136 III 107
15. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. SA gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen) 4A_446/2009 vom 8. Dezember 2009
Regeste (de):
- Ansprüche im Konkurs; statutarische Schiedsklausel.
- Organe einer konkursiten Gesellschaft können sich gegenüber Verantwortlichkeitsansprüchen der Konkursgläubiger nicht auf eine statutarische Schiedsklausel berufen (E. 2.5).
Regeste (fr):
- Prétentions dans la faillite; clause statutaire d'arbitrage.
- Les organes d'une société en faillite ne peuvent pas opposer une clause statutaire d'arbitrage à l'action en responsabilité des créanciers sociaux (consid. 2.5).
Regesto (it):
- Pretese nel fallimento; clausola compromissoria statutaria.
- Gli organi di una società in fallimento non possono prevalersi di una clausola compromissoria statutaria per opporsi a pretese dei creditori del fallimento fondate sulla responsabilità (consid. 2.5).
Sachverhalt ab Seite 107
BGE 136 III 107 S. 107
Die Statuten der am 18. März 1940 ins Handelsregister eingetragenen Y. AG enthielten spätestens seit 1960 eine Schiedsklausel für Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und ihren Organen bzw. Aktionären. Gemäss Artikel 28 der zuletzt geltenden Statuten der Y. AG lautete die Schiedsklausel wie folgt: "Rechtsstreitigkeiten in Gesellschaftsangelegenheiten zwischen der Gesellschaft und ihren Organen oder Aktionären sowie deren Rechtsnachfolgern entscheidet endgültig (einschliesslich aller Vor- und Zwischenfragen) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ein dreiköpfiges Schiedsgericht mit Sitz in Biel. (...) Gerichtsstand ist Biel. Das Schiedsgericht entscheidet nach schweizerischem Recht. Es ordnet sein Verfahren selbst und regelt auch die
BGE 136 III 107 S. 108
Kostenfrage. Das Verfahren soll möglichst einfach sein. Die Parteien haben Anspruch auf ein schriftlich begründetes Urteil. Subsidiär gilt die bernische Zivilprozessordnung." Am 5. Januar 2004 wurde der Konkurs über die Y. AG eröffnet. A. (Beschwerdegegnerin), Gläubigerin und Aktionärin der konkursiten Gesellschaft, erhob im März 2007 beim Handelsgericht des Kantons Bern Klage und verlangte von Verwaltungsratsmitgliedern Fr. 1'000'000.- aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit, nachdem sie sich diese Ansprüche gemäss Art. 260
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 260 - 1 Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
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1 | Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
2 | Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern. |
3 | Verzichtet die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung und verlangt auch kein Gläubiger die Abtretung, so können solche Ansprüche nach Artikel 256 verwertet werden.458 |
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und dessen Zuständigkeit zu verneinen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. (Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.5 Nach einhelliger Lehre ist grundsätzlich auch die Konkursmasse einschliesslich allfälliger Abtretungsgläubiger nach Art. 260
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 260 - 1 Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
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1 | Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
2 | Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern. |
3 | Verzichtet die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung und verlangt auch kein Gläubiger die Abtretung, so können solche Ansprüche nach Artikel 256 verwertet werden.458 |
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 260 - 1 Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
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1 | Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. |
2 | Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern. |
3 | Verzichtet die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung und verlangt auch kein Gläubiger die Abtretung, so können solche Ansprüche nach Artikel 256 verwertet werden.458 |
BGE 136 III 107 S. 109
Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit besondere Regeln gelten.
2.5.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin macht die Beschwerdegegnerin im Rahmen der Verantwortlichkeitsansprüche nach Art. 757
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 757 - 1 Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu, die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen. |
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1 | Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu, die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen. |
2 | Verzichtet die Konkursverwaltung auf die Geltendmachung dieser Ansprüche, so ist hierzu jeder Aktionär oder Gläubiger berechtigt. Das Ergebnis wird vorab zur Deckung der Forderungen der klagenden Gläubiger gemäss den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889646 verwendet. Am Überschuss nehmen die klagenden Aktionäre im Ausmass ihrer Beteiligung an der Gesellschaft teil; der Rest fällt in die Konkursmasse. |
3 | Vorbehalten bleibt die Abtretung von Ansprüchen der Gesellschaft gemäss Artikel 260 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889. |
4 | In die Berechnung des Schadens der Gesellschaft sind Forderungen von Gesellschaftsgläubigern, die im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurückgetreten sind, nicht einzubeziehen.647 |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 757 - 1 Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu, die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen. |
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1 | Im Konkurs der geschädigten Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu, die Ansprüche von Aktionären und Gesellschaftsgläubigern geltend zu machen. |
2 | Verzichtet die Konkursverwaltung auf die Geltendmachung dieser Ansprüche, so ist hierzu jeder Aktionär oder Gläubiger berechtigt. Das Ergebnis wird vorab zur Deckung der Forderungen der klagenden Gläubiger gemäss den Bestimmungen des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889646 verwendet. Am Überschuss nehmen die klagenden Aktionäre im Ausmass ihrer Beteiligung an der Gesellschaft teil; der Rest fällt in die Konkursmasse. |
3 | Vorbehalten bleibt die Abtretung von Ansprüchen der Gesellschaft gemäss Artikel 260 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 11. April 1889. |
4 | In die Berechnung des Schadens der Gesellschaft sind Forderungen von Gesellschaftsgläubigern, die im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurückgetreten sind, nicht einzubeziehen.647 |
2.5.2 Bei der gestützt auf eine in den Statuten enthaltene Schiedsklausel erhobenen Schiedseinrede handelt es sich nicht um eine Einrede, die unabhängig von der Willensbildung der Gesellschaft besteht. Es rechtfertigt sich nicht, die Einrede gegenüber der Gläubigergesamtheit, die keinen Einfluss auf die Statuten hatte, zuzulassen, sonst bestünde die Gefahr, dass die Organe durch entsprechende statutarische Bestimmungen die Durchsetzung der Verantwortlichkeitsansprüche der Gläubiger im Konkurs erschweren. Massgebend ist, ob die Gläubigergesamtheit an die Schiedsklausel gebunden ist. Eine solche Bindung kann nicht aus den Statuten der Gesellschaft abgeleitet werden (vgl. PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 18 Rz. 358 mit weiteren Hinweisen; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 36 Rz. 118; WALTER J. HABSCHEID, Statutarische Schiedsgerichte und Schiedskonkordat, Schweizerische Aktiengesellschaft [SAG] 57/1985 S. 166).