142 IV 229
30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Beschwerde in Strafsachen) 6B_104/2016 vom 21. Juni 2016
Regeste (de):
- Abgekürztes Verfahren (Art. 358 ff
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 358 Grundsätze - 1 Die beschuldigte Person kann der Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung die Durchführung des abgekürzten Verfahrens beantragen, wenn sie den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt.
- Die Zustimmung zur Anklageschrift im abgekürzten Verfahren erfolgt gegenüber der Staatsanwaltschaft und ist unwiderruflich (Art. 360 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 360 Anklageschrift - 1 Die Anklageschrift enthält:
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 361 Hauptverhandlung - 1 Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch.
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 361 Hauptverhandlung - 1 Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch.
Regeste (fr):
- Procédure simplifiée (art. 358 ss CPP).
- L'acceptation de l'acte d'accusation dans le cadre de la procédure simplifiée est donnée au ministère public et est irrévocable (art. 360 al. 2 CPP). A l'occasion des débats de première instance, le tribunal interroge le prévenu et constate s'il reconnaît les faits fondant l'accusation et si sa déposition concorde avec le dossier (art. 361 al. 1 et 2 CPP). Lorsque les débats de première instance sont ajournés après que cette audition a eu lieu, celle-ci ne doit pas être répétée (consid. 2).
Regesto (it):
- Procedura abbreviata (art. 358 segg. CPP).
- Nella procedura abbreviata, l'accettazione dell'atto d'accusa ha luogo dinanzi al pubblico ministero ed è irrevocabile (art. 360 cpv. 2 CPP). In occasione del dibattimento di primo grado, il tribunale interroga l'imputato e accerta se quest'ultimo ammette i fatti su cui poggia l'accusa e se la sua ammissione concorda con quanto risulta dagli atti di causa (art. 361 cpv. 1 e 2 CPP). Se dopo l'interrogatorio il dibattimento di primo grado è aggiornato, non occorre procedere a un nuovo interrogatorio (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 230
BGE 142 IV 229 S. 230
A. Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen führte gegen X. ein Strafverfahren wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Am 12. September 2014 beantragte X. die Durchführung des abgekürzten Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft hiess den Antrag am 15. September 2014 gut und eröffnete am 16. September 2014 die Anklageschrift. Darin schlug sie vor, X. sei wegen qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher Übertretung desselben zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten sowie zu einer Busse von Fr. 800.- zu verurteilen. Am 29. September 2014 stimmte X. der Anklageschrift zu, worauf die Staatsanwaltschaft diese mit den Akten an das Bezirksgericht Kreuzlingen überwies.
An der bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2014 erklärte X., die Anklage sei grundsätzlich zum Urteil zu erheben. Gleichentags beschloss das Bezirksgericht, die Hauptverhandlung werde zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt. An der Hauptverhandlung vom 17. Juni 2015 beantragte X., die Akten seien an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückzuweisen.
B. Am 17. Juni 2015 verurteilte das Bezirksgericht X. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Übertretung desselben zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten und einer Busse von Fr. 800.-. Es auferlegte ihm eine Ersatzforderung von Fr. 1'200.- und die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 4'010.-. Den amtlichen Verteidiger entschädigte es mit Fr. 6'548.25.
C. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die Berufung von X. am 3. November 2015 ab und bestätigte das bezirksgerichtliche Urteil.
D. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Durchführung des ordentlichen Verfahrens an die kantonalen Behörden zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, er habe der Anklageschrift nicht zugestimmt.
BGE 142 IV 229 S. 231
2.1 Gemäss Art. 358 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 358 Grundsätze - 1 Die beschuldigte Person kann der Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung die Durchführung des abgekürzten Verfahrens beantragen, wenn sie den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 360 Anklageschrift - 1 Die Anklageschrift enthält: |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 360 Anklageschrift - 1 Die Anklageschrift enthält: |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 361 Hauptverhandlung - 1 Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 362 Urteil oder ablehnender Entscheid - 1 Das Gericht befindet frei darüber, ob: |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 362 Urteil oder ablehnender Entscheid - 1 Das Gericht befindet frei darüber, ob: |
BGE 142 IV 229 S. 232
im Dispositiv. Dieser Entscheid ist nicht anfechtbar (Art. 362 Abs. 3

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 362 Urteil oder ablehnender Entscheid - 1 Das Gericht befindet frei darüber, ob: |

