135 I 79
10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Stadtschulrat Schaffhausen und Erziehungsrat des Kantons Schaffhausen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 2C_149/2008 vom 24. Oktober 2008
Regeste (de):
- Art. 15
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit - 1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. 2 Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen. 3 Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen. 4 Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen. IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
- Aktuelles Rechtsschutzinteresse; Legitimation der Eltern (E. 1).
- Allgemeine Voraussetzungen für Praxisänderungen (E. 3).
- Nach dem angerufenen muslimischen Gebot dürfen Gläubige nicht den weitgehend nackten Körper des anderen Geschlechts sehen (E. 4.2).
- Glaubensinhalte, die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte Bekleidungsweisen nahelegen, sind grundsätzlich nicht zu überprüfen (E. 4.4).
- Der Kerngehalt der Religionsfreiheit wird durch das in Frage stehende Glaubensgebot nicht berührt (E. 5).
Regeste (fr):
- Art. 15 Cst. et art. 9 CEDH; liberté de conscience et de croyance; dispense des cours de natation mixtes pour des motifs religieux.
- Intérêt actuel à procéder; qualité pour recourir des parents (consid. 1).
- Conditions générales des changements de jurisprudence (consid. 3).
- Selon le précepte islamique invoqué, les croyants ne doivent pas voir le corps largement dénudé de personnes de l'autre sexe (consid. 4.2).
- Les croyances sur lesquelles se fonde un comportement motivé par les convictions religieuses ou qui sont à l'origine de certaines pratiques vestimentaires n'ont en principe pas à être examinées (consid. 4.4).
- Le noyau intangible de la liberté religieuse n'est pas touché par le précepte en cause (consid. 5).
Regesto (it):
- Art. 15 Cost e art. 9 CEDU; libertà di credo e di coscienza; dispensa da lezioni di nuoto miste per motivi religiosi.
- Interesse giuridicamente protetto attuale; legittimazione a ricorrere dei genitori (consid. 1).
- Condizioni generali per modificare la giurisprudenza (consid. 3).
- Secondo il precetto islamico invocato, i credenti non devono vedere il corpo ampiamente denudato di persone dell'altro sesso (consid. 4.2).
- Le convinzioni che impongono un determinato comportamento per motivi religiosi o che inducono a indossare vestiti particolari non devono di principio essere esaminate (consid. 4.4).
- Il contenuto essenziale della libertà religiosa non è toccato dal precetto in causa (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 80
BGE 135 I 79 S. 80
A. Der tunesische Staatsangehörige A. ersuchte am 25. Oktober 2006 den Stadtschulrat der Stadt Schaffhausen, seine beiden Söhne X. (geb. 1995) und Y. (geb. 1997) vom obligatorischen Schwimmunterricht an der Primarschule U. (5. bzw. 4. Klasse) zu dispensieren. Die zuständige Kreisschulbehörde lehnte das Gesuch ab. Der
BGE 135 I 79 S. 81
Erziehungsrat des Kantons Schaffhausen wies den Rekurs, den X. und Y. gegen diesen Entscheid erhoben hatten, ebenfalls ab. Die beim Obergericht des Kantons Schaffhausen dagegen eingereichte Beschwerde blieb ohne Erfolg.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen X. und Y. dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben. Das Bundesgericht beurteilt die Beschwerde in öffentlicher Sitzung und weist sie ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1 Das in Frage stehende Gesuch um Befreiung vom Schwimmunterricht wurde vor mehr als zwei Jahren gestellt. Ob die Beschwerdeführer heute noch ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides haben (Art. 89 Abs. 1 lit. c
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 89 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
|
1 | Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; |
b | durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist; und |
c | ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. |
2 | Zur Beschwerde sind ferner berechtigt: |
a | die Bundeskanzlei, die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann; |
b | das zuständige Organ der Bundesversammlung auf dem Gebiet des Arbeitsverhältnisses des Bundespersonals; |
c | Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt; |
d | Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt. |
3 | In Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) steht das Beschwerderecht ausserdem jeder Person zu, die in der betreffenden Angelegenheit stimmberechtigt ist. |
