32 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. ss

9. Urteil vom 31. März 1897 in Sachen Disteli.

A. A. Disteli-Brun war in den Jahren 1889 1891 Mitglied des
Verwaltungsrates der Eidgenössischen Bank, die damals in Bern ihren Sitz
hatte. In der genannten Eigenschaft hatte er statutengemäss 20 Aktien
zu deponieren, und es befinden sich diese 20 Stücke noch gegenwärtig
im Gewahrsam der Bank-, die seither ihren Sitz nach Zürich verlegt
hat. Disteli-Vrun hatte bis im Jahre 1895 seinen Wohnsitz in Luzern,
seit 1896 wohnt er in Neuenburg.

B. Mit Zahlungsbefehl vom 23. April 1895 liess die Eidgenössische
Bank den Disteli-Brun durch das Betreibungsamt Zürich für eine auf
Rückerstattung unrechtmässig bezogener Tantiemen pro 1890 und Ersatz für
erlittene Verluste gerichtete Forderung im Betrage von 3,821,876 Fr. 05
Cts. nebst Zinsen aus Pfandverwertung betreiben. Als Pfandgegenstand
wurden bezeichnet die in Händen der Gläubigerin liegenden 20 Pflichtaktien
des Schuldners. Letzterer schlug Recht vor, woraufhin am 2. Juni 1895 vor
Friedensrichteramt cZürich ein Sühneversuch siattsand und, nachdem dieser
fruchtlos abgelauer war, am 16. Dezember 1895 beim Bezirksgericht Zürich
Klage eingereicht wurde, mit dem Begehren, der Beklagte sei verpflichtet,
der Klägerin zu vergüten:

1. 300,000 Fr. aus-bezahlte Tantiemen pro 1890 nebst Zins à 4% vom
25. März 1891 an bis zur Klageeinleitung und von da an à 5 0/0

2. Den aus dem Verkehr mit J. Sturzenegger in Herisau entstandenen
Verlust im Betrage von 2,496,240 Fr. 20 Ets. nebst Zins à 40/0 vom
1. Januar 1891 bis zur Klageeinleitung und von da an à. 50/0.

3. Den aus dem Geschäftsverkehr mit der Société générale pour le
développement de I'industrie, Basel, entstandenen Verlust im Betrage
von 925,635 Fr. 85 Cis. nebst Zins à 4% fett 31. Dezember 1891 bis zur
Klageeinleitung und von da an à 5 w

Die friedensrichterliche Weisung enthält den Beisatz1 Die Klägerin bemerkt
in ihrer Klageschrift, sie sei im Besitze einesIV. Gerichtsstand. 2. Des
Wohnortes. N° 9. 33

Faustpfandes und die Kompetenz der hiesigen Gerichte daher auf JGrund
von § 92 des Einfuhrungsgesetzes zum Bundesgesetz Jüber Schuldbetreibung
und Konkurs gegeben. Der Beklagte pro testiert gegen die Kompetenz der
zürcherischen Gerichte In der Hauptverhandlung vor Bezirksgericht Zürich,
an der die Parteien

.in gegenseitigem Einverstandnis vorab die Kompetenzfrage be-

ha andelten, erklärte die Klägerin wiederum, sie nehme an den
20 Pflichtaktien der Gegenpartei ein Fauftpsand, eventuell ein
älterentionsrecht in Anspruch, weshalb sie berechtigt sei, die
Forderung am Orte der belegenen Sache eiitzuklagen Der Bellagte erhob
nun förmlich die Einrede der Jnkompetenz der zürcherischen Gerichie:
Nach Art. 59 B.-V. und § 209 der zürcherischen Civil: prozessordnung
sei er an seinem Wohnorte, Neuenburg, zu belangenz es bestehe nämlich zu
Gunsten der Klägerin kein Pfandoder Retentionsrecht an den hinterlegten
Aktien. Eventuell wäre der Gerichtsstand des Hinterlegungsortes, Bern,
massgebend, oder aber das forum provocationis, Luzern. Der Beklagte hatte
nämlich die Klägerin am 23. November 1895 vor dem Gerichtspräsidenten von
Luzern zur Klage provoziert und es war hie-gegen von der letztern keine
Einwendung erhoben worden, weshalb sie gemäss luzernischem Prozessrecht
innert bestimmter Frist ihre Klage einzureichen hatte.

