40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

selbständig, und nicht lediglich mit Bezug auf das in Anspruch genommene
Pfandoder Retentionsrecht, urteilen würden, oder wenn die Erekution eines
solchen Urteils in anderes Vermögen als das im Pfandoder Retentionsnerus
verhaftete gesucht werden wollte, aus dem Wege des staatsrechtlichen
Rekurses vor das Bundesgericht gebracht werden kann (vgl. den Entscheid
des Bundesgerichtes in Sachen Schmid, Amtl. Samml., Bd. IV, S. 551
sf.). Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

3. Gerichtsstand in Erbschaftssachen. For en matière de succession.

10. Urteil vom Z. März 1897 in Sachen si Ackermann.

A. Am 19. Januar 1894 verstarb in Wolfny, Kantons Solothurn, wo sie auf
Besuch bei ihrer Tochter Anna Ackermann geb. Pliiss weilte, die Witwe Anna
Plüss geh. Hnnziker, gebürtig von Rothrist, Kantons Aargau, und wohnhaft
am gleichen Orte. Im Jahr 1895 wurde zwischen ihren Erben (Kindern und
Kindeskindern resp. deren gesetzlichen Vertretern) ein Erbteilungsvertrag
entworfen, in welchem n. a. der Tochter Anna Ackermann als Vorempfang
angerechnet wurden 424 Fr. 05 (W., an erhaltenem Brautdrossel," 31 Fr. 70
(Sis. für ersteigerte Fahrhabe Und 2907 Fr. für von der Erblasserin
erhaltene Baarvorschüsse. Anna Ackermann bezw. ihr Ehemann Erhard
Ackermann, von und in Wolfwyl, Kantons Solothurn, weigerte sich, den
Entwurf des Teilungsvertrages zu unterzeichnen, da sie den ihr berechneten
Vorempfang bestritt. Am 3. Februar 1896 richteten daher die übrigen Erben
an sie die rechtliche Aufforderung, die genannten Vorempfänge anzuerkennen
und sich diese auf ihrem Erbteil ans der Erbschaft der Mutter Anna Plüss
geh. HunzikerIV. Gemchtsetand. 3. In Erhschaftssachen. N° 10. 41

anrechnen zu lassen. Auf diese rechtliche Aufforderung erwiderte
fürsprech Adrian von Arr in Olten, namens des Eheznannes Ackermann-Plüss,
als Vertreter seiner Ehefrau, am 14. Febrnar 1896: 'l. chkermann-Plüss
anerkenne von Frau Anna Ying: . Hunziker sel. für Rechnung des Erbteiles
seiner Ehesrau Anna Äckermanti-Plüss erhalten zu haben: &) an Aussteuer
(Brautfuder) für 424 Fr. 05 Cité; b) für ersteigerte Fahrhabe 31 Fr. 70
Cis-. 2. Er bestreite die namhaft gemachten Vorempf3tnge von 1000 Fr. und
1907 Fr., und behalte sich Zspalle Emreden betreffend Gerichtsstand und
in was sie sonst bestehen wogenc sur den Fall des Prozesse-Z ausdrücklich
vor. Die Erben Pluszklieszen nun den Eheinann Erhard Ackermann-Plüss
vor das Friedensrichteramt Rothrist vorladen zur Verhandlung über die
Rechtsbegehren, er sei gehalten, die in der rechtlichen Aufforderung
genannten Vorempsänge anzuerkennen und diese ans seinem (resp. seiner
Ehefrau) Erbteil aus der Erbschaft der Mutter Anna Plüss geb. Hunziker
anrechnen zu lassen. Der Beklagte bestritt im Friedensrichtervorstand
vom 27. Februar 1896, die in der Aufforderung genannten 2907 Fr. als
Vorernpsang erhalten zu haben und erklärte, weiter in nichts eintreten
zu wollen. Nunmehr stellten die Erben Plüss am 11. März 1896 beim
Gerichtspräsidenten von Zosingen das Editionsbegehren, Anna Ackermann:
Plüss sei pflichtig zu erklären, das Hausbuch der Frau-Witwe Anna Pliiss
geh. Hunziker zn edieren; sie behaupteten: Sie seien genötigt, gegen die
Jmpetratin eine Klage einzureichen mit folgenden Schlüssen: Dieselbe sei
zu verurteilen, anzuerkennen, daszc sie folgende Beträge: a) im April 1891
Fr. 1000; b} Im Mal 1892 Fr. 1907 als Vorempfiinge auf Rechnung Ihre-Z
Erhteils erhalten habe, und demzufolge sei sie pflichtig zu erklaren,
bei der Erbschaftsteilung sich dieselben anrechnen zu lassen. Unter
Kostenfolge. Die Erblasserin habe auf ihrem Contocorrent bei der Spar-
und Leihkasse Zofingen am 28. April 1891 Fr. 1000nund am 20. Mai 1892
Fr. 1907 erhoben, welche Beträge ne sicher nicht für sich, sondern höchst
wahrscheinlich zu Gunsten der Beklagten verwendet habe. Darüber müsse das
von der Erblasserin seht genau gesührte Hausbuch Auskunft geben; dieses
habe sich aber in dem Nachlass nicht vorgefunden und es sei nach den Um-

