480 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt., Bundesverfassung.

Kanton Wallis aus-gestellten Befähigungsausweis die Ausübung des Berufs
auch im Kanton Bern gestattet werden musziess ohne dass von ihm die
Answirkung eines bernischen Patente-Z verlangt werden konnte, so darf
ihm auch nicht die Gebührr, von welcher die Erteilung eines solchen nach
den im Kanten Bern bestehenden Vorschriften abhängig ist, abgefordert
werden. Vielmehr ist er kraft eidgenössischer Vorschrift berechtigt,
ohne dass es eines hoheitlichen Aktes der zuständigen Behörde des
{Kantons Bern bedürfte, seinen Beruf auch hier auszuüben, und erscheint
die Auflage einer Patentgebühr, die nur da gefordert werden kann,
wo ein Patent wirklich erforderlich istsf als verfassungswidrig Damit
ist nicht gesagt, dass nicht zum Zwecke der Kontrolle die Anmeldung des
Returrenten bei der bernischen Aufsichtsbehörde für die Anwälte verlangt
werden könne; und ebensowenig ist dadurch der Bezug einer mässigen
Kanzleigebühr ausgeschlossen Denn selbstverständlich ist der Petent den
Vorschriften polizeilicher und fiskalischer Natur des Kantons unterworfen,
in dem er seinen Beruf auszuüben gedenkt, sofern dadurch nicht etwa die
verfassungsmässig garantierte Freizügigkeit illusorisch wird.

3. Für die Ausübung der medizinischen Berufsarten ist diese Auffassung in
der bundesrechtlichen Praxis stets festgehalten worden (ogs. v. Salis,
Bundesrecht, Bd. IV, Nr. 1619 bis 1621a, und Geschäftsbericht des
Bundesrates pro 1895, B.-Bl. 1896, I, S. 882). Allerdings ist die
Freizügigkeit der· Medizinalpersonen insofern anders geordnet, als für
dieselben ein eidgenöffischer Befähigungsausweis besteht, gestützt auf den
sie hn ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft zur Ausübung ihres Beruf-Es

zugelassen werden müssen. Trotzdem aber ist mit Bezug auf die _

Erhebung einer Patenttaxe die Frage hier keine andere, als wie bei
den übrigen wissenschaftlichen Berufsarten, bei denen den Kantonen die
Erteilung eines Befähigungsausweises noch vorbehalten ist. Es tritt im
letztern Falle lediglich an Stelle des eidgenöfsischen ein kantonaler
Aus-weis dem nach Bundesrecht die gleiche Kraft gegenüber den die
freie Berufsansiibung hemmenden Vorschriften anderer Kantone zukommt,
und es kann deshalb auch bei den wissenschaftlichen Berufsarten, für
die ein eilsgenössischer Befähigungsausweis noch nicht besteht, die
FreizügigkeitIII. Ausübung der wissenschaftlichen Berui'sarten. N° 70. 481

von Kanton zu Kanton durch die Anwendung der Vorschriften über die
Patentierung innerhalb des Kantons aus Inhaber von Patenten eines andern
nicht erschwert werden, wiewohl zuzugeben isf, dass unter Umständen eine
der Billigkeit nicht entsprechende, bessere Behandlung der letztern
gegenüber den, um ein eigenes Patent des betreffenden Kantons sich
bewerbendeu die Folge der gegenwärtigen Ordnung der Dinge sein kann.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen begründet erklärt.