C. Durch Urteil vom 21. August 1896 erklärte sich das Bezirksgericht
Zürich als für die Behandlung der Streitsache zuständig. Den auf Art. 59
B.-V. beruhenden Haupteinwand des Beklagten betreffend, bemerkte
dasselbe, es hange der Entscheid über diese Frage davon ab, ob die
geltend gemachte Ansprache dinglicher oder persönlicher Natur, und ob
die dingliche Unterlage dieser Ansprache, d. h. das Pfand oder dessen
wertvollster Teil, im Kanton Zürich gelegen sei; beide Fragen seien zu
bejahenz Erstere deshalb, weil der Klägerin allerdings nicht ein Pfand-,
wohl aber ein Retentionsrecht an den 20 vom Beklagten hinterlegten Aktien
zustehe, letztere deshalb, weil sich diese Aktien zur Zeit in Zürich
befinden und nicht etwa eine dolose Veränderung des Hinterlegungsortes
angenommen werden fiume. _

D. Disteli-Brun rekurrierte gegen diesen Entscheid an die
Appellationskammer des zürcherischen Obergerichtes. Diese führt

xxtlk 1897 3

34 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung;

in ihrem Entscheide vom 24. Oktober 1896 im wesentlichen aus: Aus der
Klagebegründnng ergebe sich, dass Forderung und Pfandrecht Gegenstand der
Klage seien. Die Zuständigkeit der Ziircher Gerichte sei somit nach §
92 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetze über Schuldbetreibung und
Konkurs begründet-. Allerdings scheine danach das Bestehen eines Pfandoder
Retentionsrechtes die Voraussetzung zu sein, auf der der Gerichts- siand
des Ortes der Pfandfache beruhe. Allein wenn eben der Bestand eines
solchen Rechtes streitig fei, so müsse das angerufene Gericht sich ohne
weiteres kompetent erklären, wenn nicht das Bestehen eines Pfand-rechtes
fälschlicherweise bloss vor-geschützt werde, um den am. 59 B.-V. zu
umgehen. Vorliegend sei der Anspruch eines Pfandbezw. Retentionsrechtes
zum allermindesten diskutabel und damit sei die Begründetheit des
zürcherischen Gerichtsstandes des Pfandverwahrnngsortes ausgesprochen
Ob dieser Gerichtsstand etwa nur gelten solle für den Streit über die
Existenz eines Pfandoder Retentionsrechtes an den 20 Aktien und für
eine Forderung bis auf die Höhe des Aktienwertes, dagegen nicht für den
Streit über den Mehrbetrag der Klageforderung, bedürfe keiner weitern
Erörterung, da der Beklagte keine Einrede in diesem Sinne formuliert
habe. Mit dem Zürcher Gerichtsstand konkurriere der infolge einer nicht
binnen nützlicher Frist bestrittenen provocatio ad agendum begründete
Gerichtsstand in Luzern. Der Anspruch unterliege der Gerichtsbarkeit
beider Kantone gleichmässig und im Konfliktsfalle wäre die Lösung nach
Bundesstaatsrecht darin zu suchen, dass das zeitlich frühere Urteil die
Priorität hätte. In das Endurteil gehöre, wie die Entscheidung über die
Existenz eines Pfandoder Retentionsrechtes, die Erledigung der Frage,
ob die streitigen Aktien mit Recht nach Zürich haben transportiert werden
können; der blosse Vorentscheid über die Kompetenz habe sich damit nicht
zu befassen Demgemäss wurde der Rekurs abgewiesen und die vom Rekrurenten
gegen die Klage der Eidgenössischen Bank erhobene Jnkompetenzeinrede
als unbegründet erklärt.