1.2 Die vorliegende Beschwerde ist von den beiden Beschwerdeführern (geb. 1995 und 1997), gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, erhoben worden. Die beiden Knaben sind heute noch nicht 16 Jahre alt, womit gemäss Art. 303 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 303 - 1 Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern. |
|
1 | Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern. |
2 | Ein Vertrag, der diese Befugnis beschränkt, ist ungültig. |
3 | Hat ein Kind das 16. Altersjahr zurückgelegt, so entscheidet es selbständig über sein religiöses Bekenntnis. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 11 Schutz der Kinder und Jugendlichen - 1 Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. |
|
1 | Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. |
2 | Sie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 304 - 1 Die Eltern haben von Gesetzes wegen die Vertretung des Kindes gegenüber Drittpersonen im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge.400 |
|
1 | Die Eltern haben von Gesetzes wegen die Vertretung des Kindes gegenüber Drittpersonen im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge.400 |
2 | Sind beide Eltern Inhaber der elterlichen Sorge, so dürfen gutgläubige Drittpersonen voraussetzen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem andern handelt.401 |
3 | Die Eltern dürfen in Vertretung des Kindes keine Bürgschaften eingehen, keine Stiftungen errichten und keine Schenkungen vornehmen, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke.402 |
2.
2.1 Streitgegenstand bildet die Frage, ob die beiden Beschwerdeführer männlichen Geschlechts gestützt auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit - 1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. |
|
1 | Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen. |
3 | Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen. |
4 | Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. |
2.2 Die kantonalen Instanzen haben dies verneint und änderten damit ihre eigene bisherige Praxis, nach welcher Knaben und
BGE 135 I 79 S. 82
Mädchen islamischen Glaubens eine solche Dispensation gewährt wurde. Die zuvor eingenommene Haltung der Behörden stützte sich auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahre 1993, in dem ein Recht muslimischer Schülerinnen auf Befreiung vom Schwimmunterricht grundsätzlich anerkannt worden war (BGE 119 Ia 178 ff.). Die inzwischen eingetretenen soziokulturellen Veränderungen haben bei den kantonalen Behörden in dieser Frage zu einem Meinungsumschwung geführt. Die Vorinstanz legt im angefochtenen Entscheid die Gründe, die eine Praxisänderung rechtfertigten, näher dar. So spreche eine Güterabwägung unter den heute gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gegen eine Dispensation muslimischer Schulkinder - Knaben und Mädchen - vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht, da es einerseits nicht um eine zentrale, allgemein anerkannte Forderung muslimischen Glaubens gehe und anderseits erhebliche und überwiegende Interessen der Geschlechtergleichstellung und der gesellschaftlichen Integration der Ausländer eine Teilnahme aller Schüler an diesem Unterricht erforderten.
Die Beschwerdeführer bestreiten, dass triftige Gründe für die vorgenommene Praxisänderung vorliegen. Die Vorinstanz übersehe, dass die Religionsfreiheit alle Glaubenssätze - auch die weniger zentralen - schütze, eine erfolgreiche Integration Toleranz in Glaubensfragen voraussetze und sich die Verhältnisse seit dem letzten Entscheid des Bundesgerichts überhaupt nicht verändert hätten.
3. Eine Änderung der Praxis lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten (BGE 132 III 770 E. 4 S. 777). Eine Praxisänderung muss sich deshalb auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt worden ist (BGE 126 II 122 E. 5 S. 129). Es ist zu prüfen, ob die von der Vorinstanz angeführten Argumente so gewichtig sind, dass sich eine Änderung der vom Bundesgericht eingehend begründeten Rechtsprechung rechtfertigt.
4.
4.1 Knaben und Mädchen streng islamischen Glaubens ist es untersagt, an einem gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht
BGE 135 I 79 S. 83
teilzunehmen. Das gilt aus religiös-erzieherischen Gründen bereits für die Zeit vor Eintritt der Geschlechtsreife. Eine Ausnahme besteht nur für im Koran näher umschriebene Angehörige (BGE 119 Ia 178 E. 4d S. 186).
