BGE-134-I-166
Urteilskopf
134 I 166
18. Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse Basel-Stadt gegen V. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 9C_422/2007 vom 4. April 2008
Regeste (de):
- Art. 29 Abs. 3
BV; § 61 baselstädtisches Gesetz vom 20. März 1980 betreffend die Pensionskasse Basel-Stadt; unentgeltliche Verbeiständung im internen Verfahren der Vorsorgeeinrichtung?
- Mangels hoheitlicher Befugnisse der Pensionskasse besteht im Rahmen des Verfahrens einer öffentlich-rechtlich konstituierten Vorsorgeeinrichtung auch insoweit kein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung (BGE 125 V 32) respektive Parteientschädigung (BGE 130 V 570), als das kantonale Recht die Möglichkeit einer (fakultativen) "Einsprache" vorsieht (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 29 al. 3 Cst.; § 61 de la loi cantonale du 20 mars 1980 sur la Caisse de pension du canton de Bâle-Ville; droit à l'assistance judiciaire dans le cadre de la procédure interne à l'institution de prévoyance?
- Faute pour les institutions de prévoyance d'être investies de la puissance publique, il n'existe aucun droit à l'assistance judiciaire (ATF 125 V 32), respectivement à des dépens (ATF 130 V 570) dans le cadre de la procédure interne à une institution de prévoyance de droit public, quand bien même le droit cantonal prévoit la possibilité (facultative) de former une "opposition" (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 29 cpv. 3 Cost.; § 61 della legge cantonale del 20 marzo 1980 sulla Cassa pensioni di Basilea-Città; diritto al gratuito patrocinio nella procedura interna dell'istituto di previdenza?
- Non disponendo la Cassa pensioni di poteri di sovranità, il diritto al gratuito patrocinio (DTF 125 V 32), rispettivamente a un'indennità di parte (DTF 130 V 570), nell'ambito della procedura di un istituto di previdenza fondato sul diritto pubblico non è nemmeno dato se il diritto cantonale prevede la possibilità di una "opposizione" (facoltativa; consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 167
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A. Der 1946 geborene V. bezieht seit März 1989 von der Pensionskasse Basel-Stadt Erwerbsersatzleistungen bei Invalidität. Die Invalidenversicherung und die obligatorische Unfallversicherung richten ebenfalls Invalidenrenten aus. Mit Schreiben vom 23. Mai 2005 setzte die Pensionskasse V. davon in Kenntnis, dass bis Ende April 2005 infolge einer mit Wirkung ab April 1998 fälschlicherweise unterlassenen Anpassung der Überversicherungsberechnung ein Betrag von insgesamt Fr. 26'401.15 zu viel ausbezahlt worden sei. Die Vorsorgeeinrichtung verband diese Mitteilung mit einer Rückforderung in entsprechender Höhe und wies darauf hin, gegen Entscheide der Kassenverwaltung sei die Einsprache an die Verwaltungskommission oder die Klage beim kantonalen Versicherungsgericht möglich. V. erhob Einsprache, wobei er beantragte, die Rückerstattung sei ihm "infolge Vorliegens eines grossen Härtefalls" zu erlassen; ausserdem liess er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung im Einspracheverfahren ersuchen. Der Verwaltungsrat der Pensionskasse Basel-Stadt stellte am 24. August 2006 fest, eine Neuberechnung der Überentschädigung führe zu einer reduzierten Rückforderung von nunmehr Fr. 17'424.30. Dieser Betrag werde dem an sich ungerechtfertigt Bereicherten vollständig erlassen, weil die Überentschädigung ausschliesslich wegen Nachlässigkeit der Pensionskasse entstanden sei; zudem erweise sich die Einkommenssituation des - beim Bezug der zu hohen Rentenbetreffnisse gutgläubigen - Einsprechers als "nicht komfortabel". Hingegen lehnte das Verwaltungsorgan der Vorsorgeeinrichtung das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ab. Da es sich beim kasseninternen Einspracheverfahren weder um ein Verwaltungs- noch um ein gerichtliches Verfahren handle, bestehe keine Rechtsgrundlage, um eine Parteientschädigung bzw. die unentgeltliche Verbeiständung zuzuerkennen. Selbst bei sinngemässer
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Anwendung der entsprechenden Regelungen sei das Gesuch mangels Notwendigkeit einer Rechtsverbeiständung abzulehnen.
B. V. liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt gegen die Pensionskasse Basel-Stadt Klage erheben mit dem Rechtsbegehren, diese sei zu verpflichten, ihm für das Einspracheverfahren die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren und seiner Rechtsvertreterin eine Entschädigung im Betrag von Fr. 1'531.80 zu bezahlen. Das kantonale Gericht hiess die Klage im Grundsatz gut und wies die Beklagte an zu prüfen, ob die Voraussetzung der Mittellosigkeit im Einspracheverfahren erfüllt war, und gegebenenfalls die Höhe der Parteientschädigung für dasselbe festzusetzen (Entscheid vom 9. Mai 2007).
C. Die Pensionskasse Basel-Stadt führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. V. und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der Versicherte beantragt überdies die unentgeltliche Rechtspflege. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Klage des Beschwerdegegners ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
1.1 Gemäss § 61 Abs. 1 des Gesetzes vom 20. März 1980 betreffend die Pensionskasse Basel-Stadt (Pensionskassengesetz, PKG/BS; BGS 166.100) kann jede Person, die ein eigenes schützenswertes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides der Direktion hat, innert 30 Tagen seit Eröffnung beim Verwaltungsrat begründet Einsprache erheben. Die Erhebung einer Einsprache oder das Vorliegen eines Verwaltungsratsentscheides ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klageerhebung beim kantonalen Gericht im Sinne von Art. 73

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Streitig ist, ob für die vorangegangene pensionskasseninterne Auseinandersetzung über den Rückerstattungsanspruch des Vorsorgeträgers und über den Erlass der Rückforderung (Art. 35a Abs. 1

1.2 Das kantonale Gericht hielt zunächst fest, die Frage, ob im kasseninternen Einspracheverfahren Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung bestehe, sei im Pensionskassengesetz ungeregelt geblieben. Es finde indes, wie in jedem staatlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, der Grundsatz des Art. 29 Abs. 3



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2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht zu Recht geltend, dass Vorsorgeeinrichtungen keine hoheitliche Gewalt zukommt. Sie haben daher nicht die Befugnis, über die Rechte und Pflichten von Versicherten Verfügungen zu erlassen, die formell rechtskräftig werden könnten. Ihre Entscheide im Einzelfall sind lediglich "Stellungnahmen". Decken sich die Rechtsauffassungen der Vorsorgebeteiligten nicht, muss die interessierte Partei, hier die Vorsorgeeinrichtung, zur Durchsetzung ihres Rückforderungsanspruchs beim kantonalen Vorsorgegericht Klage im Sinne von Art. 73 Abs. 1

2.2 Die mit Schreiben der Pensionskasse angemeldete Rückforderung entspricht somit nicht einem der Rechtskraft zugänglichen und danach vollstreckbaren Titel. Gemäss dem diesbezüglich abschliessenden Bundesrecht (Art. 73


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Vorsorgeeinrichtung bestimmt. Da jenes also keine verbindliche Aussenwirkung zeitigt, wird es vom Geltungsbereich des Art. 29 Abs. 3

2.3 Für die Beantwortung der hier zu beurteilenden Rechtsfrage ist schliesslich nicht erheblich, ob die Beschwerdeführerin und deren internes Verfahren als "staatlich" zu gelten haben. Die Anwendbarkeit der Garantien gemäss Art. 29 Abs. 3

3. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1