70. Urteil vom 5. Mai 1897 in Sachen Brunnen

A. Dr. jur. Albert Brunner, aus Solothurn, hat im Jahre 1886 in
seinem Heimatkanton nach bestandenem Eramen und Erfüllung der übrigen
dies-bezüglich durch das kantonale Recht aufgestellten Erfordernisse
das Fürsprecherund Notariatspatent erhalten. Seit dem Jahre 1893
praktiziert Dr. Brunner als Advokat in Basel. Er beabsichtigte nun,
auch das dortige Notariatspatent zu erwerben, und nachdem ihm dies auf
dem Wege der Ablegung der nach dem baselstädtischen Notariatsgesetz
vom 6. Dezember 1869 geforderten Prüfung nicht gelungen war, wandte er
sich unter Verlegung seines solothurnischen Notariatspatentes an den
Regierungsrat des Kantons Baselstadt, die zur Erteilung von

_ solchen Patenten im dortigen Kanton zuständige Behörde, mit

dem Gesuche, er möchte, gestützt auf Art. 31 und 333 B.-V·, sowie Art. 5
der Übergangsbestimmungen dazu zur Ausübung des Notariats in Baselstadt
zugelassen werden. Laut Beschluss vom 5. Dezember 1896 wurde jedoch
dieses Gesuch abgewiesen.

B. Nun ergriff Dr. Brunner den staatsrechtlichen Rekurs an
das Bundesgericht wegen Verletzung der Art. 83 B.-V. und 5 der
Übergangs-Bestimmungen dazu. Nach einer Darstellung über die Organisation
und den Geschäftskreis des Notariats in den Kantonen Solothurn und
Baselstadt, wird des längern auseinander-

XX... _ 1897 31

482 A. staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt;fiundesvert'assnng.

gesetzt, dass dasselbe im Gegensatz zu Thätigkeiten, bei denen es im
wesentlichen auf technische Fertigkeiten ankomme, als wissenschaftliche
Berufsart zu betrachten sei, die in der Ausübung eines Teils der
nichtstreikigen Rechtspflege bestehe. Dann müsse aber gemäss Art. 5
der Ubergangsbeftimmungen zur Bundesverfassung jeder Kant-on, der
die Institution eines freien Notariats besitze, den Notaren anderer
Kant-one die Ausübung des Berufs auf sei nem Gebiete gestatten, und
bleibe nur zu untersuchen, ob das Notariat des Kantons Baselstadt eine
staatliche Beamtuug sei oder nicht. Nun sei, wird weiter, in Anlehnung
besonders an Laband, Staatsrecht, Bd. I, § 44, ausgeführt, das wesentliche
Begriffsmoment eines Beamten das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis
zum Staate, b. h. die Vepflichtung des Staates, den Beamten in Ausübung
seiner Dienstpflicht zu schützen, und die Verantwortlichkeit für die
gesetzmässige Handhabung der Amtsgewalt einerseits, die Erfüllung der
Beamtenpflichten andrerseits. Unerheblich für den Begriff des Beamten sei
es, ob die Geschäfte, die einem solchen obliegen, obrigkeitlicher oder
technischer Natur, ob sie höherer oder niederer Art seien, ob für die
Verrichtungen eine Besoldung bezahlt werde oder nicht, und dass die Notare
unter der Kontrolle und Disziplinargewalt staatlicher Behörden stünden und
im Verzeichnis der Behörden und Beamten des Kantons Baselftadt aufgezählt
seien. Auch wenn angenommen würde-, dass die Thätigkeit des Notars, als
Ausübung eines Teils der freiwilligen Gerichtsbarkeit im weitern Sinne,
staatlicher Natur sei, so sei dies doch für die Beamtenqualität nicht
entscheidend. Und wenn ferner auch in § 16 des Notariatsgesetzes von
einer Ernennung des Notars die Rede sei, so sei darunter doch sachlich nur
eine Patenterteilung, eine Bewilligung zum Gewerbebetrieb zu verstehen,
womit die Ausdrucksweise in § 7 des Prüfungsreglements vom 8. Februar
1870, wo von Empfehlung zur Erteilung des Notariats gesprochen werde,
und § 28 des Gesetzes, der von Entziehung des Notariats rede, sowie die
Auskäudigungsformel: Dein Herrn . . . . ist . . . . das Diplom eines
öffentlichen Notar-s verliehen worden", und der Wortlaut des Patente-s
selbst übereinstimme. Es fehlen denn auch bei der Ernennung eines Notar-s
die begleitenden Umstände, die sonst bei einer Wahl regelmässig vorhanden
seien. DieIII. Ausübung der wissenschaftlichen Berussarten, N° 70. 483

