimmung einflusslos
gewesen seien, ist also auch hier nicht geleistet, und unterliegt demnach
auch dieser zweite Beschluss der gerichtlichen Aufhebung

8. Als irrtümlich ist endlich noch die von Seite der Beklagten
aufgestellte Ansicht zu bezeichnen, dass nicht bloss die Gültigkeit
einzelner Beschlüsse der Generalversammlung angefochten werden
könne. Wie bereits oben bemerkt, ist die statutengemässe Konstituierung
der Generalversammlung vom Kläger nicht angefochten worden. Jst dies
aber der Fall, so ist nicht einzusehen, weshalb die Anfechtung bloss
einzelner Gesellschaftsbeschlüsse wegen Teilnahme ungültiger Stimmen
nicht möglich, und ein Aktionär auch zur Anfechtung solcher Beschlüsse
verhalten sein sollte, zu denen er vielleicht selbst gestimmt hat,
oder an deren Anfechtung er überhaupt kein Interesse besitzt.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Klage wird gutgeheissen, und es werden daher die angefochtenen
Beschlüsse der Generalversammlung der Toggenburgerbahngesellschaft vom
25. Juni 1896 aufgehoben.

IX. Civilstreitigkeiten zwischen Bund. und Privaten. Difl'érends de
droit civil entre lasi Confédération et des particuliers.

127. Urteil vom 1. April 1897 in Sachen Walther gegen
"Schweiz. Eidgenossenschaft.

A. Johann Walther war seit dem Jahre 1890 bei der durch-

die Eidgenossenschaft betriebenen eidgenössischen Waffenfabrik in Bern
als Handlanger angestellt. Er hatte in dieser Stellung von Zeit zu Zeit
die oberhalb des Dampfkessels, ungefähr 2 Meter-

über dem Boden liegenden sog. Vorwärmer, zwei etwa 6
Meter-IX. Civilstreitigkeiten zwischen Bund und Privaten. N° 127. 93!

lange Röhren mit einer lichten Weite von circa 40 Centimeter zu
reinigen, Um in dieselben hineinzugelangen, benutzte er jeweilen einen
zusatnmenklappbaren, etwas über einen Meter hohen Steg, dessen einer
Schenkel unmittelbar an den Ofen, sei es aus eine dort in den Boden
eingelassene eiserne Stange, sei es ans ein eigens hergelegtes hölzernes
Brett zu stehen fam, Er musste dann von einem der obersten Tritte
des Steges aus mit dem Oberkbrper in die Vorwärmer hineinkriechen
und nach Beendigung der Arbeit mit den Füssen wieder den Steg zu
gewinnen suchen. Gleichzeitig mit den Vorwärmern wurde meistens auch
die unten am Ofen befindliche Feuerung gereinigt, deren Eingang in
einer von Röhren durchzogenen, etwa 12 Meter tiefen Offnung angebracht
ist. Letztere ist gewöhnlich mit einem eisernen Deckel zugedeckt; bei der
Reinigung der Feuerung muss dieser aber jeweilen entfernt werden. Als
am 5. November 1893 eine solche periodische Reinigung der Vorwärmer
und der Feuerung vorgenommen wurde, erlitt Walther einen Unfall, indem
er beim Hinauskriechen aus der einen Röhre, sei es, dass er mit dem
Fusse den Steg versehlte, sei es dass dieser rutschte, mit demselben
in die Vertiefung hinunterstürzte, wobei er verschiedene Verletzungen,
namentlich eine Jnfraktion des rechten Schienbeins erlitt. Er war
infolgedessen etwa 4 Wochen bettlägerig und konnte erst am 10. Januar
1894 wieder leichtere Arbeit verrichten. Während der Zeit befand er sich
in ärztlicher Behandlung des Dr. Koller, der ausser dem Unterschenkelbruch
auch eine Kontusion des rechten Kniegelenks konstatierte. Am i. Mai setzte
Walther die Arbeit neuerdings aus und begab sich für 4 Wochen in das
Zieglerspitalz die Zeugnisse des Anstaltsarzies lauten aus chrvnischen
Rheumatismus infolge alter Verletzung. Nachdem dann wieder ein Versuch
zur Aufnahme der Arbeit gemacht worden war, blieb Walther am 14. Juni
zum dritten mal aus, nachdem ihm am 13. Dr. Kollet ein Zeugnis mit der
Diagnose chronischer Rheumatismus der rechten Hüfte und des rechten
Beins ausgestellt hatte. Vom 26. Juli an wurde wieder gearbeitet. Nach
einem Zeugnisse des Dr. Ost vom 28. August trat jedoch infolge langen
Stehens bei der Arbeit eine Verschlimmerung am rechten Knöchel ein,
weshalb dem Walther vorwiegend sitzende Arbeit angeraten wurde. Am 12,
November gab Professor