4.2 Die Beschwerdeführer berufen sich auf diese Glaubensregel. Sie haben im kantonalen Verfahren eine am 5. Februar 2007 verfasste Erklärung des Imams der Grossen Moschee von Genf eingereicht, woraus hervorgeht, dass Schwimmen nicht erlaubt sei, wo Mädchen und Knaben zusammen seien; es gelte zu verhindern, dass sie gegenseitig ihre Reize betrachteten. Die Beschwerdeführer machen ausdrücklich geltend, nach den muslimischen Geboten dürften sie als Gläubige nicht den weitgehend nackten Körper des anderen Geschlechts sehen; beim Schwimmen träfen sie auf Mädchen, die viel weniger bekleidet seien, als dies der Glaube erlaube; der Koran auferlege dem Gläubigen, den Blick zu senken, wenn ihm Menschen begegneten, deren Awra (Körper zwischen Bauchnabel und Knie) nicht bedeckt sei; dieses Gebot könnten die Beschwerdeführer beim gemeinsamen Schwimmen mit den Mädchen nicht einhalten. Da die Beschwerdeführer insoweit keine Einschränkung anbringen, ist davon auszugehen, dass dieses Gebot für sie unabhängig von der Glaubenszugehörigkeit der Mädchen gilt.
4.3 Die Vorinstanz anerkennt, dass die Beachtung der erwähnten religiösen Vorschrift verfassungsrechtlichen Schutz geniesst. Sie führt jedoch aus, dass nur ein Teil der muslimischen Bevölkerung den Koran in diesem strengen Sinn interpretiere. Für die anderen genüge es, dass der Körper hinreichend bedeckt und die Intimsphäre geschützt sei. Das Verbot des gemischtgeschlechtlichen Schwimmens zähle deshalb nicht zu den zentralen Forderungen des muslimischen Glaubens, sondern sei Ausfluss einer sehr strengen dogmatischen bzw. patriarchalischen Auffassung, die von vielen Muslimen nicht geteilt werde. Dafür könne zwar der Schutz der Religionsfreiheit beansprucht werden, doch komme ihm bei der Interessenabwägung ein geringeres Gewicht zu als anderen Glaubensinhalten.
4.4 Der religiös neutrale Staat kann Glaubensregeln nicht auf ihre theologische Richtigkeit - insbesondere nicht auf ihre Übereinstimmung mit den heiligen Schriften - überprüfen (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 185). Ebenso ist es ihm verwehrt, die Bedeutung einer religiösen Vorschrift und damit ihr Gewicht bei der Interessenabwägung selber festzustellen. In diesem Punkt haben die staatlichen Organe
BGE 135 I 79 S. 84
vielmehr von der Bedeutung auszugehen, welche die religiöse Norm für die Beschwerdeführer hat. In einem neuen Entscheid hat das Bundesgericht in Bestätigung dieser Rechtsprechung erklärt, Glaubensinhalte, die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte Bekleidungsweisen nahelegen, seien grundsätzlich nicht zu überprüfen (BGE 134 I 56 E. 4 und 5.2). Das verkennt die Vorinstanz, wenn sie dem Verbot des gleichgeschlechtlichen Schwimmens deshalb einen geringen Stellenwert einräumt, weil es für die Mehrheit der Muslime nicht zu den zentralen Forderungen ihres Glaubens gehöre. Die Beschwerdeführer teilen in dieser Hinsicht gerade nicht die religiösen Auffassungen der Mehrheit der hier lebenden Muslime. Sie machen vielmehr geltend, es stehe für sie ein absolutes Verbot in Frage, über das sie sich nicht hinwegsetzen könnten. Im kantonalen Verfahren ist die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung nicht in Zweifel gezogen worden. Wie das Bundesgericht bereits früher festgestellt hat, hängt eine erfolgreiche Berufung auf die Religionsfreiheit nicht davon ab, ob eine religiöse Überzeugung stark vom Landesüblichen abweicht oder ob sie von allen Glaubensangehörigen gleichermassen befolgt wird. Dieses Grundrecht schützt vielmehr ebenso die Überzeugungen religiöser Minderheiten (BGE 119 Ia 178 E. 7e S. 193 und E. 8a S. 194).