42 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

ständen anzunehmen, dasselbe befinde sich in dem Besitze der Beklagten.
Nachdem ihnen von diesem Editionsbegehren durch Vermittelung der Behörden
ihres Wohnortes Kenntnis gegeben worden war, erklärten die Eheleute
Ackermann-Plüss am 18. März 1896, sie seien weder im Besitze eines
Hausbuches noch eines andern Buches, in welchem die Mutter Anna Pliiss
geb. Hunziker ihre Einnahmen und Ausgaben eingezeichnet hätte. Mit Eingabe
vom 26. März 1896 an das Vezirksgericht Zosingen verlangten nunmehr die
Erben Plüss von Frau Ackermann die Ableistung des Editionseides. Diese
erklärte zuerst am 28. März 1896 aus der bereits abgegebenen Erklärung
beharren und ihre weitere-Erklärung bei der Eidesabnahme dem Richter
in Zosingen persönlich abgeben zu wollen. Später erschien sie vor dem
Gerichtspräsidenten von Zofingen und berichtete, dass fürsprech Strähl für
sie eine Erklärung einreichen werde. Am 14. April sodann gab letzterer
die schriftliche Erklärung ab, seine Klientschaft halte an dem fest,
was Fürsprech von Arx geschrieben habe und zwar auch bezuglich der
Kompetenz des Gerichtesz sowohl das Edition-Zbegehren als die Pflicht
zur Edition werden bestritten. Die Sache gelangte nun zur Verhandlung
vor Bezirksgericht Zofingen. Am Z. Juni 1896 erkannte dieses dahin: Die
Kläger seien mit ihren Begehren hierorts wegen Unzuständigkeit abgewiesen,
indem es wesentlich ausführte: Die Kompetenz des Gerichtes sei nicht
mit Bezug auf das Editionsverfahren als selbständiges, vom Hauptstreite
nnabhängiges Verfahren zu prüfen, sondern mit Bezug ans die Hauptsache
Denn das aarganische Obergericht habe s. Z erklärt, dass zwar allerdings
regelmässig der Rechtsstreit mit Anhebung der Klage beginne, dass aber
da, wo derselben vorangehend eine andere prozessualische Rechtsvorkehr
erlassen werde, der Prozess schon mit dieser angehoben werde Und der
Beklagte derselben mit der Einrede der Nichtzusiändigkeit des Gerichtes
entgegentreten könne. Aus den Anbringen der Edition-skläger ergebe sich,
dass diese behaupten, die Beklagte habe von ihrer verstorbenen Mutter
2907 Fr. erhalten, sie sei für diese Summe Schuldnerin der Erbschaft
geworden und habe diese Schuldpflicht anzuerkennen. Es handle sich also
nicht um eine Erbteilnng, oder um eine Erbberechtignng, sondern bloss
um dieIV. Gerichtsstand. 3. In Erbschaflssachen. N° 10. 48

