166 B, Civilrechtspflege.

jedermann zuzumuten ist. Vorliegend muss dies nun aber doch mit der
Borinstanz verneint werden. Nicht nur hat der Kläger die Trambahn
betreten, ohne sich zu überzeugen, ob die Bahn frei sei, nicht nur hat
er die vorschriftsmässig abgegebenen Signale überhört, sondern er hat,
während er sich schräg über die Geleise bewegte, und zwar in der Richtung
gegen den heransahrenden Wagen zu, ganz anders-wohin geschaut, wie es
scheint nach einer Hausnummer, die er suchte. Wernli muss somit gerader
blindlings in den Wagen hineingelaufen sein, und mochte er auch bei
seinem Alter etwas unbeholfen sein, und mochte ferner auch die Besorgung
einer geschäftlichen Obliegenheit seine Gedanken beschäftigen, so ist
doch nicht einzusehen, weshalb er nicht trotzdem den Ubergaug über die
Strasse mit einem Aufwand auch nur einiger Aufmerksamkeit auf das, was um
ihn her vorging, hätte bewerkstelligen können und sollen. Es ist somit in
Übereinstimmung mit den Vorinstanzen die Klage wegen Selbstverschuldens
des Klägers abzuweisen und zwar des Gänzlichen, da eine Teilung der
Haftpflicht gesetzlich nicht zulässig ist, sobald angenommen werden muss,
dass der Unfall durch die Schuld des Verunglückten verursacht worden sei.

Demnach hat das Bundesgericht fi erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und das angesochteue uneil
in allen Teilen bestätigt sssi

V. Obligationenrechsst. Droit des obligations.

31. Urteil vom 22. Januar 1897 in Sachen Bank in St. Gallen gegen von
Haberler.

n. Durch Urteil vom 10. November 1896 hat das Kantonsgertcht des Kantons
St. Gallen erkannt: Die Klage ist geschützt. s

B. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen, mit dem Antrag, die Klage sei im SinneV. Obligationenrecht. N!1
31. 167

des Anhanges, wie er von der Beklagten im Vermittlungsvorstande, in
I. Prozesseingabe und laut Rezess vor Kantonsgericht abgegeben worden
sei, abzuweisen. In der heutigen Hauptverhandlung erneuert der Anwalt der
Berufungsklägetin diesen Anmg. Der Anwalt des Berufungsbeklagten beantragt
Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Am 21. Februar 1887 hat Erzherzog Johann von Osterreich durch
den Freiherrn Oberst von Meuxhengen der Aktiengesellschaft Bank in
St. Gallen Wertpapiere in bedeutendetn Betrage zur Aufbewahrung
übergeben, wogegen die Bank ihm einen auf den Namen lautenden
Depositenschein ausstellte. Dieser Depofitenschein nimmt auf die
anderseitig abgedruckten Bedingungen Bezug, deren Art. 2 Abs. 1 dahin
lautet: Die Auslieferung eines Depositums erfolgt gegen Riickgabe des
qnittierten Depositenscheines an den Deponenten oder an einen von ihm
dier genügend Bevollmächtigten Wenn die Auslieferung nur für kurze Zeit
verlangt wird, so kann dies gegen einfache Rückgabe des Depositenscheines
geschehen. In der Folge fanden verschiedene Änderungen im Bestande des
Depositnms statt, worüber neue, bezw.1nodisizierte Depositenscheine,
zuletzt, wie es scheint, am 8. Januar 1890, ausgestellt wurden. In einem
Brief vom 1. September 1889 fragte Erzherzog Johann die Bank u. a. an,
ob irgend Jemand sich um den Bestand seines in St. Gallen deponierten
Vermögens erkundigt habe, und verband damit das Gesuch, vorkommenden
Falls Auskunft zu verweigern, und auch die untergeordneten Beamten in
diesem Sinne anzuweisen Im Jahr 1889 verzichtete Erzherzog Johann aus
sein Recht, als Prinzdes kaiserl. österreichischen Hauses öffentlich
angesehen und behandelt zu werden, und nahm mit Bewilligung des Kaisers
Von Osterreich den bürgerlichen Namen Johann Orth an. Am 9. Januar 1890
stellte er in Birstein (Landgerichtsbezirk Hamm, Oberlandgerichtskreis
Kassel) dem Dr. Franz Ritter von Haberley Hofund Gerichtsadvokaten in
Wien, in Ersetzung einer bereits Trichet, am 24. Januar 1889, in Pola
aus-gestellten Vollmacht, eine sehr umsassende Vertretungsvollmacht
aus. Dieselbe ermächtigt Den Bevollmächtigten u. a., den Machtgeber in
allen Rechts-168 B. Civih'echtspflege.