E. Namens des A. Disteli-Brun ergriff nun Advokat Goll in Zürich mit
Eingabe vom Li. Dezember 1896 gegen den Entscheid der Appellationskammer
des zürcherischen Qbergerichtes

IV. Gerichtsstand. 2. Des Wohnortes N° 9. 35

den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht wegen Verletzung des
Art. 59 B-V und wegen Rechtsverweigerung: Ein Pfandoder Retentionsrecht
sei vor dem Friedensrichter nicht geltend gemacht worden. Erst in
der mündlichen Verhandlung vor Bezirksgericht und zunächst nur zur
Rechtfertigung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes sei dieses
Sachverhältnis von der Klagspartei zur Sprache gebracht worden. Die
beklagte Partei aber habe das Vorhandensein eines solchen Rechtes
bestritten. Hierüber hätte nun, wie die erste, auch die obere Instanz
dem Haupturteil vorgängig entscheiden sollen, da es nicht angehe, einen
Prozess durchzuführen, um am Ende bei dein nicht unwahrscheinlichen
Resultate anzulangen, dass das ganze Verfahren wegen Jnkompetenz
des erkennenden Gerichtes nichtig sei. Dadurch, dass die zürcherische
Appellationskammer anders entschieden, habe sie sich abgesehen von einer
Gesetzesverletzung einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs, sowie einer
Missachtung des Ari. 59 B.-B. schuldig gemacht. Denn thatsächlich werde
was den letztern Punkt betrifft dem Rekurrenteu durch den Entscheid
das Recht der Berufung auf den Wohnortsrichter abgesprochen, da nach
Durchführung des Prozesses der Streit, wenn es sich heraus-stellen sollte,
dass der urteilende Richter nicht zuständig gewesen, kaum zum zweiten
Male würde angehoben und durchgeführt werden. Ferner sei aber auch
infolge der nicht bestrittenen Provokation die Klägerin verpflichtet,
ihre Forderungsansprüche beim luzernischen Richter einzuklagen, und
es müsse so angesehen werden, als ob sie auf einen andern, namentlich
den zürcherischen Gerichtsstand verzichtet habe. Eventuell beharre
Rekurrent darauf, dass der Gerichtsstand in Bern begründet sei, wo die
Titel hinterlegt worden seien; es könne nämlich nicht der Willkür der
Depositartn anheimgegeben werden, den Aufbewahrungsort und damit den
Gerichtssiand der belegenen Sache willkürlich zu verändern. Und zwar müsse
diese Frage ebenfalls in einem Vorentscheide erledigt werden und liege
auch diesbezüglich eine Rechtsverweigerung vor. Demgemäss wird beantragt,
es fei, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides, auszusprechen,
es seien die Zürcher Gerichte zur Behandlung und Entscheidung der von der
Klägerin gegen den Beklagten erhobenen persönlichen Forderungsklage nicht