4.5 Indem die Vorinstanz der von den Beschwerdeführern angerufenen religiösen Glaubensregel nur einen beschränkten Stellenwert einräumt, weicht sie von der bisherigen und erst kürzlich bestätigten Rechtsprechung in einem zentralen Punkt ab. Ihre dafür angeführte Begründung vermag nicht zu überzeugen, so dass insoweit kein Anlass für eine Praxisänderung besteht.
4.6 Es ist demnach davon auszugehen, dass die Verpflichtung zur Teilnahme am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht einen Eingriff in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer darstellt.
5.
5.1 Die durch Art. 15
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit - 1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. |
|
1 | Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. |
2 | Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen. |
3 | Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen. |
4 | Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. |
IR 0.103.2 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II Art. 18 - (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. |
BGE 135 I 79 S. 85
Kernbereich gehört einzig die innere Religionsfreiheit im Sinne der inneren Überzeugung; die äussere Glaubensfreiheit kann hingegen unter den Voraussetzungen von Art. 36
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
|
1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
5.2 Dass die in Frage stehende Verpflichtung nicht den unantastbaren Kerngehalt der Religionsfreiheit berührt, liegt auf der Hand. Betroffen sind Konflikte, die daraus entstehen können, dass gewisse kulturell-religiös verankerte, inhaltlich jedoch das Alltagsleben betreffende Verhaltensnormen mit der in der Schweiz geltenden staatlichen Rechtsordnung kollidieren. Es ist somit zu prüfen, ob die Verpflichtung eine unter dem Blickwinkel von Art. 36
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
|
1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
6.
6.1 Die Beschwerdeführer rügen erstmals vor Bundesgericht das Fehlen einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage.
6.2 Personengruppen, die wie Primarschüler zum Staat in einer besonders engen Rechtsbeziehung stehen (sogenanntes Sonderstatus- oder besonderes Rechtsverhältnis), können sich grundsätzlich ebenfalls auf die Religionsfreiheit berufen. In solchen Fällen hat die formellgesetzliche Regelung - abgesehen von der Begründung des Sonderstatusverhältnisses selber - allerdings nicht ins Detail zu gehen, sondern darf der Natur des Rechtsverhältnisses entsprechend weit gefasst sein; namentlich darf die Regelung der Einzelheiten an Exekutivorgane delegiert werden (vgl. BGE 123 I 296 E. 3 mit Hinweisen).
6.3 Der Turn- und Sportunterricht ist an allen Volksschulen obligatorisch (Art. 68 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 68 Sport - 1 Der Bund fördert den Sport, insbesondere die Ausbildung. |
|
1 | Der Bund fördert den Sport, insbesondere die Ausbildung. |
2 | Er betreibt eine Sportschule. |
3 | Er kann Vorschriften über den Jugendsport erlassen und den Sportunterricht an Schulen obligatorisch erklären. |
BGE 135 I 79 S. 86
weiteres zu finden (Suchbegriff: "Lehrplan Schaffhausen"). Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer ist somit kein besonderes Computerprogramm erforderlich, welches nur gegen eine Entschädigung erworben werden kann. Nach dem Lehrplan des Kantons Schaffhausen zählt zum Fachbereich Sport (Unterstufe) der Lernbereich Spiel und Sport im Wasser; eines der Lernziele bildet das Beherrschen einer frei wählbaren Schwimmart. Schwimmen ist somit im Kanton Schaffhausen Teil des obligatorischen Sportunterrichts.