Feststellung der Erbmass e d. h um Anerkennung der Schuldpflicht eines
Teiles derselben Dieses Begehren qualifiziere sich als peisönlicher
Anspruch der Erbschaft Plitss gegen Frau Ackermann Der Umstand, dass
die Beklagte gleichzeitig Miterbin sei, ändere an der Sache nichts. Nach
bisheriger Praxis des Bundesgerichtes werden unter persönlichen Ansprachen
nicht nur Schuldsorderungen, sondern überhaupt alle civilrechtlichen
Ansprüche, soweit sie nicht dinglicher Natur seien, verstanden Gemäss
Art. 59 B.-V. müsse daher die Beklagte an ihrem Wohnort belangt
werden. Auf Berufung der Kläger hin erkannte dagegen das Obergericht
des Kantons Aargau am 30. September 1896 abändernd dahin: 1. Das
Bezirksgericht Zosingeu wird im vorwiirsigen Rechtsstreite und zwar
sowohl in der Hauptsache als für das Editionsverfahren als zuständig
erklärt. 2. Die Editionsbeklagte, Frau Anna Ackermann geb. Plüss in
Wolswyl, ist pflichtig, den ihr durch die Editionskläger gemäss § 151
der C.-P.-O. auferlegten Edition-seid zu leisten. In der Begründung
wird hinsichtlich der Kompetenzsrage im wesentlichen ausgeführt:
Die von der Editionsbeklagten aufgeworfene Kompetenzeinrede sei nicht
verspätet, dagegen sei ste materiell Unbegründet. Wie sich aus dem beim
Friedens-leichter gestellten Rechtsbegehren und aus dem Edition-Bbegehren
ergebe, sei der Gegenstand des einzuleitenden Rechtsstreites die
Frage, ob die Beklagte Von der Erblasserin Woreinpfiinge im Betrage
von 2907 Fr. erhalten habe, und pflichtig sei, sich dieselben bei
der Erbteilung anrechnen zu lassen. Die Regelung der Anrechnung von
Vorempfängen, wie sie in § 985 des bürg. Gesetz-Buches enthalten sei,
gehöre aber unzweifelhaft dem Erbrechte, speziell den Bestimmungen
über die Erbteilung an. Ein Rechtsstreit über Ansprüche aus § 985
qualifiziere sich daher als Erbsireitigkeit. Da also eine erbrechtliche
und nicht eine bloss persönliche Ansprache im Streite liege, komme für
den Gerichtsitem nicht die ausschliessriche Bestimmung desArt. 59 B.-V.,
sondern § 12 der aargauischen Civilprozessordnung zur Anwenbung, wonach
in Erbstreitigkeiten u. a. Klagen der Erben untereinander vor dasjenige
Bezirksgericht gebracht werden konnen in dessen Bezirk der Erblasser
seinen Wohnsitz hatte, insofern die Teilung der Erbs schaft noch nicht
erfolgt sei Danach sei hier das

44 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Bezirksgericht Zofingen in der Hauptsache und somit auch hinsichtlich des
der Klageanhebung voraus-gehenden Editionsverfahrens zuständig. Dass die
Beklagte ausserhalb des Kantons wohne, sei für die Anwendbarkeit des §
12 C.-P.-O. ohne Belang Es sei ein im neuern Prozessrechte allgemein
anerkannter Satz, dass das forum hereàiiatis für die Beurteilung
eigentlicher Erbstreitigkeiten gültigerweise angesprochen werden könne,
so lange wenigstens die Erbschaft noch unverteilt sei. Die Auffassung,
dass der letzte Wohnsitz des Erblassers für das konkrete Erbrecht sowohl
materiell als formell von Bedeutung sei, habe Übrigens ihren Ausdruck
un: zweifelhaft auch in dem neuen schweizerischen Niederlassungsgesetz
(d. h. dem Bandes-gesetz über die civilrechtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen und Aufenthalter) gefunden (ng. insbesondere §§ 22
und 23).