36 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassungss

zuständig; eventuell wird beantragt, es sei die zürcherische
Appellationskammer anzuhalten, in der Kompetenzsrage einen dem weitern
Verfahren vorgängigen Entscheid zu gehen. In einer Vernehmlassung vom
25. Januar 1897 schliesst Namens der Eidgenössischen Bank Advokat
Dr. Zuppinger in Zürich auf Abweisung des Rekurses Schon vor dem
Friedensrichter, und dann auch in der Klage, wird in thatfächlicher
Beziehung bemerkt, sei ein Faustpfand-, bezw. Retentionsrecht angesprochen
worden. In rechtlicher Beziehung sodann wird angebracht: Die entscheidende
Frage sei die, ob nicht durch die Kompetenzerklärung der Zürcher Gerichte
Art. 59 B.-V. verletzt worden sei. Hiebei scheine der Beschwerdeführer
nicht zu bestreiten, dass eine Verletzung nicht vorliege, wenn die
Eidgenössische Bank an den bei ihr hinterlegten Titeln ein Faustpfandoder
Retentionsrecht besitze; dagegen negiere er die Existenz eines solchen
Rechtes und es werde sich daher fragen, wie es sich hiemit verhalte. Nun
bestehe, was allerdings die Appellationskammer offen gelassen habe,
was sie aber zu prüfen verfassungsmässig auch nicht verpflichtet
gewesen fei, in der That zu Gunsten der Klägerin für die eingeklagten
Forderungen ein Pfandoder ein Retentionsrecht, und es sei dasselbe auch
durch den Domizilwechsel der Bank nicht unter-gegangen Dann könne sich
aber Rekurrent auf Art. 59 B.-V. nicht berufen, da diese Bestimmung
sich nur auf persönliche Forderungen beziehe und nicht angerufen werden
könne, wenn es sich um dingliche Ansprachen handle. Ebenso wenig liege
eine Rechtsverweigerung vor; im Gegenteil habe die obere Jnstanz dem
Rekurrenten das rechtliche Gehör sogar in der Kompetenzsrage speziell
gesichert. Auch darin, dass die Zürcher Gerichte das behauptete
forum provoeationis in Luzern nicht als vorgehend anerkannt hätten,
könne eine Rechtsverweigerung nicht erblickt werden. Abgesehen davon,
dass gegen die Provokation in Luzern von Seite der Eidgenössischen Bank
protestiert worden, sei die Klage damals in Zürich bereits eingeleitet
gewesen. Ebenso unstichhaltig sei der Einwand, dass die Klage in Bern
als erstem Aufbewahrungs-on der Pfandbezw. Retentionsgegenstände, hätte
angebracht werden müssen.

W. Gerichtsstand. 2. Des Wohnortes. N° 9. 37

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Durch den angefochtenen Entscheid ist die vom Rekurrenten aus Art. 59
B.-V. her-geleitete Inkompetenzeinrede verworfen, und es sind damit die
zürcherischen Gerichte als zuständig für die Beurteilung der Klage der
Eidgenössischen Bank erklärt worden. Und zwar ist derselbe, soweit die
zürcherischen Gerichte darüber zu entscheiden haben, als endgültiger
Ausspruch über die Kompetenzfrage zu betrachten. In der That ginge
es nicht an, dass ein Beklagter gezwungen würde, vorläufig vor einem
Gerichte Recht zu nehmen dessen Zuständigkeit er gestützt auf die
Verfassung ansicht; vielmehr muss diese Frage, wenn sie zur Diskussion
verstellt wird, dem Prozesse vorgängig definitiv erledigt werden.

2. Fragt es sich nun, ob jener Entscheid verfassungsmässige Rechte
des Rekurrenten verletze, so ist einzig zu prüfen, ob man es mit einer
persönlichen Ansprache zu thun habe oder nicht. Hiefür ist massgebend
die Klage, wie sie angebracht ist, während darauf nichts ankommt, ob
dieselbe, vielleicht gerade in dem für die Kompetenz entscheidenden
Punkte, bestritten werde, oder ob sie hierin sogar von vorneherein als
gänzlich haltlos sich darstelle. Die Zuständigkeit des Gerichtes kann
unmöglich von einer Prüfung über die Begründetheit des Anspruches
abhängig gemacht werden, sondern sie muss sich notwendigerweise
danach bestimmen, welche Natur demselben nach der Klage zukommt,
wobei allerdings nicht lediglich auf die Klagsbegehren abzustellen,
sondern anch auf den aus den übrigen Klagsvorbringen sich ergebenden
Zweck der Klage zurückzugehen ist. Nur dann, wenn offenbar bloss in
der Absicht, den verfassungsmässigen Gerichtssiand zu verrücken, der
Klage eine Form gegeben worden ware, die sich mit der wahren Natur des
eingeklagten Anspruchs nicht verträgt, könnte hievon abgegangen und aus
eine Prüfung der Begründetheit der Klage in gewissem Umfange schon im
Stadium der Kompetenzbestimmung eingetreten werden (ng. z. B. Entscheide
des Bundesgerichtes in Sachen Bär, Amtl. Samml., Bd. VI, S. 531 Erw. 4z
in Sachen Germann, Antti. Samml., Bd. IX, S. 33 Erw. i).

