146 I 97
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonspolizei Zürich (Beschwerde in Strafsachen) 1B_115/2019 vom 18. Dezember 2019
Regeste (de):
- Art. 7
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. 2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. 3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. 2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. 3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. 2 Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.
1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. 2 Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. 3 Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. 4 Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 197 Grundsätze - 1 Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn:
1 Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn: a sie gesetzlich vorgesehen sind; b ein hinreichender Tatverdacht vorliegt; c die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können; d die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt. 2 Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen. SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 241 Anordnung - 1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen.
1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen. 2 Der Befehl bezeichnet: a die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen; b den Zweck der Massnahme; c die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen. 3 Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei die Untersuchung der nicht einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen anordnen und ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde. 4 Die Polizei kann eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können.
- Ohne ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung ist eine Leibesvisitation, bei welcher sich der Festgenommene vor seiner Verbringung in die Zelle entkleiden und er in die Hocke gehen muss, damit der Polizeibeamte die Aftergegend sichten kann, unverhältnismässig (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 7, 10 al. 2 et 3, 13 al. 1 et 36 al. 3 Cst.; art. 3 CEDH; art. 197 al. 1 let. c et d, 241 al. 4, 249 s. CPP; fouille corporelle.
- En l'absence d'indices sérieux et concrets d'une mise en danger de soi-même ou d'autrui, une fouille corporelle imposant à une personne arrêtée, préalablement à son placement en cellule, de se dévêtir et de s'accroupir afin que le policier puisse vérifier la région anale viole le principe de proportionnalité (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 7, 10 cpv. 2 e 3, 13 cpv. 1 e 36 cpv. 3 Cost.; art. 3 CEDU; art. 197 cpv. 1 lett. c e d, 241 cpv. 4, 249 seg. CPP; perquisizione personale.
- In assenza di indizi seri e concreti di una esposizione a pericolo di sé stessi o d'altrui, una perquisizione personale, nell'ambito della quale la persona arrestata, prima d'essere condotta nella cella, deve spogliarsi e accovacciarsi affinché un agente di polizia possa esaminare la regione anale, è sproporzionata (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 98
BGE 146 I 97 S. 98
A. A. ist estnischer Staatsangehöriger und wohnt in London, wo er als Geschäftsmann tätig ist. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts der Datenbeschädigung. Sie schrieb ihn zur Aufenthaltsnachforschung aus. Am 5. Juli 2018 hielt die Kantonspolizei Zürich A. bei seiner Einreise am Flughafen Zürich an. Auf Nachfrage hin, wie mit A. zu verfahren sei, erliess die Staatsanwaltschaft sogleich einen Zuführungsbefehl. Die Kantonspolizei nahm A. darauf fest. Bevor sie ihn während rund 4 Stunden unbeaufsichtigt in einer Zelle einsperrte, durchsuchte sie ihn. Dabei musste er sich ausziehen. Die Durchsuchung wurde in zwei Phasen durchgeführt. A. durfte jeweils die Kleider des Ober- bzw. Unterkörpers anbehalten. Um allfällige Gegenstände zwischen den Gesässbacken festzustellen, musste er mit entkleidetem Unterkörper in die Hocke gehen.
B. Die von A. gegen die Leibesvisitation erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am 29. Januar 2019 ab (Dispositiv Ziffer 2).
C. A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziffer 2 des Dispositivs des Entscheids des Obergerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Leibesvisitation unrechtmässig gewesen sei (...). (Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Die Vorinstanz legt dar, die Leibesvisitation habe die Bannung der Selbst- und Fremdgefährdung bezweckt. Für eine Leibesvisitation wie hier genüge es, dass Gründe für eine vorläufige Festnahme bestünden und die Verbringung in eine unbeaufsichtigte Zelle erforderlich sei. Weitergehender, konkreter Anhaltspunkte für eine Selbst-
BGE 146 I 97 S. 99
oder Drittgefährdung bedürfe es nicht. Dies entspreche dem Dienstbefehl der Kantonspolizei, der nicht zu beanstanden sei.