B. Gegen diese Entscheidung ergriff Erhard Ackermann-Plüss namens seiner
Ehefrau Anna Ackermann geb. Plüss den staatsrechtlichen Rekurs an das
Bundesgericht mit dem Antrage: Es sei das Urteil des Obergerichtes
des Kantons Aargau vom BO. September 1896 wegen Verletzung des Art. 59
B.-V. aufzuheben und demgemäss das Bezirksgericht Zofingen als in Sachen
nicht zuständig zu erklären, unter Kostenfolge In der Nektarsschrist
wird zunächst das bei Behandlung des gegnerischen Editionsbegehrens
beobachtete Verfahren bemängelt und sodann ausgeführt: Der von der
Gegenpartei geltend gemachte Anspruch sei nicht erbrechtlicher Natur,
sondern enthalte eine persönliche Ansprache im Sinne des Art. 59 B.-V.;
er müsse daher am Wohnorte des Schuldners verfolgt werben. Es handle sich
um die Anfechtung von Schenkungen, welche die Erblasserin bei Lebzeiten

ihrer Tochter und ihren Grosskindern gemacht habe und zwar

teilweise im Kanton Solothurn. Wenn darüber bei Lebzeiten der Erblasserin
ein Streit entstanden wäre, so hätte er jedenfalls im Kanton Solothurn
durchgeführt werden müssen. Der Tod der Schenkerin aber ändere hieran
nichts; sonst müssten auch Forderungen der Erbschaft gegenüber Dritten im
Gerichtsstande der Erbschaft geltend gemacht werden können, was nicht
der Fall sei. § 12 der aarg. C.-P.-O., auf welchen das aargauische
Obergericht sein Urteil ausschliesslich begründe, gelte nur für das
Gebiet desW. Gerichtsstand. 3. In Erbschaftssachen. N° 10. 45

Kantons Aargau, nicht aber für interkantonale Verhältnisse Von einem
Erbteilungsstreite könnte erst dann die Rede sein, wenn die Pflicht
der Beklagten zur Kollation feststände. Die Rekurrentin beruft sich für
ihre Ausführungen auf verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtes,
insbesondere auf die Entscheidungen in Sachen Schurter und Kling,
Amii. Sammlg., Bd. III, Nr. 12, Kantone Glarus und Schaffhausen,
Amtl. Samui Bd. I, Nr. 49, und in Sachen Huber und Genossen, Amtl.
Samml., Bd. XIV, Nr. îî. Schliesslich sucht die Rekurreutin noch
zu zeigen, dass vielleicht auch die civilrechtliche Berufung an
das Bundesgericht wegen Verletzung bezw. unrichtiger Anwendung
des Bundesgesetzes betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen und Anfenthalter statthaft wäre, wenn das Obergericht
seine Entscheidung aus dieses Gesetz begründet und dasselbe nicht bloss
zur Vergleichung herangezogen hätte.

C. Die Rekursbeklagten, Marie Elisabeth Plüsz und Genossen, tragen
auf Abweisung des Rekurses unter Kostenfolge an. Sie bemerken,
nach aussührlicher Darstellung der thatsächlichen Verhältnisse,
im wesentlichen: Vor den kantonalen Jnstauzen habe die Rekurrentin
stets bestritten, die von den Klägern behaupteten Vorempfänge erhalten
zu haben; erst vor Bundesgericht gebe sie den Empfang zu, behaupte
aber, die fraglichen Beträge seien ihr geschenkt worden. Dieses novum
könne nicht zu Gunsten der Rekurrentin in Betracht gezogen werben, die
Zuständigkeitsfrage sei vielmehr auf Grund der Sachlage zu beurreilenss
wie sich dieselbe vor den kantonalen Jnstanzen gestaltet habe. Danach
habe es sich einfach um eine Kollationsklage gehandelt, welche, wie
wesentlich im Anschluss an die Ausführungen des bundesgerichtlichen
Urteiles in Sachen Munzinger vom 23. Juli 1880, Amt. Samml., Bd. VI,
S. 389 ff., dargelegt wird, unzweifelhaft erbrechtlicher Natur sei,
speziell sich als Erbteilungsklage qualifiziere und also unerachtet des
Art. 59 V.-V. im Gerichts-stand der Erbschaft geltend gemacht werden
könne. Wenn die Beklagte dieser Klage die Einrede entgegenhalten wolle,
die streitigen Beträge seien ihr geschenkt worden, so ändere dies an
der Zuständigkeit nichts Wären übrigens die fraglichen Vorempfänge der
Beklagten wirklich schenkungsweise zugewandt worden, so stände den Klägern