932 C. Civilrechtspflege.

Girard auf Ansuchen der eidgenössischen Waffenfabrik über den Fall ein
einlässliches Gutachten ab, das zum Schlusse fam, der Knöchelbruch habe
eine Invalidität von 10 Osisssso zur Folge; bei der Untersuchung hatte
Walther auch über Schmerzen in der rechten Hüfte geklagt, wofür aber
keine objektiven Symptome gesunden werden konnten. Ein vom Patienten
selbst eingeholtes Zeugnis des Dr. Collon vom 13. Oktober 1894 tariert
die Jnvalidität für den Knöchelbruch auf % bis 1/5. Vom 22. Dezember
an setzte Walther die Arbeit wieder aus nachdem er am 21. beim Hebeii
eines Kübels mit Wasser und Gewehrbestandteilen plötzlich von einem
heftigen Schmerz in Kreuz und rechter Hüfte befallen worden sein
will. In der That konstatierte Dr. Kollet ain 22. Dezeinber lumbago
traumatica. Bevor Walther die Arbeit wieder aufnehmen konnte, erhielt
er am 19. Januar 1895 die Randi: gung auf 14 Tage, mit der Erklärung,
dass auf seine Dienste während der Kündigungsfrist verzichtet werde. Jm
Februar und März musste wieder ärztliche Hilfe des Dr. Koller in Anspruch
genommen werden. Ein Zeugnis von Dr. Vogt vom 7. März 1895 kommt zum
Schlusse, dass infolge der Veränderungen am rechten Knöchel und der
Schmerzen in der Kreuzgegend die Crwerbsfähigkeit des Walther um gut
2s3 vermindert, dass aber eine Besserung nicht ausgeschlossen sei. Eine
Untersuchung vom 26. August 1895 bestätigte den Befund vorn 7. März und
es erklärte deshalb Dr. Vogt den Zustand für bleibend. Walther hatte·
inzwischen mehrere Wochen, nämlich vorn 17. April bis 20. Mai 1895,
im Zieglerspital zugebracht Das Zeugnis des Anstaltsarztes vom 22. Mai
1895 lautet: Ischias nach traum. Lumhago entstandennur für leichtere
Arbeit fähig. Auch seither hat der Verletzte seine frühere Gesundheit
nicht wieder erlangt. ' 2. Während der Zeit, da Walther von der Arbeit
ausbliebwurde ihm von der Waffenfabrik gleichwohl der Lohn ausbezahlt Nach
der Kündigung wandte sich im Aufträge des Joh. ·Walther der beriiische
Arbeitersekretär, Dr. Wassilieff, mit Brief vom 21. Januar 1895 an die
Direktion der eidg. Waffenfabrik; er erhob darin für die Unfälle vom
5. November 1893 und 21. Dezember 1894 einen Entschädigungsanspruch
von 1590 2090 Fk Schon im Kündigungsschreiben vom 19. Januar hatte sich
dieIX. Civilstreitigkeiten Zwischen Bund und Privaten. N° 127. 933

Direktion der Waffenfabrik über die Ansprüche des Walther dahin vernehmen
lassen, dass sie den Unfall vom 21. Dezember 1894 nicht anerkenne,
dagegen betreffend den Unfall vom 5. November 1893 in Bestätigung
mündlicher Mitteilungen zu einem Vergleiche bereit sei und die mündlichen
oder schriftlichen Entschliessungen des Geschädigten innert 8 Tagen
erwarte. Sowohl dem Walther als seinem Mandaiar wurde sodann am 28. Januar
von der Direktion der Waffenfabrik geschrieben, dass auf der Kündigung
beharrt, dass aber ersterem für den Unfall vom November 1893 eine den
Umständen angemessene Unterstützung zur Verfügung gestellt werde für
die Zeit vom 5. Februar bis 31. März 1895 in der Weise, dass demselben
für diese Zeit der Taglohn für die Arbeitszeit ausbezahlt würde. Jm
Schreiben an Dr. Wassilieff wurde beigefügt, dass diese Unterstützung
auf Rechnung einer eventuellen Entschädigung geleistet werde und in
Bezug auf letztere bemerkt: Es war uns bis jetzt nicht möglich, uns mit
Walther zu verständigen und sind wir nunmehr zur Überzeugung gekommen,
dass es für beide Teile am besten sein wird, wenn diese Differenzen
sofort zur Entscheidung dem zuständigen Richter überwiesen werden, wie
dies Art 9 des Reglenients über die Arbeit in den Fabriken vorsieht.
Gestützt auf Eingaben des Dr. Wassilieff und des Advokaturbureaus Aebi
und Hamit, dem Walther die Vertretung seiner Interessen in dieser
Angelegenheit übertragen hatte, ordnete dann der Bundesrat an, dass
demselben auf Rechnung einer allfälligen Unfallentschädigung eine
monatliche Unterstützung von 60 Fr. vom 1. April 1895 auszurichten
sei. Hievon wurde dem Walther sowohl von dem Militärdepartement als von
der Waffenfabrik in ungefähr gleichlautenden Schreiben vom Juli 1895
Kenntnis gegeben. Gleichzeitig wurde die bereits am 15. Mai an Walther
gerichtete Aufforderung, baldigst seine Ansprüche gerichtlich geltend zu
machen, wiederholt Seither scheint Walther fortwährend die ihm bewilligte
Unterstützung bezogen zu haben.