3. Danach kann aber vorerst davon keine Rede sein, dass sich die
Appellationskammer des zürcherischen Obergerichtes deshalb einer
Rechtsverweigerung schuldig gemacht habe, weil sie nicht

88 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

schon in dem Vorverfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit der
bestrittenen Frage, ob der Klägerin ein Pfandoder Reteutionsrecht an
den fraglichen Aktien zustehe, entschieden hat. Vielmehr hat sie sich
mit Recht darauf beschränkt, zu untersuchen, welcher Natur der Anspruch
sei, wie er erhoben wurde, auf was die Klage, als prozessualischer Akt,
gerichtet sei, und ob nicht vielleicht eine auf Umgebung des Art. 59
B.-V. berechnete Machination vorliege. Auch das Bundesgericht hat
als Staatsgerichtshof eine weitergehende, auf den Bestand der geltend
gemachten Rechte sich erstreckende Kognition nicht eintreten zu lassen,
sondern ebenfalls bloss zu prüfen, was für eine Klage angestellt sei
und ob dieselbe unter die Garantie des Art. 59 B.-V. falle.

4. Wäre nun lediglich auf den Wortlaut der Klagsbegehren abzustellen, so
könnte darüber kein Zweifel walten, dass die Gerichte des Kantons Zürich
zur Beurteilung der vorliegenden Klage nicht kompetent sind. Denn danach
müsste angenommen werden, dass lediglich bestimmte persönliche Forderungen
an den Rekurrenten geltend gemacht werden wollen, für die er nach am. 59
B.V., da die hier vorgesehenen Voraussetzungen unzweifelhaft
zutrefsen, an seinem Wohnorte, der sich nicht im Kanton Zürich befindet,
gesucht werden müsste. Nun erklärt aber die Vorinstanz, es ergebe sich aus
der Klagebegründung, dass nicht bloss die eingeklagte Forderung, sondern
auch das vom Kläger dafür beanspruchte Pfandrecht streitig sei. Und in der
That scheint es zur Zeit wenigstens und zunächst bloss auf die Anerkennung
eines Pfandoder Retentionsrechtes abgesehen, und es scheint die Klage auf
Anerkennung der Forderungen nur deshalb erhoben worden zu sein, weil deren
Bestand ebenfalls Ebestritten wird, und weil dieser eine Voraussetzung
für das Bestehen des Pfandoder Retentionsrechtes bildet. Dies ergibt
sich namentlich daraus, dass die Klage auf eine vorhergehende Betreibung
auf Pfandverwertung hin eingeleitet wurde. Diese konnte sich nur auf die
Objekte erstrecken, an denen ein Pfandbezw. Retentionsrecht in Anspruch
genommen wurde, und hatte keineswegs die Erekuiion der Forderung auch in
das übrige Vermögen des Schuldners zum weitern Zwecke. Wenn daher auf
den Rechtsvorschlag des letztern hin gerichtliche Klage erhoben wurde
auf IV. Gerichtsstand. 2. Des Wohnen-tes. N° 9. 39

Anerkennung der Forderung, so wollte damit doch auch nur insoweit die
letztere selbst geltend gemacht werden, als sie eine Voraussetzung bildet
für das Bestehen eines Pfandbezw. Renntjonsrechtes und der eigentliche
Zweck der Klage war der, das letztere gegenüber dem Rechtsdorschlag zur
Anerkennung zu bringen und die Realisierung desselben durchzusetzen.