und politischen Angelegenheiten zu vertreten, Gelder und Geldeswert zu
erheben und darüber rechtsgiltig zu quittieren-, Zahlungen zu leisten,
alle Arten von Erklärungen abzugeben, Amortisierungen zu bewirken,
überhaupt alles vorzukehren, was er für notwendig und nützlich erachten
wird." Die Unterschrift des Johann Orth auf dieser Vollmacht ist durch
das kgl. preussische Amtsgericht Birstein beglaubigt. Im Jahr 1890 erwarb
Johann Orth das Schiff St. Margarethe; dasselbe segelte am 11. Juni
1890 befrachtet von La Plata ab, ohne den Bestimmungshafen Valparaiso
zu erreichen. Es ist seither weder über das Schicksal des Schiffes,
noch über dasjenige des Johann Orth, von welchem angenommen wird, er
habe sich bei Abfahrt von La Plata mit seiner ihm inzwischen angetrauten
Gemahlin an Bord des Schiffes befunden, sichere Kunde eingegangen. Seit
März oder Apri11891 sandte die Bank in St. Galler welche bis dahin
ihre Kontokurrentauszüge an Johann Orth adressiert hatte, dieselben zu
dessen Händen an Hm. Dr. Ritter von Haberler, sie hat auch, wie diese
Kontokorrentauszüge zeigen, seither auf Rechnung des Kontokorrents
Zahlungen an den Ritter von Haberler und an Dritte gemacht. In einer
Verbalnvte des österreichischen Ministeriums des Äussern vom 1. März
1894 an die schweizerische Gesandtschast in Wien wird erklärt, dass eine
Todeserklärung des Verschollenen Johann Qrth nicht vorgenommen worden
sei, dass eine solche auch kaum vor der in Al. 2 des § 24 a. b. G.-B.
bestimmten Frist von 30 Jahren erwirkt werden könnte, dass jedoch der
Hofund Gerichtsadvokat Dr. Ritter von Haberler als Bevollmächtigter
des genannten Johann Orth aus-gewiesen sei. Eine spätere Verbalnote der
gleichen Stelle vom 19. Oktober 1896 bestätigt, dass an der in der Note
vom 1. März 1894 gekennzeichneten Sachlage sich nichts geändert habe. Am
10. September 1896 erhob nunmehr Dr. von Haberler als Bevollmächtigter
seiner f. u. k. Hoheit Erzherzog Johann (Johann Qrth) beim Vermittleramt
St. Gallen Klage gegen die Aktiengesellschaft Bank in St. Gatten dahin,
die Beklagre sei pflichtig, das gesamte bei ihr von Erzherzog Johann
(Johann Orth) deponierte Vermögen in dem durch die Buchaufschriebe
der Bank sich ergebenden Bestande an Wertschristen und Baarschaft,
unterV. Obligationenrecht. N°ss 31. 169