C. Am 5._ April 1895 fand auf Ansuchen des Joh. Walther vor dem
Friedensrichter von Bern ein Aussöhnungsversuch zwischen ihm
und der eidg. Waffenfabrik über die Begehren statt, es sei die
Schweiz. Eidgenossenschaft schuldig und zu verurteilen, dein Kläger
betreffs der ökonomischen Folgen des ihm in ihrem Dienst

934 C. Givilrechtspflege.

zugestossenen Betriebsunfalls angemessenen Schadenersatz zu leisten, und
am 10. April wurde gemäss Vereinbarung der Parteien vor der nämlichen
Amtsstelle eine Vermittlung abgehalten. Eine Verständigung kam jedoch
nicht zu stande und es wurde deshalb dem Kläger das Recht geöffnet

D. Am 16. November 1895 nun reichte Joh. Walther gegen die
Schweiz. Eidgenossenschaft beim Bundesgerichte Klage ein mit dem
Rechtsbegehrem die Beklagte, als Unternehmerin der eidgenössischen
Waffenfabrik in Bern, sei schuldig und zu verurteilen, dem Kläger
angemessenen Schadenersatz zu leisten, unter Kostenfolge. Kläger habe
im Dienste der Beklagten, wird ausgeführt, zwei Unfälle erlitten,
am 5. November 1893 Und am 21. Dezember 1894; der erste habe in dem
Sturze mit dem Stege beim Putzen der Vorwärmer, durch den er am rechten
Fusse sowie in der rechten Kreuzund Hüftgegend verletzt worden sei,
der zweite darin bestanden, dass er, Klager, beim Tragen eines Kübels
mit Wasser, wohl deswegen, weil er noch nicht vollständig geheilt
gewesen sei, plötzlich so heftige Schmerzen in Kreuz-, Rückenund
Lendengegend verspürt habe, dass er den Kübel fallen gelassen habe und
zusammengebrochen sei. Für beide Unfälle sei die Beklagte haftpflichtigz
für den ersten habe sie ihre Haftpflicht wiederholt ausdrücklich und
durch konkludente Handlungen, wie Abschlagszahlungen auf Rechnung der
gerichtlich zu bestimmenden Schadenersatzsumme, Zahlung von Unfalllöhnen
während der Heilungsperiode, sowohl vor als nach dem 4. November 1894,
sowie auch im Laufe des Jahres 1895 anerkannt. Jnsolge der Unfälle sei
die Leistungsfähigkeit des Klägers dauernd um 40 OXz vermindert, und es
habe Beklagte den daherigen Ausfall, der auf über 3000 Fr. bezifsert wird,
zu ersetzen.

Die Beklagte erhob in ihrer Antwort gegenüber dem Anspruch aus dem
ersten Unfalle zunächst die Einrede der Verjährung, da seit dem Unfalle
bis zur Anbringung der Klage mehr als ein Jahr verflossen und da der
Aussöhnungsund Vermittlungsversuch im vorliegenden Falle nach dem
Bundesgesetze vom 22. November 1850 nicht erforderlich gewesen sei
und auch die Verjährung nicht habe unterbrechen können. Ferner wurde
geltend gemacht- der Unfall sei auf ein Selbstverschulden des Klägers
zurückzufüh-IX. Civilstreitigkeiten zwischen Bund und Privaten. N°
127. 93.5

