421 B. Civilrechtspfiege.

auf Genesung schlechte seien. Diese Entscheidung ist tatsächlicher
Natur und das Bundesgericht daher an dieselbe gebunden. Hievon
ausgegangen aber ist die vorinstanzlich für Schmälerung resp, Aufhebung
der Erwerbsfähigkeit gesprochene Entschädigung ben 4500 Fr. die
Heilnngskosten sind nicht bestritten keineswegs übersetzt. Denn
nach der gedachten Annahme ist der Kläger voraussichtlich dauernd
erwerbsuufähig, so dass ihm mutmasslich, ein dauernder Einkonimensausfall
von circa 900 Fr. entsteht Diesem Einkommensausfall würde bei dem Alter
des Klägers ein den geforderten Betrag von 4500 Fr. sehr erheblich
übersteigendes Rentenkapital entsprechen Danach ist die vorinstanzliche
Entscheidung einfach zu bestätigen. Denn der Kläger hat sich über den
vom Obergericht zu Gunsten des Beklagten gemachten Vorbehalt, wonach
diesem vorbehalten wird, bei wesentlicher Besserung des Befindens des
Verletzten 1500 Fr. von der gesprochenen Entschädigung, welche zu diesem
Zwecke während der Frist des Art. 13 des Fabrikhaftpflichtgesetzes zu
deponieren sind, zurückzufordern, nicht beschwert. Gemäss den heutigen
Erklärungen der Parteien ist lediglich der Zusatz aufzunehmen, dass
für die dem Beklagten auferlegten Leistungen die Jutervenientin die
Unfallversicherungsgesellschaft Winterthur, dem Kläger solidarisch
einzuftehen hat Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Weiterziehung wird als unbegründet abgewiesen und es hat demnach in
allen Teilen bei dem angefochtenen Urteile des Qbergerichtes des Kanten-Z
Aargau sein Bewenden.

71. Urteil vom SO. Juni 1893 in Sach en Bickel gegen Diener.

A. Durch Urteil vom 25. April 1893 hat die Appellationskammer des
Obergerichtes des Kantons Zürich erkannt: Die Klage wird abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil ergriff der Kläger die Weiterziehung an das
Bandes-gericht. Bei der heutigen Verhandlung trägt sein Anwalt, indem
er gleichzeitig um Erteilung des Armenrechts anVU. Haftpflicht für den
Fabsikund Gewerbebetrieb. N° 71. 425

seinen Klienten nachsucht, auf Gutheissung des Rekurses und der Klage
an. Der Anwalt des Beklagten beantragt Abweifung der gegnerischen
Beschwerde und Beftätigung des vorinstanzlichen Urteils.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der im Jahre 1868 gebotene Kläger stand seit dem 15. Februar 1892
in der Blechwaarenfabrik des Beklagten mit einem Taglohn von zuletzt
circa 4 Fr. in Arbeit. Am 16. April 1892 Nachmittags, war er damit
beschäftigt, an der für das Schneiden von Metall, insbesondere Blech,
bestimmten Fraiseneinrichtung, Henkel für Giesskannen zuzuschneide11. Das
Cirkularsägeblatt von 12 Centimeter Durchmesser ist an einer ältern
ursprünglich und hauptsächlich zum Drehen und Blechdriicken bestimmten
Bank von circa 180 Centimeter Höhe an einem 20 Centimeter langen,
vertikalen eisernen Stabe (sogen. fliegender Dorn) angebracht Dasselbe
macht in der Minute circa 3000 Umdrehungen. Als Schutzvorrichtung
zum Arbeiten an dieser Fraise und um überhaupt für die mit der Fraise
zu schneidenden Objekte eine feste Auflage zu haben, war ein aus Holz
verfertigter sogenannter Auflagetisch dorhandeu, der circa 24 Centimeter
in der Länge und circa 16 Centimeter in der Breite misst und in der
Mitte mit einem Schlitze versehen isf, dazu bestimmt, beim Auslegen des
Tisches auf den Auflageftock genügend Raum für das Fraiseublait offen
zu lassen. Durch das Auslegen dieses Tisches wird das sonst ganz frei
liegende Fraisenblatt derart eingedeckt, dass nur ein Fraisenblattsegment
von 24 28 Millimeter Pfeilhöhe über den Auflagetisch hervorragt Da die
Bank, an der diese Einrichtung angebracht ist, auch zu andern Arbeiten,
insbesondere zum Drehen verwendet wird, muss jeweilen, wenn gefraist
werden soll, die Fraiseneinrichtung in der Weise vorerst montiert werden,
dass der Anklagestock in richtiger Entfernung angebracht und daran der
Fraisentisch befestigt wird. Am 16. April 1892 nun gebrauchte der Kläger
den als Schutzvorrichtung dienenden Auflagetisch nicht, sondern bediente
sich für seine Arbeit lediglich einer selbstverfertigten Schablone,
welche einzig aus einem hölzernen Brette bestand, auf welchem der zu
schneidende Henkel, um demselben Halt zu gehen, zwischen eine Partie
Stifteri, der Rundung des Henkels entsprechend, aufgelegt wurde. Diese
Schablone war mit der Fraiseneinrichtung nicht fest verbunden, sondern
musste von dein Klager-

426 B. Civilrechtspflege.

beim Gebrauche mit beiden Händen an die Fraise gehalten werden so dass der
Auflagestock oder Dorn den einzigen Stützpunkt fù;die Schablone bildete
und somit ein Überkippen derselben sehr leicht möglich war. Während der
Arbeit des Klägers kippte denn auch wirklich die Schablone nm und der
Kläger stürzte mit dem rechten Arm in die Fraise, die den Vorderarm bis
zu den Knochen durchschnitt.