Zahl der Notare sei nicht, wie die der Beamten, eine feste, und es
finde eine vorherige Ausschreibung nicht statt; die Ernennung geschehe
und müsse geschehen auf Vorschlag des Justizkollegiums, das wiederum
an die reglementarischen Vorschriften gebunden sei. Ferner sei darauf
hinzuweisen, dass es Notar-e gebe, die ihren Beruf nicht ansüben, und dass
sie überhaupt zur Ausübung desselben weder allgemein noch in einzelnen
Fällen angehalten werden können, da der Notar keine Amtsgewalt besitze
und andrerseits keinen Amtsschutz geniesse, indem strafbare Handlungen
gegen den Notar nicht strafbare Handlungen gegen einen Beamten seien,
dass derselbe nicht vom Staate honoriert werde, auch keinen Anspruch auf
Pensionierung, kein Amtslokal, keinen Amtssitz und Kreis habe und an
keinerlei Vorschriften über Angestellte oder Bureau: stunden gebunden
sei. Der Notar sei ferner auchnicht kautionspflichtig, wie andrerseits
der Staat für denselben nicht verantwortlich sei. Ein Hauptpunkt, der
dafür spreche, dass die Notar-e keine Beamten seien, bestehe darin,
dass dieselben einander Konkurrenz machen, wie die Konkurrenten aller
andern freien Gewerbe und wissenschaftlichen Berufsarten. Ferner sei
auch auf § 178 des Strafgesetzbuchs des Kantous Baselstadt zu verweisen,
wo die Bestimmungen über Verbrechen von Beamten auf gewisse speziell
aufgezählte Nichtbeamte, so auch auf die Notare, ausgedehnt würben.
Überhaupt stelle sich das Notariat weder nach Entstehung, noch nach
Inhalt und Endignng als ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis dar,
und sei denn auch der Notar im Gesetze vom 6. Dezember 1869 nirgends
als Beamter bezeichnet. Schliesslich sei auch noch auf den Ratschlag
zum Entwurf des genannten Gesetzes zu verweisen, worin die Gründe dafür
angegeben feiert, weshalb man davon abgesehen habe, ein eigentliches
Amtsnotariat einzuführen, wie denn auch darin ausdrücklich das im
Gesetze vorgesehene als ein freies Notariat bezeichnet worden sei. Daraus
ergebe sich, dass das Notariat im Kanton Baselftadt nicht als kantonale
Beamtung organisiert, sondern als freier wissenschaftlicher Beruf zu
betrachten sei, dessen Ausübung bloss abhängig sei von der Erfüllung der
gesetzlich geforderten Requisite: juristische Prüfung, 24. Altersjahr,
Aktivbürgerrecht,v Leultnund Bezüglich des ersten Erfordernisses müsse
nach Art. 5 der Ubergangsbestim-

484 A. Staatsrechtliche Entseheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

mungen zur Bundesverfassung das solothurnische Für-sprechen und
Notariatspatent des Rekurrenten als genügender -Fähigkeitsausweis
angesehen werden. Dass die Übrigen Reauisite vorhanden seien, werde nicht
bestritten. Zum Schluss wird auf ein Gutachten von Professor Dr. Meili
in Zürich verwiesen. Nebenbei wird auch ohne nähere Begründung Art. 4
der Bundesverfaffuug als verletzt bezeichnet. Der Antrag geht dahin,
es fei, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, der Regierungsrat
des Kantons Baselstadt anzuweisen, dem Reknrrenten die Bewilligung zur
Ausübung des Notariats im Kanton Baselftadt zu erteilen.