zen, indem dieser den Sturz hätte vermeiden können. Speziell wird
bestritten, dass Walther bei seinem Unfalle vom ö. November 1893 die
rechte Hüftund Kreuzgegend verletzt habe und dass seitens der Beklagten
eine Anerkennung der Haftpflicht stattgefunden habe: Da zum erstenmale
eine Entschädigungsforderung im Briefe des Dr. Wassiliefs vom 21. Januar
1895 erhoben worden sei, habe die Beklagte keinen Anlass gehabt, vorher
die Haftpflicht anzuerkennen, und die dem Kläger später ausgerichteten
Beträge seien ausdrücklich als Unterstützungen geleistet worden in dem
Sinne, dass wenn gerichtlich der Anspruch des Klägers geschützt würde,
dieselben von der Entschädigungssumme in Abzug zu kommen hätten. Der
nämliche Charakter komme auch den Lohnzah-

klungen zu, die die Beklagte dem Kläger für die Beit, da er nicht

arbeiten konnte, in den Jahren 1893 und 1894 geleistet habe. Was den
zweiten Unfall betrifft, so behauptet die Beklagte, dass man es gar
nicht mit, einem solchen zu thun babe; es handle sich höchstens um einen
sog. Herenschuss, wofür schon das geringe Gewicht des Wasserbehälters,
sowie der Umstand spreche, dass Kläger keinerlei äussere Verletzungen
erlitten babe. Eventuell wird bestritten, dass der jetzige Zustand des
Klägers, der sein Übel zudem stets übertrieben habe, die Folge der beiden
Unfälle sei und behauptet, derselbe sei für dieselben schon hinlänglich
entschädigt und deshalb abzuweisen

Jn der Replik bemerkt der Kläger zu der Verjährungsfrage, es sei
Voraussetzung der Klageverjähruug, dass die Unfallanzeige {und
zwar Formular B) zuständigen Orts eingereicht worden und dass
seit der Einreichung mehr als drei Monate verstrichen seien; diese
Behauptungen habe die Beklagte gar nicht aufgestellt und es schwebe ihre
Verjährungseinrede daher in der Luft; namentlich aber werde neuerdings
betont, dass die Haftpflicht durch die geleisteten Zahlungen anerkannt
und damit die Verjährung unterbrochen worden sei, und ferner den Anbringen
der Beklagten betreffend die Bedeutung des Sühneund Vermittlungsversuchs
gegenüber bemerkt, dass der Kläger von jenem Zeitpunkte an innert
Jahresfrist vor den bernischen Gerichten hätte klagen können, und dass
das Bundesgericht erst dadurch zuständig geworden sei, dass man die
Forderung auf über 3000 Fr. bezisfert babe. Auch die Ein-

936 C. Civilrechtspflege.

rede des Selbstverschuldens und die übrigen Verteidigungsanbringen
werden bestritten.

' In der Duplik wird gegenüber dem Einwand; dass die VerJährungseinrede
in der Luft hänge, weil nicht behauptet sei, dass. die Unfallanzeige
eingereicht und dass seither mehr als drei Monate verflossen seien,
angebracht: Nach Zeerleder, die schweizerische Haftpflichtgesetzgebung,
S. 136, gelten die vom Kläger angeführten Bestimmungen nur für
die unter das erweiterte Haftpflichtgesetz fallenden Gewerbe und
Unternehmungen, also nicht-für die dein Bandes-gesetz vom 25. Brachmonat
1881 unterstellte eidgenössische Waffenfabrik. Zudem hätte der Kläger
gegenüber derVersährungseinrede behaupten und beweisen sollen, dass
ein Fall verspätete-: oder nicht erfolgter Anzeige nach Art. 8 des
Bundesgesetzes vom 26. April 1887 vorliege. Eine solche Behauptung set
aber gar nicht aufgestellt worden. Sie wäre auch nicht richtig gewesen;
denn es habe der damalige Direktor der eidg. Waffen fabrik die Anzeige des
Unfalls vom 5. November 1893 am 21 gl. Monats nach Formular A -Formular
B komme nicht in Frage erstattet.

E. Die Beweisführung hat, was gerade den letztern Punkt betrifft,
die Behauptung der Beklagten erwahrt. Aus derselben ist [in
übrigen herauszuheben das Resultat der medizinischen Expernie, die
im Einverständnis der Parteien dem Professor Dr. Niehans in Bern
übertragen worden ist Diese geht dahin, es seien bei Walther zwei
Affektionen auseinander zu halten: 1. Der Bruch des rechten innern
Knöchels, der durch den am 5. November 1893 gethanen Sturz verursacht
worden sei und einedauernde Invalidität von 10 0/0 zur Folge habe;
2. Die Erkrankung der rechten Hüfte resp. des Kreuz-Darmbeingelenkes,
die Neigung zur Abheilung zeige, aber einstweilen noch bestehe undeine
erhebliche Störung der Arbeitsfähigkeit bedinge. Es erhebt sich nun,
fährt der Bericht fort, die Frage, ob dieses Leiden ebenfalls als Folge
des Unfalls vom 5. November 1893 aufzufassen sei oder nicht. Wir müssen
hier gleich bemerken, dass der sog. zweite Unsall vom 21. Dezember
1894 nicht als Unfall, sondern als Krankheitserscheinung aufzufassen
ist, als eine sog. Lumbago, ing. Herenschuss, als Symptom einer schon
vorhandenen"IX. Civilstreitigkeiten Zwischen Bund und Privaten. N°
127. 937'