Mortifikation des bezüglichen Depositenscheines au den Kläger
herauszugeben Die Beklagte bestritt die Klage, sie gab in dem oben Fakt. B
citierten Anhang die Erklärung ab, dass sie bereit fei, das Depositum
gegen Nückgabe des quittierten Depositenscheines an den Berechtigten
auszuliefern, sie könne jedoch den Kläger Dr. von Haberler nicht als
solchen anerkennen, und müsse daher den gerichtlichen Entscheid anrufen,
an wen und unter Erfüllung welcher Formalitäten die Auslieferung erfolgen
dürfe. Die Sache wurde daher an die Gerichte, und zwar, auf Begehren der
Parteien unter Umgehnng der ersten Instanz, direkt an davaantonsgericht
St. Gallen gewiesen. Vor diesem Gerichtshofe führte der Kläger im
Wesentlichen aus: Kraft der formell beweiskrästigen Vollmachtsurkunde
vom 9. Januar 1890 sei er zur Erhebung des Depositums ermächtigt Die
Vollmacht sei nicht erloschen. Denn weder sei der Tod des Johann Orth
nachgewiesen, noch eine Todeserklärung erfolgt. In Statusfragen sei das
heimatliche (österreichische) Recht massgebend; nach demselben bestehe
eine Lebensvermutung bis zum Erlass einer Todeserklärung, und sei der Tag,
an welchem letztere rechtskräftig werde, als Sterbetag anzusehen (gg 24,
278 a. b. (H.M.). Die Vollmacht sei auch nicht durch Inkrafttreten eines
gesetzlichen Repräsentationsverhältnisses erloschen. Die Anwendung des
st. gallischen Vormundschaftsgesetzes sei ausgeschlossen und nach dem
massgebenden österreichischen Recht sei ein Abwesenheitskurator nicht
bestellt worden. Der Verlust des Depositenscheines als Schuldurkunde habe
zur Folge, dass dessen Mortifikation erfolgen müsse. Hiefür sei das Recht
des Wohnortes des Schuldners, also das schweizerische Obligationenrecht
massgebend Nach diesem sei der Depositenschein als Namenpapier gemäss
Art. 105 Abs. 1 zu mortifizieren. Über den Umfang des Depositums und die
Pflicht zur Rückzahlung desselben an den Berechtigten seien die Parteien
einig. Dagegen brachte die Beklagte an: Der Kläger sei zum Rückng
des Depositums nicht berechtigt. Denn zunächst werde die Åchtheit der
Unterschrift und der Beglaubigung der von ihm vorgelegten Vollmacht zur
Zeit bestritten, und sodann eUthalte die Vollmacht, speziell angesichts
des Briefes des Johann Orth vom 1. September 1889 keine unzweideutige
Ermächtigung

170 B. Givilrechtspflege.

zu einem mit den Intentionen des Vollmachtgebers im Widerspruch
stehenden Rückzug des Depositums (Art. 1006, 1007 des österreichischen
a. b. G.-B.). Abgesehen hievon habe die Vollmacht gegenwärtig angesichts
der notorischen Verschollenheit des Johann Orth keine Gültigkeit mehr,
da an Stelle eines Verschollenen nicht ein Anwalt mit einer gewöhnlichen
Anwaltsvollmacht, sondern nur ein curator absentis klagen könne. Für
den Fall, dass Kläger zur Rücknahme des Depositums an sich legitimiert
erscheinen sollte, solle das Gericht feststellen, unter welchen
Modalitäten diese Rückgabe erfolgen dürfe und müsse.

2. In erster Linie muss geprüft werden, inwieweit das Bundesgericht zur
Beurteilung der Berufung kompetent ist: Da der gesetzliche Streitwert
gegeben ist, so hängt dies davon ab, ob in der Sache eidgenössisches
Recht anwendbar ist. Nun kann einein Zweifel nicht unterliegen, dass
der eingeklagte Anspruch selbst, d. h. der Anspruch des Johann Orth auf
Rückgaba des der Bank anbertrauten Depositums, dem eidgenössischen Recht
untersteht Denn der Hinterlegnngsvertrag, auf welchen diese Forderung
sich stützt, ist in der Schweiz abgeschlossen worden, und war dort,
wo der Aufbewahrer (die Bank) seinen Sitz Hat, zu erfüllen, er wird
also vom schweizerischen Rechte beherrscht. Das Bundesgericht ist daher
grundsätzlich kompetenL Dies schliesst indessen nicht aus, dass einzelne,
für die Endentscheidnng präjudizielle Rechtsfragen nach ausländischem
oder nach kantonalem Recht zu entscheiden sind, und das Bundesgericht also
hinsichtlich deren Lösung an das Erkenntniss der Vorinstanz gebunden ist.

3. Dies ist in der That in mehrfachen Beziehungen der Fall. Die Beklagte
bestreitet nämlich nicht, dem Johann Orth, oder seinem legitimierten
Rechtsnachfolger oder Stellvertreter zur Herausgabe der Hinterlage
gegen Rückgabe des Depositenscheines verpflichtet zu sein, sondern
sie bestreitet in erster Linie einerseits, dass Namens des Johann Orth
überhaupt noch geklagt werden könne, dieser noch parteifähig sei, da er
durch den Tod die Rechts-

fähigkeit verloren habe, und andrerseits, dass der als Bevollmäch-

tigter des Johann Orth klagende Dr. von Haberler befugt seiden Anspruch
aus demEHinterlegungsdertrag Namens des Johann Orth geltend zu machen
In letzter Linie wird sodann die Ein-V. Obligationenrecht. N° 31. 171

wendung erhoben, dass auch Johann sOrth selbst, oder ein gehörig
legitimierter Rechtsnachfolger oder Stellvertreter desselben die
Herausgabe des Depositums nur gegen Rückgabe des Depositenscheines
verlangen könnte, und das Begehren gestellt, das Gericht möchte
entscheiden, unter Beobachtung welcher Formatt: täten die Herausgabe
des Depositums zu erfolgen habe.