Jn einem Nachtrag zieht Rekurrent feine Erörterungen in solgende Sätze
zusammen:

1. Das Notariat ist, wie die Advokatur, eine kantonale Schöpfung

2. Der Notar in Basel ist kein Staatsbeamten sondern ein gewerbetreibender
Privatmann

3. Der Notar hat kein öffentliches Amt; feine Thätigkeit ist nicht
staatlicher Natur, wenngleich sie unter den Begriff der freiwilligen
Gerichtsbarkett im weitern Sinne fällt. Und wenn sie auch staatlicher
Natur wäre, so bliebe sie doch Gegenstand des Gewerbes eines Privatmannes,
da das Notariat in Basel nicht als Beamtung organisiert ist.

4. Das Notariat ist eine wissenschaftliche Berufsart und hat somit
Anspruch auf Freizügigkeit.

C. Der Regierungsrat des Kantons Baselftadt trägt in seiner Vernehmlassnng
auf Abweisung des Reknrses an, indem darauf abgestellt wird, dass die
notarielle Thätigkeit eine öffentliche sei und die Notare in Ausübung
dieser Thätigkeit denCharakter von Beamten hätten, über die den Kantonen
das ausschliessliche Recht der Gesetzgebung zustehe. Dass das Gesetz
für diese öffentlichen Funktionen das Requisit einer wissenschaftlichen
Bildung aufstelle, das durch ein Exainen nachzuweisen sei, andere hier-an
nichts, ebensowenig wie das Fehlen einer firen Befoldung oder der Ersatz
derselben durch Sporteln und die Lebenslänglichkeit der Anstellung Dagegen
sprachen alle übrigen über die Ernennung und Amtssührnng der Notare
bestehenden gesetzlichen Vorschriften für den öffentlich-rechtlichen
Charakter ihrer Thätigkeit und ihre Eigenschaft als Beamte, wofür auf
die §§ 1, Z, 4, 5, 11, 13, 15, 16,Hi Ausübung der wissenschaftlichen
Berufs-arten. N° 70. 485

22 ff. des Notariatsgesetzes und gg 101 und 105 der Einliprozessordnung
verwiesen wird. Bezüglich der Ernennung wird beigefügt, dass nirgends
vorgeschrieben sei, dass der Regierungsrat jeden Bewerber, der von der
Justizkommission empfohlen werde, ernennen müsse, und ferner angebracht,
dass nicht nur die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über Verbrechen
von Beamten auf Notare Anwendung finden (EUR 178 des Strafgesetzbuchs),
und dass demgemäss wer unbefugt das Notariatsgewerbe ausube, gematz §60
leg. cit. wegen Anmaszung eines Amtes bestraft werde, sondern dass auch
Beschimpfung, üble Nachrede und Verleumdung gegen Notare in Ansiibung
ihres Berufes oder In Bezug auf ihren Beruf nach §§ 129, 130 und 131,
Abschnitt 2 des Strafgesetzbnches als Beamtenbeleidigung bestraft werde
und dass demnach die Strafoersolgung auf Antrag der Staatsanwaltschaft
stattfinde, nicht, wie bei den gewöhnlichen Beleidigungen, auf Privatklage
des Verletzten hin. Alle Übrigen Merkmale, die der Rekurrent anführe,
seien ein Ausfluss der freien Organisation des Notariats im Kanten
Baselstadt, im Gegensatz zu dein Amtsnotariat, vermöchten aber den
Charakter des Instituts nicht zu verändern. Ein Gutachten von Professor
von Salis in Basel, das der Regierungsrat seiner Vernehmlafsung beigelegt
hat, kommt zu folgenden Resultaten:

1. Das Notariat ist keine private Thätigteit und deshalb weder ein
Gewerbe noch ein Beruf im Sinne der Bundesverfafsungz das Notariat
ist vielmehr ein öffentliches Amt, der Notar verrichtet staatliche
Geschäfte, er besorgt einen Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit (der
Justizverwaltung). .

2. Ob dem Notar Beamteneigenschaft zuerkannt wird oder nicht, ist für
das Wesen seiner Thätigkeit nicht entscheidend; vielmehr ist aus der
Art und Weise dieser Thätigkeit selbst ihr Wesen zu bestimmen _ ss .