46 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

die Pflichtteilsergänzungsklage zu, da die Erblasserin ihre gesetz,

liche Dispositionsberechtigung überschritten hätte, und werden die Kläger
eventuell diese Klage erheben.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

i. Die Beschwerde ist als staatsrechtlicher Rekurs eingeführt worden und
ist auch nur als solcher statthaft Eine civilrechtliche Berufung wegen
Verletzung oder unrichtiger Anwendung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891
betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und
Aufenthalter, von welcher die Rekurrentin als möglich oder vielleicht
möglich spricht, ist vollständig ausgeschlossen Denn einmal ist das
angefochtene Urteil, jedenfalls soweit es Über die Kompetenz der
aargauischen Gerichte entscheidet, kein Haupturteilz sodann sind
Streitigkeiten, zu denen die Anwendung des citierten Bundesgesetzes
Anlass geben kann, gemäss Art. 38 desselben und Art. 180 Ziff. 3 O.-G.
nach dem für staatsrechtliche Streitigkeiten vorgeschriebenen Verfahren
zu beurteilen und kann keine Rede davon sein, dass es sich hier um einen
nach eidgenöfsischem Rechte zu beurteilenden Rechtsstreit handle, so
dass Präjudizialfragen, welche nach dem citierten Gesetze zu beurteilen
sind, im Zusammenhange mit dem ganzen Prozesse im Berufungswege vor das
Bundesgericht gebracht werden könnten, und endlich ist das erwähnte
Bundesgesetz im vorliegenden Falle überhaupt weder anwendbar, noch
auch von der Vorinstanz angewandt worden. Denn die Vorinstanz nimmt aus
dassekbe, wie die Rekurrentin selbst anerkennt, nur vergleichend Bezug
und zwar mit Recht, da es sich ja im Fragefalle, wo die Erblasserin
aargauische Angehörige und im Kanton Aargau domiziliert war, nicht um
civilrechtltche Verhältnisse kantonssremder schwei- zerischer Aufenthalter
oder Niedergelassener handelt, mit denen einzig das erwähnte Bundesgesetz
in seinem ersten Titel sich beschäftigt Als staatsrechtlicher Rekurs wegen
Verletzung des am. 59 B.-V. dagegen ist die Beschwerde nach Art. 175
Biff. 3 und Art. 178 O.-G. statthaft, und sie ist auch rechtzeitig und
in richtiger Form eingereicht.

2. In der Sache selbst hat das Bundesgericht nicht zu untersuchen, ob es
statthaft sei, ein Editionsbegehren mit Rücksicht aus einen einzuleitenden
Prozess, wie es hier geschehen ist, schon vorN. Gerichtsstand. '3. In
Erbschaflssachen. N° '10. 47

Einreichung der Klage bei dem in der Hauptsache, d. h. dem für Beurteilung
der letztern zuständigen Gerichte zu stellen. Denn bei Beurteilung der
Frage, ob derartige antizipierte Editionsbegehren statthaft seien,
handelt es sich nicht um eine Frage des Verfassungsrechtes, sondern
des kantonalen Prozessrechtes Die aargan{che Praxis lässt solche
Editionsbegehren bekanntlich zu, derart, dass es itn Kanton Aargau
weitverbreitete Übung ist, den Prozess, statt mit der Klageschrift, mit
einem Editionsbegehren zu beginnen. Das Bundesgericht hat nun nicht zu
untersuchen, ob diese Praxis mit dem kantonalen Prozeszgesetze vereinbar
ist, sondern muss dies ohne anders annehmen Es hat nur zu priîfen, ob die
aargauischen Gerichte zu Beurteilung der Hauptsache und damit, gemäss der
bestehenden kantonalen Praxis auch zu Beurteilung des Editionsbegehrens
verfassungsmässig kompetent seien, oder ob die Entscheidung des
aargauischen Obergerichtes, welche diese Kompetenz anerkennt, gegen
einen verfassungsmässigen Grundsatz verstosse. In der That gründet
sich denn auch die Beschwerde, wenn auch die Rekurrentin nebenbei das
bei Behandlung des Editionsbegehrens beobachtete Verfahren bemängelt,
ausschliesslich hierauf, d. h. auf die Verletzung des Art. 59 B.-V.