6.4 Gemäss Art. 62 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 62 * - 1 Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig. |
2 | Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht, der allen Kindern offensteht. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht. An öffentlichen Schulen ist er unentgeltlich.23 |
3 | Die Kantone sorgen für eine ausreichende Sonderschulung aller behinderten Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr.24 |
4 | Kommt auf dem Koordinationsweg keine Harmonisierung des Schulwesens im Bereich des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen sowie der Anerkennung von Abschlüssen zustande, so erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften.25 |
5 | Der Bund regelt den Beginn des Schuljahres.26 |
6 | Bei der Vorbereitung von Erlassen des Bundes, welche die Zuständigkeit der Kantone betreffen, kommt der Mitwirkung der Kantone besonderes Gewicht zu.27 |
6.5 Angesichts des Sonderstatusverhältnisses, dem die Grundschüler unterstehen, bildet die in Frage stehende kantonale Regelung eine genügende gesetzliche Grundlage für den obligatorischen, gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht an der Unterstufe der öffentlichen Grundschulen im Kanton Schaffhausen. Die nähere normative Regelung braucht nicht in einem Gesetz im formellen Sinn festgelegt zu sein (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 6c).
7.
7.1 Das Obligatorium des Schulbesuches - einschliesslich der vom kantonalen Recht statuierten Pflicht zur Teilnahme am Schwimmen im Rahmen des Sportunterrichts - dient der Wahrung der Chancengleichheit aller Kinder und darüber hinaus auch derjenigen zwischen den Geschlechtern bzw. der Gleichstellung von Mann und Frau
BGE 135 I 79 S. 87
in der (Aus-)Bildung; sie fördert zudem die Integration von Angehörigen anderer Länder, Kulturen und Religionen und ist somit unbestrittenermassen von gewichtigem öffentlichen Interesse (BGE 119 Ia 178 E. 7c). Dies wird von den Beschwerdeführern zu Recht nicht in Frage gestellt. Soweit im zitierten Urteil das Schwimmen als verzichtbarer Lehrinhalt bezeichnet wird, kann daran - nachdem inzwischen am 26. März 1997 die UNO-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 (KRK; SR 0.107) in Kraft getreten ist, welche insbesondere festschreibt, dass bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist (Art. 3 Ziff. 1
IR 0.107 Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes KRK Art. 3 - (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. |
7.2 Das öffentliche Interesse, dass alle Schüler den obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht besuchen, ist abzuwägen gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführer, sich auf die Einhaltung einer nach ihrer Auffassung wesentlichen religiösen Regel berufen zu können. Dabei ist von Bedeutung, dass nicht etwa die Teilnahme an einer Veranstaltung in Frage steht, die inhaltlich einen Bezug zu religiösen Überzeugungen hätte, wie dies bei der Erteilung von Religionsunterricht oder bei eigentlichen Kulthandlungen der Fall wäre. Es geht nicht um den Inhalt des Lehrstoffes - auch Muslime halten Sport- und Schwimmunterricht für sinnvoll -, sondern allein um die äusseren Bedingungen der Unterrichtserteilung.
BGE 135 I 79 S. 88
Seit dem Entscheid des Bundesgerichts im Jahre 1993 haben die bereits in jenem Entscheid berücksichtigten wichtigen Integrationsanliegen in der Öffentlichkeit noch vermehrtes Gewicht erhalten. Ihre ausdrückliche Aufnahme im Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer ([AuG; SR 142.20] Art. 4
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 4 Integration - 1 Ziel der Integration ist das Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und gegenseitiger Achtung und Toleranz. |
|
1 | Ziel der Integration ist das Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und gegenseitiger Achtung und Toleranz. |
2 | Die Integration soll längerfristig und rechtmässig anwesenden Ausländerinnen und Ausländern ermöglichen, am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben. |