3. Die Organisation der kantonal-staatlichen Geschafte ist Sache der
Kantonez von Bandes wegen ist daher nichts dagegen einzuwenden, wenn die
Kantone einen Teil der Justizverwaltungssachen als Notariatsgeschäfte
organisieren: Sie können,. muser aber nicht, einen besondern
Notariatsdienst einrichten-; sie konnen den Notar in die allgemeine
Beamtenhierarchie eingliedern, sie konnen

486 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassunss D.

ihm aber auch eine freiere Stellung einräumen, selbst eine solch Stellung,
die dem Notariate ein gewerbeähnliches Ansehen ibtE Trotzdem findet weder
Art. 31, noch Art. 33 der BundesveEfaF sung auf das Notariat Anwendung
.4'. Und daher besteht auch für die Notare keine sog. Freizügigklett
in der Schweiz im Sinne des Art. 5 der Üb;isgairgs: bestimmungen zur
Bundesverfassung Kraft Bundesrecht kann kein Kamen gezwungen werden,
den in einem andern Kanten patennette? Notar in seinem Gebiet als
Notar anzuerkenneni und zur Ausubung des Notariats zuzulassen, vor
Erfüllung der von ihm selbst aufgestellten Notariatsrequisite Das
Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Kompetenz des Bundesgerichts
ist gegeben, da der Returrent behauptet, durch den angefochtenen
Beschluss des Regierungsrats des Kantons Baselstadt in dem Rechte der
Freizüaigfett der wissenschaftlichen Beruf-sauern wie es in Art. 5 1.der
Ubergangsbestimmungen zur Bundesverfassung dem Inhaber eines kantonalen
Befähigungsausweises gewährleistet ist, ver-ietzt zu sein _z. Wenn
scheu über die Ausübung der wissenschaftlichen Be; rufsarten besondere
verfassungs-rechtliche Normen aufgestellt worden stndz so beruht doch
auch die Ordnung dieser Materie auf dem gleichen Gedanken, wie der
in am. 31 der Bundesverfassung ausgesprochene Grundsatz der Handels-:
und Gewerbefreiheit dem Gedanken nämlich, dass die Erwerbsthätigkeit
durch kantonale Schranken nicht gehemmt werden darf, dass vielmehr die
Bürger in dieser Richtung tm Gebiete der Eidgenossenschaft Freizügigkeit
geniessen seiten. Es zeigt sich dies deutlich man, dass in Absatz 2 des
Art. 33 B.-TF., nachdem in Absatz 1 den Kantonen es vorbehalten worden
ist, die Ausübung der genannten Berufsarten von einem Llusweiseder
Befähigung abhängig zu machen,die Schöpfung eines erdgenössischen
Befähigungsausweises in Aussicht genommen und dass in Art.:") der
Übergang-sbestiminungen inzwischen dem Inhaber eines von einer kantonalen
oder einer Konkordatsbehörde ausgestellten Ausweifes bundesrechtlich
für die Ausübung feines Berufs das Gebiet der ganzen Eidgenosseuschaft
erschlossen wurde. Nun kann sich aber die Garantie der Freizügigkeit der
wissenschaftlichen Bernfsarten, wie von Handel und Gewerbe, naturge-HL
Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarien. N° 70. . 487

mäss nur ans die privatwirtschaftliche Thätigkeit der Bürger beziehen,
während die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, soweit dieselbe wenigstens
staatlich organisiert ist, nicht darunter fällt. Dies folgt schon
daraus, dass anzunehmen ist, es habe die Bundesverfassungs, weil nicht
ausdrücklich Ausnahmen statuiert sind, die Art und Weise der Vesorgung
der den Kantonen überlassenen Zweige des staatlichen Lebens vollständig
diesen Überlassen wollen Jst es aber ausschliesslich Sache der Kam-me,
festzusetzen, wie sie ihre Hoheitsrechte ausüben wollen, so kann es
sich auch nur nach dem internen kantonalen Staats-rechte beurteilen,
unter welchen Voraussetzungen jemand zur Besorgung einer organisierten
staatlichen Thätigkeit zuzulassen sei. Somit kann sich jemand, der zu
dieser Thätigkeit Zutritt zu erlangen wünscht, auf eine blindesrechtliche
Vorschrift, die ihn der Erfüllung der kantonalen Requisite entheben würde,
nicht berufen und trifft insbesondere die Garantie der Freizügigkeit Von
Handel und Gewerbe bezw. der wissenschaftlichen Berussarten hier nicht zu.