2.2 Art. 241
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 241 Anordnung - 1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen. |
|
1 | Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen. |
2 | Der Befehl bezeichnet: |
a | die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen; |
b | den Zweck der Massnahme; |
c | die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen. |
3 | Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei die Untersuchung der nicht einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen anordnen und ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde. |
4 | Die Polizei kann eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 243 Zufallsfunde - 1 Zufällig entdeckte Spuren oder Gegenstände, die mit der abzuklärenden Straftat nicht in Zusammenhang stehen, aber auf eine andere Straftat hinweisen, werden sichergestellt. |
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1 | Zufällig entdeckte Spuren oder Gegenstände, die mit der abzuklärenden Straftat nicht in Zusammenhang stehen, aber auf eine andere Straftat hinweisen, werden sichergestellt. |
2 | Die Gegenstände werden mit einem Bericht der Verfahrensleitung übermittelt; diese entscheidet über das weitere Vorgehen. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 241 Anordnung - 1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen. |
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1 | Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen. |
2 | Der Befehl bezeichnet: |
a | die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen; |
b | den Zweck der Massnahme; |
c | die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen. |
3 | Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei die Untersuchung der nicht einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen anordnen und ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde. |
4 | Die Polizei kann eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 250 Durchführung - 1 Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen. |
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1 | Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen. |
2 | Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub. |
2.3 Gemäss Art. 7
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 3 Achtung der Menschenwürde und Fairnessgebot - 1 Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen. |
|
1 | Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen. |
2 | Sie beachten namentlich: |
a | den Grundsatz von Treu und Glauben; |
b | das Verbot des Rechtsmissbrauchs; |
c | das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren; |
d | das Verbot, bei der Beweiserhebung Methoden anzuwenden, welche die Menschenwürde verletzen. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
|
1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. |
|
1 | Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. |
2 | Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 197 Grundsätze - 1 Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn: |
|
1 | Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn: |
a | sie gesetzlich vorgesehen sind; |
b | ein hinreichender Tatverdacht vorliegt; |
c | die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können; |
d | die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt. |
2 | Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen. |
BGE 146 I 97 S. 100
Erreichung des angestrebten Zwecks genügen. Schliesslich muss die Massnahme dem Betroffenen zumutbar sein (BGE 142 I 135 E. 4.1 S. 151; BGE 141 I 141 E. 6.5.3 S. 151; je mit Hinweisen).
2.4 Das Bundesgericht hatte sich verschiedentlich mit Fällen zu befassen, in denen sich der Betroffene bei einer Leibesvisitation fast oder vollständig nackt ausziehen musste. Im Urteil 1B_176/2016 vom 11. April 2017 (in: Pra 2017 47 S. 475 ff.) ging es um einen Beschuldigten, den die Polizei nach einer Auseinandersetzung in der Luzerner Altstadt zum Polizeigebäude verbracht hatte. Dort unterzog sie ihn einer Leibesvisitation. Dabei musste er sich nackt ausziehen. In der Folge schloss sie ihn während zehn Minuten in einer Zelle ein. Das Bundesgericht erwog, der Beschuldigte sei wegen seiner Anhaltung und Verbringung zum Polizeigebäude unstreitig aufgebracht gewesen. Eine Gefährdung der Polizeibeamten habe daher nicht ausgeschlossen werden können. Um festzustellen, ob der Beschuldigte im Besitz von Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen gewesen sei, hätte es jedoch genügt, ihn über den Kleidern abzutasten. Die vollständige Entkleidung sei dazu nicht erforderlich gewesen. Zwar hätten die Polizeibeamten den Beschuldigten für kurze Zeit in einer Zelle eingesperrt. Für den Ausschluss einer Selbstgefährdung hätte es jedoch ebenfalls genügt, den Beschuldigten über den Kleidern abzutasten und ihm gegebenenfalls den Gürtel und die Schnürsenkel wegzunehmen. Die Leibesvisitation mit Entkleidung sei daher unverhältnismässig gewesen (E. 6.6).