Erkrankung jener Körpergegend. Nach Zusammenstellung desbezüglichen
Materials kommt dann der (SE;-perte zum Schlusse, erstehe nicht an, sich
dahin auszusprechen, dass die fragliche Erkrankung eine direkte Folge
des ersten Unfalls vom 5. November 1893sei; dass sie erst so spät in
Erscheinung getreten, habe bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände
nichts besremdendes, wasdann noch näher begründet wird. Diese Auffassung
kommt denn auch in den Antworten des Experten auf die einzelnen Fragen
der Parteien zum Ausdruck. Hievon ist hervorzuheben die Antwort auf
Frage 5 des Klägers, ob das Vorkommnis vom. 21. Dezember 1894 nicht
auf ein Trauma zurückzuführen sei, welches in den Nachwirkungen des
ersten Unfalls und der darauffolgenden angestrengten Berufsthätigkeit
seine Erklärung finde: Dieses Vorkommnis ist unserer Erfahrung nach
durch eine schon damals bestandene Kreuz-Hüftbeingeienkerkrankung
zu erklären, deren Ursprung wir auf den Unfall vom 5. November 1893
zurückzuführen geneigt sind, sowie die Antworten auf die Fragen B 2 und 7
der Beklagten, ob es sich vorliegend bei dem Vorkommnis vom 21. Dezember
1894 nicht höchstens um einen Hexenschuss, eine rheumatisch aufgetretene
Lumbago gehandelt habeund ob dies nicht eine Krankheitserscheinung und
nicht ein Unfall sei, die lauten: Ja, um einen sog. Herenschuss, aber
nicht rheu-smatischer Natur, sondern durch momentane Verschiebung der
Gelenkfläche des Kreuz-Darmbeingelenkes höchst wahrscheinlich bedingt,.
und: Ja, eine Krankheitserscheinung, nicht ein Unfall. Es bestehe,
schliesst das Gut-achten, zur Zeit noch eine beträchtliche Verminderung
der Arbeitsfähigkeit, weniger infolge der Störung am Fuss, als vielmehr
infolge der Hüfterkrankungz der daherige Ausfall habe während der
Beobachtungszeit zwischen 4/3 und W geschwankt.

F. In heutiger Verhandlung wiederholen die Parteianwälte dieschriftiich
gestellten Begehren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Kläger erhebt an die Beklagte zwei Entschädigungsansprüche,
den einen ans dem Unfall, der ihm am 5. November1893 zugestossen ist,
den andern aus dem Vorkommnis vom 21. Dezember 1894. Was nun zunächst
den zweiten dieser An-

:*938 G. Civilrechtspflege.

sprüche betrifft, so hat die Beklagte von Anfang an bestritten,
Edass man es mit einer durch den Betrieb der Fabrik herbeigeführten
Verletzung im Sinne des Fabrikhastpflirhtgesetzes zu thun habe Und in
der That kann das Vorkommnis nicht als ein Unfall saualisiziert werden,
für deren Folgen die Beklagte nach Mitgabe des erwähnten Gesetzes
dem Kläger gegenüber ersatzpslichtig ware. Die Gesundheitssiörung,
die letzterer am 21. Dezember 1894 erlitten hat, kann nämlich nach dem
medizinischen Sachverständigen nicht auf die Einwirkung einer Gewalt
von aussen her, der Walther bei seiner Arbeitsverrichtung ausgesetzt
gewesen wäre, zurücksgesührt werden, sondern es stellt sich dieselbe als
eine allerdings plötzlich eintretende Verschlimmerung einer bestehenden
innern Ertkrankung dar. Zwar besteht zwischen dieser Erkrankung und dem
Betrieb der Fabrik nach dem (Experten auch ein ursächlicher Zusammenhang;
allein nicht in der Weise, dass dieselbe die Folge eines damals, bei ihrem
Auftreten, von aussen schädigend aus den Körper des Klägers einwirkenden
Einflusses gewesen ware, sondern so, dass die Erkrankung, die dann am
21. Dezember 1894 eine akute Wendung nahm, höchst wahrscheinlich aus
den Verletzungen sich entwickelt hat, die der Kläger bei dem Unfall
vom 5. November 1898 erlitten hatte. Es kann somit das Ereignis vom
21. Dezember 1894 nicht als ein für sich schon einen Hastpflichtanspruch
begründender Betriebsunsall angesehen werden, sondern es fällt diese
Veränderung im Gesundheitszustand des Klägers lediglich als Symptom
einer Gesundheitsschädigung in Betracht, Tdie als Folge des Unsalls vom
5. November 1893 zu betrachten, die jedoch, weil sie sich nur langsam
entwickelte, längere Zeit unbeachtet geblieben ist.