5. So aufgefasst ist aber die Klage zweifellos dinglicher Natur, und
es kann sich der Rekurrent gegenüber derselben nicht auf den nur für
persönliche Ansprüche den Gerichts-stand des Wohnortes garantierenden
Art. 59 B.-V. berufen. Da diese Bestimmung ferner keineswegs eine
Gewährleistung des forum pravocationis enthält, so ist nicht erfindlich,
wie der Rekurrent mit Rücksicht darauf, dass er die Klägerin in Luzern
zur Klage provoziert hat, ein verfassungsmässiges Recht darauf haben
sollte, für den fraglichen Anspruch vor dem luzernischen Richter belangt
zu werden, wobei es dann selbstverständlich gleichgültig ist, ob sich
die Klägerin der Provokation widersetzt habe oder nicht. Ebensowenig ist
einzusehen, wie vom verfassungs-rechtlichen Standpunkt aus der Rekurrent
sollte verlangen können, mit der fraglichen Forderung in Bern belangt zu
werden; hieoon könnte doch höchstens dann die Rede sein, wenn der Wechsel
des Aufbewahrungs-ones des Pfandbezw. Retentionsgegenstandes zum Zwecke
der Verschiebung eines verfassungsmässig garantierten Gerichtssiandes
vollzogen worden ware.

6. Kann somit im angegebenen Umfange, b. h. weil ein Pfandoder
Retentionsrecht eingeklagt wird, die Kompetenz der zürcherischen
Gerichte auf Grund des Art. 59 B.-V. nicht angefochten werden und
muss es diesen deshalb auch zustehen, über den Bestand der Forderung,
als Voraussetzung für das Bestehen des Pfaudrechtes zu erkennen, so
muss dann aber doch die Frage vorbehalten werden, ob die zürcherischen
Gerichte auch in weiterem Umfange, soweit die Forderung nicht durch
die Pfandoder Retentionsgegenstände gedeckt wird, verfassungsmässig
zuständig seien. Diese Frage braucht heute nicht beantwortet zu werden,
da sie nicht aufgeworfen worden ist. Allein dieselbe ist durch den
vorliegenden Entscheid nicht präjudiziert, so dass dieselbe immer noch,
wenn die Zürcher Gerichte über den Bestand der Forderung

40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [.Ahschnitt. Bundesverfassung.

selbständig, und nicht lediglich mit Bezug auf das in Anspruch genommene
Pfandoder Retentionsrecht, urteilen würden, oder wenn die Erekution eines
solchen Urteils in anderes Vermögen als das im Pfandoder Retentionsnerus
verhaftete gesucht werden wollte, auf dem Wege des staatsrechtlichen
Rekurses vor das Bundesgericht gebracht werden kann (ng. den Entscheid
des Bundesgerichtes in Sachen Schmid, Amtl. Samml., Bd. IV, S. 551
ff.). Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

3. Gerichtsstand in Erbschaftssachen. For en matière de succession.

10. Urteil vom 3. März 1897 in Sachen ' Ackermann

A. Am 19. Januar 1894 verstarb in WolfwyL Kantons Solothurn, wo sie auf
Besuch bei ihrer Tochter Anna Ackermann geb. Pläss weilte, die Witwe Anna
Plüss geh. Hunziker, gebürtig von Rothrist, Kantons Aargau, und wohnhaft
am gleichen Orte. Im Jahr 1895 wurde zwischen ihren Erben (Kindern und
Kindes-lindern resp. deren gesetzlichen Vertretern) ein Erbteilungsvertrag
entworfen, in welchem u. a. der Tochter Anna Ackermann als Vorempfang
angerechnet wurden 424 Fr. 05 Cis- an erhaltenem Brautdrofsel, 31 Fr. 70
Ecs. für ersteigerte Fahrhabe und 2907 Fr. für von der Erblasferin
erhaltene Baarvorschüsse. Anna Ackermann bezw. ihr Ehemann Erhard
Ackermann, von und in Wolfwyl, Kantons Solothurn, weigerte sich, den
Entwurf des Teilungsvertrages zu unterzeichnen, da sie den ihr berechneten
Vorempfang Beitritt. Am 3. Februar 1898 richteten daher die Übrigen Erben
an sie die rechtliche Aufforderung, die genannten Vorempsänge anzuerkennen
und sich diese aus ihrem Erbteil aus der Erbschaft der Mutter Anna Plüsz
gel}. HunzikerIV. Genchtsssstand. 31 In Erbschaftssachen. N° 10. 41