Im Fall, der dem Urteil 6B_391/2013 vom 27. Juni 2013 (in: Plädoyer 2013 5 S. 53 f.) zugrunde liegt, nahm ein Polizeibeamter den Privatkläger, der sich in die polizeiliche Kontrolle eines Drogenkonsumenten eingemischt und das polizeiliche Vorgehen kritisiert hatte, fest und ordnete seine Verbringung zum Polizeiposten an. Dort wurde der Privatkläger einer Leibesvisitation unterzogen, bei der er sich nackt ausziehen musste. Das Obergericht des Kantons Zürich befand, die Leibesvisitation sei mit Blick auf den konkreten Tatvorwurf (Nichtentfernen der Hände aus den Hosentaschen) unverhältnismässig gewesen. Es hätten keine Verdachtsmomente bestanden, dass der Privatkläger Drogen oder gefährliche Gegenstände auf sich tragen könnte, die nicht mit einem Abtasten über der Kleidung hätten gefunden werden können. Die Leibesvisitation sei daher unrechtmässig gewesen (E. 1.2). Dem pflichtete das Bundesgericht bei. Es erwog,
BGE 146 I 97 S. 101
der Polizeibeamte hätte die von ihm beim Privatkläger befürchteten gefährlichen Gegenstände wie Messer und Feuerwerk sowie allfällige Drogen durch Abtasten über der Kleidung finden können (E. 1.4). Eine Leibesvisitation, bei der sich ein bei Krawallen Festgenommener bis auf die Unterhose ausziehen musste, erachtete das Bundesgericht im Urteil 1P.323/1988 vom 15. Februar 1991 ebenfalls als unverhältnismässig. Zum Auffinden gefährlicher Gegenstände sei die Entkleidung nicht notwendig gewesen. Ein Abtasten hätte genügt (E. 5c). Die Rechtmässigkeit der Leibesvisitation verneinte das Bundesgericht überdies in einem Fall, in dem sich eine bei einer unbewilligten Demonstration Festgenommene im Polizeiposten bis auf den Slip ausziehen musste. Das Bundesgericht legte dar, es werde nichts dafür vorgebracht, weshalb sich gerade gegenüber der Festgenommenen eine Leibesvisitation aufgedrängt hätte. Weder werde behauptet, es hätte die Vermutung bestanden, dass die Festgenommene an Gewaltakten beteiligt gewesen sei, noch würden Verdachtsmomente genannt, die auf den Besitz gefährlicher Gegenstände hätten schliessen lassen. Bei dieser Sachlage könne es klarerweise nicht mehr als verhältnismässig gelten, wenn die Festgenommene dazu verhalten worden sei, sich zu entkleiden. Eine Kontrolle durch Abtasten, eventuell unter Benützung gängiger technischer Hilfsmittel, hätte genügt (BGE 109 Ia 146 E. 8a S. 158 mit Hinweis auf das Urteil P.656/1980 vom 3. Juni 1981 E. 4).
2.5 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es nachvollziehbar, dass ein Inhaftierter, der einer körperlichen Durchsuchung unterzogen wird, sich dadurch in seiner Intimität und Würde beeinträchtigt fühlt, besonders wenn er sich vor anderen entkleiden und eine unangenehme Stellung ("posture embarassante") einnehmen muss. Eine solche Behandlung ist jedoch nicht per se illegitim. Auch vollständige körperliche Durchsuchungen können sich als notwendig erweisen zur Gewährleistung der Sicherheit im Gefängnis - einschliesslich jener des Inhaftierten selbst -, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Vorbeugung von Straftaten. Körperliche Durchsuchungen müssen allerdings für die Erreichung dieser Zwecke erforderlich ("nécessaire") sein. Zudem müssen sie so durchgeführt werden, dass das Mass des Leids oder der Erniedrigung des Inhaftierten nicht jenes übersteigt, das mit dieser
BGE 146 I 97 S. 102
Art Behandlung unvermeidlich verbunden ist. Je schwerer der Eingriff in die Intimität des Inhaftierten wiegt, desto grössere Wachsamkeit ("vigilance") drängt sich auf. Dies gilt insbesondere, wenn er sich vor anderen ausziehen und unangenehme Stellungen einnehmen muss. Zwar kann es notwendig sein, den Inhaftierten im Hinblick auf die Sichtung der Aftergegend dazu anzuhalten, sich zu bücken und zu husten. Eine solche Massnahme ist jedoch nur zulässig, wenn sie angesichts der besonderen Umstände absolut notwendig ist und wenn ernsthafte und konkrete Verdachtsmomente bestehen, dass der Inhaftierte verbotene Gegenstände oder Substanzen in diesem Körperteil verbirgt (Urteil Frérot gegen Frankreich vom 12. Juni 2007, § 38-41 mit Hinweisen; MEYER-LADEWIG/LEHNERT, in: EMRK, Handkommentar, Meyer-Ladewig und andere [Hrsg.], 4. Aufl. 2017, N. 34 zu Art. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