4. Hinsichtlich der Frage der Parteifähigkeit des Johann Orth d. h. der
dieselbe bedingenden Rechtsfähigkeit nun ist keinenfalls eidgenössisches
Recht massgebend Einen Beweis für den Tod des Johann Orth hat die
beklagte Partei nicht geführt und auch (übrigens gewiss mit Recht) nicht
anerboten. Die Sachlage ist also die, dass über Leben oder Tod des Johann
Qrth keine Gewissheit besteht, sondern Ungewissheit herrscht. Sein Tod
mag nach den Umständen als wahrscheinlich erscheinen, bewiesen ist er
jedenfalls nicht. Die Frage aber, ob ein Verschollener, über dessen
Leben und Tod keine Gewissheit besteht, rechtlich als fortlebend
zu betrachten sei, ist auch dann, wenn sie für Rechtsverhältnisse
des Obligationenrechtes in Betracht t'o-mmf, keine Frage des
leigationenrechtes, sondern grundsätzlich eine solche des Personenrechtes
Denn es kommen für deren Beantwortung die Rechtssätze über Beginn und
Ende der Rechtsfähigkeit, also Rechtssätze nicht des Obligationenrechtes,
sondern des Personenrechtes zur Anwendung Die Entscheidung der Vorinstanz,
dass für diese Frage österreichisches Recht massgebend sei, und dass
nach diesem Johann Orth rechtlich als fortlebend betrachtet werden müsse,
entzieht sich also der Nachprüfung des Bundesgerichtes, da für dieselbe
nicht eidgenössisches Recht gilt. Übrigens ist die Annahme der Vorinstanz,
es komme hiefür österreichisches Recht zur Anwendung, nach den Grundsätzen
des internationalen Privatrechtes richtig. Denn anwendbar erscheint,
nach diesen Grundsätzen, das für das Personalstatut des Verschollenen
massgebende Recht. Dieses ist aber in cnsu zweifellos österreichisches
Recht, da der Verichollene sowohl österreichischer Staatsangehöriger
war, als auch in Osterreich seinen letzten bekannten Wohnsitz hatte,
sein Personalstatut sich also nach österreichischem Rechte beurteilt,
mag man für dasselbe das Recht der Heimat oder dasjenige des Wohnsitzes
W massgebend erachten.

172 B. Civilrechtspflege.

5. In Bezug aus die weitere Frage, ob der klagende Bevoll-. "

mächtigte Dr. von Haberler zur Geltendmachung des streitigen
Anspruches Namens des Johann Orth befugt sei, ist zu bemerken:
Nachdem, wie ausgeführt, davon auszugehen ist, es sei Johann Orth
rechtlich als fortlebend zu behandeln, kann selbstverständlich davon
keine Rede sein, dass die Vollmacht wegen Todes des Vollmachtgebers
erloschen ware. Ob für denselben, wegen seiner langen Abwesenheit,
ein curator absentîsss hätte bestellt werden sollen, beurteilt sich,
da es sich dabei unseine Frage des Vormundschaftsrechtes handelt,
nicht nach dem eidgenössischen Obligationenrecht, sondern nach dem,
in Gemässheit des kantonalen st. gallischen Rechtes hiefür örtlich
massgebenden Vormundschaftsrechte. Die Vorinstanz hat angenommen, es
sei dies-das österreichische Recht, und nach diesem sei die Bestellung
eines curator absentis nicht erforderlich gewesen, da der Verschollene
einen ordentlichen Sachwalter zurückgelassen habe. Diese Entscheidung
entzieht sich, da sie nicht auf der Anwendung eidgenbssischen Rechtes
beruht, der Nachprüfung des Bundesgerichtess Es kann sich also für die
Befugniss des Dr. v. Haberler, als Stellvertreter des Johann Orth den
streitigen Anspruch geltend zu machen, da die Ächtheit der Vollmacht vom
9. Januar 1890 prozessualisch festgestellt ist, nur noch darum handeln,
ob diese Vollmacht, ihrem Inhalte nach, ihn hier ermächtige. Nun ist die
Vollmachtsurkunde in preussischem Staatsgebiete unterzeichnet worden;
nichtsdestoweniger kann indessen wohl keinem Zweifel unterliegen, dass
der Vollmachtsvertrag zwischen Johann Orth und seinem Bevollmächtigten
nicht dem preussischen, sondern dem österreichischen Rechte Untersteht,
denn derselbe ist zwischen österreichischen Angehörigen und Einwohnern,
speziell zur Ausführung durch einen österreichischen Bevollmächtigten von
seinem österreichischen Wohnsitze aus, abgeschlossen, und es ist offenbar
nur zufälligerweise die Vollmachtsurkunde ausserhalb des österreichischen
Staatsgebietes unterzeichnet worden. Nun nimmt die Vorinstanz an, nach
. österreichischem Rechte ermächtige diese Vollmacht den Bevollmächtigten
zum Rückzug des Depositums bei der Beklagten. Diese Entscheidung ist
vorn Bundesgerichte nicht nachzupriifm Jst dieselbe richtig, so scheint
klar zu sein, dass dann jedenfallsV, Ohligatiouenrecht. N° 31. 173