2. Dem aus dem ersten und einzigen Betriebsunsall hergelei'teten
Anspruch des Klägers gegenüber nun erhebt die Beklagte vorab die Einrede
der Verjährung Zur Substanziierung dieser Einrede genügte die nicht
bestrittene Aufstellung, dass seit der Verletzung bis zur gerichtlichen
Geltendmachng des Anspruches mehr als ein Jahr verflossen sei (Art. 12
des Fabrikhastpslichtgesetzes). Dagegen brauchte die Beklagte nicht auch
weiter noch zu behaupten und zu beweisen, dass sie ihrer Pflicht zur
Crstattung der Unfallanzeige nachgekoinmen und dass seit diesem Zeitpunkte
mehrIX. Civilstreitigkeiten zwischen Bund und Privaten. N° 127. 939

oals drei Monate verflossen seien. Zwar nicht deshalb, weil die Bestimmung
in Art. 8 des erwähnten Hastpslichtgesetzes vom "2-6. April 1887, wonach
bei verspäteter Anzeige die Versahrungs-

srist erst drei Monate nach Einreichungder Anzeige Kablaufh Tut; Ansprüche
aus dem frühem Hastpslichtgesetze vorn Lo. vBrachmona

1881 nicht gelten würde. Denn es ist diese Ansicht-die allerdings
von Zeerleder, die schweiz. Hastpflichtgesetzgebung (S.136) ver:
treten wird, in die bundesgerichtliche Praxis nicht ubergegangen;
vielmehr ist dieselbe in dem Urteile i. Ssi Ase-Its gegen Bucher und
Durrer (Amtl. Saminl., Bd. XVII, ©. (51, Erw. Z) ausdrücklich verworfen
worden, Und hieran ist auch heute lfestzuhalten Sondern deshalb, weil
die Behauptung-stund Beweislast dasur, dass die Verjährungssrist wegen
Säumnis in der Erstattung der Unfallsanzeige nach Art. 8 des erweiterten
Haftpflichtgesetzes erst später, als ein Jahr nach der Verletzung,
abgelauer sei, dem Kläger obliegt. An diesem ist es, einer vom Petiagten
erhobenen Verjährungseinrede gegenüber repijcancio diejenigen Einwendungen
zu erheben, mittels deren geltend gemacht werdennwilL dass beson-. dere
Umstände den Ablauf der ordentlichen Versahrungssrist gehemmt haben. Es
kann also nicht gesagt werden, datz die Beklagte ihre Verjährungseinrede
ungenügend substanzuert habe, wohlcbader liegt aus Seite des Klägers
ein derartiger Mangel hinsichti , per aus Art. 8 des erweiterten
Hastdslichtgesetzes hergeleitetenv Einwendung vor, indem derselbe
nicht einmal behauptetc dass die Udu: sallanzeige derart verspätet
erstattet worden ser, das; dadutchDer Ablauf der Verjährungsfrist
hinausgeschoben worden ware. er Einwand wäre übrigens auch thatsächlich
nahe-gruner Zunachsr ist dies-bezüglich festzustellen, dass unter der
Unfallanzeige im kann}; des Art. 8 des erweiterten Haftpflichtgesetzes
das Formular ·derselben zu verstehen ist, da dieses die eigentliche
amtliche Bitterkilung des Unsalls enthält, während das Formular B din
înisse die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen dîs Unsa t", Tor

die Art der Erledigung des Hastpflichtansvruchs den zus an laden Behörden
zur Kenntnis zu bringen-, Thatsachen, die alled ins sîr Regel erst
einige Zeit nach dem Unsaile selbst eintretendller se gestellt werden
können. Und nun ist die eigentliche Uigsa vanzeige auf Formular A,
die zu den Akten gebracht wurde, ereits am

940 C. Givilrechtspflege.

23. November 1893, d. h. so rechtzeitig eingereicht worden, dass von einer
Erstreckung der Verjährungssrist gemäss Art. 8 in fine des erweiterten
Haftpflichtgesetzes nicht die Rede sein kann.