3. Mit Recht wird denn auch in der Rekursschrift, wie in der
Vernehmlassung das Hauptgewicht auf die Frage verlegt, ob das Notariat
als eine freie wissenschaftliche Berufsart, oder ob dasselbe nicht
vielmehr als organisierter Zweig der staatlichen Thätigkeit zu betrachten
sei. Hierüber nun ist zu bemerken: Überall, wo ein Notariat besteht,
ist dasselbe dazu berufen, bei gewissen Rechtsgeschästen mitzuwirken,
"ei es obli atori·ch, ei es kut 'v, und wird dann in letzterm Falle
den betreffenden rechtsgeschäftlichen Wien, wenn sie unter Mitwirkung
eines Notars zustande gekommen sind, eine bestimmte höhere Autorität
beigemessen; überdies geniessen auch notarielle Bescheinigungen über
einzelne, rechtlich relevante Thatsachen eine erhöhte Glaubwürdigkeit. Es
befriedigen somit die notariellen Funktionen in bestimmtem Umfange
das staatliche Interesse der Ordnung im Rechtsieben, und zwar reihen
sich dieselben unter den Begriff der sog. nicht streitigen Rechtspflege
oder freiwilligen Gerichtsbarkeit ein. Es wird als Ausgabe des Staates
betrachtet , nicht nur in autoritativer Weise über Rechtsstreitigteiten
zu entscheiden und retnedierend gegen Einbriiche in die Rechtsordnung
aufzutreten, sondern auch durch Mitwirkung staatlicher oder staatlich
bevollmächtigter Organe bei der Begrün-

488 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt, Bundesverfassung.

dung, Änderung oder Auflösung von Rechtsverhältnissen die Rechtssicherheit
zu erhöhen und in dieser Weise Rechtsverletzungen oder Verdunkelungen
vorzubeugen Wie die streitige, ist aber auch diese nichtstreitige
Rechtspflege ein Zweig staatlicher Justizverwaltung, und wer dazu
berufen isf, übt eine staatliche Funktion aus-. Es handelt sich somit
bei der Erteilung des Notariatspatentes oder der Ernennung zum Notar
nicht allein um die Erklärung, dass der Ausübung dieer Beruer durch den
Petenten gewerbepolizeilich kein Hindernis entgegenstehe, vielmehr liegt
darin auch die Verleihung einer gewissen staatlichen Machtbefugnis, und
es sind deshalb die Notare, wie die übrigen Organe der nichtstreitigen
Rechtspflege als Träger eines Teils der Staatsgewalt und in diesem Sinne
als Staatsbeamte aufzufassen. Dies trifft insbesondere auch zu für das
basetftädtische NotariatH § 1 des Notariatsgesetzes vom 6. Dezember 1869
weist in den Geschäftskreis der Notare alle Geschäfte der nichtftreitigen
Rechtspflege soweit dieselben nicht den Gerichten oder adminiftrativen
Behörden vorbehalten find. Völlig klar tritt der staatliche Charakter
der Notar-e ferner hervor in § 2 des Gesetzes, wo ihnen neben bestimmten
Weisungen über die Ausübung ihrer spezifischen Berufspflichten die
Aufgabe überbunden wird, bei Fallitnentsmassen, zu deren Besorgung sie
von den Gläubigern ernannt werden, mit den Kuratoren das beste der Masse
nach Sage der Civilprozessordnung in gleicher Weise zu wahren, wie es
den Gerichtsund Bezirksämtern obliegt, und ferner überhaupt bei allen
Verrichtungen darauf zu achten, dass der Staat nicht um die gesetzlichen