3 | Die Integration setzt sowohl den entsprechenden Willen der Ausländerinnen und Ausländer als auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraus. |
4 | Es ist erforderlich, dass sich Ausländerinnen und Ausländer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensbedingungen in der Schweiz auseinandersetzen und insbesondere eine Landessprache erlernen. |
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 53 Grundsätze - 1 Bund, Kantone und Gemeinden berücksichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Anliegen der Integration und des Schutzes vor Diskriminierung. |
|
1 | Bund, Kantone und Gemeinden berücksichtigen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Anliegen der Integration und des Schutzes vor Diskriminierung. |
2 | Sie schaffen günstige Rahmenbedingungen für die Chancengleichheit und die Teilhabe der ausländischen Bevölkerung am öffentlichen Leben. Sie nutzen die Potenziale der ausländischen Bevölkerung, berücksichtigen die Vielfalt und fordern Eigenverantwortung ein. |
3 | Sie fördern bei den Ausländerinnen und Ausländern insbesondere den Erwerb von Sprachkompetenzen und anderen Grundkompetenzen, das berufliche Fortkommen und die Gesundheitsvorsorge; ausserdem unterstützen sie Bestrebungen, die das gegenseitige Verständnis zwischen der schweizerischen und der ausländischen Bevölkerung und deren Zusammenleben erleichtern. |
4 | Bei der Integrationsförderung arbeiten die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden, die Sozialpartner, die Nichtregierungsorganisationen und die Ausländerorganisationen zusammen. |
5 | Die kantonalen Sozialhilfebehörden melden stellenlose anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung. |
SR 131.223 Verfassung des Kantons Schaffhausen, vom 17. Juni 2002 KV/SH Art. 85 - 1 Kanton und Gemeinden sorgen zusammen mit öffentlichen und privaten Institutionen dafür, materielle und persönliche Notlagen von Menschen abzuwenden, zu lindern oder zu beheben. Sie fördern Vorsorge, Selbsthilfe und Eigeninitiative. |
|
1 | Kanton und Gemeinden sorgen zusammen mit öffentlichen und privaten Institutionen dafür, materielle und persönliche Notlagen von Menschen abzuwenden, zu lindern oder zu beheben. Sie fördern Vorsorge, Selbsthilfe und Eigeninitiative. |
2 | Sie unterstützen Massnahmen zur gesellschaftlichen Integration. |
BGE 135 I 79 S. 89
sowie die hiesigen sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten akzeptieren (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2002 3714, 3797 ff.). Wer in ein anderes Land emigriert, muss regelmässig gewisse Einschränkungen und Änderungen seiner Lebensgewohnheiten in Kauf nehmen. Dies bedeutet keineswegs eine Preisgabe der Religionsfreiheit. Es geht dabei regelmässig nicht um den Kerngehalt dieses Grundrechts, sondern lediglich um Konflikte, die daraus entstehen können, dass gewisse kulturell-religiös verankerte, inhaltlich aber das Alltagsleben betreffende Verhaltensnormen mit den hier geltenden Regeln kollidieren. Glaubensansichten entbinden jedoch nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten. Diese in der bisherigen Bundesverfassung (Art. 49 Abs. 5 aBV) noch ausdrücklich verankerte Regel muss als Grundsatz weiterhin gelten. Im sozialen Einbindungsprozess kommt der Schule eine besonders wichtige Aufgabe zu (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2002 3800 f.). Sie soll zunächst eine Grundbildung vermitteln. Dieses Ziel kann sie nur erreichen, wenn seitens der Schüler die Verpflichtung besteht, die obligatorischen Fächer und Veranstaltungen zu besuchen. Im Gegenzug muss die Schule ein offenes, gesellschaftsübliches Umfeld bieten und den Geboten der weltanschaulichen Neutralität und der Laizität strikt nachleben. In diesem Rahmen darf die Schule angesichts der grossen Bedeutung des Pflichtangebots aber darauf bestehen, dass ihre Lehrveranstaltungen für alle obligatorisch sind und dass sie nicht für alle persönlichen Wünsche eine abweichende Sonderregelung vorsehen oder zulassen muss. Dies gilt auch für Ausnahmen zur Beachtung religiöser Gebote, die mit dem Schulprogramm kollidieren. Dem obligatorischen Schulunterricht kommt hier grundsätzlich der Vorrang zu, weshalb allfällige Ausnahmen nur mit Zurückhaltung zu gewähren sind. Der Sportunterricht dient zudem in hohem Mass der Sozialisierung der Schüler. Diesen Zweck kann er nur erfüllen, wenn der Unterricht (wie auch Klassenlager und Skilager etc.), wie in der Schweiz allgemein üblich, gemeinsam stattfindet. Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass es beim hier in Frage stehenden Verbot darum geht, dass die beiden männlichen Beschwerdeführer beim Besuch des obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterrichts gezwungen wären, bestimmte Teile des weiblichen Köpers im Bereich vom Bauchnabel bis zu
BGE 135 I 79 S. 90
den Knien zu sehen. Es liegt auf der Hand, dass sich solche Anblicke für die Beschwerdeführer beim gemeinsamen Schwimmunterricht mit Mitschülerinnen in Badekostümen nicht vermeiden lassen. Dies gilt indessen in der Schweiz für viele Bereiche des alltäglichen Lebens. Denn es lässt sich nicht verhindern, dass die Beschwerdeführer hier täglich Frauen und Mädchen erblicken, bei welchen der in Frage stehende Körperbereich teilweise unverhüllt sichtbar ist. Bauchfreie Bekleidung und kurze Röcke gehören (auch) in der Schweiz zum üblichen Strassenbild. Im Alltag kann den Beschwerdeführern die Konfrontation mit in der Schweiz gängigen Bekleidungsformen somit ohnehin nicht erspart werden. Dies gilt auch in den übrigen europäischen Staaten. In all diesen Ländern werden Kinder nicht nur durch Begegnungen auf der Strasse, sondern auch durch Abbildungen in den Medien mit knapp bekleideten menschlichen Körpern des anderen Geschlechts konfrontiert und müssen damit umzugehen lernen. Es kommt weiter hinzu, dass die hier in Frage stehende Glaubensregel auch nicht mit den für die Mädchen islamischen Glaubens geltenden Bekleidungsvorschriften gleichgestellt werden kann. Diese gebieten den Frauen das Verhüllen des eigenen Körpers und richten sich an die Gläubigen selber. Die Frauen können selber entscheiden, ob sie diese Gebote befolgen wollen. Anders verhält es sich beim verpönten Anblick von Körperteilen des anderen Geschlechts. Hier kann der gläubige Schüler nicht verlangen, dass die Mitschülerinnen anderen Glaubens ihren Körper entsprechend den islamischen Bekleidungsvorschriften verhüllen, nur um ihm diesen Anblick zu ersparen. Die Anerkennung eines Rechts, muslimische Kinder generell vom kollektiven Schwimmunterricht zu befreien, würde den vielfältigen Bestrebungen zur Integration dieser Bevölkerungsgruppe zuwiderlaufen. Namentlich würde damit den betroffenen Kindern erheblich erschwert, sich an das in der hiesigen Gesellschaft übliche natürliche Zusammensein mit dem anderen Geschlecht zu gewöhnen. Die Kinder müssten zur Vermeidung des Anblicks von Personen des anderen Geschlechts in Badekostümen sogar auf die Benützung öffentlicher Badeanstalten und Strandbäder verzichten.
7.3 Wenn daher die Behörden des Kantons Schaffhausen gestützt auf die im angefochtenen Entscheid angestellten grundsätzlichen Erwägungen die bisherige Dispensationspraxis nicht weiterführen,
BGE 135 I 79 S. 91
sondern den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht - verbunden mit flankierenden Massnahmen (eigene körperbedeckende Badebekleidung, getrenntes Umziehen und Duschen) - auch für muslimische Kinder vorschreiben wollen, kann darin kein unzulässiger Eingriff in die Religionsfreiheit erblickt werden. Der vorliegende Fall ist im Übrigen nicht vergleichbar mit dem in BGE 134 I 114 beurteilten Sachverhalt. Dort ging es nicht um regelmässig stattfindenden obligatorischen Unterricht, sondern um die einmal abzulegende Maturitätsprüfung: Streitig war die Verweigerung eines Dispenses gegenüber einem Schüler, welcher einer dem Gebot der Samstags-Ruhe strikt verpflichteten Glaubensgemeinschaft angehört, von schriftlichen Maturitätsprüfungen an einem Samstag. Diese Grundrechtseinschränkung erachtete das Bundesgericht als unverhältnismässig, da insbesondere wegen krankheits- und unfallbedingten Absenzen ohnehin Nachholtermine an anderen Tagen vorgesehen werden mussten und nichts entgegenstand, den Schüler an solchen Terminen zur Prüfung aufzubieten.