3. Nun ist die bundesrechtliche Praxis in Auslegung des Art. 59
B.-V. stets davon ausgegangen, dass zu den persönlichen Ansprachen
im Sinne dieses Verfassungsartikels erbrechtliche, speziell auch
Erbleilungsansprüche nicht gehören (ng. z. B. die Entscheidung in
Sachen Munzinger vom 23. Juli 1880, Amtl Samml., Bd. VI, S. 389
ff.; in Sachen Ackermann vom 3. September 1880, ibjdem, S. 400
ff.). Erbrechtsstreitigkeiten d. h. einerseits Streitigkeiten zwischen
verschiedenen Ansprechern Über die erbrechtliche Nachfolge in den
Nachlass, eine Nachlassquote oder einen Nachlassbestandteil, anderseits
Eristeilungéstreitigfeîten, welche sich auf die Teilung des Nachlasses,
sowie überhaupt auf ErledigUUg der aus der Erbgemeinschaft zwischen
den Miterben entstandenen Ansprüche beziehen, betreffen auch in der
That nicht persönliche Ansprüche, sondern eben das Recht der Nachfolge
von Todeswegen und dessen Realtsierungz sie fallen also nicht unter die
Vorschrift des Art. 59, Abs. 1 B:-V. Sofern daher im vorliegenden Falle
das Editionsbegehren mit Bezug auf eine erb-

48 A. staatsrechtliehe Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

rechtliche, speziell Erbteilungsklage gestellt worden ist, liegt eine
Verletzung der erwähnten Verfassungsbeftimmung nicht vor; vielmehr könnte
alsdann die Klage und folgeweife auch das Editions: begehren in dem durch
§ 12 der aargauischen C.-P.-Q. in bundesrechtlich völlig zulässiger Weise
statuirten Gerichtsstand der Erbschaft am letzten Wohnort des Erblassers,
angebracht werden.

4. Die rechtliche Natur der Klage nun muss selbstverständlich nach
den Klagebegehren beurteilt werden, wie sie von der Klagpartei im
Friedensrichtervorstande und im Editionsbegehren gestellt worden sind und
wie sie einzig der, die Kompetenz der aargauischen Gerichte bejahenden
Entscheidung des kantonalen Obergerichtes zu Grunde lagen. Nur aus die
in ihrer rechtlichen Natur durch diese Begehren charakterisierte Klage
bezieht sich die angefochtene Entscheidung des Obergerichtes und nur
auf sie kann daher auch die Beschwerde sich beziehen. Die Anbringen
der Parteien vor Bundesgericht, welche andere Klagegründe als die
durch die erwähnten Klagebegehren angezeigten andeuten, fallen für die
bundesgerichtliche Entscheidung völlig ausser Betracht, wie sie ja auch
von den kantonalen Jnstanzen nicht gewürdigt wurden.

5. Die Klagebegehren aber, wie sie im Friedensrichtervorstand und im
Editionsbegehren formuliert wurden, gehen einfach dahin, die Beklagte
sei zu verurteilen anzuerkennen, dass sie Beträge von 1000 Fr. und
1907 Fr. als Vorempfänge auf Rechnung ihres Erbieiles erhalten habe,
und demzufolge sei sie pflichtig zu erWren, bei der Erbschaftsteilung
sich dieselben anrechnen zu lassen.

Durch die Klage will also nicht, wie die Rekurrentin meint, eine Forderung
gegen diese geltend gemacht werden, welche von der Erblasserin abgeleitet
wäre und schon zu deren Lebzeiten hätte geltend gemacht werden können; und
ebenso wenig handelt es sich, wie die Rekurreutin im weitern behauptet,
um die Anfechtung von Schenkungen, welche die Erblasserin der Rekurrentin
oder ihren Kindern bei Lebzeiten gemacht hätte. Die Behauptung, die
Rekurrentin habe die streitigen Beträge als Vorempsang auf Rechnung
ihres Erbteiles erhalten, wie sie den Klagebegehren zu