anrechnen zu lassen. Auf diese rechtliche Aufforderung erwiderte
Yin-Wreck) Adrian von Arx in Olten, namens des Eheinannes Ackermann-Plüs3,
als Vertreter seiner Ehesrau, am 14. Februar 1896: 'l. Ackermann-Plüss
anerkenne von Frau Anna Plus3. Hunziker sel. für Rechnung des Erbteiles
seiner Chefrau Anna Äckermaanlüss erhalten zu haben: &) an Aussteuer
(Brautfuder) für 424 Fr. 05 Età.; 13) für erfieigerte Fahrhabe 31 Fr. 70
Cis. 2. Er bestreite die namhaft gemachten Vorempsange von 1000 Fr. und
1907 Fr., und behalte sich Zspalle Einreden be- treffend Gerichtsstand und
in was sie sonst bestehen mogens sur den Fall des Prozesses ausdrücklich
dor. Die Erben Pluszlieszen nun den Ehemann Erhard Ackermann-Plüss
vor das Friedensrichteramt Rothrist vorladen zur Verhandlung über die
Rechtsbegehren, er sei gehalten, die in der rechtlichen Aufforderung
genannten Vorempfänge anzuerkennen und diese auf seinem (resp. seiner
Ehefrau) Erbteil aus der Erbschaft der Mutter Anna Plüss geh. Hunziker
anrechnen zu lassen. Der Beklagte bestritt im friedensrichtervorstand
vom 27. Februar 1896, die in der Aufforderung genannten 2907 Fr. als
Vorempfang erhalten zu haben und erklärte, weiter in nichts eintreten
zu wollen. Nunmehr ftellten die Erben Plüss am 11. März 1896 beim
Gerichtspräsidenten von Zofmgen das Editionsbegehren, Anna Ackermann:
Plüsz sei pflichtig zu erklären, das Hausbuch der Fran·Withe Anna Plüss
geb. Hunziker zu edierenz sie behaupteten: Sie seien genötigt, gegen die
Jmpetratin eine Klage einzureichen mit folgenden Schlüssen: Dieselbe sei
zu verurteilen, anzuerkennen, dag sie folgende Beträge-: a) im April 1891
Fr. 1000; b) im Mai 1892 Fr. 1907 als Voremsofänge auf Rechnung ihres
Erbteils erhalten habe, und demzufolge sei sie pflichtig zu erklaren,
bei der Erbschaftsteilnng sich dieselben anrechnen zu lassen. Unter
Kostenfolge. Die Erblasserin habe auf ihrem Contocorrent bei der Spar-
und Leihkasse Zofingen am 28. April 1891 Fr. 1000Wund am 20. Mai 1892
Fr. 1907 erhoben, welche Beträge sie sicher nicht für sich, sondern höchst
wahrscheinlich zu Gunsten der Beklagten verwendet habe. Darüber müsse das
von 'der Erblasserin sehr genau gesührte Hausbuch Auskunft geben; dieses
habe sich aber in dem Nachlass nicht vorgefunden und es sei nach den Um-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 23 I 32
Datum : 31. März 1897
Publiziert : 31. Dezember 1897
Quelle : Bundesgericht
Status : 23 I 32
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 32 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. ss 9. Urteil


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
retentionsrecht • beklagter • frage • bundesgericht • weiler • bundesverfassung • erbe • pfand • friedensrichter • zins • provokation • mutter • frist • faustpfand • tantieme • verfassung • schuldner • teilungsvertrag • betreibung auf pfandverwertung • verfassungsrecht
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