?. Der Kläger wendet der Einrede der Verjährung gegenüberwelter ein,
dass letztere unterbrochen worden sei, und zwar macht er geltend,
es habe eine solche Unterbrechung durch Anerkennung und durch den
Aussöhnungsund Vermittlungsversuch vor dem. Friedensrichter von Bern
stattgefunden. Rechtlich sind beide Einwendungen statthaft Denn
es gelten für die Unterbrechung derVerjährung der Ansprüche aus
dem Fabrikhaftpslichtgesetze, wiedas Bundesgericht schon mehrfach
ausgesprochen hat, (vergl. z.B., Umts. Samml., Bd. XIX, S. 422) die
allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes speziell also am. 154,
der als Unterbrechungsgründe die Anerkennung des Anspruchs und die
Anhebung der Betreibung durch Klage, der die Ladung zu einem amtlichen
Sühneversuch gleichgestellt ist, angibt. Thatsächlich ist nun aber
während der Verjährungsfrist der Anspruch weder an:erkannt noch im Sinne
von Art. 154, Ziffer 2 O.-R. gerichtlich geltend gemacht worden. Was
vorab den letztern Punkt betrifft, so haben der amtliche Sühneund der
Vermittlungsversuch erst am 5. und 10, April 1894, d. h. nach Ablauf
der einjährigen Verjährungsfrist stattgefunden, und es braucht deshalb
auch die Frage nicht geprüft zu werden, ob im Hinblick darauf, dass die
eigentliche Klage in einem Verfahren erhoben wurde, das einen amtlichen
Aussöhnungsversuch nicht kennt, jenen Vorgängen die Wirkung von die
Verjährung unterbrechenden Thatsachen wirklichzukomme. Unter Anerkennung
im Sinne von Art. 154, Ziffer 1 O.-R. sodann muss zweifellos eine Handlung
oder ein Verhalten des Beklagten verstanden werden, woraus sich ergiebt,
dass derselbe eine Schuldverpflichtung als bestehend annimmt Es genügt
nicht, dass aus gewissen Erklärungen oder andern positiven oder negativen
Willensäusserungen des Beklagten gefolgert werden farm, dass ver die
Thatsachen, aus denen der Anspruch hergeleitet wird,. zugestehe, sondern
es muss sich daraus ferner ergeben, dass sich derselbe auch wirklich als
rechtlich verpflichtet betrachtet. Nur einer, in einem solchen Verhältnis
zum fraglichen Anspruch stehenden, rechtsgeschäftlichen Anerkennung
kann die Wirkung eines die Ver -1x. ijilstreitigkeiten Zwischen Bund
und Privaten. N° 127. 941

jährung unterbrechenden Vorganges beigemessen werden. Davon nun aber,
dass in dieser Weise die Beklagte den Anspruch des Klägers auch
nur grundsätzlich anerkannt habe, kann vor-liegend nicht gesprochen
werden. Allerdings hat dieselbe während mehr als einem Jahre nach dem
Unsall dem Kläger auch für die Tage, da er von der Arbeit wegblieb,
den Lohn ausbezahlt Dafür jedoch, dass dies deshalb geschehen sei, weil
sie sich zur Leistung einer Entschädigung für rechtlich verpflichtet
gehalten hätte, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Und die Thatsache
der Zahlung allein genügt für eine solche Annahme nicht. Denn dieselbe
kann ebensowohl in der Absicht, eine moralische Pflicht zu erfüllen, oder
in dem Mitleid mit dem Verunglückten seinen Grund haben. Würde aus der
Thatsache solcher Zuwendungen geschlossen, dass der Betriebsunternehmer
damit seine Haftpflicht anerkannt habe, so wäre die Folge die, dass
überall da, wo derselbe seine Schuldpslicht bestreiten zu können glaubt,
derjenige, der in erster Linie in der Lage ist, zu helfen, seine Hilfe
versagen würde, und dass deshalb oft gerade den dringlichsten Bedürfnissen
des Verletzten nicht begegnet werden könnte. Es liegt daher im Interesse
der Arbeiter selbst, dass aus der Thatsache der Auszahlung des Lohnes
nach dein Unfall allein eine Anerkennung der Schuldpflicht seitens des
Unternehmers nicht gesolgert werde.