Grunde liegt, schliesst vielmehr die Annahme, es wolle Erfüllung ssss

einer zu Lebzeiten der Erblasserin zwischen dieser und der Reimrentin
bestandenen Obligation verlangt oder es wolle geltendIV. Gerichtsstand. _
3. ln Erbschaflssachen. N° '10. 49

macht werden, die Erblasserin habe die fraglichen Beträge der
Rekurrentin geschenkt, und es werden nun die fraglichen Schenkuugen als
pflichtteilswidrig angefochten, geradezu aus. Denn mit dem einen oder
andern dieser Standpunkte wäre die Behauptung, die Rekurrentin habe
die fraglichen Beträge als Vorempfang ans Rechnung ihres Erbteiles,
also weder unter der Verpflichtung zur Rückgabe an die Erblasserin
noch als Schenkung erhalten, völlig unvereinbar. Nach den gestellten
Begehren wird von der Klagepartei vielmehr einfach geltend gemacht, die
Rekurrentin habe einen Teil des ihr zukommenden Erbanteiles schon bei
Lebzeiten der Erblasserin auf Rechnung ihres Erbteiles heraus erhalten,
und sei nun, kraft der zwischen den Miterben bestehenden Erbgemeinschast
verpflichtet, sich das Empfangene bei der Erbteilung anrechnen zu lassen,
da sie eben das bereits auf Rechnung Erhaltene sich müsse anrechnen
lassen und nicht ein zweites Mal beziehen könne Durch die Klage, auf
welche das Editionsbegehren sich bezieht, wird also keinenfalls eine
persönliche Ansprache gegen die Rekurrentin geltend gemacht, sondern
es betrifft dieselbe vielmehr einen Erbteilnngsftreit; sie macht den
aus der Erbgetneinschast sich ergebenden Anspruch der Miterben auf
Abrechnung bezw. Einwerfung der Vorempfänge geltend (f. Amtl Samml.,
Bd. VI, S, 8.98, Erw. 4), nicht einen persönlichen Leistungsansprach,
auch nicht einen Ansechtungsanspruch gegenüber einem von der Erblasserin
abgeschlossenen Rechtsgeschäfte. Wenn die Rekurrentin, wie sie in ihrer
Beschwerdeschrift an das Bundesgericht andeutet, der Klage die Einwendung
entgegenstellen will, sie oder ihre Kinder habe die streitig-en Beträge
nicht als Vorempsänge, sondern als Schenkung von der Erblasserin erhalten,
so andert dies an der rechtlichen Natur des eingeklagten Ansseruches
nichts-; es liegt in dem gedachten Vorbringen vielmehr einfach eine
Bestreitung des juristischen Klagegrundes, nach welchem die Rekurrentin
die fraglichen Beträge als Vorempfang erhalten haben soll, über deren
Begründetheit der zur Beurteilung der Klage kompeteute Richter zu
entscheiden hat. Wenn die RekursTklagten in ihrer Rekursbeantwortung
erklärt haben, sofern die rblasserin die streitigen Beträge wirklich
schenkungsweise hingegeben haben sollte, so würden sie die Schenkungen
als pflichtXX... {897 4

50 A. Staaisrechttiche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

widrig mit der Pflichtteilsergänzungsklage anfechten, so kann ·

hierauf bei der gegenwärtigen Entscheidung keine Rücksicht genommen
werden; denn von einer solchen Klage war vor den kantonalen Jnstanzen
niemals die Rede; es haben daher die kantonalen Gerichte darüber, ob
für dieselbe der Gerichts-stand der Erbschaft begründet ware, nicht
entschieden und es ist somit auch

das Bundesgericht zur Zeit nicht berufen, diese Frage zu beurss

teilen. Ebenso mag dahingestellt bleiben, ob Forderungen des Erblassers
gegen einen Miterben nicht beim Gerichtsstande der Erbschaft im
Erbteilungsverfahren zur Anerkennung gebracht werden könnten, denn dieser
Thatbestand liegt, wie gesagt, gar nicht vor, da die Rekurrentin durchaus
nicht als Nachlassschuldnerin in Anspruch genommen wird.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