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2.2 Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe am 12. September 2014 die Durchführung des abgekürzten Verfahrens beantragt und erklärt, den Sachverhalt anzuerkennen. Am 29. September 2014 habe er der Anklageschrift zugestimmt. An der Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2014 habe der Beschwerdeführer auf Frage des Bezirksgerichtspräsidenten bestätigt, die Anklageschrift zu kennen und damit einverstanden zu sein. Nach der persönlichen Befragung des Beschwerdeführers habe dessen Verteidiger beantragt, die Anklage sei bezüglich Straftatbeständen und Sanktionen zum Urteil zu erheben, wobei es im Übrigen dem Gericht überlassen sei, die Angemessenheit der beantragten Freiheitsstrafe unter dem Aspekt der laufenden Entzugstherapie zu würdigen. Nach dem Vortrag der Verteidigung habe der Bezirksgerichtspräsident den Beschwerdeführer erneut nach seiner Meinung gefragt und darauf hingewiesen, dass eine unbedingte Freiheitsstrafe von 11 Monaten beantragt werde, die allenfalls unter Fortführung der laufenden Entzugstherapie in Halbgefangenschaft verbüsst werden könne. Auf die Frage des Bezirksgerichtspräsidenten, ob die Strafsache mit dem Risiko einer höheren Strafe in das ordentliche Verfahren zurückzuweisen sei, habe der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben, er könne und müsse mit beidem leben.
2.3
2.3.1 Dass das Urteil nicht der Anklageschrift entspräche, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Unbestritten ist, dass das abgekürzte Verfahren gesetzeskonform eingeleitet wurde. Der Beschwerdeführer anerkannte im Vorverfahren den der Anklage zu Grunde liegenden und mit der Aktenlage übereinstimmenden Sachverhalt. Er bestätigte, der Anklageschrift im abgekürzten Verfahren unwiderruflich zuzustimmen und auf Rechtsmittel zu verzichten. Dass er sich bei dieser Erklärung in einem Irrtum befunden habe, behauptet er nicht.
BGE 142 IV 229 S. 233
2.3.2 Der Beschwerdeführer hat der Anklageschrift auch vor dem erstinstanzlichen Gericht zugestimmt, als er an der Hauptverhandlung befragt wurde. Zu Unrecht beanstandet der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang, er sei gefragt worden, ob er mit der Anklageschrift einverstanden sei, und nicht, ob er den Sachverhalt anerkenne. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, klärte das erstinstanzliche Gericht an der Befragung vom 3. Dezember 2014, dass die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Anklageschrift rechtmässig erfolgte, dass er den Sachverhalt tatsächlich anerkannte und dass seine Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmte. Aus dieser Befragung ergibt sich, dass der Beschwerdeführer auch mit der unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten vorbehaltlos einverstanden war.
2.3.3 Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, es mangle an seiner Zustimmung zur Anklageschrift, weil er kein zweites Mal befragt worden sei und seine Zustimmung nicht erneuert habe. Dazu stellt die Vorinstanz fest, das erstinstanzliche Gericht habe am 3. Dezember 2014 entschieden, die Hauptverhandlung werde zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt, um die weitere Entwicklung im Zusammenhang mit der Entzugstherapie abzuwarten, damit die Angemessenheit der Sanktion zuverlässiger beurteilt werden könne. Die Vorinstanz befindet zu Recht, dass die Hauptverhandlung vom 17. Juni 2015 als Fortsetzung der Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2014 zu betrachten ist. Wie aus dem Schreiben des Verteidigers vom 16. Februar 2015 hervorgeht, war der Beschwerdeführer mit der Vertagung einverstanden und ging selber vom "im Frühling bevorstehenden zweiten Teil der Verhandlung" aus. Der Beschwerdeführer geht fehl, wenn er meint, er hätte am 17. Juni 2015 nochmals gestützt auf Art. 361 Abs. 2

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 361 Hauptverhandlung - 1 Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 362 Urteil oder ablehnender Entscheid - 1 Das Gericht befindet frei darüber, ob: |
2.3.4 Der Beschwerdeführer übersieht, dass sich der vorliegende Fall grundlegend vom Sachverhalt unterscheidet, der im von ihm
BGE 142 IV 229 S. 234
angerufenen Bundesgerichtsentscheid zu beurteilen war. Dort hatte der Beschuldigte den Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung gemäss Anklageschrift nur an der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme anerkannt. In der Folge ersuchte er die Staatsanwaltschaft um Rückzug der Anklage, weil er im ordentlichen Verfahren eine tiefere Strafe erwirken wollte. Dem erstinstanzlichen Gericht teilte er mit, er sei mit dem Urteilsvorschlag nicht mehr einverstanden und werde sein Geständnis an der Hauptverhandlung vermutlich widerrufen. An der Hauptverhandlung bestätigte er lediglich, den Anklagesachverhalt im Vorverfahren anerkannt zu haben, und sah von weiteren Aussagen ab (BGE 139 IV 233 E. 2.2).
2.4 Schliesslich trägt der Beschwerdeführer vor, er habe vor der Vorinstanz eingehende Überlegungen angestellt zu einer möglichen Weiterentwicklung der einschlägigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Damit habe sich die Vorinstanz höchstens am Rande befasst. Sofern diese Ausführungen des Beschwerdeführers überhaupt den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 42 Rechtsschriften - 1 Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. |
|
1 | Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. |
1bis | Wurde in einer Zivilsache das Verfahren vor der Vorinstanz in englischer Sprache geführt, so können Rechtsschriften in dieser Sprache abgefasst werden.14 |
2 | In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder aus anderen Gründen ein besonders bedeutender Fall vorliegt, so ist auszuführen, warum die jeweilige Voraussetzung erfüllt ist. 15 16 |
3 | Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat; richtet sich die Rechtsschrift gegen einen Entscheid, so ist auch dieser beizulegen. |
4 | Bei elektronischer Einreichung muss die Rechtsschrift von der Partei oder ihrem Vertreter beziehungsweise ihrer Vertreterin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 201617 über die elektronische Signatur versehen werden. Das Bundesgericht bestimmt in einem Reglement: |
a | das Format der Rechtsschrift und ihrer Beilagen; |
b | die Art und Weise der Übermittlung; |
c | die Voraussetzungen, unter denen bei technischen Problemen die Nachreichung von Dokumenten auf Papier verlangt werden kann.18 |
5 | Fehlen die Unterschrift der Partei oder ihrer Vertretung, deren Vollmacht oder die vorgeschriebenen Beilagen oder ist die Vertretung nicht zugelassen, so wird eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels angesetzt mit der Androhung, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibt. |
6 | Unleserliche, ungebührliche, unverständliche, übermässig weitschweifige oder nicht in einer Amtssprache verfasste Rechtsschriften können in gleicher Weise zur Änderung zurückgewiesen werden. |
7 | Rechtsschriften, die auf querulatorischer oder rechtsmissbräuchlicher Prozessführung beruhen, sind unzulässig. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an. |
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1 | Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an. |
2 | Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist. |