Es sind auch dem Kläger in dem auf den Unfall folgenden Jahre nicht
etwa ausser den Lohnbeträgen noch andere Zahlungen geleistet worden,
die als auf-Rechnung einer Unsallentschädigung aus-gerichtet betrachtet
werden könnten. Und die tnonatlichen Raten von 60 Franken, die ihm
vom 1. August 1895 an zugehalten worden sind, wurden ausdrücklich
stets als Unterstützungen bezeichnet, die auf Rechnung einer
eventuellen oder allsälligen Entschädigung geleistet wurden, was
offenbar dahin zu verstehen ist, dass dieselben für den Fall, dass
der Entschädigungsanspruch des Klägers anerkannt werde, von der ihm
zuerkannten Entschädigungssumme in Abzug zu bringen seien. Unter allen
Umständen könnte eine Anerkennung der Haftpflicht nur bis auf den Betrag
der wirklich geleisteten Summe angenommen werden; denn eine Verpflichtung
zu weitern Leistungen wurde dadurch jedenfalls abgelehnt, dass der Kläger
aufgefordert wurde, seine Ansprüche gericht-

942 c. civilrechtspklege.

lich einzuklagen (vergl. Amtl. Samml., Bd. XVII, S. 747). Eine solche
Anerkennung konnte aber doch nicht genügen, um die Verjährungsfrist des
Art. 12, F.-H.-G. zu unterbrechen Diese Bestimmung beruht zweifellos
auf dem Gedanken, dass Haftpflichtansprüche, um den Unternehmer
nicht zu zwingen, in ihrer Höhe noch unbestimmte Forderungen in seine
Geschäftsbilanz einzusetzen, möglichst bald liquidiert werden, und damit
wäre die Annahme, dass die Verjährungsfrist durch die blosse Leistung
von Zahlungen in kleinern Beträgen auch für eine grössere Summe infolge
Anerkennung unterbrochen merde, nicht vereinbar. Es erweist sich somit
auch diese Einwendung gegen die Verjährungseinrede der Beklagterr als
unhaltbar und es erscheint somit letztere als begründet.

4. Hieran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass die Folgen des
Unfalls zum Teil erst später zu Tage getreten sind. Der Wortlaut des
Art. 12 des Fabrikhaftpslichtgesetzes lässt, besonders wenn er in
Vergleichung gesetzt wird mit Art. 69 O.-R., die Auslegung nicht zu,
dass die Verjährungssrist erst dann zu laufen beginne, wenn alle
Schadenssaktoren für den Geschädigten erkennbar geworden sind. Es
darf also dieser mit der Erhebung seines Anspruchs nicht zuwarten, bis
alle Folgen desUnfalls klar vorliegen, wie zur Evidenz aus Art. 8 des
Gesetzes hervorgeht, wo dieser Fall vorgesehen und dafür die spezielle
Vorschrift aufgestellt isf, dass im Urteil, wenn die Folgen des Unsalls
bei der Ausfal{ung noch nicht genügend klar vorliegen, die Erhöhung der
Entschädigung vorbehalten werden kann.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Klage wird abgewiesenD. Entscheidungen der Schuldhetreibungs-ss
und Konkurskammer.

Arrèts de la Chambre des poursuites.

et des faillites.

128. Entscheid m 8. April 1897 in Sachen. Heer-Stapfer.

I. Auf Ansuchen des Jacques Heer-Stapfer erliess die Arrest-D behörde
Basel am 6. Januar 1897 gegen Henri Stüssi-Trümpi in: Genf für eine
auf einen Verlustschein sich stützende Forderung-; von 18,985 Fr. 80
WB. einen ArrestbefehL worin alsArrestgegenstande die auf 1. Januar
1897 fälligen Renten ab den Policenr Nr. 372, 401, 372, 402 und 372,
403 der Equitable;bezeichnett waren, und am gleichen Tage wurde der
Arrest auf diese Gege =stände durch das Betreibungsamt Basel vollzogen
Namens derEheleuke Stüssi-Trlnnpi beschwerte sich Dr. Hans Albrecht in:;
Basel mit Eingabe vom 18. Januar 1897 gegen die ihm am S,. mitgeteilte
Arrestnahme Erstlich gehe der Arrestbefehl von einer sunzuständigen
Behörde aus: derselbe könne nur an dem Orte:v ausgestellt werden, wo die
zu verarrestierenden Vermögens-stärkesich befinden und als solcher sei
Genf, wo die Gläubiger wohnten, zu betrachten; jedenfalls hätte hier der
Arrest vollzogen werdensollen. Weiter aber seien die fraglichen Renten
den Ehegatten Stüssi-Trüm"pi von der Mutter des Ehemannes als unpfändbar
bestellt worden, wofür auf die Kopie eines Brieer der Fran;
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 23 I 930
Datum : 01. April 1897
Publiziert : 31. Dezember 1897
Quelle : Bundesgericht
Status : 23 I 930
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 930 C.. Civilrechtspfiege. und für den Antrag Bühler abgegeben worden sind, ergibt


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