ber Vollmachtgeber oder sein Rechtsnachfolger eine an den BeVollmächtigten
geschehene Leistung ohne weiteres gegen sich gelten Izzssen müssen. Daran
festzuhalten ist jedenfalls, dass der Vollmachtgeber durch den
Bevollmächtigten insoweit gültig vertreten wird, als dieser nach dem den
Vollmachtverirag beherrschenden Rechte hier befugt ist. Es braucht also
im vorliegenden Falle nicht untersucht zu werden, wie sich die Sache bei
Anwendung eivgenössischen Rechts verhalten würde, und braucht auch auf die
Frage nicht eingetreten zu werden, ob für Beurteilung des Jnhaltes einer
Vollmacht nicht auch das Recht des Landes, in welchem der Bevollmächtigte
als Stellvertreter des Vollmachtgebers gehandelt hat, dann in Betracht
komme, wenn dieses Recht der Vollmacht einen weitergehenden Inhalt
beilegt, als das Recht, welchem der der Vollmacht zu Grunde liegende
Vertrag untersteht. Übrigens mag bemerkt werden, dass die in Rede
stehende Entscheidung der Vorinstanz sachlich auch bei Anwendung des
eidgenössischen Obligationenrechtes (wie des österreichischen Rechts)
als richtig erscheint. Die Vollmacht vom 9. Januar 1890 ist nicht,
wie die Beklagte gemeint hat, eine gewöhnliche Advokatem vollmacht,
sondern eine sehr weitgehende Vollmacht zur Vermögensverwaltung, sie
ermächtigt den Bevollmächtigten, ohne jede örtliche oder ziffermässige
Beschränkung u. a, zur Erhebung von Geld oder Geldeswert, also gewiss auch
zum Rückng des streitigen Depositun1s. Der Brief des Vollmachtgebers vom
1. September 1889 ist durchaus nicht geeignet, den Inhalt dieser, zudem
später ausgestellten, Vollmacht in irgend welcher Weise einzuschränken,
und kann sich auf Personen, welche sich als Bevollmächtigte des Schreibens
ausweisen, überhaupt nicht beziehen.

6. Danach kann sich denn nur noch fragen, ob die Klage deshalb abzuweisen
sei, weil der Depositenschein nicht zurückgegeben werden fami, und
nicht gerichtlich amortisiert ist. Diese Frage ist unzweifelhaft nach
eidgenössischem Recht zu beurteilen, sie ist aber unbedenklich zu
verneinen. Der Depositenschein ist Namenpapier, weder vollkommenes,
noch auch nur ein unvollkommenes, fog. hinkendes Jnhaberpapier, er
lautet auch nicht an Ordre, sondern ist vielmehr einfach auf den Namen
des Hinterlegers cIns-gestellt, und es erfolgt nach den Bestimmungen
der aufge-

174 B. Civilrechtspflege.

druckten Bedingungen die Auslieferung des Depositums an den Deponenten
oder einen von ihm hiezu genügend Bevollmächtigten

Er ist also weder Inhabernoch indossables Papier, sondern ein si

gewöhnliches Namenpapier, welche-Z, wie übrigens schon seine äussere
Form zeigt, gar nicht zur Cirkulation bestimmt ist. Allerdings enthalten
die aufgedruckten Bedingungen die Vorschrift, die Auslieferung des
Depositums erfolge gegen die Rückgabe des quittierten Depositenscheines
Allein diese Klausel stempelt den Depositenschein nicht zum Wertpapier,
bei welchem derSchuldner nur gegen Nückgabe der Urkunde oder gegen
ein dieselbe vertretendes, auch gegen Dritte wirksames gerichtliches
Amortisationsdekret zur Erfüllung verpflichtet ist. Vielmehr anerkennt das