2.6 Im Schrifttum wird dargelegt, für eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung seien Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass ohne diese Massnahme eine konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegen könnte oder andere besonders wichtige Rechtsgüter betroffen sein könnten (HANS MAURER, in: Kommentar zum Polizeigesetz des Kantons Zürich, Donatsch und andere [Hrsg.], 2018, N. 9 zu § 35 PolG). Die Polizeibeamten dürften nicht systematisch eine Leibesvisitation mit Entkleidung durchführen. Massgeblich seien die Umstände (MARC RÉMY, Droit des mesures policières, 2008, S. 74 f. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Kassationshofs des Kantons Genf). Eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung sei unverhältnismässig, wenn kein objektiver Grund zur Annahme bestehe, dass der Betroffene im Besitz gefährlicher Gegenstände sei. Dasselbe gelte, wenn das Abtasten über den Kleidern genüge (GUÉNIAT/HAINARD, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 1 f. zu Art. 250
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 250 Durchführung - 1 Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen. |
|
1 | Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen. |
2 | Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub. |
2.7 Der angefochtene Entscheid widerspricht der dargelegten Rechtsprechung. Danach ist auch bei jemandem, der in eine Zelle eingesperrt wird, eine Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung und Verpflichtung des Betroffenen, in die Hocke zu gehen, nur zulässig, wenn ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Solche Anhaltspunkte können sich aus der dem Betroffenen vorgeworfenen Straftat ergeben. Es ist nicht dasselbe, ob jemandem ein Gewaltdelikt zur Last gelegt wird und man es deshalb mit einer mutmasslich gefährlichen Person zu tun
BGE 146 I 97 S. 103
hat oder ob es an einem solchen Delikt fehlt und damit insoweit keine Anzeichen für eine Gewaltbereitschaft vorliegen. Zu berücksichtigen ist sodann das Verhalten des Festgenommenen. Verhält er sich aggressiv, spricht das für die Zulässigkeit der Leibesvisitation. Anders liegt es, wenn er sich anständig und kooperativ verhält. Im Weiteren ist von Bedeutung, ob die Verbringung des Festgenommenen in eine Zelle für ihn überraschend kommt. In einem derartigen Fall hat er in der Regel weder Zeit noch Gelegenheit, Waffen oder andere gefährliche Gegenstände unter den Kleidern zu verbergen. Eine andere Situation besteht, wenn der sich auf freiem Fuss befindliche Betroffene zum Voraus weiss, dass er in eine Zelle verbracht werden wird, wie das namentlich beim Antritt einer Freiheitsstrafe der Fall ist.
2.8 Dem Beschwerdeführer wird eine Datenbeschädigung gemäss Art. 144 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 144 - 1 Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Hat der Täter die Sachbeschädigung aus Anlass einer öffentlichen Zusammenrottung begangen, so wird er von Amtes wegen verfolgt. |
3 | Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die Tat wird von Amtes wegen verfolgt.202 |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können. |
BGE 146 I 97 S. 104
unter Einsatz geeigneter technischer Hilfsmittel - über den Kleidern abtastet und ihm vor der Verbringung in die Zelle den Gürtel und die Schnürsenkel wegnimmt.
2.9 Die Vorinstanz hebt die Praktikabilität des Dienstbefehls hervor. Zwar trifft zu, dass es für den Polizeibeamten einfacher ist, wenn er vor der Verbringung des Festgenommenen in die Zelle diesen stets einer Leibesvisitation zu unterziehen hat und sich keine Gedanken zur Verhältnismässigkeit machen muss. Dem kommt jedoch kein massgebliches Gewicht zu (ebenso der Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, N. 33). Praktikabilitätsüberlegungen dürfen nicht zulasten eines effektiven Grundrechtsschutzes gehen. Die Polizeibeamten sind zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit verpflichtet (Art. 5 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
|
1 | Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
2 | Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. |
3 | Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. |
4 | Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. |
2.10 Die Beschwerde wird deshalb gutgeheissen. Ziffer 2 des Dispositivs des angefochtenen Entscheids wird aufgehoben und festgestellt, dass die Leibesvisitation vom 5. Juli 2018 unrechtmässig war.