Gebühren verkürzt werde. Es kann danach keinem Zweifel unter--

liegen, dass auf den Notar in Baselstadt, alsTräger staatlicher
Hoheitsrechte, die nur für freie Gewerbe geltenden verfassungsrechtlichen
Bestimmungen über die Ausübung wissenschaftlicher Be- rufsarten nicht
zutreffen. Allerdings mag der Zufammenhang gerade der wichtigsten
notariellen Thätigkeit, der Verurkundung von Privatverträgen, mit
der Staatsverwaltung etwas locker erscheinen. Allein auch diesen
Verrichtungen wohnt ein hoheitliches Moment inne, indem nach gg 105 und
107 der baselftädtischen Civilprozessordnung den notariellen Urkunden
eine erhöhte Beweiskraft zuerkannt ist, welcher Vorzug sich nur daraus
rechtfertigt,Ill, Ausübung der wissensch-sittlichen Berufsarten. N°
70. 489

dass der Urkundsperson eine höhere, vom Staateabgeleitete Autorität
beigemessen wird. Es sind denn auchkdie Votare hinsichtlich ihrer
strafrechtlichen Verantwortlichkeit fur ihre Verrichtungen den Beamten
gleichgestellt (g 178 des basb Strafgesetzbuches),und es wird ferner auch
nach einer Mitteilung derStaatsanwaltschaft von Baselstadt den Rotaren
gegenüber Angriffen auf die Berufsehre in gleicher Weise ein erhöhter
strafrechtlicher Schutzn gewahrt, wie den Beamten, indem Strafverfolgung
in solchen Hallen auch aus Antrag des Staatsanwaltes und nicht blon
auf Privatllage hin eintritt. Wird aber daran festgehalten, dass das
Notartat axe organisierte staatliche Thätigkeit ist, so kommt darauf,
day tte Notare nicht in geschlossener Zahl ernannt werden, und dagusrlrer
ihnen die Geschäftsverteilung sich nach den Regeln und Zum Ig: keiten
der sog. freien Konkurrenz richtet, dcc-[3eine Pflicht zur Ausübung des
Berufs nicht besteht, dass zeitlich derselben keine Schranken gesetzt
sind und dass die Honorierung der lVerrichttggen nicht aus Staatsmitteln
oder Sporteln geschieht, nichts any-euer dafür, dass man es mit einer
wissenschaftlichen Berussart tm Sinne des Uff. 5 der Übergangsbestimmungen
zur Bundesversassung nicht zu thun hat, ist entscheidend der Umstand,
dass das Notariat als solchesbestimmte staatliche Aufgaben zu erfullen
hat, so dass sicht dasselbe als Glied des zur Staatsverwaltung berufenen
und gnder erforderlichen Staatshoheit ausgeftattetenYehordew undgxssi e:
amtenorganismus darstellt (vergl. auch die Dissertation von ertheau über
Niederlassungsfreiheit, Gewerbefretheit und politische Stimmberechtigung,
S. 96 f. u. S. 175-unten). Danach erscheint aber die Berufung des
Rekurrenten auf "Diet: 5 der Ubergangsbesiimmnngen zur Bundesversassung
als verfehlt und seineleej schwerde als triebe-gründet Wieso nämlich
der angefochtene Besch us des baselftädtischen Regierungs-raisi,
wie·ebenfalls, allerdings Thne nähere Begründung, geltend gemacht wird,
gegen den Ernanatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze verstossen
soll, ist vo tg unerfindhck}. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird abgewiesen

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Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 23 I 481
Datum : 05. Mai 1897
Publiziert : 31. Dezember 1897
Quelle : Bundesgericht
Status : 23 I 481
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 480 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt., Bundesverfassung. Kanton


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
notar • bundesverfassung • regierungsrat • bundesgericht • strafgesetzbuch • brunnen • notariatsgesetz • freiwillige gerichtsbarkeit • charakter • funktion • zahl • stelle • handel und gewerbe • eidgenossenschaft • strafbare handlung • frage • ei • weisung • entscheid • fähigkeitsausweis
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