Obligationenrecht als Wertpapiere, bei welchen dies zutrifft, wie '

das Bundesgericht in seiner Entscheidung in Sachen Hauert gegen Zürcher
Kantonalbank vorn 21. Juni 1884 (Uniti. Samml. der bundesger. Entsch,
Bd. X, S. 281 ff.) ausgesprochen hat, (ab gesehen von den dem kantonalen
Rechte vorbehaltenen grundversicherten Papieren) nur Wechsel, Qrdreoder
Jnhaberpapiere. Für alle übrigen verbrieften Forderungen gilt nach dem
Obligationenrecht einfach die Regel des am. 105 Abs. 1 dieses Gesetzes,
wonach, wenn der Gläubiger behauptet, der Schuldschein sei abhanden
gekommen, der Schuldner bei der Zahlungsleistung fordern kann, dass der
Gläubiger die Entkräftung des Schuldscheines und die Tilgung der Schuld in
einer öffentlichen oder beglaubigten Urkunde erkläre. Die erwähnte Klausel
des Lepositenscheines enthält in der That, gegenüber dem gemeinen Rechte
der verbrieften Forderungen, wonach gemäss Art. 102 O R der Schuldner {bei
gänzlicher Tilgung der Schuld die Riickgabe des Schuldscheines verlangen
kann, kaum etwas aussergewöhnliches Es hat denn auch die Anwendung
von Art. 105 Abs. 1 :O.-Rauf den fraglichen Depositenschein keinerlei
Gefährdung des Schuldners zur Folge, da die Forderung aus dem Scheine
eben nur nach den gewöhnlichen Regeln der Cession übertragbar ist Dass
der Gläubiger die Behauptung, der Schuldschein sei abhandeu gekommen,
persönlich ausstellen müsse, nicht auch sein Stellvertreter diese
Behauptung in seinem Namen aufstelleu könne-, ist offenbar unrichtig,
denn es gehört ja die AufstellngV. Obligationenrecht. N° 32. 175

dieser Behauptung zur Geltendmachung desjenigen Anspruchs zu dem der
Stellvertreter befugt isi. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen, und daher

das Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 10. November
1896 in allen Teilen bestätigt.

32. Urteil vom 22. Januar 1897 in Sachen Bloch gegen Schlumberger.

A. Durch Urteil vom 23. November 1896 hat das Appellationsgericht des
Kantons Baselstadt erkannt: Es wird das erstinstanzliche Dispositiv
bestätigt.

Das erstinftanzliche Urteil ging dahin, die Beklagten seien zur Zahlung
von 2500 Fr. nebst 5 0/0 Zins seit dem 24. Juli 1896 und von 47 Fr. an
den Kläger verurteilt,

B. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrag, das Bundesgericht wolle dasselbe
gemäss Art. 79, Abs. 2 des Qrganis.-Ges. Über die Bundesrechtspflege
aufheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht
zurückweisen. Eventuell sei der Kläger m Aufhebung des angefochtenen
Urteils mit seiner Klage abzuweisen, alles unter Kostenfolge.

Der Kläger beantragt in seiner Autwortschrift die Berufung Fblzuweisen
und das angefochtene Urteil zu bestätigen, unter Kosteno ge.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Am 1. Juli 1896 kaufte der Kläger, Schlumberger-Vischer m Basel,
von den Beklagten, den Pferdehändlern Gebr. Vloch daselbst, eine
Jrländer-Stute gegen Zahlung von 2000 Fr. und Hingabe eines Braunwallachs
Die Beklagten verpflichteten sich dabei, die Stute bis zum 1.August
gl. Jahres gegen Varbezahlung von z2500Fr. zurückzunehmen, falls sie
beim Reiten oder
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 23 I 166
Datum : 22. Januar 1897
Publiziert : 31. Dezember 1897
Quelle : Bundesgericht
Status : 23 I 166
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 166 B, Civilrechtspflege. jedermann zuzumuten ist. Vorliegend muss dies nun aber


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • beklagter • frage • vorinstanz • tod • schuldner • bedingung • richtigkeit • brief • schiff • wertpapier • namenpapier • kantonsgericht • kantonales recht • stelle • aktiengesellschaft • personenrecht • leben • zweifel • staatsgebiet
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