11. Urteil vom 17. März 1897 in Sachen Perret.

A. Der am 7, August 1877 in Hävre verstorbene, aus Zosingen gebürtige,
Friedrich Sprünglin hatte den Teil seines Vermögens, das sich in der
Verwaltung der Notare Wildbolz und Steck in Bern befand,testamentarisch
den bei seinem Tode lebenden und den allfällig nachkommenden Kindern
seines Stiessohnes Alexis Perret vermacht, immerhin Unter dem Vorbehalt,
dass die gesammte Nutzniessung des Vermögens der Witwe des Erblassers
und dass nach deren Tode die Hälfte davon den Eltern der bedachten
Kinder Veri-et zukommen sollte. Das Vermögen sollte von Notar Wildbolz
(und zwei andern Personen) weiter verwaltet werden, und erst wenn der
Niessbrauch der Wittwe Sprünglin aufhören würde, sollten ihre Grosskinder
ihren Anteil beziehen dürfen, nachdem sie überdies das 23. Altersjahr
zurückgelegt hätten. Witwe Sprünglin starb bald nach dem Tode ihres
Ehemannes und im Laufe der Jahre wurde den 4 Kindern Perret, Ottilie,
Marie-Louise, Delphine-ARE und Maurice-Walter, -

IV. Gerichtsstand. 3. ln Erhschaftssachen. N° . 51

ein fünftes war verstorben und es fiel sein Teil den andern zu, sobald sie
jeweilen das 24. Altersjahr erreicht halten, ihr Anteil an dem Vermögen,
das sich auf 1. Mai 1881 auf 849,268 Fr. 37 Ets. belaufen hatte und
in die Verwaltung des Notariatsbureau F (aggi & Eie. übergegangen war,
ausgeliefert Dem jüngsten Sohne Maurice Walter Perret liessen F. Jäggi &
Cie. am 30. Mai 1892 die Schlussrechnung zugehen. Auch dieser hat seinen
Anteil seither bezogen; immerhin liegt hinter F. Jäggi &, Eie. zur
Zeit noch ein, zum grössten Theil in einem Kontokorrentguthaben an die
Verwalter bestehender Betrag von 20,800 Fr.

B. Vor einiger Zeit traten Eonstance und Gaston Perret in Grandson mit
dem Anspruch auf, später gekommene Geschwister der Kinder Perret zu sein,
sie seien nämlich von dem Vater Alexis Perret im Ehebruch mit einer
Marie Guedon gezeugt, aber durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimiert
worden. Mit einer beim Bezirksgerichte Zosingen eingereichten Klage
stellten sie gegen die Kinder Perret ein auf Anerkennung ihrer Eigenschaft
als eheliche Kinder des Alexis Perret gerichtetes Begehren an's Recht und
verlangten ferner als gleichberechtigte Erben des Friedrich Sprüngiin
Ausweisung der auf sie fallenden Erbteile. Die Statusklage wurde dann
auf eine erhobene Kompetenzeinrede hin fallen gelassen. Die übrigen
Klagsbegehren lauren:

1. Es seien die Beklagten pflichtig, anzuerkennen, dass die Kläger mit
ihnen gleichberechtigte Erben resp, Legatare zum Nachlasse des Friedrich
Sprünglin (verstorben am 7. August 1877 in Hâvre) sind, welcher in der
Schweiz resp. ausserhalb Frankreich sich befindet.

2. Es sei der in der Schweiz resp. ausserhalb Frankreich befindliche
Nachlass des Friedrich Sprünglin aus 849,268 Fr. 37 Ets. Wert 1. März
1881 festzusetzen und Unter die sämmtlichen Erbberechtigten gleichmässig,
d. h. je zu einem Sechsteil zu teilen, so dass es den Klägern 2/6 :
283,089 Fr. 46 Ets. trifft. , 3. Die Beklagten haben den Klägern diesen
Betrag von 283,089 Fr. 46 Ets. samt Zins à 4 0/0 von 141,544 Fr. 73
Ets. vom 1. März 1881 und von 141,544 Fr. 73 Ets. vom Todestage des
Constant Perret (16. Oktober 1893) an auszuhändigen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 23 I 40
Datum : 01. März 1897
Publiziert : 31. Dezember 1897
Quelle : Bundesgericht
Status : 23 I 40
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. selbständig,


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • beklagter • aargau • erbe • erbrecht • bundesverfassung • hauptsache • persönliche ansprache • erblasser • frage • tod • witwe • mutter • rechtsbegehren • erbschaftsteilung • ausserhalb • grosskind • verurteilung • maler • frankreich
... Alle anzeigen