2. Der auf Ersatz der Heilund Verpflegungskosten, sowie

aus eine Entschädigung für Minderung der Erwerbsfähigkeit von 6000
Fr. gerichteten Entschädigungsklage des Verletzten hat der Vetlagte
die Einrede des Selbstverschuldens entgegengestellt Diese Einrede
muss," nach dem von den Vorinstanzen festgestellten Tatbestande,
in Ubereinstimmung mit den Vorinstanzen, für begründet erklärt
werden. Rücksichtlich der Begründung kann im wesentlichen auf die
Entscheidungsgründe der Vorinstanzen verwiesen und maghier nur kurz
bemerkt werden: Die Vorinstanzen stellen gestützt auf die von ihnen
erhobenen Expertengutachten fest, dass der vorhandene Auflagetisch als
eine allen Anforderungen genügende Schutzvorrichtung zu betrachten sei
und dass weitere Schutz-vorrichtungen nicht wohl haben angebracht werden
können. Sie stellen

ferner fest, dass die Ursache des Unfalles einzig und allein darin ss

liege, dass der Kläger ohne diese Schntzvorrichtung zu gebrauchen an
der Fraise gearbeitet habe, während bei Gebrauch des Aqu lagetisches
der Unfall, so wie er sich ereignete, nicht hätte eintreten können. Der
Unfall ist also einzig Und allein dadurch verursacht worden, dass der
Verletzte es Vernachlässigt hat, einer vorhandenen Schutzvorrichtung sich
zu bedienen. Darin liegt ohne Zweifel eine Fahrlässigkeit. Die Benutzung
der Maschine ohne Auflagetisch war, wie dem Klagen als erfahrenem
Arbeiter, nicht unbekannt sein konnte, gesährlichz wenn der Kläger aus
Bequemlichkeit oder weil er so mit seiner Arbeit rascher vorwärts kam,
nichtsdestoweniger die vorhandene Schutzvorrichtung nicht gebraucht hat,
so hat er sich dadurch einer höchst unvorsichtigen Handlungsweise schuldig
gemacht. Der Kläger hat nun allerdings einge-

wendet, der Auslagetisch sei von dem Arbeiter Kopp blos zu

seinem persönlichen Gebrauche angefertigt worden und es sei ihm dessen
Vorhandensein nicht bekannt gewesen. Allein diese Behauptungen sind
durch die tatsächlichen Feststellungen der Verkn-"ll. Haftpflicht für
den Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 71. 427

stanzen widerlegt. Denn danach steht fest, dass der Arbeiter Kopp den
Fraisentisch nicht bloss zu seinem persönlichen Gebrauche, sondern für das
Geschäft angefertigt hat, dass dieser Tisch denn auch stets auf der Bank
zur Verfügung bereit lag und dass Kopp den Kläger unmittelbar vor dein
Unfalle, als der Kläger an der Fraise arbeitete, darauf aufmerksam machte,
dass für diese Arbeiten der Auflagetisch da sei. Ein Mitverschulden
des Veklagten oder einer Person, für welche dieser einzustehen hatte,
liegt nicht vor. Die nötigen und möglichen Schutzvorrichtutigen, welche
geeignet waren, Unfälle zu verhüten, waren, wie bemerkt, vorhanden. Dass
der Beklagte wissentlich gefährliches Hantieren der Arbeiter ohne
Schutz-vorrichtungen (etwa im Interesse rascherer Beförderung der
Arbeit u. drgl.) geduldet hätte, ist nicht dargetan. Der Arbeiter Kopp,
welcher, als der Kläger seine verhängnisvolle Arbeit begann, einzig
in dein Lokale anwesend war, hat den Kläger allerdings nicht positiv
angewiesen, den Fraisetisch zu gebrauchen, sondern hat ihn als er, trotz
der ihm erteilten Mahnung, ohne Gebrauch der Schutzvorrichtung arbeitete,
gewähren lassen. Allein es ist nun in keiner Weise dargetan, dass der
Arbeiter Kopp Mandatar des Geschäftsherrn oder Aufseher ae. gewesen wäre
und ihm obgelegen hätte, den Kläger bei seiner Arbeit zu überwachen. Der
Kläger war ja denn auch kein Lehrling oder unausgebildeter Arbeiter mehr,
sondern gegenteils ein vollständig ausgebildeter Arbeiter-, von welchem
nicht anzunehmen war, dass er bei Benutzung der Fraiseeinrichtung noch
fortwährend der Anleitung und Überwachung bedürfe. Dass auch ein anderer
Arbeiter (Plechatti), wenn er die Fraise brauchte, den Auflagetisch
nicht zu gebrauchen pflegte, sondern, gleich wie der Klager, sich einer
blossen Schablone bediente, vermag weder den Kläger zu entschuldigen,
noch ein Mitverschulden des Geschäftsherrn zu begründen Demnach hat das
Bundesgericht erkannt:

Die Weiterziehung des Klägers wird als unbegründet abgewiesen und
es hat demnach in allen Teilen bei dem angefochtenen Urteile der
Appellationskammer des Obergerichtes des Kantons Zürich sein Bewenden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 19 I 424
Datum : 31. Mai 1893
Publiziert : 30. Dezember 1893
Quelle : Bundesgericht
Status : 19 I 424
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 421 B. Civilrechtspfiege. auf Genesung schlechte seien. Diese Entscheidung ist tatsächlicher


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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